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Arabische Erzählungen.

Die Geschichtsbücher der Sassaniden, jener alten Perserkönige, welche ihre Herrschaft über Indien und die großen und kleinen dazu gehörigen Inseln ausgedehnt hatten, ja weit jenseits des Ganges bis nach China, berichten, daß einst ein König dieses mächtigen Stammes lebte, welcher der trefflichste Fürst seiner Zeit war. Er machte sich durch seine Weisheit und Klugheit so beliebt bei seinen Untertanen, als er seinen Nachbarn sich furchtbar gemacht hatte durch den Ruf seiner Tapferkeit und das Ansehen seines streitbaren und wohlgeübten Heeres. Er hatte zwei Söhne; der ältere, namens Schachriar, war der würdige Erbe seines Vaters und besaß alle Tugenden desselben; der jüngere hieß Schachsenan und hatte nicht minder Verdienste als sein Bruder.

Nach einer ebenso langen als ruhmvollen Regierung starb der alte König, und Schachriar bestieg den Thron. Schachsenan, welcher durch die Reichsgesetze von der Nachfolge ausgeschlossen war und als bloßer Privatmann leben mußte, beneidete jedoch nicht das Glück seines ältern Bruders, sondern befliß sich auf alle Weise, ihm zu gefallen. Es ward ihm nicht schwer, dies zu erreichen. Schachriar, welcher ihn so schon als seinen Bruder liebte, war erfreut über seine Gefälligkeit, und in der Fülle der brüderlichen Liebe teilte er mit ihm sein Reich und gab ihm die Große Tatarei. Schachsenan reiste bald hin, um davon Besitz zu nehmen, und hielt seinen Hof zu Samarkand, der Hauptstadt dieses Königreichs.

Es war schon zehn Jahre, daß die beiden Könige voneinander getrennt waren, da beschloß Schachriar, der seinen Bruder gern einmal wiederzusehen wünschte, ihm einen Gesandten zu schicken, um ihn zu einem Besuche einzuladen. Er wählte zu dieser Sendung seinen ersten Wesir, welcher mit einem seiner Würde angemessenen Gefolge dahin reiste und sich so viel als möglich beeilte.

Als er in der Nähe von Samarkand war, kam Schachsenan, von seiner Ankunft benachrichtigt, ihm entgegen mit den vornehmsten Herren seines Hofes, welche dem Minister des Sultans zu Ehren sich alle prächtig gekleidet hatten. Der König der Tatarei empfing ihn mit großen Freudenbezeigungen und fragte sogleich nach dem Befinden des Sultans, seines Bruders. Der Wesir befriedigte seine Neugier und eröffnete ihm dann die Absicht seiner Gesandtschaft. Schachsenan war gerührt darüber. »Weiser Wesir,« sprach er zu ihm, »der Sultan, mein Bruder, tut mir zu viel Ehre an, und er könnte mir nichts anbieten, was mir lieber wäre. Wenn er mich zu sehen wünscht, so bin ich schon längst von demselben Verlangen erfüllt. Die Jahre, welche seine Liebe nicht vermindert haben, haben auch die meine nicht geschwächt. Mein Reich ist in Ruhe, und ich bedarf nur zehn Tage, um mich in den Stand zu setzen, mit dir zu reisen. Demnach ist es nicht nötig, daß du auf so kurze Zeit in die Stadt kommest. Ich bitte dich, an diesem Orte zu bleiben und hier deine Zelte aufschlagen zu lassen. Ich werde sogleich befehlen, daß man Erfrischungen in Überfluß herbringe für dich und alle Personen deines Gefolges.«

Dies ging sogleich in Erfüllung, und kaum war der König nach Samarkand zurückgekehrt, als der Wesir eine überschwängliche Fülle von Lebensmitteln aller Art ankommen sah, welche von den kostbarsten Geschenken begleitet waren.

Schachsenan rüstete sich unterdessen zur Reise, er ordnete die wichtigsten Angelegenheiten, setzte einen Staatsrat ein zur Regierung des Reichs während seiner Abwesenheit und stellte an die Spitze desselben einen Minister, dessen Weisheit ihm bekannt war, und auf welchen er volles Vertrauen hatte.

Nach zehn Tagen war er zur Abfahrt bereit, er nahm Abschied von seiner Gemahlin, verließ am Abend Samarkand und begab sich mit seinem Reisegefolge zu dem königlichen Gezelte, welches er bei den Zelten des Wesirs hatte aufschlagen lassen.

Er unterhielt sich mit diesem Gesandten bis um Mitternacht. Da wollte er nochmals seine Gemahlin umarmen, die er sehr liebte, und kehrte allein in seinen Palast zurück. Er ging gerade nach dem Zimmer der Königin, welche, seiner Wiederkehr sich nicht versehend, einen der niedrigsten Bedienten des Hauses in ihr Bette aufgenommen hatte. Beide lagen schon lange beieinander und waren jetzt in tiefen Schlaf versunken.

