Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Die Tragödie im Haus Eschweiler hatte sich um weniges gejährt, als die zweite, aber echte und legitime Gräfin Eschweiler ihren Einzug darin hielt und im Sturm alle die Herzen gewann, die jene erste, unechte abgestoßen und verletzt hatte. Dazu tat sie aber nichts anderes, als das ihr dargebrachte Willkommen gütig, freundlich und mit aufrichtig gemeintem Dank entgegenzunehmen und den guten Willen mitzubringen, der überzeugend, ohne überflüssige Worte und Beteuerungen aus ihren enzianblauen Augen leuchtete. Wer aber mit viel und echtem guten Willen ein Reich antritt, dem können selbst bittere Enttäuschungen, die ja keinem Menschen hienieden erspart bleiben und letzten Endes auch der Prüfstein für seine Echtheit sind, es nicht mehr nehmen und entfremden. Man braucht gerade keine Nachtigall, kein Paradiesvogel oder gar ein Adler zu sein, sich ein königliches Nest zu bauen – ein schlichter Spatz, der seinen Namen von der Liebe empfing, kann's auch, wenn er nur einer ›der Vögel des Himmels‹ ist, die da kommen, in den Zweigen des Baumes zu wohnen, der aus dem Senfkernlein entsprossen und stark auf gutem Erdreich geworden ist. Dieses Gleichnis aus dem Evangelium fiel Eschweiler oft ein, wenn er seinen geliebten Spatz so frisch und fröhlich in seinem Hause walten sah, glücklich und zufrieden, ohne den Wunsch nach dem Treiben und Hasten der großen Welt und ihrem falschen Schimmer, nur nach den Schätzen strebend, die weder Motten noch Rost fressen.

Daß er Veronika auch gern mit äußerem Schmuck schmückte, sie mit kostbaren Gaben erfreuen und beglücken wollte, war bei den Mitteln, die ihm zu Gebot standen, schon darum selbstverständlich, weil sie sich in ihrer reizenden, natürlichen Bescheidenheit über die kleinste Gabe wie ein Kind freuen konnte. Natürlich war nichts darunter, was Privatbesitz Margaritas gewesen, deren ›Ersparnisse‹, die recht beträchtlich waren, sowie ihr Schmuck den glücklich gefundenen Verwandten wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß gefallen waren. Sie waren, wenn auch nicht gerade sogenannte ›kleinste Leute‹ aber doch solche in subalternen Lebensstellungen, die keine Ahnung davon hatten, daß die Fürstin Karabugas, deren Namen sie gelegentlich in den Berichten aus der ›großen Welt‹ in den Zeitungen erwähnt fanden, ihre Blutsverwandte gewesen.

Irgend etwas, ein ihm selbst vielleicht nicht ganz klares Gefühl, hatte Eschweiler davon zurückgehalten, Margarita den Familienschmuck zu geben, ein Erbstück von der Ahnfrau, ihren eigenen, wahrhaft königlichen Brautschmuck, eine sogenannte prächtige ›Corsage‹ von Diamanten und Rubinen, dazu passende Agraffen, Ohrgehänge und eine ›Aigrette‹ für das Haar. Eine Frage, ob er Veronika damit schmücken sollte, gab es für ihn nicht, und nachdem sie das kostbare Erbstück, seine schöne Fassung im reichsten Rokokostil gebührend bewundert hatte, sagte er etwas zögernd:

»Nun möchte ich dir, bevor ich eine Exekution vornehme, die Perle zeigen, die wie ein Bumerang zu mir zurückgekehrt ist, diese Perle, die so viel Unheil angerichtet. ›Sieh her, und bleibe deiner Sinne Meister‹ rufe ich dir zuvor mit ›Turandot‹ warnend zu.«

Und eine gewöhnliche Pappschachtel öffnend, zeigte er ihr, auf blaugefärbte Watte gebettet, die wunderbare Unglücksperle, die ihm durch die amerikanische Polizei wieder zugestellt worden war. Veronika stieß einen Schrei des Entzückens aus, als sie das Juwel des Ozeans erblickte.

»Ja, kann es denn etwas so Herrliches geben?« rief sie in heller Begeisterung. »Das ist ja ein Gedicht, eine Hymne auf alles Wunderbare! Ein Hyperbel der Schönheit! Aber was hast du da von einer Exekution gesprochen? Was damit gemeint?«

»Ich werde das Satansding mit einem Hammer zerschlagen, und die Splitter in den Erdboden treten«, erklärte Eschweiler grimmig.

»Das ist doch nicht dein Ernst!« versetzte sie ungläubig.

