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Achtes Kapitel

»Darf ich mit nach Tivoli fahren?« fragte eine bekannte Stimme hinter dem Oberst von Wettenhausen, der mit seiner Tochter vor dem Billettschalter der Eisenbahnstation vor der Porta San Lorenzo in Rom stand und darauf wartete, daß die Reihe an ihn kam. Beide fuhren beim Ton dieser Stimme so heftig herum, daß sie den Sprecher nahezu umrissen.

»Herrschaft, der Eschweiler und so weiter!« rief der Oberst, seinen Hut noch im Fallen aufhaltend, und »Hurra! Der Herr Graf!« schrie Veronica, unbekümmert um die grinsenden Gesichter der umstehenden deutschen Touristen, Ja, sie hatte es immer noch nicht verlernt, laut herauszurufen, was sie erstaunte oder ihr Freude machte, und statt sich nun als sittsame junge Dame höchstens einen Piepser zu genehmigen und dazu einen Tanzstundenknix zu machen, riß sie ihre enzianblauen ›Lichter« weit und strahlend auf, und schrie laut »Hurra!« Eschweiler gestand später, daß er nie geglaubt hätte, dieser Ausruf könnte so unmenschlich, so geradezu lächerlich wohltun.

»Ich bin's wirklich, nicht mein Geist, und wie mir scheint, nicht fünf Minuten zu früh gekommen«, versicherte er. »Darf ich also mitfahren?«

»Versteht sich am Rande, und so weiter. Nehme gleich eine Fahrkarte für Sie mit«, schmunzelte der alte Herr und stand dabei schon vor dem Schalter.

»Wir fahren aber gar nicht nach Tivoli, sondern nach Subiaco, um zum Sacro Speco zu pilgern«, erklärte Veronika eifrig. »Das gibt eine Tagestour, die letzte allhier, denn morgen reisen wir ja heimwärts.«

»Morgen schon? Nun, um so besser, daß wir heut nach Subiaco fahren, denn dann werden wir ja den ganzen Tag beisammen sein«, versetzte Eschweiler ganz einverstanden, und fünf Minuten später saßen die Drei nach einem lieblichen Sturmlauf der Reisenden auf die Wagen der Dampfstraßenbahn glücklich in ein knüppelvolles Abteil eingepfercht und dampften neben der antiken Via Tiburtiana Tivoli entgegen. Und da der Weg dahin durch den am wenigst interessanten Teil der römischen Campagna führt, vorbei an der alten, herrlichen Basilika San Lorenzo, und den feierlichen Cypressen des Campo Verano, des allgemeinen römischen Friedhofs, so war kein Grund vorhanden, sich nicht gegenseitig wenigstens das Nötigste abzufragen und zu erzählen.

»Vor allem: seit wann sind Sie in Rom und so weiter?« begann der Oberst.

»Natürlich erst seit heut nacht«, berichtete Eschweiler, beinahe pikiert über solch' eine Frage. »Und weil ich die Herrschaften doch vor einem vermutlichen Morgenbummel noch erreichen wollte, so lief ich schon vor der orthodoxen Frühstückszeit in Ihr Hotel und hörte dort, daß Sie eben fort waren, um nach Tivoli zu fahren. Ich also sofort hinterdrein; zum Glück fuhr gerade ein leeres Auto vorbei, dessen Chauffeur ich eine fürstliche ›mancia‹ versprach, wenn er mich noch rechtzeitig zur Porta San Lorenzo bringen konnte. Und nun wollen Sie morgen schon abreisen!«

»Schon!« wiederholte Wettenhausen entrüstet. »Schon! Seit fünf Monaten sind wir nun in Rom, und ich bin bereits dermaßen mit Kunst- und anderen Genüssen vollgestopft, daß meine Bildung mir schon anfängt, unheimlich zu werden und so weiter. Na, es war aber doch sehr schön. Was man auf der Schulbank an römischer Geschichte gelernt und halb wieder vergessen hat, darüber geht einem hier, an Ort und Stelle doch erst der richtige Seifensieder auf und so weiter. Die alten Römer waren uns in illo tempore eigentlich nichts als eine Masse Gliederpuppen, deren Namen auswendig zu lernen man als eine niederträchtige Schinderei und Gemeinheit betrachtete, aber hier werden einem diese alten Kerls lebendig zu Fleisch und Blut und so weiter. Habe sie nach ihren Büsten und Statuen alle unterscheiden gelernt, weiß sofort, ob ich ein Stück Königs- oder Kaisermauer vor mir habe, und wo mal nicht S.P.Q.R. Offizielle Abkürzung für Senatus Populusque Romanus, Senat und Volk von Rom. angeschrieben steht, da fange ich an zu schimpfen und so weiter. Gelt, Spatz?«

»Jawohl. Papa hat von mir Note 1 in römischer Geschichte erhalten«, sagte Veronika herablassend, und dann in hellem Eifer: »Denken Sie nur, Herr Graf, dieser großartigste aller Väter hat sich seine Spendierbuchsen angezogen und mir zur Erinnerung an Rom eine herrliche Marmorkopie der Büste des jungen Marc Aurel im Museum des Capitols gestiftet. Fein, nicht?«

»Wie, nicht den jungen Augustus im Vatican hat er Ihnen gegeben? Das ist ja mal eine Ausnahme, denn die jungen Damen schwärmen gewöhnlich stark gerade für diesen Jüngling«, meinte Eschweiler lächelnd.

