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Fünftes Kapitel.

Gerade zum Apriltermin verließen die Boches die Fischerstraße und bezogen die Pförtnerloge des großen Hauses in der Goldtropfenstraße. Das war ein recht glücklicher Zufall! Gervaise, die in ihrer kleinen Wohnung in der Neuen Straße ohne Portier so ruhig gelebt hatte, konnte sich nicht mehr recht an den Gedanken gewöhnen, jetzt wieder unter die Herrschaft eines solchen Haustyrannen zu fallen, mit dem man sich um jeden Eimer Wasser zanken mußte und der bei jedem Türzuwerfen des Abends ein schiefes Gesicht schnitt. Diese Pförtner sind eine ekelhafte Gesellschaft! Nun, mit den Boches war das alles Spaß. Da man so gut bekannt war, würde man sich schon verständigen, da würde eben alles so abgemacht, als ob man von einer Familie sei.

An dem Tage, als die Coupeaus gemietet hatten und den Kontrakt unterzeichnen sollten, war Gervaise ganz beklommen zumute, als sie unter dem großen Torweg hindurchging. Nun werde sie also doch in dem Hause wohnen, das so groß wie eine kleine Stadt war, nun werde sie doch in diesen endlosen Gängen herumgehen und diese vielen Treppen auf und nieder steigen. Mit gemischten Gefühlen betrachtete sie die grauen Wände, zu deren Fenstern allerlei Lumpen zum Trocknen an der Sonne hinaushingen, den hellen Hof mit seinem schadhaften Pflaster, der an einen öffentlichen Platz erinnerte, und all den Lärm der Arbeit, von dem diese Mauern widertönten; sie empfand eine große Freude darüber, jetzt so nahe vor der Befriedigung ihrer ehrgeizigen Wünsche zu stehen, und auch wieder eine große Furcht, daß es ihr nicht glücken werde und daß sie erliegen könne in diesem ungeheuren Kampf gegen den Hunger, dessen Toben sie um sich herum vernahm. Es schien ihr ein kühnes, verwegenes Beginnen, als ob sie in das Schwungrad einer Maschine eingreife, während in den Werkstätten zu ebener Erde die Hämmer der Schlosser klopften und die Hobel der Tischler pfiffen.

An diesem Tage hatte das Wasser, das von der Färberei aus durch den Torweg floß, eine sehr zarte blaugrüne Farbe. Sie schritt lächelnd darüber hin und hielt diese Farbe für ein Zeichen von guter Vorbedeutung.

Man sollte sich mit dem Hauseigentümer in der Pförtnerloge der Boches treffen. Herr Marescot war ein bedeutender Messerschmied in der Friedensstraße; er war früher mit dem Schleifkarren in den Straßen umhergezogen, jetzt galt er für einen mehrfachen Millionär. Er war ein Mann von fünfundfünfzig Jahren, stark und knochig gebaut, mit einem Orden, und ließ mit Wohlgefallen seine großen Hände sehen, die den früheren Arbeiter verrieten; er hatte die Eigenheit, alle Messer und Scheren seiner Mieter mitzunehmen und umsonst zu schleifen, nur zu seinem Vergnügen, weil es ihm Spaß machte. Er galt durchaus nicht für stolz, denn er verbrachte Stunden bei seinen Pförtnersleuten in den dunklen Logen, um dort die Rechnungen nachzusehen. Coupeaus fanden ihn an dem schmutzigen Tisch von Madame Boche, wie er sich erzählen ließ, mit wie gemeinen Ausdrücken die Näherin im zweiten Stock der Treppe A die Zahlung der Miete verweigert hatte. Als der Kontrakt unterzeichnet war, gab er dem Zinkarbeiter die Hand. Er liebte die Arbeiter. Er habe sich früher auch nicht schlecht geplagt, aber mit der Arbeit könne man es weit bringen. Als er die zweihundertundfünfzig Franken, die die Miete für das erste halbe Jahr ausmachten, gezählt hatte, steckte er sie in seine weite Tasche und erzählte seine Geschichte, wobei er nicht vergaß, auf seinen Orden aufmerksam zu machen.

Trotz alledem war Gervaise etwas unbehaglich zumute, wenn sie die Haltung sah, welche die Boches beobachteten. Sie taten so, als ob man sich nie gesehen habe. Dem Wirt gegenüber krümmten sie sich wie die Würmer; sie sprachen ihm stets zu Munde und hatten für alles, was er sagte, ein beifälliges Kopfnicken. Madame Boche verließ schnell die Loge, um eine Bande Kinder fortzujagen, die beim Brunnen in den Pfützen herumpatschten, die sich dort durch das Laufen des immer offenen Hahnes gebildet hatten; als sie steif und streng zurückkehrte, schritt sie langsam über den Hof und musterte die Fenster, wie um sich zu überzeugen, ob auch alles in guter Ordnung sei; sie kniff die Lippen zusammen, um damit auszudrücken, für wie bedeutend sie ihre neue Stellung halte, die ihr das Kommando über dreihundert Mieter in die Hand gab. Boche sprach schon wieder von der Schneiderin im zweiten Stock; er war der Ansicht, daß ihr gekündigt werden müsse. Er berechnete die rückständigen Mieten mit der Wichtigkeit eines Intendanten, der fürchtet, daß man ihm Vorwürfe wegen seiner Verwaltung machen könne. Herr Marescot billigte den Gedanken der Kündigung, aber er wollte noch ein halbes Vierteljahr warten. Es sei hart, die Leute auf die Straße zu setzen, und dann helfe es einem noch gar nichts, denn dadurch bekomme der Wirt nicht einen Sou in die Tasche. Gervaise schauderte, sie fragte sich, ob man sie auch auf die Straße werfen werde, wenn sie eines Tages ein Unglücksfall daran verhindern sollte zu zahlen. Die rauchige Pförtnerloge mit ihren schwarzen Möbeln war feucht und dunkel wie ein Keller, das ganze Licht fiel auf den Arbeitstisch von Boche, auf dem ein alter Rock, der gewendet werden sollte, umherlag. Die kleine Pauline, das rothaarige vierjährige Mädchen des Bocheschen Ehepaares, saß auf der Erde und guckte ruhig zu, wie ein Stück Kalbfleisch kochte; der starke Küchengeruch, der von dem eisernen Ofen kam, entzückte die Kleine.

Herr Marescot ergriff aufs neue die Hand des Zinkarbeiters. Da erinnerte ihn dieser daran, daß er ihnen versprochen habe, Ausbesserungen vorzunehmen und daß man es doch jetzt besprechen möge. Da wurde der Wirt böse, er habe sich zu nichts verpflichtet, man mache übrigens niemals Ausbesserungen an Läden. Endlich verstand er sich dazu, die Räume anzusehen, und ging mit den Coupeaus und Boche dahin. Der kleine Krämer hatte beim Ausziehen seine ganze Ladeneinrichtung mit fortgenommen, so war denn der Laden ganz kahl, die Decke geschwärzt, und an den Wänden hingen die Fetzen einer ehemaligen gelben Tapete. In diesen leeren Räumen, in denen die Stimmen stärker tönten, begann eine sehr erregte Unterhaltung. Herr Marescot schrie und behauptete, es sei Sache der Handelsleute, sich ihre Läden schön herauszuputzen, denn schließlich könne so einer verlangen, daß man überallhin Gold machte und er, der Wirt, könne nicht alles vergolden. Er sprach dann von seiner eigenen Einrichtung in der Friedensstraße, für die er mehr als zwanzigtausend Franken ausgegeben habe. Mit der den Frauen eigenen Hartnäckigkeit brachte Gervaise immer wieder ihre Gründe vor, die ihr unwiderleglich schienen: in einer Wohnung werde er doch die Tapeten erneuern? Warum sollte denn ein Laden anders angesehen werden als eine Wohnung? Sie verlange weiter nichts von ihm, als daß er die Decken weißen lasse und neue Tapeten anschaffe.

Boche blieb undurchdringlich und würdig, er drehte sich herum und guckte in die Luft, ohne eine Meinung zu äußern. Coupeau konnte ihm soviel mit den Augen zublinzeln, wie er wollte, es half alles nichts, er tat so, als ob er seinen großen Einfluß auf den Wirt nicht mißbrauchen wolle. Endlich ließ er sich denn doch zu einem kleinen Mienenspiel herbei und begleitete ein leises Lächeln mit einem leichten Kopfschütteln. Gerade jetzt gab Herr Marescot den Vorstellungen von Gervaise nach, er war außer sich und krampfte seine Finger wie ein Geizhals zusammen, dem man sein Gold wegnimmt; er versprach, die Decken machen zu lassen und zu tapezieren, unter der Bedingung, daß sie die Hälfte zu den Tapeten zuzahle. Dann ging er schnell fort und wollte von nichts mehr hören.

Als Boche mit den Coupeaus allein war, schlug er ihnen sehr freundschaftlich auf die Schulter. Nicht wahr, das war gutgemacht? Wenn er nicht gewesen wäre, hätten sie im Leben nicht ihre Decken und ihre Tapeten bekommen. Sie würden wohl bemerkt haben, wie der Wirt fragend zu ihm hingeschielt und wie er gleich alles bewilligt habe, als er ihn lächeln sah. Er teilte ihnen im Vertrauen mit, daß er der eigentliche Herr im Hause sei: er bestimme, wem gekündigt werden solle, er vermiete, wenn die Leute ihm paßten, er kassiere die Mieten ein und behalte sie oft vierzehn Tage in seiner Kommode.

Am Abend schickten Coupeaus zwei Liter Wein an die Boches, um höflich zu sein: so etwas mußte belohnt werden.

