Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Um dem großen Fremdenstrom der Reisezeit auszuweichen, gibt es nur zwei oder drei Mittel: entweder man bleibt daheim – und das war es ja, was Eschweiler eben nicht wollte –, oder man vermeidet die große Heerstraße, treibt sich auf Nebenlinien herum und setzt sich an irgendeinem abgelegenen Ort mit unmöglichen Gasthausverhältnissen fest, oder aber man wirft sich zunächst mit Todesverachtung in den Strom und läßt sich von ihm ans andere Ufer treiben, wo der Baedeker das Reisepublikum durch doppelte Sterne nicht geradezu hinzwingt.

Eschweiler entschloß sich für den letzteren Weg. Er wußte in der Schweiz Orte in so überwältigend großartiger Umgebung, Orte, wo alles menschliche Elend unendlich klein wird angesichts der stillen Größe einer unvergleichlichen Natur, dahin es ihn mächtig zog. Aber schon unterwegs im überfüllten Zug zum Bodensee, auf dem gedrängt vollen Schiff zum Schweizer Ufer, und im Kampf um einen Platz in der Eisenbahn nach Zürich wurde es ihm klar, daß an allen diesen Orten Ruhe und Friede nicht zu finden sein würden, da ihre Namen in aller Munde um ihn herumschwirrten als Reiseziel eines Reisepöbels, dem er gerade ausweichen wollte. Und in Zürich mit starker Verspätung angelangt, verkündeten die Hoteldiener schon auf dem Bahnhof, daß kein Platz mehr für neue Gäste, alles bis unter das Dach besetzt sei. Da gab Eschweiler den aussichtslosen und abhetzenden Kampf um ein Zimmer auf und fuhr eine Stunde später mit der Gotthardbahn weiter, ins Blaue hinein. Wieder gab es da ein arges Gedränge von Reisenden nach Locarno, Lugano, Como, und da fiel Eschweiler die stille verträumte Stadt Pisa ein, für die er immer eine Vorliebe gehabt; denn nicht um die Welt hätte er nach der Riviera gemocht, die nunmehr einer dichten Staubwolke durch die fauchenden und stinkenden Automobile glich, welche auf der wunderbaren Straße am Meer entlang dahinrasen und einem Ruhebedürftigen den Aufenthalt in diesem früher so herrlichen Paradiese verleiden.

Also löste er in Mailand ein Billett nach Pisa, und als der Zug ihn dahintrug, verspürte er plötzlich eine Sehnsucht nach – Siena, hervorgerufen durch ein Plakat mit der Fassade des Domes, das seinem Platz gegenüber über dem Sitz angebracht war. Freilich, nach Siena, der einzig schönen, im blühenden, grünenden Garten von Toskana, kamen die Fremden natürlich auch, aber es waren nur die Erwählten, die dort länger blieben, denn der Durchschnittsreisende hastet sehr bald wieder davon, weil er der Ansicht ist, ›das elende Loch‹ gesehen zu haben, wenn er einen Blick in den Dom und vielleicht noch einen in den von ihm ebenso unverstandenen Palazzo publico geworfen, und dann erklärt, daß man schon am zweiten Tage in Siena vor Langerweile krepieren müsse. Das kann man unzählig oft von Italienreisenden hören, für die alle Steine stumm bleiben, weil sie ihre Sprache nicht hören und verstehen können, das heißt, nichts von ihrer Geschichte wissen; die nur gutes Essen in den Gasthöfen zum Maßstabe ihrer Einschätzung eines Ortes machen, sich überhaupt nicht die Mühe geben, etwas anderes zu sehen, als was ihr Reisehandbuch mit einem Stern bezeichnet, und auch das nicht einmal, ›weil man dann so tun muß, als ob man den Krempel schön fände‹.

Und doch – was Siena dem Kunst-, Geschichts- und Naturfreund bietet, ließe sich in Monaten nicht annähernd bewältigen, was man aber besser vor einer gewissen Sorte von Reisenden nicht laut werden läßt, wenn man sich nicht in den Ruf bringen will, verrückt zu sein, immerhin darf man sich's jedoch zur Ehre rechnen, zu der kleinen Gemeinde derer zu gehören, für die Siena immer ein schöner Traum, eine Fundgrube seltenen Erlebens sein und bleiben wird.

Als Eschweiler durch das Plakat auf Siena verfiel, wunderte er sich, nicht gleich an diese seine stille Liebe gedacht zu haben. Nun, sie lief ihm ja zum Glück nicht davon, und einige Tage, zuvor in Pisa zugebracht, waren durchaus nicht verloren. Aber als sein Zug in der Stadt des schiefen Turmes einlief, hatte ein anderer gerade den Schwarm einer Cookschen Gesellschaftsreise gebracht, und bloß der Gedanke, mit diesem Massenartikel in der hehren Größe des Doms und in der heiligen Stille des Campo Santo zusammenzutreffen, veranlaßte Eschweiler, sich sofort ein Billett nach Siena zu lösen, und mit demselben Zuge unverweilt weiter zu fahren. Dieser Zug ging bis Florenz durch, deshalb mußte er in Empoli umsteigen, und hatte sich's gerade an seinem Fensterplatz bequem gemacht, als in vollem Lauf ein Herr und eine Dame aus dem Bahnhofsgebäude auf den Bahnsteig gerannt kamen und direkt aus die noch offenstehende Tür seines Abteils zustürmen. Der alte, unverkennbar militärisch aussehende Herr mit dem großen, grauen Schnurrbart stieg zuerst ein, gab dann der jungen Dame von oben die Hand und zog sie unter dem gut deutschen Zuruf: »Hoppla, kleener Spatz!« mit einem solch' gutgemeinten, kräftigen Ruck die steilen Trittbretter des alten, nur noch für den Pendelbetrieb verwendeten Eisenbahnwagens herauf, daß das leichte, kleine, schlanke Figürchen Eschweiler rettungslos über die Knie flog und den alten Herrn zum unfreiwilligen Niedersitzen auf dem Boden brachte.

»Aber, meine Herrschaften, warum denn so eilig?« rief Eschweiler lachend, indem er seine süße Last auf dem Sitz neben sich deponierte und dem alten Herrn hilfreiche Hand beim Aufstehen leistete. »Ich glaube nämlich nicht, daß der Zug schon daran denkt, abzufahren. Auf dieser Linie heißt es ›Eile mit Weile‹.«

»Na, warum schreit uns denn der Esel von einem Portier zu: › Partenza e pronta! Fate presto, prestissimoIn freier Übersetzung: Der Zug wird gleich abgehen. Beeilen Sie sich aufs äußerste! und so weiter?« wetterte der alte Herr, seine Kehrseite nach etwaigen Schäden befühlend. »Besten Dank übrigens, mein Herr! – Ja, und wenn Sie nicht der Johannes Eschweiler sind«, unterbrach er sich, »dann will ich nicht Wettenhausen und so weiter heißen!«

»Also, darum hatte ich doch das vage Gefühl ›den Herrn kennst du doch‹, als die Herrschaften über den Bahnsteig stürmten!« rief Eschweiler wirklich erfreut; denn er hatte in dem gastfreien Hause seines ehemaligen Schwadronschefs, des damaligen Rittmeisters von Wettenhausen, viel und gern verkehrt, ihn aber, wie das so geht, aus den Augen verloren, als er, nach dem Tode seines Vaters dessen Gut übernehmend, den Abschied genommen – leider! hatte er seitdem oft gesagt. Sie hatten ihn alle im Regiment gern gehabt, den ›famosen, alten Kaffer Wettenhausen und so weiter‹, wie die lieben Leutnants ihn hinter seinem Rücken genannt, weil er, ob es paßte oder nicht, zur unausrottbaren Gewohnheit hatte, allen seinen Sätzen ein ›und so weiter‹ anzuhängen. Ja, sein Haus war ein gern besuchtes, allzeit gastfreies gewesen, denn da gab's keine langweiligen, steifen ›Kommiß-Pekkos‹, sondern immer harmlos-fröhliche Zusammenkünfte bei sehr einfacher, aber guter Verpflegung, und der unentwegte Frohsinn, der ein Charakteristikum dieser Familie war, wirkte ansteckend, anheimelnd und anziehend, wirkte wie frisches Quellwasser nach den schalen, abgestandenen Getränken, so man ›Geselligkeit‹ nennt.

»Das ist die erste Freude, die ich nach langer Zeit wieder mal habe«, fuhr Eschweiler fort, und zu der ihm im wahren Sinne des Wortes ›in den Schoß gefallenen‹ Dame gewendet, die mit dem Taschentuch vor dem Gesicht krampfhafte Schulterbewegungen machte, als ob sie schluchzte, setzte er unsicher hinzu: »Ihre – Ihre –«

»Natürlich meine Tochter, der Ihnen doch eigentlich noch wohlbekannt sein sollende Spatz und so weiter«, erläuterte der alte Herr und schrie dann die junge Dame an: »Na, warum heulst du denn, Mädel? Haste dir weh getan und so weiter?«

»Ich heule ja gar nicht, Papa«, kam es hinter dem Taschentuch hervor. »Ich muß ja nur so furchtbar über unser Entree lachen! Wie Taps und Kompanie sind wir hier hereingestürzt!« Und nun enthüllte das Taschentuch ein so reizendes, jugendfrisches Mädchengesicht, wie Eschweiler sich nicht erinnerte je eines gesehen zu haben. Dabei war dieses Gesicht durchaus nicht schön im orthodoxen Sinn und Begriff des Wortes, aber dafür von einer Anmut und Lieblichkeit, die viel mehr zum Herzen spricht, als eine statuenhaft-kalte Schönheit. Der süße Mund mit den herrlichen Zähnen war wohl um ein weniges zu groß, die kleine, feine Nase, was der Franzose ›retroussé‹ nennt, konnte keinen Anspruch auf griechische oder römische Form erheben, aber das weiche Oval des Gesichtes mit dem Teint wie Pfirsichblüte, die herzigen Grübchen in den weichen Wangen, die dunkelumrahmten großen, enzianblauen Augen, in denen alle Geister der Schelmerei tanzten, die unter dem einfachen Strohhut hervordrängenden krausen, aschblonden Haare, die in den Schatten den so seltenen stahlblauen Schimmer hatten, ergaben ein Bild von außerordentlichem Liebreiz. Es gab Leute, namentlich weiblichen Geschlechtes, die zugaben, daß Fräulein von Wettenhausen ›recht niedlich‹ sei, das aber war eine ganz falsche Bezeichnung und konnte sich höchstens auf ihre kleine, zierliche Figur anwenden lassen, denn ein ›niedliches Gesicht‹ läßt immer an etwas Puppenhaftes, Unbedeutendes denken – das aber fehlte ihr bei aller Weichheit der Züge gänzlich, weil aus ihren wirklich schönen Augen Verstand sprach, sie manchmal einen Ausdruck hatten, der auf noch schlummernde Energie und Festigkeit schließen ließ.