»Das tue ich ja auch, aber unbeschadet dieser Liebe hat sich mein Herz denn doch für den jungen Marc Aurel entschieden, hinter dessen Stirn schon seine schönen ›Meditationen‹ schlummern, in denen ich so gern lese. Und dann war ich ja immer für Ausnahmen in dem nichtsdurchbohrenden Gefühle meiner Spatzennatur«, versicherte Veronika vergnügt. Ja, und weil wir in Rom länger verweilten, als ursprünglich geplant war, so wollen wir morgen gleich bis Venedig durchreisen. Und – und Sie? Sind Sie für längere Zeit nach Rom gekommen?«

»Bewahre! Ich fahre morgen ja auch nach Venedig«, behauptete Eschweiler ohne zu erröten, »Jetzt, Ende Mai und im Juni ist Venedig am schönsten, dann kommt die große Hitze, wo der Lido wegen der Seebäder überfüllt wird. Ich habe den Abstecher über Rom nur gemacht, weil ich auch mal wieder nach Subiaco fahren und den Sacro Speco wiedersehen wollte.«

»Und so weiter«, brummle der Oberst mit einem scharfen Blick über den Kneifer auf seiner Rasenspitze weg auf Eschweiler, der ein ganz unschuldiges Gesicht machte, »Ich dachte, das heißt ich entnahm Ihren Briefen, daß Sie daheim bleiben wollten oder müßten von wegen des zu erwartenden Prozesses und so weiter.«

»Das erzähle ich Ihnen alles, wenn wir erst allein sind«, sagte Eschweiler. »Schon bei der Villa des Hadrian, und dann droben in Tivoli steigen die meisten, wenn nicht gar alle Touristen aus; nach Subiaco verirrt sich der Durchschnittsreisende kaum, oder doch nur in sehr vereinzelten Zöllen, und der Sacro Speco vollends bleibt für die meisten eine terra incognita. Wir werden diese wunderbare Bergeinsamkeit vermutlich ganz allein für uns haben.«

Damit behielt er denn auch recht, In Tivoli ergoß sich der mit wenigen Ausnahmen deutsch und englisch sprechende Strom der Ausflügler sofort nach den Wasserfällen, deren Tosen und Brausen den Lärm der Stimmen übertönte, und nur ein paar Engländer, die überdies in Mandela nicht in die Zweigbahn nach Subiaco umstiegen, sondern vermutlich über Nocca Giovane den Monte Gennaro besteigen wollten, teilten mit den drei Freunden das Abteil der Eisenbahn, die längs an dem rasch dahineilenden Anio durch eine baumreiche, blühende, ungemein reizvolle Landschaft führt, in welche die zahlreichen, malerischen Schlösser des römischen Feudaladels von hohem Fels herabschauen. Veronika hatte viel zu tun, mit ihrem Kodak alle diese Ausblicke zu photographieren, mit der pittoresken Bergstadt Castel Madama beginnend, die ihren Namen von Margaretha d'Austria, Tochter Kaiser Karl V, hat, denn als sie sich, die noch in den Kinderschuhen steckende Witwe des Herzogs Alessandro de' Medici von Florenz mit dem Herzog Oktavio Farnese von Parma vermählte, erhielt sie sowohl den prächtigen Palazzo Madama in Rom, sowie auch die kleine Bergstadt über dem Anio von Papst Paul III., ihres Gemahls Oheim, zum Brautgeschenk. Und da Eschweiler weiter auch viel über die Geschichte der Bergschlösser und deren Besitzer, beziehungsweise die Bedeutung ihrer historischen Namen zu erzählen wußte, so mußten die persönlichen Mitteilungen warten. Auch die an sich nur kurze Strecke vom Umsteigen in Mandela bis Subiaco bot genug des Reizvollen durch die schöne Landschaft, und dann hielt der Fug mit einem triumphierenden Pfiff vor dem häßlichen kleinen Bahnhof – nebenbei: warum müssen kleine Bahnhöfe immer so häßlich, unappetitlich und ungemütlich sein? – der mittelalterlich anmutenden Bergstadt, die gekrönt von der festungsähnlichen, gewaltigen Burg, dem sogenannten Schloß des Abbate, niedersteigt bis zum Ufer des Anio, aufgebaut an der Stelle, wo die Villa des Kaisers Nero lag, das antike Sublaqueum, aus welchem Namen das moderne Subiaco entstand. Sublaqueum bedeutet ›unter den Seen‹, worunter man im Altertum die drei künstlichen Teiche verstand, die sich gegen Santa Scolastica hinauf erstreckten und Nero dazu dienten, darin zu baden und mit goldenem Netz Forellen zu fischen, wenn er nicht gerade zum Steinerweichen falsch sang oder spottschlechte Verse ›dichtete‹. Die mächtige, düstere Burg hoch über der Stadt, die Rocca genannt, wurde schon 1068 von dem kriegerischen Abt Johannes V., einem römischen Feudalbaron erbaut und hätte eine lange bewegte Geschichte zu erzählen. Sie war später längere Zeit Sommersitz der Päpste; Cesare Borgia liebte es hier zu weilen, um in den Bergen zu jagen, und seine berühmt-berüchtigte Schwester Lucrezia Borgia besuchte die Rocca auch wiederholt.

