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Viertes Kapitel

»Nehmen Sie Rahm zum Tee, Herr Graf?« fragte Frau zur Mühle beflissen, indem sie Eschweiler zierlich mit abstehendem kleinen Finger das Kännchen reichte. Sie mußte die Frage wiederholen, denn er hatte die Augen auf die Fürstin gerichtet, die entschieden geistesabwesend in ihrer Tasse rührte. Es war zum letzten Male, daß er im Englischen Hof den Tee bei ihr trank, denn morgen war ihr Hochzeitstag. Die standesamtliche Eheschließung hatte an diesem Vormittag stattgefunden, die kirchliche Trauung sollte morgen in der alten, stimmungsvollen Stiftskirche auf dem Schloßberg folgen.

»Danke, nein, ich trinke den Tee immer noch ohne Rahm«, beantwortete er mit knapper Höflichkeit dieselbe Frage, die ihm unentwegt seit drei Wochen fast täglich gestellt wurde. Aus Zerstreutheit? Als ob Frau zur Mühle sich selbst gestattet hätte, zerstreut zu sein. Aus Dummheit? Nun, wer diese Frau für dumm hielt, konnte ihm leid tun. Also, weshalb? Es war nicht das einzige Fragezeichen, das ihm die Gesellschafterin seiner Verlobten gestellt. Schon öffnete er die Lippen, um sich – zum ersten Male – die Bemerkung zu gestatten, daß dieselben Fragen, täglich gestellt, auf die Dauer nervös machen können, als der Kurier Pietro erschien und Frau zur Mühle etwas zuflüsterte, was diese veranlaßte, sich zu erheben und mit den Worten: »Durchlaucht gestatten – die Abrechnung mit dem Manager –« dem Mann hinaus zu folgen. Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, als Eschweiler so hastig aufsprang, daß er seinen Stuhl dabei umwarf.

» Enfin seuls!« rief er, sich streckend. »Seit mehr als drei Wochen, seit dem Tage, an welchem ich Sie meine Braut nennen durfte, Margarita, warte ich mit einer Engelsgeduld, die ich mir selbst im Leben nie zugetraut hätte, auf den Augenblick, wo diese fürchterliche Person uns einmal allein lassen würde. Was mich dabei am meisten wundert, ist, daß Sie diesen unerträglichen ›Ehrendrachen‹ noch nicht zum Teufel geschickt haben, der gewiß längst auf ihn lauert. Lieber Gott, wenn zwei sich heiraten wollen, dann haben sie doch miteinander Dinge zu besprechen, die einen Dritten nichts angehen! Man spricht doch nicht von Herz zu Herz, von Seele zu Seele, wenn ein Fremder, ein Mietling dabei sitzt und die Ohren spitzt. Diesem überflüssigen Dritten zu Ehren haben wir Tag für Tag gegeistreichelt, leeres Stroh mit Worten gedroschen, aber sind wir uns, die wir morgen eins sein werden, auch nur um einen einzigen Schritt näher getreten? Mir ist schon der Gedanke gekommen, diese ewige Frau zur Mühle durch eine Bombe unter ihrem Stuhl in die Luft zu sprengen, nur um einen einzigen Moment mit meiner Braut allein zu sein! Natürlich hat nur Ihre Güte Sie daran verhindert, der taktlosen Person zu zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat, aber länger hätte ich diesen Zustand nicht mehr ertragen!«

Margarita lachte hellauf, aber es war eine falsche Note in diesen silberhellen Tönen, mit denen sie Leuten männlichen Geschlechtes den Kopf zu verdrehen pflegte, die eine ihrer ›Spezialitäten‹ waren.

»Sind Sie fertig, mein lieber Johannes?« fragte sie spöttisch, indem sie ihm die Hand reichte, die er zwar ergriff, sich aber nicht damit begnügte, sie wie sonst devot und galant mit den Lippen zu berühren. Diese letztere Tätigkeit dehnte er heute zum erstenmal ohne Zeugen auf den schmalen, roten Mund aus, ehe sie sich dessen versah, und ehe er noch recht dazu kam, stieß sie ihn auch schon mit beiden Händen von sich.

»Bitte, nein! Ich liebe das nicht!« sagte sie hart.

