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Der König Papagei.

»Ein König von Indien hatte von einem Derwisch eine Zauberformel erlernt, vermöge welcher er in den Leib eines Tieres übergehen konnte; und manchesmal hatte er diese Verzauberung versucht.

Eines Tages, als er mit einem seiner Wesire auf der Jagd war, erlegte er einen Rehbock; und um dem Wesir seine Zaubermacht zu zeigen, sprach er seine Formel aus und nahm den Leib dieses Tieres an; und der Minister sah zu seinem großen Erstaunen den Leib des Königs leblos hinsinken, während der Leichnam des Rehbocks sich belebte und anfing zu springen.

Als der König wieder in seine natürliche Gestalt zurückgekehrt war, beschwor der Wesir seinen Herrn, ihn diese köstliche Formel zu lehren; und der König hatte die Unklugheit, den Bitten seines Ministers nachzugeben.

Einige Zeit darauf bemerkte der Wesir einen toten Papagei am Fuße eines der Bäume in der Nähe des Palastes und sprach zu dem Könige: »Herr, verstattet Euch Eure Formel auch, in den Leib eines Vogels überzugehen?« – »Sicherlich,« antwortete der König; und sogleich belebte er den Leichnam des Papageis und setzte sich auf den Baum.

Sobald der Wesir sah, daß der König seinen Leib verlassen hatte, so las er auch die Zauberformel und bemächtigte sich desselben und ließ die Seele eines Sklaven seinen eigenen Leib einnehmen.

Man kann sich den Verdruß und den Schmerz des Königs denken, als er die Treulosigkeit seines Wesirs sah; er flog hinweg, ganz verwirrt, von ihm so angeführt zu sein.

Unterdessen bemächtigte sich der Wesir der Herrschaft des Reichs; er hatte sogar die Frechheit, in das Innere des Harems zu gehen und auf alle Weise die Stelle seines Herrn einzunehmen.

Der arme Papagei, nachdem er eine Zeitlang umhergeirrt war, entschloß sich endlich, in das Haus eines Gärtners zu fliegen. Er ließ sich fangen, in einen Käfig setzen und auf den Markt bringen. Da er sehr geläufig sprach, so überbot man sich, um ihn zu besitzen. Er erstaunte alle Welt durch seine treffenden und lebhaften Antworten. Sein Preis wurde so hoch gesteigert, daß allein die Königin einen so kostbaren Vogel kaufen konnte.

Er wurde also in den Harem gebracht und in die Schlafkammer der Königin gesetzt. Und hier hatte der arme Papagei das Herzeleid, zur Nacht seinen schandbaren Wesir kommen und ungescheut das Bette der Königin teilen zu sehen, während er, auf einer Stange seines Käfigs sitzend, seinen Verdruß hinabwürgen mußte.

Am folgenden Morgen unterhielten sich der Wesir und die Königin miteinander; und der Papagei, in einem Winkel versteckt, hörte ihr Gespräch an. »Wißt Ihr,« sagte der Wesir, »daß ich die Macht habe, in den Leib eines jeden Tieres überzugehen, sobald es tot ist?« – »Es würde mich sehr ergötzen, eine solche Verwandlung zu sehen,« antwortete die Königin, »ich bitte Euch, versaget mir nicht das Vergnügen.«

Da ließ der Wesir eine tote Gans bringen und ging in ihre Leiche über. Sogleich sprach der König Papagei auch seine Zauberformel aus und nahm seinen Leib wieder ein; dann ergriff er die Gans bei dem Halse und zerschmetterte sie gegen die Wand. »In welcher Wut seid Ihr, Herr!« rief die Königin aus, »und warum erzürnt Ihr Euch so heftig?« –

Man kann sich denken, wie groß ihr Erstaunen und ihre Beschämung war, als ihr Gemahl ihr sein grausames Mißgeschick erzählte.«

*

»Ihr sehet, Herr,« fuhr Chansade fort, »welches Vertrauen man auf einen Wesir haben kann.« Und sie suchte ihrem Gemahl die Notwendigkeit zu beweisen, seinen Sohn töten zu lassen. Der König versprach ihr auch diese Genugtuung.

Aber der Tag bricht an,« sagte Scheherasade, »wenn Euer Majestät es erlaubt, so wollen wir morgen fortfahren.«

 

Neunzehnte Nacht.

»Herr,« sagte Scheherasade, »der griechische König, welcher seinem Wesir die Geschichte des Königs Sindbad erzählte, fuhr folgendermaßen fort:

»Als der Kaiser am Abend in den Palast zurückkam, hielt die Sultanin ihm eine Schale voll Gift vor und sprach zu ihm: »Herr, wenn Ihr mir nicht Gerechtigkeit verschafft, so erkläre ich Euch, daß ich dieses Gift hier trinken will, und Ihr werdet dieses Verbrechen vor Gott zu verantworten haben. Eure Wesire, ich weiß es, suchen Euch einzuschüchtern, indem sie Euch von der Arglist meines Geschlechts erzählen; aber das Eurige ist nicht minder gefährlich; ich berufe mich zum Beweise davon nur auf die Geschichte des Malers von Ispahan.«

Auf Verlangen des Kaisers erzählte Chansade diese Geschichte folgendermaßen:


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