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Geschichte des jungen Königs der Schwarzen Inseln.

»So wisset denn, mein Herr,« fuhr er fort, »daß mein Vater, der Mahmud hieß, König dieses Staates war. Das ist das Königreich der Schwarzen Inseln, welches seinen Namen von den vier kleinen Bergen hier in der Nähe hat; denn diese Berge waren vormals Inseln; und die Hauptstadt, in welcher mein Vater seinen Hof hielt, stand an der Stelle, wo gegenwärtig dieser Teich ist, welchen Ihr gesehen habt. Die Folge meiner Geschichte wird Euch alle diese Verwandlungen erklären.

Der König, mein Vater, starb in einem Alter von siebenzig Jahren. Sobald ich seine Stelle eingenommen hatte, vermählte ich mich; und diejenige, die ich dazu erwählte, den Thron mit mir zu teilen, war meine Nichte. Ich hatte alle Ursache, mit den Zeichen der Liebe zufrieden zu sein, welche sie mir gab; und ich meinerseits empfand für sie eine solche Zärtlichkeit, daß nichts unserer Vereinigung zu vergleichen war. Aber nach Verlauf von fünf Jahren bemerkte ich, daß sie keinen Geschmack mehr an mir fand.

Eines Tages, als sie nach Tische im Bade war, empfand ich eine große Lust zu schlafen, und ich warf mich auf ein Sofa. Zwei ihrer Frauen, welche sich in meinem Zimmer befanden, setzten sich hierauf, die eine zu meinen Häupten, die andere zu meinen Füßen, je mit einem Fächer in der Hand, sowohl um mir Kühlung zuzuwehen, als um mir die Fliegen abzuwehren, welche meinen Schlummer hätten stören können. Sie wähnten, daß ich eingeschlafen wäre, und unterhielten sich ganz leise; aber ich hatte nur die Augen zugeschlossen und verlor kein Wort von ihrem Gespräche.

Eine dieser Frauen sagte zu der andern: »Hat die Königin nicht sehr unrecht, einen so liebenswürdigen Fürsten, wie der unsere ist, nicht zu lieben?« – »Sicherlich,« antwortete die andere. »Was mich betrifft, so begreife ich es nicht, und ich weiß nicht, warum sie alle Nächte aufsteht und ihn allein läßt: bemerkt er es denn nicht?« – »Ei, wie soll er es denn bemerken?« fuhr die erste fort. »Sie mischt alle Abend einen gewissen Kräutersaft in seine Getränke, wodurch er die ganze Nacht in so tiefem Schlafe liegt, daß sie Zeit hat zu gehen, wohin sie will; und mit Anbruche des Tages kommt sie zurück und legt sich wieder zu ihm; alsdann erweckt sie ihn durch einen gewissen Geruch, den sie ihm unter die Nase hält.«

Denkt Euch, Herr, mein Erstaunen bei dieser Unterredung und die Empfindungen, welche es in mir erregte. Gleichwohl, welche Aufwallung sie mir auch verursachte, hatte ich Herrschaft genug über mich, mich zu verstellen: ich tat, als erwachte ich und hätte nichts davon gehört.

Die Königin kam wieder aus dem Bade, wir speisten mitsammen zu Abend, und ehe wir uns niederlegten, reichte sie selber mir eine Schale voll Wasser, welche ich zu trinken pflegte: aber anstatt sie an meinen Mund zu setzen, näherte ich mich einem offenstehenden Fenster und verschüttete das Wasser so geschickt, daß sie es nicht bemerkte. Ich gab ihr daraus die Schale wieder in die Hand, damit sie nicht zweifelte, daß ich getrunken hätte.

Hierauf legten wir uns nieder; aber bald darauf stand sie wieder auf, mit so wenig Vorsicht, daß sie ziemlich laut sagte: »Schlaf, und möchtest du nie wieder erwachen!« Sie kleidete sich eilig an und verließ das Gemach ...«

Bei diesen Worten bemerkte Scheherasade, das es schon Tag war, und hörte auf zu reden.

Dinarsade hatte ihre Schwester mit großem Vergnügen angehört. Schachriar fand die Geschichte des Königs der Schwarzen Inseln seiner Neugier so würdig, daß er sehr ungeduldig aufstand, in der folgenden Nacht die Fortsetzung zu hören.

 

Siebenundzwanzigste Nacht.

Eine Stunde vor Tage erwachte Dinarsade und säumte nicht, die Sultanin, ihre liebe Schwester, zu bitten, die Geschichte des jungen Königs der vier Schwarzen Inseln fortzusetzen.

Scheherasade erinnerte sich alsbald, wo sie gestern stehen geblieben war, und nahm sie folgendermaßen wieder auf:

»Sobald die Königin, meine Gemahlin, hinausgegangen war,« fuhr der König der Schwarzen Inseln fort, »stand ich auf und zog mich hastig an; ich nahm meinen Säbel und ging ihr so eilig nach, daß ich sie bald vor mir gehen hörte. Nun folgte ich ihr Schritt für Schritt, trat aber leise auf, um nicht gehört zu werden.

Sie ging durch mehrere Türen, welche sich durch die Kraft gewisser Zauberworte, die sie aussprach, von selber öffneten; und die letzte, welche sich so öffnete, war die des Gartens, in welchen sie nun heraustrat.