»Oh! Sie lieben das nicht?« wiederholte er ernüchtert. Und dann lachte er bitter auf. »Nun, das läßt ja vermuten, als wäre zur Verhinderung einer solchen eigentlich doch ganz natürlichen Handlung der Ehrendrache auf Ihren Wunsch in Permanenz erklärt gewesen. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Verzeihen Sie die überflüssige Frage, die mir nur so herausgeschlüpft ist, denn natürlich konnten Sie das nicht gleich sagen, das konnten Sie als Dame einfach nicht, und ich kam in meiner notorischen Beschränktheit und Bräutigamsseligkeit nicht darauf, daß Frau zur Mühle kein taktloser Appendix ist, sondern auf höheren Befehl nicht wankte und wich, wenn ich Sie besuchte. Nun ich aber Bescheid weiß, dürfen Sie der mir so lieb gewordenen Dame für den Rest dieses Abends ruhig Urlaub geben. Wir haben doch eigene Angelegenheiten zu besprechen, wobei die Gegenwart der Gesellschafterin zum mindesten überflüssig ist.«

»Was wären das für Angelegenheiten, mein lieber Johannes?« fragte sie mit leichtem Erstaunen, ohne auch nur mit einer Silbe auf seine Worte einzugehen.

»Nun, beispielsweise, was man ›Zukunftsmusik‹ nennt«, versetzte er beherrscht. »Es tauchen doch sehr persönliche Fragen vor einem auf, wenn man auf der Schwelle eines neuen Lebensabschnittes steht, Fragen, die ich in Gegenwart einer Fremden nicht erörtern wollte. Andeutungen, die ich darauf hinzielend des öfteren fallen ließ, wurden von Ihnen nicht verstanden oder einfach ignoriert ... Nun ja, wahrscheinlich wird Frau zur Mühle gleich wieder zurückkehren und mich fragen, ob ich Rahm zum Tee nehme, aber auf diese Gefahr hin möchte ich doch die Themen berühren, die heute, am Vorabend unseres Hochzeitstages, dringend geworden sind. Wann dachten Sie übrigens, Ihre Gesellschafterin zu entlassen?«

»Zu entlassen?« wiederholte Margarita erstaunt. »Aber, mein lieber Johannes, daran dachte und denke ich überhaupt nicht. Frau zur Mühle ist mir ganz unentbehrlich. Sie hat sich zu meiner vollen Zufriedenheit in die Stelle meiner Sekretärin und Verwalterin eingearbeitet, sie hat meine Garderobe unter sich – ah, nein, ich könnte sie nicht mehr vermissen.«

»Auch nicht, wenn ich Sie darum bitte, Margarita? Mir ist die Person so schrecklich unsympathisch«, sagte Eschweiler nach einer kleinen Pause zur Aufrechterhaltung seiner Selbstbeherrschung.

»Mir ist sie aber sympathisch, und das ist doch wohl die entscheidende Hauptsache, nicht?« entgegnete sie ohne Schärfe, eben wie etwas ganz Selbstverständliches, weil es ihr gar nicht in den Sinn kam, daß eine andere Person, als ihr eigenes Ich überhaupt in Betracht zu ziehen sei.

Eschweilers Temperament hatte große Lust, mit ihm durchzugehen; ganz ließ es sich nicht unterdrücken, aber er hatte etwas Hartes und Bitteres herabzuwürgen, bevor er lebhafter, als gewollt, ausrief:

»Ah, das ist ja reizend! Wir werden also die Freude, das Vergnügen und unverdiente Glück haben, unsere kurze Hochzeitsreise nach Haus Eschweiler zu dritt zu machen?«

»Welche Idee!« lachte sie hell auf. »Frau zur Mühle muß doch zurückbleiben, um hier das Einpacken zu überwachen, und dann soll sie nach London vorausreisen, um dort unser Haus zu unserem Empfang vorzubereiten.«

»Nach London? Sie wollen nach London?« fiel Eschweiler entgeistert ein.