Von dem folgenden Montag ab wurde im Laden gearbeitet. Der Einkauf der Tapeten war eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit. Gervaise wollte eine graue Tapete mit blauen Blumen haben, weil es den Raum hell und lustig mache. Boche erbot sich, sie hinzuführen, wenn sie aussuche. Aber er hatte gemessenen Auftrag des Wirtes, er durfte den Preis von fünfzehn Sous für die Rolle nicht überschreiten. Eine volle Stunde blieben sie bei dem Tapetenhändler; die Wäscherin kam immer wieder auf ein sehr hübsches persisches Muster zurück, das achtzehn Sous kosten solle, sie war der Verzweiflung nahe, denn sie fand alle anderen Muster abscheulich. Endlich gab der Pförtner nach, er werde die Sache einrichten; wenn es nicht anders gehe, werde man eine Rolle mehr berechnen. Beim Nachhausegehen kaufte Gervaise einen Kuchen für die kleine Pauline. Sie wollte nicht Schuldnerin bleiben, und man sollte sehen, daß es vorteilhaft war, ihr gefällig zu sein. In vier Tagen sollte der Laden fertig sein, doch die Arbeiten dauerten drei Wochen. Man hatte erst davon gesprochen, die Malereien einfach mit Lauge abzuwaschen, aber dieser alte, essigfarbene Anstrich war so schmutzig und so düster, daß sich Gervaise dazu bestimmen ließ, in den Vorderräumen einen hellblauen Anstrich mit gelben Netzen anbringen zu lassen. Jetzt nahmen die Ausbesserungen gar kein Ende. Coupeau, der immer noch nicht arbeitete, war schon des Morgens da, um nachzusehen, ob es vorwärts gehe. Boche verließ den Überrock oder die Hosen, an denen er die Knopflöcher ausbesserte, um auch seinerseits die Arbeiter zu überwachen. So brachten sie beide tagelang damit zu, rauchend und spuckend, mit den Händen auf dem Rücken, den Arbeitern zuzusehen und jeden Pinselstrich zu beurteilen. Da wurden unendliche Erwägungen und tiefsinnige Betrachtungen über jeden Nagel angestellt, der ausgerissen werden sollte. Die Maler, ein paar große, gutmütige Kerle, verließen jeden Augenblick ihre Leitern und pflanzten sich mitten im Laden auf, sie mischten sich in die Unterhaltung und betrachteten stundenlang mit zur Seite geneigten Köpfen ihre eben angefangene Arbeit. Die Decken waren schnell genug geweißt, aber aus den Malerarbeiten schien man nie herauskommen zu sollen, das wollte nicht trocknen. Gegen neun Uhr zeigten sich die Maler mit ihren Farbentöpfen, die sie in eine Ecke setzten, dann sahen sie sich ein bißchen um und verschwanden, um nicht mehr gesehen zu werden. Sie waren frühstücken gegangen, oder sie mußten noch eine kleine Arbeit in der Nähe, in der Myrrha-Straße fertigmachen. Ein anderes Mal führte Coupeau die ganze Gesellschaft einen Schoppen trinken, Boche, die Maler und ein paar Kameraden, die gerade vorbeigingen; das war dann wieder ein verlorener Nachmittag. Gervaise verging fast vor Ungeduld. Da plötzlich war alles in zwei Tagen fertig, die Malereien gefirnißt, die Tapeten geklebt und der Schmutz auf den Schubkarren geworfen. Die Arbeiter waren schließlich damit umgesprungen, als ob es Spaß sei; sie pfiffen auf ihren Leitern und sangen, als ob sie das ganze Quartier betäuben wollten.

Dann ging man sogleich an den Umzug. Gervaise empfand in den ersten Tagen eine kindische Freude, wenn sie von einer Besorgung zurückkehrte und über die Straße ging. Sie machte halt und lächelte ihrer neuen Behausung zu. Wenn sie von weitem kam, so erschien ihr ihr Schaufenster in der langen Reihe der anderen, die schwarz und düster aussahen, ganz hell, so freundlich und einladend mit seinem neuen Ladenschild, wo auf zartem, blauem Grunde das Wort: Feinwäscherin in großen, gelben Buchstaben aufgemalt war. Das Schaufenster selbst war hinten mit einem Paar Musselinegardinen abgeschlossen und inwendig ganz blau tapeziert, um die Weiße der Wäsche besser zur Geltung zu bringen; Männerhemden lagen dort als Schaustücke und Frauenhäubchen waren mit ihren Bändern an Messingdrähten aufgehängt. Sie fand ihren Laden bildhübsch in seiner himmelblauen Farbe. Wenn man hineinkam, war wieder alles blau; die Tapete stellte ein Gitter vor, an dem sich Winden emporrankten; der Ladentisch war von ungeheuerer Größe und nahm zwei Drittel des ganzen Raumes ein, er hatte eine dicke Decke und war ringsum mit bedrucktem Kattun eingefaßt, um die Böcke zu verdecken, auf denen er stand. Gervaise ließ sich auf einem Sessel nieder und atmete vor Befriedigung hoch auf; wie glücklich machte sie diese Sauberkeit aller neuen Dinge, und mit wie zärtlichen Blicken betrachtete sie ihre neuen Werkzeuge! Ihr erster Blick galt immer ihrem gußeisernen Plättofen, auf dem sie zehn Bolzen gleichzeitig glühend machen konnte, die rundherum auf schrägen Platten lagen. Sie kniete davor nieder, um nachzusehen, denn sie schwebte in beständiger Furcht, daß ihr Schaf von Lehrmädchen den Ofen sprenge, weil sie zuviel Koks hineinstopfe.

Die Wohnung hinter dem Laden war sehr anständig. Coupeaus schliefen im ersten Zimmer, wo man auch kochte und aß: eine Hintertür ging auf den Hof des Hauses hinaus. Nanas Bett stand in einem kleinen Zimmer, das rechts lag und nur durch eine dicht bei der Decke angebrachte Luke erhellt wurde. Etienne indes teilte das links gelegene Zimmer mit der schmutzigen Wäsche, wovon immer ungeheure Berge dalagen. Ein häßlicher Umstand machte sich doch fühlbar, wenn auch Coupeaus es zuerst nicht zugeben wollten, die Wände sappten vor Feuchtigkeit und schon von drei Uhr nachmittags an konnte man nicht mehr recht sehen.

Im ganzen Quartier machte der neue Laden großes Aufsehen. Man beschuldigte Coupeaus, zu schnell vorzugehen und sich Ungelegenheiten zu machen. Und wirklich hatten sie die fünfhundert Franken von Goujet nur für die Einrichtung ausgegeben, ohne sich nur so viel zurückzulegen, daß sie vierzehn Tage zu leben gehabt hätten, wie sie es sich eigentlich vorgenommen. Den ersten Tag, als Gervaise ihren Laden aufmachte, hatte sie gerade sechs Franken in ihrer Geldbörse. Das machte ihr indessen keine Sorge, denn die Kunden kamen, und die Geschäfte ließen sich recht gut an. Acht Tage später, an einem Sonnabend, brachte Gervaise vor dem Schlafengehen zwei Stunden damit zu, auf einem Stückchen Papier zu rechnen; dann weckte sie Coupeau auf und sagte ihm mit leuchtender Miene, daß Tausende und aber Tausende zu verdienen seien, wenn man nur vernünftig sei.

»Jawohl!« schrie Madame Lorilleux durch die ganze Goldtropfengasse, »mein Esel von Bruder muß drollige Dinge erleben! ... Das fehlte bloß noch, daß die Humpelliese ihr Brot verdiene. Das steht ihm gut an, nicht wahr?«

Lorilleux' hatten sich mit Gervaise tödlich verfeindet. Schon damals, als der Laden instand gesetzt wurde, platzten sie vor Wut; wenn sie nur die Maler von weitem sahen, gingen sie schon auf die andere Seite und stiegen mit zusammengebissenen Zähnen die Treppen hinauf. Ein blauer Laden für diese hergelaufene Dirne, wenn anständige Leute darüber nicht den Verstand verloren! Schon am zweiten Tage nach dem Einzug, als die Gehilfin gerade ein Gefäß mit Stärke ausgoß, wie Madame Lorilleux vorbeikam, hatte diese die ganze Straße in Aufruhr gebracht und behauptet, daß ihre Schwägerin sie absichtlich von ihren Arbeiterinnen beschimpfen lasse. Nun waren alle Beziehungen abgebrochen, und man schleuderte sich wütende Blicke zu, wenn man sich traf.