Ich blieb in dieser Türe stehen, damit sie mich nicht erblicken möchte, während sie durch ein Blumenstück ging; ich verfolgte sie mit den Augen so weit, als die Dunkelheit es mir erlaubte, und bemerkte, daß sie in ein kleines Gehölz trat, dessen Baumgänge von einer dichten Hecke umgeben waren. Ich begab mich auf einem andern Wege ebendahin, und indem ich hinter die Hecke eines ziemlich langen Baumganges schlüpfte, sah ich sie darin mit einem Manne lustwandeln.

Ich ermangelte nicht, ihrem Gespräch ein aufmerksames Ohr zu leihen, und folgendes war es, was ich vernahm:

»Ich verdiene nicht,« sagte die Königin zu ihrem Geliebten, »die Vorwürfe, welche du mir machst, daß ich nicht eiliger bin: du weißt sehr wohl die Ursache, welche mich daran verhindert. Aber wenn alle die Zeichen der Liebe, welche ich bisher dir gegeben habe, nicht hinreichen, dich von meiner Innigkeit zu überzeugen, so bin ich bereit, dir noch auffallendere Beweise davon zu geben: du darfst nur gebieten; du kennst meine Macht. Ich will, wenn du es wünschest, noch vor Sonnenaufgange diese große Stadt und diesen schönen Palast in grauenvolle Trümmer verwandeln, die nur von Wölfen, Uhus und Raben bewohnt sind. Soll ich alle Steine dieser so starken Mauern jenseits des Berges Kaukasus, außerhalb der Grenzen der bewohnten Welt versetzen? Du darfst nur ein Wort sagen, und dieser ganze Ort ist verwandelt.«

Als die Königin diese Worte aussprach, war sie mit ihrem Buhlen ans Ende des Baumganges gekommen und wandte sich mit ihm in einen andern, und beide gingen so vor mir her. Ich hatte schon meinen Säbel gezogen; und da der Buhle auf meiner Seite ging, hieb ich ihn in den Hals und stürzte ihn zu Boden. Ich glaubte ihn getötet zu haben; und in diesem Wahne entfernte ich mich hurtig, ohne mich der Königin zu erkennen zu geben, deren ich schonen wollte, weil sie meine Verwandte war. –

Indessen war der Schlag, den ich ihrem Buhlen gegeben hatte, allerdings tödlich; aber sie erhielt ihm durch die Kraft ihrer Zauberei das Leben, auf eine solche Weise zwar, daß man von ihm sagen kann, er ist weder tot noch lebend.

Als ich durch den Garten nach dem Palaste zurückging, hörte ich die Königin lautes Geschrei ausstoßen; ich erkannte daraus ihren Schmerz, und ich war zufrieden mit mir, daß ich ihr das Leben gelassen hatte.

Nachdem ich in mein Zimmer zurückgekommen war, legte ich mich wieder nieder; und zufrieden, den Verwegenen bestraft zu haben, welcher mich beleidigt hatte, schlief ich ein.

Beim Erwachen am folgenden Morgen fand ich die Königin neben mir liegen ...«

Scheherasade war genötigt, bei dieser Stelle innezuhalten, weil sie den Tag anbrechen sah.

»Guter Gott! meine Schwester,« sagte hierauf Dinarsade, »es tut mir sehr leid, daß du nicht weiter erzählen kannst.«

»Meine Schwester,« antwortete die Sultanin, »du solltest mich zeitiger wecken; es ist deine Schuld.« – »Ich werde es mit Gottes Hilfe in der nächsten Nacht wieder einbringen,« erwiderte Dinarsade, »denn ich zweifle nicht, daß der Sultan ebenso große Lust hat als ich, das Ende dieser Geschichte zu wissen; und ich hoffe, daß er die Güte haben wird, dich noch bis morgen leben zu lassen.«

 

Achtundzwanzigste Nacht.

In der Tat weckte Dinarsade, wie sie es sich gelobt hatte, die Sultanin bei sehr guter Zeit, aus großem Verlangen, von ihr das Ende der angenehmen Geschichte des Königs der Schwarzen Inseln zu hören und zu wissen, wie er so in Marmor verwandelt worden.

»Du sollst es vernehmen,« antwortete Scheherasade, »mit Erlaubnis des Sultans.

»Ich fand also die Königin neben mir liegen,« fuhr der König der vier Schwarzen Inseln fort; »ich kann Euch nicht sagen, ob sie schlief oder nicht: ich stand aber leise auf, ging in mein Gemach und kleidete mich vollends an. Hierauf ging ich in meine Ratsversammlung.

Bei meiner Rückkehr erschien die Königin vor mir in Trauerkleidern, mit zerstreuten und zum Teil zerrauften Haaren. »Herr,« sprach sie zu mir, »ich komme, Euer Majestät zu bitten, sich nicht über den Zustand zu wundern, in welchem ich mich befinde. Drei traurige Nachrichten, welche ich eben zu gleicher Zeit empfangen habe, sind die gerechte Ursache des tiefen Schmerzes, von welchem Ihr nur die schwachen Zeichen seht.« – »Und was sind das für Nachrichten, Herrin?« fragte ich sie. – »Der Tod der Königin, meiner Mutter,« antwortete sie, »zugleich mit dem Tode des Königs, meines Vaters, der in einer Schlacht gefallen ist, und eines meiner Brüder, der in einen Abgrund gestürzt ist.«

Es war mir nicht unlieb, daß sie diesen Vorwand ergriff, um den wahren Grund ihrer Betrübnis zu verbergen, und ich erkannte daraus, daß sie mich nicht in Verdacht hatte, ihren Geliebten getötet zu haben.