»Der Spatz!« wiederholte Eschweiler den Übernamen, den die Eltern ihrem einzigen Sprößling in der Kindheit gegeben. »Dasselbe wilde Mädel mit immer verrauftem, langem Zopf, das über Zäune und auf die Obstbäume kletterte, die Treppengeländer hinabrutschte und unter dem Tisch die Gäste ihrer Eltern in die Beine kniff? Das –"

»Na, hören Sie mal, Herr Graf, ist das hübsch, höflich und edel, einem beim ersten Begegnen nach – wie lange ist's denn her? – nach sechs Jahren gleich alle seine Schandtaten vorzuwerfen, beziehungsweise unter die Nase zu reiben?« fiel sie entrüstet und ganz rot im Gesicht ein. »Ich bin überhaupt mit meinen zwanzig Jahren nicht mehr ›der Spatz‹ für Sie, heiße, daß Sie's nur wissen, mit Vornamen Veronika und bekleide die Würde als meines Vaters Hausfrau!«

»Allen Respekt!« versicherte Eschweiler, den Hut abnehmend, wobei ihm einfiel, daß Frau von Wettenhausen ja vor etwa zwei Jahren gestorben war und er seinem ehemaligen Schwadronschef zu dem schweren Verlust kondoliert hatte. »Richtig, Veronika heißen gnädiges Fräulein, und wurden auch so gerufen, wenn der Spatz mal zufällig ruhig auf seiner Stange saß und sich die Federn putzte. Hoffentlich habe ich mir durch diese Reminiszenzen nicht rettungslos Ihr Wohlwollen verscherzt, mit welchem Sie in jenen schönen Tagen meine Huldigungs- beziehungsweise Bestechungsopfer von sauren Drops und süßen Fondants behufs Verschonung von etwaigen sinnigen Streichen gegen meine Person entgegenzunehmen geruhten.«

»Ei, das haben Sie aber fein ausgedrückt«, lachte sie mit allen ihren Grübchen. »Auf die sauren Drops hatte ich wirklich fast vergessen. Sie müssen ja damals ein Vermögen dafür verschwendet haben, wenn ich an die Riesentüten zurückdenke, an deren Inhalt ich mich allemal befressen habe. Über die Epoche der sauren Drops bin ich natürlich längst hinausgewachsen; mein Geschmack hat sich wesentlich geläutert und verfeinert, nicht wahr, Papa?«

»Ja, besonders seit du in Florenz die glasierten Maronen und so weiter entdeckt hast«, bestätigte der Oberst mit stolzem Schmunzeln.

»Ah, die Herrschaften kommen von Florenz?« erkundigte sich Eschweiler mit einem ihm selbst ganz ungewohnten Interesse.

»Ja, Florenz war unsere erste Station auf der Italienreise, zu welcher wir uns auf die Strümpfe gemacht haben und so weiter«, erwiderte Wettenhausen. »Wir wollen nun über Siena nach Rom, Neapel, Palermo, uns dann auf der Rückreise noch da und dort aufhalten und zuletzt über Bologna und Venedig in unser kleines Nest zurück, wohin ich ja, wie Sie wissen, als Kommandeur und so weiter der Xten Ulanen versetzt wurde. Nachdem ich dort ›zum Abschiednehmen just das rechte Wetter‹ angetroffen, bin ich gleich dort wohnen geblieben und so weiter, weil wir auf dem Lande viele Beziehungen zu den Gutsbesitzern und so weiter gefunden hatten, und außerdem Gelegenheit zur Jagd. Na, und wenn man nun schon mal solch' begeisterter Nimrod ist, dann mag man seine schönen Jagdgründe und so weiter nicht gern im Stich lassen und da hingehen, wo man nicht mehr zum Schuß kommt. Da ich's aber wohl dem Spatz da schuldig bin, ihn mal in andere Luft zu bringen und seine Sehnsucht nach dem Lande, wo die Zitronen und so weiter blühn, zu erfüllen, so wollen wir das auch gründlich besorgen und uns bis zum nächsten Sommer herumtreiben. Wodurch ich ja dieses Jahr freilich um die Hasenjagd komme, aber schließlich muß man schon mal ein Opfer bringen. In Florenz waren wir drei Wochen, und weil wir in diesem Neste hier – wie heißt's – oh, Empoli einen mehrstündigen Aufenthalt und so weiter hatten, so preßte mich das Mädel bei der blödsinnigen Hitze und in dem Staube zu einem Gang in die Stadt, um eine berühmte Kirche zu sehen.«

»Die Kollegiatskirche mit ihren kostbaren Kunstschätzen«, fiel Veronika ein mit leuchtenden Augen. »Ich freue mich, daß wir nicht daran vorbeigefahren sind.«

»Was die meisten Reisenden tun«, sagte Eschweiler. »Sie haben sich durch diese seltene Ausnahme einen Ehrentitel erworben.«

»Na ja, es gibt eben verschiedene Ehrentitel; ich selbst habe mich dafür ein babylonisches Rindvieh und so weiter genannt«, erklärte Wettenhausen lachend. »Aber ich habe gefunden, daß ich bildungsfähig bin, und bis ich wieder in meinen vier Pfählen sitze, werde ich vielleicht mit dem Spatz Schritt halten, der sich schon seit Jahr und Tag auf unserer Reise vorbereitet hat. Doch genug von uns! Jetzt möchte ich wissen, wie es Ihnen, lieber Eschweiler, seither gegangen ist, beziehungsweise geht und so weiter.«

»Danke für gütige Nachfrage, Herr Oberst. Ich habe meinen Kohl gebaut, meine Kohlen gefördert und mich zwischendurch zum Globetrotter ausgebildet«, summierte Eschweiler die Zeitspanne von sechs Jahren.

»Ich habe aber doch gehört, daß Sie sich vor nicht allzulanger Zeit verheiratet haben und so weiter«, forschte Wettenhausen.

»Mit einer russischen Fürstin«, ergänzte Veronika.

»Mit der Witwe eines russischen Fürsten«, berichtigte Eschweiler. »Ich habe es vorigen Frühling, weil meine Verlobung und Hochzeit binnen wenigen Wochen stattfanden, verpaßt, Anzeigen an meine Freunde und Bekannten zu schicken, und muß wegen dieser Unterlassung um Entschuldigung bitten.«

»Ihre Frau Gemahlin hat Sie auf dieser Reise nicht begleitet und so weiter?«

»Nein, ich bin allein. Meine Frau hat das Unglück gehabt, das Opfer eines Attentats zu werden, dessen Folgen es ihr zur Zeit noch nicht möglich machen, das Haus zu verlassen«, sagte Eschweiler widerwillig, obwohl er auf diese Frage gefaßt war.

»Lieber Gott, jene Gräfin Eschweiler, die in London mit Vitriol begossen wurde, war doch nicht etwa Ihre Frau?« rief Veronika mit ganz entsetzten Augen.

»Leider ja, gnädiges Fräulein«, mußte Eschweiler nun nolens volens auf ein Thema eingehen, das er lieber vermieden hätte. »Die Zeitung, aus der Sie jedenfalls die traurige Sache erfahren haben, wird wohl auch alle möglichen Ausschmückungen dazu erfunden haben; deshalb möchte ich Ihnen nur sagen, daß das Attentat nicht der Person meiner Frau gegolten hat, sondern einem ihr gehörigen Schmuck, das heißt einer sehr kostbaren Perle, welche den Neid einer anderen dermaßen erregte, daß sie sie zu zerstören wünschte. Daß dabei die Perle heil blieb und meine Frau getroffen wurde, war Zufall, wenn man dieses Wort schon anwenden will. Es ist begreiflich, daß es langer Zeit bedürfen wird, bis die Folgen des angerichteten Schadens, – es wurde die linke Seite des Gesichtes getroffen – soweit wieder überstanden sein werden, daß meine Frau reise- und gesellschaftsfähig sein wird.«

»Das ist ja eine schreckliche Geschichte und so weiter. Mein herzlichstes Beileid zu diesem Unglück«, murmelte Wettenhausen betreten. »Wenn das Zeug wirklich Vitriol war, dann ist es noch ein Wunder, daß nicht schlimmere Folgen eingetreten sind und so weiter.«

»Die besten Ärzte waren so rasch, als nur möglich zur Stelle und konnten das Schlimmste durch ihre Kunst abwenden, aber freilich – –« Eschweiler hielt bedeutungsvoll ein.

»Und da haben Sie Ihre Frau jetzt allein gelassen?« rief Veronika vorwurfsvoll. Die Frage wäre bei einer anderen taktlos gewesen; von ihr spontan ausgesprochen, empfand Eschweiler sie als den Ausdruck eines so tiefen Empfindens, daß sie ihn nicht abstieß, vielmehr warm berührte.

»Ich habe ihr damit einen Gefallen getan«, sagte er schlicht. »Die Menschen und ihre Gefühle in außerordentlichen Lebenslagen sind ja so verschieden voneinander; wenn einer seine Nächststehenden im Unglück braucht, will ein anderer allein bleiben. Unausgesprochen von ihr, denke ich mir, daß meine Frau mich die hoffentlich nur vorübergehende Zerstörung ihrer Schönheit nicht sehen lassen möchte, die vordem sehr bewundert worden ist.«

»Verzeihen Sie mir«, bat Veronika, ihm die Hand reichend, herzlich. »Es war unbedacht von mir, Ihnen einen Vorwurf zu machen, von dem ich nicht wissen konnte, daß er ungerecht war. Es soll mir eine Lehre sein, nicht vorschnell zu urteilen, bevor man die tieferen Ursachen kennt. Es tut mir aufrichtig leid, Ihnen wehe getan zu haben.«

»Bravo, Spatz, so ist's recht, und so weiter«, nickte der Oberst seinem Herzblatt zu, und Eschweiler drückte stumm die ihm ohne Handschuh gereichte kleine, feine, aber charaktervolle Hand. Worauf dann wie auf Verabredung das Thema erledigt war.

Inzwischen hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt und dampfte ohne sonderliche Geschwindigkeit seinem Ziel durch die lachende, blühende toskanische Landschaft zu, deren fruchtbarem Boden jeder Winkel, jeder Erdstreifen für den Anbau von Feldfrüchten und Gemüsen abgerungen ist, vom Fleiß seiner Bewohner ein schönes Zeugnis ablegend. Kleine, saubere Städtchen und Dörfer prangen in reichem Blumenschmuck inmitten schwer tragender Obstbäume, und über der ganzen Landschaft schwebt der Geist ihrer Geschichte, die ja freilich in vergangenen Tagen die Erde mit Blut überreich getränkt hat, und die Hügel krönen teils noch erhaltene, teils zu Ruinen zerfallende Schlösser und Burgen, deren jede Bände reden kann von erschütternden Ereignissen, die sie geschaut, die sich in ihren Mauern abgespielt haben.

Während der zwei Stunden langen Fahrt durch dies blühende Gelände wurde von den Reisenden auch die Wohnungsfrage in Siena erörtert. Wettenhausen war dort eine kleine deutsche Pension empfohlen worden, die sie sich zunächst einmal auf eine etwaige Unterkunft hin ansehen wollten, denn der Oberst hatte ein Haar darin gefunden, ›die Katze im Sack zu kaufen‹. Eschweiler konnte die Auskunft erteilen, daß die Pension in einer engen, dunklen Straße lag, und vertrat die Ansicht, daß man viel freier, nicht an eine vielleicht wenig angenehme Tischgesellschaft gebunden, in einem Hotel großen Stiles sei. Der etwaige höhere Tagespreis wird in einem modern geführten Gasthaus reichlich durch den Komfort aufgewogen, der darin zu finden ist, und berechtigt zur Mitbenutzung all' der Dinge, die der Kulturmensch nur ungern vermißt; vor allem kann man, ohne Aufsehen zu erregen und exklusiv zu erscheinen, seinen Platz bei Tisch so wählen, wo es einem paßt, separat oder an einer allgemeinen Tafel. Der Oberst fand das alles sehr einleuchtend, weil er in Florenz allerlei an seinen Tischnachbarn auszusetzen gehabt, und beschloß, mit seiner Tochter auch in das von Eschweiler empfohlene große Hotel zu gehen, dessen Terrasse den freien Blick über die ›Lizza‹ hat, der schönen, zu weiteren Spaziergängen vergrößerten öffentlichen Promenade mit ihren wohlgehaltenen Anlagen, ausgehend von der mit Statuen eingefaßten Rotunde, auf welche Siena mit Recht stolz ist. Und Eschweiler, dessen Sehnsucht es doch gewesen, ganz allein zu bleiben, freute sich dieses Entschlusses; ja, er bot sich dem alten Herrn und seiner Tochter sogar als Cicerone an, was gern angenommen wurde und von beiden Seiten auch so natürlich war in Anbetracht der engeren Beziehungen zueinander in den vergangenen Tagen beim alten Regiment.

