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Drittes Kapitel

Der Frühling ist immer schön, wohin er auch kommt, über welchen Ort er mit seinem linden Hauch verklärend die Auferstehungsfeier einläutet; vermag er doch selbst einen wüsten Schutthaufen zu verschönern, indem er daraus die blauen Blumensterne der Wegwarte hervorlockt und die grünen Sprossen, die der Mensch in seinem Unverstand und Dünkel Unkraut nennt; selbst das ödeste Brachland vergoldet er mit der Blüte des Ginsters, und über die dürren Äste der Bäume und Sträucher breitet er seinen zartgrünen Schleier der werdenden Blätter, bis aus ihnen die Pracht der Blüten hervorbricht wie ein Hymnus auf den Schöpfer.

›Auf leisen Sohlen über Nacht
Kam still der Lenz geschritten –‹

Ja, und solange es noch Dichter gibt, werden sie nicht müde werden, den Frühling zu besingen in guten und schlechten Versen, und auch diese haben ihre Berechtigung, weil sie der Ausdruck, wenn auch der ungeschickte und plumpe, des Gefühls für die Herrlichkeiten und Wunder der erwachenden Natur sind. Es kommt also wirklich gar nicht darauf an, ob der Frühling in guten oder in schlechten Versen gefeiert wird, solange daraus nur zu erkennen ist, daß die Menschen nicht aussterben, denen Herz und Auge noch offen steht für das Schönste und Herrlichste, was die Welt uns bietet, die über der Sorge ums tägliche Brot und um die Anbetung des Goldenen Kalbes noch nicht verlernt haben, in sich und um sich zu schauen.

Und wenn der Frühling überall schön ist, dreimal schön ist er in den gesegneten Gefilden des Schwarzwaldes. Wer das Glück hat, im Herzen dieses herrlichen Landes zu leben, der empfindet den Frühling dort wie einen seligen Traum; wer ihn aber in vollen Zügen genießen will, der wandere dann durch den mit frischgrünen Trieben wie zu einer Festfeier geschmückten Hochwald, durch dessen Stämme und Äste die Sonne wie flüssiges Gold leuchtet, durch den die schnellen Bäche über moosiges Gestein spiegelklar und eisig kalt hindurcheilen, rauschend und murmelnd auf ihrem lustigen Wege zu Tal; der atme in vollen Zügen den wunderbaren Blütenduft ein, der aus der Rheinebene in Wogen aufsteigt, und der wird begreifen, warum der Frühling im Schwarzwald dreimal so schön ist, als anderswo.

Freilich, wer kein rüstiger Fußwanderer ist und stundenlanges Wandern durch den herrlichen Hochwald, über einsame Bergrücken und durch sonnengolddurchleuchtete Täler nicht vermag, dem entgeht gewiß viel von dem eigentlichen, namenlosen Zauber des Schwarzwaldfrühlings, namentlich in aller Herrgottsfrühe, wenn die Sonne sich erst anschickt, hinter den Bergen emporzusteigen, die Täler noch dampfen und der Tau an jedem Grashalm funkelt. Aber auch jene, die zu Fuß nicht zu wandern vermögen, finden einen Ersatz dafür an den Orten, die den Fremden, Erholungsbedürftigen alljährlich hinlocken ins gesegnete Bereich des Schwarzwalds, ins Badnerland, dessen Ruf als ›Muschterländle‹ bis weit über Deutschlands Grenzen gedrungen ist. Von diesen Orten nimmt Baden-Baden wohl den allerersten Rang ein. Wie eine schimmernde Perle in grünen Samt gebettet, liegt das Weltbad im reizenden Oostal, dem alten historischen Ufgau, zwischen waldigen Höhen, in der Tat ein kleines Paradies. Rechts, wenn die Bahn hereintritt von Oos, dehnt sich der hohe Grat des Fremersberges hin, unter sich den Michaelsberg und den Beutig, besetzt mit freundlichen Villen, daran sich nach Lichtenthal zu die Kuppe der Yburg und die prächtige Badner Höhe anschließen. Links steigt der felsumgürtete Battert empor, hinter dem wir noch einen Blick auf die alte Ebersteinburg erhaschen, und an seiner Brust trägt der Berg gleich einem köstlichen Edelstein die malerischen, großartigen Ruinen des Schlosses Hochbaden, bei dessen Anblick nicht vergessen werden darf, daß es dem französischen General und Mordbrenner zum Opfer fiel, wie das Heidelberger Schloß und vieles andere. Von den Zinnen des Turmes mit seinem wunderbaren Fernblick über die weiten Lande flatterte ehedem lustig die rot-gelbe badische Flagge in der milden, lauen Luft, ein steter Wegweiser den Wanderern im Bergschuh wie im Salonschuh, die sich's entweder genug sein lassen, auf den gutgehaltenen Wegen bis zur Ruine hinaufzusteigen oder darüber hinweg weiter wandern zur Engels- und zur Teufelskanzel, oder über das Felsenmeer hinweg noch den Merkur ersteigen wollen, den höchsten Berg von Baden-Badens nächster Umgebung. Wenn der Frühling aber ins Oostal einzieht, dann kommt er mit einer für das nordische Auge geradezu überwältigenden Blütenpracht. Freilich korrigiert ihn sozusagen hier die Kultur und nimmt ihm dadurch viel von der Ursprünglichkeit, die viele, und mit Recht, jenseits dieser Pforte des Schwarzwalds auf einsamen Pfaden finden und vorziehen. Ist der Frühling aber wirklich, gewissermaßen über Nacht, im Oostal eingezogen, dann strömen auch schon die Badegäste aus aller Herren Länder ihm nach, vorerst allerdings zumeist nur solche, welche Heilung und neue Kraft in den heißen Quellen zu finden hoffen, die so reichlich fließen, und auch jene, die überangestrengte Nerven in dem milden, würzigen Klima und dem Ozon der Schwarzwaldtannen beruhigen wollen. Denn die, welche Baden-Baden zu andern Zwecken aufsuchen, die sich zerstreuen und amüsieren wollen, die Goldfische angeln möchten oder – trotzdem es keine Spielhölle mehr dort gibt – Blut auf andere Art aus harmlosen Nebenmenschen zu saugen kommen, moderne Vampire aller Arten, oder auch jene, die selbsttätig beziehungsweise als Zuschauer, interessierte wie uninteressierte, der Pferderennen in Iffezheim wegen sich einfinden – alle diese treffen erst zur Hochsaison ein, wenn der Schmelz von den Schmetterlingsflügeln der Natur von der Sonne des Hochsommers bereits fortgesengt ist, wenn die Hitze über dem Oostale brütet und an warmen Abenden eine geputzte Menge bei den rauschenden Klängen des Kurorchesters und dem Geknatter blendender Feuerwerke vor dem Konversationshause auf und ab wogt.

Noch war es nicht soweit; denn eben erst hatte der Frühling glorreichen Einzug gehalten ins Oostal, die Bäume trugen noch lichtgrünes, frisches Laub, die Kastanienbäume waren dicht besteckt mit roten und weißen Blütenkerzen, die Obstbäume glichen Riesensträußen von weißen Blüten und streuten ganze Schauer weißer Flocken auf smaragdgrünen Rasen, die Magnolien entfalteten ihre großen, schneeigen, rosagetönten großen Kelche, über welchen es wie ein Hauch eigenartiger Poesie schwebt; Spireen blühten, lila, weißer und spanischer Flieder strömte seinen köstlichen Duft aus, Laburnum prangte in seinen goldenen Dolden, und auf den Teppichbeeten der schönen, gepflegten Anlagen hatte sich eine Farbenpracht entfaltet, die weiter im Osten und Norden sich erst um Monate später aus der Erde ans Licht wagt.

Dem Beginn der Frühjahrssaison entsprechend, war von einer Überfüllung noch nichts zu spüren; das Gigerltum, männliches wie weibliches, fehlte noch in den Kuranlagen und in der weltberühmten Lichtenthaler Allee, dieser Perle aller Promenaden; keine Demimonde war noch zum Nasenrümpfen der ›Großen Welt‹ zu sehen, und die extravaganten Toiletten der Französinnen und Slawinnen, doppelt auffallend neben der vornehmen Einfachheit der Deutschen und Engländerinnen, fehlten noch in dem Allgemeinbilde, das auch später erst die unvermeidlichen Karikaturen aufzuweisen pflegt. Dafür sah man jetzt um so mehr Touristen in ihren zweckmäßigen Anzügen, die Baden-Baden nur als Station berührten zu ihren Wanderungen durch den Schwarzwald bis in die Alpen.

An solch' einem glorreichen Frühlingsmorgen war's, daß ein Herr, einfach und elegant gekleidet, das Hotel zum Englischen Hof den Anlagen gegenüber betrat und sein erstes Frühstück bestellend, sich auf der Veranda der großen, eleganten Karawanserei niederließ. Ein Herr in mittleren Jahren mit spitzgeschnittenem Vollbart, sofort eifrig bedient von dem unbeschäftigten Personal, das sich um seinen Paletot und Stock riß und sogleich einen Haufen der neuesten in- und ausländischen Zeitungen herbeischleppte, während der bedienende Kellner geflissentlich ein imaginäres Stäubchen von dem weißgedeckten Frühstückstisch entfernte.

»Schon viele Fremde gekommen?« erkundigte sich der Herr, als der Kellner ihm den Kaffee servierte und nach sonstigen Befehlen frug.

»Wenige nur, Herr Baron, es ist eben noch zu früh in der Jahreszeit«, war die dienstfertige Antwort. »Anmeldungen sind für später schon eine Menge eingetroffen.«

»Sind Bekannte von mir darunter?« fragte der Herr Baron und zugleich Legationsrat und Geschäftsträger für die kleineren süddeutschen Staaten bei der russischen Botschaft, der alljährig ein behagliches Junggesellenquartier auf dem Michaelsberg bezog und im Englischen Hof seine Mahlzeiten einnahm. Herr Boris Wassiljewitsch Kuttussow konnte sich demnach rühmen, Stammgast zu sein, woraus sich das dienstfertige Entgegenkommen des polyglotten Personals sehr einfach erklärte. Der Kellner, der den Diplomaten schon seit Jahren bediente, kannte natürlich auch seinen Kreis genau, und darum war die Frage, ob Bekannte von ihm unter den Angemeldeten seien, durchaus weder auffallend, noch neugierig – einem Kellner gegenüber.

»Ich denke, Herr Baron werden wohl ziemlich denselben Kreis wie im vorigen Jahre wiederfinden«, beeilte sich der Gefragte zu berichten. »Wenigstens sind die russischen, preußischen und österreichischen Herrschaften schon angemeldet. Die Engländer haben noch nichts von sich hören lassen. Mylord Fernhill hatte zwar befohlen, seine Zimmer für alle Fälle zu reservieren, jedoch erst für die Herbstrennen –«

»Lord Fernhill wird dieses Jahr nicht kommen«, unterbrach Herr von Kuttussow den Redestrom. »Sie können den Manager über diesen Punkt verständigen. Lord Fernhill ist gestorben.«

»Oh!« machte der Kellner mit ehrlichem Bedauern. »Ein so freundlicher, lieber Herr –!« Er wartete offenbar, Näheres zu hören, aber da der Russe, mit seinem Kaffee beschäftigt, nicht geneigt schien, die Unterhaltung fortzuführen, so wischte er nur noch einmal mit der Serviette über den leeren Raum des Tisches und wollte sich entfernen, als ihm noch etwas einfiel.

»Fast hätte ich vergessen zu sagen, daß heut nacht Ihre Durchlaucht die Frau Fürstin Karabugas unerwartet, das heißt unangemeldet, angekommen sind.«

»Wer?« fragte Herr Kuttussow aufblickend so scharf, als hätte er nicht recht gehört.

»Ihre Durchlaucht die Frau Fürstin Karabugas mit Dienerschaft«, wiederholte der Kellner strahlend, daß er doch etwas Neues wußte. »Und in einigen Tagen wollte auch der Herr Graf von Eschweiler ankommen.«

»Der geht mich nichts an«, hätte der Diplomat beinahe laut gesagt, aber er dachte es nur und fügte trocken hinzu: »Gut! Ich werde der Frau Fürstin später meine Aufwartung machen.«

Der Kellner ging nun wirklich, und der Russe nahm eine Zeitung vor, doch las er nicht darin; denn seine Blicke wanderten über das Blatt hinweg ins Freie, durch die Bäume und die sicher eingedämmte, zur Frühlingszeit immer gefährlich werdende Oos über den Theaterplatz, ohne daß dort etwas Besonderes zu sehen gewesen wäre.

»Sie emanzipiert sich, sie handelt nach eigenem Kopf und Gutdünken«, murmelte er vor sich hin. »Was soll das heißen, daß sie hierher kommt? Ich muß doch gleich gehen, um ein Telegramm aufzugeben.«

Hastig trank er seinen Kaffee aus, warf noch einen flüchtigen Blick auf die Depeschen der neuesten Zeitung, nahm dann Paletot, Hut und Stock von dem dienstfertig herbeistürzenden Pikkolo entgegen und stieg die Stufen der Veranda nach der Straße hinab. Dort zögerte er indes noch einen Moment, wandte sich dann dem glasgedeckten Eingang des Hotels zu und stand im Portal unvermutet Auge in Auge einer Dame gegenüber, die gerade aus der Vorhalle trat, während sie ihre rahmenweißen schwedischen Handschuhe zuknöpfte.

