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Zweites Kapitel

Ungefähr acht Wochen nach Lord Fernhills vorzeitigem Ende befand sich einer der größten und schönsten Dampfer des Norddeutschen Lloyd auf dem Rückwege von Indien. Die Vergnügungsreisenden, welche von Hamburg die interessante Tour mit Rückfahrkarte gemacht, bildeten den Stamm der Passagiere; für die in Indien Zurückgebliebenen waren neue Reisende an Bord gekommen, unter denen einige prunkvoll auftretende indische Magnaten ganz besonders die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Das Hauptkontingent stellten jedoch die Europäer, die sich in ihre respektive Heimat zurückbegaben, und unter diesen fiel, ganz besonders der Damenwelt, ein Passagier der ersten Kajüte auf, der in Colombo an Bord gekommen war. Das Interesse an ihm hielt ja natürlich nur so lange an, bis neue Eindrücke die Reisenden in Anspruch nahmen; immerhin blieb er auch dann nicht unbeachtet, schon weil er durch seine große Zurückhaltung, vulgo ›Ungeselligkeit‹ die Neugierde wach hielt und sich dadurch einen gewissen Nimbus des Geheimnisvollen verschaffte. In der Tat war er auch eine ganz frappante Erscheinung. Durch seine nur mittelgroße, schmächtige Figur wäre er kaum aufgefallen, doch sein blutloses Gesicht mit den tiefliegenden, großen, schwarzen Augen, in denen es wie von verhaltenem Feuer brannte, und dem langwallenden, prächtigen roten Bart war so leicht nicht zu übersehen, und zu diesem männlichen Schmuck trug er das kurzgeschnittene rötlichblonde Haar nach jener Mode in die Stirn gekämmt, die eine Mitreisende Berlinerin sehr bezeichnend ›Dumme-Jungen-Frisur‹ nannte, jedenfalls paßte diese bizarre Haartracht nicht recht zu dem ernsten, fast finstern Gesicht des Fremden, der im übrigen stets mit peinlicher Sorgfalt, meist in weiße Flanellanzüge, gekleidet zu sehen war und in seinen tadellosen Manieren bei Tisch durchaus den wohlerzogenen Mann verriet. Er verhielt sich, wie schon gesagt, sehr zurückhaltend und schweigsam, mischte sich auf Deck nicht unter die übrige Gesellschaft, sondern saß sowohl dort, als auch im Salon abgesondert mit einem Buch und rauchte endlos Zigaretten. Als der Dampfer in Aden Anker warf, beteiligte er sich nicht an dem Ausfluge ans Land, ebensowenig in Massaua, wo mehrere der Reisenden den Dampfer verließen, um über Chartum oder Kassala den Nil zu erreichen und den Strom auf einem der Cookschen Nilboote nach Kairo hinabzufahren. Für die Abgegangenen nahm der Lloyddampfer hingegen Passagiere auf, die den Nil aufwärts gereist waren, und wie alle andern beobachtete auch der Rotbart die Verbringung der neu an Bord Gekommenen mit großem Interesse.

Für die erste Schiffsklasse kam in Massaua nur ein Reisender an Bord, und dieser erschien bei Tisch zum erstenmal in der Gesellschaft. Als neuer Ankömmling erhielt er seinen Platz neben dem des Kapitäns; der Rotbart saß ihm gegenüber und konnte ihn also während der Mahlzeit eingehend betrachten und begutachten. Er war von außergewöhnlicher Körpergröße, die seine aufrechte, stramme Haltung zur größeren Geltung brachte und dem Kundigen leicht den ehemaligen Offizier verriet. Im Alter um die Mitte der dreißiger Jahre stehend, sah er gesund, sonnverbrannt, und ungemein kräftig aus, so recht das Urbild germanischen Reckentums, und war nebenbei, auch ohne gerade schön zu sein, was man einen ›hübschen Kerl‹ nennt; aber eigentlich war sein Gesicht mit dem wohlgepflegten, goldbraunen Schnurrbart mehr rassig als hübsch, weil es Charakter verriet. Er sprach mit dem Kapitän in leicht süddeutsch angedeutetem Dialekt, was seiner Redeweise einen sympathischen Ton verlieh.