Die Ansichten über die richtige Zahl derer, die sich zu irgend einer Sache, wie die Besichtigung eines Ortes mit seinen Kunstschätzen zusammentun, sind verschieden. Für die Gemütlichkeit solch' einer Gemeinsamkeit verwerfen viele das Dreieck wegen des einen, der zum Beispiel im Wagen immer auf dem Rücksitz Platz nehmen muß; ein englisches Sprichwort meint: ›Two is Company, three is none‹, während Horatius Priscus schon hundert Jahre n. Chr. der Ansicht war: ›Tres faciunt collegium‹. Das bezog sich allerdings nur auf die Spruchfähigkeit eines Gerichtshofes im juristischen Sinne, läßt sich aber auch ganz gut auf private Geselligkeit anwenden, sobald die drei zueinander passen und am gleichen Strang ziehen, das heißt dieselben Interessen haben. Das nahm Eschweiler bei seinem impulsiv gemachten Vorschlag an, indem er meinte, daß es weiter nichts schaden würde, wenn der ehrlich von ihm hochverehrte, famose ›Papa und so weiter‹ gelegentlich mal keine Lust hätte, mitzumachen, dann würde es ihm, Eschweiler, ein wirklich ganz onkelhaftes Vergnügen gewähren, das süße, kleine Mädelchen, den ›Spatz‹ früherer Jahre, herumzuführen. Damit machte er sich nichts vor, was er nicht selbst glaubte; die nette Gastfreundschaft, die er in seinen Leutnantstagen im Wettenhausenschen Hause genossen, verpflichtete ihn in seinen Augen dazu, auch mal die ungewohnte Rolle des Lämmerhirten zu spielen. Eigentlich war ihm der Ausdruck ›Gänsejunge‹ eingefallen, aber der paßte nicht zu den reinen, klaren und klugen enzianblauen Augen, die ihn bei seinem Vorschlag mit solch' dankbarer Harmlosigkeit angesehen.

Nun fuhr der Zug in den fünfzehn Minuten langen Tunnel ein, und Siena war jenseits desselben erreicht. Da der Ort zur Zeit nicht überfüllt, hauptsächlich nur von Engländern besucht war, die ja immer wissen, welches die beste und schönste Zeit für ihre Invasion ist, so fanden die drei vom sogenannten Zufall Zusammengeführten noch gute Unterkunft in dem großen Hotel an der Lizza. Der Nachmittag des schönen, ersten Septembertages hatte seinen Zenith schon überschritten, aber es blieben immerhin noch ein paar Stunden bis zum Pranzo, hier den Engländern zuliebe ›Dinner‹ genannt, und Eschweiler setzte sich nach Besitzergreifung seines Zimmers hinaus auf die noch im vollen Sonnenglanz liegende Terrasse. Dabei blickte er an dem Haus in die Höhe und sah den Oberst, eine dampfende kurze Tabakspfeife im Mund, mit seiner Tochter auf einem der kleinen Balkons des ersten Stockwerkes stehen. Hinaufgrüßend rief er ihnen zu:

»Ist's nicht schön hier? Doch sicher besser, als in der dumpfigen Stube einer kleinen Fremdenpension in einer engen, lärmenden Gasse, nicht? Eigentlich hätte ich noch Lust zu einer ›gita‹ durch die Stadt. Machen die Herrschaften mit?«

»Nee, danke für Obst und Südfrüchte und so weiter, wenigstens für heute«, protestierte Wettenhausen behaglich. »Vor unserer Abreise von Florenz hat der Spatz mich heut morgen noch mal in den Palazzo Pitti geschleift, dann in Empoli bei der Bombenhitze in die Kathedrale gehetzt – jetzt werde ich die Luft hier mal erst durch meinen Tobak und so weiter verbessern. Aber dem Spatz zuckt's natürlich schon wieder in den Füßen. Wenn Sie mein Mädel also mitnehmen wollen, denn man tau!«

»Ich komme!« rief Veronika begeistert hinab, ihrem Vater einen Kuß gebend, und als Eschweiler die Halle des Hotels betrat, flog sie eben schon die Treppe herab mit einem so glückseligen Gesicht, daß es ihn rührte, mit wie wenig man doch solch' einem von des ›Gedankens Blässe‹ noch nicht angekränkelten Kinde eine Freude machen konnte.

»Ich habe Urlaub bis zum Pranzo!« lachte sie atemlos. »Vermutlich will mein Alterchen diese Zeit dazu benutzen, seine heut verlorene Siesta nachzuholen. Sie glauben nicht, Herr Graf, wie er sich mir, meinem Sehens- und Wissensdurst, in Florenz aufgeopfert hat. So unermüdlich war er, als ob er selbst begeistert von allem Geschauten wäre – mir zu Liebe. Und wie gut ist es von Ihnen, mich mitzunehmen«, setzte sie dankbar hinzu.

Eschweiler hätte es nicht über sich gebracht, mit einer banalen Redensart, wie ›ganz auf meiner Seite‹ und dergleichen zu antworten. Das forderten weder die enzianblauen Augen, noch die schlichten Dankesworte heraus. Er sagte nur: »Nun, dann wollen wir den Urlaub auch ordentlich ausnutzen und uns Appetit zum Pranzo holen!« Gerade diese notorische Überflüssigkeit von Komplimenten und Redensarten wirkte auf ihn so köstlich erfrischend nach der Treibhausatmosphäre der Londoner Tage, die plötzlich wie ein abgeschüttelter Alp hinter ihm lagen. Wettenhausen aber hatte seinem Küken einen wohlgemeinten Rat mit auf den Weg gegeben.

»Weißt du was, Spatz«, hatte er gesagt, »wenn Eschweiler, der nebenbei ein grundanständiger Kerl ist, nicht von selbst von seiner Frau und so weiter zu reden anfängt, so wird's besser sein, daß wir dieses Thema lieber nicht berühren. Denn erstens scheint ihm selbst nach dem Unglück, das die Gräfin betroffen hat, nichts daran zu liegen, darüber zu sprechen, weil's ihm wahrscheinlich schmerzlich ist und so weiter, und dann – ich weiß nicht. Ein Gast, der neulich bei den Dingsdas zur Jagd war, erwähnte die Gräfin und machte so'n sonderbares Gesicht dazu, als ob in dem Staate Dänemark da etwas faul sei und so weiter. Ob er nur die Person der Gräfin oder die Ehe Eschweilers gemeint, konnte ich nicht recht verstehen. Na, russische Fürstinnen sind manchmal so'n bißchen – russisch und so weiter! Und nun mach', daß du fortkommst, Spatz.«

Veronika aber, die zu dieser Rede ganz große Augen gemacht hatte, ließ sich's gesagt sein; denn dumm war sie ja nicht, und ein gutes Herz hatte sie auch, das nicht um die Welt jemand wehtun gemocht hätte.

Eschweiler führte seine Schutzbefohlene die lange, ehemalige Via de' Banchi, in Via Cavour umgetaufte zentrale Linie der Stadt entlang, zeigte und nannte ihr die darin befindlichen hervorragendsten Gebäude, Kirchen und Paläste, und freute sich über ihr lebhaftes Interesse daran, das gute Vorstudien unterstützten. Nein, hier brauchte er nicht den ›Gänsejungen‹ zu spielen, nicht einmal den Lämmerhirten; hier fand er Interessengemeinschaft, fruchtbar gemacht durch ein ohne jede Aufdringlichkeit und Ziererei hervortretendes Wissen, das er, ach, bei Margarita vergebens erhofft, gesucht und schmerzlich vermißt hatte. Daß seine Frau klug war, darüber bestand ja kein Zweifel, aber sie war unwissend, und was sie wußte, war nur – Vergoldung, Firnis, der bei näherer Beleuchtung absprang und den toten, wertlosen Grund bloßlegte. Aber hatte er das nicht vorher gewußt? Doch nur vage vermutet, und durch seine Leidenschaft für die fatale Schönheit geblendet, geflissentlich übersehen und überhört! Äußere Schönheit ist ja letzten Endes meist auch nur ein Firnis, nur selten echtes, massives Gold, und nun der Firnis von Margarita vielleicht, wahrscheinlich für immer abgeblättert war, was blieb dann? Ach, und das Leben lag nach menschlicher Berechnung noch so unendlich lang vor ihm und vor ihr, die den Verlust noch viel, viel schwerer tragen würde – –

Langsam dahinschlendernd erreichten sie einen kleinen Platz, und da stand Veronika vor der Fassade des Palazzo Tolomei mit angehaltenem Atem still. Isoliert von beiden Seiten steht das hochragende Stammhaus des berühmten Sieneser Geschlechtes, erbaut im dreizehnten Jahrhundert, da wie ein Wahrzeichen, daran achtlos wohl keiner vorübergeht, der Augen hat, zu sehen. Es freute Eschweiler, daß seine junge Begleiterin über die Läden einer Tabakhandlung und eines Barbiers im Erdgeschoß hinwegsah und nur Augen hatte für die über dem Mezzanin emporragenden zwei Stockwerke mit ihren Reihen von je fünf, durch Säulen geteilten gotischen Spitzbogenfenstern; denn das waren Augen, die nicht ›den einzigen dürren Stecken im Wald‹, sondern das ›erste, blühende Veilchen‹ unter den Dornenhecken erblicken. Mit solchen Augen zu sehen und zu reisen, verleiht Freude und Genuß.

»Ob Dante diesen Palast gekannt haben mag?« fragte sie leise. »Ob aus ihm die arme Pia de' Tolomei hervorgegangen ist, deren ganze, traurige Geschichte der größte Dichter aller Zeiten mit der einzigen Zeile gezeichnet hat:

›Siena mi fe'; disfecemi Maremma.‹

Er sah sie im Purgatorio – aber war sie ohne Schuld?«

»Es läßt sich annehmen, daß Dante diesen Palast gesehen, wahrscheinlich auch in ihm geweilt hat, der 1310 den König Robert d'Anjou von Neapel beherbergte«, sagte Eschweiler. »Pia de' Tolomei, deren trauriges Schicksal Dante so tief ergriffen, dürfte diesen Palast wohl ihr Vaterhaus genannt haben; durch Benvenuto da Imola aber wissen wir Sicheres über sie. Als Tochter des Baldo de' Tolomei wurde sie die Gemahlin des Neldo de' Pannocchieschi, Herren des Schlosses la Pietra in der Maremma, der sie dahin brachte, um sie durch die Malaria zu töten, und als ihm das zu lange ging, stürzte er sie zum Fenster hinaus über die Felsen hinab. Der Grund zu dieser schrecklichen Tat lag nicht in seinem Glauben an ihre Untreue, sondern weil er die schöne und reiche Gräfin Margherita von Fondi heiraten wollte, deren vierter Gatte er wurde, und dieser weibliche Blaubart ließ ihm dann noch einen fünften Gemahl folgen. Ja, die Schönheit, die Macht und das Gold waren von alters her Lockungen, die zu Tod und Verderben verleiteten«, schloß er mit einem Seufzer.

Veronika warf einen scheuen Blick zu ihm empor. Hatte er bei der Schönheit etwa an seine Frau gedacht?

»Nicht heut noch, aber später einmal werde ich Ihnen den Ort zeigen, wo Pia de' Tolomei bestattet liegt«, fuhr Eschweiler fort. »In der Kirche San Francesko, rechts neben der Seitenpforte befindet sich die Grabstätte der Tolomei. Dort ruhen auch die Gebeine der achtzehn Mitglieder dieser illustren Guelfen-Familie, welche von den Feinden ihres Hauses, den Salimbini, verräterisch nach Colle Malameranda gelockt, dort sämtlich niedergemetzelt wurden. Der Haß machte damals gründliche Arbeit. Damals – und auch heut noch. Und nun sehen Sie sich um, die Säule in der Mitte dieses Platzes, auf der das Wappentier der Stadt, die römische Wölfin, steht, stammt noch aus dem Mittelalter; die Kirche San Cristoforo, dem Palast gegenüber, wurde erbaut und stand unter dem Patronat der Tolomei, sie hat in ihrem Innern Grabdenkmäler der Familie, einige schöne, alte Gemälde und ein merkwürdiges, von Leder gearbeitetes Kruzifix aus dem sechzehnten Jahrhundert. Ach ja, Sie werden in Siena viel zu sehen finden!"