»Wein vollster Ernst«, versicherte er hart. »Stellen wir uns nur vor, was diese Perle schon verschuldet hat. Der sie, wie wohl kein Zweifel mehr besteht, aus dem Meeresgrund geholt hat, der arme Junge Lord Fernhill, mußte mit seinem Leben dafür büßen, ob infolge seiner durch das Tauchen zerstörten Gesundheit oder ermordet von seinem Sekretär, wie es das wahrscheinlichere ist, darüber liegt noch ein gewisses Dunkel. Sicher ist, daß der Sekretär die Perle raubte und sie mir unter seinem › alias‹ Henri Leclair verkaufte. Ich aber kaufte mir dafür – die Fürstin Karabugas, die aus unersättlicher, unüberwindlicher Gier nach dieser Perle das Verbrechen beging, meine Frau zu werden. Und dann erweckte die Perle die Begierden einer reichen Frau, die sie vernichten wollte, weil sie ihr unerreichbar war, statt ihrer aber die Schönheit jener zerstörte, die ich im guten Glauben meine Gattin nannte. Dann erweckte die Perle die Kupidität der sogenannten Gesellschafterin, die sie veruntreute, nach der Entdeckung des Diebstahls ihre Herrin ermordete, mich der Tat beschuldigte, um zuletzt, ein gehetztes Wild, wiederum durch die Perle veranlaßt, sich selbst zu entleiben. Das ist die Chronik dieses fluchbeladenen Dinges, das besser zerstört wird, bevor es weiteres Unheil wirkt.«

»Johannes, ich verstehe dich nicht«, sagte Veronika nach einer Pause. »Es ist ja krasser Aberglaube, was du da gesagt hast. Wie kann man ein lebloses Ding fluchbeladen nennen? Ist es nicht die menschliche Gier nach dem Besitz, die man besser den Fluch nennt, der seit der Erbsünde die Seelen fordert? Wäre es denkbar, daß Gott einen Fluch an einen toten Gegenstand heften läßt? Hat man überhaupt das Recht, ein solches Wunder der Natur zerstören? Und kannst du eine einzige dieser Fragen mit ›Ja‹ beantworten?«

Eschweiler dachte eine Weile nach.

»Du magst ja recht haben, Liebste«, sagte er dann. »Recht mit deinen Einwänden bis auf den letzten. Stelle dir doch noch einmal vor, welches Unheil diese Perle schon verursacht hat. Zwei Mörder hat sie gemacht, zwei Diebe, eine Selbstmörderin, eine Attentäterin aus krankhafter Begierde nach ihrem Besitz, von der falschen Anschuldigung gegen mich nicht zu reden, und ich frage dich nochmals: Ist es nicht besser, dieses ›Wunder der Natur‹ zu vernichten, bevor es weitere unsterbliche Seelen in Versuchung führt, zu Falle bringt und zu ewiger Verdammnis? In diesem Sinne will ich mein Wort vom Fluch, der darauf ruht, verstanden wissen.«

Veronika schüttelte mit dem Kopf.

»Wir sind bisher immer einer Meinung gewesen, Johannes – in diesem Punkt aber weichen wir voneinander ab. Ich bleibe dabei: Wir haben nicht das Recht, etwas zu vernichten, was in solcher Schönheit entstanden ist.«

»Warum habe ich dir die Perle gezeigt?« rief Eschweiler gequält. »Hat sie es dir auch schon angetan?«

»Ja,« gab Veronika unumwunden zu, »das hat sie. Schenke mir die Perle, Johannes!«

Eschweiler stöhnte laut auf.

»Die Raben von Sacro Speco haben uns also nicht umsonst ihr Rab! Rab! nachgekrächzt. Es war ein Warnungsruf kommenden Unheils«, sagte er traurig. »Veronika, Veronika, – das habe ich von dir nicht erwartet, nicht geglaubt!«

»Und ich von dir nicht solchen unglaublichen Unsinn!« rief sie mit ihrem hellsten Spatzenlachen. »Und dieser Mensch behauptet, nicht abergläubisch zu sein, behauptet mich zu kennen, mich! Eigentlich müßte ich ja darüber heulen wie ein Kettenhund, wenn's nicht gar so lächerlich wäre! Johannes, Graf von, Eschweiler, Hochgeboren, blamieren Sie sich gefälligst nicht. Erstens haben die Raben vom Sacro Speco nicht Unheil gekrächzt, sondern weil sie mehr von den schönen Fleischresten zu fressen haben wollten; die ihnen die fleischlose Kost des Klosters sonst nicht serviert, und dann – aber nein, du kannst doch nicht einen einigen Augenblick geglaubt haben, da? ich die Perle haben will, um mich damit herauszuputzen! Hab' ich dir denn schon den Eindruck einer habsüchtigen Putzdocke gemacht? Schäme dich was, Johannes! Was du den Fluch der Perle nennst, will ich in Segen verwandeln, darum will ich sie haben. Verkaufen will ich sie, um für den Erlös ein Heim für erholungsbedürftige, arme Stadtkinder zu bauen, und unserm Sohn, deinem Erben, wenn der Himmel uns einen schenken will, einen herrlichen Denkstein damit für seinen Eintritt ins Leben zu stiften. Darf ich die Perle nun haben?«

»Ja, dreimal und mit Freuden ja, weil du mir eine andere Perle von unermeßlichem Wert, dich selbst dafür gibst!« rief er mit einem tiefen Atemzug der Befreiung, wie nach dem Erwachen von einem schrecklichen Alpdrücken aus. Und als er dann beide Perlen gleichzeitig in den Armen hielt, flüsterte er der lebenden leis lachend ins Ohr: »Spatz, deine erste Gardinenpredigt war nicht von Pappe. Zünftig war sie, das muß man schon sagen. Da darf ich mich ja auf die folgenden freuen, wie?«

»Na, und ob!« gab sie zurück, und der durch ihre Spatzenfröhlichkeit nie gestört gewesene eheliche Friede war damit für alle Zeit geschlossen.


 << zurück weiter >>