Diese Dame mit Worten zu beschreiben, wäre überflüssig; denn sie war einfach Zug für Zug das Original der Photographie, die sowohl in der Kajüte Lord Fernhills auf dem Taucherboot am Cape York, wie in der des Grafen Eschweiler an Bord des Lloyddampfers im Roten Meer eine Rolle gespielt. Höchstens, daß man jenem treuen, wenig retouchierten Bilde die Farbe hinzufügen könnte, die der Photographie mangelt. War sie eigentlich schön im strengen Sinne des Wortes? Ja und nein. Vor allem war sie apart mit ihrem schmalen, aber ein vollendetes Oval bildenden Gesicht, dem seinen kapriziösen Munde mit dem vielleicht etwas zu dünnen, scharlachroten Lippen, der zu kurz abbrechenden, scharfgebogenen Nase; wirklich schön waren nur ihre übergroßen, fast schwarzen Augen, die nur wenig von dem Weißen sehen ließen, dadurch aber etwas Geheimnisvolles, Unerforschliches hatten, daß die Pupille beinahe die ganze Iris bedeckte und diese Pupille nur gerade soviel Glanz besaß, um nicht tot zu wirken. Es waren wirklich ganz wunderbare Augen, welche die ganze Erscheinung beherrschten und in ihrer dunklen Umrahmung mit den scharfgezeichneten, über der Nase zusammengewachsenen schwarzen Brauen eine zersetzende Kritik der Schönheit dieser Frau gar nicht aufkommen ließen. Ob der matte, alabasterweiße Teint dieses sicherlich auch durch ihn frappanten Gesichtes seinen klaren, durchsichtigen Ton ohne jede Nachhilfe hatte, war schwer zu entscheiden, dann aber wäre die Korrektur der Natur eine meisterhafte gewesen, wie auch der bläuliche Ring unter den mächtigen Augen. Echt waren jedenfalls die tiefgewellten Haare von jenem Kastanienbraun, das in den Tiefen rötlich wirkt und goldene Lichter hat, als sei es leicht mit Goldstaub gepudert; eine seltene Haarfarbe, die meist mit einem sehr weißen Teint verbunden ist, leicht aber auch mit sogenannten Sommersprossen, die hier aber fehlten, weshalb die böse Welt an eine meisterhafte Anwendung von Perlpuder glaubte.

Die Dame trug ein raffiniert einfaches, marineblaues, fußfreies Kleid von feinstem Cheviot mit weißer Weste unter dem Jackett, das so perfekt ihre mittelgroße, fast überschlanke Gestalt umschloß, daß es einem geübten Auge sofort das ›Taylormade‹ verriet, und auf dem Kopf einen schlichten Hut von weißem Filz, nur mit einer marineblauen Schleife garniert. Ihre Augen wurden noch größer, als sie plötzlich Herrn von Kuttussow gegenüberstand, aber sie zeigte keine Spur einer etwa unangenehmen Überraschung, als sie ihm die Hand reichend, lächelnd ausrief:

»Nein, welches Glück! Der erste Mensch, den ich hier treffe, ist ein Bekannter, und noch dazu Sie!«

Er beugte sich galant über ihre Hand und tat so, als ob er sie küßte, diese schlanke, auffallend kleine, feingeformte Hand.

»Sie sehen mich starr vor Überraschung, Fürstin«, sagte er betont. »Ich hatte Sie hier nicht vermutet, bin tatsächlich ganz unvorbereitet von Ihrer Ankunft.«

»Um so größer ist also die Überraschung«, lächelte sie harmlos. »Sie wollten ins Hotel? Dann auf Wiedersehen, denn ich habe gerade vor, einen Spaziergang zu machen.«

Kuttussow hustete leicht.

»Es war auch meine Absicht, einen Spaziergang zu machen, und wenn Sie erlauben, schließe ich mich Ihnen an«, sagte er schleppend.

»Ah – sehr gut«, nickte sie ironisch. »Im Freien plaudert es sich auch besser, als in einem Hotelzimmer, wo die Wände Ohren haben. Also gehen wir. Wie denken Sie über den Weg der Yburg zu? Oh, ich habe mich so sehr nach den köstlichen Badener Wäldern gesehnt!«

Damit überschritt sie die Schwelle und spannte ihren weißen Entoutcas auf. Kuttussow trat an ihre linke Seite, und so überschritten sie die breite Oosbrücke und wandten sich links nach der Lichtenthaler Allee. Dort stand eine Blumenverkäuferin, deren Äußeres im schroffsten Gegensatz zu ihrer duftenden, poesievollen Ware stand, aber der Legationsrat kannte die gräuliche, alte Hexe längst, und ohne sich an ihr Aussehen zu stoßen, trat er auf sie zu und kaufte ihr ein kleines Sträußchen Maiglöckchen ab, das er der Fürstin mit einer Verbeugung überreichte. Sie steckte die stark duftenden Blumen mit einer dankenden Kopfneigung in das Knopfloch ihres Jackettaufschlages und sagte liebenswürdig:

»Welchen Blick Sie doch immer für passende Blumen gehabt haben. Ein Bär hätte mir eine faustgroße Centifolie gegeben, ein Farbenblinder Veilchen.«

»Nun, ich kenne ja doch Ihre Vorliebe für Weiß. Sie verschmähen ja selbst farbige Edelsteine, und Ihre Perlenabgötterei ist beinahe schon sprichwörtlich«, versetzte er in leicht gereiztem Ton.

»Abgötterei!« wiederholte sie mit ungetrübter Heiterkeit. »Das kann auch nur ein Mensch sagen, der keine Ahnung davon hat, welcher Zauber von Perlen ausgeht. Perlen sind Symphonien, ihr Glanz blendet das Auge nicht, sondern erquickt es. Wenn Sie die Perlen gesehen hätten, welche die Königin Margherita von Italien besitzt –«

»Ich habe sie gesehen; sie hat auch die Perlomanie.«

»Ah, ein neues Wort, nicht? Stammt es von Ihnen? Perlomanie! Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie nicht Perlsucht gesagt haben.«

»Eins wie das andere ist eine Krankheit.«

»So? Wenn ich nicht so schrecklich gutmütig wäre, würde ich Ihnen dieses Wort nachtragen, denn es ist einfach eine Unhöflichkeit. Übrigens bin ich mir selbst mit meiner Vorliebe für Perlen noch gar nicht krankhaft vorgekommen; es ist bei mir ein angebornes Schwelgen im Anblick der Juwelen des Meeres, die nicht erst von häßlicher, schmutziger Schlacke befreit werden müssen, nicht durch des Schleifers rohe Hände zu gehen brauchen, bevor sie uns schmücken, sondern aus tiefem geheimnisvollem Meeresgrund gleich der Venus Anadyomene heraufsteigend, fertig und schlackenlos das Licht erblicken. Solange man Perlen noch neidlos auch an anderen bewundern kann, ist man noch nicht krankhaft dafür veranlagt, und ich kann neidlos bewundern. Freilich, daß ich selbst gern besitze, ist dabei nicht ausgeschlossen.«

»Selbstbetrug, Fürstin. Es gibt Frauen, die für Diamanten und Spitzen ihre Seele dem Teufel verkaufen würden.«

»Ah, Sie sind also der Meinung –«

»Daß es Frauen gibt, die dasselbe auch für Perlen tun würden. Gewiß!«

Die Fürstin zuckte mit den Achseln.

»Ich will großmütig sein und nicht erst lange fragen, ob Sie mit dieser Meinung anzüglich werden wollen oder nur so im Allgemeinen gesprochen haben, um Konversation zu machen. Schließlich wären Perlen ja immer noch ein edler Kaufpreis; es gibt unedlere. Aber gleichviel, – eben jetzt bin ich ganz geneigt, diese herrliche deutsche Frühlingspracht ebenso zu bewundern wie die schönsten Perlen. Ist dieses Grünen und Blühen nicht unvergleichlich? Aber hier biegt unser Weg zur Yburg ab, und nun kommt erst das rechte Wunder, der Wald. Sie ahnen nicht, wie sehr ich diesen Wald liebe.«

»Aha, der Wald ist also Ihr neuester Sport, der Sie so – so unvermittelt von Rom nach Baden-Baden gelockt hat?« fragte Herr Kuttussow ironisch.

»Nun, nehmen Sie immerhin an, daß es der Wald war«, versetzte die Fürstin in dem gleichen Ton. »Und was folgt daraus?«

»Zunächst nichts weiter, als daß ich weder durch Sie direkt, noch auch von seiten höheren Orts von Ihrer Ankunft allhier unterrichtet worden bin.«

»Schon der große Napoleon hat gesagt: Tout le monde vient a celui qui sait attendre.«, erwiderte die Fürstin spöttisch. »Vielleicht bringt die nächste Post Ihnen schon die heißersehnte Nachricht, vielleicht sogar der Telegraph.«

»Wenn nicht, dann wird er für mich arbeiten«, versicherte der Diplomat kühl.

»Endlich!« rief sie aus, indem sie stehen blieb, und mit einem entschieden herausfordernden Lachen fuhr sie fort: »Um mir das zu sagen, steigen Sie mit mir diesen Berg hinauf, Sie, dem nichts unangenehmer ist, als sich aufwärts zu bewegen? Das konnten Sie mir doch auch schon unten, auf flachem Lande erzählen. Auf Ihrem Gesicht war es ja schon in der Tür des Hotels zu lesen.«

Auch Herr von Kuttussow war stehengeblieben.

»Also, ich bin bereit, Ihre Aufklärungen zu hören«, sagte er scharf.

»Soll die der Wald zu Protokoll nehmen?« fragte sie spöttisch. Übrigens wüßte ich wirklich nicht, was da zu erklären wäre. Der Mietkontrakt für den alten Palazzo an der Piazza de' Santi Apostoli in Rom, den ich bewohnte, läuft in den nächsten Tagen ab, und ich gehöre nicht zu den Leuten, die bis zur letzten Stunde ihren Preis absitzen. Alle Welt verläßt jetzt Rom –«

»Und Sie wollten, beziehungsweise sollten es verlassen, um in London die Season mitzumachen«, fiel er trocken ein.

»Aber das schließt doch nicht aus, auf halbem Wege in Baden-Baden Station zu machen!« rief die Fürstin lachend. »Zwischen einer Winterkampagne in Rom und einer Londoner Season sind für einen vernünftigen Menschen ein paar Ruhetage, eventuell auch Wochen, sehr wohltuend, wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Baron von Kuttossow!«

»Man könnte doch etwas dagegen einzuwenden haben, Frau Fürstin! Man muß von Rom aus nicht notwendigerweise durch den Schwarzwald reisen.«

»Sicher nicht; man könnte sich vielleicht auch näher in der Schweiz zum Beispiel aufhalten, aber dazu hatte ich keine Lust, weil es jetzt eben in der Schweiz noch nicht warm genug ist. Ich will Ihre Neugier aber doch soweit befriedigen und Ihnen erzählen, daß ich mir bei meiner Abreise von Rom vorgekommen bin wie Cortez, als er seine Schiffe hinter sich verbrannte; mit anderen Worten: Ich habe mein ganzes Personal gewechselt, Kammerfrau, Diener, Kurier, Gesellschafterin.«

» Sie haben gewechselt, oder – man?« erkundigte sich der Diplomat.

»Man? Nein. Ich? Ja. Kammerfrau, Diener, Kurier habe ich mir neu gewählt, ich! Aus einem Vermietungsbüro. Und was die Gesellschafterin betrifft, so werde ich sie ebenfalls nach eigenem Geschmack engagieren, sobald ich die Person finde, die mir für diese Stellung passend erscheint.«

Herr von Kuttussow nahm seinen goldgefaßten Kneifer von der Nase und putzte ihn umständlich mit seinem feinen Battisttaschentuch ab.

»Oh,« sagte er dabei, »man wird schon eine passende Person für Sie wissen.«

»Daran zweifle ich keinen Augenblick«, versetzte sie lachend. »Nur bin ich jetzt schon ganz fest davon überzeugt, daß das ›Passende‹ mir nicht passen wird. Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich in Rom meine Schiffe hinter mir verbrannt habe. Da haben Sie's in einer Nußschale. Und nun, mein sehr verehrter Herr Baron, nun ich Ihnen diese harte Nuß für Ihre vortrefflichen Zähne zum Knacken gegeben habe, erlöse ich Sie von der noch härteren Pflicht, mich weiter bergauf zu begleiten. Sie werden gewiß gespannt darauf sein, was die Morgenpost Ihnen gebracht hat; da wäre es einfach grausam, Sie noch länger an meine grüne Seite zu fesseln.«

»Sie sind die Güte selbst. Ich mache also von Ihrer gnädigen Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen, Gebrauch und wünsche ihnen eine angenehme Promenade«, erwiderte er mit unerschütterlicher Ruhe und zog mit der ihm eigenen Würde den Hut von seinem schon stark gelichteten Diplomatenhaupt. Die Fürstin grüßte mit Grazie zurück und führte dabei das Maiglöckchensträußchen an ihre feine Nase, und mit diesem anmutigen Dank an den chevaleresken Spender schritt sie leichtfüßig den Berg hinauf, und er stieg langsam und würdevoll die kurze Strecke bis zur Lichtenthaler Allee hinab. Unten angelangt, ging er im merklich beschleunigten Tempo jedoch nicht der eigenen Wohnung zu, sondern überschritt die nächste der eisernen Brücken über die Oos, an deren rechten Ufer Villen und Hotels liegen, und betrat eine der ersteren. Nachdem er darin etwa zwanzig Minuten geweilt, ging er nach dem Englischen Hof und fragte dort an, ob die Fürstin Karabugas inzwischen von ihrem Spaziergang zurückgekehrt sei. Als er hörte, daß dies noch nicht der Fall war, gab er seine Karte für sie ab und begab sich nun wirklich nach seiner Wohnung, wo er die inzwischen eingetroffene Post vorfand, sowie ein Telegramm, das lang und in Chiffern abgefaßt war. Nachdem er es entziffert, verbrannte er nach öfterem Lesen sowohl das Original wie auch seine Übersetzung sorgfältig an der Flamme einer Kerze und streute die Asche zum Fenster hinaus ins Freie.