Der König trat ohne Geräusch ein und wollte sich das Vergnügen machen, seine Gemahlin zu überraschen, von welcher er sich zärtlich geliebt wähnte. Wie groß aber war seine Überraschung, als er bei dem Scheine der Kerzen, welche die ganze Nacht in den Zimmern der Fürsten und Fürstinnen brennen, einen Mann in ihren Armen erblickte! Er stand einige Augenblicke unbeweglich, ungewiß, ob er seinen Augen trauen sollte. Als er aber nicht mehr zweifeln konnte, sprach er bei sich selber: »Wie! kaum bin ich aus meinem Palaste und noch unter den Mauern von Samarkand, und schon wagt man es, mich zu beschimpfen! Ha, Treulose, dein Verbrechen soll nicht ungestraft bleiben! Als König muß ich die Missetaten in meinen Staaten bestrafen; als beleidigter Gatte muß ich dich meiner gerechten Rache opfern!« Kurz, in der ersten Aufwallung zog der unglückliche Fürst seinen Säbel, näherte sich dem Bette, und mit einem Streiche sandte er die Schuldigen hinüber in den Tod. Hierauf nahm er einen nach dem andern und warf sie aus dem Fenster in den Graben, welcher den Palast umgab.

Nachdem er sich also gerächt hatte, ging er ebenso heimlich aus der Stadt, wie er hineingekommen war, und begab sich in sein Gezelt. Kaum war er daselbst angekommen, so befahl er, ohne jemand etwas von dem zu sagen, was er eben getan hatte, die Zelte abzubrechen und abzureisen. Alles war schnell bereit, und es war noch nicht Tag, als sich der Zug in Bewegung setzte unter dem Schalle der Pauken und anderer Instrumente, welche alle mit Freuden erfüllten, außer dem Könige. Dieser Fürst war stets mit der Treulosigkeit seiner Gattin beschäftigt und einer tiefen Schwermut hingegeben, welche ihn während der ganzen Reise nicht verließ.

Als er in der Nähe der Hauptstadt von Indien war, sah er den Sultan Schachriar mit seinem ganzen Hofstaat ihm entgegenkommen. Welche Freude für die beiden Fürsten, sich wiederzufinden! Sie stiegen vom Pferde, sich zu umarmen, und nachdem sie sich tausend Zeichen der Zärtlichkeit gegeben hatten, saßen sie wieder auf und ritten unter dem Zujauchzen einer zahllosen Volksmenge in die Stadt. Der Sultan führte den König, seinen Bruder, in den für ihn eingerichteten Palast. Dieser Palast stand mit dem seinen durch einen Garten in Verbindung; er war umso prächtiger, als er zu den Festen und Vergnügungen des Hofes bestimmt war, und sein Glanz war noch durch eine ganz neue Ausschmückung erhöht.

Schachriar verließ hier den König der Tatarei und ließ ihm Zeit, ins Bad zu gehen und die Kleider zu wechseln; sobald er aber vernahm, daß es geschehen war, kam er wieder zu ihm. Sie setzten sich auf ein Sofa, und während die Hofleute aus Ehrerbietung sich entfernt hielten, besprachen die beiden Fürsten sich über alles, was zwei Brüder, welche noch mehr durch Freundschaft als durch die Blutsverwandtschaft verbunden sind, nach so langer Trennung einander zu sagen haben.

Als die Stunde des Abendessens gekommen war, speisten sie zusammen, und nach der Mahlzeit nahmen sie ihre Unterhaltung wieder auf, welche so lange währte, bis Schachriar bemerkte, daß es schon tief in der Nacht war, und sich zurückzog, um seinen Bruder ausruhen zu lassen.

Der unglückliche Schachsenan legte sich nieder; aber wenngleich die Gegenwart des Sultans, seines Bruders, auf einige Zeit seinen Gram zu beschwichtigen vermochte, so erwachte dieser jetzt wieder desto heftiger. Anstatt der Ruhe zu genießen, deren er bedurfte, rief er nur in sein Gedächtnis die qualvollsten Vorstellungen zurück. Alle Umstände der Treulosigkeit seiner Gattin traten so lebhaft vor seine Einbildungskraft, daß er ganz außer sich war. Endlich, da er nicht schlafen konnte, stand er wieder auf: und indem er sich ganz so quälenden Gedanken hingab, erschien auf seinem Antlitz ein Ausdruck der Traurigkeit, welchen sein Bruder nicht unbemerkt ließ.

»Was fehlt dem König der Tatarei?« sprach der Sultan, »wer kann diesen Kummer verursachen, den ich an ihm sehe? Sollte er Ursache haben, sich über die Aufnahme bei mir zu beklagen? Nein, ich habe ihn wie einen geliebten Bruder empfangen, und ich habe mir hierin nichts vorzuwerfen, vielleicht macht die Entfernung von seinem Reiche oder von seiner Gemahlin ihm diesen Kummer. Ja, wenn das ist, so muß ich ihm sogleich die für ihn bestimmten Geschenke geben, damit er, sobald er will, abreisen und nach Samarkand heimkehren kann.«

Und wirklich, sogleich am folgenden Morgen sandte er ihm einen Teil dieser Geschenke, welche aus dem Seltensten, dem Reichsten und Wunderbarsten bestanden, was Indien nur hervorbrachte. Dabei unterließ er nicht, ihn täglich durch neue Vergnügungen zu erheitern; aber auch die fröhlichsten Feste, anstatt ihn zu erfreuen, erregten nur noch mehr seinen Kummer.

