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Fünftes Kapitel

Für die Gräfin Eschweiler war die Season in London eine kleine, allerdings nur vage Enttäuschung, bevor diese sich zu der großen auswuchs, die der Anfang vom Ende werden sollte. Sie hatte es sich köstlich gedacht, frei von den abgeschüttelten Fesseln ihres geheimen Berufes, das Leben rauschender Feste, Vergnügungen und – gelegentlich amüsanter Intrigen in vollen Zügen zu genießen und dabei auch relativ unbehelligt zu sein durch den Mann, der ihr seinen guten Namen und seinen Reichtum zu Füßen gelegt. ›Relativ unbehelligt‹ ließ Eschweiler seine Frau ja auch insofern, als er es vermied, ihr seine Person aufzudrängen, aber er war immer zur Stelle und an ihrer Seite, wo immer sie in einem großen Kreise erschien, wenn und wo sie sich öffentlich im Theater oder Konzerten oder beim Spazierritt in Rotten Row zeigte. Als Fürstin Karabugas war sie früher zu den kleinen intimen Gesellschaften der großen, exklusiven Häuser unauffällig, aber wie auf Verabredung, nicht zugezogen worden; diejenigen Familien, von denen sie dazu eingeladen wurde, hatten fast durchweg einen ›Stich ins Boheme‹, oder aber den Ehrgeiz, mit ›Löwen‹ zu prahlen. Das hatte sich ja nun insofern geändert, als die Exklusivsten der Exklusiven die Gemahlin des Grafen Eschweiler in ihre engeren Kreise zogen, in denen er viele Beziehungen, teils verwandtschaftliche, teils aus seiner Militärattaché-Zeit in London hatte und immer gern gesehen war. Damit wäre für Margarita eine früher schmerzlich empfundene Lücke ihrer geselligen Laufbahn ausgefüllt worden, aber die Kehrseite der Medaille war, daß sie sich in diesen exklusiven Kreisen mit ihren etwas altväterlichen Förmlichkeiten und Allüren der großen Welt langweilte. Auch der große Schwarm von Herren, der sich vordem immer an ihre Schleppe geheftet, war nun wesentlich dünner gesät, seit mit der neugebackenen Gräfin Eschweiler ständig ein Gatte erschien, dessen Nähe auffällige Huldigungen und kleine Freiheiten verbot, die zu beanstanden früher kein Fürst Karabugas vorhanden gewesen, dessen sagenhafte Existenz überhaupt auf starken Unglauben gestoßen war, obwohl die Herren der russischen Botschaft bemüht waren, ihn zu beglaubigen, beziehungsweise ihm ein stark wohlwollend gefärbtes Epitaph zu stiften. Das war nun überflüssig geworden, und wenn etwa die Rede auf ihn kam, dann hieß es, den alten Säufer und Spieler habe längst der Teufel geholt, während es vordem von ihm hieß, ›daß er zu seinen Ahnen versammelt worden sei‹.

Man hätte nun eigentlich meinen sollen, daß für Margarita ihre Zulassung zu den ihr früher verschlossen gewesenen Kreisen, trotz der damit verbundenen Langeweile, einen Triumph bedeutet hätte. In gewisser Hinsicht war dies ja auch der Fall, aber die süße Frucht enthielt ein Gewürz, das ihrem Geschmack ungewohnt war, nämlich das Kräutlein hochaparter Respektabilität. Die Fürstin Karabugas war der großen Welt durch ihre Drahtzieher aufgedrängt worden, aber für ›voll‹ hatte man sie trotzdem nicht angesehen, weil ihr das Parfüm des Abenteurertums anhaftete; aber im Bewußtsein ihrer sieghaften Erscheinung, ihrer wunderbaren, immer geschmackvollen Toiletten und ihrer märchenhaften Perlen hatte sie sich leicht genug darüber hinweggesetzt, von gewissen großen Damen über die Achsel angesehen zu werden. Als Gräfin Eschweiler wurde sie nun zwar anerkannt, weil der Graf Eschweiler ihr zur Seite stand, aber so unempfindlich war sie doch noch nicht geworden, um nicht zu merken, wem sie diese Bevorzugung verdankte, und – lehnte sich dagegen auf durch das Gefühl geschwundener Unabhängigkeit, soweit ihr eine solche von ihren Auftraggebern gestattet ward. Und diese Erlaubnis ging weit; sie machte zum Beispiel nicht halt vor den Huldigungen der Juwelengeschenke, vornehmlich Perlen, dargebracht von Verehrern männlichen Geschlechtes, die Eschweiler nicht nur theoretisch beanstandete, sondern praktisch direkt untersagte anzunehmen. Sie selbst hatte nichts darin gefunden, sich Juwelen schenken zu lassen; jetzt aber mußte sie sich darein finden, es für unpassend zu halten, von fremden Herren Geschenke anzunehmen, die über den Wert eines mehr oder minder kostbaren Blumenstraußes hinausgingen. Der feine Unterschied, daß die Fürstin Karabugas trotz ihres durchlauchtigen Titels keine große Dame war, wohl aber die Gräfin Eschweiler, war ihr nicht recht verständlich.

Immerhin durfte sie mit dem Erfolg ihres Auftretens in der neuen Rolle ganz zufrieden sein; sie selbst, ihre Perlen und ihre Toiletten, brachten überall den gewohnten Effekt hervor, und die Perle, die Margarita Margaritarum, der Preis, den Eschweiler für den Besitz seiner schönen, bewunderten Frau gezahlt, machte geradezu Sensation. Besaß doch selbst die Königin keine Perle von solch' märchenhafter Größe und makelloser Schönheit. Und wenn sie in ihrer schimmernden Pracht auf dem matten, tadellosen Weiß der wundervollen Büste ihrer Besitzerin lag wie auf einem Untergrund von weichem Samt – denn Margarita hatte den guten Geschmack, sich trotz der herrschenden Mode im Sommer den Hals nicht von der Sonne zu einem rotbraunen Leder rösten zu lassen – dann war das ein Anblick, zu dem sich alle drängten, und in mancher Seele quoll der Neid ob solchen Besitzes empor gleich Fiebermiasmen aus einem Sumpf. – –

Aber die Schlange lauerte schon im Paradies dieses Triumphes.

In großen Städten fangen die Gesellschaften, Bälle und wie immer sich diese nerventötenden Massenmorde nennen, erst spät am Abend, ja eigentlich erst in der Nacht an, wenn der brave Mittel- beziehungsweise Kleinstädter schon in den Federn liegt und seinen ersten gesunden Vormitternachtsschlaf absolviert.

In London wie auch in anderen Metropolen ist es Sitte, sich in der Pracht und Herrlichkeit der für besonders feierliche Gesellschaften eigens angefertigten Toiletten dem erstaunten Publikum eines beziehungsweise des größten Theaters zu zeigen, namentlich wenn gerade eine große Sängerin oder ein phänomenaler Sänger auftritt. Da war es denn am Abend eines Balles im historischen Palast eines Magnaten, als auch Graf Eschweiler mit seiner Gemahlin in der Großen Oper erschien, um eigentlich eine berühmte fremde Nachtigall die ›Traviata‹ singen zu hören, uneigentlich aber die Augen derer, die nicht eingeladen waren, ein wenig zu blenden. Wenn dies, unausgesprochen natürlich, die Absicht Margaritas war, so erreichte sie wie gewöhnlich ihren Zweck; an diesem Abend jedoch in erhöhtem Maße, obwohl ihre Toilette von jener raffinierten ›Einfachheit‹ war, die zwar dem Kenner ihren unfehlbar guten Geschmack verriet, dem unkundigen Auge jedoch das vage, unbehagliche Gefühl einflößte, selbst ›überputzt‹ zu sein.

Eine Robe von weißem Silberbrokat umfloß mit einem Sitz und Schick, den nur ein allererster Schneider erreichen kann, ohne jeden Aufputz, als nur eine Borte von Zobelpelz am Saum, ihre schlanke, tadellos gebaute Gestalt. Kein Juwel mischte sich unter das leichte, duftige Gekräusel alter, venezianischer Spitzen um den tiefen Ausschnitt der Taille, aus dem die Büste aufstieg ›wie Schaum und Schnee‹. Die runde, hohe Säule des Halses umschloß eng eine einzige Schnur kirschgroßer orientalischer Perlen, von deren vorderer Mitte die nun schon berühmt gewordene birnförmige Perle an ihrer Schleife von Brillanten herabhing, jeden andern Schmuck verdunkelnd. Und in dem sehr einfach in einem griechischen Knoten aufgesteckten Haar, dessen tiefe Wellen in goldbronzenen Lichtern spielten, trug sie einen diademartigen Kamm von Brillanten, der die schwere Fülle gleichsam zusammenhielt. Sonst trug sie keinen Schmuck, nicht einmal ein Armband über den langen, weißen Glacéhandschuhen, welche eng, aber doch leicht die schöne Form der Arme weniger verhüllten, als sie sie hervortreten ließen.