»Ich hatte eigentlich ursprünglich noch gar nicht die Absicht, schon heimzureisen«, erklärte er beiläufig dem Kapitän. »Vielmehr wollte ich südlicher ziehen, um mich nach einem Freunde umzusehen, der den sonderbaren Einfall hatte, an der Nordküste von Australien Perlen zu fischen. Aber schließlich habe ich die Globetrotterei doch satt bekommen und hoffe, mein Freund auch seinen Sport; meiner Berechnung nach müßte er nun schon auf der Heimreise sein.«

»Natürlich ein Engländer«, riet der Kapitän schmunzelnd.

»Sehr richtig, ein Engländer«, bestätigte der Fremde lachend. »Ich freue mich, daß Sie einem Deutschen solch' einen Blödsinn gar nicht zutrauen. Allerdings muß ich gestehen, daß ich nicht üble Lust hatte, meinen Freund der Wissenschaft wegen zu begleiten, er hat mir aber mit einer Deutlichkeit abgewinkt, die auch nur ein Engländer so unzweideutig fertig bringt. Vielleicht sind Sie, Herr Kapitän, seiner Jacht begegnet? Es ist ein elegantes, weißgestrichenes, schlankes, aber wetterfestes Fahrzeug, mit einem goldenen Zacken am Bug. Name › The Hawk‹.«

Der Kapitän schüttelte den Kopf.

»Nichts gesehen, wenigstens nicht auf dieser Reise. Erinnere mich aber, die Jacht einmal im Mittelmeer getroffen zu haben. Ihr Freund kann damit doch nicht auf die Perlenfischerei gehen?«

»Natürlich nicht. Lord Fernhill beabsichtigte ein besonders dazu geeignetes Boot zu mieten und die Jacht inzwischen vor Cape York ankern zu lassen. Dort wollte ich ihn eigentlich überfallen, aber, wie gesagt, ich habe plötzlich Sehnsucht nach europäischem Boden bekommen.«

»Hat der Herr etwas ausgerichtet? Ich meine, hat er wirklich Perlen gefunden?« erkundigte sich der Kapitän mit dem latenten Interesse der Höflichkeit.

»Ja, davon habe ich keine Ahnung, denn ich bin ganz ohne Nachricht von ihm. Offen gesagt, bin ich nicht ohne eine gewisse Sorge um den guten Jungen – denn im Grunde ist er noch ein solcher –, weil er nicht gerade zu den Kräftigsten gehört und das Tauchen nicht eben ungefährlich für delikate Konstitutionen ist.«

Die Unterhaltung wendete sich nun anderen Dingen zu, und als das Diner beendet und alle aufgestanden waren, um an Deck oder in den Salon zu gehen, trat der Rotbart an den Kapitän heran, und erkundigte sich nach dem Namen des neuen Passagiers.

»Oh, das ist ein alter Bekannter von mir, wir haben schon manche Reise zusammen gemacht«, erwiderte der Kapitän bereitwillig. »Er heißt Graf Eschweiler. Süddeutsche Familie, wissen Sie, nicht gerade sehr alter Adel, stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert, wo ein süddeutscher Souverän eine hübsche Hofdame zur linken Hand heiratete und ihr den Namen Gräfin Eschweiler nach einem Landgut gab, das er ihr als Morgengabe verehrte. Unter ihrem Enkel wurde auf dem Besitz ein reichhaltiges Kohlenlager gefunden, das der Familie zu großem Reichtum verhalf. Graf Eschweiler war früher Offizier in einem Kavallerieregiment, wurde, da er ein guter Linguist und heller Kopf ist, als Militärattachee zu einer deutschen Botschaft im Ausland abkommandiert, hat sich aber seit ein paar Jahren ins Privatleben zurückgezogen, reist viel, um sich die Welt als ein freier Mann anzusehen, und erweitert dadurch auch entschieden seinen Horizont. Wohl dem, der sich das leisten kann!«

Der Rotbart dankte höflich für die Auskunft und stieg dann hinauf aufs Promenadendeck, wo man sich gruppenweise miteinander unterhielt, Kaffee trank und rauchte.

Graf Eschweiler stand allein und abgesondert an die Reling gelehnt und hörte, eine Zigarre rauchend, ohne sonderliches Interesse dem babylonischen Sprachgewirr der Reisenden zu. Der Rotbart hatte ihn rasch herausgefunden, faßte ihn scharf ins Auge, ging auf ihn zu, drehte wieder um, machte aber gleich darauf kehrt und trat, den Hut abnehmend, an ihn heran.