Die drei Freunde waren kaum aus dem Zuge gestiegen, als Eschweiler sich auch schon auf ein vor dem Bahnhof stehendes, mit vier Maultieren bespanntes Fuhrwerk stürzte und nach kurzem Gespräch mit dem Kutscher zu den beiden anderen zurückkehrend, ihnen zurief:

»Der Weg bis zur Brücke über den Anio, wo der Aufstieg beginnt, ist lang, heiß und staubig; da habe ich also dieses Vehikel für uns erobert, das uns unnütze Kräftevergeudung ersparen soll. Bitte einzusteigen.«

Der Oberst betrachtete sich das Gespann mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Na, das kann ja eine recht lustige Fahrt und so weiter werden«, meinte er kopfschüttelnd. »Erstens, weil der Wagen keine Federn hat, sondern seine Sitze in Gurten schwingt, für deren Solidität ich mir die Nase und so weiter nicht abbeißen lassen würde. Und dann, weil diese lieben Vettern ihrer Prahlverwandten, den Pferden, nicht an eine Deichsel angeschirrt sind, sondern nur an Ortscheide.«

»Nur Mut, es wird schon schief gehen«, ermunterte Eschweiler lachend und kletterte hinter Vater und Tochter in das sonderbare Gefährt, und dann ging die Reise los. Nicht etwa im Schritt oder im Trab, nein, gleich im vollen Galopp, angefeuert durch gellende Zurufe des Kutschers und Knallen mit einer fabelhaft langen, für das Viergespann entsprechenden Peitsche, zu welchem Konzert noch das Klingeln und Läuten der mit zahlreichen Glöckchen behängten Geschirre trat. Daß der deichsellose Wagen bei der tollen Fahrt fortwährend von einer Seite der Straße zur anderen flog, war eigentlich ganz selbstverständlich, wobei die drei Insassen sich nur durch gegenseitige, innige Umschlingung vor dem Herausgeschleudertwerden bewahren konnten. Jeder Weg nimmt aber einmal ein Ende, und mit einer Parade, die dem Dresseur der Maultiere alle Ehre machte, die Insassen aber um ein Haar rascher und gründlicher, als ihnen lieb gewesen wäre, auf die Mutter Erde befördert hätte, hielt der Wagen vor dem hoch den Anio überspannenden Ponte Rapone, an Stelle der alten Brücke San Mauro erbaut, und mehr tot als lebendig, aber lachend stiegen die drei aus und begannen am rechten Ufer des Anio den Aufstieg zum Sacro Speco.

»Ohne Ihre Fürsorge zur Schonung unserer Kräfte wäre uns dieser sogenannte Genuß entgangen und so weiter«, sagte der Oberst zu Eschweiler. »Da wir ja aber mit heilen Knochen davongekommen sind, gehört diese heillose Fahrt zu den unauslöschlichen Erinnerungen unserer Reise. Angst und so weiter hatte ich ja nur für den Spatz.«

»Ei bewahre! Spatzen sind nicht so empfindlich«, versicherte Veronika. »Ich bin auf der ganzen Höllenfahrt vor Lachen gar nicht dazugekommen, Angst zu haben, fürchtete nur, von den mich umschlingenden väterlichen und freundnachbarlichen Armen erwürgt zu werden.«

» Viribus unitis. Die stark machende Einigkeit hat uns vor der vorzeitigen Bekanntschaft mit der Landstraße, die nebenbei über die Brücke nach Olevano führt, tatsächlich bewahrt«, meinte Eschweiler. »Nun, schlecht gefahren, ist immer noch besser, wie gut gelaufen; das ist ein alter kavalleristischer Grundsatz.«

Der Aufstieg zu den Klöstern ist steil und steinig, aber interessant und reizvoll durch den wunderschönen Ausblick in das vom Anio durchbrauste, von hohen Bergwänden eingefaßte Tal. Nach kurzem Aufenthalt bei der Rundkapelle des heiligen Placidus, deren Inschrift das Wunder erzählt, wie der heilige Maurus seinen Bruder Placidus im Jahre 528 n. Chr. aus den Wellen des Anio errettete, der damals hier, durch Schleusen zurückgehalten, einen der drei seitdem verschwundenen oberen Seen bildete, stiegen die Wanderer auf aufgemauertem Fußweg hinauf zu der imposanten Abtei Santa Scolastica, der heiligen Schwester des großen Ordensstifters der Benediktiner geweiht. Die Besichtigung dieser aus drei Klöstern gebildeten, hochinteressanten Abtei auf den Rückweg verschiebend, stiegen die drei Wanderer die in herrlicher, wildromantischer Gebirgslandschaft sich aufwärts ziehende, schmale Straße bergan und hielten dann in dem wunderbaren Hain uralter, dunkelgrüner Steineichen, die seit dem fünften Jahrhundert keine Axt mehr berührt und profaniert, ihre Mittagsrast.