Bewundernde, mißgünstige, nirgends jedoch gleichgültige Blicke ruhten auf der blendenden Erscheinung in der Eschweilerschen Loge, an deren Brüstung Margarita allein saß, während ihr Gatte hinter ihr stand und durch das Opernglas das nahezu schon versammelte Publikum musterte, Grüße mit Bekannten austauschend. Und in einer der gegenüberliegenden Logen funkelten mit unverhehltem Neid ein paar schwarze Augen hinüber zu Margarita, die das gar nicht zu bemerken schien, vielleicht auch wirklich nicht bemerkte, gewohnt wie sie an die verschiedentlichen Tribute ihrer Erscheinung war. Eigentlich hätte sie sich geschmeichelt fühlen müssen, von der Frau mit den schwarzen Augen in dem ganz und gar nicht hübschen, braunen Gesicht beneidet zu werden; denn sie war die Herzogin von Strawberry, eine geborene amerikanische Multi-Millionärin, die fast unter der berühmten Last ihrer Brillanten und Smaragden zusammenbrach, mit denen sie vom Kopf bis zu den Füßen einfach ›gepflastert‹ war. Diese noch junge, aber garstige Herzogin, deren leidenschaftliche Liebe für Edelsteine schon zur Manie ausartete, beneidete die Gräfin Eschweiler weder um ihre Schönheit, noch um ihren Geschmack, den sie selbst nicht besaß und darum auch bei andern nicht zu schätzen verstand, sondern einzig nur um die berühmte Perle, und weil es ihr nicht gelang, sich trotz ihrer Millionen eine gleiche, das heißt schönere und womöglich größere, zu verschaffen, so hatte sie die Unverfrorenheit – › cheek‹ nennt es der Engländer, › toupet‹ der Franzose –, ihren Mann, den trotz seines historischen Namens höchst unbedeutenden Herzog, mit dem Ansinnen zu der Gräfin Eschweiler zu schicken, ihr die Perle zu verkaufen, koste es, was es wolle. Margarita hatte einen Moment geschwankt, ob sie den vor Verlegenheit schwitzenden Boten hinauswerfen oder auslachen sollte, und sich zu letzterem entschieden. Wie er empfangen wurde, als er ohne die Perle zu seiner Gattin, deren Temperament zu Gewalttätigkeiten neigte, der nie im Leben ein Wunsch versagt worden war, zurückkehrte, blieb der Phantasie anheimgestellt, sich auszumalen. Das war am Tage zuvor geschehen, und heute funkelten die schwarzen Augen der Herzogin aus Chikago so neid- und haßerfüllt zu Margarita herüber, daß sie es eigentlich hätte fühlen müssen, wenn es ihr nicht so gleichgültig gewesen wäre; sie empfand nicht einmal eine Art von Triumph darüber, etwas zu besitzen, was selbst dem Golde der verwöhnten Multi-Millionärin unerreichbar war. Auch sie musterte das Theaterpublikum eingehend im ersten, flüchtiger im zweiten Rang, soweit sie die Reihen übersehen konnte, und wandte sich mit einer Bemerkung zurück zu ihrem Gatten, wobei sie sah, daß er sein Opernglas ins Parkett gesenkt hatte.

»Hast du dort unten Bekannte entdeckt?« fragte sie ohne sonderliches Interesse.

»Ja, das heißt, ich habe den Mann gesehen, der mir deine Perle verkauft hat«, sagte Eschweiler. »Ich könnte nicht sagen, woran es lag, aber ich hatte das Gefühl, als ob mit diesem Monsieur Leclair irgend etwas nicht in Ordnung sei. Wenn es dich interessiert, den zu sehen, der die Perle vor dir besaß – der in der zweiten Parkettloge mit dem in die Stirn gekämmten blonden Haar und dem roten, eckig geschnittenen Vollbart ist's.« Margarita folgte mit dem unbewaffneten Auge indolent der Weisung. Es war nicht schwer, nach der kurzen Beschreibung den richtigen herauszufinden, der an der Logenbrüstung seinen Theaterzettel lesend sah. In diesem Augenblick sah er auf und in die Höhe, so daß seine und ihre Augen sich begegneten, als gerade die Lichter erloschen und das Orchester die Ouvertüre zu spielen begann. Da stieß sie einen leisen Schrei aus und sank ohnmächtig von ihrem Sessel herab und wäre ganz zu Boden gefallen, hätte Eschweiler sie nicht halbwegs aufgefangen.

Unter dem Schutz der jetzt das Haus einhüllenden Dunkelheit konnte er, ohne Aufsehen zu erregen, die Bewußtlose auf dem Teppich der Loge ausgestreckt niederlegen und wollte sich nun entfernen, um den Logenschließer zu fernerem Beistand in Bewegung zu setzen, als Margarita auch schon wieder zu sich kam und selbst sich halb aufrichtete.

»Was war das?« stammelte sie noch benommen. »Ich glaube, mir ist nicht wohl.«

»Es scheint so. Wollen wir nicht besser nach Hause fahren?« fragte er leise.

»Ja, ja, nach Haus!« bat sie, und als er sich zur Logentür wendete, hielt sie ihn am Arm fest. »Laß' mich nicht allein, Johannes!«

»Nur so lange, bis ich jemand geschickt habe, unsern Wagen zu rufen«, versicherte er. »Das ist bald geschehen, da er ja nicht zurückgefahren ist, weil wir doch nur den ersten Akt über bleiben wollten.«

»Laß' mich nicht allein«, bat sie nochmals. »Wenn dieser schreckliche Mensch dort unten – wie nanntest du ihn? – heraufkäme –«

»Aber Margarita, wie sollte denn dieser Leclair darauf kommen? Ich habe ihm die Perle richtig und gegen Quittung abgekauft; in Verkehr bin ich sonst mit ihm nicht getreten, und in die Loge kommt er doch gar nicht herein, ohne daß der Schließer ihm öffnet, was ich durch ein Wort verhindern kann. Kennst du den Mann überhaupt?«

»Ich? Woher sollte ich ihn kennen? Ich sah ihn heute zum – zum ersten Male. Ich weiß nicht – er machte mir solch' unheimlichen Eindruck – du sagtest ja selbst, daß du ihm nicht trautest oder so etwas –«

»Also nichts als eine Folge der Nervenüberreizung! Kein Wunder bei dieser Hetzjagd Tag für Tag und Nacht für Nacht, zu Lunchpartien, Nachmittagstees, Diners, Theater, Bällen und Routs«, sagte Eschweiler ärgerlich vor sich hin, half Margarita dann auf einen Sessel im Hintergrund der Loge und verließ diese, um den Wagen herbeirufen zu lassen.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als sie sich wieder erhob und schwer atmend, mit wankenden Knien leise hinter den halb zugezogenen Vorhang der Logenbrüstung trat, um durch das herrschende Halbdunkel des Hauses nach der zweiten Parkettloge hinabzuspähen. Gesichter waren nur schwer zu erkennen, aber soviel sah sie doch deutlich genug, daß der Platz, den Leclair vorher eingenommen, jetzt leer war, und mit einer neuen Ohnmachtsanwandlung kämpfend, zog sie sich wieder auf den Sitz neben der Tür zurück.

Wieviel Zeit verging – tatsächlich mochten es etwa nur zehn Minuten sein, während welchen es ihr gar nicht zum Bewußtsein kam, daß die Vorstellung schon begonnen – bevor Eschweiler zurückkehrte, selbst schon im Überzieher, und ihr den spitzenüberrieselten Abendmantel von schwerer weißer Seide umhing, darüber fehlte ihr jeder Begriff; es war ihr, als hätte sie Stunden warten müssen. Draußen im Korridor war nämlich jetzt, während der Vorstellung, kein Mensch außer den Logenschließern zu sehen, und obwohl eine fast unerträgliche Hitze darin brütete, denn die Sommernacht war schwül und gewitterdrohend, zog sie die Kapuze ihres Mantels so tief über den Kopf, daß ihr Gesicht vollständig darunter verschwand.

»Mir ist kalt«, erklärte sie, dem erstaunten Blick Eschweilers begegnend, der ihr den Arm reichte, um sie die Treppe hinabzuführen; und den Schauer spürend, der ihren Körper durchbebte, sagte er besorgt:

»Du mußt daheim gleich zu Bett gehen, und ich werde den Wagen sofort nach dem nächsten Arzt schicken.«

»Nicht doch!« wehrte sie mit zusammenschlagenden Zähnen ab. »Es wird schon wieder vergehen. Ich mag keinen Arzt, habe nie einen gebraucht. Nur Ruhe will ich haben, nichts weiter.«

»Nun ja, ich glaube auch, daß Ruhe das beste Mittel sein wird«, gab er zu.

Der Wagen stand schon auf der Rampe vor dem gedeckten Portal, nur beobachtet von einigen Vorübergehenden, die stehenblieben, die weißverhüllte Gestalt anzugaffen. Das Paar stieg ein, der Schlag flog zu, die Pferde zogen an, und während ›Violetta‹ auf der Bühne das ganze Feuerwerk ihrer Koloraturen glänzen ließ, traten sie die Heimfahrt an, wobei Eschweiler sich aus dem Fenster bog, während der Wagen die Rampe herabfuhr.

»Hast du jemand gesehen?« fragte Margarita, die scheinbar teilnahmslos in der anderen Ecke lehnte, hastig.

»Es war mir so, als hätte ich Frau zur Mühle am Aufgang stehen sehen, kann mich aber getäuscht haben«, erwiderte er.

»Oh! Vielleicht war sie es wirklich; denn sie hatte vor, bei Beginn der Oper zuzusehen, ob sie noch einen etwaig zurückgegebenen Platz bekommen könnte«, versetzte Margarita müde. »Sie meinte, man habe dann noch eine Chance. Es wäre freundlicher gewesen, ihr einen Platz in unserer Loge anzubieten.«

Eschweiler ließ diese Bemerkung ohne Kommentar, weil ihm gar nichts daran lag, mit der ihm so unsympathischen Gesellschafterin auch noch im Opernhause zu prunken. Auch hielt er es für unangebracht zu sagen, daß er die Dame, in welcher er Frau zur Mühle zu erkennen gemeint, neben Herrn Leclair im Gespräch stehen sah, den er bestimmt erkannt hatte, weil das Licht der Laterne ihn voll beleuchtete. Der unvernünftige Schreck, den dieser Mensch Margarita eingeflößt, was ja natürlich nur auf einer Einwirkung ihrer versagenden Nerven beruhen konnte, war Eschweiler in Erinnerung geblieben. Wozu also von ihm reden, sie auf ihn aufmerksam machen? War es aber wirklich Frau zur Mühle gewesen, die er mit Leclair sprechen sah, woher kannte sie ihn dann? Mehr noch, warum hatte er das Theater verlassen, bevor die Vorstellung begonnen? Schließlich war das aber ganz gleichgültig; der Mann ging ihn nichts an und konnte tun, was er mochte.