»Herrin,« sagte ich zu ihr, »weit entfernt, Euern Schmerz zu tadeln, versichere ich Euch, daß ich allen Teil daran nehme, den ich daran nehmen muß. Ich würde höchst verwundert sein, wenn Ihr unempfindlich bliebet bei dem Verluste, welchen Ihr erlitten habt. Weinet: Eure Tränen sind untrügliche Kennzeichen Eures trefflichen Gemüts. Ich hoffe gleichwohl, daß die Zeit und die Vernunft Euren Schmerz mäßigen werden.«

Sie zog sich in ihr Gemach zurück, wo sie sich ohne Rückhalt ihrem Schmerze hingab und ein ganzes Jahr zubrachte mit Weinen und mit Klagen.

Nach Verlauf dieser Zeit bat sie mich um Erlaubnis, in dem Umfange des Palastes ihr Grabmal erbauen zu lassen, wo sie, wie sie sagte, bis an das Ende ihrer Tage wohnen wollte. Ich erlaubte es ihr, und sie ließ einen prächtigen Palast bauen mit einer Kuppel, welche man von hier sehen kann: sie benannte ihn den Tränenpalast.

Als er vollendet war, ließ sie ihren Geliebten hineinbringen, welchen sie in derselben Nacht, da ich ihn verwundet, nach einem ihr gelegenen Orte versetzt hatte. Sie hatte bisher seinen Tod durch Tränke verhindert, welche sie ihn einnehmen ließ; und sie fuhr fort, ihm dergleichen zu geben und sie ihm selber alle Tage zu bringen, seitdem er in dem Tränenpalaste war.

Indessen mit allen ihren Zaubereien konnte sie diesen Unglücklichen nicht heilen. Er war nicht nur außerstande zu gehen und sich aufrecht zu halten, sondern er hatte auch den Gebrauch der Zunge verloren und gab kein anderes Lebenszeichen als durch seine Blicke. Obwohl also die Königin nur den Trost hatte, ihn zu sehen und ihm alles zu sagen, was ihre törichte Liebe ihr irgend Zärtliches und Leidenschaftliches eingeben mochte, so unterließ sie jedoch nicht, ihm täglich zwei ziemlich lange Besuche zu machen. Ich war von allem diesen wohl unterrichtet; aber ich stellte mich, als wüßte ich nichts davon.

Eines Tages ging ich zu dem Tränenpalast, aus Neugier, zu wissen, was dort eigentlich die Beschäftigung der Königin wäre; und an einem Orte, wo ich nicht gesehen werden konnte, hörte ich sie folgendermaßen zu ihrem Geliebten reden: »Ich bin in Verzweiflung, dich in dem Zustande zu sehen, worin du dich befindest; ich fühle nicht minder die brennenden Schmerzen, welche du leidest ...; aber, geliebte Seele, ich rede immer zu dir, und du antwortest mir nie. Wie lange willst du in diesem Stillschweigen beharren? Ach! die süßesten Augenblicke meines Lebens sind die, welche ich hier zubringe, deine Leiden zu teilen. Ich kann nicht leben ohne dich, und das Vergnügen, dich unaufhörlich zu sehen, würde ich der Herrschaft des Weltalls vorziehen.«

Sie beschloß diese lange Rede mit folgenden Versen:

»Der Tag des Heils ist derjenige, an welchem ich deiner Nähe genieße; der Tag des Verderbens und des Todes ist derjenige, wo du dich von mir abwendest.

Bringe ich die Nacht ferne von dir zu, so ist es, als ob alle Schrecknisse mir drohten; deine Nähe aber ist für mich süßer als Sicherheit!«

Endlich fügte sie noch folgende Verse hinzu:

»Wäre ich von aller Glückseligkeit umgeben, besäße ich die ganze Welt und das Reich der Chosroen:

So würde es für mich nicht so viel wert sein als die Flügel einer Mücke, wenn mein Auge dich nicht sähe!«

Über diese Klagen, welche mehr als einmal von ihren Seufzern und ihrem Schluchzen unterbrochen wurden, verlor ich endlich die Geduld. Ich trat hervor, näherte mich ihr und sprach: »Frau, Ihr habt nun genug geweint; es ist Zeit, diesem Schmerz ein Ziel zu setzen, der uns beide entehrt; es ist zu viel, zu vergessen, was Ihr mir und was Ihr Euch selber schuldig seid.«

»Herr,« antwortete sie mir, »wenn Ihr noch einige Achtung oder vielmehr einige Gefälligkeit für mich hegt, so flehe ich Euch, mir keinen Zwang anzutun. Lasset mich meinem tödlichen Schmerze mich hingeben; es ist unmöglich, daß die Zeit ihn verringere.«

Als ich sah, daß meine Worte, anstatt sie zu ihrer Pflicht zurückzubringen, nur dazu dienten, ihre Wut zu reizen, sagte ich nichts mehr zu ihr und zog mich zurück.

Sie fuhr fort, täglich ihren Geliebten zu besuchen, und zwei volle Jahre hindurch war sie in steter Verzweiflung.