Eines Tages hatte Schachriar eine große Jagd angestellt, zwei Tagereisen von der Hauptstadt in einer Gegend, wo es hauptsächlich viel Hirsche gab. Schachsenan bat, daheim bleiben zu dürfen, weil der Zustand seiner Gesundheit ihm nicht erlaubte, an der Jagd teilzunehmen. Der Sultan wollte ihm nicht Zwang antun, sondern ließ ihm volle Freiheit und ritt mit seinem ganzen Hofe zu dieser Jagdlust aus.

Nach seiner Abreise verschloß der König der großen Tatarei sich einsam in sein Zimmer. Er setzte sich an ein Fenster, welches die Aussicht auf den Garten hatte. Die Anmut dieses Ortes und der Gesang unzähliger Vögel, welche sich hier aufhielten, hätten ihm Vergnügen gewährt, wenn er fähig gewesen wäre, es zu empfinden; aber stets gequält von dem leidigen Andenken der ehrlosen Handlung der Königin, verweilten seine Augen weniger auf dem Garten, als er sie zum Himmel aufhob, um sich über sein unglückliches Schicksal zu beklagen.

So sehr er mit seinem Schmerze beschäftigt war, so unterließ er jedoch nicht, einen Gegenstand zu beobachten, der seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.

Eine geheime Tür des Palastes seines Bruders öffnete sich plötzlich, und heraus traten zwanzig Frauen, in deren Mitte die Sultanin ging, welche durch ihre Haltung sich leicht kenntlich machte. Die Fürstin, im Wahne, daß der König der Großen Tatarei mit auf der Jagd wäre, kam dreist bis unter die Fenster seines Zimmers; und er, aus Neugier, sie zu beobachten, stellte sich so, daß er alles sehen konnte, ohne gesehen zu werden. Er bemerkte, daß die Personen, welche die Sultanin begleiteten, um allen Zwang zu entfernen, den Schleier vom Gesichte nahmen, der sie bisher verhüllte, und die langen Gewänder ablegten, welche sie über andern kürzeren Kleidern trugen. Aber wie groß war sein Erstaunen, als unter dieser Gesellschaft, welche ihm nur aus Frauen zu bestehen schien, sich zehn Schwarze befanden, deren jeder ein Liebchen zu sich nahm. Die Sultanin ihrerseits blieb auch nicht lange ohne Liebhaber; sie klatschte in die Hände und rief: »Masud, Masud!« und alsbald stieg noch ein Schwarzer von einem Baume herab und lief mit großer Inbrunst auf sie zu.

Die Schamhaftigkeit erlaubt nicht, alles zu erzählen, was zwischen diesen Weibern und ihren Schwarzen vorging; es genügt zu sagen, daß Schachsenan genug sah, um zu erkennen, daß sein Bruder nicht weniger zu beklagen wäre als er selber. Die Vergnügungen dieser verliebten Bande dauerten bis um Mitternacht. Sie badeten sich alle zusammen in einem großen Wasserbecken, welches eine der schönsten Zierden des Gartens war, worauf sie ihre Kleider wieder anlegten und durch die geheime Tür wieder in den Palast des Sultans schlüpften. Masud aber, der von außen über die Gartenmauer gekommen war, nahm denselben Rückweg.

Da alle diese Dinge unter den Augen des Königs der Großen Tatarei vorgegangen waren, so gaben sie ihm Anlaß zu zahllosen Betrachtungen. »Wie sehr hatte ich unrecht,« sagte er, »mein Unglück so einzig zu wähnen! Das ist ohne Zweifel die unvermeidliche Bestimmung aller Ehemänner, da der Sultan, mein Bruder, der unumschränkte Beherrscher so vieler Reiche, der größte Fürst der Welt, es nicht vermeiden konnte. Wie töricht bin ich also, mich so vom Gram aufzehren zu lassen? Es sei drum: das Andenken eines so gemeinsamen Unglücks soll fortan nicht mehr die Ruhe meines Lebens stören!«

Und wirklich, von diesem Augenblicke an hörte er auf, sich zu grämen; und weil er nicht eher zu Nacht speisen wollte, als bis er das ganze Schauspiel gesehen hatte, welches unter seinen Fenstern aufgeführt wurde, so ließ er sich nun auftragen, aß mit größerer Lust, als er seit seiner Abreise von Samarkand getan hatte, und hörte sogar mit Vergnügen ein angenehmes Konzert von Gesang und Saitenspiel, welches seine Mahlzeit begleitete.

Die folgenden Tage war er sehr aufgeräumt; und sobald er vernahm, daß der Sultan zurückkam, ging er ihm entgegen und bewillkommnete ihn mit heiterer Miene. Schachriar gab nicht sogleich acht auf diese Veränderung; er war nur bedacht, sich freundlich zu beklagen, daß er es versagt hatte, ihn auf die Jagd zu begleiten; und ohne ihm Zeit zu lassen, auf diese Vorwürfe zu antworten, erzählte er ihm von der großen Anzahl von Hirschen und andern Tieren, die er erlegt, und von allem Vergnügen, das er gehabt hatte. Nachdem Schachsenan ihn mit Teilnahme angehört hatte, nahm er auch das Wort, und da der Gram seinen Geist nicht mehr umwölkte, so sagte er tausend angenehme und scherzhafte Dinge.