Nachdem Eschweiler daheim seine Frau der Fürsorge ihrer Kammerfrau – nebenbei einer Deutschen, die Margarita in Rom aufgegabelt und die dazu berufen war, in seinem Leben eine Rolle zu spielen – übergeben und die Versicherung erhalten hatte, daß ihr wirklich kein Arzt, sondern nur Ruhe nötig sei, zog er sich in sein eigenes Zimmer zurück, im Grunde heilsfroh, dem Balle entronnen zu sein. Er war durchaus kein ungeselliger Mensch, aber er war mehr auf einen angenehmen Verkehr im kleinen, homogenen Kreise eingestellt, und diese Massenabschlachtungen, die für Margarita etwas ihm unbegreiflich Anziehendes hatten, bedeuteten für ihn eine Tretmühle, die ihm nun schon nachgerade überlästig geworden war. Wenn es damit das ganze Leben so weitergehen sollte – –

Er konnte diese Vorstellung sich nicht weiter ausmalen, ohne daß ein Grauen vor solcher Galeerensklavenarbeit ihn schüttelte! Wo blieb dann, was für ihn der Lebensnerv war: seine kunstgeschichtlichen Studien, seine tiefschürfende Lektüre, seine Reisen, fremdes Land und fremdes Leben kennen zu lernen. Wenn man erst beim schon hellen Morgen heimkehrend, todmüde vom – Strohdreschen und Herumstehen in überfüllten und überhitzten Räumen ein paar Stunden unruhigen Schlaf gefunden und dann den halben Tag dazu gebraucht, die bleierne Schwere in Kopf und Gliedern zu überwinden, nur um sofort wieder zum Lunch, zum Fife-o'clock, zum Diner und von dieser späten Hauptmahlzeit weg wieder zu einem Ball getrieben zu werden – konnte man solch' eine Pferdearbeit noch ›Vergnügen‹ nennen? Eschweiler hatte dieses Leben bereits gründlich satt, nicht nur in geistiger Beziehung; er spürte, trotz kräftigster Konstitution, auch schon physisch die Übermüdung eines Daseins hetzenden Müßigganges, paradox wie die Bezeichnung klingen mag. Dabei war die Season erst zur Hälfte überstanden, abgearbeitet, wie Eschweiler zu sagen pflegte! Und das hielt eine zarte Frau, wie Margarita den äußeren Eindruck machte es zu sein, nicht nur aus, nein, ihre Pläne für die Herbst- und Winterkampagne hatte sie schon fix und fertig in Bereitschaft. Aber heute abend hatte es sich wohl gezeigt, daß sie, die sich rühmte, noch nie krank gewesen zu sein, auch Nerven hatte, die ihr ein Warnungszeichen gegeben; aber ob sie es beachten würde, war noch die Frage. Eschweiler bezweifelte es und fand es schon alles mögliche, daß sie nicht darauf bestanden hatte, den Ball zu besuchen. Folglich mußte sie sich wohl ernstlicher unwohl fühlen, als sie eingestehen wollte.

Als Eschweiler sich's in seinem Zimmer bequem gemacht, um vor dem Schlafengehen noch eine Beruhigungszigarre zu rauchen, seufzte er zunächst tief auf und schalt sich einen Narren. Hatte er nicht vorher gewußt, daß Margarita war, was man eine ›Weltdame‹ nennt, eine Frau, die sich allein in ihren vier Wänden nicht wohl fühlte. Also wäre es wirklich töricht gewesen, sich darüber zu beklagen. Denn daß er im tiefsten Schrein seines Herzens gehofft hatte, sie an seiner Seite zu einem inhaltreicheren Leben zu bekehren, mit ihm die sommerlichen stillen Freuden köstlicher Monate auf dem Lande, auf seinem herrlichen Besitz zu verleben – das war eine Hoffnung wider sein besseres Wissen gewesen; dessen war er sich nun voll bewußt. Solche Träume hatte schon ihre Enthüllung, daß sie eine politische Agentin war, von Grund aus zerstört. Freilich hatte sie, ihrer Versicherung nach, diesen schmachvollen Vertrag mit ihrer zweiten Ehe gelöst, aber die Gewohnheit eines Lebens, das sie dazu gezwungen, als ›Salonlöwin‹ zu glänzen, war kaum mehr auszurotten. Er wußte, daß sie sozusagen in den Sielen ausharren würde, bis – nun, bis es eben nicht mehr ging.

Ein Buch, das Eschweiler zur Hand nahm, fesselte ihn nicht, weil er die Sammlung dafür nicht hatte. Im Zimmer auf und ab gehend, fiel sein Blick auf eine Kassette, die auf einem Seitentisch stand, in welcher er allerlei Kuriositäten aufbewahrte, die er hier und da aufgelesen, kleine, wenig Platz beanspruchende Sächelchen, die er daheim in Sammelschränke einzureihen gedachte. Er hatte große Freude an solchen stummen Zeugen vergangener Zeiten und auch das Verständnis dafür, und weil er heute einmal das seltene Glück hatte, nicht in einer Gesellschaft zu sein, so öffnete er den schön eingelegten alten Kasten, den er bei seinem letzten, für ihn so verhängnisvollen Aufenthalt in Baden-Baden bei einem Antiquar gefunden, und begann die darin aufgespeicherten kleinen Schätze, die sein Sammlerherz erfreuten, auszuräumen.

Dabei fiel ihm der alte, goldgestickte Beutel in die Hand, den ihm Henri Leclair als Zugabe zu der Perle gewissermaßen verehrt hatte. Sinnend betrachtete er dieses trotz, oder vielmehr wegen seines Alters kostbare Stück, in seinen Erinnerungen nachforschend, wo und bei wem er ein ganz ähnliches gesehen haben mußte, und während er noch damit beschäftigt war, klopfte es leise an seiner Tür. Seinen Diener hatte er für die Nacht schon entlassen, zur Ruhe geschickt, deren der Mann auch bedurfte. Wer also konnte noch etwas von ihm wollen? Und zu seinem großen Erstaunen trat Margarita bei ihm ein, im lang schleppenden Negligé von weißem, chinesischem Seidenkrepp mit leichter Silberstickerei und Spitzen besetzt, trotz ihrer ungewöhnlichen Blässe verführerisch schön.

»Du, Margarita?« rief er aufspringend und seine Zigarre in den ungeheizten Kamin werfend. »Das ist ja eine ganz ungewöhnliche Ehre!«

»Ich kann nicht schlafen, habe keine Ruhe im Bett«, erklärte sie. »Und da ich bei dir noch Licht sah, komme ich dich fragen, ob du vielleicht ein Schlafmittel für mich hättest, oder ob wir nicht doch noch auf den Ball wollen. Es ist ja erst elf Uhr durch. Ich kann mich rasch wieder ankleiden lassen. Wir kämen noch gut vor dem Souper zurecht.«

»Unersättlichkeit im Vergnügen, dein Name ist Weib!« rief Eschweiler mit etwas bitterer Anerkennung dieser staunenswerten Elastizität. »Ich fürchte, daß ich dir beide Fragen verneinen muß. Schlafmittel brauche ich grundsätzlich nie, habe also auch keines dir zu geben, und was den Ball betrifft, so fände ich es sträflich leichtsinnig, wolltest du dich im Gedränge einer zweiten Ohnmacht aussetzen, ja sie geradezu herausfordern –«

»Oh, wie du meinst«, fiel sie ein. »Es war ja nur ein Einfall, der mir kam, weil ich nicht schlafen konnte. Ich gebe auch zu, daß es für mich besser ist, zu Haus zu bleiben, denn ich bin tatsächlich noch immer etwas › shaky‹, wie man hier sagt, was mich schon daran denken ließ, ob es nicht vielleicht richtiger wäre, wenn wir die wirklich unerträglich werdende Hitze Londons sobald als möglich, am liebsten schon morgen, mit einer frischeren Luft vertauschen würden.«

»Amen!« sagte Eschweiler inbrünstig. »Ich bin ganz deiner Meinung, mit Begeisterung sogar. Freilich morgen dürfte es wohl kaum möglich sein, unsere Zelte hier schon abzubrechen –«

»Ja, warum nicht? Frau zur Mühle bleibt zurück, packt, wickelt die Geschäfte ab, wirft unsere Visitenkarten mit ›p. p. c.‹ ab –«

»Ah ja. Aber es gibt dabei doch Dinge, die ich lieber selbst erledige. Frau zur Mühle mag für deine Sachen zuständig und unersetzlich sein, für die meinigen ist sie es nicht. Ich lehne sie als Kinderfrau für mich ab. Doch das nur nebenbei. In einigen Tagen ließe sich unsere Abreise schon bewerkstelligen. Nach Hause werde ich gleich Befehl erteilen, daß alles für unsere baldige Ankunft vorbereitet wird –«

»Nach Hause? Willst du damit sagen, daß wir nach Haus Eschweiler gehen sollen?« rief Margarita entsetzt. »Nicht um die Welt möchte ich mich in das große einsame Schloß vergraben, wo die Füchse sich gute Nacht sagen! Ich dachte an ein Seebad, nicht gerade Brighton oder Trouville oder Ostende – ich möchte weiter fort, zum Beispiel auf den Lido bei Venedig oder nach Abbazzia –«

Eschweiler stöhnte laut auf.