Ich ging noch einmal in den Tränenpalast, als sie drinnen war; ich verbarg mich wieder, und ich hörte sie folgendes zu ihrem Geliebten sagen:

»Es sind nun drei Jahre, daß du nicht ein einziges Wort zu mir gesprochen hast, und daß du nichts antwortest auf die Zeichen der Liebe, welche ich durch meine Rede und meine Seufzer dir gebe: ist das Unempfindlichkeit oder Verachtung? O Grabmal, solltest du dies Übermaß der Zärtlichkeit, welche er für mich hegte, zerstört haben? Solltest du diese Augen geschlossen haben, die mir so viel Liebe verkündigten, und die alle meine Freude ausmachten? Nein, nein, ich kann es nicht glauben. Sage mir vielmehr, durch welches Wunder du der Bewahrer des köstlichen Kleinods geworden bist, welches es jemals gab!«

Ich gestehe Euch, Herr, daß ich über diese Worte ganz entrüstet wurde; denn am Ende war dieser teure Geliebte, dieser angebetete Sterbliche nicht ein solcher, wie Ihr Euch wohl einbilden könntet, sondern es war ein schwarzer Indier, aus diesem Lande gebürtig. Ich wurde, sage ich, über diese Rede dermaßen entrüstet, daß ich ungestüm hervortrat und, ebenso das Grabmal anredend, ausrief: »O Grabmal, warum verschlingst du nicht dieses Ungeheuer, vor welchem sich die Natur entsetzt; oder vielmehr, warum verzehrst du nicht den Buhlen und die Buhlin!«

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als die Königin, welche neben dem Schwarzen saß, wie eine Rasende aufsprang. »Ha, Grausamer,« schrie sie mir zu, »du bist es, der meinen Schmerz verursacht! Wähne nicht, daß ich es nicht wisse; ich habe mich nur zu lange verstellt. Es ist deine mörderische Hand, die den Gegenstand meiner Liebe in diesen jammervollen Zustand versetzt hat: und du hast noch die Grausamkeit, hierher zu kommen und eine Liebende in Verzweiflung zu verhöhnen.«

»Ja, ich bin es,« unterbrach ich sie, außer mir vor Zorn, »ich bin es, der dieses Ungeheuer bestraft hat, wie er es verdient; ich sollte dich ebenso behandeln, und es gereut mich, es nicht getan zu haben: schon allzulange mißbrauchst du meine Güte.«

Indem ich so sprach, zog ich meinen Säbel, und ich hob den Arm, um sie zu bestrafen. Sie aber betrachtete ruhig meine Gebärde und sprach zu mir mit einem höhnischen Lächeln: »Mäßige deinen Zorn!« Zu gleicher Zeit sprach sie einige Worte aus, die ich nicht verstand, und fügte darauf hinzu: »Kraft meiner Beschwörungen befehle ich dir, auf der Stelle halb von Marmor zu werden und halb Mensch zu bleiben.«

Sogleich ward ich, wie Ihr mich hier seht, Herr, schon tot unter den Lebenden und lebend unter den Toten ...«

Scheherasade bemerkte bei dieser Stelle, daß es schon Tag war, und hörte auf zu erzählen.

»Meine liebe Schwester,« sagte da Dinarsade, »ich bin dem Sultan sehr verpflichtet: seiner Güte verdanke ich das große Vergnügen, das ich empfinde, dir zuzuhören.« – »Meine Schwester,« antwortete die Sultanin, »wenn eben diese Güte mir noch bis morgen das Leben lassen will, so sollst du Dinge hören, die dir nicht weniger Vergnügen machen werden als die, welche ich soeben erzählt habe.«

Wenn Schachriar auch nicht beschlossen hätte, den Tod der Scheherasade einen Monat lang zu verschieben, so würde er sie diesen Tag dennoch nicht haben töten lassen.

 

Neunundzwanzigste Nacht.

Als zu Ende der Nacht Scheherasade durch die Stimme ihrer Schwester erweckt war, schickte sie sich an, ihren Wunsch zu befriedigen und die Geschichte des Königs der Schwarzen Inseln zu vollenden. Sie begann auf folgende Weise:

»Der halb marmorne, halb menschliche König fuhr also fort, dem Sultan seine Geschichte zu erzählen:

»Nachdem,« sprach er, »die grausame Zauberin, unwürdig des Namens einer Königin, mich also verwandelt und durch eine andere Beschwörung in dieses Zimmer versetzt hatte, zerstörte sie meine Hauptstadt, die sehr blühend und stark bevölkert war; sie vertilgte die Häuser, die öffentlichen Plätze und Märkte und ließ an ihrer Stelle den Teich und das wüste Feld erscheinen, welches Ihr wohl gesehen habt. Die Fische von viererlei Farben, welche in dem Teiche sind, sind die vier Arten von Inwohnern, nach den verschiedenen Religionen, die darin waren: die weißen sind die Muselmänner; die roten die Perser, Feueranbeter; die blauen die Christen; die gelben die Juden. Die vier Hügel umher waren die vier Inseln, welche diesem Königreiche seinen Namen gaben. Ich vernahm alles dies von der Zauberin, welche zum Übermaße meiner Leiden mir die Wirkungen ihrer Wut selber ankündigte. Das ist noch nicht alles, ihre Wut begnügte sich nicht mit der Zerstörung meines Reichs und mit meiner Verwandlung: sie kommt noch jeden Tag, mir auf die nackten Schultern hundert Streiche mit dem Ochsenziemer zu geben, welche mich im Blute baden. Wenn diese Züchtigung vollstreckt ist, bedeckt sie mich mit einem dicken Zeuge von Ziegenhaaren und legt darüber diesen Rock von Brokat, den Ihr hier seht, nicht um mir Ehre anzutun, sondern um mich zu verhöhnen.«

Bei dieser Stelle seiner Erzählung konnte der junge König der Schwarzen Inseln seine Tränen nicht zurückhalten: und der Sultan war so von Mitleid durchdrungen, daß er nicht ein Wort zu seinem Troste hervorbringen konnte.