»O ja, es ist ein hübsches Leben!« sagte Madame Lorilleux immer wieder. Man weiß ja, wo das Geld zu ihrer Bude hergekommen ist! Sie hat es sich bei dem Schmied verdient ... Das sind auch recht nette Leute! Hat sich nicht der Vater den Hals abgeschnitten, damit er nicht guillotiniert zu werden brauchte? Kurz: irgendeine schmutzige Geschichte dieser Art!«

Sie beschuldigte Gervaise geradezu, mit Goujet ein strafbares Verhältnis zu unterhalten. Sie log sogar und behauptete, daß sie sie eines Abends auf einer Bank des äußeren Boulevards überrascht habe. Der Gedanke an diese Liebschaft und die Freuden, die ihre Schwägerin genießen müsse, empörten in ihr die ganze Ehrbarkeit einer häßlichen Person. Täglich mußte sie ihrem Herzen Luft machen:

»Aber was hat denn die Lahme an sich, daß sie geliebt wird? Warum liebt mich denn keiner?«

Jetzt folgten ewige Klatschereien mit den Nachbarn. Sie erzählte die ganze Geschichte. Geht mir doch! Am Hochzeitstage habe sie ein schönes Gesicht geschnitten! Sie habe eine feine Nase, sie merkte schon, was es für ein Ende nehmen werde. Später, mein Gott, da habe sich die Humpelliese so heuchlerisch sanft gezeigt, daß sie und ihr Mann darein gewilligt hatten, Taufpaten für die kleine Nana zu sein, obwohl so eine Taufe ein schönes Stück Geld kostete. Aber jetzt! Seht ihr, die Humpelliese kann auf den Tod daliegen und ein Glas Wasser verlangen, ich reiche es ihr nicht. Unverschämtheit, Schurkerei und Schamlosigkeit könne sie nicht vertragen. Was Nana anlange, so werde man die immer gut aufnehmen, wenn sie nach oben komme, um ihre Paten zu sehen. Die Kleine, nicht wahr? Die könne doch nichts für die Schlechtigkeit ihrer Mutter. Coupeau habe ja ihren Rat nicht nötig; an seiner Stelle hätte jeder andere Mann solche Frau mit dem Hintern ins Waschfaß gesteckt und ihr ordentlich was drauf gegeben; das sei seine Sache, aber das könne man von ihm doch verlangen, daß er seine Familie in Ehren halte. Gerechter Gott! wenn Lorilleux sie eines Tages mit einem überrascht hätte! Das wäre so ruhig noch nicht abgegangen, der hätte ihr seine Schere in den Leib gestoßen!

Boches, die sehr strenge Sittenrichter bei häuslichen Streitigkeiten waren, gaben Lorilleux' unrecht. Ohne Frage seien Lorilleux' ordentliche, ruhige Leute, die den langen, lieben Tag arbeiteten und pünktlich ihre Miete zahlten. Aber in dieser Sache mache sie die Eifersucht ungerecht. Und dann überhaupt, die Leute bissen sich lieber einen Finger ab, als anderen einmal etwas zukommen zu lassen. Geizhammel, die ihre Liter versteckten, wenn jemand dazu kam, um ihm kein Glas Wein anbieten zu müssen. Eines Tages bot Gervaise Boches Johannisbeersaft und Selterwasser an, man trank es gerade in der Loge, als Madame Lorilleux sehr steif vorbeikam und vor der Tür der Portierleute mit Absicht ausspie. Seit diesem Tage ließ Madame Boche, wenn sie Sonnabends die Treppen fegte, den Schmutz vor Lorilleux Türe liegen.

»Nun ja!« schrie Madame Lorilleux, »die Humpelliese, die Fresser und Schlemmer, es ist ja alles dieselbe Gesellschaft! ... Aber sie sollen sich in acht nehmen und mich zufrieden lassen! Sonst gehe ich zum Wirt und beschwere mich ... Gestern habe ich erst wieder den unverschämten Boche gesehen, wie er sich an Madame Gaudron rangemacht hat. Sich an einer Frau in dem Alter zu vergreifen, die ein halbes Dutzend Kinder hat, wie? Ist das nicht eine Schweinerei? ... Noch eine solche Sache, und ich werde die Mutter Boche benachrichtigen, damit sie ihm etwas zur Abkühlung an den Kopf wirft ... Da hätte man wenigstens etwas zum Lachen!«

Madame Coupeau besuchte beide Parteien, sie redete allen zu Munde und war sogar soweit gekommen, daß sie sich zureden ließ und sehr oft zum Essen blieb; sie hörte ebenso geduldig ihrer Tochter wie ihrer Schwiegertochter zu, an einem Abend der einen, am andern Abend, der andern. Madame Lerat ging jetzt nicht zu Coupeaus, sie hatte sich mit der Humpelliese wegen eines Zuaven gezankt, der seiner Geliebten mit dem Rasiermesser die Nase abgeschnitten hatte; sie nahm für den Zuaven Partei, sie fand, dieser Rasiermesserschnitt sei ein Zeichen von großer Liebe, ohne daß sie ihre Gründe näher erklärt hätte. Sie hatte den Zorn der Frau Lorilleux noch mehr angefacht, denn sie erzählte, daß sich die Humpelliese nicht entblöde, in einer Gesellschaft von sechzehn oder zwanzig Personen ihre Schwägerin Kuhschwanz zu nennen. Mein Gott ja! Boches und alle Nachbarn nannten sie Kuhschwanz!

Trotz all dieser Klatschereien stand Gervaise ruhig lächelnd auf der Schwelle ihres Ladens und grüßte ihre Freunde mit einem leichten, freundlichen Kopfnicken. Es machte ihr Spaß, ihr Plättbrett für einen kleinen Augenblick zu verlassen und von der Ladentür aus einen liebevollen Blick auf die Straße zu werfen; sie tat es mit der eiteln Überhebung der Handelsfrau, die sich einbildet, daß ein Stück von dem Bürgersteig ihr Eigentum sei. Ihren Gedanken nach gehörten ihr die Goldtropfengasse und die benachbarten Straßen, ja das ganze Viertel. Wenn sie so mit ihrer weißen Jacke und mit nackten Armen den Kopf zur Tür hinaussteckte, auf dem ihre hübschen blonden Haare in der Hitze der Arbeit sich gelöst hatten, so daß der Wind mit den kleinen, losen Locken spielte, so war es, als ob sie mit einem Blick von ihrem Eigentum wieder Besitz ergreifen wolle, von den Vorübergehenden, den Häusern, dem Pflaster und dem Himmel: nach links hin erstreckte sich die Goldtropfengasse friedlich und menschenleer wie ein Stückchen Provinz, wo die Frauen leise in den Türen plauderten, während nach rechts hin, in der Fischerstraße, der Lärm der Fuhrwerke und das Gewoge der Menschenmenge, die da auf und nieder flutete, dieses Ende wie eine Rennbahn erscheinen ließ, auf der fortwährend Tausende das Glück oder den Tod erjagen wollten. Gervaise liebte die Straße, das Poltern der Wagen auf dem großsteinigen, unebenen Pflaster, das Stocken der Fußgänger auf den schmalen Bürgersteigen, die hin und wieder mit kleinem, stark geneigtem Kieselsteinpflaster abwechselten; die drei Meter Rinnstein vor ihrem Laden gewannen in ihren Augen die Bedeutung eines breiten Flusses, der noch das Besondere hatte, daß die Färberei im Hause seinen Wellen die zartesten, launigsten Farben gab, die ihn von dem gleichmäßig schwarzen Schmutz der anderen vorteilhaft unterschieden. Auch den Läden schenkte sie ein lebhaftes Interesse; da war ein Mehl- und Vorkostladen, in dessen Fenster getrocknetes Obst an Messingdrähten hing; eine Wäschehandlung für Arbeiter, wo Frauenröcke und blaue Blusen mit ausgespreizten Ärmeln bei jedem Luftzug hin und her schwankten; bei der Hökerin und der Kaldaunenhändlerin erspähte sie Ecken von Ladentischen, auf denen prächtige Katzen ruhig schnurrten; ihre Nachbarin, Madame Vigouroux, die Kohlenhändlerin, erwiderte ihren Gruß. Diese kleine, dicke Frau mit schwarzem Gesicht und leuchtenden Augen liebte es, faulenzend an ihrem Ladenschild zu stehen und mit den Männern zu liebäugeln; auf ihrem Schilde sah man Klobenholz gemalt, das dort auf hellem Grunde so verwickelt angeordnet war, daß es einer Sennhütte glich. Die Damen Cudorge, Mutter und Tochter, waren ihre Nachbarn auf der andern Seite, sie hatten den Laden mit den Regenschirmen inne, doch sah man sie niemals, ihr dunkles Schaufenster und ihre Tür waren immer geschlossen; den Laden schmückten von außen zwei kleine Sonnenschirme von Zink, die mit einem dicken Überzug von zinnoberroter Ölfarbe angestrichen waren. Ehe Gervaise sich wieder an ihre Arbeit machte, versäumte sie nie, einen Blick auf eine große, weiße Mauer ihr gegenüber zu werfen. Diese Mauer hatte nicht ein einziges Fenster, nur ein ungeheueres Einfahrtstor, durch dessen Bogen man auf dem Hofe, der stets mit einer Menge von Wagen und Karren, deren Deichseln in die Höhe standen, angefüllt war, das Flammen eines Schmiedefeuers sah. Auf der Mauer stand in großen Buchstaben: Hufschmiede, das Wort war mit einem Kranz von Hufeisen umgeben. Während des ganzen Tages tönten die Hämmer auf den Amboßen, und ein Sprühregen von Funken erhellte die düstern Schatten des Hofes. Ganz unten an dieser Mauer, in einem Loche, das nicht größer wie ein Kleiderschrank war, saß zwischen einem Alteisenkrämer und einer Frau, die mit Bratkartoffeln handelte, ein Uhrmacher, ein Herr mit einem Überrock von peinlicher Sauberkeit, der fortwährend mit ganz kleinen Instrumenten in Uhrwerken herumstocherte; er saß an einem Arbeitstisch, auf dem ganz kleine Gegenstände unter umgestülpten Weingläsern lagen, hinter ihm schwangen sich die Perpendikel von zwei oder drei Dutzend Kuckucksuhren, die inmitten der schwarzen Armseligkeit der Straße und in dem Lärm des Hammergeklopfes in der Hufschmiede ihre zarten, kleinen Kuckucksrufe ertönen ließen.