»Gnade, Margarita! Der bloße Gedanke an solch' eine Karawanserei würde mich zur Rettung nach Grönland oder Labrador veranlassen! Aber Spaß beiseite! Wie willst du dich denn in dem Treiben eines Weltseebades erholen? Das hieße ja den Teufel mit Beelzebub vertreiben wollen. Wir sollten einen Arzt befragen, der sich nicht nach deinen Wünschen, sondern nach deiner Gesundheit richtet, und der müßte, wenn er ehrlich ist, sagen, daß es für deine überreizten Nerven das einzig Richtige wäre, Erholung in der Stille und Ruhe des Landlebens, wenigstens für einige Wochen, zu suchen.«

Margarita schien das einzusehen, wenigstens lehnte sie sich nicht sofort gegen den vernünftigen Vorschlag auf, sondern schien nachzudenken, wobei ein müder, abgehetzter Zug ihr Aussehen um Jahre alterte. Während sie noch geistesabwesend die Dinge, welche Eschweiler aus den Kasten genommen, mit den Blicken streifte, kam sie bei dem Anblick des alten, goldgestickten Beutels gewissermaßen wieder zu sich.

»Was hast du da?« rief sie aus. »Das ist ja der historische Beutel, das Glück von Fernhill-Towers!«

»Damit hast du ein erlösendes Wort gesprochen«, rief Eschweiler. »Ich habe mir nämlich den Kopf zerbrochen und konnte nicht darauf kommen, wo ich solch' einen ähnlichen Beutel schon gesehen haben muß. Natürlich im Besitz des armen Fernhill, der ein Gegenstück zu diesem als Familien-Reliquie besaß.«

»Aber nein, es ist derselbe Beutel. Es soll keinen zweiten solchen geben«, behauptete Margarita. »Wir redeten einmal von dem sagenhaften ›Glück von Edenhall‹, über das ein deutscher Dichter eine Ballade gemacht hat –«

»Ludwig Uhland«, flocht Eschweiler ein.

»Ja, ich glaube, so hieß er«, nickte Margarita. »Nun, und da erzählte mir Lord Fernhill, daß man in seinem Hause diesen Beutel auch als solch' einen Mascot Englischer Ausdruck etwa für Amulet. aufbewahre und es Familiengesetz sei, ihn unter keiner Bedingung fortzugeben, und nun hast du ihn! Wie bist du dazu gekommen? Fernhill kann ihn dir doch nicht gegeben haben, weil er doch zum Erbschatz des Hauses gehört.«

»Folglich kann dieser Beutel hier nur ein Duplikat sein,« meinte Eschweiler kopfschüttelnd, »denn ich habe ihn gekauft.«

»Nun, ob es derselbe ist oder nicht, können wir gleich feststellen. Drehe ihn auf die innere Seite um! In das gelbseidene Futter eingestickt mit grünem Faden zeigte mir Lord Fernhill die Legende: ›Fernhill-Towers 1589, July 16‹. Das war das Datum des Besuches der Königin Elisabeth und wurde zur Erinnerung daran eingemerkt.«

Eschweiler tat, wie ihm geheißen und fand zu seiner Überraschung richtig den Beweis für die Herkunft des Beutels.

»Das beweist allerdings schlagend die Richtigkeit deiner Behauptung«, sagte er perplex.

»Ja, und es beweist auch, daß der Beutel Lord Fernhill gestohlen wurde«, rief Margarita triumphierend.

»Oder, daß er ihn verloren haben kann –«

»Verloren? Sicherlich hat er ihn nicht verloren! Er hat – nun, warum sollte ich es heute nicht offen sagen? – er hat mir vor seiner unglücklichen Reise erzählt, daß er in diesem Beutel die Perlen sammeln wollte, die zu fischen er auszog. Der Beutel sollte ihn als Talisman für eine reiche Beute begleiten, ihm als ein würdiges Aufbewahrungsbehältnis für die Perlen dienen, die – die –«

»Die er dir zu Füßen legen wollte«, vollendete Eschweiler sachlich. »Die Idee sieht ihm ähnlich, dem armen Jungen, der viel zu früh, schon mit dem Tage seiner Großjährigkeit ein Erbe antrat, für das ihm der richtige Begriff noch fehlte, das schon oft das Unglück solcher Magnaten gewesen.«

»Ja, vielleicht«, fertigte Margarita diese Reflexion kurz ab und fuhr eifrig fort: »Man hat mir neulich erzählt, daß der Sekretär, der Fernhill auf seiner Reise begleitete, nach seinem Tode spurlos verschwunden ist. Könnte er nicht den Beutel mit den etwaig darin befindlichen Perlen mitgenommen haben? Wäre dieser Raub dann nicht ein Grund für sein Verschwinden?«

»Wahrhaftig, darin könntest du recht haben!« gab Eschweiler frappiert zu. »Wer hat dir das erzählt?«

»Einer, der es wissen muß: der neue Lord Fernhill, des Verstorbenen Vetter und Erbe, den wir vor ein paar Tagen bei Lady Milford kennen lernten. Wo und von wem hast du den Beutel gekauft?«

Eschweiler hatte kein Bedenken, ihr mitzuteilen, wie er zu der Familienreliquie gekommen war, und dabei durchzuckte ihn der Verdacht, daß Henry Leclair am Ende gar der verschwundene Sekretär war, der seinen toten Herrn bestohlen und sich mit dem Raube auf- und davongemacht. Die Unsicherheit, mit welcher er Eschweilers Fragen nach dem Fundort des Beutels beantwortet und der allgemeine, eigentümliche Eindruck, den der Mann auf ihn gemacht, schoben sich nun zu einem Bilde zusammen, das den Verdacht verdichtete. Natürlich konnte der sogenannte Leclair keine Ahnung von dem Vorhandensein des Zeichens in dem Futter des Beutels gehabt haben, war nicht auf den Gedanken gekommen, ihn umzudrehen und innen zu besichtigen; war doch auch Eschweiler nicht darauf verfallen. Daß Leclair ihn als ›Zugabe‹ zu der Perle sorglos sozusagen wegwarf, konnte dann auch als ein neuer Beweis dafür gelten, mit welchem Leichtsinn und mit welcher Kurzsichtigkeit Verbrecher oftmals ein Korpusdelikti übersehen und sich selbst damit den Strick drehen.

»Ich werde morgen dem neuen Lord Fernhill den Beutel als ein ihm gehöriges Erbstück zurückbringen und ihm dabei meine Verdachtsmomente gegen den Leclair mitteilen, den ich ja heut abend mit eigenen Augen im Theater gesehen habe. Scotland Yard, die Londoner Polizeibehörde, würde dem auffallenden Rotbart bald genug auf die Spur kommen, selbst wenn der rote Bart und das hochblonde Haar eine Verkleidung sein sollten. Ob der Beutel allein genügte, den Sekretär strafrechtlich zu verfolgen, wäre freilich noch die Frage, denn wer könnte bezeugen, daß der Beutel auch wirklich Perlen, speziell aber die Perle, deine Perle, Margarita, enthielt.«

Eschweiler war dermaßen durch den sich an die Mitteilung seiner Frau angesponnenen Gedankengang in Anspruch genommen, daß er gar nicht bemerkte, daß sie blaß bis an die Lippen und wie erstarrt dasaß und nur mit äußerster Willenskraft mit einem überwältigenden Ohnmachtsgefühl rang. Erst bei den letzten Worten, indem er ihren Namen aussprach, sah er sie an und erschrak vor ihrem Aussehen.

»Ist dir wieder nicht wohl?«

Mit dem Zerrbild eines Lächelns versuchte sie zu sprechen, brachte zunächst aber kein Wort über die weißen Lippen, und erst, nachdem er aus seinem anstoßenden Schlafzimmer rasch eine Flasche Kölnisches Wasser geholt und ihr damit Stirn und Schläfe benetzt, fand sie die Sprache wieder und erklärte, zur Ruhe gehen zu wollen. Er führte sie, die sich schwer auf seinen Arm stützte, zurück in ihr Schlafzimmer und übergab sie der Sorge ihrer verschlafenen Kammerfrau, nachdem sie wieder ganz energisch gegen einen zu holenden Arzt protestiert.

Durch den erleuchteten Korridor in seine Gemächer zurückkehrend, begegnete er Frau zur Mühle, die eben die Treppe heraufkam.