»Gestatten Sie, mein Herr, daß ich mich Ihnen vorstelle«, sagte er auf Französisch. »Mein Name ist Henri Leclair.«

»Graf Eschweiler«, erwiderte der Angeredete, seinerseits die Kopfbedeckung lüftend, vollendet höflich, aber nicht gerade entgegenkommend.

»Ich muß für die Freiheit, die ich mir nehme, um Entschuldigung bitten«, fuhr Herr Leclair fort. »Nannten Sie nicht vorhin bei Tisch im Gespräch mit dem Kapitän den Namen des Lord Fernhill?«

»Gewiß; kannten Sie meinen Freund?« fragte Eschweiler interessiert.

»Ich kenne ihn nicht«, war die Antwort Leclairs. »In Colombo jedoch hörte ich unter gewissen Umständen von ihm reden. Ein Geschäftsfreund von mir – ich bin Perlenhändler – der an der Nordküste Australiens Einkäufe bei den Perlenfischern machte, nannte den Namen Lord Fernhills, der ja doch an der Spitze der Oberen Zehntausend Englands steht und darum kaum zu überhören war. Und als Sie vorhin bei Tisch diesen Namen nannten –« er hielt zögernd ein, und Eschweiler sagte lächelnd:

»Oh, sollte mein Freund sich durch einen besonderen Fund ausgezeichnet haben?«

»Davon weiß ich nichts, Herr Graf, Lord Fernhill ist aber auf seiner Expedition gestorben.«

»Gestorben –?« wiederholte Eschweiler erschüttert. Und nach einer Pause setzte er leise hinzu: »Herr Leclair, Sie bringen mir da eine sehr schmerzliche, traurige Nachricht. Haben Sie Näheres gehört? Ist Lord Fernhill verunglückt?«

»In gewissem Sinne darf man wohl so sagen«, erwiderte der Rotbart mit teilnehmendem Ton. »Nach den Mitteilungen meines Gewährsmannes scheint es, als ob ein unbedeutender Herzfehler, mit dem Lord Fernhill unter gewöhnlichen Umständen ein Greis werden konnte, sich durch längeres, anhaltendes Tauchen rasch entwickelt hätte und seinem Leben durch einen Herzschlag ein plötzliches Ende machte. In der Geschichte des Tauchergewerbes eine leider nur zu gewöhnliche Erscheinung, Herr Graf.«

»Armer, lieber Freund! Treuer, guter Junge!« sagte Eschweiler bewegt. »Sie verzeihen, Herr Leclair, wenn ich mich zurückziehe – diese Nachricht ist mir sehr nahe gegangen.«

Und den Hut zum Gruß ziehend, ging er stracks in seine Kajüte, aus der er im Laufe des Abends nicht mehr erschien.

Als er am folgenden Morgen am Frühstückstisch wieder mit Herrn Leclair zusammentraf, lud er ihn ein, ihm in seine Kajüte zu folgen.

»Bitte erzählen Sie mir nun, was Sie noch über Lord Fernhill und sein trauriges Ende wissen«, begann er, für Leclair einen der beiden Stühle, die sich in dem kleinen, aber eleganten Raume befanden, herbeitragend. »Es widerstrebt mir, von dem lieben Toten unter allen den fremden, gleichgültigen Menschen zu sprechen. Deutsche Sentimentalität, wenn Sie wollen; aber geht mir nun einmal gegen mein Empfinden.«

Beide Herren nahmen neben dem schmalen Kajütentisch Platz, der mit Schreibmaterialien, Rauchutensilien und allerlei kleinen Reiseeffekten reichlich beladen war, und inmitten dieses noch ungeordneten Wustes stand ein silberner Rahmen mit der Photographie einer Dame in Gesellschaftstoilette. Auf dieses Bild fiel der Blick des Franzosen, als er sich auf seinem Stuhl niederließ. Seine tiefliegenden Augen hefteten sich halb entsetzt, halb hungrig, intensiv auf das schöne Bildnis, auf welches eine energische, kühne Hand quer über die Ecke den Namen ›Margarita‹ geschrieben hatte. ›Margarita‹ – sonst nichts!

Graf Eschweiler folgte dem Blick seines Gegenüber, und mehr erstaunt als befremdet fragte er unwillkürlich:

»Kennen Sie diese Dame?«

»Ich? Nein!« erwiderte Leclair zusammenfahrend. »Ich sehe nur sehr gern schöne Frauenköpfe. Diese Dame hat ungewöhnlich große Augen.«

»Gefährliche Augen«, sagte Eschweiler mit einem Lächeln, das in einem Seufzer endete, und ernst, traurig setzte er hinzu: »Ich fürchte, diese Augen haben meinen jungen Freund in seine gefährliche Expedition gelockt.«

»Ah! War sie – diese Dame, mit Lord Fernhill verlobt?« fragte Leclair, immer noch das Bild ansehend.