Ein vom Blitz gefällter Stamm diente ihnen zum willkommenen Sitz, und nach einer kurzen Erholungspause zog der Oberst aus den stark geschwollenen Taschen seines Rockes schön in weißes Papier gewickelte Päckchen mit lecker belegten Brötchen, sorglich vortranchiertem Geflügel und frischen Früchten hervor, die er mitgenommen, da man auf diesem Ausflug kein Wirtshaus antrifft. Zum Glück hatte man im Hotel diese Vorräte, vom Oberst ›Fressalien‹ genannt, so reichlich bemessen, daß der ohne solche Stärkungsmittel ausgerückte Eschweiler ohne Bedenken eine wohlgemessene Portion davon erhalten und annehmen konnte, und es darf füglich bezweifelt werden, ob ihnen allen die elegantest servierte Collazione in ihren Hotels so trefflich gemundet hätte, als unter dem Schatten der alten Steineichen im wildromantischen Sabinergebirge.

»Eigentlich ist es eine Profanierung dieses Ortes, ›im Schatten hoher Wipfel‹ von menschlichen Verirrungen, Erbärmlichkeiten und – Verbrechen zu reden«, begann Eschweiler, »aber ich bin Ihnen noch eine Erklärung schuldig, warum ich in der letzten Nacht unerwartet nach Rom kam. Wer weiß, ob der Bericht, nachdem wir den Sacro Speco gesehen und empfunden haben, dann noch in die Stimmung patzt. Darf ich erzählen?«

»Ja, erzählen Sie«, sagte der Oberst, »In Ihrem letzten Briefe, der nun ja auch schon über drei Wochen alt ist, schrieben Sie, daß man endlich, nach langem, langem Suchen der Kanaille Frau zur Mühle auf der Spur sei und so weiter.«

»Es war in der Tat eine lange Treibjagd, die Spur des Wildes nur mühselig zu finden«, bestätigte Eschweiler. »Unsere Geheimpolizei hat aber tüchtige, geschulte Kräfte und gute, internationale Verbindungen, und da mir ja im eigenen Interesse daran liegen mußte, das Wild zur Strecke zu bringen, so habe ich nicht mit Prämien und finanziellen Unterstützungen zu dieser an sich ja schrecklich abstoßenden und widerwärtigen Hetze auf einen Menschen gekargt. Die Spuren, von denen ich schrieb, brachten zunächst die Wahrheit der von dem alias Leclair gegen Frau zur Mühle in seinem Briefe an mich angedeuteten Beschuldigungen ans Licht. Dieses Weib, deren wirklicher Name besser der Vergessenheit anheimgegeben wird, eine Deutschpolin von guter Erziehung, hatte unnennbarer Delikte wegen tatsächlich im Zuchthaus gesessen, war dann ›wegen guter Führung‹ von der russischen Polizei als Spitzel verwendet worden und, nachdem sie dabei eine raffinierte Findigkeit und Intelligenz bewiesen, zur Überwachung politischer Agenten aufgerückt, wozu sie mit einem Namen und den nötigen Papieren ausgerüstet wurde. So kam sie zu der damaligen Fürstin Karabugas und wußte sich ihr so unentbehrlich zu machen, daß sie von derselben in ihre Ehe mit – mit mir übernommen wurde. Soviel für die Personalien dieser von dem alias Leclair sehr richtig als ›Schandweib‹ bezeichneten Person. Wieviele Monate sie nach ihrer Flucht aus meinem Hause, wo sie es so vortrefflich verstanden hatte, ihre Schuld auf mich abzuwälzen, und mich damit sicher vor das Schwurgericht gebracht hätte, wenn mein guter Engel die Kammerfrau nicht auf ihren Lauscherposten geführt, um sie durch eine an sich verwerfliche Handlung zum Werkzeug meiner Entlastung zu machen – wieviele Monate also das Weib ihren Verfolgern mit geradezu genialer Geschicklichkeit auswich, wissen Sie und weiß ich nur zu gut; es waren Monate einer geistigen Tortur, die ich meinem schlimmsten Feinde nicht wünschen würde. Schließlich wurde dem Wild doch unlängst das Halali geblasen; nicht unserer, der amerikanischen Polizei gelang es, die Frau in der eigenen Schlinge zu fangen, und diese war die fatale Perle, um deren Besitz das Weib, außer den anderen auf ihr lastenden Verbrechen, zur Diebin, Fälscherin und Mörderin wurde. Daß die Perle in Europa unverkäuflich war, hat die Frau ja sicher gewußt. Unter wechselnden Verkleidungen ist sie mit ihrem Raub nach Amerika entkommen, und möglichst weitab vom Schuß, gelang es ihr, sich in San Franzisko der ältlichen, aber eitlen Witwe eines dortigen Milliardärs zu nähern, und bot ihr die Perle, weit unter dem eigentlichen Wert, zum Kaufe an, ›als ein Erbstück, von dem sie sich nach dem Verlust ihres Vermögens leider trennen müsse‹. Die Witwe brannte darauf, das wunderbare Juwel zu besitzen, aber sie war vorsichtig hinsichtlich der Echtheit der unwahrscheinlich großen Perle und bat sich Bedenkzeit aus mit Hinterlegung des Juwels, was ihr nach einigem Zögern gegen die heilige Versicherung, die Perle niemand zu zeigen, bewilligt wurde. Die Witwe brach aber ihr Versprechen, indem sie nach einem der großen Juweliere der Stadt schickte, um die Perle auf ihre Echtheit prüfen zu lassen, und dieser erkannte sie sofort als das Objekt, vor dessen Ankauf durch Rundschreiben alle bedeutenden Juweliere und staatlichen Pfandhäuser der zivilisierten Welt gewarnt worden waren; bei dem hohen Wert der Perle kamen kleinere Häuser nicht in Betracht. Mit dem Bruch des Versprechens der Witwe war die Schlinge zugezogen. Als die Diebin kam, das Geld für ihren Raub einzustecken, wurde sie festgenommen – –« Eschweiler hielt ein, und Wettenhausen vollendete:

»Und nach Europa abgeschoben und so weiter.«

»Dazu ist es nicht mehr gekommen«, fuhr Eschweiler mit einem zögernden Blick auf Veronikas ganz entsetztes Gesicht fort. »Bei ihrer Vernehmung durch den dortigen Richter, der es wohl besser verstanden hat, als seine deutschen Kollegen, einem Delinquenten zuzusetzen und ihm die Würmer aus der Nase zu ziehen, gab das Weib nicht nur alles zu, sondern gestand auch, plötzlich ihre Nerven verlierend, ihr Vorleben sowohl wie den Diebstahl der Perle, den Verkauf der Brillanten der Schleife, die gewissermaßen die Fassung derselben bildete, sowie den Mord der letzten Besitzerin ein. Zwar widerrief sie ihr Geständnis sofort wieder, sich auf ihre mangelhafte Kenntnis der englischen Sprache berufend, aber sie mochte wohl eingesehen haben, daß ihre Lage hoffnungslos war, denn am nächsten Morgen fand man sie tot – erhängt – in ihrer Gefängniszelle vor. Dem irdischen Richter vorgreifend, hatte sie sich selbst gerichtet und damit mir die seelischen Qualen des zu erwartenden Prozesses erspart. So war ich denn in der Lage, mich ungehindert von Hause entfernen zu können, was mir ja freilich auch schon früher unbenommen gewesen wäre; ich aber wollte zur Stelle bleiben, um böswilligem Gerede nicht Grund und Stoff zur Nahrung zu geben. Man weiß ja, wie die Menschen sind; sie hätten einander hämisch zugeflüstert: Er hat sich aus dem Staube gemacht, um dem Prozeß auszuweichen; wer weiß, ob er nicht doch – – – Nun aber wird die Wahrheit durch gerichtliche Bekanntmachung kundgegeben, und die böseste Zunge kann mir nichts mehr nachsagen.«

» Sapienti sat und so weiter«, sagte Wettenhausen, Eschweiler die Hand drückend, und auch Veronika folgte dem väterlichen Beispiel.

»Herr Oberst, ich habe es Ihnen bereits geschrieben, möchte es aber gern mündlich wiederholen, wie wohl mir Ohre Worte getan haben, die mich erreichten, als ich noch ein Gefangener war –«

»Diese paar Worte, mein lieber Eschweiler, sollten nur unsere vollste Überzeugung ausdrücken und so weiter. Der leiseste, vage Zweifel an Ihnen hätte sie mir nicht aus der Feder fliehen lassen. Damit genug davon; wir verstehen uns schon, auch ohne lange Versicherungen und so weiter. Und ich meine, wir brechen jetzt besser nach dem Sacro Speco auf.«