Eschweiler führte Veronika dann noch bis zu der imposanten Piazza del Campo, wo alljährlich im Juli die berühmten Pferderennen stattfinden, begrenzt nordöstlich von dem großartigen Stadtpalast mit seinem schlanken und prächtigen Turm, der die ganze Stadt überragte. Er zeigte ihr, dem Palast gegenüber, den großartigen, von Jacopo della Quercia modellierten Brunnen, die Fonte Gaja, und geleitete sie dann auf einem kleinen Umweg im Schatten der ernsten Fassaden gotischer Paläste zurück in das Hotel, wo sie ihrem Vater in heller Begeisterung nicht genug erzählen konnte von den Wundern dieser Stadt, die sie geschaut. Der Oberst hatte wirklich inzwischen eine kleine, verspätete Siesta abgehalten, und war darum nicht nur geneigt, sich mit seinem Spatz zu freuen, sondern auch nach der höchst mangelhaften Collazione auf dem Bahnhof in Empoli einem ausgiebigen und vortrefflichen Pranzo in Siena alle Ehre anzutun, was dann auch in Eschweilers Gesellschaft an einem Separattisch geschah. Das Essen war gut, sehr gut, der Wein, ein feuriger Chianti, ausgezeichnet und als dann noch zum Nachtisch ein Asti spumante den Genüssen die Krone aufsetzte, da strahlte der gute alte Oberst rötlich im Gefilde der Seligen und erklärte feierlich, daß er heut die erste menschenwürdige Mahlzeit in Italien zu sich genommen und daß Eschweiler ihn völlig von der irrigen Auffassung, in kleinen, ruppigen Familienpensionen sein Heil zu suchen, kuriert habe und so weiter.

»Dann freut es mich doppelt, erschienen zu sein, bevor diese irrige Auffassung Wurzeln schlagen konnte«, sagte Eschweiler, der so gut wie nichts getrunken. »Jetzt möchte ich mir aber noch einen Vorschlag erlauben, von der unleugbaren Tatsache ausgehend, daß der reisende Mensch zwar viel zu Fuß zu leisten hat, aber daß eine solche Tätigkeit nicht einmal ein Marathon-Läufer im Training aushält, was noch wesentlich leichter ist, als in Museen hin- und herzutreten und dazu noch Augen und Verstand anzustrengen –«

»Sehr richtig und so weiter«, warf Wettenhausen dazwischen, und schenkte sich noch ein Glas Asti ein.

»Ihrer Zustimmung sicher, habe ich mir die Sache also so gedacht«, fuhr Eschweiler fort. »Wir widmen die Morgenstunden bis zum Mittag den Museen, Kirchen und Stadtbummeln, den Nachmittag der Schonung unserer Gehwerkzeuge, ohne uns darum zu Hotelschlangen auszubilden, denn die Vormittage sind heiß, die Nachmittage aber von unbeschreiblicher Schönheit. Es ist mir vor dem Pranzo unter Mitwirkung des Portiers gelungen, für die Zeit unseres Hierseins ein Automobil zu mieten, und da dieses ganz vertrauenerweckende Vehikel vier Plätze hat, die ich mit meiner Person beim besten Willen allein nicht ausfüllen kann, so erlaube ich mir den Vorschlag, daß die verehrten Herrschaften sich ihrer bedienen, um Ausflüge in die herrliche Umgebung Sienas zu machen.«

»Ausgezeichnet! Ich finde die Idee glänzend und werde mich hin und wieder mit Vergnügen und zwei Dritteln an den Plätzen beteiligen und so weiter«, versicherte Wettenhausen gut gelaunt.

»Aber nein, Herr Oberst, dann wäre es ja keine Einladung von mir, sondern eine Nötigung«, protestierte Eschweiler lachend. »Ich kann doch nichts dafür, wenn die Heuldroschke vier Sitze hat, auch behaupte ich, daß Sie sich wohler darin fühlen würden, als bei den vom Hotel täglich veranstalteten Gesellschaftsfahrten zusammen mit Krethi und Plethi, die einem ja bloß die ganze Stimmung verderben.«

Unter diesen Gesichtspunkten und nach einigen glänzend widerlegten Einwendungen Wettenhausens in punkto der Finanzierung der besagten ›Heuldroschke‹ wurde die so fein eingefädelte Sache zur allseitigen Befriedigung erledigt, und diese Wandlung in Eschweilers Sehnsucht nach Einsamkeit hatte sich im Laufe eines halben Tages vollzogen. Die Gesellschaft dieser beiden einfachen, vornehmen, von keiner Treibhausluft der sogenannten ›Großen Welt‹ übersättigten Menschen hatte ihm wohlgetan, seine bis zum Reißen gespannten Nerven beruhigt, und es dämmerte ihm, daß ein längerer, ständiger Verkehr mit ihnen ihn soweit gesunden lassen würde, als es noch möglich war. Mutwillig hatte er sich selbst in eine Sphäre verpflanzt, hineindrängen lassen, die seiner Natur im Grunde zuwider war; dieser halbe Tag aber hatte ihn zu der Einsicht gebracht, daß der Verkehr mit solch' gesunden, unverbrauchten und frischen Naturen der Boden war, der seiner eigenen Veranlagung entsprach. Später, im Laufe der kommenden Tage, kam ihm der Gedanke, Wettenhausen und seine Tochter nach Haus Eschweiler einzuladen, wenn Margarita erst soweit geheilt war, sich wieder unter Menschen zu zeigen, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Nein, sie paßten nicht in die Kreise, die Margarita um sich versammeln würde! – Veronika neben Margarita gestellt, das wäre wie wenn eine frisch erblühte Moosrose neben einem vergoldeten Flacon Eeu d'Espagne duften wollte.

Doch dieser Vergleich kam Eschweiler erst später in den Sinn. Vorläufig begannen mit dem Tage, der ihm eingegeben hatte, nach Siena zu fahren, um allein zu sein, köstliche, unvergeßliche Wochen unter einem ungetrübten, glorreichen, blauen Himmel; Wochen, die er sein ›Idyll von Siena‹ nannte.

Am Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück zogen die Drei aus, in der Stadt zu sehen, was sehenswert war. Und was war's nicht? Ob sie nun in der märchenhaften Pracht und Herrlichkeit des wunderbaren Domes Stunden verträumten, die wunderbare Bibliothek des Aeneas Sylvius Piccolomini, der als Papst Pius II. in den Reihen der Unsterblichen stand, bewunderten, im Palazzo Municipale, den großen, monumentalen Kirchen, der Akademie der schönen Künste die ganz eigenartigen Meisterwerke sienesischer Maler längst vergangener Seiten aufsuchten und in sie hineinwuchsen – jeder Morgen brachte ein neues Erleben, an dem auch der Oberst lebhaften Anteil nahm, ohne zu ermüden.

»Es ist doch ganz etwas anderes, wenn man mit einem sieht und so weiter, der einem den Star sticht oder ob man sich erst mühsam in ein Thema einarbeiten muß«, sagte er zufrieden und glücklich, wenn er dann bei einer ausgiebigen und guten Collazione saß und sich dabei auf seine kurze, aber erfrischende Siesta freute. »Der Spatz hat sich ja gut auf unsere Reise vorbereitet, aber schließlich stand er allein und ungeleitet dem Ungewohnten, nie Geschauten und so weiter gegenüber wie der Ochse am Berge, womit ich ihn aber nicht etwa beleidigen will. Es fällt mir nur im Augenblick kein anderer Vergleich ein. Wir werden auf der Rückreise noch einmal in Florenz einkehren, Spatz, damit wir das schon Geschaute mit anderen Augen und so weiter ansehen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß alte Klexer und alte Häuser mich alten Kunstbarbaren und so weiter noch mal klein kriegen würden, was nebenbei auch kaum geschehen wäre, wenn wir in einer popligen Fremdenpension wohnten, an einem nur alle Sonntage frisch gedeckten Tisch mit Stahlgabeln undefinierbare Gerichte fressen und niederträchtigen, billigen Surius dazu saufen müßten und so weiter. Mir kann einer vorreden, was er mag: von seiner Umgebung und von seinem Futter hängt nicht nur des Menschen Behagen ab, sondern auch seine Fähigkeit zur Aufnahme von Kunstgenüssen und so weiter.«

Das war ja drastisch und durchaus nicht ›ästhetisch‹ ausgedrückt, aber hatte der alte, brave Oberst so unrecht damit? Und wenn er schließlich auch fand, daß man in einem erstklassigen Hotel billiger wohnt, als in einer Gaststätte mit anscheinend niedrigen Preisen, zu denen sich ›Extra's‹ ohne Ende summieren, weil man in jenem ja nicht gerade nötig hat, die Fürstenzimmer zu begehen, trotzdem aber teil hat an allen Vorteilen des großen Betriebes, wie täglich frische Tischwäsche, Personenaufzug, Lese-, Rauch- und Gesellschaftsräumen, schön servierten, gut gekochten Mahlzeiten – weil man doch nun einmal zuerst mit den Augen ißt – so hatte er wiederum unstreitbar recht damit.

Der zweite Teil des Tages wurde dann den Ausflügen gewidmet, die durch das von Eschweiler ein für allemal gemietete Automobil nicht nur Zeit ersparten, was in Anbetracht der nun schon kürzer werdenden Tage sicher auch ein Vorteil war, sondern auch in aller Bequemlichkeit nur wenig ermüdeten; für den alten Herrn eine große Erleichterung. Eschweiler führte seine Freunde – denn das wurden sie ihm täglich mehr und mehr – ohne Panne oder sonstige störende Zwischenfälle in der herrlichen landschaftlichen Umgebung von Siena an alle die Orte, von denen er annehmen durfte, daß sie durch ihre historische und künstlerische Bedeutung das größte Interesse erwecken würden, und täuschte sich in seiner Wahl nicht. Da war vor allem der Ausflug nach Monte Oliveto, der mit Wagen und Pferden hin und zurück zehn Stunden beansprucht, mit dem Automobil jedoch nur knapp drei Stunden braucht. Über die Arbia, von der Dante in seiner ›Hölle‹ (X, 85) berichtet, daß der Fluß nach der furchtbaren Schlacht bei Montaperto 1260, als die Sienesen mit Hilfe des Königs Manfred die Guelfen von Florenz schlugen, rot von Blut dahinfloß – il grande scempio ehe fece l'Arbia colorata in roso –, führt der Weg vorbei unter den sie eng einschließenden Mauern der alten Stadt Buonconvento, die heut noch unverändert als eine Reliquie des Mittelalters erhalten ist, überragt von ihren zwölf zinnengekrönten Türmen; die Stadt, in welcher die Kaiser Barbarossa und Friedrich II. Quartier nahmen. Dann weiter, entgegen den schönen Linien der Bergkette des Monte Amiata, zu dessen Füßen in grandioser Bergeinsamkeit der heiligmäßige Giovanni Tolomei die Abtei der weißen Benediktiner auf einem mit Zypressen und Ölbäumen bepflanzten Hügel, die dem Ort den Namen gaben, erbaute. Das darauf mit Recht stolze Siena hebt eindringlich hervor, daß nur wenige der doch gewiß großartigen Klöster Italiens sich solch' einer ruhmvollen Geschichte, solcher Reichtümer der Kunst rühmen können, wie Monte Oliveto. Es seien von den letzteren nur erwähnt die sechsunddreißig riesigen Fresken in dem imposanten Kreuzgang, auf welchen keine Geringeren, als Luca Signorelli 1497 und Sodoma 1506 die Geschichte des heiligen Benediktus darstellten und damit das Beste ihrer genialen Kunst gaben. Dann die reiche, prächtige Klosterkirche, und endlich die schöne, köstliche Bibliothek, von deren Fenstern man einen herrlichen Blick in das weite Tal, auf den Monte Amiata genießt. Es war eine genußreiche, unvergeßliche Stunde, welche die drei Freunde hier verlebten, und sie hatten dazu noch das Glück, daß ein feingebildeter junger Olivetanerpater, dessen Wiege, wie es sich im Laufe des Gespräches mit ihm herausstellte, in einem der ältesten Feudalpaläste Bolognas gestanden, den Führer spielte.

