Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Herbst-Gefühle.

»Nicht lieben mehr, noch hassen
Will jetzt Dein müdes Herz;
Aus feuchter Wiesenfläche
Steigt Nebel himmelwärts.«

I.

Der Sperling bezieht der Störche Nest, die nach fremden Ländern scheiden;
Das Laub fällt ab, doch die Beeren steh'n roth auf der schwarzen Haiden.
Im Wald wird Holz gefällt, es steigt ein kalter Nebelschauer,
Die Erde durchwühlt mit seinem Pflug auf feuchtem Feld der Bauer.
Vereinsamt eine Schwalbe schwirrt dort über den Maulwurfshügeln,
Verbirgt sich in des Sumpfes Rohr, verstummt und mit matten Flügeln.
An den Zweigen der Bäume hängen schwer die großen, kalten Tropfen;
Erinnerung lebt, sonst würde das Herz verlassen und einsam klopfen.
Es gleicht die Natur dem Ocean, bevor sich die Stürme erheben;
Ringsum herrscht tiefes Schweigen, es scheint erstorben alles Leben.
Bald braus't er einher, der wilde Sturm, der im Grimm die Eiche zerschellet,
Dann steht der Wald gleich einem Wrack, d'rin jetzt schon die Masten man fället.
Verödet wird die kahle Flur, dahin sind Freuden und Schmerzen;
Die Pulse stocken in der Natur stolz schwellendem Dichterherzen.

Beim Strahl der Lenzessonne
Erwacht' Dein Herz zur Wonne;
Als auf die Knospen sprangen,
Und hell die Vöglein sangen,
Ward Dir der Busen weit.
Rings neues Dasein glühte;
Auf Trümmern selbst erblühte
Die grüne Epheu-Ranke.
Da strebte Dein Gedanke
Mit frischem Lebenstrieb
Nach Liebes-Seligkeit;
Du kos'test Brust an Brust
Mit Deinem trauten Lieb.
– Zu bald entfloh die Lust!
Dein Aug' ist thränennaß.
Verwelkt ist Blüth' und Gras;
Dein Lieb hat Dich verlassen!
Nicht lieben mehr, noch hassen
Will jetzt Dein müdes Herz.
Aus feuchter Wiesenfläche
Steigt Nebel himmelwärts.
Hin ist, was Dich erfreute!
– O, schwellt, Ihr wilden Bäche!
O, Sturm! die Flügel breite,
Und ras' mit grimm'gem Wüthen!
Nur nicht dies dumpfe Brüten!
Nur schnell mein Leben ende!
Den Siechtod ab nur wende!

II.

Stille! sieh, ein dichter Nebel steiget auf vom feuchten Rain;
Auf den Kirchthurm wirft die Sonne sinkend ihren matten Schein;
Ihre bleichen Strahlen flüstern Lebewohl dem öden Wald;
Dürres Laub fällt von den Bäumen, d'rin es klagend Antwort schallt.
Lange Küsse giebt die Sonne der Natur zum letzten Mal;
Auf der Scheibe dort im Städtchen leuchtet wunderlich der Strahl.
Hinter jener nackten, grauen Mauer wohnt der Herbst schon lang',
Thront in eines Mädchens Herzen, das vereinsamt schlägt und bang'.
Sieh, wie reinlich und wie wohnlich ist es in dem Kämmerlein,
Schön geschmückt mit einem Teppich – zwar er könnte größer sein! –
Epheu ranket vor den Fenstern, d'rauf die Abendsonne glüht,
Und als Herbstes Bild dazwischen eine Rose, halb verblüht.
Sinnend sitzt sie an dem Rocken; strahlt, ein Stern, des Auges Blau?
Nein, es ist ein altes Mädchen, bleich die Wang', die Haare grau.
Ohne Wechsel flieh'n die Tage; einsam, der Erinnerung
Lebt sie hier bei ihrem Rocken. Einst war auch sie schön und jung.
Lenz erblühte hier und Sommer, Schneeigweiß und Rosenroth;
Liebe starb in ihrem Busen, doch ihr Herz ist noch nicht todt.
Wehmuthsvolle Melodie längst wurde ihrer Jugend Traum:
Sie ist eine alte Jungfer – daß sie lebt, man weiß es kaum.
Horch! vom Kirchthurm schallet dumpfes Läuten durch die Nebelluft,
Schwarze Männer steh'n im Kreise schweigend um die offne Gruft;
»Ruh' in Frieden!« ruft der Priester, und man senkt den Sarg hinab –
Müdes Herz, o ruhtest Du doch schlummernd in dem stillen Grab'.
Herbstlich ausgestorben trauert, wie die Flur, auch meine Brust;
Wie das Blatt am Baume, welkte mir die Hoffnung, Lieb' und Lust.
Wie dem stolzen Fischerweibe in dem Märchen ging es mir,
Die nach Höh'rem stets verlangte, und es ward gewähret ihr.
»König, Kaiser, selbst Gott Vater,« bis zuletzt der Traum entschwand;
Hin der Zauber! – wieder saß sie an der tiefen Grube Rand.
Bis zum letzten Schlage hoffet, wünscht und sehnet sich das Herz;
Nur in tiefer Gruft verstummen Sehnsucht, Hoffen, Freud' und Schmerz.

III.

Harfner, greif' in die Saiten!
Mein Herz ist schwer und bang';
Sing' aus den Kinderzeiten
Mir leise den Wiegensang:
Hopp, Hopp, mein Geist! o, reite
Hinaus in die Welt, die weite,
Ueber Berg und Fluß; immer zu!
Mein Herz, Dir wird nur wieder Ruh'
In der Unschuldswelt der Kindheit.

Harfner, greif in die Saiten!
Mein Lied steig' himmelwärts!
Was soll es denn bedeuten,
Daß so wild Du pochst, mein Herz?
Noch am Grabe die Hoffnung flüstert,
Wenn Tod den Blick umdüstert:
»Schlafe, mein Püppchen, mein Engel bist Du!«
Unter der Erde da wird Dir Ruh',
Und Frieden im himmlischen Saale!

Harfner, greif in die Saiten!
Das Leben ist kurz, doch schön.
Ich will zur Herberg' reiten,
Und bald zu Ruhe geh'n.
»Hart ist und eng das Bettchen,
Hat nur sechs schmale Brettchen,«
Doch schläft sich's darin so traulich und süß,
Und Morgen erwachst Du im Paradies,
D'rum scheuche hinweg die Grillen.

Harfner, greif in die Saiten,
Und sing' ein Octoberlied!
Geister im Nebel gleiten,
Der über die Fluren zieht.
O, schlaf', mein Herz! Im Schlummer
Entfliehet Schmerz und Kummer.
Die Wiege steht am kühlen Ort,
Und fehlt ihr auch die Schaukel dort,
D'rin weinet doch nimmer das Knäblein.


 << zurück weiter >>