Der Sultan, welcher ihn in demselben Zustande wiederzufinden erwartete, in welchem er ihn verlassen hatte, war erfreut, ihn so heiter zu sehen. »Mein Bruder,« sprach er zu ihm, »ich sage dem Himmel Dank für die glückliche Veränderung, welche er während meiner Abwesenheit in dir hervorgebracht hat: ich empfinde eine wahrhafte Freude darüber; aber ich habe eine Bitte an dich, und ich beschwöre dich, sie mir zu gewähren.« – »Wie könnte ich dir etwas versagen?« antwortete der König der Tatarei. »Du vermagst alles über Schachsenan. Rede! Ich bin voll Ungeduld, zu wissen, was du von mir wünschest.« – »Solange du an meinem Hofe bist,« fuhr Schachriar fort, »habe ich dich in eine düstere Schwermut versunken gesehen, welche ich durch alle Arten von Lustbarkeiten vergeblich zu zerstreuen suchte. Ich bildete mir ein, daß dein Gram von der Entfernung aus deinem Reiche herrührte; ich glaubte sogar, daß die Liebe großen Teil daran hätte, und daß die Königin von Samarkand, zu welcher du ohne Zweifel eine vollkommene Schönheit erwählt hast, die Ursache davon wäre. Ich weiß nicht, ob ich mich in meiner Vermutung geirrt habe; aber ich bekenne dir, daß ich besonders aus diesem Grunde nicht weiter in dich dringen wollte aus Furcht, dir zu mißfallen. Nun aber, ohne daß ich im geringsten dazu beigetragen habe, finde ich dich bei meiner Heimkehr in der besten Laune von der Welt und den Geist völlig befreit von diesem schwarzen Gewölke, welches seine Heiterkeit trübte. Sage mir, ich bitte dich, warum warst du bisher so traurig, und warum bist du es jetzt nicht mehr?«

Auf diese Anrede blieb der König der Großen Tatarei eine Weile nachdenklich, als wenn er sich besänne, was er antworten sollte. Endlich erwiderte erfolgendes: »Du bist mein Sultan und mein Herr; aber erlaß mir, ich bitte dich darum, dir die Aufklärung zu geben, die du verlangst.« – »Nein, mein Bruder,« erwiderte der Sultan, »du mußt sie mir gewähren, ich dringe darauf, versage sie mir nicht.« Schachsenan konnte Schachriars Andringen nicht länger widerstehen. »Wohlan denn, mein Bruder,« sagte er zu ihm, »ich will dir genugtun, weil du es befiehlst.«

Hierauf erzählte er ihm die Treulosigkeit der Königin von Samarkand; und als er die Erzählung davon beendigt hatte, fuhr er fort: »Da siehst du nun den Grund meiner Traurigkeit; erwäge selber, ob ich unrecht hatte, mich ihr hinzugeben.« – »O mein Bruder!« rief der Sultan aus, »welche furchtbare Geschichte hast du mir da erzählt! Mit welcher Ungeduld habe ich sie bis zu Ende gehört! Ich lobe dich, daß du die Treulosen so bestraft hast, welche dir solchen empfindlichen Schimpf antaten. Man kann dir keinen Vorwurf über diese Handlung machen: sie ist gerecht; und was mich betrifft, so bekenne ich, daß ich an deiner Stelle noch weniger Mäßigung gehabt hätte als du. Ich hätte mich nicht begnügt, einem Weibe allein das Leben zu nehmen, ich glaube, ich hätte ihrer wohl tausend meiner Wut aufgeopfert. Ich bin nicht mehr verwundert über deinen Gram; die Ursache davon war zu lebhaft und zu kränkend, um ihm nicht zu erliegen. Welche Begebenheit! Nein, ich glaube, daß niemals einem Manne außer dir dergleichen begegnet ist. Aber am Ende muß man Gott danken, daß er dir Trost gewährt hat; und da ich nicht zweifle, daß derselbe auch wohl begründet sei, so habe noch die Güte, mich davon zu unterrichten, und schenke mir dein ganzes Vertrauen.«

Schachsenan machte über diesen Punkt mehr Schwierigkeit als über den vorigen wegen des Anteils seines Bruders daran; aber er mußte dessen wiederholten dringenden Bitten nachgeben. »So will ich dir denn gehorchen,« sagte er, »weil du es durchaus willst. Ich fürchte aber, daß mein Gehorsam dir noch mehr Leid verursachen wird, als ich empfunden habe; aber du hast es dir allein beizumessen, weil du mich zwingst, dir eine Sache zu enthüllen, welche ich in ewige Vergessenheit begraben wünschte.«

»Was du mir da sagst,« unterbrach ihn Schachriar, »reizt meine Neugier nur noch mehr; säume nicht, mir dies Geheimnis zu entdecken, von welcher Art es auch sein mag.«