»Ich bekam in der Oper noch einen Stehplatz im dritten Rang, mit sehnsüchtigen Augen Ihre leere Loge betrachtend, die zu benutzen ich leider keinen Ausweis hatte«, sagte sie spitz. »Nun, ich habe aber ausgehalten, um die arme Violetta sterben zu sehen und zu hören. Sie sang ihren Schwanengesang › Addio del passato‹ einfach himmlisch. Aber wie kommt es denn, daß Sie schon zu Hause sind, Herr Graf? Ist Ihre Frau Gemahlin allein auf den Ball gefahren?«

»Meine Frau bekam im Theater einen kleinen Ohnmachtsanfall, weshalb wir beide heimkehrten«, erklärte er so höflich, als er es der ihm so unsympathischen Gesellschafterin gegenüber über sich brachte. »Ich habe sie eben wieder in ihr Schlafzimmer geführt, wo Sie sie noch wachend vorfinden. Ich fürchte, sie hat sich durch das aufreibende Gesellschaftsleben zuviel zugemutet und bedarf einer durchgreifenden Erholung. Apropos, ich sah Sie, als wir das Theater verließen, mit Herrn Leclair sprechen. Kennen Sie ihn schon länger?«

»Leclair«, wiederholte Frau zur Mühle anscheinend sehr erstaunt. »Ich kenne niemand dieses Namens. Als ich die Rampe zur Oper hinaufstieg – ich war in einem Cab gekommen, der ja am Hauptportal nicht vorfahren darf – redete mich ein fremder Herr mit rotem Bart an und fragte mich nach dem nächsten Telegraphenamt. Ich konnte ihm keines nennen, da ich ja selbst fremd hier bin, und wies ihn an den nächsten Polizisten, der ihm jedenfalls die gewünschte Auskunft geben würde. Also war es doch Ihr Wagen, den ich zu erkennen meinte, als er schon vorbeigefahren war. Ich gehe gleich, der Frau Gräfin meine Dienste anzubieten.«

»Ja, tun Sie das«, nickte Eschweiler und setzte seinen Weg fort mit dem Gefühl, daß die Gesellschafterin ihn belogen, Leclair ihr nicht fremd war, weil ihre Antwort ihm zu geläufig vorgekommen. Das konnte nichts wie Einbildung sein, da er nun einmal schon unter dem Eindruck litt, daß Frau zur Mühle unaufrichtig, ›falsch wie Galgenholz‹ sei. Wenn man solch' ein Vorurteil hat, dann findet man in jedem Wort und jedem Blick der beanstandeten Person eine Unstimmigkeit des Konkreten mit dem Abstrakten, d. h. eine Unwahrheit. Wozu brauchte Margarita hier eine Gesellschafterin, wenn sie doch Tag und Nacht nicht zu Hause war? Eschweiler war auch der unmaßgeblichen Meinung, daß Margarita ihre Korrespondenzen, wenig wie sie deren hatte, allein besorgen konnte, ohne sich damit zu überlasten. Die einlaufenden Rechnungen und sonstigen Geschäftsangelegenheiten kamen ja doch an seine Adresse. Wozu also diese doch so gut wie unnütze Person? Wozu? Er konnte freilich nicht wissen, daß Frau zur Mühle seiner Frau als Schutzwehr gegen ihre Überwachung durch ihre früheren Auftraggeber dienen sollte, ahnungslos, daß sie sich damit nach der Auflösung ihres Vertrages selbst den Wächter ins Haus genommen, der sie zu kontrollieren hatte, ob sie nicht für – andere Auftraggeber im gleichen Amt arbeitete.

Als Eschweiler sich am nächsten Morgen pflichtschuldigst nach dem Befinden Margaritas erkundigte, erklärte sie, soweit wieder ganz wohl zu sein, aber ihr übernächtiges Aussehen widersprach dem sichtlich. Eine Aufforderung, in der durch ein während der Nacht niedergegangenes Gewitter erfrischten Luft auszufahren, lehnte sie ab; sie wollte den Tag über daheim bleiben, jedoch am Abend ohne vorherigen Theaterbesuch, zu dem sie sich schon mit Bekannten verabredet, den Ball bei einem der fremden Gesandten besuchen, auf dem auch der Hof erscheinen sollte. Da es sicher vergebens war, sie von diesem Vorhaben abzubringen, so gab Eschweiler es wie gewöhnlich auf, Vernunftsgründe ins Gefecht zu führen, und war nur erstaunt, als sie ihm mit Heftigkeit gewissermaßen untersagen wollte, dem neuen Lord Fernhill den Beutel zurückzubringen. Er habe ihn, mit Recht oder Unrecht, sei gleich, gekauft und habe nicht die geringste Verpflichtung, ihn jemand zurückzuerstatten; ja, es sei geradezu unvernünftig, damit gar eine Verfolgung des flüchtigen Sekretärs herbeizuführen; Hunde, die schlafen, sollte man besser nicht wecken, denn was wäre die Folge? Die Aufrufung Eschweilers als Belastungszeuge und damit nur Unannehmlichkeiten und Hineinziehung seines Namens in einen Skandal.

Um des lieben Friedens willen tut man ja manchmal etwas gegen seine Überzeugung. Eschweiler hatte auch schon diverse Proben von Margaritas Temperament erhalten und als der Klügere nachgegeben. Hier aber behauptete er seinen Standpunkt, daß er den Beutel nur als Zugabe erhalten, aber auch, selbst wenn er ihn gekauft, als Erbstück der Familie zurückgeben müsse, nachdem Margarita ihm selbst den Beweis geliefert, daß er kein Duplikat, sondern der echte sei.

Eschweiler hatte sich in den paar kurzen Monaten seiner Ehe kaum die Mühe gegeben, Margaritas Worte mit ihren etwaigen Gedanken in Übereinstimmung zu bringen; die wenigen Stunden, die er, in Viertel- und Sechstelstunden zerlegt, allein mit ihr zubringen gedurft, waren meist noch durch die Gegenwart der Frau zur Mühle, die nicht den Takt hatte, zu wanken und zu weichen, sozusagen auf Draht gezogen, machten also ein näheres Eingehen und Verständnis ihres Charakters einfach unmöglich. In Gesellschaft sah er sie nur, wie vor der Ehe, lebhaft und gewandt plaudern, mehr oder minder diskret flirten, wie sie mit ihm geflirtet hatte, auf Bällen aus einem Arm in den andern fliegen, gefeiert, umworben – das Licht unter den Motten. Es war ihm gestern Abend gar nicht in den Sinn gekommen, etwas anderes als nur überreizte Nerven in ihren Ohnmachten zu vermuten. Erst als ihn jetzt ihr heftiger Widerstand gegen die Rückgabe des Beutels in Erstaunen versetzte und ihm dabei der Ausdruck ihrer Augen auffiel, machte er die Entdeckung, daß nicht Eigensinn oder Widerspruchsgeist daraus sprach, sondern Furcht, unverkennbare Angst vor – ja, um alles in der Welt, wovor??

»Ich glaube gar, du fürchtest dich, daß der neue Lord Fernhill auch deine Perle als sein Eigentum proklamieren könnte«, sagte er ärgerlich und auch ein wenig verächtlich. »Angenommen, daß der Leclair der verduftete Sekretär ist, was sehr wahrscheinlich ist, daß er die Perle samt dem Beutel gestohlen hat, wie ist denn das zu beweisen? Doch nur, wenn sich ein Zeuge fände, der die Perle im Besitz Fernhills gesehen hat. Ich habe sie im guten Glauben von dem Perlenhändler Leclair gekauft, sollte man meinen –«

»Oh, verschone mich mit solchen Argumenten«, fiel Margarita gereizt ein. »Habe ich von der Perle gesprochen? Nein, nur von dem Beutel, und ich bin der Ansicht, daß seine Rückgabe an den neuen Lord Fernhill einen Rattenkönig von Scherereien und Ärgernissen nach sich ziehen würde. So reden Sie doch, Frau zur Mühle, was ist Ihre Meinung?«

Eschweiler wartete die Meinung von Frau zur Mühle nicht ab.

» Sapienti sat!« sagte er und entfernte sich ohne weiteres – ob das höflich war oder nicht, seine Geduld war zu Ende. Und wenn er durch eine zweifellose Unhöflichkeit die unsympathische Person aus seinem Hause trieb, um so besser; aber er schätzte die Epidermis dieser lieben Dame viel zu zart ein, denn sie war in ihrem Leben an ganz andere Unhöflichkeiten gewöhnt worden, die ihrer Dickfälligkeit nicht nähergingen, als wenn eine Stechmücke sich auf ihre Haut setzte.

Nicht aus Widerspruchsgeist, sondern weil er seine Auffassung für die richtige, weil ehrliche hielt, trug Eschweiler den Beutel zu dem neuen Lord Fernhill, der zur Zeit in London in seinem prächtigen Palast weilte. Über die Wiederkehr der historischen Reliquie in den Familienbesitz freute er sich ehrlich, denn wenn er ja auch nur einer längst abgezweigten Nebenlinie des großen Hauses angehörte und ganz unverhofft durch den Tod seines entfernten Vetters zu der großen Erbschaft mit dem Titel gelangt war, so waren die Traditionen der Fernhills für ihn doch ein in Fleisch und Blut wurzelndes Heiligtum, und zudem war er auch noch ein Liebhaber und Kenner von Antiquitäten. Der Meinung Eschweilers, daß der Leclair identisch mit dem verschwundenen Sekretär sein könnte, stimmte er bei, hielt aber eine Verfolgung des letzteren für unnütz verschossenes Pulver.