»Ich weiß es nicht, will's nicht hoffen – vielmehr, ich glaube es kaum. Wie kommen Sie darauf?« fragte Eschweiler befremdet.

»Durch Ihre eigenen Worte«, versetzte Leclair kühl.

»Ah so –«, machte jener gedehnt. Er ärgerte sich, daß ihm die Zunge vor dem Fremden durchgegangen war. »Nun, lassen wir die Dame, und erzählen Sie mir, was Sie noch über meinen Freund gehört haben.«

»Das täte ich gewiß sehr gern, aber ich weiß selbst nichts weiter, als was ich Ihnen gestern abend schon die Ehre hatte mitzuteilen«, erwiderte Leclair. »Sie begreifen, daß mein Geschäftsfreund, der den Verstorbenen ebensowenig gekannt hat, wie ich, für die Nebenumstände kein besonderes Interesse haben konnte. Es war ja nur der große Name, der sein Interesse erregte, und seine Mitteilung an mich erfolgte nur nebenbei, gesprächsweise, wie man eben solche Sachen erzählt.«

»Ja, natürlich, ich verstehe«, sagte Eschweiler enttäuscht. »Ich habe daran gedacht, in Alexandria an die Verwandten Fernhills ein Beileidstelegramm zu senden; die Meldung des Trauerfalls wird ja wohl der Maat und derzeitige Kapitän der Jacht schon besorgt haben, vielleicht auch der Sekretär Fernhills, der ihn auf seiner Reise begleitete.«

»Das dürfte vermutlich wohl der Fall sein«, pflichtete Leclair bei.

»Nun, es nutzt nichts, Vermutungen anzustellen«, meinte Eschweiler mit einem Seufzer. »Sie haben meinen Freund nicht gekannt, Herr Leclair, und können darum auch nicht wissen, was ich in ihm verloren habe. Sagten Sie nicht gestern, Sie haben in Colombo Perlen gekauft?« fuhr er mit verändertem Ton fort, eigentlich wohl nur, um das auf dem toten Punkt angelangte Gespräch höflicherweise nicht einschlafen zu lassen. »Hatten Sie Gelegenheit, schöne Stücke zu erwerben?«

»Der Markt war im ganzen nicht sonderlich belebt«, sagte Leclair achselzuckend. »Die Perlfischerei soll in der letzten Zeit nicht sehr ergiebig gewesen sein. Immerhin sind die Perlen von Ceylon ihrer Farbe und ihres Feuers wegen selbst in minderen Exemplaren gesuchte Ware. Allerdings ist es mir geglückt, einen Einkauf zu machen, für den aber wohl nur Amerika als Absatzgebiet in Betracht kommen dürfte.«

»Oh – also Perlen von besonders hohem Wert?«

»Nur eine einzige Perle«, berichtete Leclair, seine Stimme zu geheimnisvollem Flüstern dämpfend. »Ein Unikum, darf ich wohl sagen. Ich war so glücklich, dieses wunderbare Exemplar direkt aus der Muschel zu erwerben, ehe sie noch auf dem Markt kommen konnte. Freilich habe ich mir damit ein enormes Risiko aufgebürdet, denn nur ein wirklicher oder ein Dollarkönig wird imstande sein, mir diese Perle abzukaufen.«

»Da machen Sie mich wirklich neugierig«, versicherte Eschweiler interessiert. »Ist Ihre Perle schwarz oder von besonderer Form und Größe? Sie werden natürlich das Naturwunder des ›Südlichen Kreuzes‹ kennen, jene in Kreuzesform in der Muschel zusammengewachsenen zehn Perlen, oder doch davon gehört oder gelesen haben. Ich habe mir die größte Mühe gegeben, diese Seltenheit zu erwerben, aber sie wurde mir sozusagen vor der Nase weggenommen.«

»Meine Perle ist von der tadellosesten, ebenmäßigen Birnenform, in der Größe eines Kiebitzeies, leicht rosig in der Grundfarbe und von unvergleichlichem Feuer«, erwiderte Leclair. »Diese Vorzüge machen ihren Wert fast unschätzbar. Würde es Ihnen Freude machen, sie zu sehen?«

»Gewiß, selbstverständlich«, versicherte Eschweiler.