Der König der Tatarei konnte nicht länger sich weigern und erzählte ihm nun umständlich alles, was er erblickt hatte, die Verkleidung der Schwarzen, die Ausschweifungen der Sultanin und ihrer Frauen, und vergaß auch nicht des Masud. »Nachdem ich Zeuge dieser Schandtaten gewesen war,« fuhr er fort, »so gedachte ich, daß alle Weiber von Natur ihnen ergeben sind, und daß sie ihrer Neigung nicht widerstehen können. In dieser Überzeugung dünkte es mich eine große Torheit für einen Mann, seine Ruhe an ihre Treue zu knüpfen. Diese Betrachtung erzeugte andere, und am Ende erkannte ich, daß ich keine bessere Partei ergreifen könnte, als mich zu trösten. Es hat mich einige Überwindung gekostet, jedoch bin ich zum Ziele gelangt, und wenn du mich hören willst, so folge meinem Beispiele.«

So verständig dieser Rat war, so wollte er dem Sultan doch nicht eingehen. Dieser geriet vielmehr in Wut. »Wie!« rief er aus, »die Sultanin von Indien ist fähig, sich auf eine so unwürdige Weise preiszugeben! Nein, mein Bruder,« fügte er hinzu, »ich kann's nicht glauben, was du mir sagst, wenn ich es nicht mit meinen eigenen Augen sehe. Die deinen müssen dich getäuscht haben; die Sache ist wichtig genug, daß ich mich selber davon überzeuge.« – »Mein Bruder,« antwortete Schachsenan, »wenn du Zeuge davon sein willst, so wird das eben nicht schwer sein: du brauchst nur eine neue Jagd anzustellen; wenn wir mit deinem ganzen Hofe und mit meinen Leuten außerhalb der Stadt sind, so bleiben wir dort unter unsern Gezelten, und in der Nacht kehren wir beide ganz allein zurück in mein Zimmer: ich bin gewiß, du wirst am nächsten Morgen dasselbe sehen, was ich gesehen habe.«

Der Sultan billigte diese List und befahl sogleich eine neue Jagd, so daß noch an demselben Tage die Zelte an dem bestimmten Orte aufgeschlagen wurden.

Am folgenden Morgen ritten die beiden Fürsten mit ihrem ganzen Gefolge hinaus. Sie kamen zu der Lagerstatt und blieben dort bis in die Nacht. Da berief Schachriar seinen Großwesir, und ohne ihm seine Absicht zu entdecken, befahl er ihm, in seiner Abwesenheit seine Stelle zu vertreten und nicht zu erlauben, daß jemand aus dem Lager ginge, aus welchem Grunde es auch sein möchte.

Sobald er diesen Befehl erteilt hatte, stieg er mit dem Könige der Großen Tatarei zu Pferde; beide ritten unerkannt durch das Lager zurück in die Stadt und begaben sich in Schachsenans Palast, hier legten sie sich schlafen, und am folgenden Morgen nahmen sie dieselbe Stelle am Fenster ein, wo der König der Tatarei den Auftritt mit den Schwarzen gesehen hatte.

Sie genossen einige Zeit der Frische des Morgens, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen; und während ihrer Unterhaltung warfen sie oft einen Blick nach der geheimen Türe. Sie öffnete sich endlich: die Sultanin erschien mit ihren Frauen und den zehn verkleideten Schwarzen; sie rief: »Masud!« und der Sultan sah mehr, als er bedurfte, um völlig von seiner Entehrung und seinem Unglück überzeugt zu sein.

»O Himmel!« rief er aus, »welche Herabwürdigung, welche Abscheulichkeit! Die Gemahlin eines Fürsten, wie ich bin, kann einer solchen Ehrlosigkeit fähig sein? Welcher Fürst darf nun noch sich rühmen, vollkommen glücklich zu sein? Ach, mein Bruder!« fuhr er fort, indem er den König der Tatarei umarmte, »laß uns beide der Welt entsagen; Treue und Glauben ist daraus entwichen: schmeichelt sie auf der einen Seite, so verrät sie auf der andern. Wir wollen unsere Reiche und allen Glanz, der uns umgibt, verlassen und in fremden Ländern unser Leben in Dunkelheit hinschleppen und unser Unglück verbergen.«

Schachsenan billigte diesen Entschluß nicht; bei der Heftigkeit, worin er seinen Bruder sah, wagte er jedoch nicht, ihm zu widersprechen. »Mein Bruder,« sagte er zu ihm, »ich habe keinen andern Willen als den deinen: ich bin bereit, dir überall zu folgen, wohin du willst: aber versprich mir, daß wir zurückkehren, wenn wir jemand finden, der noch unglücklicher ist als wir.« – »Ich verspreche es dir,« antwortete der Sultan; »aber ich zweifle, daß wir einen solchen finden können.« – »Ich bin hierin nicht deiner Meinung,« erwiderte der König der Tatarei, »vielleicht werden wir sogar nicht weit darnach reisen dürfen.«

In diesem Gespräche gingen sie heimlich aus dem Palast und schlugen einen andern Weg ein als den, aus welchem sie gekommen waren. Sie wanderten den ganzen Tag und brachten die erste Nacht unter einem Baume zu. Frühmorgens standen sie auf und setzten ihre Wanderung fort, bis sie auf eine schöne Wiese am Ufer des Meeres kamen, wo hin und wieder hohe und dichtbelaubte Bäume standen. Sie setzten sich unter einem dieser Bäume nieder, um sich auszuruhen und zu erfrischen. Die Treulosigkeit ihrer Frauen war der Gegenstand ihres Gesprächs.