Bald darauf hob der junge König die Augen gen Himmel und rief aus: »Allmächtiger Schöpfer aller Dinge, ich unterwerfe mich deinem Gerichte und den Beschlüssen deiner Vorsehung! Ich ertrage geduldig alle meine Leiden, weil es dein Wille ist: aber ich hoffe, daß deine unendliche Güte mich dafür belohnen wird.«

Der Sultan, ganz erweicht durch die Erzählung einer so seltsamen Geschichte und beseelt von dem Verlangen, diesen unglücklichen Fürsten zu rächen, sprach zu ihm: »Saget mir, wo diese treulose Prinzessin sich aufhält, und wo ihr unwürdiger Geliebter sein mag, der vor seinem Tode schon begraben ist.«

»Herr,« antwortete ihm der Fürst, »ihr Geliebter ist, wie ich Euch schon gesagt habe, in dem Tränenpalast, in einem Grabmale mit einer Kuppel; und dieser Palast steht mit diesem Schlosse an der Vorderseite in Verbindung. Was die Zauberin betrifft, so kann ich Euch nicht sagen, wo sie sich aufhält; aber alle Morgen mit Sonnenaufgange kommt sie, ihren Geliebten zu besuchen, nachdem sie an mir die blutige Züchtigung vollzogen hat, wovon ich Euch gesagt habe: und Ihr sehet wohl, daß ich eine so grausame Behandlung nicht abzuwehren vermag. Sie bringt ihm dann den Trank, das einzige Mittel, welches sein Leben bis daher erhalten hat, und sie hört nicht auf, sich über das Stillschweigen zu beklagen, welches er stets beobachtet, seitdem ich ihn verwundet habe.«

»Nicht genug zu beklagender Fürst,« erwiderte der Sultan, »man kann nicht lebhafter von Eurem Unglücke gerührt sein, als ich es bin. Niemals ist jemand so etwas Außerordentliches begegnet: es fehlt nur noch eins dazu, nämlich die Euch gebührende Rache. Aber ich werde nichts unversucht lassen, um sie Euch zu verschaffen.«

In der Tat, während der Sultan sich mit dem jungen Fürsten über diesen Gegenstand unterhielt (nachdem er ihm gesagt hatte, wer er wäre, und weshalb er in dieses Schloß gekommen), ersann er ein Mittel, ihn zu rächen, und teilte es ihm mit. Sie kamen in Ansehung der Maßregeln überein, welche zu nehmen wären, damit dieses Vorhaben gelänge, dessen Ausführung auf den folgenden Tag verschoben wurde.

Unterdessen, da es schon tief in der Nacht war, legte sich der Sultan etwas zur Ruhe. Der junge König aber brachte sie auf seine gewöhnliche Weise hin, in steter Schlaflosigkeit: denn seit seiner Verzauberung konnte er nicht schlafen; jedoch diesmal mit einiger Hoffnung, bald von seinen Leiden befreit zu werden.

Am folgenden Morgen, sobald es Tag wurde, stand der Sultan auf; und um sogleich sein Vorhaben auszuführen, legte er sein Oberkleid, das ihn gehindert hätte, an einen verborgenen Ort und ging hin zum Tränenpalast.

Er fand ihn durch eine Unzahl von weißen Wachsfackeln erleuchtet, und ein köstlicher Geruch verbreitete sich aus vielen Rauchfässern von feinem Golde und bewundernswürdiger Arbeit, welche alle in der schönsten Ordnung aufgestellt waren.

Sobald er das Bette erblickte, auf welchem der Schwarze lag, zog er seinen Säbel und nahm ohne Widerstand diesem Elenden das Leben, dessen Leichnam er in den Schloßhof schleifte, wo er ihn in einen Brunnen stürzte. Nach dieser Tat ging er hin und legte sich auf das Bette des Schwarzen, legte seinen Säbel neben sich unter die Decke und blieb dort, um sein Werk zu vollenden.

Die Zauberin erschien bald darauf. Ihr erstes Geschäft war, in das Zimmer zu gehen, wo der König der Schwarzen Inseln, ihr Gemahl, sich befand. Sie entkleidete ihn und gab ihm die hundert Streiche mit dem Ochsenziemer auf die Schultern mit einer Grausamkeit, die ohne Beispiel ist. Der arme Fürst mochte immerhin den Palast mit seinem Geschrei erfüllen und sie auf die rührendste Weise von der Welt beschwören, Mitleid mit ihm zu haben, die Grausame hörte nicht auf zu schlagen, als bis sie ihm die hundert Streiche gegeben hatte. »Du hast kein Mitleid mit meinem Geliebten gehabt,« erwiderte sie ihm, »du darfst auch keines von mir erwarten ...«

Bei dieser Stelle bemerkte Scheherasade, daß es schon Tag war, so daß sie verhindert wurde, ihre Erzählung fortzusetzen.