Das geschah denn auch, und bald lag die wunderbare Heiligenklause, eine an eine starre, steil abfallende Felswand geheftete, aus dem elften Jahrhundert stammende, originelle Anhäufung von Kloster, Ober- und Unterkirche, Oratorien, Kapellen, Korridoren und Treppen vor ihnen, mit einem köstlichen Blick in die Berge und das Subiacotal. Es erübrigt sich, von ihm, der hier zurückgezogen von der Welt in einer Felsenhöhle, dem Sacro Speco, lebte, dem heiligen Benedictus, geboren 480, Ausführliches zu sagen; die große, kulturgeschichtliche Tat, welche ihn durch die Stiftung des Benediktinerordens, ›ein Gesellschaftsprinzip der christlichen Liebe, Schulen, Ackerbau, Städtegründung, Friedensvermittlung und Verbindung der Kirche mit der Kultur‹, geschichtlich und unsterblich machte, ist wohl Gemeingut aller Gebildeten. Es ist auch hier nicht die Aufgabe, die drei Freunde Schritt für Schritt durch die sich um die Höhle des Heiligen, der sich darin fern von der Welt auf seine große Aufgabe vorbereitete, gruppierenden Gebäude zu begleiten. Eine auch nur skizzenhafte Beschreibung dieses an nackter Felswand hängenden Wunders, ausgeschmückt durch Italiens größte Künstler, würde viele Seiten füllen. Im Vorzimmer nächst dem Eingangskorridor gibt eine lateinische Anschrift zwischen alten, umbrischen Fresken der Muttergottes und der vier Evangelisten Antwort auf die Frage, warum der gelehrte, vornehme junge Mann sich in weltferne Einsamkeit zurückzog. Sie lautet verdeutscht:

»Fragst du Benedictus: ›Wenn du Licht suchst,
   warum wählst du eine Höhle?
Denn in einer Höhle findest du das Licht nicht,
   um das du betest.‹
Wisse denn, daß, wenn ein Strahl nur durchdringt
   das tiefste Dunkel,
Wirft er mehr Licht in die Finsternis, als alle
   Sterne der Nacht.«

Wem ein Gang von der Oberkirche hinab bis zum Sacro Speco, der Höhle, in der Benedictus nach dem Licht gerungen, keinen unauslöschlichen Eindruck hinterläßt, der muß wirklich ein schrecklich verknöcherter Banause sein; denn selbst einem Menschen, dem die Kunst nichts ist und nichts sagt, muß die ganze Atmosphäre dieses wunderbaren Ortes tief in die Seele dringen. Dem gab auch der Oberst unwillkürlich und spontan Worte, als er in der Höhle selbst stand, wo der Heilige gelebt und jetzt elf Ampeln seine schöne, weiße Marmorstatue beleuchten, die ihn im jugendlichen Alter darstellt, von A. Raggi, einem Schüler Berninis, gemeißelt.

»Der Besuch dieses Ortes krönt meinen Aufenthalt in Rom und so weiter«, sagte der alte Herr ergriffen. »Welches Glück, daß ich das alles noch sehen, nein, erleben durfte.«

Nicht minder hatte ihn schon weiter oben, an einem erhöhten Teil der Unterkirche, das einige, echte Bildnis des großen Heiligen, Franziskus von Assissi, gepackt, das ein gerade im Sarco Speco beschäftigter, ungenannter Künstler al fresco beim Besuche des Sängers des ›Sonnenhymnus‹ im Jahre 1216 nach der Natur gemalt. Dieses Bildnis, das den Heiligen noch ohne die Stigmen und die Aureole darstellt, entspricht vollkommen der wörtlichen Beschreibung eines Zeitgenossen des Heiligen: »Facies hilaris, vultus benignus, facies utcumque oblonga et protensa, frons plana et parva, nasus aequalis et rectus.« Ein heiteres Antlitz von gütigem Ausdruck, das Gesicht ziemlich langgestreckt, die Stirn eben und nicht hoch, die Nase gleichmäßig und gerade. Nur teilweise restauriert und retuschiert, spricht dieses im Stil der (Zeit an die Wand gebannte Bildnis so unmittelbar zum Beschauer, daß es sich ihm [unauslöschlich] einprägt.

Nachdem die Freunde noch in eine der unteren Grotten hinabgestiegen waren und Veronika begehrliche Blicke nach dem am Fuß des Felsen liegenden ›Rosengarten‹ warf – der Ort, wo der heilige Benedictus sich in einem Dornbusch wälzte, um die letzten weltlichen Regungen im physischen Schmerz zu ersticken, und der heilige Franziskus mit eigener Hand zwei Rosensträucher pflanzte, die heute, nach siebenhundert wahren, noch grünen und blühen – da streikte der Oberst mit Entschiedenheit, ›weil er ja doch all' die unendlichen Treppen wieder hinaufklettern müsse und so weiter‹.

Dem sehnsüchtigen Blick Veronikas hinab zu den Rosen des heiligen Franziskus nicht widerstehen könnend, erbot sich Eschweiler, sie zu begleiten, was der Oberst mit einem etwas ärgerlichen: »Na, meinetwegen, du Unersättliche!« gestattete. So überließen sie den alten Herrn der Fürsorge des kunstbewanderten Benediktinerpaters, der ihnen als trefflicher Führer gedient, und stiegen die steilen, schmalen, in den Fels gehauenen Stufen hinab, Eschweiler voran, um eventuell hilfreiche Hand zu leisten. Dergleichen ist aber oft leichter gesagt wie getan, zumal wenn man auch auf sich selbst aufzupassen hat. Und so rief denn Veronika auf einmal aus: »Herrschaft!«, und ehe er es verhindern konnte, setzte sie sich ebenso unfreiwillig wie unsanft auf die Felsentreppe, die Tat mit einem zwar nicht sehr eleganten, aber durchaus verständlichen »Au!« illustrierend.