Sie hatten noch nicht lange so gesessen, als sie ganz nahe bei sich ein furchtbares Getöse und ein schreckliches Geheul hörten, welches sie mit Grauen erfüllte. Alsbald tat das Meer sich auf, und es erhob sich daraus wie eine dicke schwarze Säule, welche sich in den Wolken zu verlieren schien. Diese Erscheinung verdoppelte ihren Schrecken, sie standen eilig auf und stiegen auf einen Baum, der ihnen am tauglichsten schien, sie zu verbergen. Kaum waren sie droben, als sie, sich umschauend nach der Stelle, wo das Getöse herkam und das Meer sich aufgetan hatte, bemerkten, daß die schwarze Säule das Wasser durchfurchte und sich gegen das Ufer bewegte; sie konnten im Augenblicke nicht unterscheiden, was es eigentlich war, aber bald erblickten sie deutlich einen furchtbaren Gegenstand.

Es war einer von jenen bösen und den Menschen todfeindlichen Geistern. Er war schwarz und scheußlich; er hatte die Gestalt eines Riesen von ungeheurer Größe und trug auf seinem Haupte einen großen Glaskasten, der mit vier Schlössern von feinem Stahle verwahrt war. Mit dieser Bürde betrat er die Wiese und setzte sie an dem Fuße desselben Baumes nieder, auf welchem die beiden Fürsten versteckt waren, die nun die große Gefahr erkannten, in welcher sie schwebten, und sich schon verloren glaubten.

Der Geist setzte sich neben dem Kasten nieder, öffnete ihn mit vier Schlüsseln, welche er an seinem Gürtel trug, und ließ eine Frau heraus, die höchst kostbar gekleidet, von stolzem Wuchse und vollkommener Schönheit war. Das Ungeheuer ließ sie an seiner Seite niedersitzen, blickte sie verliebt an und sprach: »Vollkommenste aller Weiber, welche durch ihre Schönheit bewundert sind, liebenswürdigste Frau, die ich an ihrem Hochzeitstage entführt und seitdem immer so standhaft geliebt habe, erlaube, daß ich ein wenig bei dir ruhe; ich fühle mich vom Schlaf überwältigt und habe diesen Ort erwählt, um der Ruhe zu genießen.«

Indem er dieses sagte, ließ er sein großes Haupt in den Schoß der Frau sinken; und nachdem er seine Füße ausgestreckt hatte, welche bis ans Meer reichten, schlief er bald ein und schnarchte dermaßen, daß das Gestade davon widerhallte.

Da blickte die Frau von ungefähr empor, und als sie die beiden Fürsten oben auf dem Baume ersah, gab sie ihnen ein Zeichen mit der Hand, leise herabzusteigen. Beider Schreck war nicht klein, als sie sich entdeckt sahen. Sie baten die Frau durch andere Zeichen, ihnen den Gehorsam zu erlassen; sie aber, nachdem sie das Haupt des Geistes säuberlich von ihrem Schoße gehoben und sanft auf die Erde gelegt hatte, stand auf und rief ihnen mit leiser, aber lebhafter Stimme zu: »Steiget herab, ihr müßt durchaus zu mir kommen.« Vergeblich wollten jene noch durch Gebärden ihr begreiflich machen, daß sie sich vor dem Riesengeiste fürchteten; sie erwiderte ihnen mit demselben Ausdrucke: »Wenn ihr nicht eilet, mir zu gehorchen, so werde ich ihn aufwecken und selber euren Tod von ihm verlangen.«

Diese Worte erschreckten die beiden Fürsten dergestalt, daß sie allgemach hinabstiegen, mit aller möglichen Vorsicht, um den Geist nicht aufzuwecken. Als sie drunten waren, nahm die Frau sie bei der Hand, und nachdem sie sich mit ihnen ein wenig unter die Bäume entfernt hatte, machte sie ihnen freimütig einen sehr lebhaften Antrag. Jene weigerten sich anfangs; die Frau aber zwang sie durch neue Drohungen, ihr zu willfahren.

Nachdem sie von ihnen erlangt hatte, was sie wünschte, bemerkte sie, daß jeder von ihnen einen Ring am Finger trug, und begehrte diese von ihnen. Sobald sie dieselben in Händen hatte, ging sie hin und holte eine Schachtel aus dem Bündel, welches ihren Putz enthielt; daraus zog sie eine Schnur hervor, auf welche viele andere Ringe aller Art gereiht waren, und zeigte sie ihnen, indem sie sagte: »Wißt ihr wohl, was diese Kleinode bedeuten?« – »Nein,« antworteten sie, »aber es kommt nur auf dich an, es uns zu erklären.« – »Dies sind,« fuhr sie fort, »die Ringe von allen den Männern, denen ich meine Gunst geschenkt habe. Es sind ihrer achtundneunzig, wohlgezählt, welche ich zu ihrem Andenken bewahre. Ich habe aus demselben Grunde die eurigen von euch verlangt, und um endlich das hundert voll zu haben.