»Mein Gott, liebe Schwester,« sagte Dinarsade, »das ist eine gar grausame Zauberin! Aber sollen wir hier stehenbleiben, und willst du uns nicht erzählen, ob sie die verdiente Strafe empfing?« – »Meine liebe Schwester,« antwortete die Sultanin, »ich wünsche nichts mehr, als sie dir morgen zu erzählen; aber du weißt, daß dies von dem Willen des Sultans abhängt.«

Nach dem, was Schachriar eben gehört hatte, war er weit entfernt, Scheherasaden töten zu lassen. »Im Gegenteil,« sagte er bei sich selber, »ich will ihr nicht das Leben nehmen, bevor sie diese erstaunliche Geschichte vollendet hat, und wenn deren Erzählung auch zwei Monate dauern sollte. Es steht ja doch immer in meiner Gewalt, den Schwur zu halten, den ich getan habe.«

 

Dreißigste Nacht.

Dinarsade hatte nicht sobald bemerkt, daß es Zeit wäre, die Sultanin zu wecken, als sie sie bat, zu erzählen, was sich im Tränenpalast zugetragen hätte.

Als Schachriar dieselbe Neugier wie Dinarsade bezeigt hatte, nahm die Sultanin das Wort und setzte die Geschichte des jungen bezauberten Fürsten also fort:

»Herr, nachdem die Zauberin dem Könige, ihrem Gemahle, die hundert Streiche mit dem Ochsenziemer gegeben hatte, bekleidete sie ihn wieder mit dem groben Gewande von Ziegenhaaren und mit dem brokatenen Rocke darüber.

Sie ging hierauf zu dem Tränenpalast, und indem sie hineintrat, erneute sie ihr Weinen, Schreien und Wehklagen; dann nahte sie sich dem Bette, wo sie ihren Geliebten noch liegen wähnte, und rief aus: »Welche Grausamkeit, auf solche Weise das Glück einer so zärtlichen und leidenschaftlichen Geliebten als ich gestört zu haben! O du, der mir vorwirft, daß ich zu unmenschlich bin, wenn ich dich die Wirkungen meines Zornes empfinden lasse, grausamer Fürst, übertrifft deine Unmenschlichkeit nicht die meiner Rache? Verräter! Indem du demjenigen, den ich anbete, nach dem Leben trachtetest, hast du mir da nicht das meine geraubt? – »Ach!« fügte sie hinzu, indem sie ihre Worte an den Sultan richtete, zu dem Schwarzen zu sprechen wähnend, »meine Sonne, mein Leben, willst du immerdar dieses Stillschweigen beobachten? Bist du gesonnen, mich sterben zu lassen ohne den Trost, mir noch einmal zu sagen, daß du mich liebst? Meine Seele, sage mir wenigstens nur ein Wort, ich beschwöre dich darum.«

Da stellte sich der Sultan, als ob er aus einem tiefen Schlaf erwachte, und indem er die Sprache der Schwarzen nachahmte, antwortete er der Königin mit ernster Stimme: »Es gibt keine andere Kraft und Gewalt als in Gott allein, welcher der Allmächtige ist.«

Bei diesen Worten, deren sie sich nicht versah, tat die Zauberin einen lauten Schrei im Übermaß ihrer Freude. »Mein teurer Herr,« rief sie aus, »täusche ich mich nicht? Ist es denn wahr, daß ich dich höre, und daß du zu mir redest?« – »Unglückliche,« fuhr der Sultan fort, »bist du wohl würdig, daß ich auf deine Reden antworte?« – »Und warum,« erwiderte die Königin, »machst du mir diesen Vorwurf?« – »Das Geschrei,« versetzte er, »die Tränen und Seufzer deines Mannes, welchen du täglich so unwürdig und grausam behandelst, verhindern mich Nacht und Tag am Schlafe. Ich würde längst schon geheilt sein und den Gebrauch der Sprache wiedererlangt haben, wenn du ihn entzaubert hättest: dies ist die Ursache des Stillschweigens, das ich beobachte, und darüber du dich beklagst.« – »Wohlan,« sagte die Zauberin, »um dich zu beruhigen, will ich tun, was du gebietest: willst du, daß ich ihm seine vorige Gestalt wiedergebe?« – »Ja,« antwortete der Sultan, »und beeile dich, ihn in Freiheit zu setzen, damit ich nicht mehr durch sein Geschrei belästigt werde.«

Die Zauberin ging sogleich aus dem Tränenpalast. Sie nahm eine Schale voll Wasser, sprach darüber einige Worte aus, welche es sieden machten, als wenn es auf dem Feuer gewesen wäre. Sie ging darauf in den Saal, in welchem der junge König, ihr Gemahl, sich befand, bespritzte ihn mit diesem Wasser und sprach dazu:

»Wenn der Schöpfer aller Dinge dich so gebildet hat, wie du gegenwärtig bist, oder wenn er auf dich zürnt, so verwandle dich nicht; wenn du aber nur durch die Kraft meiner Bezauberung in diesem Zustande bist, so nimm deine ursprüngliche Gestalt wieder an und werde wieder derjenige, der du zuvor warst.«

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als der Fürst, in seinen vorigen Zustand hergestellt, frei aufstand, mit aller Freude, die man sich vorstellen kann, und Gott dafür dankte. Die Zauberin nahm wieder das Wort und sprach zu ihm: »Geh, entferne dich aus diesem Schlosse und komme nie wieder hierher, oder es kostet dich das Leben.«

Der junge König, der Notwendigkeit weichend, entfernte sich von der Zauberin, ohne zu antworten, und begab sich an einen abgelegenen Ort, wo er geduldig den Erfolg des Unternehmens erwartete, dessen Ausführung der Sultan schon so glücklich begonnen hatte.