Im ganzen Viertel fand man Gervaise sehr hübsch. Wenn man auch hie und da über sie redete, so gab es doch niemand, der ihr ihre hübschen, großen Augen und ihren kleinen Mund mit den weißen Zähnen abgesprochen hätte. Sie war eine so hübsche Blondine, daß sie sich dreist neben die Schönsten hätte stellen können, wenn sie nicht das Unglück mit dem Bein gehabt hätte. Sie war nun achtundzwanzig Jahre alt und hatte ein wenig Wohlbeleibtheit bekommen. Ihre feinen Züge rundeten sich, und ihre Bewegungen nahmen eine behagliche Langsamkeit an. Es kam jetzt öfter vor, daß sie auf einem Stuhl sich ihren Träumereien überließ, wenn sie auf ein neues Eisen wartete. sie lächelte dann in sich hinein, und ihr Gesicht strahlte von einer Freude, wie sie die Empfänglichkeit für die Genüsse des Lebens erzeugt. Sie liebte es jetzt, wirklich gute Dinge zu essen, alle Welt sagte es; dabei war ja nichts Schlimmes, im Gegenteil, wenn man so viel verdient, daß man Geld für gute Bissen übrig hat, dann wäre man ja dumm, sich von Kartoffelschalen zu ernähren. Und das um so mehr, als sie immer hart arbeitete und sich für ihre Kunden in die Länge und in die Quere legte, so daß sie selbst die Nächte hindurch bei geschlossenen Fensterläden schaffte, wenn es nottat. Wie man im Viertel sagte, hatte sie Glück, alles schlug ihr zum Guten aus. Sie wusch für das Haus, für Herrn Madinier, Fräulein Remanjou und das Ehepaar Boche, ja sie hatte sogar ihrer früheren Arbeitgeberin, Madame Fauconnier, mehrere Damen weggenommen, die in der Vorstadt Fischerstraße wohnten. Schon in der dritten Woche hatte sie zwei Gehilfinnen nehmen müssen, Madame Putois und die große Clemence, dasselbe Mädchen, das früher im sechsten Stock gewohnt hatte; es waren drei Personen mit der kleinen, schielenden Augustine, die noch lernte und so häßlich wie ein Affe war. Einer andern wäre sicherlich ein so schnelles Gedeihen zu Kopf gestiegen. Es wäre ihr wohl zu verzeihen gewesen, wenn sie des Montags ein wenig blaugemacht hätte, nachdem sie die ganze Woche so tüchtig geschafft hatte. Dies war übrigens für sie ein Bedürfnis; sie wäre ganz schlaff gewesen und hätte die Hemden ungeplättet gelassen, wenn sie sich nicht einen süßen Likör gegönnt hätte, etwas Gutes, wonach ihr das Herz geizte.

Noch nie war Gervaise so gut und liebenswürdig gewesen, sie war so sanft wie ein Lämmchen und so gut wie das liebe Brot. Mit Ausnahme von Madame Lorilleux, die sie, um sich zu rächen, immer Kuhschwanz nannte, wünschte sie niemandem etwas Böses und nahm für jedermann Partei. In der leichten Hingabe an ihre Leckermäuligkeit, besonders wenn sie gut gefrühstückt hatte und ihren Kaffee trank, war sie sehr zu einem alle umfassenden Verzeihen geneigt. Ihr Lieblingswort war: Man muß einer dem andern verzeihen, nicht wahr? sonst lebt man ja wie unter den Wilden! Wenn man ihr von ihrer Güte sprach, so lachte sie; weiter hätte auch nichts gefehlt, daß sie auch noch hätte böse sein sollen! Dann wies sie alles Lob zurück und sagte, daß es nicht ihr Verdienst wäre, wenn sie gut sei; hätten sich denn nicht alle ihre Träume erfüllt? bleibe ihr denn im Leben noch irgend etwas zu wünschen übrig? Dann erinnerte sie daran, was früher ihr Ideal gewesen sei, als sie noch auf der Straße lag und nichts hatte: arbeiten, Brot essen, ein Nest für sich haben, seine Kinder erziehen, nicht geschlagen werden und in seinem eigenen Bette sterben. Und jetzt, war denn ihr Ideal nicht übertroffen worden? hatte sie denn nicht alles aufs schönste? Was das Sterben im eigenen Bette anbetreffe, fügte sie dann scherzend hinzu, so rechne sie auch darauf, aber, wohlverstanden, so spät als möglich.

Besonders Coupeau gegenüber zeigte sich Gervaise sehr liebenswürdig. Nie entfuhr ihr ein böses Wort, nie beklagte sie sich hinter seinem Rücken. Endlich hatte der Zinkarbeiter wieder zu arbeiten angefangen; da der Bauplatz am anderen Ende von Paris war, gab sie ihm jeden Morgen vierzig Sous für sein Frühstück, sein Getränk und seinen Tabak. Aber zwei Tage von den sechsen der Woche blieb Coupeau unterwegs und vertrank die vierzig Sous mit einem Freunde; zum Frühstück kam er dann nach Hause und erzählte irgendeine Geschichte. Einmal bleib er ganz in der Nähe, da ließ er sich mit Mes-Bottes und drei anderen eine Extramahlzeit auftischen, Schnecken, einen Braten und gesiegelten Wein im Kapuziner an der Kapellenzollgrenze; da hierfür seine vierzig Sous nicht ausreichten, schickte er die Rechnung durch einen Kellner zu seiner Frau und ließ ihr sagen, daß er im Versatz sei. Diese zuckte lachend die Achseln; was sei denn daran Schlimmes, wenn ihr Mann sich ein bißchen amüsiere? Man müsse den Männern die Strippe lang lassen, wenn man Ruhe und Frieden in seiner Wirtschaft haben wolle; ein Wort gebe das andere, und man komme bald bei Schlägen an. Mein Gott, für so etwas müsse man Verständnis haben; Coupeau leide immer noch an seinem Bein, man habe ihn verschleppt, und da habe er wohl oder übel mit den anderen mittun müssen, wenn er nicht für einen Duckmäuser gelten wolle. Übrigens habe es ja auch weiter nichts auf sich; wenn er ein bißchen blau nach Hause komme, lege er sich zu Bette, und zwei Stunden darauf sei alles vergessen.

Mittlerweile war die Zeit der großen Hitze gekommen. An einem Juninachmittag – es war Sonnabend und die Arbeit sehr eilig – hatte Gervaise selbst den Ofen mit Koks vollgestopft, auf dem die zehn Plätteisen erhitzt wurden. Um diese Stunde schien die Sonne voll auf die Vorderseite des Ladens, der Bürgersteig strahlte eine glühende Hitze aus, und der Widerschein der Sonnenreflexe tanzte an der Decke des Ladens; dieser Lichtstrom, der von der Farbe der Gestelle im Schaufenster einen blauen Schein annahm, fiel mit blendender Helligkeit auf den Arbeitstisch, als ob die Sonnenstäubchen durch die feine Wäsche hindurchgesiebt werden sollten. Es war eine Hitze zum Ersticken. Man hatte die Tür nach der Straße zu offen gelassen, aber es entstand auch dadurch nicht der geringste Zug. Die Wäschestücke, die man zum Trocknen an den Messingdrähten aufgehängt hatte, dampften und waren in kaum dreiviertel Stunden so steif und hart wie Holz. Es herrschte unter dem Drucke dieser Schwüle ein tiefes Stillschweigen, in dem man nur das Aufsetzen der Plätteisen hörte, ein Ton, der durch die dicken Überzüge von Flanell auf den Plättbrettern gedämpft wurde.

»Wir können von Glück sagen, wenn wir heute nicht wegschmelzen!« bemerkte Gervaise, »da möchte man sich ja das Hemde ausziehen!«

Sie hockte am Boden vor einer Schüssel und war damit beschäftigt, Wäsche durch Stärkewasser zu ziehen. Sie war in weißem Unterrock und hatte die Ärmel ihrer ebenfalls weißen Nachtjacke, die ihr halb von der Schulter geglitten war, aufgestreift, so daß ihre Arme und ihr Nacken bloß blieben; sie war ganz rosig und schwitzte so stark, daß die kleinen Locken ihres wirren, blonden Haares an ihrer Haut anklebten. Mit großer Sorgfalt tauchte sie Frauenhäubchen, die Vorderteile von Männerhemden, ganze Unterröcke und die Garnierungen von Frauenhosen in die milchige Flüssigkeit. Dann rang sie die Stücke aus und legte sie in einen viereckigen Korb, nachdem sie ihre Hände in einen Eimer getaucht und dann die Teile der Stücke besprengt hatte, die nicht gestärkt werden sollten.

»Dieser Korb ist für Euch, Madame Putois«, sagte sie. »Ihr werdet Euch ein bißchen beeilen, das muß heute geschafft werden, nicht wahr? Das trocknet gleich, man kann schon in einer Stunde anfangen.«

Madame Putois war eine Frau von fünfundvierzig Jahren, klein und mager, sie plättete ohne einen Tropfen Schweiß zu verlieren, obwohl sie bis obenhin in ein Kleid von kastanienbraunem Stoff eingeknöpft war. Sie hatte selbst ihre Haube nicht einmal abgenommen, eine schwarze Haube mit grünen Bändern, die schon ins Gelbliche spielten. Sie stand ganz steif vor dem Arbeitstisch, der für sie zu hoch war, und bewegte ihr Plätteisen mit steifen, puppenhaften Bewegungen, wobei ihre Ellenbogen immer in der Luft blieben. Plötzlich rief sie:

»Ah! aber Fräulein Clemence, ziehen Sie Ihre Jacke wieder an, Sie wissen wohl, ich liebe solche Unanständigkeiten nicht. Wenn Sie bei Ihrem Vergnügen sind, mögen Sie alles zeigen, was Sie haben. Da drüben sind schon drei Männer stehengeblieben!«

Die große Clemence murmelte so etwas wie altes Tier zwischen den Zähnen. Sie ersticke, sie könne es sich doch bequem machen, es habe doch nicht jeder eine Haut wie ein Feuerschwamm. Übrigens was könne man denn sehen? Sie hob ihre Arme hoch, wobei ihr üppiger Busen beinahe ihr Hemd sprengte und ihre Schultern die kurzen Ärmel aufzureißen drohten. Clemence hatte es sich in den Kopf gesetzt, vor ihrem dreißigsten Jahre das Leben nach Kräften zu genießen. Des Morgens nach wilddurchschwärmter Nacht fühlte sie kaum den Boden unter ihren Füßen, sie schlief dann über der Arbeit ein, und es war ihr zumute, als ob man ihren Kopf und Leib voll alter Lappen gestopft habe. Trotz alledem behielt man sie, wenn sie mitunter auch langsam arbeitete, denn es gab keine Arbeiterin, die es ihr im Plätten von Männerhemden gleichtat. Es war ihr Vorzug, die Männerhemden.