»Aber, lieber Freund, das ist ja köstlich, wie Sie jetzt aus den Wolken fallen!« rief sie belustigt. »Als ob ich Ihnen nicht gesagt hätte, daß ich in Kensington ein möbliertes Haus für die Season gemietet habe!«

»Gewiß haben Sie das gesagt; ich bildete mir in meiner Einfalt nur ein, daß ein so unbedeutendes und nebensächliches Ereignis, wie unsere Hochzeit Ihren Plänen eine andere Richtung geben würde. Sie waren oder schienen mir ganz einverstanden, daß wir statt einer Hochzeitsreise auf mein Landgut gehen wollten.«

»Gewiß – für ein paar Tage, die ja wohl genügen werden, mich dort einzuführen. Durch unsere Verlobung, das heißt durch die leider notwendig gewesenen Präliminarien zu unserer Vermählung, habe ich so schon mindestens vierzehn Tage der Season in London verloren, also denke ich, daß zwei oder drei Tage in Haus Eschweiler genügen dürften, mein neues Reich zu besichtigen und mich Ihren Leuten zu zeigen. Um so mehr, als ich gar nicht für das Landleben schwärme. Also wir gehen sobald als möglich nach London, von dort vielleicht zum Besuch von Leuten, die uns jedenfalls auf ihre Schlösser einladen werden, und dann für den Winter nach Rom. Dort habe ich meine Wohnung im Palazzo Cori ja aufgegeben, aber der Marchese Campobasso hat mir seine Villa vor Porta Pia zur Verfügung gestellt. Sollte ich vergessen haben, Ihnen das alles zu sagen?«

»Es scheint so. Warum sollten Sie es auch gesagt haben, wenn ich bei Ihren Plänen doch so ganz nebensächlich bin?« sagte Eschweiler plötzlich ganz ruhig. »Sie haben sich eben noch nicht in die Lage als Gattin eines Mannes hineindenken können, der durchaus nicht im Sinn hat, in seinem Hause eine Nebenrolle zu spielen, sich gewissermaßen als höherer Lakai mitnehmen zu lassen. Es wird gut sein, Margarita, wenn wir in diesem Punkte zu einem klaren Einverständnis gelangen. Ihre Einführung als Herrin im Haus Eschweiler steht also fest. Ihrem Wunsch, die Season in London mitzumachen, will ich mich, nicht gerade begeistert, aber dennoch fügen, aber das möblierte Haus in Kensington geht auf meine Rechnung, denn ich will nicht als ein notgedrungener Gast im Hause meiner Frau schmarotzen. Sie sind nämlich seit heute gesetzlich und von morgen ab auch kirchlich die Gräfin Eschweiler auf Haus Eschweiler, nicht mehr die Fürstin Karabugas, die irgendein männliches Individuum unter dem Titel ›Gemahl‹ in ihrem Gefolge mitschleppt. Und was einen Winteraufenthalt in Rom anbelangt, so habe ich prinzipiell nichts dagegen, aber Sie werden die Güte haben, dem Marchese Campobasso zu schreiben, daß Sie infolge Ihrer Vermählung mit mir auf seine Villa verzichten, die mir anzubieten er nicht die entfernteste Veranlassung hat, da ich ihn persönlich nicht kenne. Für die Wohnung sorge ich also. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Überwältigend«, versicherte sie ironisch. »Es ist mir sehr interessant, Ihren Standpunkt kennen zu lernen, wirklich, das ist es. Ich fürchte nur, Sie fassen Ihre Rolle als mein Gemahl zu schwerfällig auf – eine ganz natürliche Konsequenz Ihrer Nationalität. Die Deutschen sind alle etwas schwerfällig. Sie werden das zugeben müssen. Ich will damit Ihren Standpunkt aber keineswegs verwerfen, ja ich gehe sogar so weit, anzuerkennen, daß es wirklich einen besseren Eindruck machen wird, wenn ich bei Ihnen, nicht Sie bei mir wohnen. Ich überlasse Ihnen also das Haus in London und die Wohnung in Rom; wenn Sie den Marchese Campobasso nicht kennen, wäre es in der Tat nicht guter Ton, seine Villa anzunehmen. Ich möchte Sie aber durchaus nicht zwingen, mich nach London oder Rom zu begleiten, denn von mir aus haben Sie volle Freiheit, da zu leben, wo es Ihnen beliebt, und beanspruche für mich dieselbe Freiheit.«