»Also hätte ich denn ganz richtig und – was die Hauptsache ist – zur rechten Zeit gehandelt«, zog er händereibend den Schluß. »Es ist immer ein Risiko, das eigene Ermessen ohne vorherige Instruktionen – – – Sie ist ein feiner Kopf, diese liebe Fürstin, man darf ihr wirklich die schwersten Aufgaben stellen, aber sie hat ein zu großes Selbstbewußtsein. Nun ja, wir haben eben alle unsere Schwächen. Für manche Leute ist es daher angebracht, sie durch ein sanftes Anziehen der Kette daran zu erinnern, daß eine relative Selbständigkeit noch lange keine Unabhängigkeit ist.« –

Die Fürstin Karabugas hatte natürlich nicht daran gedacht, bis zur Yburg hinaufzugehen. Nachdem Kuttussow sie verlassen, ging sie noch eine Strecke weiter aufwärts, bog dann rechts in den Waldweg über den Friesenberg ein und stieg bei der Burg Solms wieder hinab zum Tal, um durch die Kuranlagen zu ihrem Hotel zurückzukehren. Unter den Kolonnaden blieb sie hier und da vor den Kaufläden stehen und schlenderte dann über die Oosbrücke dem Englischen Hof zu. Gewohnt, nichts und niemand unbeachtet zu lassen, bemerkte sie noch vor der Brücke eine einzelne Dame, die von der Lichtenthaler Allee über den gerade ziemlich unbelebten Platz vor dem Theater kommend, sich der Brücke zu bewegte, kurz vor dieser umdrehte, den Kuranlagen zuschritt und sich dann eines anderen zu besinnen scheinend, sich wieder der Brücke zuwendete, wodurch sie etwa zehn Schritte hinter der Fürstin das gleiche Ziel wie diese erreichte.

Die Dame war groß und etwas korpulent, aber von stattlicher, guter Figur, die ihr einfaches, aber gutsitzendes schwarzes Kleid vorteilhaft zur Geltung brachte. Im Alter mochte sie zwischen vierzig und fünfzig Jahren stehen; ihr Gesicht, das Spuren früherer Schönheit zeigte, jetzt aber zu voll und von käsiger Weiße war, wurde vorteilhaft von krausem, grauem Haar umrahmt, das die zu stark gewordenen Züge weicher erscheinen ließ. Ihre Augen von unbestimmter Farbe standen etwas zu weit vor und gewannen durch die rotblonden Wimpern und die nur angedeuteten Brauen derselben Farbe nicht gerade an Reiz; ein guter Physiognomiker hätte wahrscheinlich gefunden, daß man sich besser vor diesen Augen in acht genommen hätte.

Die Fürstin trat nun in das Vestibül des Hotels ein und fragte den Portier, der nebenbei ein Ministergehalt bezog, ob Briefe für sie angelangt seien, worauf ihr einige nebst der Karte des Legationsrates Kuttussow auf einem Tablettchen überreicht wurden. Ermüdet von ihrem Spaziergang setzte sie sich in einen der im Vestibül herumstehenden Klubsessel, öffnete einen Brief und begann zu lesen, als auch die schwarzgekleidete Dame eintrat.

Der Manager oder Geschäftsführer des Hotels, der gerade aus seinem verglasten Büro kam und mit geübtem Blick sofort sah, daß es sich hier nicht um einen eventuellen Gast handelte, ging der Fremden einen Schritt entgegen.

»Womit kann ich dienen?« fragte er höflich, denn die Dame war gut gekleidet.

Die Antwort kam ohne Zögern mit dem gedämpften, aber ringsum vollkommen verständlichen Tonfall einer einschmeichelnd melodischen Stimme.

»Ich suche eine Stelle als Gesellschafterin oder Reisebegleiterin«, sagte die Dame ohne Umschweife. »Ich wollte Sie daher bitten, falls Sie unter Ihren Gästen den Wunsch nach einer dafür geeigneten Persönlichkeit äußern hören sollten, mich auf Grund meiner vorzüglichen Referenzen in Vorschlag zu bringen. Es ist mir der Rat erteilt worden, mich mit meinem Gesuch an ein großes Hotel ersten Ranges zu wenden, weil man dort bessere Chancen hätte, als durch eine Agentur. Darf ich Ihnen wohl meine Papiere vorlegen?«

»Bitte mir in mein Büro zu folgen«, erwiderte der Manager zögernd. »Die Chancen sind jedoch keine so großen, als man Ihnen gesagt hat, denn es kommt selten genug vor, daß jemand hier eine Gesellschafterin braucht; wer sich eine solche leisten kann, bringt sie gewöhnlich schon mit. Indes, wenn es Ihnen nichts ausmacht, warten zu können –« Er zuckte mit den Achseln und machte eine Handbewegung nach seinem Büro, die jedenfalls keine sehr dringende Einladung ausdrückte.

»Ich suche eine Gesellschafterin«, sagte die Fürstin Karabugas laut, ihre Briefe zusammenlegend. Die Fremde, die ihr bisher den Rücken zugewendet hatte, drehte sich überrascht um, ein erfreutes Lächeln auf den etwas zu vollen Lippen.

»Welch' ein glücklicher Zufall, gnädige Frau«, sagte sie mit einer verbindlichen, aber nicht allzu devoten Verbeugung.

»Ja, wirklich ein Zufall«, versetzte die Fürstin, indem sie aufstand. »Wollen Sie mich in mein Zimmer begleiten? Wie ist Ihr Name?«

»Frau zur Mühle, gnädige Frau.«

»Ah, also wohl eine Deutsche, nicht? Ich bin Russin; mein Name ist Fürstin Karabugas.«

Mit diesen Worten langte die Fürstin mit der Linken nach ihrem Schirm, den sie auf ein Tischchen neben ihren Sessel gelegt, und machte dabei mit der Rechten eine anscheinend mechanische Bewegung nach ihrer rechten Schulter zu, und zwar so, daß sie dabei nur den Mittelfinger ausstreckte, wobei sie die Fremde ansah. Diese machte abermals eine leichte Verbeugung als Bejahung und Anerkennung der Vorstellung, indem sie sagte:

»Eine Norddeutsche, sehr wohl, gnädige Frau – pardon – Durchlaucht.«

»Also gehen wir hinauf«, nickte die Fürstin und schritt mit einer einladenden Kopfbewegung voraus der Treppe zu, dem Liftboy abwinkend, der schon die Tür des Personenaufzugs geöffnet hatte, gefolgt von Frau zur Mühle; und es war wirklich überraschend, mit welch' lautloser Elastizität die große, starke Person die Treppe hinter der Fürstin, die doch sicherlich zwanzig Jahre jünger war, emporstieg, selbst wenn man die dicken Teppichläufer dafür in Anrechnung brachte.

Im ersten Stockwerk ihren Salon betretend, warf die Fürstin Hut und Schirm auf den nächsten Tisch, zog die Handschuh aus, und dann machte sie, dicht vor der stumm, mit einem verbindlichen Lächeln wartenden Supplikantin dieselbe unauffällige Bewegung wie unten: Sie legte ihre rechte Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger leicht auf die rechte Schulter. Das konnte eine zur Angewohnheit gewordene Eigentümlichkeit sein, die ein wohlerzogener Mensch bei einem andern wohl sehen, aber nicht bemerken darf, und keine Bewegung der Augen der Frau zur Mühle verriet, daß diese ›Angewohnheit‹ der Fürstin ihr aufgefallen wäre. Diese zuckte leicht mit den Achseln und deutete auf einen Sessel.

»Nehmen Sie Platz und plaudern wir«, sagte sie, selbst einen Sitz wählend, der sie mit dem Rücken gegen ein Fenster ihrem vollbeleuchteten Besuch gegenüber brachte. Erzählen Sie zunächst von sich selbst.«

»Das ist schnell geschehen, Durchlaucht«, erwiderte Frau zur Mühle bereitwilligst. »Wie aus meinen Papieren hier hervorgeht, bin ich die Tochter eines Offiziers, des schon längst verstorbenen Majors von Friedrichshagen. Mit fünfundzwanzig Jahren heiratete ich den Gutsbesitzer Karl zur Mühle, teilte treulich sein Leben des Kampfes mit den schlechten agrarischen Verhältnissen, bis er mich nach zehn Jahren stillen, inneren Glückes als kinderlose Witwe zurückließ. Als solche mußte ich erfahren, daß das Gut mit Hypotheken dermaßen überlastet war, daß kein Stein darauf mir mehr gehörte; es kam zum Zwangsverkauf, aus dem ich für mich nichts rettete, rein gar nichts. Ich war also gezwungen, mir einen Lebensunterhalt zu suchen, und fand ihn als Gefährtin und Pflegerin einer alten, gelähmten Ministerswitwe, bei der ich – laut diesem Zeugnis – zwölf Jahre geblieben bin.«

»Und warum sind Sie nicht mehr bei ihr?« fragte die Fürstin, mit einer Zigarettentasche spielend, die sie von einem Tisch genommen.

»Sie starb in meinen Armen, Durchlaucht«, erwiderte Frau zur Mühle mit leichtem Beben ihrer wohlklingenden Stimme und effektvollem Niederschlag der Augen, indem sie der Fürstin ein auseinandergefaltetes Papier überreichte. »Dieses Zeugnis stellten mir die Erben der alten Exzellenz aus.«

Es war ein mit vielen Lobes- und Dankesworten gespicktes Elaborat, das die aufopfernde Pflege und Tätigkeit der verwitweten Frau Barbara zur Mühle im Hause der alten Exzellenz über den grünen Klee lobte und ihre hervorragende Begabung als polyglotte Vorleserin, Korrespondentin und Pianistin in ein glänzendes Licht setzte, und nachdem die Fürstin es halb durchflogen, reichte sie der Vielgepriesenen ihre Zigarettentasche.

»Sie rauchen doch?« fragte sie. »Bitte, bedienen Sie sich; auf dem Tisch neben Ihnen finden Sie Zündhölzer.«

Frau zur Mühle schüttelte abwehrend lächelnd mit dem Kopf.

»Solche Passionen dürfen Leute in abhängiger Stellung nicht haben, Durchlaucht. Meine alte Exzellenz hätte sich sicherlich sittlich entrüstet, wenn es mir eingefallen wäre, rauchen zu wollen, oder ich nur angedeutet hätte, daß ich einmal zum Scherz eine Zigarette probiert habe; einmal, und – nie wieder. Aber bewundern darf ich doch dieses schöne, kostbare Etui, nicht wahr?«

Damit nahm sie das schwergoldene Behältnis der Fürstin aus der Hand und betrachtete mit sichtlich naiver Bewunderung die schöne Goldschmiedsarbeit, reich inkrustiert mit farbigen Edelsteinen. Die Rückseite war glatt, nur in der unteren rechten Ecke mit vier eingravierten lateinischen Lettern: S. S. I. R. versehen. Die Augen der Fürstin beobachteten über das Blatt in ihrer Hand weg Frau zur Mühle, während diese das Etui betrachtete, besonders gespannt, als sie es umwendete, und der Gravierung einen Moment der Aufmerksamkeit widmete.

»Die Buchstaben interessieren Sie?« fragte sie dabei betont und unvermittelt, daß Frau zur Mühle erstaunt aufsah.

»Verzeihung, Durchlaucht«, sagte sie in ihrer wohlerzogenen Weise entschuldigend. »Es ist nämlich eine schlechte Angewohnheit von mir, Menschen und Dinge nicht nur oberflächlich, sondern recht gründlich zu betrachten. Ich fragte mich nur, ob diese Lettern Ihr Monogramm sein könnten, aber wenn ich Ihren Namen recht verstanden habe: Ra – Raburs – – ich muß zu meiner Beschämung eingestehen, daß ich den Namen nach einmaligem Hören doch wohl nicht richtig erfaßt habe.«

»Ich heiße Margarita Karabugas«, versetzte die Fürstin, den Namen langsam skandierend.