Unterdessen kehrte die Zauberin zurück in den Tränenpalast, und beim Eintreten sagte sie, immer noch im Wahne, zu dem Schwarzen zu sprechen: »Teurer Geliebter, ich habe getan, was du mir geboten hast: nichts hindert dich nunmehr, aufzustehen und mir so eine Genugtuung zu geben, deren ich schon so lange Zeit beraubt bin.«

Der Sultan fuhr fort, die Sprache der Schwarzen nachzuahmen, und antwortete ihr mit unwilligem Tone: »Was du jetzt getan hast, ist nicht hinreichend, mich zu heilen; du hast nur einen Teil des Übels weggeschafft, es muß bis auf die Wurzel vertilgt werden.« – »Mein liebenswürdiger Schwarzer,« fuhr sie fort, »was verstehst du unter der Wurzel?« – »Unglückliche,« erwiderte der Sultan, »verstehst du nicht, daß ich diese Stadt mit ihren Einwohnern und die vier Schwarzen Inseln meine, welche du durch deine Verzauberungen zerstört hast? Alltäglich um Mitternacht heben die Fische ihre Köpfe aus dem Teich empor und schreien um Rache gegen mich und dich. Das ist der wahre Grund der Verspätung meiner Genesung. Geh eilends, alle diese Dinge in ihren vorigen Zustand herzustellen, und bei deiner Rückkehr werde ich dir die Hand geben, und du wirst mir helfen, aufzustehen.«

Die Zauberin, erfüllt von der Hoffnung, welche diese Worte ihr erregten, und entzückt vor Freude, rief aus: »Mein Herz, meine Seele, du sollst alsbald deine Gesundheit wiederhaben, denn ich will tun, was du mir gebietest.«

In der Tat ging sie augenblicklich hinaus, und als sie an das Ufer des Teiches gekommen war, schöpfte sie ein wenig Wasser in ihre Hand und sprengte es darüber aus ...«

Scheherasade sah bei dieser Stelle, daß es Tag war, und wollte nicht weiter reden.

Dinarsade sprach zu der Sultanin: »Meine Schwester, ich habe große Freude darüber, den jungen König der Schwarzen Inseln entzaubert zu wissen; und ich sehe die Stadt und die Einwohner schon in ihren vorigen Zustand hergestellt: aber ich bin voll Ungeduld, zu vernehmen, was aus der Zauberin wird.«

»Habe noch ein wenig Geduld,« antwortete die Sultanin; »morgen sollst du die verlangte Genugtuung haben, wenn der Sultan, mein Herr, darein willigt.«

Schachriar, der, wie schon gesagt ist, hierüber seinen Entschluß gefaßt hatte, stand auf, um an seine Geschäfte zu gehen.

 

Einunddreißigste Nacht.

Scheherasade säumte nicht, ihr Versprechen zu halten, und begann die Erzählung von dem Schicksale der Königin-Zauberin folgendermaßen:

»Die Zauberin hatte nicht sobald einige Worte über die Fische und den Teich ausgesprochen, als die Stadt auf der Stelle wieder erschien. Die Fische wurden zu Männern, Weibern und Kindern, Muhammedanern, Christen, Persern und Juden, Freien und Sklaven: kurz, jeder nahm seine natürliche Gestalt wieder an. Die Häuser und Läden füllten sich alsbald wieder mit ihren Einwohnern, welche darin alle Sachen in derselben Lage und Ordnung fanden, worin sie vor der Verzauberung waren.

Das zahlreiche Gefolge des Sultans, welches sich mitten aus dem großen Platze gelagert fand, war nicht wenig erstaunt, sich in einem Augenblicke mitten in eine schöne, weite und volkreiche Stadt versetzt zu sehen.

Als die Zauberin diese wunderbare Verwandlung vollbracht hatte, begab sie sich eilends wieder nach dem Tränenpalast, um die Früchte davon einzuernten. »Mein geliebter Herr,« rief sie im Eintreten aus, »ich komme, mich mit dir über die Wiederkehr deiner Gesundheit zu freuen; ich habe alles getan, was du von mir gefordert hast: stehe also auf und reiche mir die Hand.« – »Komm her,« sagte der Sultan zu ihr, immerfort die Sprache der Schwarzen nachahmend. Sie näherte sich. »Es ist noch nicht genug,« fuhr er fort, »komm noch näher!« Sie folgte. Da erhob er sich und ergriff sie so ungestüm bei dem Arme, daß sie nicht Zeit hatte, sich zu besinnen: und mit einem Streiche seines Säbels hieb er ihren Leib in zwei Stücke.

Als dies vollbracht war, ließ er den Leichnam dort liegen, trat aus dem Tränenpalast und eilte zu dem jungen Fürsten der Schwarzen Inseln, der ihn mit Ungeduld erwartete. »Fürst,« sprach er zu ihm, indem er ihn umarmte, »Ihr habt nichts mehr zu fürchten: Eure grausame Feindin ist nicht mehr.«

Der junge Fürst dankte dem Sultan auf eine Weise, welche zeigte, daß sein Herz von Erkenntlichkeit erfüllt war: und zum Lohne für den so wichtigen Dienst, welchen er ihm geleistet hatte, wünschte er ihm ein langes Leben in aller Glückseligkeit.