Ein anderer Tag brachte die Freunde hinaus nach dem malerisch gelegenen, vom heiligen Bernadino von Siena errichteten Kloster della Osservanza auf dem Hügel der Capriola, dessen Kirche wiederum so reich ist an seltenen Kunstwerken, und an einem anderen Nachmittag fuhren sie hinaus durch die Porta Camollia, vorüber an dem interessanten Palazzo dei Diavoli – dem Palaste der Teufel – heut im Privatbesitz einer alten Sieneser Patrizierfamilie –, durch Felder und Auen zwischen Weinbergen und Olivenhainen nach der wunderbaren, noch ganz mittelalterlichen Stadt San Gimignano, die sich, auf einem Hügel gelegen, mit ihren zahlreichen, hochragenden Türmen wie eine phantastische Silhouette vom tiefblauen Himmel abhebt. Die Stadt ist nicht nur stolz auf ihre Kirchen und Paläste, sondern auch auf ihre kleine Heilige, Fina, die Schutzpatronin des Domes, der ihre prächtige Grabstätte birgt; sie ist stolz darauf, daß Dante in ihren Mauern geweilt als Gesandter der Stadt Florenz, welches Ereignis durch eine monumentale Tafel im Palazzo Municipale der Nachwelt aufbewahrt worden ist, – stolz ist sie endlich auf die wunderbare Fernsicht, die man vom Turm des letztgenannten Palastes genießt Abgesehen von diesen und anderen Sehenswürdigkeiten, deren San Gimminiano sich erfreut, stellte der Oberst von Wettenhausen auch mit Befriedigung fest, daß diese durch Lage, Bauart und Geschichte einzig dastehende Stadt mit Recht den Ruf genießt, den besten Wein Italiens zu führen.

Einen weiteren Nachmittag widmeten die Freunde dann dem Besuch des Monastero di Santa Eugenia. Auf dem Hinweg verließen sie Siena durch das schöne Stadttor San Biene, und kehrten nach Besichtigung des ehemaligen jetzt in Privatbesitz befindlichen Benediktinerklosters, vorbei an Landhäusern, umgeben von schattigen Parks und blühenden Gärten, zurück über die berühmte Fonte Branda, unter deren drei gotischen, gedeckten Bogen eine kristallklare Quelle seit undenklichen Zeiten, schon im Jahre 1081 genannt, unablässig ihre reichen Wasser spendet. Einzig ist von dieser Stelle aus der Blick auf die hoch über ihr liegende, wie eine Festung wirkende Kirche San Domenico einerseits, und auf die märchenhaft prächtige Fassade des Domes auf dem gegenüberliegenden Hügel. Diesen Blick hat Dante in seiner ›Hölle‹, wohin er die drei von ihm erwähnten Falschmünzer verbannt, unsterblich gemacht:

›Se io vedessi qui l'anima trista
Di Guido, d'Allessandro, e di loro frate,
Per Fonte Branda non darei la vista
‹. Diesen Vers zitierte mir im Vorbeifahren nach dem Monastero mein Droschkenkutscher; ein Beweis, wie tief Italiens größter Dichter in das Volk eingedrungen ist. D. V.

Wohin es Veronika in der Stadt immer wieder hinzog, das war, nach dem Dom, die Casa Benincasa, die Geburts- und Wohnstätte der großen Heiligen, Caterina von Siena, der überragenden Gestalt ihrer Zeit. Die Räume, darin sie geboren ward, lebte und wirkte – sie starb in Rom, wo ihr Andenken noch lebendig ist, im Jahre 1380 –, sind alle zu Kapellen umgewandelt, ihre Geschichte von Künstlerhand in Fresken an den Wänden dargestellt, und das ganze, etwas düstere Haus ist erfüllt von dem Geiste der großen Frau und Heiligen, der wundersam darin zu einem spricht. In der mächtigen Kirche San Domenico kann man ihr bis auf geringe Schäden noch gut erhaltenes Haupt, Sienas kostbarste Reliquie, sehen und sich gut danach ihre feinen, durchgeistigten Züge rekonstruieren; die in dieser Kapelle befindlichen, viel bewunderten Fresken des Sodoma, Szenen aus dem Leben der Heiligen darstellend, werden nicht die Begeisterung aller erregen können; an das lebenswahre Bildnis, al fresco von ihrem Schüler, dem Maler Andrea Vanni, der sie nach der Natur an die Wand des kleinen Gemaches neben der Kirche malte, reichen sie entschieden nicht heran.

Und so verstrichen den drei Freunden die paar Wochen in Siena ganz ungetrübt durch etwaige Zwischenfälle, Mißverständnisse, oder was sonst, wenn auch nur vorübergehend, entfremden oder die Laune verschlechtern kann, und Eschweiler hatte darum auch ganz recht, diese Wochen sein Sieneser Idyll zu nennen. Die Sonne dieser Tage ging zweifellos von Veronika Wettenhausen aus. Ihr gleichmäßiger, keiner Schwankung unterworfener, von Herzen kommender Frohsinn, ihr herziges Kinderlachen, ihr schöner, warmer Ernst, wo er am Platze war, hätten eine Trübung im gegenseitigen Verkehr nicht aufkommen lassen; nie erlahmte ihr Interesse, nie kam ein scharfes oder absprechendes Wort über ihre Lippen, etwaige Unbequemlichkeiten oder eine natürliche Müdigkeit lachte sie einfach hinweg, und war dabei doch niemals töricht oder kindisch – das letztere im Sinne der Dummheit gemeint, wenn ihre fröhliche Jugend gewiß auch gern und immer zur rechten Zeit den Spruch des Horaz huldigte: Dulce est desipere in loco. Süß ist es, bei rechter Gelegenheit sich einmal auszutollen.

Unter dieser Sonne taute Eschweiler ganz auf, er fühlte sich selbst wieder jung werden, was er ja den Jahren nach auch noch war, nur daß ein Reif darauf gefallen. Aber keine Rose ist ohne Dorn, und der war für ihn seine erwachende Liebe für Veronika. Ihm ging damit ein neues, ungekanntes und darum ja auch bisher nicht vermißtes Leben auf. Es war jedoch keine begehrende Leidenschaft, wie sie ihn für seine Frau, für Margarita Karabugas, erfaßt, sondern ein tiefes, heiliges und heiligendes Gefühl, begleitet von ehrfurchtsvoller, pflichtgetreuer Entsagung. Wohl stach der Dorn tief in seine Seele ein, aber er hätte es als eine Entweihung betrachtet, wenn er auch nur durch einen Blick, ein unbedachtes Wort verraten hätte, was in ihm vorging – sein Heiligtum, das er in Veronika sah und verehrte, auch nur durch einen Hauch zu trüben, hätte er sich selbst nie vergeben. Dabei dachte er nicht daran zu fliehen, sich durch irgendeine Ausrede dem täglich, stündlich wachsenden Einfluß der lieben, klaren, enzianblauen Augen zu entgehen, weil er sich unter ihrem Blick besser werden fühlte. Daran eben erkannte er die Echtheit seiner Gefühle und den goldreinen Wert dieser Mädchens, dessen Nähe ihn trotz aller Aussichtslosigkeit glücklich und sich selbst in seiner eigenen Achtung steigern machte.

An Margarita hatte er jeden andern Tag geschrieben, das heißt, sich auf einer Ansichtskarte nach ihrem Befinden erkundigt, nie aber eine Antwort erhalten. Er hatte ihr auch mitgeteilt, daß er alte Freunde, seinen ehemaligen Schwadronschef und dessen Tochter, unterwegs getroffen und sich ihnen angeschlossen hatte, mit ihnen im nämlichen Hotel wohnte, was Margarita jedenfalls gar nicht interessierte, von ihm aber absichtlich erwähnt wurde, denn er kannte die böse Welt und ihre Wege. Es brauchte ihn nur irgendein flüchtiger Bekannter mit Wettenhausens oder gar mit Veronika allein zu sehen – denn der Teufel führt einem ja immer die unrechte Menschenart in den Weg –, und es war Gift darauf zu nehmen, daß der harmlose Umstand, verbrämt mit allerlei schnöden Bemerkungen, in die liebe deutsche Heimat ausposaunt wurde. Für seine Person wäre Eschweiler das höchst gleichgültig gewesen, aber Veronika war ihm zu schade dazu.

Als die dritte Woche seines Aufenthaltes in Siena anbrach, kam er eines Abends von einem gemeinsamen, köstlichen Ausflug nach Montepulciano zurück, der Stadt der herrlichsten Lage und der schönsten alten Paläste, der heiligen Dominikanerin Agnes, auf deren Fußspuren Lilien entsprossen, und des Geburtsortes des Angelo Poliziano, dessen elegante lateinische Verse Lorenzo den Prächtigen und seinen Hof in Florenz so beredt feiern. Es war wieder ein schöner Nachmittag gewesen, in der reinen, klaren, wie Champagner prickelnden und belebenden toskanischen Luft, und der liebgewordenen Gesellschaft der Weggenossen, denn auch den guten ›Papa und so weiter‹ schloß Eschweiler ein, ohne sich damit selbst etwas vorzulügen.

Sie kamen gerade noch früh genug zurück, sich zum Pranzo zurechtzumachen, darum steckte Eschweiler den einzigen Brief, den ihm die Post gebracht, ungelesen in die Tasche; er sah nur, daß die Adresse mit der Schreibmaschine getypt, auf der heimatlichen Post umadressiert war und eine französische Briefmarke trug. Auf den Inhalt des Schreibens war er gar nicht neugierig; es enthielt vielleicht nur irgendeine Geschäftsempfehlung oder eine der gesalzenen und gepfefferten Rechnungen des großen Pariser Kleiderkünstlers, bei dem Margarita ihre Roben ›creieren‹ ließ.

Eschweiler war, wie gesagt, gar nicht neugierig auf den Inhalt des erhaltenen Briefes; merkwürdigerweise aber fing er ihn an zu brennen, als er ihn in seiner Brusttasche hatte, und bis er die Tür erreicht, um sich in den Speisesaal hinabzubegeben, hatte er ihn schon wieder in der Hand, besah sich ihn unschlüssig von beiden Seiten, ging an den Schreibtisch damit zurück und schnitt ihn auf. Das Quartblatt, das er aus dem Umschlag zog, war gleichfalls mit Maschinenschrift, aber in deutscher Sprache beschrieben und trug die Unterschrift ›Henri Leclair‹ vor welcher mit Tinte in Klammern das ominöse Wort › alias‹ gesetzt war. Nun, dieses unumwundene Bekenntnis, daß der Name des Schreibers nur ein angenommener war, entlockte Eschweiler einen leisen Pfiff und machte ihn jetzt wirklich neugierig auf den Inhalt des Briefes, der folgenden Wortlaut hatte:

 

»Herr Graf!