»Vielen Dank, Durchlaucht, Karabugas!« wiederholte Frau zur Mühle. »Deutet der Name nicht eigentlich auf serbischen Ursprung? Ich interessiere mich sehr für Familien und Familiengeschichte, die ja bei den alten Geschlechtern meist so eng mit der Geschichte ihrer Länder zusammenhängt. Jedenfalls können diese Buchstaben nicht Ihr Monogramm bedeuten, da weder ein M. noch auch ein K. darunter ist. Also wohl ein Andenken an oder von einer Person.«

»So ungefähr. Die Lettern sind übrigens zum Ring gefaßt auch recht hübsch«, meinte die Fürstin und zog von dem Goldfinger ihrer linken Hand einen breiten Ring, der, flüchtig betrachtet, nichts Besonderes hatte, näher besehen aber die nämlichen Buchstaben in lichtsprühenden Diamanten auf der Oberseite trug. Frau zur Mühle nahm den Ring in die Hand und besah ihn mit dem latenten Interesse der Höflichkeit mit schiefem Kopf.

»Es sind sehr schöne Brillanten«, sagte sie, der Fürstin den Ring zurückgebend. »Jedenfalls ein teures Andenken, und dazu ein sehr kostbares.«

Margarita Karabugas sah sie an und lachte kurz auf.

»Gewiß, ein sehr teures Andenken«, erwiderte sie trocken und hart. »Eines jener Andenken, deren Geber man so leicht nicht vergißt, selbst wenn man es wollte.«

Damit vertiefte sie sich ernstlich in das glänzende Zeugnis der Erben der alten Exzellenz, und das Resultat dieser Lektüre war, daß Frau zur Mühle zwanzig Minuten später das Hotel als festengagierte ›Begleiterin‹ der Fürstin Karabugas verließ, mit dem Versprechen, heut noch ihr Amt zu übernehmen, das darin bestand, Briefe für sie zu schreiben, Bücher für sie zu lesen und ihr Vortrag darüber zu halten, ihr Gesellschaft zu leisten, wenn sie Lust dazu hatte, und den Nachmittagstee zu bereiten.

Margarita Karabugas trat auf ihren Balkon hinaus, um der zwar schwer scheinenden, aber federleicht schreitenden Gestalt ihrer neuen ›Hofdame‹, wie die Neiderinnen der Fürstin spöttisch ihre Gesellschafterin nannten, nachzusehen.

›Sie sieht repräsentabel und intelligent aus‹, dachte sie, in das Zimmer zurückgehend. ›Und vertrauenerweckend‹, setzte sie mit der eigentümlichen Blindheit hinzu, die gelegentlich auch jene heimsucht, die mit allen Hunden gehetzt sind. ›Sie ist nicht geldgierig, sie will nur ein behagliches Leben und wird dankbar sein für jedes Extra, mit dem ich ja auch nicht zu sparen pflege. Und dann: Ich brauche sie ja auch nur so lange, bis – bis ich frei bin, das heißt, Herrin von Fernhill-Towers. Welch' ein glücklicher Zufall, der mir auf dem ersten Schritt zu diesem Ziel Freund Kuttussow in den Weg führte! Er sitzt jetzt sicherlich, dieser brave und fleißige Beamte, Depeschen und Berichte schreibend, und während er an allen Knöpfen seines Mechanismus drückt, habe ich schon eine neue »Begleiterin« meiner Wahl sozusagen von der Straße aufgelesen, und die Marionette aus seinem Wachsfigurenkabinett findet den Platz als Spionin der Spionin schon besetzt! Von einem harmlosen Wesen, dessen Neugier über das normale Maß wohl kaum etwas hinausgehen wird, das höchstwahrscheinlich keine blasse Ahnung davon hat, daß es Menschen gibt, die unter fremdem Willen als weiße Sklaven arbeiten. Und paßt sie mir nicht, diese Frau zur Mühle, dann schicke ich sie eben mit einem glänzenden Zeugnis wieder ihrer Wege, ehe es sowieso geschehen würde.‹

Die Fürstin Karabugas war gewiß weit davon entfernt, die Fähigkeiten des Herrn von Kuttussow zu überschätzen; dabei aber ahnte sie nicht, daß sie ihn gründlich unterschätzte, was natürlich ein schwerer Fehler war. Sie wäre sicher sehr unangenehm überrascht gewesen, hätte sie den Brief lesen können, den Frau zur Mühle eine Stunde nach ihrer Rückkehr aus dem Englischen Hof in ihre kleine Familienpension an der Lichtenthaler Allee zur Post trug und unter der Adresse des Herrn Baron von Kuttossow ›einschreiben‹ ließ, und der schon in seinen Händen war, bevor er gegen Abend den gewohnten Gang in die Lesesäle des Internationalen Klubs antrat.

 

»Es ist gelungen, mein hochverehrter Gönner, ich bin engagiert«, schrieb die Absenderin in russischer Sprache. »Das berühmte, oft schon erprobte Zeugnis mit seinem Parfüm altmodischer Ehrbarkeit und pedantischer Respektabilität hat ganz und gar die erwartete Wirkung gehabt; die Offizierstochter und Gutsbesitzerswitwe, die rührend besorgte Pflegerin einer imaginären, fossilen Exzellenz hat glänzend gewirkt. Natürlich wurden alle Register gezogen, doch ich stand respektive saß mit dumm-freundlichem Lächeln verständnislos vor dem Zeichen, dem Zigaretten-Etui und dem Ringe. Der Ring war mein Meisterstück, das Zeugnis muß ich mir selbst ausstellen. Ich muß noch lachen, wenn ich daran denke; Sie kennen ja meinen Sinn für Humor. Auch das Examen verlief zur Zufriedenheit; ich sprach französisch und Englisch fließend, Italienisch im allgemeinen befriedigend, Russisch natürlich leider nicht ... Erbot mich aber, es zu lernen, was abgelehnt wurde, wie vorauszusehen war. Kurz und gut, ich trete heute abend schon meine Stellung an als das respektabelste und würdevollste Exemplar einer Begleiterin und Ehrendame für eine schöne, reiche, junge Witwe. Was doch nicht alles aus einem Menschen werden kann, wenn er's nur erlebt, nicht wahr? Aus einem Menschen mit meiner Vergangenheit! Es wäre zum Lachen, wenn es nicht eigentlich mehr zum Nachdenken anregte. Darf ich mir als Resultat desselben die Frage erlauben, weshalb ich nicht längst schon der Fürstin attachiert wurde? Das soll nicht etwa ein Vorwurf gegen die Einsicht und Weisheit des Chefs sein; meine Frage entspringt nur der Überzeugung, daß meine Vorgängerin eine – › Gans‹ gewesen sein muß. Wirklich, ich finde keinen milderen Vergleich für eine Person, die dermaßen ihren Kopf verliert, daß sie sich entlassen läßt! Gewiß, die Fürstin ist ja eine Säule des S. S. I. R., sie ist eine Ziffer, mit der man rechnen muß, aber, du liebe Zeit, dann rechnet man eben mit ihr.

Also bis auf weiteres, Ihre ergebene
Warwara Iwanowna.«

 

»Puh!« machte Kuttussow, nachdem er diesen Brief gelesen, zerrissen dem diskreten Schlunde seines Ofens anvertraut und gegangen war, sich die Hände zu waschen. »Puh! Pfui Teufel! Mit welchem Gesindel man sich doch abgeben muß! Nicht mit der Ofenzange möchte ich dieses Weib anfassen wollen. Humor! Die Strickerinnen der Guillotine hatten auch diese Sorte von ›Humor‹, vor dem man sich vor Grauen schüttelt. Und solch' eine Bestie braucht man, muß sie loslassen auf – ja weiß ich denn, ob die eine nicht der andern wert ist? Kenne ich die Antezedentien der Witwe des alten Saufaus Karabugas? Die kennt nur der Chef, und dieser vielleicht nicht einmal vollständig; mein bescheidenes Wesen reicht nur für das Genre einer Warwara Iwanowna aus. Zum Glück ahnt das weder die eine noch die andere, denn wo bliebe sonst meine Autorität? Nun, das Wesentliche ist, daß die Verantwortung von mir genommen und der Aal wieder im Netz ist.«

Ja, der Aal war im Netz, ohne es zu wissen, und – fühlte sich sogar wohl darin; denn ehe die Fürstin Karabugas vierundzwanzig Stunden älter war, hatte sie sich schon dreimal zu der raschen Tat, eine Gesellschafterin von der Straße weg zu engagieren, beglückwünscht. Mit welchem Takt, ohne auch nur Schatten einer Aufdringlichkeit zu zeigen, wußte diese Person sich nützlich, angenehm, unentbehrlich zu machen! Sie erriet einen kaum gedachten Wunsch, geschweige denn, daß sie einen ausgesprochenen nicht sofort erfüllt hätte. Sie sprach und schwieg, wie es gerade der Laune ihrer Herrin angenehm schien; sie sprach mit ihrem melodischen Organ gut und verstand es, ihren Gedanken die richtigen Worte zu geben, sie spielte virtuos Klavier, sie hatte schöpferische Ideen in bezug auf Toilette, sie – und so weiter, freilich, neue Besen fegen gut; die Fürstin kannte das Sprichwort auch und hatte Erfahrungen damit gemacht. Sie besaß auch Welt- und Menschenkenntnis genug, um zu wissen, daß neue Besen in ihrer ersten, brillanten Tätigkeit auch sobald nicht nachlassen, wenn sie nicht abgenutzt beziehungsweise ausgenutzt, sondern gut gepflegt werden. Um zu dem Resultat ihrer dreifachen Selbstbeglückwünschung zu gelangen, hatte die Fürstin den ersten Abend daheim und allein mit ihrem ›neuen Besen‹ zugebracht, und dieses Opfer war kein zu großes in Anbetracht dessen, was diese Person für sie bedeutete, die viel bei ihr zu sehen und zu hören bekam, was zum Nachdenken anregte; wohlverstanden für jemand, der außerhalb der Lettern S. S. I. R. lebte, aber gewohnt war, Zahlen zu einer Summe zu addieren! In dieser Zähigkeit lag eine gewisse Gefahr, aber Margarita Karabugas stand auf der Schwelle, den Kreis der bewußten Lettern zu durchbrechen, die Kette zu zerreißen, die sie mit ihm verband. Folglich konnte die Gefahr nicht mehr von Bedeutung sein, selbst wenn Frau zur Mühle ihre Addition richtig machte, woran nicht zu zweifeln gewesen wäre, da sie ja einen intelligenten Eindruck machte, gemäßigt durch eine Dosis naiver Weltfremdheit, die sie, durchsetzt mit einiger leicht angedeuteten Spießbürgerlichkeit, sehr geschickt zu mimen wußte.

Aber trotz ihres Triumphs über den Erwerb des ›neuen Besens von der Straße‹, dispensierte sich die Fürstin nicht von der letzten Probe aufs Exempel – von der Konfrontierung der Frau zur Mühle mit Herrn von Kuttussow. Natürlich wußte sie, daß beide sich beherrschen würden, falls sie einander kennen sollten, was allerdings so gut wie ausgeschlossen schien, aber trau, schau, wem?! Schon die Vorsicht gebot der Fürstin, ihr Selbsterhaltungstrieb forderte diese letzte Probe, wobei sie sich gelobte, daß ihr keines, auch nicht das leiseste Zeichen eines etwaigen Einverständnisses zwischen beiden entgehen sollte. Sie hatte sich von Frau zur Mühle im Tete-a-tete des ersten Abends nicht etwa einfach faszinieren lassen, o nein, sie hatte ihr lauter kleine Fallen gestellt. Keine hatte ›gezogen‹; aber wenn sie ihre neue Gesellschafterin auch durchaus nicht für beschränkt hielt, was sie nach den abgelegten Proben ihrer Konversation auch nicht sein konnte, so gestand sie ihr doch auch nicht die eigene, scharfgeschliffene Finesse zu, für die man den vulgären Ausdruck ›Gerissenheit‹ hat. Vermöge dieser Gabe hütete sie sich – ihrer Meinung nach – vor Unterschätzung und hatte damit auch nicht unrecht, schon weil sie mit Leuten von der Art einer – Frau zur Mühle wenig oder gar nicht zu tun gehabt hatte, wie hoch vor dem Richterstuhl der Moral auch das Zünglein der eigenen Wage in die Luft geschnellt wäre.

Am ersten Morgen ihres Dienstes wurde Frau zur Mühle mit dem Abfassen von einigen nichtssagenden Briefen beschäftigt, erledigte diese Aufgabe zur Zufriedenheit und wurde dann aufgefordert, die Fürstin auf die Promenade zu begleiten.

›Sie sieht aus, als ob sie mich zu bemuttern hätte‹, dachte die letztere, die imposante Gesellschafterin kühl musternd. Diese aber kannte ihren Platz, sie trat zur Linken ihrer Brotherrin und wartete bescheiden auf deren erstes Wort.

»Baden-Baden ist doch noch erstaunlich leer«, bemerkte Margarita Karabugas nach einer Weile, worüber Frau zur Mühle lachen mußte.