Dennoch zögerte Leclair noch einen Moment, und seine Augen hingen wieder an dem Bildnis im Silberrahmen.

»Gut«, sagte er dann aufstehend. »Ich gehe, die Perle zu holen, die ich natürlich dem Purser Führer der Kassengeschäfte auf dem Dampfer. zur Aufbewahrung übergeben habe.«

Nachdem er sich entfernt, blieb Eschweiler auf seinem Platze sitzen, und auch seine Augen hafteten auf dem Frauenbildnis mit den übergroßen, dunklen Augen, deren geheimnisvolle Tiefe zu ergründen ihm bei dem Original nicht gelungen war; denn seine Lippen wiederholten auch heut noch die Frage, welche er so lange schon täglich, stündlich an sich selbst richtete: Liebt sie mich? Liebe ich sie –?« Aber die dunklen Augen und sein eignes Herz konnten sich für keine Antwort entscheiden, der kleine, schmale Mund blieb stumm, was ja wohl immer noch besser war, als die Worte, die wohlüberlegt und wohlbehütet über diese kapriziösen Lippen zu gleiten pflegten. –

Herr Henri Leclair kehrte bald mit einem kleinen, sorglich in Seidenpapier gewickelten, verschnürten Päckchen zurück, dem er alsdann einen Gegenstand entnahm, der sofort Eschweilers ganze Aufmerksamkeit erweckte: nämlich einen purpursamtnen, reich mit Gold gestickten Beutel, dessen Muster auf der einen Seite die Umrahmung bildete für den kunstreich in längst verblichenen Farben gestickten Wappenschild der Vereinigten Königreiche von Großbritannien, begleitet von den Initialen › E‹ und › R‹, und der Devise › Semper eadem‹.

Diesen Beutel wollte Leclair an den verblichenen gelbseidenen Schnüren auseinanderziehen, als Eschweiler ausrief:

»Halt! Ehe Sie mir Ihren Schatz zeigen, muß ich Ihnen gestehen, daß Sie mein Sammlergemüt durch den Anblick dieses wunderbaren alten Gegenstandes begeistert haben. Ich habe eine vage Erinnerung, als ob ich irgendwo schon einmal einen ähnlichen Beutel gesehen haben muß. Gestatten Sie mir, ihn näher zu betrachten?«

»Bitte –«, Leclair hatte die Lippen fest zusammengepreßt, und seine Augen bohrten sich förmlich in Eschweilers Gesicht, als dieser, das kleine Prachtstück in der Hand, es mit Kennerblicken musterte. »Ein wohl ziemlich wertloses altes Ding«, setzte er affektiert gleichgültig mit heiserer Stimme hinzu.

»Nun, das kann nur einer sagen, der selbst nicht Sammler ist«, behauptete Eschweiler lachend. »Mit diesem Urteil würden Sie meine ganze Sammlung zur Trödelbude stempeln. Ist der Beutel ein Erbstück?«

Leclair zog sein Taschentuch hervor und trocknete sich damit den Schweiß auf seiner Stirn.

»Eine unerträgliche Hitze das, in diesen Kabinen!« sagte er nervös. Wie meinten Sie? Oh, ob der Beutel ein Erbstück ist? Bewahre – ich habe das Ding mal für ein paar Soldi in – ich glaube, in Venedig zur Aufbewahrung von Saatperlen gekauft. Oder war's in Genua? Es kann auch in Rom gewesen sein – aus Italien stammt er jedenfalls.«

»Wie mag er dahin gekommen sein, mit dem Wappen von England darauf, mit den Initialen und dem Wahlspruch der Königin Elisabeth!« meinte Eschweiler sinnend. »Und für ein paar Soldi haben Sie den Beutel gekauft? Ja, diese Trödler wissen oft selbst nicht, was sie haben. Aber wenn Sie selbst keinen Wert darauf legen, so möchte ich Sie bitten, mir das Ding zu verkaufen.«

»Ich – das heißt – eigentlich brauche ich es selbst. Aber wenn Sie durchaus wollen – Sie können es auch so haben – ich meine ohne Bezahlung. Für mich ist der Beutel wirklich ganz wertlos«, war die hastige, etwas wirre Antwort.