»Ihr könnt fortan,« sagte der Sultan zu ihm, »ruhig in Eurer Hauptstadt wohnen, wenn Ihr nicht etwa in die meine kommen wollt, welche ihr so nahe liegt: ich werde Euch mit Vergnügen darin empfangen, und Ihr sollt darin nicht minder geachtet und geehrt werden als in der Euren.«

»Mächtiger Sultan,« antwortete der König, »Ihr glaubt also sehr nahe bei Eurer Hauptstadt zu sein?« – »Ja,« erwiderte der Sultan, »ich glaube, es sind nicht mehr als vier oder fünf Stunden Weges.« – »Es ist eine Reise von einem ganzen Jahre,« fuhr der König fort. »Ich will wohl glauben, daß Ihr von Eurer Hauptstadt in so kurzer Zeit hierher gekommen seid, wie Ihr sagt, weil die meine verzaubert war; aber seitdem sie es nicht mehr ist, so haben sich die Dinge sehr geändert. Das soll mich aber nicht hindern, Euch zu folgen, und wäre es bis an die äußersten Enden der Erde. Ihr seid mein Befreier; und um Euch mein Lebelang meine Erkenntlichkeit zu bezeigen, so will ich Euch begleiten und ohne Bedauern mein Königreich verlassen.«

Der Sultan war außerordentlich überrascht, zu vernehmen, daß er so fern von seinen Staaten wäre, und er begriff nicht, wie das zugehen konnte. Aber der junge König der Schwarzen Inseln überzeugte ihn so gut von dieser Möglichkeit, daß er nicht mehr daran zweifelte. »Es verschlägt nichts,« sagte darauf der Sultan. »Die Mühe der Heimkehr in meine Staaten ist hinlänglich belohnt durch die Genugtuung, Euch gedient und mir in Euch einen Sohn erworben zu haben; denn weil Ihr mir die Ehre antun wollt, mich zu begleiten, und ich keine Kinder habe, so betrachte ich Euch als solchen; und ich ernenne Euch von heut an zu meinem Erben und Nachfolger.«

Die Unterhaltung des Sultans und des Königs der Schwarzen Inseln endigte mit den zärtlichsten Umarmungen, worauf der junge König nur auf die Vorbereitungen seiner Abreise bedacht war. Diese waren binnen drei Wochen vollendet, zum großen Leidwesen seines ganzen Hofes und seiner Untertanen, welche von seiner Hand einen seiner nahen Verwandten zum König empfingen.

Kurz, der Sultan und der junge Prinz begaben sich auf den Weg, mit hundert Kamelen, welche mit unschätzbaren Reichtümern aus den Kammern des jungen Königs beladen waren; und diesen begleiteten fünfzig trefflich berittene und ausgerüstete Ritter. Ihre Reise war glücklich, und als der Sultan, welcher Eilboten vorausgesandt hatte, um Nachricht zu geben von seiner Entfernung und dem Abenteuer, das davon die Ursache war, in der Nähe seiner Hauptstadt anlangte, kamen die vornehmsten Beamten, welche er dort zurückgelassen hatte, ihm zum Empfange entgegen und versicherten ihn, daß seine lange Abwesenheit keine Veränderung in seinem Reiche herbeigeführt hätte. Die Einwohner kamen auch haufenweise heraus, empfingen ihn mit lautem Jubel und stellten Freudenfeste an, welche mehrere Tage währten.

Am folgenden Morgen nach seiner Heimkunft machte der Sultan allen seinen versammelten Hofleuten einen sehr umständlichen Bericht von den Begebenheiten, welche wider seine Erwartung seine Abwesenheit so verlängert hatten. Er erklärte ihnen demnächst, daß er den König der vier Schwarzen Inseln an Kindesstatt angenommen, welcher gern ein großes Königreich verlassen hätte, um ihn zu begleiten und bei ihm zu bleiben. Endlich, um ihre Treue zu belohnen, die sie ihm alle bewahrt hatten, gab er ihnen reiche Geschenke im Verhältnis des Ranges, welchen jeder an seinem Hofe einnahm.

Was den Fischer betrifft, welcher der erste Anlaß der Befreiung des jungen Königs war, so überhäufte ihn der Sultan mit Gütern und machte ihn nebst seiner Familie sehr glücklich für ihre übrige Lebenszeit.«

*

Scheherasade endigte hier das Märchen von dem Fischer und dem Geiste, Dinarsade bezeugte, daß es ihr unendliches Vergnügen gemacht hätte. Und als auch Schachriar ihr dieselbe Genugtuung bezeigt hatte, sagte Scheherasade, daß sie noch ein viel schöneres Märchen wüßte, und wenn der Sultan es erlaubte, so wollte sie es in der nächsten Nacht erzählen; denn der Tag brach schon an.

Schachriar, neugierig, ob dieses Märchen wirklich so anmutig wäre, als sie verhieß, stand mit dem Entschlusse auf, es in der folgenden Nacht zu hören.

 

Zweiunddreißigste Nacht.

Dinarsade vergaß nicht, ihrer Gewohnheit nach, als es Zeit war, die Sultanin zu wecken, und Scheherasade, ohne ihr zu antworten, begann sogleich eine ihrer schönen Erzählungen.


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