So sind es denn,« fuhr sie fort, »hundert Liebhaber, welche ich bis auf diesen Tag gehabt habe, trotz der Wachsamkeit und Vorsicht dieses schnöden Geistes, welcher mich nimmer verläßt. Er mag mich immerhin in diesen Glaskasten einschließen und mich im Grunde des Meeres verbergen, ich ermangele dennoch nicht, alle seine Vorkehrungen zuschanden zu machen. Ihr seht hieraus, daß, wenn eine Frau einmal einen Vorsatz gefaßt hat, weder ein Ehemann noch ein Liebhaber vermag, sie an der Ausführung zu verhindern. Die Männer würden besser tun, uns keinen Zwang aufzulegen: das wäre das Mittel, uns vernünftig zu machen.«

Nachdem die Frau also zu ihnen geredet hatte, zog sie ihre beiden Ringe auf dieselbe Schnur, auf welche die übrigen gereiht waren. Darauf setzte sie sich wieder auf ihre Stelle hin, hob das Haupt des Geistes auf, ohne daß er erwachte, legte es wieder in ihren Schoß und gab den Fürsten ein Zeichen, sich zu entfernen.

Sie kehrten denselben Weg zurück, den sie gekommen waren, und als sie der Frau mit dem Unholde aus dem Gesichte waren, sagte Schachriar zu Schachsenan: »Wohlan, mein Bruder, was dünkt dich von dem Abenteuer, das uns soeben aufgestoßen ist? Hat der Geist nicht ein recht treues Liebchen? Und mußt du nicht gestehen, daß der Weiberlist nichts gleich kommt?« – »Jawohl, lieber Bruder,« antwortete der König der Großen Tatarei. »Und du mußt auch eingestehen, daß der Geist mehr zu beklagen und unglücklicher ist als wir. Drum also, weil wir gefunden haben, was wir suchten, laß uns heimkehren in unser Reich und uns hierdurch nicht abhalten, uns wieder zu vermählen. Was mich betrifft, so weiß ich wohl ein Mittel, durch welches die mir schuldige Treue unverletzt gehalten werden soll. Ich will mich gegenwärtig nicht weiter darüber erklären; aber du wirst einst davon hören, und ich bin sicher, daß du meinem Beispiele folgen wirst.«

Der Sultan stimmte seinem Bruder bei; und beide setzten ihren Weg fort und kamen mit Ende der Nacht wieder ins Lager zurück, drei Tage nach ihrer Auswanderung.

Als die Neuigkeit von der Rückkehr des Sultans sich dort verbreitet hatte, versammelten die Hofleute sich frühmorgens vor seinem Gezelte. Er ließ sie eintreten, empfing sie heiterer als gewöhnlich und ließ ihnen Geschenke austeilen. Darauf erklärte er, daß er nicht weiter jagen wollte, befahl ihnen aufzusitzen und kehrte nach seinem Palaste zurück.

Kaum war er angekommen, so rannte er nach dem Zimmer der Sultanin. Er ließ sie auf der Stelle binden und überlieferte sie seinem Großwesir mit dem Befehle, sie erdrosseln zu lassen, was dieser Minister auch sogleich ausrichtete, ohne sich zu erkundigen, welches Verbrechens sie schuldig wäre. Der gereizte Fürst blieb dabei nicht stehen: er schlug mit eigener Hand allen Weibern der Sultanin die Köpfe ab. Nach diesem scharfen Gerichte beschloß er, in der Überzeugung, daß es keine getreue Frau gäbe, jede Nacht eine neue zu nehmen und, um ihrer Treulosigkeit zuvorzukommen, dieselbe am folgenden Morgen hinrichten zu lassen. Nachdem er sich dieses grausame Gesetz auferlegt hatte, schwor er, es sogleich nach der Abreise des Königs der Tatarei zu beobachten. Dieser nahm bald darauf Abschied von ihm und begab sich, mit kostbaren Geschenken überhäuft, auf den Weg.

Nachdem Schachsenan abgereist war, befahl Schachriar sogleich seinem Großwesir, ihm die Tochter eines seiner Feldherrn zuzuführen. Der Wesir gehorchte. Der Sultan schlief mit ihr ein Nacht, und am Morgen übergab er sie ihm, um sie hinrichten zu lassen, zugleich mit dem Befehle, ihm eine andere Frau für die nächste Nacht zu bringen.

Wie sehr es dem Wesir widerstrebte, dergleichen Befehle auszuführen, gleichwohl war er dem Sultan, seinem Herrn, einen blinden Gehorsam schuldig und mußte sich ihnen unterwerfen. Er brachte ihm also die Tochter eines unteren Beamten, welche ebenfalls am nächsten Morgen hingerichtet wurde. Auf diese folgte die Tochter eines Bürgers aus der Hauptstadt: und kurz, jeden Tag wurde also eine Jungfrau vermählt und eine Frau getötet.