»Leer von Ihrer Welt, Durchlaucht«, sagte sie mit einem amüsierten Blick auf die zahlreichen Spaziergänger in der Lichtenthaler Allee. »Es ist so unterhaltend, alle diese Typen zu beobachten, sie auf ihre Lebensstellung zu taxieren. Mir wenigstens macht das immer großen Spaß. Diese Touristengruppe vor uns zum Beispiel, ist die nicht zum Malen mit ihren Rucksäcken, gerafften Kleidern, lauten Stimmen und herablassenden Bemerkungen über ›das janz nette Nest –‹? Die Reichsmetropole ist glänzend durch sie vertreten.«

»Sie laufen in Rom gerade so herum«, meinte die Fürstin uninteressiert, weil sie ihren Blick scharf suchend über das ihnen entgegenkommende Publikum schweifen ließ, was Frau zur Mühle natürlich zur Notiz nahm, ohne daß es den Anschein hatte. In ihren Kreisen pflegte man zu behaupten, daß sie auch hinten und zu beiden Seiten Augen habe, alles damit zu sehen. Und was für Augen!

»Ich kann sie mir dort gut vorstellen; sie sind immer die Herren der Welt«, lächelte sie in bezug auf die Rucksäckler. »Haben Durchlaucht schon die alte Dame dort auf jener Bank bemerkt mit ihrer jammervoll ruppigen Eleganz, dem geschminkten, verrunzelten Gesicht unter der schief sitzenden, fuchsigen Perücke und dem mit Rosen, alten, verblichenen, verstaubten und zerdrückten Rosen, überladenen Hut? Sie gehört zum eisernen Bestand der Kurgäste, diese Karikatur. Zum Totlachen!«

»Nein, zum Weinen«, verbesserte die Fürstin scharf. »Das arme Geschöpf will den Menschen die künstliche Jugend ihres verlorenen, stürmischen Lebens immer noch vortäuschen und betrügt damit nur sich selbst. Es ist fürchterlich zu denken, daß man am Ende auch soweit kommen könnte.«

»Welche Idee, Durchlaucht!« protestierte Frau zur Mühle. »Vor solchen Wechselfällen des Lebens sind Sie doch sicher.«

»Sicher! Wer ist sicher in dieser Welt?« versetzte die Fürstin seufzend.

»Nun ja, vom allgemeinen Standpunkt aus betrachtet, darf man wohl so sagen; kann ich doch selbst ein trauriges Lied von den Wechselfällen des Lebens singen«, gab Frau zur Mühle, gleichfalls seufzend, zu und fuhr dann wieder munter fort: »Welch' hübsche, frische junge Mädchen, die uns eben überholten! Man sieht ihnen die Engländerinnen auf den ersten Blick an. Und der Herr, der sie eben grüßt – auch ein Typ. Die wichtige Miene, die er aufsetzt, steif wie ein Ladestock mit oder wegen seiner stackrigen Rheumatismusbeine.«

Die Fürstin warf einen scharfen Blick auf das scheinbar harmlos-heitere Gesicht ihrer Gefährtin; denn der eben von ihr boshaft kritisierte Herr war kein anderer, als Herr von Kuttussow, der, das beim Grüßen herabgefallene Monokel einklemmend, die beiden Damen gewahrte und, den Hut ziehend, halt vor ihnen machte.

»Ah, lieber Baron!« rief die Fürstin, gleichfalls stehenbleibend. »Machen Sie auch Ihre Morgenpromenade? Gestatten Sie mir, Sie meiner Begleiterin, Frau zur Mühle, vorzustellen; Legationsrat Baron Kuttussow.«

Der Diplomat zog nochmals seinen Hut mit einem halbverschleierten Blick auf die Gesellschafterin, die sich leicht und korrekt verbeugte. In seinem Blick las die scharf beobachtende Fürstin eine ihr ganz begreifliche Neugierde, gepaart mit Widerwillen und Mißtrauen, und wenn sie diese Gefühle ja auch in ihrem Sinne falsch deutete, so verursachte ihr diese Einbildung doch einen Triumph über ihren Sieg. Auf dem Gesicht der Frau zur Mühle aber las sie nichts als die vorzüglich gespielte Verlegenheit über die eben noch geäußerten, mokanten Worte, mit denen sie den Baron kritisiert.

»Sie zeigen Frau – Frau – oh, Frau zur Mühle ein Stückchen Baden-Baden, Fürstin?« fragte Kuttussow, und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Sie werden Ihre gewohnten Satelliten zur Zeit noch recht vermissen und sich darum einsam fühlen. Das ist die Strafe dafür, wenn man vor der Hochsaison ein Weltbad besucht.«

»Ja, das kommt davon«, lachte die Fürstin spöttisch und mit einer Überlegenheit, die den Diplomaten ohne Phrase ärgerte, ihm andererseits aber auch den Beweis lieferte, daß sie einen anderen Zweck, als den der Erholung hatte, zu dieser Zeit nach Baden-Baden gekommen zu sein. »Übrigens«, setzte sie pikiert hinzu, »ist Ihre Annahme, daß ich durchaus auf die Unterhaltung ›meiner Satelliten‹ angewiesen sein muß, nicht gerade sehr schmeichelhaft für Ihre Beurteilung meiner eigenen geistigen Fähigkeiten und Hilfsquellen.«

»An Ihren geistigen Fähigkeiten zu zweifeln, wäre nicht nur eine Unhöflichkeit, sondern ein schwerer Fehler«, sagte Kuttussow in seinem schleppendsten Ton. »Es ist im allgemeinen ja Menschenart, seine Nebenmenschen geistig um ein paar Grade tiefer als sich selbst einzuwerten. Das aber muß ein Diplomat sich entschieden abgewöhnen, namentlich, wenn es sich um Gegner handelt, die er immer für klüger halten muß, als er selbst ist – bis ihm das Gegenteil bewiesen wird; sonst hat er das Nachsehen. Auf der Art von Sinekure, die ich zur Zeit und hoffentlich nur vorübergehend bekleide, muß man sich in acht nehmen, nicht in die alte, süße, aber sehr schlechte Gewohnheit der Unterschätzung seines lieben Nächsten zurückzufallen. Ihnen gegenüber, liebe Fürstin, wäre das indes schon darum unmöglich, weil Sie einem ja jeden Augenblick den Beweis vom Gegenteil geben.«

»Was soll man darauf antworten?« lachte die Fürstin heiter. »Aus solchem Munde solch' ein Kompliment –«

»Verzeihung, ich habe Ihnen kein Kompliment gemacht, sondern nur eine Tatsache festgestellt«, fiel Kuttussow trocken ein.

»Also habe ich gar nicht nötig, mich geschmeichelt zu fühlen. Um so besser!« versetzte die Fürstin. »Aber in vollkommenster Aufrichtigkeit gesagt: Ich finde die Ruhe hier sehr wohltuend. Der Winter in Rom war diesmal außergewöhnlich anstrengend.«

»Das finde ich ganz begreiflich – nach dem zu urteilen, was ich schon darüber gehört. Die Ihnen bevorstehende Season in London dürfte auch nicht gerade nervenberuhigend wirken, und darum ist Ihr Wunsch nach einer Ruhepause zu verstehen«, bemerkte der Diplomat in einem Ton, der für Uneingeweihte sicher nichts anderes, als eine freundliche Zustimmung ausdrückte, für die Fürstin aber augenscheinlich einen Sinn hatte, der ihr das Blut jäh in das blasse Gesicht trieb.

»Meine bevorstehende Londoner Season?« wiederholte sie die unzweifelhaft betonten Worte. »Ich erinnere mich, daß Sie gestern schon davon als wie von einer feststehenden Tatsache sprachen, aber es ist doch noch sehr ungewiß, sehr, ob ich in diesem Jahr nach London gehen werde.«

»Wirklich? Hm – ich meine doch gehört zu haben –«

»Ja, ja, – es stand wohl auf meinem Programm, jedoch«, dabei sah sie den Diplomaten voll an, »hat sich einiges darin verschoben, und es kann sein, daß ich zuvor einen Abstecher nach – Petersburg machen werde.«

»Oh!« warf Frau zur Mühle mit einem leisen Laut des Entzückens ein. »Petersburg! Es war immer der Traum meines Lebens, Petersburg zu sehen!«

»Träume sind eine unsichere Form der Wünsche«, sagte die Fürstin, indem sie Kuttussow dabei ansah. »Sie werden Ihren Traum möglicherweise nicht so bald verwirklicht sehen, liebe Frau zur Mühle, denn ich sprach ja nur von etwas noch ganz Ungewissem. Selbst wenn es dazu kommt, würde ich nur ganz vorübergehend zur Ordnung von Geschäften nach Petersburg reisen.«

»Ja, zur Ordnung von Geschäften und so weiter«, wiederholte Kuttussow wie für sich. Nun, die Verbindungen zu solch' einer Reise sind sehr gute. Die Ordnung von Geschäften ist freilich eine Sache, die sich vorübergehend nicht so leicht und einfach machen läßt, weil sich dabei meist unvorhergesehene Zwischenfälle ergeben. Namentlich, wenn es sich dabei zum Beispiel um die Lösung von Verträgen handelt. Man schließt solche meist rascher, als sie sich lösen lassen, weil man leicht an einer etwa übersehenen Klausel wie angeleimt festsitzt. Das ist natürlich nur eine ganz allgemeine Bemerkung, die mir gerade in den Sinn kam. Übrigens fällt mir ein, daß Sie, liebe Fürstin, hier nicht ganz auf die Gesellschaft meiner Wenigkeit angewiesen sein werden; denn man erzählte mir im Hotel, daß Graf Eschweiler sehr bald hier einzutreffen gedenkt.«

Über das blasse Gesicht der Fürstin flog eine Wolke.

»Oh, wirklich?« fragte sie gedehnt. »Wie kommt er denn darauf, gerade jetzt hierherzukommen?« setzte sie scharf und irritiert hinzu. »Ich denke, er jagt Bären oder Elche oder was weiß ich?«

»Soviel ich weiß, hat er eine Reise nach Afrika gemacht; also wird er wohl Löwen oder Elefanten gejagt haben«, berichtigte Kuttussow trocken. »Apropos: Was haben Sie denn zu dem armen Fernhill gesagt?«

»Zu – dem – armen – Fernhill?« wiederholte die Gräfin aufmerksam, beunruhigt, mit einem seltsamen, trockenen Gefühl in der Kehle, indem sie die Worte mechanisch nachskandierte. »Warum dem ›armen‹? Ist ihm etwas zugestoßen?«

»Etwas Menschliches, Allzumenschliches. Er ist gestorben. Haben Sie es denn nicht in der Zeitung gelesen? Es stand ja schon vor einigen Tagen in den ›Times‹.«

Die Fürstin war bei Kuttussows Worten ›Er ist gestorben‹ zurückgefahren, als ob sie einen Stoß erhalten hätte, und richtete, stehenbleibend, ein paar unnatürlich erweiterte, glanzlose Augen auf den Berichterstatter. Er hatte nicht gewußt, nicht denken können, daß sie noch nichts davon gehört, und erschrak fast vor diesen Augen, die ihm zwar eine bekannte Gefahr waren, von der er aber gehofft hatte, daß nicht sie es waren, die den ›armen‹ Fernhill in ein vorzeitiges Grab getrieben. Ehrlich gehofft hatte er es.

Nur eine Frau von der unerbittlichen Selbstbeherrschung, wie Margarita Karabugas sie besaß und ununterbrochen zu üben gezwungen war, konnte nach einer Viertelminute der Erstarrung ihren Weg im Promenadenschritt fortsetzen und nach einem freilich fruchtlosen Versuch, ihre weiß gewordenen Lippen zu befeuchten, im Ton freundlichen Bedauerns sagen:

»Nein, ich habe es nicht gelesen; es ist mir ganz im Trubel meiner Abreise von Rom entgangen, und kein Mensch hat mir davon etwas gesagt, kein Mensch. Gestorben! Oh, das tut mir aber wirklich schrecklich leid.«

»Mir auch. Es tut allen leid, die Fernhill gekannt haben«, sagte Kuttussow mit mehr Gefühl, als die Fürstin ihm je zugetraut. »Er hatte keinen Feind, außer –« Er brach kurz ab und blickte geradeaus.

»Außer –?« Es klang wie eine Herausforderung.

»Außer seiner glänzenden Unerfahrenheit und Harmlosigkeit«, vollendete Kuttussow seinen entschieden suggestiv abgebrochenen Satz.

Die Fürstin zog scharf den Atem ein.

»Woran – ich meine, wie ist er gestorben?« fragte sie nach einer Weile, immer noch mit blassen, trockenen Lippen.

»Man vermutet, an einem Herzleiden – beim Perlenfischen«, antwortete Kuttussow lakonisch.

»Beim Perlenfischen?« rief Frau zur Mühle aus. Sie hatte mit Augen und Ohren zugehört.

»Ja doch, beim Perlenfischen! Der Herr Baron hat es, dächte ich, laut und deutlich genug gesagt!« fuhr die Fürstin sie scharf und gequält an.

»Oh, Verzeihung, ich habe eigentlich nur laut gedacht«, entschuldigte sich Frau zur Mühle mit ungespieltem Erstaunen über diese Attacke. »Ich hatte nicht gewußt, daß die Perlenfischerei ein Sport ist. Man lernt eben nie aus.«

Sowohl die Fürstin, als auch Kuttussow ignorierten die Entschuldigung wie die Betrachtung. Schweigend gingen sie noch eine kleine Weile nebeneinander her, dann empfahl sich der Diplomat mit der Frage, ob die Fürstin abends zum Konzert ins Kurhaus oder ins Theater gehen würde.