»Auf den Verdacht hin, daß er den Beutel gestohlen hat, dessen positiver Wert ja zu geringfügig ist, um einen Apparat in Bewegung zu setzen, lohnte sich eine Verfolgung nicht, und den ideellen Wert würde das Gesetz wohl kaum anerkennen«, meinte er. »Eine Anklage wegen sonstiger Beraubung meines Vetters ist kaum zu begründen, weil wir ja gar nicht wissen, was er alles an Bord der gemieteten Barke besessen hat. Was er an Wertsachen auf die Reise mitgenommen, ist auf der Jacht zurückgeblieben und von dem Maat richtig abgegeben worden. Es läßt sich freilich annehmen, daß Winter, wie der Sekretär sich nannte, allein des Beutels wegen nicht flüchtig gegangen ist; vielleicht hat mein Vetter eine Summe Geldes bei sich gehabt, die des Mitnehmens lohnte. Nach der Aussage des malayischen Tenders war die Ausbeute an Perlen nicht bedeutend; was eine außergewöhnlich große Muschel, die von seinem letzten Tauchen von meinem Vetter an Bord gebracht wurde, an Perlen enthalten hat, wußte der Mann nicht, nur daß die Muschel mit dem Sekretär verschwunden ist, hat er zu seinem Bedauern festgestellt, denn mein Vetter hatte ihm großmütig die ganze, recht bedeutende Ernte an Perlmutter geschenkt. Es scheint demnach, daß Winter, bevor er flüchtig ging, diese Muschel über Bord geworfen hat, denn in dem Boot, mit welchem er sich ans Land rudern ließ, hat er sie nicht mitgenommen; vielleicht hat sie aber einige wertvolle Perlen enthalten, die des Mitnehmens lohnten. Das sind alles aber nur Vermutungen, auf denen sich eine Anklage nicht aufbauen läßt. Also läßt man den Lump am besten laufen. Ein sympathischer Mensch soll er nicht gewesen sein, und wer meinen Vetter kannte, wunderte sich, wie er sich den mit auf seine Reise nehmen konnte. Er hat sich wohl von dem Kerl imponieren lassen; der arme Junge war eben noch ein Grünhorn ohne jede Menschenkenntnis.«

Lord Fernhill hatte mit seiner Auffassung der Sache vermutlich recht, und damit war sie für Eschweiler auch erledigt; denn ob die große Perle, die Leclair ihm verkauft, aus jener verschwundenen Muschel stammte, war nicht zu beweisen. Als er Margarita das Resultat seines Besuches bei Lord Fernhill erzählte und sie dabei wie erleichtert aufatmen sah, schrieb er das ihrer Freude zu, unangefochten im Besitz ihrer Perle zu bleiben; vielleicht hatte er damit auch zum Teil recht.

Am Abend dieses Tages kam, sah und siegte Margarita auf dem Ball bei dem X'schen Gesandten; sie und ihre wunderbare Perle. Vielleicht diese noch mehr als sie selbst, denn die ehemalige Fürstin Karabugas war ja in London schon eine bekannte Erscheinung, und das Gewohnte büßt nun einmal, glänzend, wie es sein mag, den Reiz der Neuheit ein. Das ist eben der Lauf der Welt, und nur den erstaunt, verletzt und ernüchtert es, der davon betroffen wird, weil er – in diesem Falle ›sie‹ – es nicht begreifen kann, wenn doch der Spiegel daheim einem versichert, daß man immer noch ›die Schönste im ganzen Lande‹ ist, dabei aber übersieht oder überhört, daß der Spiegel immer auch etwas zu sagen hat ›von Schneewittchen über den Bergen‹.

Margarita war an diesem Abend tatsächlich schöner denn je. Sie gehörte ja ohnehin zu den sehr seltenen Frauen, die selbst im tollsten Wirbel des Tanzes in überhitzten Räumen nie ›echauffiert‹ werden. Kaum, daß ein rosiges Inkarnat ihr die Wangen überhauchte, wenn andere glühten und damit einen Stich ins Gewöhnliche bekamen. Heut besonders war ihr wunderbarer, farbloser Teint durchsichtig wie Alabaster, ohne darum tot zu wirken, und der bläuliche Schein unter ihren mächtigen dunklen Augen hatte sich zu Ringen vertieft. Eschweiler sah es nicht ohne Besorgnis, aber was war zu machen, wenn sie diesen Ball doch besuchen wollte und auf keine Vernunftsgründe hörte?

Nun ja, etwas von dem Prestige ihrer Erscheinung, das die Gewohnheit abgestumpft, schien heute zurückgekehrt. Hauptsächlich aber war es doch die Perle, auf ihrer klassischen Büste wie ein Wunder schimmernd, mit der sie ihre Triumphe zu teilen hatte, die den Löwenanteil daran beanspruchte. Alle Welt – und ihre Frauen – drängte sich um Margarita, die fabelhafte Perle in der Nähe zu sehen, ja sogar die königlichen Prinzen und Prinzessinnen ließen sich der Gräfin Eschweiler vorstellen, um ihre Perle zu bewundern, und Margarita war nicht einmal oder doch nur relativ eifersüchtig auf ihren kostbaren Besitz, dem sie soviel Ehre verdankte, welche ihr als Fürstin Karabugas trotz allem heißen Bemühen nie zuteil geworden war. Stolz, wenn auch nicht ohne einen leichten bitteren Beigeschmack, sonnte sie sich in dem Aufsehen in der Bewunderung und dem oft nur schlecht verhehlten Neid, den sie erregte, namentlich, wenn die schwarzen Augen der braunen Herzogin aus Chicago sie anfunkelten wie spitz und scharf geschliffene Dolche.

Und nicht die leiseste Ahnung sagte ihr, daß es ihr letzter Triumph war – –

Am nächsten Morgen, der ja allerdings schon fast zur Mittagsstunde vorgerückt war, bevor Margarita anscheinend wohl und ausgeschlafen aus ihrem Schlafzimmer erschien, gab Eschweiler sich die Mühe, sie zu einer Spazierfahrt oder zu einem Spazierritt zu überreden, um ihr durch die Wohltat der frischen Luft und der Bewegung die notwendige Erfrischung der Nerven zuteil werden zu lassen. Bisher hatte sie an dieser Hygiene auch festgehalten und sich damit wohl auch die Fähigkeit zum Ertragen der geselligen Tretmühle verschafft; heute aber weigerte sie sich entschieden, ja sogar heftig dagegen. Sie wollte den Tag über zu Haus bleiben, hatte auch wieder einen Theaterbesuch abgesagt, und Eschweiler kam unwillkürlich der natürlich unausgesprochene Gedanke, daß ihr daran liegen müßte, bei Tag draußen nicht gesehen zu werden, und daß der lahme Einwand, die Sonne könnte ihrem Teint schaden, nur eine Ausrede sei; denn gerade ihr Teint schien immun zu sein gegen die Gefahr verbrannt zu werden, brauchte weder Puder noch Schminke, um seiner Wirkung sicher zu sein. Wollte sie also draußen von jemand nicht gesehen werden? Warum? Eschweiler sagte sich ergeben, daß es vergebliche Liebesmühe sein würde, zu fragen, und während er noch einmal versuchte, sie davon zu überzeugen, daß Stubenluft bei Tage und die verdorbene Luft überfüllter und überhitzter Räume bei Nacht ihren Nerven unmöglich gut tun könnten, geschah etwas Unerwartetes: Der Besuch Ihrer Gnaden, der Herzogin von Strawberry, geb. Hambone aus Chicago, wurde ihr gemeldet.

»Sie kommt selbst, ihren Vorstoß durch ihren Mann zu entschuldigen«, sagte Margarita lachend.

»Oder selbst noch einen zweiten in eigener Person zur Erlangung der Perle zu wagen«, meinte Eschweiler, und als der Diener gegangen war, die Herzogin, die noch unten im Wagen saß, heraufzuführen, setzte er hinzu: »Eins von uns beiden wird wohl das Richtige erraten haben. Ich ziehe mich ins Nebenzimmer zurück, von wo ein Wort von dir mich gleich herbeirufen kann, falls die Unterhaltung etwa – lebhaft werden sollte. Eine Visite ist es ja keinesfalls, da sie allein, ohne ihren Mann gekommen ist.«

 

Dazu muß erklärt werden, daß in England nicht die Fremden oder Neugekommenen den ersten Schritt zum Verkehr mit den Eingesessenen tun, das heißt bei den Leuten, mit denen sie verkehren wollen, ihre Karten abgeben, sondern daß diese den ersten Besuch machen, und damit andeuten, daß sie jene in ihren Kreis aufnehmen wollen. Die Frage: Ought we to visit them oder her ist dort eine schwerwiegende Generalfrage, bevor sich die hermetisch verschlossenen Pforten für Fremde öffnen; ein erster Besuch durch diese wird als ein arger Verstoß gegen die Etikette betrachtet. Nun aber hatten der Herzog von Strawberry und seine Gemahlin weder bei der Fürstin Karabugas noch auch bei Graf und Gräfin Eschweiler es für angebracht gehalten, Besuch zu machen, und damit ganz klar angedeutet, daß sie die erstere nicht bei sich zu empfangen wünschten. Als darum der Herzog allein erschien, um Margarita zum Verkauf ihrer Perle zu bewegen, hatte er sicherlich nicht unwissentlich diese Ablehnung ihrer Person gewissermaßen unterstrichen, und den zweiten Strich darunter machte nun das alleinige Erscheinen der Herzogin. Nach Eschweilers durchaus richtigem Empfinden hätte Margarita diesen Besuch durch die bekannte und anerkannte Entschuldigung ›Nicht zu Hause‹ ablehnen müssen, aber sie war ihm durch ihre Annahme zuvorgekommen, wahrscheinlich um einen kleinen billigen Triumph über eine große Dame zu erringen, die ihre Person so deutlich abgelehnt. Das war ein kleiner Zug ins Boheme, welcher der Gräfin Eschweiler nicht hätte passieren dürfen. Der alte Spruch Quem Deus perdere vult, dementat prius Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie zuvor mit Blindheit. sollte wieder einmal seine Wahrheit beweisen.

Die kleine braune Herzogin, geschmacklos wie immer gekleidet, trat in das ›Morning-Room‹, das heißt Wohnzimmer, ein, in welchem Margarita sie empfing, sah sich erst um, bevor sie den Gruß der Dame des Hauses erwiderte, nahm die Vorstellung der Gesellschafterin, die natürlich als ›eiserner Bestand‹ zugegen war, durch völlige Nichtachtung entgegen – was Frau zur Mühle veranlaßte, geräuschlos zu verschwinden; natürlich nur, um im anliegenden Schlafzimmer Margaritas zuzuhören – und setzte sich dann auf den ihr angebotenen Sessel, mit der rechten Hand in der Tasche ihres schlechtsitzenden Paletots herumfummelnd, durch welche Bewegung sie, wie Margarita annahm, andeuten wollte, daß sie nicht ›offiziell‹ hier sei.