»Das alles gehört mir, versteht Ihr wohl?« beendete sie ihre Erklärung, indem sie sich auf die Brust schlug, »das beißt nicht und tut niemandem weh!«

»Clemence, zieht Eure Jacke wieder an!« sagte Gervaise. »Madame Putois hat recht, es ist nicht anständig ... Man könnte mein Geschäft für etwas halten, was es nicht ist.«

Da zog die große Clemence sich murrend wieder an. »Wie ängstlich Ihr seid! Als ob die Leute, die da vorbeigehen, noch nie ein paar Brüste gesehen hätten!« Sie ließ nun ihren Zorn an dem Lehrling, der kleinen, schielenden Augustine aus, die neben ihr glatte Wäsche, Strümpfe und Taschentücher plättete; sie stieß sie mit dem Ellenbogen, daß die Kleine beinahe umfiel. Aber Augustine, die bissig und heimtückisch wie eine getretene Bestie war, spuckte ihr von hinten auf ihr Kleid; so rächte sie sich, ohne daß es jemand sah.

Gervaise hatte eine Haube von Madame Boche angefangen, der sie besondere Sorgfalt angedeihen lassen wollte. Sie hatte gekochte Stärke zubereitet, um sie aufs neue zu plätten. Mit einem kleinen, schmalen, an den Enden abgerundeten Plätteisen bearbeitete sie vorsichtig das Mittelstück der Kopfbedeckung, als eine knochige Frau eintrat, deren Gesicht mit roten Flecken bedeckt war; ihre Röcke waren naß und klebten an ihren Beinen. Das war eine Waschmeisterin, die drei Arbeiterinnen in der Waschanstalt Goldtropfengasse beschäftigte.

»Ihr kommt zu früh, Madame Bijard!« rief Gervaise. »Ich hatte Euch gesagt, heute abend ... Ihr stört mich nur, wenn Ihr jetzt kommt!«

Da die Wäscherin jammerte und befürchtete, daß sie sonst die Wäsche heute nicht mehr spülen lassen könne, so willigte sie darein, ihr die schmutzige Wäsche sogleich herauszusuchen. Sie gingen in die Nebenstube, wo Etienne schlief, und kamen mit ungeheuren Haufen schmutziger Wäsche zurück, die sie hinten im Laden aufstapelten. Das Aussuchen dauerte eine volle halbe Stunde. Gervaise warf die einzelnen Sorten zusammen auf einen Haufen, die Männerhemden, Frauenhemden, Taschentücher, Strümpfe und Wischlappen. Wenn ein Stück von einem neuen Kunden ihr unter die Hände kam, so zeichnete sie es mit einem roten Kreuz, um es wiederzuerkennen. In der heißen Luft entwickelte sich ein muffiger Geruch von. all dem Herumkramen in der schmutzigen Wäsche.

»Oh! ho! Das duftet!« sagte Clemence und hielt sich die Nase zu.

»Ja, wenn alles rein wäre, würde man es uns ja nicht geben«, erklärte Gervaise ruhig. »Das riecht danach, wo es herkommt, was weiter? ... Wir hatten vierzehn Frauenhemden, nicht wahr, Madame Bijard? Fünfzehn, sechzehn, siebzehn ...«

So fuhr sie ganz laut zu zählen fort. Sie ekelte sich nicht, sie war an den Schmutz gewöhnt; ohne Zaudern versenkte sie ihre rosigen, nackten Arme in die Haufen von gelben schmutzigen Hemden, von Küchenhandtüchern, die von dem Fette des Geschirres ganz steif geworden waren, und in die Strümpfe, bei denen Schweiß und Schmutz wetteiferten. Trotz all der starken Gerüche, welche ihr entgegendufteten, überkam sie inmitten dieser Haufen ein Gefühl nachlässiger Behaglichkeit. Sie hatte sich auf einen niedrigen Sessel gesetzt und streckte mit langsamen Bewegungen nach rechts und links ihre Arme aus, und als ob diese menschlichen Gerüche sie berauschten, lächelte sie verloren mit schwimmenden Augen. Es scheint, daß der erste Anstoß zu faulem Dahinleben durch den betäubenden Einfluß dieser schmutzigen Wäsche veranlaßt wurde, die die Luft um sie herum verpestete. Als sie gerade eine vor Schmutz unkenntliche Kinderbettunterlage zusammenlegte, trat Coupeau ein.

»Heiliger Bimbam! ist das eine Hitze!« ... stotterte er, »das brät einem ja das Gehirn!«

Der Zinkarbeiter mußte sich am Werktisch halten, sonst wäre er gefallen. Es war das erstemal, daß er so pumpvoll nach Hause kam. Bis dahin war er wohl ein wenig angerissen gewesen, nicht mehr. Aber diesmal hatte er eine Brüsche über dem Auge, so einen freundschaftlichen Hieb von irgendeiner Anrempelei. Seine krausen Haare, in denen sich hin und wieder schon ein weißes zeigte, mußten mit einer Ecke in dem Saale einer Schenke in einige Berührung gekommen sein, denn an einer Locke im Nacken hing eine Spinnwebe. Er blieb ganz scherzhaft, obwohl seine Züge ein wenig gespannt und gealtert aussahen, der Unterkiefer sprang noch mehr hervor als früher, aber er war immer noch gutmütig und seine Haut so zart, um eine Herzogin neidisch zu machen.

»Ich will dir die Sache erklären«, sagte er zu Gervaise gewandt. »Du kennst doch den Pied-de-Céleri, den mit dem Stelzfuß ... der reist nach Hause und hat uns gern freihalten wollen ... wie sich das gerade traf bei diesem glühenden Sonnenschein ... Auf der Straße ist alles krank. Alle feiern ...«

Als die große Clemence sich darüber lustig machte, daß er alles auf der Straße betrunken gesehen habe, überkam ihn eine große Lustigkeit, die ihn erstickt hätte, wenn er sie nicht austoben lassen konnte.

»Ja, ja! die verdammten Säufer! Sind die komisch. Aber sie können nichts dafür, das kommt von der Sonne ...«

Da lachte der ganze Laden, selbst Madame Putois, die Betrunkene nicht leiden konnte. Die schielende Augustine schrie aus vollem Halse wie ein Huhn und wollte sich ausschütten vor Lachen. Gervaises einzige Sorge war, daß Coupeau nicht sogleich nach Hause gekommen sei, sondern vorher noch eine Stunde bei den Lorilleux' zugebracht hätte, von denen er immer übel beraten wurde. Als er ihr zugesichert, daß es nicht der Fall sei, lachte auch sie mit, verzieh ihm alles und machte ihm keine Vorwürfe über den verlorenen Arbeitstag.

»Aber was sagt er für Unsinn, mein Gott!« murmelte sie. »Wie kann man solche Dummheiten sagen!«

Wie eine Mutter zu einem kleinen Kinde sagte sie:

»Geh ins Bett, nicht wahr? Du siehst, wir haben zu tun, du hältst uns auf ... Es waren zweiunddreißig Taschentücher, Madame Bijard, und noch zwei macht vierunddreißig ...«

Aber Coupeau war nicht müde. Er blieb da und schwankte wie der Perpendikel einer Uhr immer von einer Seite zur andern und trieb mit trotziger, eigensinniger Miene seine Späße. Gervaise wollte sich gern Madame Bijard vom Halse schaffen und rief deshalb Clemence, um sie die Wäsche zählen zu lassen, während sie sie aufschrieb. Bei jedem Stück machte diese große Lotterliese eine freche schmutzige Bemerkung; sie deckte das Elend der Kunden, ihre Schlafstubengeheimnisse auf, sie begleitete jeden Riß, jeden Schmutzfleck, der ihr durch die Hände ging, mit ihren handwerksmäßigen Scherzworten. Augustine tat so, als ob sie nicht verstehe, und sperrte doch die Ohren weit auf mit dem instinktiven Interesse einer lasterhaften kleinen Dirne für solche Dinge. Madame Putois kniff entrüstet die Lippen zusammen, sie fand es dumm, solche Sachen vor Coupeau zu sagen; ein Mann braucht solche Wäsche nicht zu sehen, das sind Dinge, die man bei anständigen Leuten vermeidet. Gervaise war so in ihre Arbeit vertieft, daß sie nicht zu hören schien. Während des Aufschreibens folgten ihre Blicke jedem Stück, damit sie es, wenn es wieder vorkam, erkennen könne; sie irrte sich nie, wenn sie die Namen zu jedem schrieb, sie roch es und sah es an der Farbe. Diese Servietten gehörten Goujets, das sprang in die Augen, die waren nicht dazu gebraucht worden, um die Rückseiten von Bratpfannen abzuwischen. Da war ein Kopfkissenbezug, der sicherlich von Madame Boche kam, wegen der Pomade, womit diese Frau alle ihre Bettwäsche befleckte. Sie hatte gar nicht nötig, die Flanellunterjacken genau anzusehen, um zu wissen, daß sie Herrn Madinier gehörten; er färbte ordentlich die Wolle, dieser Mann, so fett war seine Haut. So kannte sie alle Eigenheiten, die Geheimnisse der Reinlichkeit von jedermann, das Inwendige der Nachbarn, die da in seidenen Röcken über die Straße gingen, die Zahl ihrer Taschentücher und Strümpfe, wieviel Hemden sie in der Woche anzogen, bis auf die Art, wie die Leute immer ihre Sachen zerrissen. Sie konnte viel erzählen. Zum Beispiel von den Hemden des Fräulein Remanjou, die sehr schätzenswerte Beiträge zur Erkenntnis der Menschen lieferten; sie nutzten sich nur oben ab, die alte Jungfer mußte sehr spitze Schulterknochen haben: nie waren sie schmutzig, wenn sie sie selbst vierzehn Tage getragen hätte; das beweist, daß der Mensch in dem Alter so trocken wie ein Stück Holz ist und man selbst mit aller Mühe keinen Tropfen aus ihm pressen würde. Bei jedem Wäscheaussuchen im Laden wurde das Quartier so ausgezogen und durchgehechelt.