Sie haben mir an Bord des Dampfers ›Kaiserin‹ vor einigen Monaten eine seltene echte Perle abgekauft und sie für eine unechte eingetauscht. Mir ahnte das schon, als ich in Ihrer Kabine das Bildnis einer Dame mit der Unterschrift ›Margarita‹ in einem silbernen Rahmen stehen sah. Diese Dame ist nämlich für Perlen und – Gold käuflich. Sie ist aber weder die Witwe des alten Scheusals Karabugas, noch auch jetzt Ihre Gemahlin, weil der Mann, mit dem sie rechtmäßig verheiratet ist und den sie um schnödes Geld verlassen hat, ohne von ihm geschieden zu sein, noch am Leben ist. Das Kirchenregister der Hauptkirche zu Warschau wird Ihnen sagen können, mit wem Margarethe Mehlhorn, alias Margarita von Wrczowska, vor genau acht Jahren daselbst getraut worden ist.

Es scheint und ist wohl auch kaum ein Fehlschluß, daß die als Gräfin Eschweiler ein ehrsames Scheindasein geführt habende Abenteuerin nach einer gewissen Aufführung der ›Traviata‹ in der großen Oper in London, die sie mit Ihnen noch während der Ouvertüre wieder verließ, es vermieden hat, sich an den zwei folgenden Tagen auf der Straße zu zeigen, weil sie sehr mit Recht fürchtete, daß der rächende Arm der Gerechtigkeit, den sie in einer Parkettloge, der Ihrigen im ersten Rang gegenüber, als denjenigen erkannte, dem sie so lange entgangen war, sie nun erreichen würde. In der Tat blieb infolge dieser Vorsichtsmaßregel die ihr zugedachte Kugel im Lauf und wird dort auch bleiben; denn die unmittelbar folgende Zerstörung ihrer Schönheit durch die Herzogin von Strawberry ist eine Strafe, an der sie ihr ganzes Leben zu tragen haben wird, und ganz erheblich schwerer und grausamer als die immerhin noch barmherzige der Kugel.

Es ist anzunehmen, daß Sie, Herr Graf, nach der Feststellung der Wahrheit dieser Zeilen, reines Haus bei sich machen werden. Vergessen Sie dabei nicht, auch das Schandweib, das unter dem Namen einer Frau zur Mühle als Spionin und zur Aufsicht Ihrer soit-disant Gemahlin angehängt wurde, zum Teufel zu jagen. Diese ehemalige Zuchthäuslerin, die ihrer großen Begabung wegen für allerlei unsaubere Arbeit von der russischen Regierung für die niedere Jagd nach Informationen verwendet wird, soll nämlich aufpassen, ob die ›Gräfin Eschweiler‹ nicht auf eigene Faust oder in fremdem Auftrag als politische Agentin weiterarbeitet, wovon jene ahnungslos ist.

( alias) Henri Leclair.

P. S. Geben Sie sich keine Mühe, mich zu ermitteln. Der Rotbart ist längst Über alle Berge, wenn Sie diese Zeilen erhalten, und da er mit allen Hunden gehetzt ist, wird er schon Sorge tragen, daß ihn auch der schlaueste Detektiv nicht findet.«

 

Eschweiler, der stehend diesen Brief gelesen, mußte sich danach niedersetzen, denn er war wie vom Donner gerührt und versuchte zunächst, seine Gedanken zu sammeln. Das Schreiben konnte von A bis Z erlogen, nichts als ein ganz gemeiner Racheakt, aber auch ebensogut Wahrheit sein, oder doch ein Körnchen davon enthalten. Und bei diesem Gedanken durchfuhr es Eschweiler wie ein Blitzstrahl: »Wenn dem so ist, wie dieser › alias‹ behauptet, dann – ja, dann bin ich frei – –!« Und gleich darauf folgte die niederschmetternde Erwägung: »Großer Gott, welch' ein Schandfleck auf meinem reinen, ehrlichen Namen, wenn der Mensch die Wahrheit gesagt hat!« Und damit fiel ihm ein, woran er kaum je wieder gedacht: Die Ohnmacht Margaritas, als er ihr im Theater den Mann gezeigt, der ihm die Perle verkauft, die Ohnmacht, die er auf ihre durch das aufreibende Gesellschaftsleben der Londoner ›Season‹ zerrütteten Nerven geschoben. Dann ihr hartnäckiger Widerstand gegen eine Ausfahrt bei Tage, der Ausdruck von Furcht, den er dabei in ihren Augen entdeckt zu haben glaubte – –

Eine zugeschlagene Tür ließ ihn zusammenfahren und brachte ihm zum Bewußtsein, daß die Zeit verging und Wettenhausens ihn drunten bei Tisch vermissen würden. Das wollte er nicht, das durfte nicht sein, das litt seine gewohnte Selbstbeherrschung nicht. Mit einem tiefen Seufzer steckte er den ominösen Brief zu sich und ging hinab in den Speisesaal, aber er war doch noch so benommen, daß er, seinen Platz einnehmend und eine kurze Entschuldigung wegen Zuspätkommens stammeln, gar nicht bemerkte, daß der Pranzo schon bis zum Braten vorgeschritten war. Die ihm nachservierte Suppe hastig und ohne zu wissen, was er aß, auslöffelnd, suchte er nach einem Gemeinplatz zur Unterhaltung, als der Oberst ihn mit gutmütiger Neckerei fragte:

»Na, lieber Graf, Sie haben sich wohl nach unserer langen Fahrt ein kleines Nickerchen genehmigt und so weiter, was?«

»Nein – Sie haben eine schlechte Nachricht erhalten«, fiel Veronika mit der Hellsichtigkeit der Liebe ein.

Dieser herzliche teilnehmende Ton, der ihn so warm berührte, brachte Eschweiler vollends zu sich.

»Sie haben es erraten, Fräulein Veronika«, sagte er aufatmend. »Und dabei weiß ich noch gar nicht, ob diese Nachricht wirklich schlecht beziehungsweise wahr oder nur erstunken und erlogen ist.«

»Dann sollten Sie sich davon auch nicht ins Bockshorn jagen lassen und so weiter, bis Sie's genau wissen«, meinte Wettenhausen. »Nur kaltes Blut behalten bei solchen zweifelhaften Nachrichten, die vielleicht ein Gramm Wahrheit enthalten, während die 499, die das Pfund vollmachen, nichts sind als Häcksel, der kein Lot wiegt und so weiter. Ich wenigstens habe mir diese Praxis längst zur Norm gemacht.«

Die guten, ehrlichen Augen, mit denen der Oberst Eschweiler dabei ansah, gaben diesem einen Gedanken ein. Wie, wenn er diesen Ehrenmann um Rat fragte? Freilich, brauchte er eigentlich einen Rat? Weniger das, als das plötzlich in ihm erwachte Bedürfnis, das mannhafte Wort einer teilnehmenden Freundesseele zu hören. In jedem Menschenleben gibt es ja Stunden, in denen man meint, eine sehr schwere Last allein nicht mehr tragen zu können, in denen der Einsame sich nach einem Helfer in der Not sehnt und man die Verantwortung für das eigene Tun und Handeln nicht allein auf sich nehmen möchte. Damit kehrt die Seele zur Ursprünglichkeit der Kindheit zurück – ein Beweis, daß der Unabhängigste oder der's geglaubt hat zu sein, in gewissen Lebenslagen hinübergreift zu der relativen Abhängigkeit von der Teilnahme der Mitgeschöpfe.

»Sie haben schon an eine rasche Abreise gedacht?« fragte Veronika leise.

»Das war in der Tat mein erster Gedanke«, gab Eschweiler zu. »Nun ja, der Engel mit dem feurigen Schwert steht immer an der Pforte eines jeden Paradieses, um einen auszuweisen – aber ich weiß doch nicht – die Nacht ist ja schon angebrochen, in der man sich's beschlafen kann –«

Vater und Tochter Wettenhausen waren taktvolle Menschen. Nach beendeter Mahlzeit behauptete Veronika, heut zu müde zu sein, um bei dem schönen Abend noch auf der Terrasse zu sitzen, um dem hübschen Sängerquartett zu lauschen, das mit vielem Tremolo, aber guten Stimmen italienische Volkslieder – inklusive der unvermeidlichen ›Funiculi, Funicula‹ – zum besten gab. Auch der Oberst erinnerte sich, noch einen notwendigen Brief schreiben zu müssen, und gab Eschweiler damit Gelegenheit, sich auch zurückzuziehen.

Er war ihnen dankbar dafür, denn er mußte nun mit sich selbst und den nächsten Schritten, die er zu tun hatte, ins reine kommen. Gesetzt, es war reine Wahrheit, was der › alias Henri Leclair‹ geschrieben, so blieb ja natürlich nur eines übrig: Trennung von Margarita. Und darauf mußte dann der unvermeidliche öffentliche Skandal folgen, der ihm vielleicht die einzige Tür verschloß, in die einzutreten ihm noch lag – – Vielleicht, oder – oder am Ende doch nicht?

Darüber mußte er Gewißheit haben – nicht erst dann für den Fall, daß der Brief die Wahrheit enthielt, sondern gleich, um offen und ehrlich dazustehen.

Bei dem Oberst anklopfend, fand er diesen in einem bequemen Lehnstuhl, eine riesige Hornbrille auf der Spitze seiner durchaus nicht klassischen Nase, herzbrechend über einem Buch gähnend, das er sich aus der Bibliothek des Hotels entliehen.

»Sie sind's, lieber Graf? Herzlich willkommen! Sie kommen gerade zurecht, mich von einer drohenden Maulsperre zu erretten und so weiter«, rief er Eschweiler entgegen. »Nehmen Sie Platz, und stecken Sie sich eine von diesen niederträchtigen italienischen Regie-Zigarren ins Gesicht, und so weiter.«

»Danke, Herr Oberst! Ich komme so spät noch in eigener Angelegenheit zu Ihnen, aber Sie erwarten vielleicht noch Ihr Fräulein Tochter –?«

»Nein, der Spatz war so vernünftig, schlafen zu gehen und so weiter«, erwiderte Wettenhausen. »War auch eben daran, diesem guten Beispiel zu folgen, woran mich nur das Beharrungsvermögen alias Faulheit bisher verhinderte. In eigenen Angelegenheiten kommen Sie? Wenn Sie mich etwa noch zu einem Bummel und so weiter verlocken wollen – ich streike!«

»Nein, Herr Oberst; die Lust zum Nachtbummeln, wofür die Neigung mir ohnehin schon längst abhanden gekommen ist, wäre mir auch ohnehin heut gründlich verleidet«, versicherte Eschweiler. »Ich erlaubte mir, bei Ihnen vorzusprechen, um Ihren Rat in einer persönlichen Angelegenheit vertraulich zu erbitten. Als ich noch Ihr Schwadronsoffizier war, haben Sie mir so viele Beweise Ihrer Güte gegeben, sich mir immer als ein väterlicher Freund erwiesen. Wenn Sie mich dessen heut noch für würdig halten, nachdem Sie mich während einiger Wochen täglich sozusagen unter den Augen hatten – darf ich dann sprechen?«

»Ja, lieber Eschweiler, das dürfen Sie ohne Einschränkung und so weiter«, sagte der Oberst herzlich. »Ich kenne einen anständigen Kerl, wenn ich ihn sehe. Also schießen Sie nur ruhig los.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Eschweiler einfach. Dann zog er den Brief des alias Leclair hervor und reichte ihn dem Oberst. »Bitte, wollen Sie zunächst dieses Schreiben lesen, dessen ich vorhin bei Tisch erwähnte und das mich, wie ich gestehe, aus der Ordnung gebracht hat.«

Wettenhausen setzte sich erst umständlich die Brille wieder auf die Nasenspitze und las dann den Brief bis zum Schluß, sah Eschweiler entschieden verdutzt an, las den Brief noch einmal und sagte dann langsam:

»Donnerwetter noch mal! Daß dieser Wisch Sie aus der Reihe gebracht hat und so weiter, ist sehr begreiflich. Hm – sagten Sie nicht vorhin bei Tisch, daß Sie nicht wüßten, ob, was hier steht, wahr oder erlogen ist? Von einer Erpressung des Schreibers und so weiter ist nicht die Rede; welches Interesse hat der Mensch dann daran – ah, ich verstehe; das Interesse ist Rachsucht an Ihrer Frau Gemahlin, was zu dem Schluß verleiten könnte, daß er selbst derjenige ist, den sie verlassen haben soll.« »So ist es. Schwer zu erraten ist es leider nicht«, nickte Eschweiler heiser.