Das Gerücht von dieser Unmenschlichkeit ohne Beispiel verbreitete eine allgemeine Bestürzung in der Stadt. Man hörte darin nur Heulen und Wehklagen. Hier war es ein weinender Vater in Verzweiflung über den Verlust seiner Tochter, dort waren es zärtliche Mütter, welche, für ihre Kinder dasselbe Schicksal befürchtend, die Luft mit ihrem Jammergeschrei erfüllten. Und anstatt der Lobeserhebungen und Segnungen, welche der Sultan sich bisher erworben hatte, stießen gegenwärtig alle seine Untertanen nur Verwünschungen gegen ihn aus.

Der Großwesir, welcher, wie gesagt, wider seinen Willen der Vollstrecker einer so empörenden Ungerechtigkeit war, hatte zwei Töchter, von denen die ältere Scheherasade und die jüngere Dinarsade hieß. Diese letztere war nicht ohne Vorzüge; die erstere aber besaß einen Mut über ihr Geschlecht hinaus, viel Geist und bewundernswürdigen Scharfsinn. Sie hatte dabei eine große Belesenheit und ein erstaunliches Gedächtnis, so daß ihr nichts entfiel von allem, was sie gelesen hatte. Mit Erfolg hatte sie sich der Weltweisheit, der Arzneikunde, der Geschichte und der schönen Künste beflissen, und sie machte bessere Verse als die berühmtesten Dichter ihrer Zeit. Über dies alles war sie mit einer außerordentlichen Schönheit begabt; und eine festgegründete Tugend krönte alle ihre schönen Eigenschaften.

Der Wesir liebte aufs innigste eine seiner Zärtlichkeit so würdige Tochter. Eines Tages, als er sich mit ihr unterhielt, sprach sie zu ihm: »Mein Vater, ich habe Euch um eine Gnade zu bitten, und ich flehe inständigst, sie mir zu gewähren.« – »Ich werde sie dir nicht versagen,« antwortete er, »vorausgesetzt, daß sie gerecht und verständig sei.« – »Was jenes betrifft, so kann nichts gerechter sein, und Ihr könnt davon aus dem Beweggrunde urteilen, welcher mich antreibt, Euch darum zu bitten. Ich habe die Absicht, den Lauf dieser Barbarei zu hemmen, welche der Sultan über die Familien unserer Stadt verhängt. Ich will die Besorgnisse so vieler Mütter zerstreuen, welche ihre Töchter auf eine so unselige Weise zu verlieren fürchten.« – »Deine Absicht ist sehr löblich, meine Tochter,« sagte der Wesir; »aber das Übel, welches du heilen willst, scheint mir ohne Heilmittel. Auf welche Weise gedenkst du zum Ziele zu kommen?« – »Mein Vater,« entgegnete Scheherasade, »da der Sultan durch Eure Vermittlung täglich eine neue Hochzeit feiert, so beschwöre ich Euch bei der herzlichen Zärtlichkeit, welche Ihr für mich habt, mir die Ehre seines Beilagers zu verschaffen.« Der Wesir konnte diese Rede nicht ohne Entsetzen anhören. »O Gott!« unterbrach er sie mit Ungestüm, »hast du den Verstand verloren, meine Tochter? Wie kannst du mir eine so gefährliche Bitte tun? Du weißt, daß der Sultan bei seiner Seele geschworen hat, nur eine einzige Nacht mit derselben Frau zu schlafen und ihr am nächsten Morgen das Leben nehmen zu lassen, und du willst, daß ich ihm antrage, dich zu heiraten? Bedenkst du wohl, welcher Gefahr dein unzeitiger Eifer dich aussetzt?« – »Ja, mein Vater,« antwortete diese tugendhafte Tochter, »wohl kenne ich alle die Gefahr, die mir droht, und doch vermag sie mich nicht abzuschrecken. Wenn ich umkomme, so wird mein Tod ruhmvoll sein; wenn aber mein Unternehmen mir gelingt, so werde ich meinem Vaterlande einen wichtigen Dienst leisten.«

»Nein, nein,« sagte der Wesir, »was du mir auch vorstellen magst, um mich zu der Erlaubnis zu bewegen, dich in diese furchtbare Gefahr zu stürzen, bilde dir nicht ein, daß ich darein willige, wenn der Sultan mir beföhle, dir den Dolch in die Brust zu stoßen, wehe mir! ich müßte ihm ja gehorchen. Welch ein Auftrag für einen Vater! Ach, wenn du den Tod nicht fürchtest, so fürchte wenigstens doch, mir den tödlichen Schmerz zu verursachen, daß ich meine Hand mit deinem Blute färben müßte.«

»Noch einmal, lieber Vater,« sagte Scheherasade, »gewährt mir die Gnade, um welche ich Euch bitte.« – »Dein Starrsinn,« erwiderte der Wesir, »erregt meinen Zorn. Warum willst du selber in dein Verderben rennen? Wer nicht das Ende einer gefährlichen Unternehmung absieht, wird nimmer glücklich daraus kommen. Ich fürchte, es wird dir begegnen, was jenem Esel begegnete, welcher sich in einer glücklichen Lage befand, aber sich nicht darin zu erhalten wußte.« – »Welches Unglück begegnete denn diesem Esel?« fragte Scheherasade. »Ich will es dir erzählen,« antwortete der Wesir, »höre mir zu:


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