»Nicht doch, Sie müssen mir Ihren Preis dafür nennen; umsonst kann ich ihn nicht annehmen«, protestierte Eschweiler. »Der Beutel ist als Kunstgegenstand an sich nicht ohne Wert, ganz abgesehen davon, daß er wahrscheinlich von historischer Bedeutung ist, was ich mich berechtigt glaube annehmen zu dürfen.«

Leclair dachte einen Augenblick nach.

»Gut denn«, sagte er. »Kaufen Sie mir meine Perle ab, und Sie sollen den Beutel als Zugabe bekommen. Ich bin kein Antiquitätensammler und verstehe nichts von solchem Kram.«

Eschweiler gab ihm den Beutel kopfschüttelnd zurück.

»Ich fürchte, Sie überschätzen meine Mittel. Ich bin leider kein amerikanischer Dollarkönig, sondern nur ein im Vergleich armer deutscher Landjunker. Nun, hoffentlich werden wir auch ohne die Perle noch handelseinig.«

Ohne sich weiter darauf einzulassen, entnahm Leclair nun dem Beutel, dessen gelbseidenes Damastfutter beim Öffnen sichtbar wurde, ein einfaches Pappkästchen, dessen Deckel er mit einer gewissen Feierlichkeit zurückschlug und es dann Eschweiler reichte. Und in dem Kästchen, auf blaugefärbte Watte gebettet, lag eine einzige Perle von fast unwahrscheinlicher Größe, einer tadellos birnenförmigen Form, einem irisierenden Feuer, wie sie ihresgleichen sicherlich nicht hatte, würdig, eine Krone zu schmücken, oder den Hals einer Kaiserin. Eschweiler konnte einen Ausruf der Bewunderung nicht unterdrücken, als er das Juwel des Meeres erblickte.

»Sie haben recht, Herr Leclair, diese Perle dürfte wirklich ein Unikum sein, und so wunderbar schön und makellos ist sie, um einen Dichter zu einem unsterblichen Liede zu begeistern. Nur einer Königin sollten Sie dieses Wunder anbieten, für gewöhnliche Sterbliche wäre es zu schade.«

Leclair zuckte mit den Achseln.

»Wir Händler taxieren unsere Ware nicht nach ihrem poetischen Wert, noch nach idealen Voraussetzungen«, sagte er trocken. »Uns gilt es gleich, ob der Käufer ein König oder ein Prolet ist, solange er den Preis zahlt. Es kann uns auch ganz gleich sein, welche Hand den Kaufpreis auszahlt, ob diese Hand rein ist oder nicht, ob die Ware eine Purpurgeborene schmücken soll oder eine Ballettratte.«

Eschweiler nahm aus einem Etui auf dem Tisch ein Vergrößerungsglas und betrachtete die Perle lange und von allen Seiten.

»Tadellos«, sagte er dann. »Kein Riß, keine Unebenheit, wie von Künstlerhand modelliert. Und zweifellos echt. Bei Ceylon, sagten Sie, wurde diese Perle gefunden?«

»Bei Ceylon«, wiederholte Leclair fest.

»Besitzen Sie die Muschel auch? Das muß ja ein Riesentier gewesen sein – die würde ich gern haben.«

»Im Ramsch mit dem andern Perlmutter verkauft«, erwiderte Leclair gleichgültig.

»Schade«, meinte Eschweiler, und zögernd setzte er hinzu: »Welchen Preis fordern Sie für diese Perle?«

»Zehntausend Pfund«, kam die Antwort so prompt, als hätte Leclair längst auf die Frage gewartet.

»Zehntausend Pfund!« rief Eschweiler. »Das ist eine enorme Summe; zweihunderttausend Mark nach deutschem Gelde.«

»Sehr richtig«, sagte Leclair trocken.

Eschweiler sah mit gerunzelter Stirn vor sich hin.

»Ich bin ein reicher Mann, – aber das wäre selbst für meine Mittel fast Leichtsinn – fast!« dachte er halblaut. »Dennoch – ich lebe so solide, daß ich eigentlich einen Bon auf eine Extravaganz hätte –«

Und nun ward es so still in der Kajüte, daß man eine Fliege darin hätte summen hören, falls solch' liebes Tierchen auf dem Roten Meer zu finden gewesen wäre. Und von der Perle in seiner Hand flog Eschweilers Blick auf das Bild im silbernen Rahmen.