»Na, da haben wir's ja!« rief Eschweiler im ersten Schreck. »Haben Sie sich wehgetan?«

»Ja, dachten Sie etwa, diese Felsenstufen sind mit Eiderdaunen gepolstert oder ich trage eine Roßhaarmatratze unter dem Rock?« versetzte sie empört, während ihr das Wasser in die Augen schoß.

Statt sich auf eine Beantwortung dieser kitzlichen Fragen einzulassen, hob Eschweiler die kleine Gestalt einfach auf wie eine Zeder und trug sie den Rest Stufen vollends hinab, was Veronika, entweder aus purer Überraschung, oder mit dem dunklen Gefühl, daß es für die beiderseitige Sicherheit besser sei, sich nicht groß zu wehren, ruhig geschehen ließ. Aber als er, unten angelangt, im Brustton der Überzeugung sagte: »Was solch' ein Spatz doch für ein leichtes Gewicht hat!« fing sie an, sich energisch zu regen.

»Wollen Sie mich setzt loslassen oder nicht?«

»Ich werde mich in acht nehmen, denn bekanntlich ist ein Spatz in der Hand besser, als eine Taube auf dem Dache«, behauptete er mit erheuchelter Seelenruhe. »Außerdem habe ich heut früh dreimal nüchtern geniest, und das bedeutet ein zu erwartendes großes Glück, sagte meine Kinderfrau.«

»Oder man fällt in den Dreck, hat meine gesagt«, fiel Veronika schadenfroh ein.

»Meine allerdings auch,« gab er zu, »aber ich hielt diese Alternative nicht für reizvoll. Ach Spatz, Spätzlein, – in jenen schönen Tagen Ihrer Lümmel- und Flegeljahre habe ich Sie geduzt. Ich möchte diese liebe Gewohnheit ums Leben gern wieder fortsetzen. Darf ich?«

»Welche Idee! Sie wollen mich duzen, und ich soll Sie Herr Graf schimpfen? Darauf gehe ich nicht ein«, sagte sie etwas unsicher. »Das schickt sich doch nicht mehr für mich.«

»Geradezu unpassend wäre es«, versicherte er. »So war's doch natürlich auch nicht gemeint. Glauben Sie denn, ich würde es zugeben, daß meine – Frau mich siezt?«

»Ihre – was? Gleich lassen Sie mich jetzt wieder auf meine Füße, verstanden?« begehrte sie auf, und er gehorchte. Und als sie festen Fuß unter sich hatte, fragte er leise:

»Glauben Sie, Ihrem Herrn Vater würde ein Schwiegersohn recht sein, der im Gefängnis gesessen hat?«

»Herr Graf, Sie beleidigen meinen Vater, nachdem er Ihnen doch droben im Steineichenhain gesagt hat – –« sie stockte, blaß und rot im jähen Wechsel.

»Ja, und was Sie mir durch Händedruck bekräftigt haben«, vollendete er. »Ach, allersüßester Spatz, zwischen Theorie und Praxis ist eben ein himmelweiter Unterschied. Aber letzten Endes sind Sie es doch, die den Ausschlag gibt. Wir wollen gleich mal die Probe aufs Exempel machen. Ich weiß nicht, ob Sie es gehört haben, daß unser liebenswürdiger Führer, der Pater, mir die Erlaubnis gab, zum Andenken eine der blühenden Rosen von diesen Sträuchern mitzunehmen. Ich bin zwar ein Gegner unnützen Blumenpflückens, denn um Erinnerungsheu aufzubewahren, bin ich nicht sentimental genug und halte grundsätzlich dafür, daß Blumen unterwegs loszureißen ein Vandalismus ist. Hier aber zwingt es mich, eine Ausnahme zu machen. Ich breche also dieses Purpurröslein, dessen Stamm eine so heilige Hand gepflanzt und reiche es zum ewigen Angedenken an diese Stunde meiner – Braut.«

Damit hielt er Veronica die kleine, wilde Rose hin, von deren Stengel er zuvor sorglich die Dornen entfernt, und nach einem kurzen Zögern streckte sie die Hand danach aus.

