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Das Schloß und die Kleinen.

In den blauen Lüften, einer Nixe gleich,
Schwimmt mit hellem Strahl der Mond, doch kalt und bleich.
Schimmernd steht der Wald in weißer Reifestracht,
Und er träumt von einer schönen Sommernacht,
Von den grünen Blättern mit dem frischen Duft,
Von den schönen Blümchen und der milden Luft.
Wie ein Schatten taucht das Schloß im Hintergrund'
Mit dem hohen Thurm' aus blauem Himmelsrund:
Ein lebend'ges Bild der frühern Ritterzeit,
Gothisches Gemälde der Vergangenheit!
Hinter jenem Gitter, das der Mond erhellt,
War der Kerker sonst, der jetzt in Trümmer fällt;
Doch der Wappenschild noch am Portale prangt.
Um des Fensters Bogen künstlich Laub sich rankt;
Zwischen jenen Erkern ragt ein mächt'ger Baum.
Schreiten wir hier durch des Hofes weiten Raum,
Auf der Wendeltreppe durch die Thür' hinein,
Schön mit Hirschgeweih verziert – doch sieh, wie klein!

Um den ganzen Flügel führt ein tiefer Gang,
In dem Mondenlichte scheint er doppelt lang.
Aus den güldnen Rahmen an den Wänden schau'n
Edle Ritter nieder und viel schöne Frau'n.
Dort blickt kühnen Auges zu uns her ein Held,
Der mit seinem Ruhme einst erfüllt die Welt;
Hohen Sinnes stritt er muthig für das Recht,
Doch er ist vergessen, er und sein Geschlecht!
Stolze Schöne mit dem seelenvollen Blick!
Blieb von diesen Formen nichts als Staub zurück?
Nichts als dies verblich'ne Bild im Marmorsaal?
Und des Busens Wogen, und des Auges Strahl,
Und des Purpurmündchens Lächeln, und der Wang'
Frische Rosen, und der Stimme Glockenklang –
Alles ward zu Asche, ward des Todes Raub,
Schwand wie Jugendträume, wie das dürre Laub?!

Sanfte Melodieen tönen her vom Wall',
Schmelzend klagt dazwischen tiefer Hörnerschall.
Könnt' ein jeder Busen mit der Töne Klang
Künden, was in Freud' und Schmerzen ihn durchdrang:
O, dann wär' das Leben voller Poesie,
Wie der alten Saga Zaubermelodie!
Auf zur Freiheit strebet kühn der Erdensohn,
Doch der Traum verklinget, wie des Hornes Ton!

Neubelebt erscheinet bei des Mondes Licht
Auf den alten Bildern jedes Angesicht.
Aus dem Saal erschallen Töne sonderbar,
In des Tanzes Reigen schwingt sich Paar um Paar.
Flieh'n wir vor dem Lärmen, von des Festes Pracht
Hin in jene Kammer, wo in stiller Nacht
Schwesterchen und Bruder ruh'n auf weichem Flaum,
Jedes in des eignen kleinen Bettchens Raum'.
Ohne tiefe Seufzer träumt die Kinderbrust:
Bist Du, Welt der Kindheit, denn so voller Lust?
Weint nicht heiße Thränen bitterlich das Kind,
Wenn die hübschen Puppen ihm zerbrochen sind?
Wird es nicht gleich uns vom Kummer hart gedrückt,
Wenn im Keim die Hoffnung stirbt, die es beglückt?
Doch sein Leid entfliehet, wenn die Thräne rollt,
Und aufs Neue lächelt bald das Mündchen hold.

Wie aus schnell geschwung'ner Fackel Funken sprüh'n,
Und die Flammenringe rund im Kreise glüh'n,
So in neuer Schöne prangt der Kindheit Welt,
Wenn ein einz'ger Lichtstrahl sie im Flug erhellt.
Wenn Vernunft auch meint: es ist ein kindisch Ding!
Faßt es doch die Welt ein, wie Saturnus Ring!
Fernher nur der Nebel wie ein Wölkchen droht,
Und Erinn'rungssonne färbt es rosenroth.

Ja, es flieh'n der Kindheit Tage wie ein Traum,
Wie auf Meeresfluthen leichter, flücht'ger Schaum.
Ueberall umgiebt uns Liebe, Strahl und Licht,
Und wir sind unschuldig, denn wir wissen's nicht.
An die lieben Kleinen klammert sich das Herz;
Ihre Größe reichet gerade himmelwärts.
Sieh, mit halb geschloss'nen Augen hier die Zwei!
Ach, vergebens rufen sie den Schlaf herbei.
Freude scheucht den Schlummer von der Lagerstatt,
Denn am nächsten Morgen reisen sie zur Stadt,
Und bedenk', zur Hauptstadt, die sie nie geschau't!
Ach, wär's doch nur Morgen! – Ob der Tag schon graut?

Ach, wär's Morgen! seufzen Beide unbewußt;
Heute Nacht kehrt Ruhe nicht in ihre Brust.
Die Gedanken schweifen, malen Alles aus,
Sie sind unterweges und schon weit vom Haus.
Endlich sinkt das Mädchen müde hin zur Ruh',
Hört nicht, daß der Bruder flüstert: Schlummerst Du?
Sie träumt von der Reise, aber er blieb wach.
Schlafen? Nein, bewahre! – Er erspäht den Tag,
Der mit mattem Dämmer durch die Scheiben bricht:
Heftig schlägt sein Puls, es glüht sein Angesicht.
– Morgen ist's! Sie sitzen auf dem Wagen schon,
Und im Kinderherzen klingt ein Jubelton:

Flugs dorthin in schnellem Schritt,
Wo die Berge ragen!
Wald und Wiese laufen mit,
Und es fliegt der Wagen.

Bald zu Lande, bald auf's Meer,
Bei des Frühroths Schimmer!
Ach, wenn nur der Tod nicht wär'!
Sterben möcht' ich nimmer!

Reisen in der Mutter Schooß –
Ha, mir scheint's, wir schweben!
Ach, wie ist die Welt so groß!
ott sei Lob! wir leben!

 

Schnellpressendruck von Fr. Ries in Leipzig.


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