Eschweiler war für die Dauer einer Minute der Sprache beraubt; viel Illusionen hatte sein Brautstand mit Frau zur Mühle als ›Ehrendrache‹ ihm nicht mehr gelassen, er hatte an sich schon mit wenigen genug begonnen, nur getrieben von seiner unseligen Leidenschaft für die Zauberin Margarita Karabugas. Aber mit solch' hochgradig kühler, gemütsarmer Unverfrorenheit rechnen zu müssen, war ihm noch nicht eingefallen. Sehr schmerzhafte Einschnitte, gleichviel, ob ins Fleisch oder in die Seele, haben aber oft ein klares Denken im Gefolge, namentlich wenn der Stolz gleichzeitig aufgestachelt wird, den Schmerz nicht zu zeigen. Deshalb konnte Eschweiler nach einer kurzen Pause ohne sichtbare Erregung antworten:

»Ich fürchte, Margarita, Sie haben Ihre Rechnung ohne den Wirt, nämlich meine Wenigkeit, gemacht. Es konnte mir ganz gleichgültig sein und ging mich nichts an, wo die Fürstin Karabugas herumgeisterte, von wem sie sich Villen zur Verfügung stellen ließ und was sie sonst trieb. Ich sage: Es konnte mir gleichgültig sein, war es aber nicht, weil der Leumund der Fürstin Karabugas eine höchst persönliche Note für mich hatte. Es ist mir aber durchaus nicht gleichgültig und darf es auch nicht sein, was die Gräfin Eschweiler tut und wo sie sich herumtreibt. Ich müßte der verächtlichste der Männer sein, wenn mir das gleichgültig wäre. Ich werde also von Ihrer gnädigen Erlaubnis, da zu leben, wo es mir beliebt, keinen Gebrauch machen und verweigere Ihnen ohne Phrase und ohne Klauseln die gleiche Freiheit. Sie werden sich also schon darein finden müssen, unter meinem Schutz und unter meiner Leitung die ›Welt, in der man sich langweilt‹ mit dem unleugbaren Zauber Ihrer Gegenwart zu beglücken. Ihr bisheriges Auftreten in allen Metropolen Europas, glanzvoll wie es auch war, hat nicht immer eine milde Beurteilung gefunden; die Bezeichnung ›Abenteuerin‹ hat sich recht hartnäckig an Ihre Sohlen geheftet, denn wenn eine junge, schöne Witwe allein und unbeschützt, meist nur in Herrengesellschaft, als Salonlöwin auftritt, dann ist die böse Welt mehr denn je aufgelegt zu unfreundlichen Hypothesen. Ob diese zutreffen oder nicht, danach fragen die Lästerzungen bekanntlich nicht. Was die Fürstin Karabugas sich also erlauben durfte, werde ich der Gräfin Eschweiler, meiner Gemahlin nämlich, nicht gestatten. Jeder vernünftige, meinetwegen auch unvernünftige Wunsch nach einem Aufenthalt in den fünf Weltteilen soll Ihnen gern und bereitwillig erfüllt werden, aber nur an meiner Seite. Allein – nein! Der Gräfin Eschweiler darf keine böse Zunge etwas am Zeuge zu flicken haben; das werde ich einfach nicht dulden.«

Feste, männliche, ohne sicht- und fühlbare Erregung gesprochene Worte verfehlen selten ihre ganze Wirkung; sie gingen auch nicht ohne Eindruck an Margarita vorüber. Und sie unterdrückte auch nicht eine Regung ihrer besseren Natur, indem sie Eschweiler spontan die Hand reichte und beinahe herzlich sagte:

»Ich danke Ihnen, Johannes, für die Ritterlichkeit, mit der Sie für mich und meinen Ruf eintreten wollen. Freilich«, setzte sie unter raschem Zurückziehen ihrer Hand hinzu, »haben Sie dabei wohl zuerst an sich und Ihren Namen gedacht.«