»Na, nun man sachte mit die jungen Pferde!« rief der Oberst lebhaft. »Zunächst: Wo haben Sie Ihre Frau geheiratet? In England und so weiter, wo die Leute nur zum Registrar oder zum Parson zu laufen und anzugeben brauchen, daß sie soundso heißen, eine bestimmte Zeit im Lande gelebt haben, und dann gegen Erlegung der Sporteln ohne weiteres getraut werden und so weiter.«

»Nein. Ich bin mit meiner Frau standesamtlich und kirchlich in Baden-Baden getraut worden.«

»Na, sehen Sie, daran haben Sie in der ersten Aufregung gewiß gar nicht gedacht, daß damit auch die Anklage einer zweimal durch Ihre Frau verübten Bigamie zusammenfällt und so weiter!« rief Wettenhausen triumphierend. »Bei uns zu Lande muß man sich genau über seine Person und so weiter ausweisen, wenn man sich verheiratet und so weiter. Sie hatten der staatlichen wie der kirchlichen Behörde Personalpapiere vorzulegen –?«

»Gewiß, Herr Oberst. Ich habe den Taufschein meiner Frau, ihre Trauungsurkunde mit dem Fürsten Karabugas und dessen Totenschein vorgelegt, Dokumente, die sie mir übergeben –«

»Na also! Damit ist doch so gut wie bewiesen, daß dieser alias Leclair gelogen hat und so weiter. Aber, zum Kuckuck, da er anscheinend doch nichts von Ihnen erpressen will, was ist dann sein Zweck? Nur um Unfrieden zu säen?«

»Lesen Sie den Brief noch einmal durch, Herr Oberst, namentlich die letzten Zeilen vor der Unterschrift.«

Wettenhausen stutzte, las dann noch einmal den Bogen in der Hand und sah bei den letzten Zeilen fragend auf. Eschweiler nickte.

»Ja«, sagte er, »hier hat der Mann die Wahrheit gesprochen; meine Frau war tatsächlich eine von der russischen Regierung angestellte politische Agentin. Aber das habe ich natürlich erst erfahren, als ich schon mit ihr verheiratet war.«

Der Oberst stieß einen Pfiff aus.

»Schockschwerenot«, macht er. »Daß dich – – und was folgern Sie daraus?«

»Daß die russische Regierung selbst nichts von einer ersten Ehe meiner Frau wußte, als man sie, um ihr einen Namen und eine Stellung zu geben, mit dem alten Fürsten Karabugas verheiratete, dem dafür seine Schulden bezahlt wurden. Der Taufschein meiner Frau lautet auf den Namen Margarita Wrczowska, Tochter des Schlachtschitz und Natschalnik Wrczowski und seiner Gemahlin Jadwiga, geborenen Gräfin Kalicz. Der Schreiber dieses bezeichnet diesen Namen aber als ein › alias‹ und nennt sie Margarethe Mehlhorn –«

»Nun, da haben Sie ja gleich den Beweis, daß der Mann gelogen hat, oder –«

»Jawohl, oder daß der Taufschein gefälscht beziehungsweise – nicht der ihrige ist. Der Gedanke, daß meine Frau keine Polin ist, kam mir flüchtig schon wiederholt. Sie spricht das Deutsche fließend, aber nicht mit der etwas harten Aussprache der Slawen, und es laufen ihr manchmal Dialektausdrücke unter, die man in einer Fremdsprache nicht zu lernen pflegt, außer der Lehrer stammt aus der Gegend, wo dieser Dialekt gesprochen wird. Unter dieser Reserve kann ich natürlich nur meiner Meinung Ausdruck geben. Wenn Sie, Herr Oberst, mir nun raten wollen: Zeigen Sie diesen Brief Ihrer Frau, und fragen Sie sie auf Pflicht und Gewissen, was Wahres daran ist, so kann ich mir die Antwort selbst geben: Sie wird leugnen. Von einer Frau, die einem erst sagt, was sie ist und was sie getan hat, wenn es nicht mehr möglich ist, zurückzutreten, ist Wahrheit wohl nicht zu erwarten«, schloß Eschweiler bitter.

Wettenhausen konnte ihm darin nur recht geben, sprach es aber nicht aus. Der arme Mann, der eine offenkundige Verblendung und Übereilung so schwer zu büßen hatte, tat ihm herzlich leid.

»Enthält der Brief noch sonstige richtige Angaben?« fragte er nach einer Weile.

»Ich zeigte meiner Frau in der darin erwähnten Vorstellung der ›Traviata‹ in der Oper in London den Mann, der mir unter dem Namen Leclair die eingangs erwähnte Perle verkaufte, und Tatsache ist, daß sie im nächsten Augenblick ohnmächtig vom Stuhl sank, was ich ihren überreizten Nerven zuschrieb, und sich während der folgenden Tage weigerte, auszufahren oder auszureiten. Über das Attentat, das der Zerstörung der obenerwähnten Perle galt, die intakt blieb, während meine Frau selbst das Opfer wurde, wissen Sie bereits Bescheid. Die gegen die Gesellschafterin meiner Frau erhobenen Beschuldigungen kann ich weder für wahr noch für unwahr angeben. Ich habe auch noch nicht daran gedacht, noch habe ich Lust dazu, sie zu prüfen. Diese Frau zur Mühle, eine mir ganz unsympathische Person, ist mir vollkommen gleichgültig; sie steht zu dem andern ja auch so in zweiter Linie, daß es nicht lohnt, über sie zu diskutieren. Die große Frage ist für mich nur diese: Was tun? Denn einfach über diesen Brief zur Tagesordnung übergehen kann und darf ich nicht.«

»Das Weiseste und Bequemste wäre es wohl, aber ich gebe zu, daß es schwer für Sie wäre und so weiter«, meinte Wettenhausen nachdenklich. »Der Brief eines › alias‹ ist ja allerdings so gut wie ein anonymer Brief, den man einfach in den Papierkorb wirft und so weiter. Diesen hier aber würden Sie nicht vergessen können, er würde in Ihrer Seele weiter fressen wie Schwefelsäure und so weiter. Hm – tja – ich meine, da wäre es am besten, wenn Sie an die Polizeibehörde in Warschau schrieben, meinetwegen auch selbst hinreisten und sich nach den Antezedenzien, beziehungsweise Personalien und so weiter, Ihrer Frau unter den beiden angegebenen Mädchennamen erkundigten. Dabei würden Sie ja wohl auch den richtigen Namen dieses Leclair erfahren. Schreiben Sie auch an das Pfarramt der Hauptkirche. Doppelt genäht hält besser.«

»Ich danke Ihnen, Sie haben das Richtige getroffen!« rief Eschweiler aufstehend. »An das Pfarramt habe ich ja schon gedacht, aber Ihr Rat, mich an die Polizeibehörde zu wenden, ist besser; um so mehr, als der Polizeipräsident ein Verwandter mütterlicherseits von mir ist, mit dem ich Neujahrsgrüße auszutauschen pflege. Da brauche ich mich nicht erst lang und breit zu legitimieren. Meine Idee, sofort nach Hause abzureisen, mag damit aufgeschoben werden, bis ich die Antwort hier erhalten habe. Also nochmals besten Dank, und nichts für ungut wegen der Störung! Was Sie von der ganzen leidigen Sache Fräulein Veronika mitteilen wollen, sei Ihnen anheimgegeben. Sie wird verstehend gewiß auch vergeben, was Sie mir selbst vielleicht zur Last legen zu müssen glauben –«

»Ach, mein lieber Eschweiler, wir sind Menschen allzumal, und so weiter. Sie wären ja nicht der erste und einzige, der in einem der Hauptkapitel des Lebensbuches, ›die Ehe‹ überschrieben, eine kurze Leidenschaft mit langer Reue zu bezahlen hat. Dem Spatz werde ich mal vorläufig gar nichts sagen, sondern abwarten, wie die Antwort aus Warschau ausfallen wird und so weiter. Wir wollen ihr die Harmlosigkeit im Verkehr mit Ihnen nicht vor der Zeit rauben – – tja!« schloß er mit einem fingierten Hustenanfall, weil ihm der arme Kerl, der Eschweiler, wirklich herzlich leid tat, und um seine Rührung zu verbergen, zog er sein Taschentuch heraus und trompetete mit unnötiger Energie hinein.

Eschweiler aber stand einen Moment still wie angenagelt und ging dann still hinaus, denn er hatte den Oberst gründlich mißverstanden. Der hatte mit seinen letzten Worten keinen Hintergedanken gehabt, sondern einfach ausdrücken wollen, daß es besser sei, wenn nur er allein um des Freundes Nöte wisse, um ihm nicht das peinliche Bewußtsein zu geben, daß Veronika ihn stillschweigend ›schonen‹ wollte. Eschweiler aber hatte sich das falsch gedeutet.

›Der gute alte Papa Und so weiter ist doch wesentlich hellsichtiger, als ich's ihm zugetraut hätte‹, dachte er, in sein Zimmer zurückkehrend. ›Töchtern gegenüber sind Väter doch sonst meist so ahnungslos wie Wickelkinder. Und ich scheine mich einer großen Selbsttäuschung hingegeben zu haben, als ich mir einbildete, Herr meiner Gefühle zu sein. Gottlob, daß man doch ein so anständiger Mensch ist, dem ein solch' tadelloser Ehrenmann wie Wettenhausen sein Vertrauen schenkt, statt sein Herzblatt aufzupacken und mit ihm abzureisen, um es vor einem zu schützen.«

Eschweiler schrieb noch in dieser Nacht seine Briefe nach Warschau – schlafen hätte er vorerst ja doch nicht gekonnt – und trug sie selbst früh zur Post, sobald diese geöffnet war. Und beim Frühstück erklärte er dann, auf ein paar Tage nach Florenz fahren zu müssen – – durchreisender Freund – Geschäfte – inzwischen stand das Auto den Wettenhausenschen Herrschaften natürlich jeden Nachmittag zur Verfügung. Er hätte es nicht ertragen können, die Zeit des Wartens auf die Antwort aus Warschau in Veronikas Gesellschaft zuzubringen in dem marternden Zwiespalt, die Anklage Leclairs möchte wahr sein, möchte nicht wahr sein. Darum hatte er sich die Antworten nach Florenz bestellt. Und der Oberst hatte verstehend genickt, und nur »Und so weiter« gemurmelt.

Warten, geduldig auf eine wichtige Entscheidung zu warten, ist eine große Kunst, es nagt so gut wie die Ungeduld an den Nerven, nur in anderer Art. Es gibt Menschen, denen die Geduld angeboren ist, und solche, denen sie erst durch das Leben mit den Jahren gelehrt werden muß. Eschweiler hatte sich eingebildet, ein für den Durchschnitt genügendes Maß von Geduld zu besitzen, und mußte jetzt einsehen, daß es damit noch gute Wege hatte; erstens bis die für die Antworten berechnete Zeit verstrichen war, und dann, als er dreimal täglich zum Hauptpostamt lief, um nach den › ferma in posta‹ bestellten Briefen zu fragen, wodurch er entschieden auch die Geduld des betreffenden Beamten auf die Probe stellte, der ihm am dritten Tage schon von weitem zurief: » Niente per lei, Signor!«

Am vierten Tage früh aber wurden ihm die zwei Briefe aus Warschau eingehändigt mit dem erleichterten: » Finalmente, Signor« des Beamten.