Leclair, der immer noch stand, wartete – wartete. Schwere Tropfen perlten über seine Stirn, und ein brennendes Rot stand in abgezirkelten Flecken auf seinen sonst so farblosen, wachsbleichen Wangen, die flackernden Augen hielt er geflissentlich abgewendet von dem Bilde, und sein Atem ging schwer, als raube ihm die schwüle Stille, die in der Kajüte seiner Empfindung nach brütete, die Lebenslust.

Um nur das Bild nicht ansehen zu müssen, drehte er sich halb um, so daß er das dem Kajütenfenster gegenüberliegende Bett sah, ohne es eigentlich, in seine Gedanken verlieft, zu sehen, und dabei hatte er eine seltsame Vision. Statt des schmalen, aber luxuriös ausgestatteten Bettes des ›State-Rooms‹ erster Schiffsklasse sah er eine Hängematte, und in dieser einen schlafenden, blonden jungen Mann, dessen Wangen noch feucht waren wie von eben vergossenen Tränen, und über den Schläfer beugte sich ein dunkler Mann in weißem Anzug, lauschend, ob das Herz des andern noch schlug. Es war aber Nacht, und der Mann in Weiß hielt eine kleine, elektrische Taschenlampe in der Hand, mit der er dem Schläfer so ins Gesicht leuchtete, daß dieser eine Bewegung machte. Da nickte jener, holte ein kleines, blaues Fläschchen aus der Tasche seines Rockes hervor und goß dessen Inhalt in ein noch halb mit Tee gefülltes Glas, das auf einem Schemel neben der Hängematte stand. Dann weckte er den jungen, blonden Mann, der schlaftrunken emporfuhr, fragte ihn etwas und gab ihm den Tee in dem Glas zu trinken, indem er ihm den Kopf dabei stützte. Da riß der junge Mann die Augen weit auf, große, blaue Augen, und fiel mit dem Kopf auf das Kissen zurück, einen halb erstickten Laut ausstoßend, den der andere nicht mehr vergessen sollte, der ihn verfolgen würde bis zur eigenen letzten Stunde – – Dann warf der Mann in Weiß das Fläschchen und die letzte Neige Tee samt dem Glase durch die Luke der Kajüte hinaus in das Wasser, das so laut rauscht und doch so still und verschwiegen ist, und dann – und dann – –

Mit einem dumpfen Stöhnen sank Henri Leclair auf den Stuhl nieder, neben dem er bisher gestanden, und Eschweiler blickte jetzt von der Betrachtung der Perle in seiner Hand auf.

»Fehlt Ihnen etwas? Kann ich Ihnen vielleicht einen Kognak geben?« fragte er.

»Nein, danke – es ist nur – die Luft ist hier so unerträglich heiß und dumpf«, stammelte Leclair, mit zitternder Hand seine feuchte Stirn trocknend.

»Verzeihen Sie, daß ich Sie hier so lange aufhalte«, rief Eschweiler, indem er den Deckel wieder auf das Schächtelchen mit der Perle drückte. Aber Sie werden mein Zögern gewiß begreifen. Die Perle zu besitzen reizt mich ungemein, indes – der Kaufpreis ist doch kein Butterbrot.«

»Bah!« machte Leclair, wieder ganz gefaßt. »Es ist nicht so arg, wie es im ersten Augenblick scheinen will, wenn man ideellen und reellen Wert unterscheidet. Einen ideellen Wert zum Beispiel hat für Sie der Beutel da, der für mich nichts ist, als ein alter Lumpen, während Sie sofort bereit wären, einen anständigen Preis dafür zu zahlen. Die Perle aber hat die Bedeutung eines reellen Wertes, denn sie ist ein Kapital, das keinen Börsenschwankungen unterworfen ist. Ein totes Kapital, gewiß, ich gebe das zu, aber immerhin so gut wie bares Geld.«

»Darin haben Sie recht«, sagte Eschweiler. »Jeder Schmuck ist schließlich ein totes Kapital, das solange zinslos ruht, bis es zu Gelde gemacht wird. Ich kaufe also diese Perle.«

Damit stand er auf, öffnete seinen Koffer der neben dem Tisch stand, und entnahm ihm ein Scheckbuch, mit dem er sich am Tisch niedersetzte und die Feder in sein Reisetintenfaß tauchte.

»Deutsche Reichsbank«, sagte er zu Leclair gewendet.

»Oh, sehr gut«, erwiderte dieser. »Indes – wenn es möglich wäre – ich habe unterwegs noch Zahlungen zu leisten; darum wäre bares Geld mir sehr angenehm –«

Eschweiler machte große Augen und lächelte.