»Es ist ein fleckenloser Name, Margarita, und von nun an der Ihrige!«

»Nun, und dann haben Sie mir auch ein paar sogenannter ›Wahrheiten‹ gesagt, die schwer zu ertragen sind. Abenteuerin! Wer hat es gewagt, mich so zu nennen, die ich doch überall durch die einwandfreie russische Gesandtschaft eingeführt wurde –« Sie stockte, denn sie wußte ganz genau, was es mit diesen ›Einführungen‹ für eine Bewandtnis hatte; daß diese hohen Schutzpatrone sie sofort verleugnet haben würden, falls ein ›Auftrag‹ ihr mißlang. Hatte Eschweiler eine, wenn auch nur vage Kenntnis von ihrer geheimen Tätigkeit? Sie warf ihm einen raschen Blick zu und verneinte sich selbst vor seinem offenen Auge diese Frage. Damit aber begann ihr Herz rascher zu klopfen, weil nun der schwere Entschluß, die Notwendigkeit, reinen Tisch zu machen, imminent geworden war. Sie hatte mit dem Entschluß zu ihrem Bekenntnis gerungen, seitdem sie Eschweiler ihr Jawort gegeben, sie hatte darum Frau zur Mühle in seiner Gegenwart nie von ihrer Seite gelassen, um zu diesem Bekenntnis nicht gedrängt zu werden, bis es zu spät für ihn wurde, zurückzutreten. Sie liebte Eschweiler nicht, er war ihr nur nicht gerade unsympathisch, aber sie liebte die Perle, die sie ohne ihn nicht besitzen konnte, und sie liebte seinen Reichtum, und er war ihr das Mittel zum Zweck, Sklavenketten zu brechen, deren sie längst überdrüssig geworden war. Aber obgleich sie darüber hinaus war, Furcht oder auch nur Scheu vor etwas zu empfinden, fand sie es doch nicht so ganz einfach, nackte Tatsachen mit dürren Worten diesem Mann ins Angesicht zu schleudern. Dem Knaben Fernhill ihr Bekenntnis abzulegen, wäre entweder überflüssig oder ganz einfach gewesen; der hätte es geglaubt, daß das Mäntelchen, welches sie der Sache umgehängt hätte, von Samt, nicht nur von Flor war, genau, wie er ihr geglaubt hätte, wenn sie ihm weismachen gewollt, daß der Mond bei Tage und die Sonne bei Nacht scheint. Aber Eschweiler war kein solch' leichtgläubiger Tropf.

» Enfin,« fuhr sie mit raschem Entschluß fort, »Sie mögen ja recht darin haben, daß man als einzelne Frau für die Lästerzungen eine willkommene Beute ist; aber es mir so direkt ins Gesicht zu sagen, war doch reichlich rücksichtslos von Ihnen, wennschon ich Ihre Motive verstehen und würdigen kann. Und da wir nun einmal so persönlich geworden sind, möchte ich Ihnen doch sagen, daß meine Einkünfte leider mit meiner Heirat mit Ihnen versiegen werden.«

»Oh, ist dem so?« fragte er kühl. »Nun, das tut nichts, ich habe genug für uns beide. Demnach erlischt also Ihr Wittum mit Ihrer Wiedervermählung?«

»Wittum! Als ob der alte Säufer und Spieler Karabugas ein Wittum zu hinterlassen gehabt hätte!« rief Margarita, die ihr durch diese hingeworfene Frage unverhofft geschlagene Brücke betretend. »Aus den Papieren, die ich Ihnen für unsere Eheschließung übergeben habe, meinen Taufschein als Tochter des Schlachtschiz Wrczowski, meinen Trauschein mit dem Fürsten Iwan Wassijewitsch Karabugas und dessen Totenschein, werden Sie ersehen haben, wie sehr kurz meine Ehe mit ihm gedauert, schon nach einem halben Jahre hatte der gräßliche Mensch sich zu Tode getrunken, weil er durch mich wieder Kredit bekam! Übrigens hatte er nichts zu tun, als mir seinen alten Namen zu geben, wofür ihm die russische Regierung seine Schulden bezahlte, und nach der Trauung durfte er sich aus der Kirche gleich wieder trollen – ins Schnapshaus vermutlich; denn eine menschenwürdige Wohnung soll er, wie man mir sagte, überhaupt gar nicht mehr gehabt haben. Sie verstehen, Johannes?«

»Ich – ich fürchte mich, zu verstehen«, sagte Eschweiler heiser. »Welches Interesse hatte die russische Regierung daran, Ihnen den Namen des Fürsten Karabugas zu geben – zu kaufen?"