»O ja – ins Konzert und ins Theater«, antwortete sie zerstreut, und Herr von Kuttussow erlaubte sich darob ein leichtes Zucken mit dem Munde, das Frau zur Mühle für ein Lächeln hielt.

»Welch' ein liebenswürdiger, geistreicher Herr«, sagte sie bewundernd, als sie mit der Fürstin allein dem Hotel zuging.

»Ich erlaube mir zu widersprechen«, versetzte die Fürstin gereizt. »Herr von Kuttussow ist ledern, trocken und langweilig – alles andere, nur nicht geistreich. Und was seine Liebenswürdigkeit betrifft – himmlische Güte! Er war ja kaum höflich zu Ihnen!«

»Oh, zu mir –!« lächelte Frau zur Mühle bescheiden. »Ich zähle doch nicht mit. Aber ich habe ein schrecklich schlechtes Gewissen, Durchlaucht! Wie hätte ich auch ahnen können, daß der Herr, über dessen Wichtigkeit mit Hilfe seiner steifen Pedale ich mich lustig machte, einer Ihrer Freunde ist!«

»Sie können Ihr Gewissen beruhigen«, sagte die Fürstin ungeduldig. »Herr von Kuttussow ist nur ein Bekannter von mir; einer von den Unvermeidlichen. Gehen wir übrigens etwas schneller – ich habe Kopfschmerzen. Lord Fernhill war einer meiner Freunde – die Nachricht seines Todes ist mir sehr unerwartet gekommen und hat mich verstimmt. Und betrübt«, setzte sie nachträglich hinzu. »Ich hasse solche unerwarteten Nachrichten, und es liegt etwas so rücksichtslos Brutales in dem Sterben junger Menschen.«

Frau zur Mühle zog die Augenbrauen bei diesem sonderbaren Requiem hoch und warf einen scharfen Seitenblick auf das Gesicht der Fürstin, das blasser war wie gewöhnlich, und in den großen Augen brannte ein hartes Feuer, die schmalen Lippen waren fest geschlossen, die Nüstern der feinen Nase zitterten – –

Die Gesellschafterin hielt es angesichts dieser Sturmzeichen nicht für geraten, irgendeine banale Beileidsbezeugung zu murmeln. Das sah ja beinahe so aus, als faßte die Fürstin die Trauernachricht eher wie eine persönliche Beleidigung auf, als einen sie nahe berührenden, schmerzlichen Fall! Schweigend legten sie den Weg ins Hotel zurück, und als Margarita Karabugas allein in ihrem Privatzimmer war, ließ sie sich in einen Sessel fallen, ohne Hut und Handschuhe abzulegen, ohne den Sonnenschirm wegzustellen. Das harte Feuer in ihren mächtigen Augen war nicht erloschen, es brannte in ihnen fort mit jener steten, entschlossenen Glut, die Gefahr bedeutet.

Ja, die Nachricht vom Tode Lord Fernhills hatte sie wie ein betäubender Schlag getroffen, und nur die Schule der Selbstbeherrschung, durch die sie gegangen und die sie unentwegt zu üben verpflichtet war, hatte sie über die erste grausame Enttäuschung hinweggebracht und verließ sie auch jetzt, allein mit sich selbst, nicht. Sie hatte Lord Fernhill heut oder morgen hier erwartet und dieser Begegnung wegen zielbewußt angefangen, ihre Schiffe hinter sich zu verbrennen – sicher, wie sie ihrer Sache war.

›Törin, dreifache Törin, die ich war, ihn zu dieser wahnsinnigen Expedition ziehen zu lassen!‹ dachte sie mit bitterem Selbstvorwurf. ›Das ist eine harte Lehre, seiner Sache nie sicher zu sein, sich nicht allzu rar zu machen! Weil ich keine Ahnung von der Gefahr hatte, nicht die leiseste Ahnung! Wie hätte ich's auch sollen, da der arme Junge doch aussah, wie das Leben selbst. Und dann hatte ich ja auch zwei Eisen im Feuer, aber während ich das eine nach meinem Willen zu modeln glaubte, es tatsächlich auch modelte, verpaßte ich, das andere zu schmieden, solange es glühte. Ob es wohl noch glüht? Nun, ich werde es binnen kurzem ja wissen, aber die Ungewißheit ist unerträglich! Unerträglich! Aber doch vielleicht auch gut, mich vorzubereiten. Mit dem armen, noch recht unreifen Jungen hatte ich leichtes Spiel, der andere aber ist ein Mann, mit dem Schwierigkeiten vorauszusehen sind, wenn ich meine Karten nicht gut mische. Den armen Jungen hatte ich wirklich gern – nun, er ist dahin, verdorben und gestorben durch seinen eigenen Willen, – was geht's mich schließlich an? Ich bin doch wahrhaftig längst jenseits der Grenze sentimentalen Mitleids angelangt, das ja auch für mich nur ein ganz überflüssiger Ballast wäre.‹

Langsam, schwer erhob sie sich und legte mit dem präzisen Ordnungssinn, der sie charakterisierte und für sie sehr wertvoll war, ihre Sachen ab. Während sie noch damit beschäftigt war, ihre Handschuhe mit methodischer Pedanterie zusammenzulegen, klopfte es an, und auf ihre Aufforderung einzutreten, erschien Frau zur Mühle, eine Anzahl Briefe in der Hand.

»Die eben eingetroffene Post, Durchlaucht«, meldete sie beflissen.

»Danke«, sagte die Fürstin kurz, indem sie die Briefe unbesehen auf den Tisch warf, »Sie brauchen sich damit nicht zu bemühen. Das Hotel hat einen eigenen Kommissionär zur Abgabe der Postsachen für die Gäste.«

»Ich nahm ihm diese ab, Durchlaucht, weil ich dachte, daß ich vielleicht mit einer Beantwortung beauftragt werden könnte«, erklärte Frau zur Mühle ohne jede Empfindlichkeit.

»Gut, ja – ich werde es Ihnen schon sagen, falls etwas durch Sie zu beantworten sein sollte.«

»Sehr wohl, Durchlaucht. Darf ich mir bei dieser Gelegenheit den Vorschlag zur Anlage eines Briefjournals erlauben? Das hat den Vorzug großer Übersichtlichkeit und vermeidet die Möglichkeit des Vergessens, ob dieser oder jener Brief eingetroffen und beantwortet ist und an welchem Tage. Neben der fortlaufenden Nummer, dem Namen des Absenders beziehungsweise des Adressaten und dem Datum, gibt man durch ein Schlagwort den Inhalt an und erleichtert sich so –«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach die Fürstin diese Auseinandersetzung. »Sie können das natürlich mit den Korrespondenzen, die Sie zur Erledigung erhalten, so machen, schon weil das ein Ausweis für Sie ist. Meine Privatangelegenheiten registriere ich in dieser Weise selbst.«

Das hatte Frau zur Mühle natürlich nur wissen wollen, und sie vermutete unter den eben abgegebenen Briefen solche ›Privatangelegenheiten‹. Ihr geübtes Auge hatte aber keinen dieser Briefe für wert gehalten, sich damit in ihr eigenes Zimmer zu einer näheren Kontrolle zurückzuziehen und sie bis zur nächsten Post zurückzuhalten. Experte, wie sie sich rühmen durfte in der ›Überprüfung‹ nicht an sie selbst gerichteter Briefe zu sein, verlachte sie die bloße Idee, daß man ihnen eine derartige Behandlung ansehen könnte – hatte sie doch ein eigenes Verfahren erfunden, den Ausgabestempel unverkennbar zu verändern. Freilich, daß der Hotelkommissar sie ferner nicht als Vermittlerin anzusehen hatte, war ein unvorhergesehenes Hindernis und bewies, daß sie es mit jemand zu tun hatte, der mit allen Möglichkeiten zu rechnen hatte und durchaus nicht zu überrumpeln war.

»Es würde mir eine besondere Freude sein, Durchlaucht die Führung Ihres Journals abnehmen zu dürfen«, sagte sie mit großartiger Harmlosigkeit. »Ich möchte es aber nicht als Indiskretion aufgefaßt wissen«, setzte sie hastig hinzu.

»Danke, nein – ich besorge das schon lieber selbst«, erwiderte die Fürstin amüsiert über soviel Naivität.

»Ich wagte mich auch nur anzubieten, weil ich für meine alte Exzellenz auch immer die Familienbriefe zu schreiben hatte, weil sie mir im Punkte der Verschwiegenheit volles Vertrauen schenkte«, stotterte Frau zur Mühle, die Betroffene spielend, und zwar gut spielend.

»Ich bitte Sie, es bedarf keiner Entschuldigung, weder von Ihnen noch von mir. Sie werden sich schon noch daran gewöhnen, daß ich keine alte Exzellenz, sondern eine junge Durchlaucht bin«, lachte die Fürstin ehrlich belustigt, und Frau zur Mühle lächelte nolens-volens mit.

»Oh«, machte sie kopfschüttelnd, »Durchlaucht müssen mich wirklich für eine rechte Rothaut aus den Hinterwäldern halten! Genau besehen, bin ich's wohl auch; denn eingeschlossen mit meiner alten Exzellenz und in der Großstadt abgeschlossen von aller Welt, habe ich so gut wie in den Hinterwäldern gelebt.«

»Was in meinen Augen kein Fehler ist, liebe Frau zur Mühle. Im Gegenteil. Also, um auf die Briefe zurückzukommen –«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach das weitere, und der Kurier und Kammerdiener der Fürstin in einer Person – ein in Rom von ihr engagierter Italiener von der guten, alten, soliden Sorte, die auch schon im Aussterben begriffen ist – erschien, einen Servierteller mit einer Visitenkarte darauf in der Hand, und meldete mit der ganzen Würde des Dieners eines großen Hauses in diskretem Tonfall:

»Der Herr Graf von Eschweiler bitten Durchlaucht seine Aufwartung zu machen.«

Frau zur Mühle glaubte deutlich zu sehen, daß die Fürstin heut zum zweiten Male einen ›Choc‹ erlitt – oder hatte sie sich getäuscht? Nein, sie war zusammengezuckt; vielleicht, weil sie noch nervös von der Todesnachricht heut morgen war, vielleicht auch – –

Jedenfalls brauchte die Fürstin eine unverhältnismäßig lange Zeit, um es auszusprechen, ob sie den Besuch annehmen wollte oder nicht. Sie nahm die Karte von dem Tablettchen, las sie, als wäre sie in unbekannten Lettern gedruckt, drehte sie auf die andere Seite – – ›um Zeit zu gewinnen‹, dachte Frau zur Mühle. Damit hatte sie richtig geraten; Margarita Karabugas wollte Zeit gewinnen. Sie, die eben noch ein paar Tage der Ungewißheit vor sich selbst für unerträglich erklärt hatte, sie lehnte sich gegen die ›Überrumpelung‹ auf.

›Warum hat dieser alte Einmischling, dieser Kuttussow, gesagt, der Graf würde in ein paar Tagen hier eintreffen?‹ dachte sie zornig und erregt. ›Warum läßt er mir nicht Zeit?‹ »Sagen Sie dem Herrn Grafen, ich ließe mich entschuldigen, Pietro«, sagte sie laut, sich's bewußt, daß sie länger nicht zögern durfte. »Wenn der Herr Graf aber heut nachmittag zum Tee kommen wollte – halt, nein! Ich habe es mir anders überlegt. Ich lasse bitten. Führen Sie den Herrn Grafen in meinen Salon; ich lasse bitten, einen Moment zu warten – ich komme gleich.«

Sie bewohnte in dem Hotel ein sogenanntes ›Appartement‹, bestehend aus Schlafzimmer mit Badekabinett, Boudoir und Salon. An diesen stießen auf der anderen Seite eine Reihe von Einzelzimmern, von denen man das neben dem Salon liegende auf den Wunsch der Fürstin für Frau zur Mühle freigemacht und die Doppeltür hinter der herabgelassenen Portiere aufgeschlossen hatte. Ein durchaus nicht williger Gast mußte dazu überredet werden, dieses Zimmer aufzugeben und sich anderswo unterbringen zu lassen, was Gastwirte bekanntlich nur sehr ungern tun. Aber für einen Gast wie die Fürstin mußte man schon riskieren, den Zorn eines andern, der nur ein Zimmer bewohnte, auf sich zu laden. Frau zur Mühle also hatte dieses Zimmer bezogen, und so war es ganz natürlich, daß sie sich nun durch den Salon dahin zurückzog, nachdem sie keine Aufforderung erhalten hatte, dem gemeldeten Besuch beizuwohnen. Es war dann auch wahrscheinlich ganz natürlich, daß sie in dem schönen, großen Salon mit den eleganten Louis XV.-Möbeln noch etwas verweilte, um das wundervolle, silberne Teeservice zu bewundern, der Fürstin Eigentum, das sie immer in einem besonderen Koffer mit sich führte und nun auf einem niederen orientalischen Tisch aufgestellt war. Alle Welt bewunderte dieses herrliche, kostbare Service, und obwohl Frau zur Mühle schon gestern abend eine Entzückungsrhapsodie darüber angestimmt, mußte sie einfach jetzt noch einmal bewundernd davor stehenbleiben, bis Pietro den Grafen Eschweiler in den Salon führte. Erstaunt grüßte er die ihm fremde, stattliche Dame, die ihm eine sehr korrekte Verbeugung machte.