»Das ist aber was, puh!« rief Clemence, als sie wieder ein Paket öffnete.

Gervaise erfaßte plötzlich ein Ekel, und sie wich zurück.

»Das Paket von Madame Gaudron!« sagte sie. »Ich will nicht für sie waschen und suche schon immer nach Vorwänden ... Nun, ich bin nicht heikler als eine andere, ich habe genug ekelhafte Wäsche in meinem Leben anfassen müssen, aber wahrhaftig, die da, das kann ich nicht, da fällt mir das Herz vor die Füße ... Wie fängt es die Frau nur an, ihre Wäsche so zuzurichten!«

Sie bat Clemence, sich zu beeilen. Aber die Arbeiterin fuhr mit ihren Bemerkungen fort, steckte ihre Finger mit bezeichnenden Randbemerkungen in alle Löcher der Wäschestücke und schwenkte sie umher wie die Fahnen des triumphierenden Schmutzes. So waren die Haufen um Gervaise herum immer größer geworden. Sie saß noch immer auf dem niedrigen Sessel und verschwand fast in dem Haufen von Hemden, Unterröcken, Bettüchern, Hosen und Tischtüchern, einem Berg von Unsauberkeit. Inmitten dieser wachsenden Flut bewahrte sie immer noch, mit ihren nackten Armen und ihrem nackten Hals, an dem die kleinen, blonden Löckchen festklebten, ihr rosiges, appetitliches Aussehen. Sie fand immer ihr gesetztes Wesen wieder, ihr aufmerksames Lächeln als sorgende Geschäftsinhaberin. Die Wäsche der Madame Gaudron hatte sie vergessen, sie roch es nicht mehr und wühlte mit den Händen in dem Haufen, um sich zu vergewissern, daß alles richtig sei. Die schielende Augustine, die für ihr Leben gern ganze Schaufeln Koks in den Ofen warf, hatte ihn so vollgestopft, daß die gußeisernen Platten rotglühend waren, im ganzen Laden zitterte die Luft vor Hitze; die furchtbare Glut machte Coupeau noch betrunkener und erzeugte bei ihm eine plötzliche Zärtlichkeit. Er war sehr bewegt und näherte sich Gervaise mit offenen Armen.

»Du bist meine gute Frau,« stammelte er, »komm, gib mir einen Kuß!«

Da er sich in dem Haufen von Unterröcken verhaspelte, wäre er beinahe gefallen.

»Bist du närrisch?« sagte Gervaise, ohne böse zu werden, »verhalte dich ruhig, wir sind gleich fertig.«

Nein, er mußte ihr einen Kuß geben, es war ihm ein Bedürfnis, weil er sie so lieb hatte. Während er so sprach, brachte er die ganzen Unterröcke in Unordnung und tappte in den Haufen Hemden hinein; da er noch immer nicht von seinem Vorhaben abstehen wollte, verwickelten sich seine Füße, und er fiel mit der Nase mitten in die Küchenhandtücher. Jetzt riß Gervaise die Geduld, und sie stieß ihn fort und schrie, daß er ihr alles in Unordnung bringe. Aber Clemence und selbst Madame Putois gaben ihr unrecht. Er sei doch bei alledem sehr nett und wolle sie küssen, sie könne sich doch ruhig von ihm küssen lassen.

»Laßt es nur gut sein, Ihr seid glücklich, Madame Coupeau,« sagte Madame Bijard, deren Trunkenbold von Mann, ein Schlosser, sie jeden Abend, wenn er nach Hause kam, beinahe tot schlug. »Wenn meiner so wäre, wenn er ein bißchen was im Kopf hat, das wäre ja ein wahres Vergnügen!«

Gervaise, die sich wieder beruhigt hatte, bereute schon ihre Härte. Sie half Coupeau wieder auf die Beine und hielt ihm lachend ihre Backe hin. Aber der Zinkarbeiter faßte sie ungeniert an den Brüsten.

»Man kann nichts dazu sagen, aber deine Wäsche stinkt nicht schlecht! Na, ich habe dich deshalb doch lieb, siehst du?«

»Laß mich, du kitzelst mich!« schrie sie und lachte noch stärker. »Was bist du für ein großer Tollpatsch! Wie kann man sich nur so betragen!«

Er hatte sie umfaßt und ließ sie nicht los. Sie sträubte sich nicht, es überkam sie eine leichte Ohnmacht inmitten all der stark riechenden Wäsche, die ihr ebensowenig Ekel einflößte wie der starke Weingeruch, der von Coupeau ausging. Der lange Kuß, den sie sich da auf den Mund gaben mitten in diesem schmutzigen Getriebe ihrer täglichen Tätigkeit, war wie der erste Schritt auf der abschüssigen Bahn der Verlotterung, die ihr Leben hinabgleiten sollte.

Mittlerweile knotete Madame Bijard die Wäsche in Pakete zusammen. Sie sprach dabei von ihrem kleinen, zweijährigen Mädchen, das Eulalie hieß und schon so vernünftig wie eine Große sei. Man könne sie ruhig allein lassen, sie weine niemals, auch spiele sie nicht mit Streichhölzern. Endlich schleppte sie die Wäschepakete eines nach dem andern weg, ihre starke Figur bog sich unter der Last zusammen, und die roten Flecke auf ihrem Gesichte färbten sich violett.

»Das ist ja nicht mehr auszuhalten, wir schmoren!« sagte Gervaise und trocknete sich das Gesicht ab, ehe sie sich wieder an die Haube von Madame Boche machte.

Man sprach davon, der Augustine ein paar Kopfstücke zukommen zu lassen, denn der Plättofen war glühend. Selbst die Eisen röteten sich. Hatte denn das Mädel den Teufel im Leibe? Kaum daß man den Rücken wende, so mache sie irgendeine Dummheit. Jetzt müsse man eine Viertelstunde warten, ehe man die Plätteisen wieder gebrauchen könne. Gervaise bedeckte das Feuer mit Asche und kleinen Stückchen Schlacken. Sie kam auf den Gedanken, ein paar Laken auf den Messingdrähten unter der Decke aufzuhängen, um sie als schützende Vorhänge gegen die Sonne zu verwenden. Jetzt war es bedeutend besser in dem Laden. Obschon es immer noch recht hübsch warm war, konnte man doch glauben, daß man in irgendeinem hellen Schlafzimmer sei, wenn man auch die schnellen Schritte der Vorübergehenden auf dem Fußwege hinter dem Laken hörte, konnte man es sich doch bequem machen. Clemence zog wieder ihre Jacke aus. Coupeau wollte noch immer nicht schlafen gehen. So erlaubte man ihm denn zu bleiben, aber er mußte versprechen, sich ruhig in seiner Ecke zu halten, denn es war viel zu tun, und man durfte nicht feiern.

»Was hat denn dieses Ungeziefer schon wieder mit dem kleinen Eisen gemacht«, murmelte Gervaise, die von Augustine sprach.

Man suchte nach dem kleinen Eisen und fand es endlich an einem Ort, an den es auf natürliche Weise nicht hingekommen sein konnte und vermutlich Augustine es aus Niederträchtigkeit hingesteckt hatte. Gervaise machte endlich die Haube der Madame Boche fertig. Sie hatte die Spitzen gefaltet und puffte sie mit der Hand ein wenig auf, ehe sie ihnen noch einen leichten Strich mit dem Plätteisen gab. Bei dieser Haube setzte sich der sehr reiche Besatz aus kleinen Rüschen und gestickten Zwischenteilen zusammen. So machte sie sich schweigend und sorgsam daran, diese Rüschen und Einsätze auf einer Vorrichtung zu plätten, die man Zahn nannte und die aus einem länglichen eisernen Ei bestand, das an einem langen Stock in einem hölzernen Fuß befestigt war.