»Also, Sie haben nicht verstanden", stellte Margarita fest. »Lieber Himmel, bedenken Sie doch: Ich war alleinstehend, blutarm, bettelarm, aber ich war jung, hatte eine außergewöhnlich gute Bildung genossen, körperliche und geistige Vorzüge, kurz, ich bot mich der russischen Regierung für gewisse geheim-politische Dienste an, wurde geprüft und bestand damit, das heißt das schlichte, arme Fräulein von Wrczowska wurde fähig für höhere Aufgaben befunden, als unter dem Deckmantel einer Gesellschafterin oder Erzieherin Kleinarbeit zu verrichten. Für diese höheren Aufgaben aber brauchte ich einen großen Namen, den der Fürst Karabugas hergeben mußte, die nötigen Mittel gab die Regierung und hat damit nicht geknausert; und weil ich zum bloßen Verschwenden keine Anlage habe, so konnte ich zurücklegen, komme also nicht mit leeren Händen zu Ihnen –«

»Genug!« fiel Eschweiler ein. Er war totenblaß geworden und erhob sich nun mühsam wie ein alter Mann aus dem Sessel. Er entsann sich jetzt, einmal etwas derartiges über die Fürstin Karabugas ›läuten‹ gehört zu haben, hatte es aber für eine besonders verächtliche Form des Klatsches gehalten, schon weil er nicht recht an die Existenz ›politischer Geheim-Agentinnen‹ glauben wollte. Und plötzlich fielen ihm auch die Namen von Opfern ein, die den Künsten eben dieser Agentin zur Beute gefallen sein sollten – – Verleumdungen, hatte er damals gedacht, und es auch hin und wieder ausgesprochen, teils halbherzige Zustimmung, teils Achselzucken damit findend, das er mangels eines Rechtstitels an Margarita Karabugas ertragen gemußt. Man hatte ihm oft versichert, daß die politischen Geheimagenten beiderlei Geschlechter, zu denen ja auch die › Agents provocateurs‹ gehören, ein durchaus notwendiges Übel seien, gut bezahlt, aber bei irgendeinem Fehlschlag rettungslos verleugnet, was ihnen aber schon bei ihrer Anstellung gesagt würde und ihr eigenes Risiko sei.

Nun ja, es gibt viele Berufe, bei denen die äußere Sauberkeit ausgeschaltet ist. Der Straßenkehrer, der Schornsteinfeger, der Lumpensammler und andere müssen vorweg darauf verzichten, können dabei aber moralisch sehr brave, anständige Leute sein. Auch der ›Spion‹, der im Kriege auf Befehl die Schwächen, Absichten und Stellungen des Feindes auskundschaftet, kann nicht nur, sondern muß sogar ein tadelloser Ehrenmann sein, um seinen Auftrag zu adeln, und ihn nur im Hinblick auf das Wohl des Vaterlandes ausführen. Wer jedoch fordert von einem politischen Spion einen moralischen Standpunkt, wenn doch seine ganze Arbeit auf unmoralischer Basis ruht? Man kann einwenden, daß auch er seinem Vaterlands dient in seiner Weise! Aber diese ist eben nicht nach jedermanns Geschmack; denn der Geheimagent muß unbeschwert von moralischen Bedenken sozusagen über Leichen hinweg seine Erfolge erreichen. Was den Mann in solch' einem Beruf nicht gerade begehrenswert zu näherer Bekanntschaft macht, falls man seinen Beruf nämlich kennt, das macht die Frau geradezu abstoßend für Männer von Ehre, die keinen Reiz im Haut-gout finden, wenn sie ihn mit ihrem Namen decken sollen.