»Ich glaube nicht, daß jemand auf einer Vergnügungsreise oder auch daheim solch' eine Summe in bar in der Tasche hat«, sagte er ruhig.

»Gewiß nicht – ich vergaß nur im Augenblick, daß Sie kein Geschäftsmann sind«, versicherte Leclair hastig.

»Ist es in Ihrer Branche Geschäftsusus, solche Barsummen flüssig zur Hand zu haben?« fragte Eschweiler sarkastisch, und ohne eine Antwort, die nur durch ein Achselzucken angedeutet wurde, abzuwarten, schrieb er den Scheck und reichte ihn dem Händler, der ihn sorgsam überlas, ihn dann in die Brusttasche steckte und eine Bewegung machte, als ob er sich entfernen wollte.

»Dürfte ich Sie um eine Quittung bemühen?« fragte Eschweiler, befremdet durch diese ungeschäftsmäßige Eile, und Leclair, auf dessen Wangen wieder die zwei roten Flecken brannten, setzte sich mit einem nervösen: »Pardon, ich dachte – ich wollte die Quittung bei mir schreiben« – an den für ihn freigemachten Platz an den Tisch und schrieb auf einen dazu hingelegten Briefbogen eine Empfangsbescheinigung in ziemlich ungeschäftsüblichen Wendungen, die er mit ›Henri Leclair, Paris, Rue St. Honoré 172‹ unterzeichnete, und empfahl sich dann kurz.

Als er allein war, betrachtete Eschweiler die Perle, die nun sein war, noch einmal lange und intensiv, ließ die schlichte Pappschachtel dann in den goldgestickten Beutel gleiten und verpackte diesen in ein Papier, um das kostbare Päckchen dann dem Purser zur Verwahrung zu übergeben.

»Ein klein wenig leichtsinnig war dieser Kauf doch«, reflektierte er mit einem Lächeln, das seine Reue nicht eben glaubhaft machte. »Vielleicht sogar sehr leichtsinnig, denn was soll mir die Perle anders, als mir zum Köder dienen, die lebende Perle, Margarita, zu erringen? Diese hier ist echt genug, aber ist es die andere auch? Wenn ich das wüßte! Was war zwischen ihr und Fernhill, dem armen, reinen Toren? Hat sie ihn ausgezeichnet, um mich zu reizen, oder hat sie mich ausgezeichnet, um ihn zu einer Entscheidung zu drängen, weil seine Familie alles aufgeboten, ihn aus den Fesseln der älteren Frau zu befreien? Ich will versuchen, dahinter zu kommen. Wenn möglich, ohne sie zu sehen; denn eigentlich ist es beschämend, mir selbst einzugestehen, daß ich unter dem Einfluß ihrer wunderbaren Augen blind und taub bin gegen meine besseren Eingebungen. Also habe ich diese Perle gekauft, um einen Köder zu besitzen, zu keinem anderen Zweck, und weiß nicht einmal, ob der Köder den Fang wert ist. Kaum, wenn er wirklich zieht! Was ist der Mensch doch für ein unvernünftiges Geschöpf unter dem Joch einer Leidenschaft, die stärker ist, als er! Gleichviel, hinein in den Wirbel, dann wird man ja sehen, ob er einen in die Höhe trägt, oder – – Ich hätte vielleicht doch reiflicher überlegen sollen, die Perle zu kaufen, aber dieser unsympathische Mensch, dieser Leclair, besitzt ja nicht einmal die notwendige Tugend seines Standes, die Geduld – – womit man ja glücklich einen Prügeljungen für den eigenen Leichtsinn hätte. Und wo, zum Kuckuck, habe ich solch' einen Beutel, seine Dreingabe, schon gesehen? Ich habe ganz sicher schon solch' einen irgendwo gesehen, kann das doch nicht geträumt haben. Etwa in England? In einer Sammlung? Wahrscheinlich wohl – und im übrigen werde ich mir diesen Herrn Leclair hier an Bord lieber vom Leibe halten.«

Das war vielleicht ein ganz guter Vorsatz, aber insofern nur von wenig Wert, als Herr Leclair statt das Schiff, wie er vorgehabt, bis Marseille zu benutzen, bereits in Alexandria mit französischem Abschied von Bord ging und noch gesehen wurde, wie er in den nach Kairo abgehenden Zug stieg.


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