»Durchlaucht werden sogleich erscheinen«, sagte sie mit ihrer musikalischen Stimme, machte eine zweite Verbeugung und verschwand in ihr Zimmer, dessen Tür sie kaum hinter sich geschlossen hatte, als auch schon die gegenüberliegende sich öffnete und in ihrem Rahmen Margarita Karabugas mit einem strahlenden Lächeln erschien.

»Nein, das ist einmal eine angenehme Überraschung! Und dieser langweilige Mensch, Herr von Kuttussow, behauptete vor einer Stunde erst, daß Sie in einigen Tagen erwartet würden!« rief sie aus, ihm beide Hände zum Gruß ausstreckend. »Es war mir ganz neu, daß Sie nach Baden-Baden kommen wollten, denn irgend jemand hat mir gesagt, Sie seien in Indien, Tiger zu jagen.«

Eschweiler küßte die beiden, ihm gereichten, schönen, weißen Hände und sah dann tief in die strahlenden Augen, die ihm solch' einen beneidenswerten Willkommen zuleuchteten.

»Man kann nicht immer Tiger jagen, obschon sie verhältnismäßig leichter zu erjagen sind, als das Glück, das nun einmal die begehrenswerteste Jagdbeute dieses Lebens ist und bleibt; oder wenigstens das, was man für sein Glück hält«, sagte er bedeutungsvoll.

»Jeder Glücksbegriff ist individuell« versetzte sie leicht, indem sie auf einen Sessel deutete. Und nachdem sie Platz genommen, fragte sie lächelnd: »Also, Sie sind nach Europa zurückgekehrt, um das Glück zu jagen? Sind Sie nicht immer schon sein Liebling gewesen?«

»Ich? Etwa, weil ich reich bin? Weil mein äußerer Besitz prosperiert?« Er schüttelte mit dem Kopf. »Nun ja, im gewissen Sinn kann ja auch der Reichtum ein Glück sein, wenn man ihn in moralischer Auffassung verwertet. Dann leuchtet es wohl auch auf einen zurück.«

»Ah ja, ich weiß, Sie sind ein großer Philanthrop! Ist das aber eine dankbare Aufgabe?« fragte sie zweifelnd.

»Sicher nicht für den, der Dank erwartet«, gab er fein zu. »Wer alles des Dankes wegen tut, wird sich selbst zum unglücklichsten, weil schwer enttäuschten Menschen machen, denn echter Dank ist ja noch weit seltener zu finden, als die ›blaue Blume des Glücks‹. Manchmal findet man ihn aber doch ungesucht, und das ist dann allemal ein Festtag. Sie schütteln mit dem Kopf über den Idealisten – haben Sie selbst denn keine Ideale?«

»Es ist lange her, daß ich welche hatte. Sie sind gestorben«, erwiderte sie mit einem Seufzer.

»Vielleicht sind sie nur schlafen gegangen, Fürstin«, tröstete er. »Ich glaube nämlich nicht, daß Ideale sterben können. Irgendeine Morgenröte weckt sie am Ende doch wieder auf. Aber ich langweile Sie – ich habe mich überhaupt in dem schweren Verdacht, immer dieses Unglück zu haben; der deutsche Michel ist für Sie ein schlechter Gesellschafter.«

» Fishing for compliments?« fragte sie kokett.

»Das ist nur die Umgehung einer direkten Verneinung oder Bejahung, Fürstin.«

»Nun denn, Sie gründlichster aller deutschen Michel – nein, Sie sind mir kein schlechter Gesellschafter. Sie langweilen mich nie, aber ich habe vor Ihnen immer das Gefühl meiner Unzulänglichkeit, weil ich so gar nichts vom deutschen ›Gretchen‹ habe«, erklärte sie ernsthaft.

»Unzulänglichkeiten können oft die größten Vorzüge bedeuten«, entgegnete er nachdenklich mit einem Blick in ihre wunderbaren Augen, die ihn fragend und dunkel ansahen. »Ganz abgesehen davon, daß ›Gretchen‹ nichts weniger als mein Ideal ist. Ich bezweifle sogar, daß sie ihres Schöpfers Ideal ist. Doch das gehört nicht zur Sache. Ich habe noch nicht einmal gefragt, wie es Ihnen ergangen ist, seit ich zum letzten Male den Vorzug – das Glück hatte, Sie zu sehen.«

»Oh, danke, wie es einem so geht! Gut, da ich ja niemals krank bin. Heut freilich bin ich nicht ganz auf der Höhe, denn ich habe unerwartet eine traurige Nachricht erhalten – die Nachricht vom Tode Fernhills. Sie haben es sicher schon früher gewußt.«

»Gewiß, und war aufs schmerzlichste davon berührt«, erwiderte Eschweiler, die Fürstin fest ansehend, mit großem Ernst. »Ich erhielt die Trauerkunde durch den Mund eines Fremden auf hoher See an Bord eines Schiffes, das mich nach Europa zurückbrachte; es war ein trauriger Abschluß meiner Reise. Aber wie ist es möglich, daß Sie erst heute davon hörten? Es hat doch sicher in allen größeren Zeitungen gestanden?«

»Ich muß es rein übersehen haben. Das kommt ja vor. Zudem waren die letzten Wochen für mich durch die Auflösung meines römischen Haushaltes sehr turbulös und aufreibend; ich kam kaum dazu, einen Blick in die Zeitungen zu werfen. Meine frühere Gesellschafterin und Sekretärin, die mir Vortrag über den Zeitungsinhalt zu halten hatte, war entlassen, eine ganz neue Dienerschaft war eingetreten und mußte von mir auf ihre Pflichten angewiesen werden. Dazu kamen die zahlreichen Abschiedsbesuche, Gesellschaften und was einen sonst auf dem ›Qui vive‹ hält. So ist es wohl gekommen, daß ich nichts von Lord Fernhills Tode erfuhr. Haben Sie Näheres darüber gehört?«

»Nur sehr wenig. Er soll beim – Perlenfischen gestorben sein. Es ist tatsächlich eine sehr gefährliche Beschäftigung, Perlen zu fischen.«

»Ja, um alles – wie ist er denn darauf gekommen?« fiel die Fürstin mit einem so verwunderten Hochziehen der Augenbrauen, einem solchen Erstaunen ein, daß Eschweiler Sekunden brauchte, ehe er antworten konnte.

»Er hat sein Motiv mit ins Grab genommen«, sagte er dann ruhig. »Soviel ich weiß, hat Fernhill keinem Menschen das Ziel und den Zweck seiner Reise mitgeteilt. Ich wollte ihn begleiten, aber er hat mir abgewinkt. Deutlich abgewinkt. Erst nach seinem Tode hat der Maat seiner Jacht erzählt, daß Lord Fernhill zum Perlenfischen auf einem Schoner mit malayischer Mannschaft und mit seinem Sekretär Winter westlich von Kap York gekreuzt habe. Das Ergebnis dieser tollen Idee soll nicht der Rede wert sein. Merkwürdig und sehr verdächtig ist aber, daß der Sekretär spurlos verschwunden ist. Aus welchem Grunde, ist bisher nicht ermittelt worden. Der Tender der Perlenfischerbarke hat ausgesagt, daß Lord Fernhill scheinbar schwerkrank an Bord kam, als er zum letzten Male getaucht, und in der Nacht darauf verschied, worauf der Sekretär, den der Tender erst wecken gemußt, sich im Boot nach Port Kennedy rudern ließ, um die Behörden zu benachrichtigen. Er hat dies aber nicht getan, sondern ist nach dem Landen spurlos verschwunden. Gestern nun las ich in englischen Zeitungen, daß die Behörden eine Belohnung für die Ermittlung Winters ausgeschrieben haben. Das ist alles, was ich weiß.«

»Welch' tragischer Abschluß eines so jungen Lebens!« seufzte die Fürstin. »Vermutlich hat der Sekretär ihn bestohlen. Haben Sie den Mann gekannt?«

»Nein. Fernhill schrieb mir nur, daß er ihn ganz zufällig aufgelesen habe, und daß er sehr unterrichtet und gebildet, ein perfekter Gentleman sei«, erwiderte Eschweiler. »Aber mein armer Freund war kein Menschenkenner, sonst –« er hielt ein und sah die Fürstin an.

»Nun, sonst?« fragte sie gespannt.

»Sonst wäre er wohl nicht ausgezogen, um – Perlen zu fischen«, vollendete Eschweiler leise.

»Ja, was hat denn das mit seiner Menschenkenntnis oder -unkenntnis zu tun?« fragte sie erstaunt.

»Vielleicht nichts, wahrscheinlich alles«, sagte er ruhig. »Ich habe ihn im Verdacht, als hätte er es – für Sie getan.«

»Für mich?« wiederholte die Fürstin mit großen Augen. Und dann lachte sie; wirklich, sie lachte, aber nur ein sehr feines Ohr hätte herausgehört, daß es gezwungen klang. »Nein, auf welche Gedanken ein Mensch doch kommen kann! Und, bitte, was wäre der logische Zusammenhang, selbst wenn dem so wäre, von Lord Fernhills notorischer Menschenunkenntnis und – mit mir? Ach, sehen Sie! Darauf bleiben Sie mir die Antwort schuldig!«

»Weil Sie sich diese Antwort ja doch selbst geben können«, versetzte Eschweiler ernst. »Ich bin überzeugt davon, daß der arme Junge geglaubt hat, Ihnen mit selbstgefischten Perlen einen Ritterdienst zu erweisen, Sie damit zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Womit er seine mangelnde Menschenkenntnis ja doch zur Genüge bewiesen hätte.«

»Wieso?«

»Nun, wer Spatzen für Edelwild schießt, darf sich nicht wundern, wenn der oder die – damit Beschenkte ablehnt, sie für Adler zu halten. Die Handvoll minderwertiger Perlen, die der arme Junge heimgebracht, hätten Ihnen ja doch nur höchstens ein mitleidiges Lächeln entlockt.«

»Also meinen Sie, daß es das Resultat und nicht das Leitmotiv gewesen wäre, das meine Wertschätzung entschieden hätte? Sie haben einen recht hohen Begriff von mir, Graf Eschweiler«, rief die Fürstin in einem Ton, der es in Zweifel ließ, ob sie scherzte oder beleidigt war.

»Jeder Mensch hat eine Stelle, wo er sterblich ist«, erwiderte er ohne den Versuch eines Protestes. »Ich weiß zufällig, daß dieser sterbliche Punkt bei Ihnen die Perlen sind. Sie haben es mir selbst einmal gestanden. Ich halte es für ganz natürlich, daß Sie sich von dem kläglichen Ergebnis einer lebensgefährlichen Expedition zu mindestens enttäuscht gefühlt hätten und daß dieses Gefühl stärker gewesen wäre, als Ihre Bewunderung eines höchst überflüssigen Heroismus, wenn man in Betracht zieht, daß man bei jedem besseren Juwelier viel erfolgreicher Perlen fischen kann.«

Die Fürstin betrachtete Eschweiler unter halbgeschlossenen Lidern mit einem eigenen Lächeln ihres schmalen, kapriziösen Mundes.

»Wissen Sie eigentlich, daß Sie mir da eine unerhörte Beleidigung sagen, wenn Sie mir zutrauen, einem Köder zugänglich zu sein?« fragte sie leise.

»Jeder Mensch hat seinen Preis, Fürstin, sagt man. Das als einfache Tatsache auszusprechen, kann eigentlich keine Beleidigung sein«, entgegnete Eschweiler ruhig.

»Im allgemeinen gemeint, gewiß nicht. Aber es will mir scheinen, als ob Sie doch recht persönlich geworden wären.«

»Ich gebe zu, daß ich dem armen Fernhill damit ein Unrecht getan habe, denn es war ihm mit seiner Donquichotterie sicher bitterer Ernst. De mortuis nil nisi bene

»Aber die Nutzanwendung auf die Lebenden ist erlaubt, nicht wahr? Sie sind jedenfalls sehr originell, lieber Graf; denn während es sonst der Brauch ist, aus den Lebenden hinter ihrem Rücken Scharpie zu zupfen, besorgen Sie diese Arbeit den Leuten ins Gesicht. Machen Sie das immer so?«

Eschweiler antwortete nicht gleich. Er sah die Fürstin unentwegt an, bis sie die sprühenden Augen niederschlug. Und dann lächelte er ein wenig traurig.