Eschweiler war in der Hauptsache durch seine Leidenschaft für Margarita Karabugas zu seiner Bewerbung um ihre Hand verführt worden. Sie hatte ihn, wenn nicht gerade blind, so doch taub für das gemacht, was ›man‹ sich über sie zuflüsterte, und während seines kurzen Brautstandes hatte schon mancher Strahl kalten Wassers die Hochglut dieser Leidenschaft zu verlöschen gedroht; diese Stunde jedoch ließ davon nur noch ein Häuflein rauchender Asche übrig. Er sah auf die verführerische, so vielen Männerherzen zum Verhängnis gewordene Schönheit dieser Frau, die ihn mit wirklichem oder gespieltem Gleichmut ansah, herab, wie auf eine Naturmerkwürdigkeit, für die ihm jedes Verständnis fehlte. Ganz abgesehen davon, war ihm aber auch vollkommen klar, daß es eine ganz verlorene Mühe sein würde, sie zur Rechenschaft zu ziehen; denn wenn sie schon imstande war zu tun, was sie geleistet – von der zu späten Enthüllung vor ihm zu schweigen – dann hätte sie moralische Argumente gar nicht begriffen. Vielleicht war sein Schweigen jetzt eben wirkungsvoller als Worte, deren er bei dieser Auseinandersetzung schon zu viele in den Wind gesprochen. Übrigens war er auch zur Stunde jenseits weiterer Worte.

»Nun ja,« sagte er nach der schwülen Pause, die seinem ›Genug‹ gefolgt war, »ich verabschiede mich also für heute, um in der Einsamkeit meines Kämmerleins darüber nachzudenken – gleichviel worüber, da Ihnen das jedenfalls sehr gleichgültig ist. Vermissen werden Sie mich keinesfalls am Vorabend unserer Hochzeit, denn die Ihnen so sympathische und unentbehrliche Frau zur Mühle wird mich würdig ersetzen. Gute Nacht, – ich werde morgen pünktlich zur Stelle sein, Sie zur Kirche abzuholen.«

»Gute Nacht, Johannes«, erwiderte Margarita mit anscheinend ungetrübter Gemütsruhe, und lächelnd setzte sie hinzu: »Ich glaube gar, Sie sind eifersüchtig auf diese arme Frau zur Mühle!«

Eschweiler mußte sich zusammennehmen, durch diesen hingeworfenen Funken sein Temperament nicht zur Explosion kommen zu lassen, aber es gelang ihm, zu schweigen. Mit einer stummen Verbeugung drehte er sich auf dem Absatz um, kehrte aber, schon an der Tür, noch einmal zurück, zog ein mit rotem Maroquin bezogenes Etui aus der Tasche und stellte es vor Margarita auf den Tisch.

»Fast hätte ich das Wichtigste vergessen: die Perle, die mir der Juwelier heut gefaßt zurücksandte. Der Preis Ihres Ja-Wortes«, sagte er sachlich und entfernte sich rasch, hörte aber noch zwischen Tür und Angel den leisen Aufschrei des Entzückens, mit dem Margarita die wundervolle Perle betrachtete, die nun an einer aus prachtvollen Brillanten gebildeten Schleife in Platinafassung lose herabhing, als Brosche sowohl wie als Anhänger verwendbar – die Perle, die dem armen Fernhill das Leben gekostet hatte.

›Und mir meinen guten Namen‹, dachte Eschweiler bitter, und wenn das vielleicht auch übertrieben war, so ganz unrecht hatte er damit nicht. Daß ›man‹ über die allein in der Welt herumabenteuernde, schöne junge Witwe skandaliert hatte, wußte er genau; in Herrenklubs wie in Damenkreisen war solch' ein Wild ja immer vogelfrei für die Giftpfeile der Lästerzungen, vulgo Schandmäuler, aber unter dem Schutz eines guten Namens ist schon manch' eine rehabilitiert worden, an der vordem kein gutes Haar gelassen worden war. Doch eine politische Spionin – Agentin klingt zwar hübscher, bedeutet jedoch dasselbe – eine Person, die sich für unehrenhafte Geschäfte und Handlungen bezahlen ließ – über diesen Flecken auf seinem Stammbaum, auf dessen Makellosigkeit er sich etwas zugute tat, und das mit Recht, kam Eschweiler nun und nimmermehr hinweg.

» Ignorance is bliss« sagt ein englisches Sprichwort, und solch' ein Segen des Nichtwissens war's in dieser ersten, bittersten Stunde noch für ihn, daß er auch nicht die leiseste Ahnung davon hatte, nicht haben konnte, was die Zeit verbarg, bevor Margarita sich der russischen Regierung verkauft, der besudelte Name des Fürsten Karabugas für sie gekauft wurde.


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