»Mein Mann war vor ein paar Tagen bei Ihnen, um Sie zu fragen, ob Sie mir Ihre große Perle verkaufen wollen«, begann sie ohne jede Verlegenheit.

»Ja, ich habe mich, um es milde auszudrücken, sehr über dieses Ansinnen gewundert«, versetzte Margarita sehr liebenswürdig.

»Natürlich hat er es furchtbar ungeschickt angefangen; Männer sind ja meist sehr ungeschickt, und mein Mann leistet darin die Möglichkeit«, fuhr die Herzogin mit schöner Offenheit fort. »Nicht wahr, er hat es recht tappig gemacht?«

»Tappig ist wohl etwas zu stark ausgedrückt, – ich fand ihn nur sehr verlegen bei der Ausführung eines Auftrages, der ihm entschieden nicht zusagte, weil er sich der Un– der Kühnheit desselben bewußt war«, erwiderte Margarita ebenso offenherzig. »Und da er mir leid tat, daß er sich zu solch' einem Auftrag hergeben gemußt, so habe ich ihn einfach nur ausgelacht, statt ihm die Tür zu zeigen.«

»Eh?« machte die Herzogin verblüfft. »Man lacht den Herzog von Strawberry nicht aus!«

»Es war die mildeste Form meiner Ablehnung«, versicherte Margarita liebenswürdig. »Da der Herzog von Strawberry nicht zum Kreise unserer Bekannten gehört, hatte ich gar keine Veranlassung, viel Federlesens mit ihm zu machen.«

»Nun ja, darin mögen Sie recht haben«, gab die Herzogin zu. »Ich bin also selbst gekommen, Sie zu fragen, ob Sie mir Ihre Perle verkaufen wollen.«

»Sie haben nicht richtig verstanden, Herzogin, oder ich habe mich nicht deutlich ausgedrückt, oder aber Sie laborieren unter einem großen Irrtum. Ich verkaufe meine Juwelen nicht«, versetzte Margarita immer noch sehr höflich.

»Aber Sie können für die Perle fordern, was Sie wollen; denn ich will und muß sie haben«, rief die Herzogin, lebhafter werdend. »Und wenn Sie schon nicht fordern wollen, so biete ich Ihnen eine Million Dollar dafür!«

»Wollen wir dieses unnütze Gespräch nicht lieber abbrechen?« fragte Margarita beherrscht. »Gehen wir zum Beispiel zum Wetter über, das ist ein neutrales Gebiet. Die Hitze ist seit dem Gewitter in der vorletzten Nacht erträglicher geworden; finden Sie nicht auch?«

»Zwei Millionen Dollar!« sagte die Herzogin.

»Madame, wenn Sie etwa vorhaben, noch eine Million mehr bieten zu wollen, so würden Sie mich nötigen, nach dem Diener zu klingeln, damit er Sie zu Ihrem Wagen führt«, rief Margarita in einem Ton, der im Verein mit ihren Worten keinen Zweifel mehr über ihre Endgültigkeit ließ.

Die Herzogin seufzte so tief auf, daß es fast wie ein Schluchzen klang.

»Nun, dann lassen Sie mich die Perle wenigstens einmal in der Nähe sehen! Das ist doch sicher nicht zu viel verlangt«, bat sie mit verhaltener Stimme.

Margarita wußte im Augenblick wirklich nicht, was für ein Gesicht sie zu solch' einer Harmlosigkeit machen sollte, und dann mußte sie hellauf lachen, wobei sie nebenan, wohin Eschweiler sich zurückgezogen, ein diskretes Hüsteln überhörte, das der Herzogin wohl auch entging, denn sie sah Margarita gespannt an und murmelte »Bitte! Bitte!« indem sie wie ein bettelndes Kind die Hände zusammenpatschte.

»Ja nun, wenn Sie weiter nichts wollen – das können Sie haben«, sagte Margarita immer noch lachend, indem sie, getrieben durch die liebe Eitelkeit, mit ihrem Schatz gerade vor der Person zu prahlen, die ihn so heiß begehrte, die erste Regung zur Ablehnung des Ansinnens unterdrückte beziehungsweise unbeachtet ließ. »Einen Moment! Ich gehe die Perle holen.«

Damit stand sie auf und ging in ihr Schlafzimmer, in welchem sie ihren stählernen Schmuckkasten hatte, zu dem sie den sehr kunstvollen Schlüssel unter ihrer Bluse verborgen an einem goldenen Kettchen stets bei sich trug.

Im Schlafzimmer traf sie Frau zur Mühle dicht hinter der Tür stehend an, und ohne sich erst lange wegen Lauschens zu entschuldigen, flüsterte diese ihr hastig zu: »Frau Gräfin, zeigen Sie der Dame die Perle nicht!«

»Ich bitte Sie, die Herzogin wird doch nicht gleich damit zum Fenster hinausfliegen wollen! Das gibt's doch nicht!« versetzte Margarita, den Schlüssel hervorziehend und damit an den Kasten tretend, der auf einer Kommode stand.

»Nun, dann geben Sie die Perle wenigstens nicht aus der Hand!« warnte Frau zur Mühle eindringlich. »Nicht einen Augenblick. Die Frau ist in ihrer Gier darauf zu allem fähig.«

»Keine Sorge, ich werde mich schon in acht nehmen, daß sie mir nicht am Ende damit davonrennt«, versicherte Margarita, indem sie dem Kasten das Maroquin-Etui entnahm und damit in das Wohnzimmer zurückkehrte, wo die Herzogin stehend ihr mit ganz unverhehlter Gier entgegensah, ein allerdings eigenartiger Anblick bei einer Multi-Millionärin und Peereß von England.

Vor sie hintretend, öffnete Margarita das Etui, in welchem sich die Perle an ihrer Diamantschleife auf dem Bett von lichtgrünem Samt ruhend in märchenhafter Schönheit den Blicken enthüllte, und indem sie es, ein wenig von sich abhaltend, durch eine nicht mißzuverstehende Bewegung der ausgestrecken Linken der Herzogin entzog, sagte sie: »Nun ist Ihr Wunsch erfüllt, und würden Sie mich sehr verbinden, wenn Sie –«

Doch bevor sie vollenden konnte, auszusprechen, daß sie den Besuch nun für vollendet hielt, geschah das Unerwartete, Schreckliche: Die rechte Hand der Herzogin fuhr aus der rechten Paletottasche mit einem kleinen Fläschchen hervor, dessen Stöpsel die Linke schnell wie der Blitz herauszog, und spritzte den Strom einer Flüssigkeit auf das Etui.

Mochte aber die Hand der Attentäterin dabei gezittert, oder Margaritas etwas ausgestreckter Arm eine unwillkürliche Bewegung auf sich zu gemacht haben – kurz, die scharf riechende Flüssigkeit traf nicht das Etui, sondern ihre linke Gesichtshälfte, und mit einem markerschütternden Schrei wankte sie zurück und stürzte wie gefällt zu Boden, die Perle mit ihrem Körper verdeckend.

Schneller, als man es beschreiben kann, waren aus beiden Nebenzimmern Eschweiler und Frau zur Mühle herbeigeeilt, bevor noch der furchtbare Schrei mit einem zitternden Laut verhallt war und Bewußtlosigkeit der Unglücklichen zu Hilfe kam. Und welch' ein Anblick bot sich ihnen: Die linke Wange, ein Teil des Mundes und des Halses waren eine rauchende Wunde, furchtbar anzusehen!

Kreidebleich im Gesicht stand die Herzogin, das Fläschchen noch in der Hand, wie erstarrt vor ihrem Werk.

»Das – das habe ich nicht gewollt«, stammelte sie. »Ich wollte ja nur die Perle treffen, sie vernichten, wenn ich sie doch nicht haben konnte – wollte sie ja dann auch bezahlen – –«

Ob Eschweiler hörte, was sie zu ihrer ›Entschuldigung‹ vorbrachte, war wohl zu bezweifeln, denn er hob Margarita auf und trug sie in ihr Schlafzimmer, wobei sie wieder zu sich kam, in ihren Schmerzen herzbrechend weinend und jammernd.

Frau zur Mühle hob die aus ihrem Etui gefallene Perle auf, deutete mit dem Finger nach dem Ausgang und sagte kurz:

»Dort ist die Tür, Euer Gnaden!«

Und dann floh die Herzogin schreiend wie am Spieß, schreiend rannte sie die Treppe hinab, schreiend, daß die Vorübergehenden auf der Straße stillstanden und Polizisten von beiden Seiten im Laufschritt daherkamen, warf sie sich in ihren vor der Tür haltenden Wagen, schreiend fuhr sie davon, und – London war um eine Sensation reicher.