»Margarita,« begann er, indem er sich vorbeugte, »ich denke, es kann Ihnen nicht zweifelhaft sein, was meine Absichten Ihnen gegenüber waren, und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich mir einbilde zu wissen, was die Ihrigen waren. Sie haben mich mit meiner Werbung hingehalten, weil Fernhill Ihnen der bessere Freier zu sein schien. Bitte, lassen Sie mich ausreden! Ich tadle Sie nicht, weder von der Voraussetzung aus, daß Fernhill eine glänzendere Lebensstellung einnahm, als ich, daß er dreimal reicher war, noch auch, daß Ihr Herz für den liebenswürdigen, hübschen Menschen vielleicht entschieden haben dürfte. Der Widerstand seiner Familie gegen eine Verbindung mit Ihnen, offiziell, weil Sie älter sind als er, war kein unüberwindlicher, schon weil er großjährig war und keinem Menschen Rechenschaft über seine Handlungen abzulegen hatte, und weil er Sie sicherlich so geliebt hat, wie ich Sie vielleicht nicht lieben kann. Er war eben noch so sehr, sehr jung. Wenn man älter ist, lodert das Feuer nicht mehr so verzehrend, aber die Flamme brennt nicht mehr so leicht verlöschbar. Sie aber wollten, wie ich mir denke, sehr richtig und verständlich kein Eindringling werden in die alte Familie, welche die ganze, in ihren insularen Vorurteilen gegen Ausländer wie Kletten zusammenhängende Aristokratie Englands hinter sich hat, sondern ein mit Pauken und Trompeten willkommen geheißenes Mitglied. Sie wollten sich den Boden nicht erst erobern müssen, sondern ihn geglättet und geebnet betreten. Mit dürren Worten: Sie wollten abwarten, – mit mir im Hintertreffen. Habe ich richtig kombiniert?«

Die Fürstin hatte mit unbeweglichen Zügen zugehört und mit gesenkten Augen, während ihre Finger sich rastlos umeinanderschlangen. Sie sah auch jetzt nicht auf, als sie nachlässig sagte:

»Ich bewundere Ihre Phantasie, Graf Eschweiler.«

Er mußte unwillkürlich lächeln.

»Das ist zwar weder eine Verneinung noch eine Bejahung; kann aber auch beides sein. Man konstruiert sich die Motive anderer natürlich nie ganz fehlerlos, weil man den Menschen ja nicht ins Herz sehen kann; irgendwo wird immer ein Irrtum unterlaufen, der aber verzeihlich ist, solange er kein dem andern erwiesenes Unrecht ist. Ich nehme also an, daß ich im Hintertreffen bei Ihnen stand, und als ich das merkte, fühlte ich mich in meiner Würde gekränkt und in meinem guten Recht beeinträchtigt. Sie sehen, ich gestehe ganz offen die Stelle ein, wo ich sterblich bin. Mir überlegen war der Earl of Fernhill mit seinem Stammbaum, der auf Wilhelm den Eroberer zurückreicht, und mit seinen Erbwürden; ich bin nur der letzte Sproß eines Hauses, das nur 150 Jahre seines Bestehens nachweisen kann, aber mein Name ist fleckenlos, und das ist mein Stolz. Ich habe meinen Namen fleckenlos erhalten und habe es nicht nötig, mich in den Hintergrund schieben zu lassen, wennschon ich auch da immer noch sichtbar bin. Immerhin ist das kein Platz für mich und meinen guten Namen. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können, hoffe aber und nehme auch an, daß Sie es verstehen und würdigen, und damit will ich sagen, daß ich nun ein für allemal aus dem Hintertreffen ausscheide. Ich lege also noch einmal, und zum letzten Male, meine Werbung zu Ihren Füßen, indem ich klippklar und ohne jeden Rückhalt ein Ja oder Nein von Ihnen erwarte. Können Sie sich in dem einen oder dem andern nicht entschließen, weil Sie sich nicht klar über Ihre Gefühle für mich sind, oder aus sonst einem anderen Grunde, dann werde ich heut zum letzten Male Ihren Lebensweg gekreuzt haben.«

Margarita Karabugas fand für den Augenblick keine Worte, aber sie hatte die Augen aufgeschlagen und sah ihren entschlossenen Freier mit seiner außergewöhnlichen Werbung an, ohne mit einer Wimper zu zucken. Und doch hatte sie einen starken Eindruck zu empfangen, vor dem ein Etwas in ihr scheu zurückwich – – Erst, als sie sicher war, Herr über sich und ihre Worte zu sein, sagte sie leise:

»Ich werde Ihnen morgen um diese Zeit meine Antwort geben. Sie werden mir diese vierundzwanzig Stunden der Überlegung schon zugestehen müssen. Wenn nicht –«

»Doch. Es sei; ich erwarte morgen um diese Zeit Ihre endgültige Antwort«, fiel Eschweiler ein. »Diese Frist ist ganz gerechtfertigt, nachdem Sie erst heut die Nachricht von Fernhills Tode erhalten haben.«

Sie schüttelte mit dem Kopf.

»Es ist nicht darum«, versicherte sie. »Ich habe Lord Fernhill gern gehabt, gewiß. Er war ein lieber, netter Junge – alle Welt hatte ihn gern. Mehr war er mir nicht. Cela va sans dire, in Anbetracht unseres Altersunterschiedes; er, eben großjährig geworden; ich – dreißig Jahre alt. Wußten Sie, daß ich schon so alt bin?«

»Nein, Sie sehen nicht über fünfundzwanzig aus. Ich schmeichle nicht.«

»Dahinter bin ich schon längst gekommen«, rief sie mit etwas bitterem Lachen aus.

»Und ich bin fünfunddreißig Jahre alt«, sagte er sachlich.

»Das sieht man Ihnen auch nicht an. Oder doch – manchmal. Immerhin stehen Sie noch im besten Mannesalter.«

»Man hat in diesem Alter wenigstens gelernt zu wissen, was man will; item, man sollte es gelernt haben. Doch ich will Sie nicht länger stören.«

Damit erhob er sich und langte nach seinem Hut, den er auf einen Stuhl gelegt. Da klopfte es an, und es schien ihm, als ob die Fürstin wie erleichtert ihr »Herein« rief, worauf Frau zur Mühle erschien.

»Verzeihung«, begann sie. »Herr Baron von Kuttussow hat hergeschickt, um anzufragen, ob Durchlaucht ihn zur Teestunde empfangen könnten.«

»Aber meine liebe Frau zur Mühle, warum bemühen Sie sich nun wieder selbst, das ist doch die Sache Pietros, nicht?« rief die Fürstin etwas ärgerlich.

»Pietro kam zu mir, weil er wußte, daß Durchlaucht Besuch haben, und da Herr von Kuttussow um mündliche Antwort gebeten, so wagte ich zu stören«, erklärte Frau zur Mühle geläufig.

Die Fürstin hatte indes aber schon geläutet und erteilte dem prompt erschienenen Kurier halblaut Bescheid; als Frau zur Mühle sich danach bescheiden wieder zurückziehen wollte, wurde ihr in aller Form der Graf von Eschweiler vorgestellt.

»Ein alter Freund«, setzte die Fürstin freundlich hinzu. »Deutscher Großgrundbesitzer, Weltreisender und Antiquitätensammler. Apropos, Graf, ist das geschnitzte Himmelbett, das Sie voriges Jahr bei Christie in London erstanden haben, heil bei Ihnen angelangt? Sie sind damals redlich um dieses Prachtstück beneidet worden, in welchem die Königin Elisabeth geschlafen haben soll. Oder war es Maria Stuart?«

»Beide hohe Damen sind zweifelhaft, aber auch ohnedem ist die Bettstelle ein sehr schönes Stück aus der besten Tudorzeit«, erwiderte Eschweiler. »Es ist zwar ein Anachronismus in meinem Rokokohause, aber das muß sich noch andere Gesellschaft gefallen lassen, die nicht im Stil ist.«

»Und haben Sie seitdem noch andere interessante Schätze erworben?« erkundigte sich die Fürstin mit dem Interesse der Höflichkeit.

Eschweiler zögerte mit der Antwort, indem er mit einer unwillkürlichen Bewegung der Hand seine Brusttasche berührte. Er hatte der Versuchung bisher widerstanden, obwohl sie ihn an diese Stelle begleitet, und mit diesem Zögern erlag er ihr.

»Ja«, sagte er gegen seinen Willen, »ich habe das Glück gehabt, ein Unikum erstehen zu können; eine – eine Perle, die eben erst das Licht der Sonne erblickt hatte – eine wunderbare, echte Perle –«

»Eine Perle?« fiel die Fürstin lebhaft ein. »Und noch dazu ein Unikum? Nun, da ich nach Ihren eigenen Worten ja doch an der ›Perlomanie‹ leide, werden Sie mir dieses Wunder gewiß einmal zeigen, ja?«

»Das kann sofort geschehen, denn ich habe sie bei mir. Es war meine Absicht, die Perle zur Aufbewahrung auf die Bank zu tragen; denn das Risiko, sie selbst in einem Koffer mit Yaleschlössern im Zimmer zu behalten, schien mir ihres hohen Wertes wegen nicht geraten«, erwiderte Eschweiler, womit er zwar die Wahrheit, aber doch nicht die ganze sagte.

»So kostbar ist diese Perle?« fragte die Fürstin mit großen Augen und einer so naiv-staunenden Erwartung, daß er schon bereute, seinen großen Trumpf vor der Zeit ausgespielt zu haben. Aber zurück konnte er nun nicht mehr; er nahm die Pappschachtel, sorgsam in Seidenpapier eingewickelt, aus der Tasche, dieselbe Pappschachtel, in welcher er die Perle dem Herrn Henri Leclair an Bord des Dampfers abgekauft. Langsam, fast feierlich wickelte er die Schachtel aus dem Papier, öffnete sie und nahm die obere Schicht der himmelblau gefärbten Watte ab – –

Ein leiser Schrei der Fürstin, ein lautes »Ah!« von Frau zur Mühle begrüßte das Wunder des Meeres in seiner Hand.

»Sie haben solch' eine Perle sicher noch nicht gesehen, nicht einmal bei der Königin-Mutter von Italien«, sagte er mit unverkennbarem Triumph, indem er die Schachtel in die ausgestreckte Hand von Margarita Karabugas legte.

»Oh, ihr himmlischen Mächte!« rief sie atemlos. »Und diese Perle ist echt? Wirklich echt? Natürlich ist sie echt – Menschenhand kann so etwas nicht machen, niemals. Nein, Sie haben recht! Eine solche Perle habe ich noch niemals gesehen! Hier, nehmen und hüllen Sie sie wieder ein, sonst verliere ich den Verstand über ihrem Anblick. Das ist ja ein Gedicht, ein Traum, der mich verfolgen wird im Schlaf und im Wachen, solange ich lebe –! Nein, lassen Sie sie mir noch einen Augenblick, damit meine Seele sich satt trinken kann – – ewige Schönheit, du bist in dieser Schaumgeborenen lebendig geworden! Man weiß nicht, soll man weinen oder soll man lachen, wenn man dieses Wunder sieht. Ach, dieses Farbenspiel, dieses irisierende und doch so milde Feuer, diese wunderbare Form, diese märchenhafte Größe! Ja, um alles in der Welt, Graf Eschweiler, was wollen Sie denn mit dieser Perle anfangen?"

Er lächelte leise, fast traurig.

»Was fängt man mit Perlen an, Fürstin? Man verwahrt sie und hütet sie wie Fafner den Nibelungenhort, man bewundert sie und freut sich, sie zu besitzen. Sie müssen das doch am besten wissen.«

»Ich? Ja, ich trage doch meine Perlen, ich schmücke mich mit ihnen, sie schmeicheln mir und liebkosen mich, sie beruhigen meine Nerven, sie verschmelzen sich mit mir selbst«, murmelte Margarita Karabugas, die Augen auf die Perle geheftet. Aber ich werde nicht mehr glücklich sein, nachdem ich diese Perle gesehen habe. Sie ist ein Teil von mir, ich fühle es, eine Träne, die zu weinen ich verlernt habe – –«

»Nun, vielleicht tritt der Herr Graf Ihnen diese Perle ab, Durchlaucht«, schlug Frau zur Mühle taktlos vor. »Für Geld und gute Worte ist ja alles zu haben.«

»Sie irren, gnädige Frau«, sagte Eschweiler kühl. »Eine Ausnahme hat sogar das Wort ›alles‹, so gut, wie einer nicht jedermann ist.« Er nahm der Fürstin die Schachtel mit der Perle aus der Hand und steckte sie wieder zu sich. »Dieses Juwel des Meeres ist nämlich ganz unzertrennlich von mir – wer es besitzen will, muß mich selbst unbedingt mitbesitzen.«

Er sah, als er das sagte, nicht die Fürstin, sondern nur die Gesellschafterin an, der ihre Taktlosigkeit nun dämmerte. Darüber vergaß sie sogar, ihre Herrin zu beobachten, womit sie zwar wenig gewonnen hätte, denn sie war kaum merklich bei Eschweilers Worten zusammengezuckt, aber auch das wäre Frau zur Mühle wahrscheinlich nicht entgangen. Statt dessen stotterte sie etwas wie ›nur gescherzt zu haben‹ hervor, was er höflich anhörte mit dem deutlichen Gefühl, niemals eine so unsympathische Person wie diese neue ›Hofdame‹ der Fürstin gesehen zu haben. ›Falsch wie Galgenholz‹ war sein Urteil über sie, bevor sie noch mit ihrer taktlosen Erklärung fertig war. Doch das war sekundär, gleichsam ein Unterbewußtsein; denn seine Gedanken waren begreiflicherweise in einer anderen Richtung beschäftigt, und indem er Margarita Karabugas die Hand küßte, als er sich nun empfahl, da las er in ihren Augen, daß sie ihn nur zu gut verstanden hatte und wie ihre Antwort morgen lauten würde.

Die Perle war beim vierten Kapitel ihres Romans angelangt.


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