»Ich kann einen solch' heilige Weihe tragenden Brautwerber nicht mit einem profanen Wort abweisen«, sagte sie unter Tränen lächelnd. »Seinetwegen will ich auch den Zweifel an meines guten Alterchens Aufrichtigkeit ein für allemal vergeben und vergessen«, setzte sie rasch hinzu, was vielleicht auch nötig war auszusprechen, denn Eschweiler dachte gar nicht mehr daran. – –

Droben im ›Garten‹ des Klosters, einem dem Fels abgerungenen, untermauerten und mit herbeigeschaffter Erde urbar gemachten, mit Zypressen, Rosen und Blumen bepflanzten Gange, trafen sie den Oberst, die beiden Raben mit den Überbleibseln der Mahlzeit im Steineichenhain fütternd; diese zwei Raben, die das Kloster zur Erinnerung an den heiligen Benediktus unterhält, der Lage zufolge, daß zwei dieser Vögel ihm Nahrung zutrugen, als er in seiner Felsenhöhle, dem Sacro Speco, lebte und darin ›die anochoretischen Dämonenkämpfe‹ ausfocht, durch die er sich zu seiner großen, weltgeschichtlichen Wirksamkeit hindurchrang. Zwar weiß man wohl, daß es ein Mönch aus Subiaco namens Romanus war, der dem heiligen Ordensstifter mittels eines Strickes die Nahrung von oben herab zuführte, aber die Sage von den Raben hat sich erhalten.

»Jetzt seht euch mal bloß diese Luderchens an!« rief der alte Herr den Zurückkehrenden entgegen. »Der große Kerl da soll schon über hundert Jahre und so weiter alt sein. Ich gebe ihm die besten Bissen, und zum Dank dafür schimpft er mich in seiner Sprache, aber durchaus verständlich aus und putzt mich herunter wie einen Schulbuben, der ich ja dem Alter nach auch für ihn bin. Na, und wie war's dort unten und so weiter?«

»Fein!« versicherte Veronika, auf die Rose im Aufschlag des Kragens ihres Jacketts deutend. »Wunderbar war's, denn denke dir, mein Alterchen, wir haben uns vor den Rosen des heiligen Franziskus verlobt!«

»Und so weiter!« fuhr es dem Oberst in der ersten Überraschung heraus. »Was denn noch?«

»Veronika ist mir, der ich doch wohl das erste Wort zu Ihnen sprechen mußte, zuvorgekommen, weil es nun einmal Spatzenart ist, daß sie den Schnabel nicht halten können«, sagte Eschweiler mit einem Versuch des Scherzens. »Nach dem, was Sie mir heut im Steineichenhain gejagt, fühlte ich mich einigermaßen berechtigt, Ihnen zum Dank für Ihre guten Worte das Liebste zu nehmen, was Sie besitzen. War's eine zu große Frechheit von mir?«

»Jetzt haltet einmal eure gefräßigen Schnauzen und so weiter!« schrie der Oberst die Raben an, die den Vorrat an Überbleibseln in seiner Tasche für unerschöpflich zu halten schienen. »Man versteht ja sein eigenes Wort nicht bei euerm Geschrei. Frechheit? Natürlich ist's eine Frechheit«, fuhr er fort, nachdem er eine wahre Fanfare in sein Taschentuch trompetet hatte. »Das hat man nun davon, daß ich euch beide da hinunterklettern ließ, ahnungsloser Engel, und so weiter, der man war. (Was notabene alle Väter mit hübschen Töchtern zu sein scheinen. Anm. d. V.) Na, stille doch! – Laßt einen doch ausreden, verstanden? Was wollte ich denn eigentlich sagen? Richtig – in Anbetracht dessen, daß über kurz oder lang ein anderer Frechdachs kommen würde, mir das Liebste, das ich habe, vor der Nase und so weiter wegzunehmen, so ist es mir schon lieber, daß Sie es sind, denn Sie sind nun durch Feuer und Wasser gegangen und so weiter und werden mir den Spatz schon glücklich machen. Aber wenn Sie ihm auch nur eine Feder krümmen oder gar ausrupfen, dann schlage ich Ihnen alle Knochen im Leibe entzwei und so weiter!«

Falls einer oder der andere oder gar alle die frommen Brüder des Sacro Speco den drei Besuchern nachgeschaut hätten – und warum hätten sie sich zur Abwechslung in ihrer großartigen Bergeinsamkeit dieses unschuldige Vergnügen nicht leisten sollen? – so hätten sie sicher nicht ohne Rührung sehen können, mit welch' stürmischer Zärtlichkeit das junge Mädchen und der jüngere Herr den alten gleichzeitig umarmten und zünftig abküßten, bis er um Gnade bat, ›weil er an diesem heiligen Ort nicht abgemurkst werden wollte‹. Und dann schritten die drei Hand in Hand der Ausgangspforte zu.

»Rab! Rab! Rab! Krrrrrr!« schrien die beiden Raben ihnen flügelschlagend nach.

»Kolkt und unkt nur immerzu! Wir fassen's als Glückwunsch auf!« rief Eschweiler lachend zurück, indem er das Tor ins Schloß fallen ließ. »Seht ihr denn nicht, daß meine Liebste hier den Rosensegen empfangen hat? Dagegen kommt ihr nicht auf!«

»Sehr richtig. Hoffen wir's und so weiter«, schmunzelte der alte Herr. »Die Luder sind ja bloß neidisch, weil ihnen ein Spatz den Rang abgelaufen hat.«

Und der Spatz lachte so hell und so selig, ›daß es von den Felsen klang‹.


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