Es war jetzt ganz still. Augenblicke lang hörte man nichts mehr als das Aufsetzen der Eisen auf die überzogenen Plättbretter. An beiden Seiten des Tisches standen die Inhaberin, ihre beiden Gehilfinnen und Augustine auf ihre Arbeit niedergebeugt, wobei ihre Arme sich fortwährend eifrig hin und her bewegten. Jede hatte neben sich eine viereckige Steinplatte liegen, die durch die zu heißen Eisen ganz verbrannt waren. Mitten auf dem Tisch lagen in einer tiefen Schüssel mit klarem Wasser ein Lappen und eine kleine Bürste. Ein großer Strauß Lilien in einer alten Flasche, in der früher in Branntwein eingelegte Kirschen gewesen waren, verwelkte dort und nahm sich in dieser Umgebung mit seinen großen, schneeweißen Blumen wie ein Stückchen eines königlichen Gartens aus. Madame Putois hatte mit der Wäsche aus dem Korbe angefangen, den Gervaise für sie hergerichtet hatte, es waren Servietten, Beinkleider, Nachtjacken und Manschetten. Augustine säumte sehr mit ihren Strümpfen und Wischlappen, mit der Nase in der Luft interessierte sie sich für eine große Fliege, die da umherflog, während Clemence seit dem Morgen schon fünfunddreißig Männerhemden geplättet hatte.

»Immer nur Wein, niemals Schnaps!« sagte plötzlich der Zinkarbeiter, der das Bedürfnis in sich fühlte, diese Erklärung abzugeben. »Der Schnaps bekommt mir nicht, den darf man nicht nehmen!«

Clemence nahm ein Eisen vom Ofen mit seiner Handhabe von lederüberzogenem Blech und hielt es in die Nähe ihrer Backe, um sich zu überzeugen, ob es auch heiß genug sei. Sie trocknete es mit einem an ihrem Gürtel hängenden Lappen ab und begann ihr sechsunddreißigstes Hemd, sie plättete erst den Einsatz und die Ärmel.

»Nun, nun, Herr Coupeau,« sagte sie nach einer Minute, »so ein kleines Gläschen Kümmel ist doch nicht schlecht. Mir gibt es Lebenslust ... Und dann, wißt Ihr, je schneller man damit zu Ende kommt, desto besser ist es. Ich mache mir darüber keine Späne, ich weiß ganz gut, daß meine Knochen nicht alt werden.

»Seid Ihr abscheulich mit Euren Grabesgedanken!« unterbrach sie Madame Putois, die keine Unterhaltungen über traurige Dinge hören konnte.

Coupeau war aufgestanden und wurde böse, weil er glaubte, daß man ihn beschuldige, Branntwein getrunken zu haben. Er schwor bei seinem Kopfe, bei dem seiner Frau und seines Kindes, daß er nicht einen Tropfen Branntwein im Körper habe. Er näherte sich Clemence und hauchte ihr ins Gesicht, damit sie sich überzeugen konnte. Als er so nahe mit ihren bloßen Schultern in Berührung kam, fing er an, Unsinn zu machen. Er wollte mehr sehen. Clemence, die den Rückenteil gefaltet und die Seitenteile leicht übergeplättet hatte, war jetzt bei den Manschetten und dem Kragen. Da er sich immer an sie herandrängte, so machte sie eine falsche Falte und mußte die Bürste von dem Rande der tiefen Schüssel nehmen, um die Stärke wieder anzufeuchten.

»Madame,« sagte sie, »sorgen Sie doch dafür, daß er nicht so hinter mir her ist!«

»Lasse sie zufrieden, du bist unvernünftig!« erklärte Gervaise ganz ruhig. »Du weißt doch, daß wir Eile haben, hörst du?«

Sie hatten Eile, gut! Was weiter? Das war doch nicht seine Schuld, er tat ja nichts Böses! War es denn nicht mehr erlaubt, die schönen Sachen anzusehen, die der liebe Gott gemacht hat? Sie habe doch famose Hüften, diese verteufelte Clemence! Sie könne sich für Geld sehen und anfassen lassen, es würden keinem Menschen seine zwei Sous leid tun. Die Arbeiterin wehrte ihn jetzt nicht mehr ab, sondern lachte über die rohen Komplimente, die er ihr in der Trunkenheit machte. Sie ging so weit, mit ihm zu scherzen. Er zog sie mit den Männerhemden auf; sie sei ja immer nur in Männerhemden. Nun ja, sie lebe darin. Sie habe sie gut kennengelernt, sie wisse, wie es gemacht sei, es seien ihr ja Hunderte und Hunderte durch die Hände gegangen! Alle Schwarzen, alle Blonden im ganzen Quartier trügen die Arbeit ihrer Hände auf dem Leibe. Trotz alledem arbeitete sie fort, obwohl sie sich vor Lachen ausschüttete; sie hatte fünf große, glatte Falten auf das Rückenstück gelegt, indem sie ihr Eisen durch die Öffnung des Vorderteiles einführte, sie legte dann das Vorderteil nieder und faltete es auch mit ein paar langen Strichen ihres Eisens.

»Da, das ist das Banner!« sagte sie, und lachte noch stärker.

Die schielende Augustine schlug eine große Lache auf, so komisch schien ihr dieses Wort. Man schalt sie. Diese Rotzliese lache über Sachen, die sie nicht verstehen dürfe. Clemence gab ihr ihr Eisen, die Kleine brauchte die Eisen noch, wenn sie für die gestärkten Stücke nicht mehr heiß genug waren; sie griff so ungeschickt danach, daß sie sich am Handgelenk eine lange Brandwunde machte. Da heulte sie und beschuldigte Clemence, sie mit Absicht gebrannt zu haben. Die Arbeiterin, die gegangen war, um ein neues heißes Eisen für den Vordereinsatz zu holen, brachte sie sofort zur Ruhe, als sie ihr drohte, ihr die Ohren anzuplätten, wenn sie nicht aufhöre. Sie hatte nun ein Stück Flanell unter das Vorderblatt gelegt und ließ ihr Eisen langsam darüber hingehen, um der Stärke Zeit zum Trocknen zu lassen. Der Einsatz der Oberhemden bekam die Härte und Glätte starken Papiers.

»Donnerwetter, die macht's fein!« rief Coupeau, der mit dem Eigensinn der Trunkenbolde noch immer hinter ihr herumtrampelte.

Er stellte sich auf die Zehen und lachte mit dem Kreischen eines schlecht geölten Brunnenschwengels. Clemence drückte stark auf und stützte sich fest auf den Tisch mit nach außen gedrehten Armen und gebogenem Nacken; bei der Anstrengung schwoll all ihr nacktes Fleisch an, ihre Schultern hoben sich, und man sah die langsamen Bewegungen ihrer Muskel unter der feinen Haut, ihr Busen schwoll an, und der feuchte Schweiß glänzte in den rosigen Schatten ihres offenstehenden Hemdes. Er streckte seine Hände aus und wollte sie anfassen.

»Madame! Madame!« schrie Clemence, »sorgt endlich dafür, daß er sich ruhig verhält ... Ich gehe weg, wenn es nicht aufhört. Ich will mich hier nicht beleidigen lassen!«

Gervaise hatte die Haube von Madame Boche auf einen mit Leinen überzogenen Haubenkopf gesetzt und tollte die Spitzen sehr sorgfältig mit einem kleinen Eisen. Sie blickte gerade auf, als Coupeau wieder die Hände ausstreckte, um Clemence anzufassen.

»Wirklich, Coupeau, du bist unvernünftig!« sagte sie mit einem Ausdruck von schlechter Laune, als ob sie ein Kind schelte, das sich in den Kopf gesetzt hat, Mus ohne Brot zu essen. Du gehst jetzt zu Bette!«

»Ja, ja, gehen Sie zu Bette, Herr Coupeau, das ist das beste!« erklärte Madame Putois.

»Ei, das wäre!« stammelte er, ohne seine handgreiflichen Späße abzubrechen, »Ihr seid wohl ganz verdreht! ... Kann man denn gar keinen Scherz mehr machen? Ha, die Frauenzimmer, ich kenne das, ich habe niemals was an ihnen kaputt gemacht. Man kneift eine Dame ein bißchen, nicht wahr? Aber weiter auch nichts, das ist man dem schönen Geschlecht schuldig ... Und dann, wenn man eine Ware zur Ansicht ausstellt, so muß man auch wählen können, nicht wahr? Warum zeigt denn die große Blonde alles, was sie hat? Nein, das ist nicht hübsch von ihr ...«

Und er wandte sich an Clemence:

»Du weißt, mein Herzchen, du hast unrecht, wenn du so spröde tust ... Wenn es nur geschieht, weil Leute dabei sind ...«

Weiter kam er nicht. Gervaise ergriff ihn, ohne besonders heftig zu sein, mit einer Hand und legte ihm die andere auf den Mund. Er sträubte sich scherzhaft, während sie ihn nach hinten zu dem Eingang der Kammer führte. Er machte seinen Mund frei und sagte, daß er gerne schlafen gehen wolle, wenn die große Blonde mitkomme und ihm die Sohlen wärmte. Dann hörte man, wie Gervaise ihm die Schuhe auszog; sie entkleidete ihn und stupste ihn ganz mütterlich zurecht. Als sie ihm seine Hosen abzog, wollte er vor Lachen rein umkommen; er warf sich nach hinten über mitten in das Bett, strampelte und behauptete, daß sie ihn kitzele. Schließlich deckte sie ihn sorgfältig zu, wie man es mit einem Kinde macht. War er jetzt gut aufgehoben? Aber er antwortete nicht, sondern rief nach Clemence:

»Sage doch, du Liebchen, ich bin hier, ich warte auf dich!«

Als Gervaise in den Laden zurückkehrte, gab Clemence gerade der schielenden Augustine eine ordentliche Ohrfeige. Die Ursache war ein schmutziges Eisen, das Madame Putois auf dem Ofen gefunden hatte; diese dachte an nichts Böses und hatte eine Nachtjacke ganz schwarz gemacht; Clemence hatte, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, daß sie ihr Eisen nicht gereinigt habe, Augustine beschuldigt und schwur die heiligsten Eide, das Eisen sei nicht das ihrige, obwohl unter dem Eisen noch jetzt ein Fleck ganz verbrannter Stärke saß; die Kleine hatte ihr diesmal ganz öffentlich von vorn auf das Kleid gespuckt, weil eine solche Ungerechtigkeit sie empörte. Daher die wohlgezielte Ohrfeige. Die Schielende schluckte ihre Tränen herunter und machte das Eisen rein, indem sie es abkratzte und abwischte, nachdem sie es mit einem Ende Licht gerieben hatte; aber jedesmal, wenn sie hinter Clemence kam, sammelte sie ihren Speichel und spie nach ihr, innerlich lachend, wenn es an deren Rock herniederfloß.