Vielleicht, wenn sie ihre Nerven nicht so total verloren hätte, wäre es möglich gewesen, den Skandal annähernd in gewisse Grenzen einzudämmen, das heißt auf ein ›man sagt‹ zu beschränken. So aber wurde aus dem Vitriolattentat der Herzogin von Strawberry auf die schöne Gräfin Eschweiler das Stadtgespräch, und alle Zeitungen brachten spaltenlange mehr oder minder phantasiereiche Artikel, welche die Zeitungsverkäufer auf den Straßen laut hinausbrüllten. Und weil man die wahre Ursache der Tragödie nicht wußte, beziehungsweise nicht gleich erfahren konnte, so traten die Vermutungen an ihre Stelle, darunter die wohlberechtigte Eifersucht der Herzogin auf die schon als Fürstin Karabugas notorisch kokette Gräfin Eschweiler einen breiten Raum einnahm. Daß Margarita mit dem keineswegs als Adonis geltenden unbedeutenden Herzog von Strawberry, bevor er ihr Haus betrat, um ihr im Auftrage seiner Frau die Perle abzukaufen, kein Wort gesprochen, ihn nur von fern vom Sehen kannte, kam dabei nicht in Betracht. Die Hauptsache war, zur Befriedigung des lieben Publikums einen Grund für das Attentat zu verkünden. Später wurde der ›fatale Irrtum‹ ja berichtigt, was neuen Stoff zu neuen Artikeln als ein willkommenes Fressen für die Reporter bedeutete, und auch dabei wurde noch zusammengelogen, daß die Balken sich bogen; die Nachricht jedoch, daß die Herzogin geistig gestört gewesen, als sie das Attentat ausführte, und in ein Sanatorium gebracht worden sei, war natürlich inspiriert und beruhte, was das letztere betraf, auf einer Tatsache.

Dem Herzog konnte begreiflicherweise nichts daran liegen, es zu einer Klage des Grafen Eschweiler und damit zu einem Prozeß kommen zu lassen, der die Geschichte Gott weiß wie lange noch vor der breiten Öffentlichkeit zum Erstaunen und Grauen der Mitwelt herumzuzerren berufen gewesen wäre; dem Grafen Eschweiler andererseits wäre es schon mehr wie peinlich gewesen, seinen und seiner Frau Namen an die große Glocke gehängt zu sehen. Auf Schadenersatz zu klagen, war in seinen Augen zudem Unsinn, weil der angerichtete Schaden überhaupt nicht mehr gutzumachen war, und um Geld daraus zu münzen, war er zu vornehm. Natürlich erschien der Herzog, seine Frau zu entschuldigen, dabei offen eingestehend, daß ihre Tat unentschuldbar war, was das Gescheiteste war, was er tun konnte, denn das nahm der leidigen Sache gewissermaßen die Spitze. Und weil es wirklich in einem Lande wie England nicht gut anging, die Frau eines Peers vor Gericht zu stellen, die noch dazu eine Tochter ›Uncle Sams‹ war, und es auch zu fürchten stand, daß es dabei zu Demonstrationen des Publikums gegen sie kommen konnte, so wurde der Ausweg betreten, die Attentäterin für geistig gestört zu erklären, was sie schließlich ja auch durch ihre Manie in gewissem Sinne war. Eine Heilanstalt nahm sie solange in ihren gefälligen Mauern auf, bis Gras über die Geschichte gewachsen sein würde; womit auch ihre amerikanische Verwandtschaft nolens volens einverstanden war.

Über die Verletzungen der Gräfin Eschweiler waren die Zeitungsberichte auch maßlos übertrieben worden, die Wahrheit darüber war aber immer noch schlimm genug. Zwar überlebte sie ihre Verwundungen; das linke Auge war wie durch ein Wunder erhalten geblieben, aber die Zerstörung ihrer Schönheit für noch unberechenbare Zeit, vielleicht je nach Erfolg des Heilungsprozesses für immer, war eine Tatsache, die der Verunglückten sorgsam verborgen wurde. Die Wange mit einem Teil des Mundes bis zum Kinn, ein Stück des Halses und der Büste waren durch das herabgeflossene Vitriol dermaßen verbrannt, daß Jahre darüber vergehen mußten, die Narben weniger auffällig zu machen, die Maske eines dichten Schleiers notwendig wurde, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Mit diesem schwachen Trost suchten die Ärzte, die ersten und die besten, die Eschweiler sofort herbeigerufen, ihn zu beruhigen, während sie der Patientin natürlich mit Sicherheit die heilende Hand der Zeit verhießen. Was sich nur irgend tun ließ, die großen Schmerzen der Leidenden zu mildern, geschah. Spiegel, sich darin zu sehen, wurden ihr vorenthalten, und das ging auch solange an, als die Verbände nur durch die Ärzte selbst erneuert werden durften. Der Augenblick, wo sie sich zuerst ohne Verband im Spiegel erblickte, kam noch früh genug und war für die Unglückliche von so furchtbarer Wirkung, daß man für ihren Verstand fürchtete, denn sie benahm sich dabei tatsächlich wie eine Wahnsinnige.

Aber das kam erst später, nachdem sie London verlassen. Bis die eigentliche Heilung, die dank der Kunst der Ärzte verhältnismäßig rasch vor sich ging, so vorgeschritten war, daß nur noch Schutzverbände erforderlich waren, blieb Eschweiler natürlich in London und reiste dann Ende Juli mit ihr auf sein Landgut ab, wogegen sie keinen Einwand erhob. Nachdem aber dort die furchtbare Entdeckung ihrer zerstörten Schönheit stattgefunden, wurde ihre Laune für ihre Umgebung nahezu unerträglich, und je größer Eschweilers Geduld mit ihren Ausbrüchen war, um so heftiger wurden diese.

Es war übrigens charakteristisch für Margarita, daß ihre erste Frage ihrer Perle galt, als sie nach dem Attentat ihre Besinnung wiedererlangte, und als man sie ihr unversehrt in ihrem Etui zeigte, wurde sie ruhiger und ließ alles mit sich geschehen, was die Ärzte verordneten, ganz überzeugt davon, daß die geheilten Wunden keine Spur in ihrem Antlitz hinterlassen würden; bis das schreckliche Erwachen aus diesem Traume kam, als sie bereits nach Haus Eschweiler überführt worden war.

Als das erste, von einer Ohnmacht begleitete Entsetzen über den eigenen Anblick vorüber, die darauf folgende Raserei ausgetobt war, war es für ihre Umgebung dann wirklich nur mit dem Aufgebot der größten Geduld möglich, bei ihr auszuhalten. Moralische Kraft, gestützt und gehoben durch Religiosität, hatte sie wohl nie besessen. Sie war Egoistin durch und durch, ihre Stärke war eine zähe Beharrlichkeit, unterstützt durch eine vorbildliche Gesundheit, zur Erreichung ihrer Ziele, die in der Sehnsucht, der Gier nach Geld und Gut gipfelten. Für Reichtum und Glanz, für Schmuck – namentlich Perlen –, für Kleider und Luxus, hatte sie ihre Seele verkauft. Für die Unmoral dessen, was sie dafür zu leisten hatte, fehlte ihr einfach jeder Begriff. Sie war im Gegenteil noch stolz auf ihre erreichten Erfolge.

Ungerechter- und unbegreiflicherweise warf sie in ihrem Jammer über ihre zerstörte Schönheit einen geradezu fanatischen Haß auf ihren Gatten, der sich wahrlich nicht vorzuwerfen hatte, irgend etwas in der Pflege für die Bedauernswerte verabsäumt zu haben. Es wäre verständlicher gewesen, hätte sie die Herzogin verwünscht und gehaßt, aber diese war ihr aus den Augen gerückt, und sonderbarerweise hatte sie Verständnis für ihr bis zum Verbrechen gesteigertes Verlangen nach der Perle. Und nun machte sie Eschweiler verantwortlich für ihr Unglück, ›weil er sie mit der Perle geködert!‹ Er durfte sich vor ihr nicht mehr zeigen, ohne daß sein Anblick sie zu einem Wutanfall reizte, in welchem sie, was sie gerade in der Hand hatte oder sich in Reichweite von ihr befand, nach ihm warf. Nur Frau zur Mühle duldete sie dauernd um sich – Quem Deus perdere vult, dementat prius.

Dabei liebte sie die Ursache ihres Unglücks, die Perle, leidenschaftlich, ja geradezu abgöttisch, sie hatte sie immer bei sich, konnte ihren Anblick nicht eine Stunde entbehren, bis ihr eines Nachts träumte, die Herzogin habe sich bei ihr eingeschlichen, um sie zu ermorden und die Perle zu stehlen. Da erfaßte sie eine abergläubische Angst, daß sie einen Wahrtraum geträumt oder daß er eine Warnung zu bedeuten habe, und Frau zur Mühle mußte mit der Perle nach Berlin reisen, um sie in der Stahlkammer der Bank zu deponieren, die ihre Wertpapiere, die ersparten Summen ihres Schandlohnes als Spionin, verwaltete. Als sie dann den Depotschein dafür in den Händen hatte, verzehrte sie sich wieder in Sehnsucht nach dem also gesicherten Gut mit der Inkonsequenz ihrer aus dem Gleichgewicht gebrachten Seele.

Für Eschweiler war die Lage in seinem eigenen Hause ganz unerträglich geworden. Da Margarita ihn nicht sehen und sprechen wollte, so schrieb er ihr einige Zeilen des Inhalts, daß es für sie und ihn selbst besser sei, wenn er sich auf einige Zeit entferne, bis sie ihre Ruhe und Überlegung wiedergefunden haben würde. Nachrichten könnten ihn allezeit durch die Postanstalt der nahen Kreisstadt erreichen, die behufs Nachsendung der Briefe von seiner jeweiligen Adresse unterrichtet wäre. Denn er wußte selbst noch nicht, wohin er seine Schritte lenken sollte; jedenfalls nicht zu einem Allerweltsort mit Kurhäusern, Musikkapellen und regem Fremdenverkehr.

Dann packte er seinen Koffer und reiste allein, ohne Diener, ab, wie immer, wenn er sich ›auf die Walze‹ begab.


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