Mit den schicksalsschweren Dokumenten in der Tasche ging Eschweiler zurück in sein Hotel. In seinem Zimmer angelangt, nahm er sich nicht die Zeit, den Hut abzunehmen, aber methodisch, wie er es gewohnt war, schnitt er die beiden großen, mit Dienststempeln versehenen Umschläge sauber auf. Welchen der beiden Briefe sollte er zuerst lesen? Er entschied sich für den des Polizeipräsidiums, dem ein Schreiben des Präsidenten beigelegt war, welches aber nichts wie die höfliche Versicherung enthielt, daß die gewünschten Erhebungen mit Vergnügen erfolgt und hoffentlich zweckdienlich seien. Das waren sie ja nun allerdings in vollstem Maße.

Danach war das Ehepaar Stanislaus von Wrczowski und Frau Jadwiga, geborene Gräfin Kalicz, schon vor vier beziehungsweise fünf Jahren verstorben; es hatte den größten Teil des Jahres auf seinem Landgut bei Warschau zugebracht, wo auch sein einziges Kind, eine Tochter namens Margarita, geboren und im Alter von zehn Jahren gestorben war. Was die Anfrage nach den Personalien der p. p. Margarethe Mehlhorn betraf, so ergaben die Akten, daß sie die Tochter des in Breslau gebürtigen, kurze Zeit an der Universität in Warschau gewirkt habenden, verstorbenen Professors der Philologie Otto Mehlhorn, gleichfalls in Breslau geboren, war. Nach vollendeten Studien am Lyzeum zu Warschau hatte sie zunächst daselbst als Sprachlehrerin gewirkt und war dann als Gesellschafterin bei der obengenannten Frau von Wrczowska in Stellung gewesen, die sie aufgab, um den Journalisten Heinrich Liczewski zu heiraten. Diesen hatte sie nach kaum einjähriger Ehe verlassen, nachdem sie ihn gegen die ausgesetzte Belohnung der Polizei als Mitglied eines umstürzlerischen Geheimbundes denunziert, und war seitdem verschollen. Der Heinrich Liczewski wurde auf die Anzeige seiner Frau hin verhaftet, bald aber wieder freigelassen, weil er dem inneren Kreis des genannten Bundes noch gar nicht angehörte. Er trat dann selbst in den Dienst der Polizei, wurde aus diesem Verhältnis aus Gesundheitsrücksichten wieder entlassen und ging ins Ausland. Dort hatte er sich als guter Linguist in verschiedenen Tätigkeiten schlecht und recht durchgeschlagen und zuletzt, wie einwandfrei ermittelt wurde, unter seinem zweiten Namen Winter eine Anstellung als Sekretär bei dem englischen Earl of Fernhill gefunden und ihn auf einer Reise in die australischen Gewässer begleitet, während welcher der letztere starb. Der p. p. Liczewski-Winter hatte dann die Leiche des genannten Lords unter einigermaßen verdächtigen Umständen, die eine Beraubung nahelegen, heimlich verlassen und war seitdem verschwunden. Ein Agent der russischen Polizei wollte ihn unlängst in London gesehen und erkannt haben, hatte seine Spur aber wieder verloren.

Das war alles, und auch mehr als genug. Das Pfarramt bestätigte nur die Eintragung der an dem und dem Datum geschlossenen Ehe des Journalisten Heinrich Liczewski mit Margarethe Mehlhorn in das Kirchenbuch. Ob und wo beide Kontrahenten lebten, war dieser Stelle unbekannt.

Nun stand die Frage noch offen: Wie kam die als Fürstin Karabugas bekannte Margarethe Liczewski zu dem Taufschein der als Kind verstorbenen Margarita Wrczowska? Hatte sie ihn, um es mit dürren Worten auszudrücken, ihren vormaligen Stellungsgebern – gestohlen? Gesetzt, es war dem so, und ein Zweifel daran war schwer zu unterdrücken, so müßte die russische Regierung ihn auf Treu und Glauben, ohne eine Nachprüfung, die doch sehr einfach gewesen wäre, bei der Anstellung als politische Agentin angenommen haben. Eine einfache Anfrage bei der Warschauer Polizeibehörde hätte ja sofort ergeben müssen, daß die auf dem Taufschein genannte Person gar nicht mehr existierte, daß seine derzeitige Inhaberin eine verheiratete Frau und demnach gar nicht berechtigt war, eine andere Ehe, mochte diese auch nur als eine Scheinehe zu gelten haben, einzugehen?

Darüber wollte Eschweiler Gewißheit haben, und ohne sich weiter aufzuhalten, reiste er nach Rom ab, um bei der dortigen russischen Gesandtschaft Aufklärung über diesen Punkt zu holen.

Am Abend in Rom eintreffend, erfuhr er schon in seinem Hotel, daß der Botschafter noch auf Urlaub abwesend, aber der ihn vertretende Botschaftsrat in Rom anwesend sei, und da er mit diesem Diplomaten persönlich bekannt war, so ließ er sich am nächsten Morgen bei ihm melden und wurde von ihm mit der ganzen Liebenswürdigkeit des vielgewandten Mannes empfangen, der ihn mit großer Aufmerksamkeit und undurchdringlichem Gesicht anhörte.

»Wissen Sie, lieber Graf«, sagte er dann, »halten Sie sich einfach an das Faktum, das Sie in den Händen haben. Man soll einen schlafenden Hund nicht wecken, das ist eine alte Weisheit. Das einzige, was Ihnen meines Erachtens zu tun bliebe, wäre, festzustellen, ob der – hm – Heinrich Liczewski noch am Leben ist, und mir scheint er das sehr zu sein; denn er war es doch sicher, der Ihnen als › alias Henri Leclair‹ diesen Brief schrieb. Ob bei Ihrer Frau, die Sie im guten Glauben an ihre Witwenschaft geheiratet haben, Bigamie vorliegt, kann ja doch nur durch diese Erhebung erhärtet werden. Was aber der eigentliche Zweck Ihrer selbstredend ganz vertraulichen Anfrage bei uns anbetrifft, so glaube ich nicht, daß unserer Regierung auch nur ein einziger Punkt im Leben ihrer geheimen Agenten unbekannt sein dürfte. Das ahnen diese Personen selbst gar nicht, wissen nicht, daß das, was sie zu verbergen glauben, die Drahtschlinge ist, an welcher sie wie Marionetten tanzen. Mehr bin ich wirklich nicht in der Lage, Ihnen zu sagen. Es wird Ihnen ja auch genug sein. Ich weiß nur, daß die Fürstin Karabugas ein sehr fähiges und erfolgreiches Instrument war – ja, und um erschöpfend zu sein, glaube ich sagen zu dürfen, daß es in der Tat üblich ist, einen freiwillig aus dem Dienst ausgetretenen Agenten noch einige Zeit unauffällig überwachen zu lassen, ob er keinem anderen Herrn mit den gewonnenen Informationen dient. Darin ist der alias Leclair also gut unterrichtet. Die genannte Frau – wie heißt sie? – oh, Frau zur Mühle –«

»Wir können Frau zur Mühle einfach übergehen«, fiel Eschweiler ungeduldig ein. »Sie ist für mich durchaus nebensächlich. Ich spüre weder Neugier noch Interesse für sie, da sie als Kinderfrau für mich wohl kaum in Frage kommt. Nun noch eine Frage: Der Trauschein meiner – der noch so zu nennenden Gräfin Eschweiler mit dem Fürsten Karabugas, den ich in der Hand hatte – wie soll ich dieses doch sicher zu gesetzwidriger Verwendung verleitende apokryphe Dokument nennen?«

»Ja, mein lieber Graf – für Agenten, die sich im Ausland auszuweisen haben, gibt es eben notwendige Ausstattungsstücke«, sagte der Botschaftsrat achselzuckend. »Wenn ein Agent aus dem Dienst ausscheidet, ist er verpflichtet, solche Papiere zurückzugeben. Wenn die Fürstin Karabugas das nicht tat, so dürfte sie Unannehmlichkeiten zu gewärtigen haben. Ich werde diese Ihre Mitteilung offiziell zur Notiz nehmen; das ist alles was ich dabei tun kann.«

Sehr bittere und grimmige Gefühle im Herzen, verließ Eschweiler noch am selben Tage Rom wieder, um direkt nach Siena zurückzukehren. Viel klüger, als er hineingegangen, hatte er das ›Rathaus‹ nicht verlassen, denn eigentlich hatte er sich selbst schon gesagt, was der Botschaftsrat ihm ›vertraulich‹ mitgeteilt. Letzten Endes hing die Frage, ob er frei war oder nicht, immer noch davon ab, ob Margarita bekennen oder leugnen würde; das letztere war, angesichts der Informationen aus Warschau nicht so ganz einfach; immerhin war es schon möglich, daß sie ohne erbitterten Kampf ihre Sache nicht verloren geben würde, und dann war ein ärgerlicher Prozeß vorauszusehen, der vielen Staub aufwirbeln, sich zu einem leider ganz unvermeidlichen öffentlichen Skandal auswachsen mußte.

Der Oberst von Wettenhausen hatte schon recht, als er seiner Tochter sagte: Russische Fürstinnen sind manchmal recht – russisch und so weiter.

Es ging dem alten Herrn aber ehrlich nahe, als er erfuhr, daß der Brief des alias Leclair die Wahrheit enthalten; denn was nun folgen mußte, war nichts weniger als erfreulich für Eschweiler, der ihm herzlich leid tat. Daß dieser nun keinen Tag länger zögern konnte und wollte, heimzureisen, um den Stein ins Rollen zu bringen, begriff und billigte der Oberst vollkommen, aber leichten Herzens sah er ihn nicht scheiden. Er hatte Wort gehalten und seiner Tochter nichts von Eschweilers Angelegenheiten mitgeteilt; der letztere deutete sie ihr beim Abschiednehmen nur insofern an, als er ihr sagte, daß es sehr ernste und widerwärtige, ja peinliche Ursachen seien, welche den schönen Tagen von Siena für ihn ein jähes Ende bereitet hätten.

»Es ist anzunehmen, daß diese Ursachen in der Öffentlichkeit breitgetreten werden«, setzte er hinzu. »Ich werde damit auch sicher sehr verschiedener Beurteilung ausgesetzt werden. Vielleicht werden auch Sie sich dann auf die Seite stellen, die mir schuld geben wird –«

»Niemals, Herr Graf!« fiel Veronika sehr entschieden ein. »Ich bin überzeugt, ich weiß, daß Sie nichts Unrechtes getan haben, noch auch tun können – ich glaube an Sie durch dick und dünn!«

»Haben Sie Dank für dieses gute Wort«, sagte er bewegt. »Aber leider bin ich auch nur ein irrender Mensch, der einem Irrlicht nachgelaufen ist, sich eigentlich gegen seine bessere Überzeugung in einen Sumpf locken ließ und diese Nichtachtung der warnenden inneren Stimme nun schwer büßen muß –«

»Um so fester, um so treuer müssen Ihre Freunde zu Ihnen stehen«, erklärte Veronika, als er wie erstickt einhielt, mit leuchtenden Augen. »Und das werden sie, verlassen Sie sich darauf. Mag auch die Probe schwer sein – mein gutes Alterchen und ich – wir werden sie bestehen!«

Die erwärmende und belebende Überzeugung, daß dies keine leeren Worte waren, nahm Eschweiler mit auf seine schwere Heimfahrt wie einen Talisman. Dabei ahnte er noch gar nicht, wie notwendig er einen solchen brauchen würde, wie denn auch Veronika Kraft brauchte, ihre eigenen Worte nicht zu widerrufen, denn schon am dritten Tage nach Eschweilers Abreise fand der Oberst in der deutschen Zeitung, die im Lesezimmer des Hotels auslag, folgende niederschmetternde Notiz:

 

»Heute früh wurde der bekannte Großgrund- und Bergwerksbesitzer, Graf Johannes von Eschweiler auf Haus Eschweiler im Ried, unter dem dringenden Verdacht verhaftet, seine Gemahlin, mit der er erst seit wenigen Monaten vermählt war, ermordet zu haben. Nähere Nachrichten fehlen noch.«


 << zurück weiter >>