Gervaise fing wieder an, die Rüschen der Haube zu tollen. Bei dem tiefen Schweigen, das jetzt herrschte, unterschied man die lallende Stimme Coupeaus. Er blieb immer gutmütig, lachte mit sich selbst und sprach in abgerissenen Sätzen:

»Ist die dumm, meine Frau! ... Ist die dumm, mich ins Bett zu legen. Nein! Das ist zu dumm, am hellen Mittag, wenn man gar nicht müde ist!«

Plötzlich schnarchte er. Gervaise schöpfte erleichtert Atem, sie war glücklich, ihn endlich in Ruhe zu wissen, wo er seinen Rausch auf zwei guten Matratzen ausschlief. Dann sprach sie in der Stille, langsam und anhaltend, ohne dabei mit den Augen ihre Tollschere zu verlassen, welche sie lebhaft handhabte:

»Was wollen Sie? Er hat seine fünf Sinne nicht beisammen, da kann man ihm nicht böse sein. Wenn ich ihn schlecht behandeln würde, wäre damit nichts gebessert. Ich rede ihm lieber zum Munde und lege ihn ins Bett; das ist wenigstens schnell gemacht, und ich habe Ruhe ... Und dann ist er auch nicht böse, er hat mich sehr lieb. Das habt Ihr ja vorhin gesehen, er ließe sich in Stücke zerhacken, um mir einen Kuß zu geben. Das ist doch sehr hübsch von ihm, denn da gibt es genug, die laufen zu anderen Frauenzimmern, wenn sie etwas im Kopf haben ... Er kommt immer heim. Er macht wohl seinen Unsinn mit den Arbeiterinnen, aber weiter geht es nicht. Ihr wißt ja, wie Männer sind, wenn sie was im Kopf haben, so einer würde Vater und Mutter töten, und sich nachher nicht einmal darauf besinnen ... Ich nehme es ihm nicht im geringsten übel. Er ist eben wie alle anderen auch.«

Sie sagte alles so leicht hin, ohne besonderen Wert darauf zu legen; sie war eben an Coupeaus Unregelmäßigkeiten schon gewöhnt, und wenn sie auch ihr duldsames Benehmen ihm gegenüber zu rechtfertigen suchte, fand sie schon gar nichts Schlimmes mehr dabei, wenn er in ihrer Gegenwart ihre Arbeiterinnen um die Taille faßte.

Als sie schwieg, herrschte tiefes Stillschweigen, das nicht mehr unterbrochen wurde. Madame Putois zog bei jedem Stück, das sie aufnahm, an dem Korbe, der sich schließlich ganz unter der Garnierung verlor, die um den Tisch herum angebracht war, sie zog die Schultern hoch und legte mit ihren kleinen Armen das Geplättete auf ein Gestell. Clemence beendete ihr sechsunddreißigstes Oberhemd, indem sie es mit dem Eisen noch einmal nachfaltete. Es gab sehr viel zu tun; man hatte ausgerechnet, daß man bis elf Uhr aufbleiben müsse, selbst wenn man sich noch sehr daranhalte. Da es jetzt keine Abhaltung und Zerstreuung mehr gab, arbeiteten alle tüchtig und anhaltend hintereinander weg. Die nackten Arme bewegten sich auf und nieder und ließen durch den Gegensatz der rosigen Fleischtöne die weiße Wäsche noch leuchtender erscheinen. Man hatte den Plättofen aufs neue mit Koks gefüllt, und da die Sonne durch einen Ritz zwischen den Laken gerade auf den Ofen fiel, sah man die große Hitze, die er ausströmte, bei der Helligkeit der Sonnenstrahlen förmlich emporsteigen wie die Glut einer Flamme bei hellem Tageslicht, die sich nur durch das Zittern der Luft verrät. Die Luft unter den an der Decke trocknenden Unterröcken und Tischtüchern wurde so drückend, daß selbst der schielenden Augustine der Speichel ausging und sie ihre Zungenspitze zum Munde hinaushängen ließ. Es roch nach dem überheizten Ofen, der sauer werdenden Stärke und den glühenden Bolzen, dazu gesellte sich die weiche Dumpfigkeit der Luft einer Badezelle, in der die vier Frauenzimmer sich abarbeiteten und die sie mit dem Dunst ihrer Haarzöpfe und ihrer schweißtriefenden Nacken erfüllten, während von den immer mehr verwelkenden Lilien, die schon das Wasser ihres Glases ganz grün gefärbt hatten, ein sehr reiner, starker Geruch ausging. Hin und wieder vernahm man inmitten des Klappens der Plätteisen und des Kratzens des Feuerhakens ein Schnarchen von Coupeau, das mit der Regelmäßigkeit des Ticktacks einer Wanduhr die Geschäftigkeit der Werkstätte zu regeln schien.

Am Morgen nach solchem Saufgelage hatte der Zinkarbeiter einen Kater, ein entsetzliches Unwohlsein, er fand dann nicht den Mut, sich die Haare zu machen und ging mit übelriechendem, geschwollenem Munde umher. Er blieb dann lange im Bett und rieb sich erst gegen acht Uhr den Schlaf aus den Augen; dann trieb er sich spuckend im Laden herum und konnte sich nicht entschließen, zur Arbeit zu gehen. So war auch dieser Tag verloren. Er beklagte sich morgens darüber, daß seine Beine ihn nicht tragen wollten, er fand es zu dumm, solche Freß- und Saufgelage anzustellen, weil es einem die ganze Laune verderbe. Man treffe immer eine Menge von Herumtreibern, die sich an einen hängen; da fange man, ohne daß man wolle, an zu trinken und werde zu allerhand Schelmenstreichen verleitet, bis sie einen schließlich fest haben. Ah, der Teufel auch! Ihm solle das gewiß nicht wieder passieren, es falle ihm gar nicht ein, seine besten Jahre bei den Kneipwirten zu verbringen. Aber nach dem Frühstück machte er sich wieder fein und probierte verschiedene Male ein hum! hum! um sich zu vergewissern, daß er wieder auf dem Damm sei. Er fing dann an, die Trinkerei des vorigen Tages zu leugnen; ein bißchen angerissen sei er vielleicht gewesen. Aber solchen Kerl wie er sei, gebe es auch so bald nicht wieder, immer auf dem Posten, immer eine feste Hand; er könne trinken, soviel er wolle, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Den ganzen Nachmittag über trieb er sich dann im Quartier umher. Wenn er die Arbeiterinnen seiner Frau genug geärgert hatte, gab sie ihm zwanzig Sous, nur damit er das Feld räume. Er ging dann ab, kaufte seinen Tabak in der kleinen Civette in der Fischerstraße, wo er dann gewöhnlich auch noch eine Pflaume in Branntwein zu sich nahm, wenn er einen Freund dort traf.

Dann fuhr er fort, den Rest der zwanzig Sous durchzubringen, gewöhnlich ging er zu Franz an der Ecke der Goldtropfengasse, wo es einen lieblichen, ganz jungen Wein gab, der so hübsch den Gaumen kitzelte. Das war so eine Schenke aus der alten Zeit, ein dunkler Laden mit niedriger Decke; in einem räucherigen Raum daneben wurde Suppe verkauft. Da blieb er bis zum Abend und knobelte Viertelliter aus; er hatte bei Franz Kredit, und Franz hatte sich sogar förmlich verpflichtet, nie die Rechnung zu Gervaise zu schicken. Nicht wahr? Man müsse sich ein bißchen den Mund reinspülen von all dem Zeug, das tags zuvor 'runtergelaufen sei. Aus einem Glase Wein werden immer mehrere. Übrigens sei er bei alledem ein guter Kerl, der sich nie am schönen Geschlecht vergreife; wenn er auch gern Unsinn mache und mal mit der Nase ein bißchen tief ins Glas gucke, so habe das bei ihm doch noch immer eine Art; er verachte die Schweinereien der Leute, die sich so dem Schnapsgenuß hingeben, daß sie nie ganz ausnüchterten! Er komme immer lustig und frisch wie ein Fisch nach Hause.

»Kommt denn dein Liebhaber gar nicht mehr?« fragte er manchmal Gervaise, um sie zu necken. »Man sieht ihn ja gar nicht, ich werde wohl noch gehen müssen und ihn herholen.«

Der Liebhaber war Goujet. Er vermied es wirklich, gar zu oft zu kommen, weil er Furcht hatte, daß er störe und die Leute auch darüber reden könnten. Doch nahm er jeden Vorwand wahr, er brachte die Wäsche und ging wohl zwanzigmal auf der Straße vorüber. Es gab eine Ecke im Laden, die er gern hatte, dort saß er oft stundenlang, ohne sich zu rühren und rauchte seine kurze Pfeife. Wenn es Abend war und er gegessen hatte, wagte er wohl, alle zehn Tage einmal hinzukommen; dann setzte er sich in seine Ecke; gesprächig war er nicht, er saß schweigsam da, folgte Gervaise mit den Augen und nahm nur seine Pfeife aus dem Munde, um über alles zu lachen, was sie sagte. Wenn am Sonnabend länger gearbeitet wurde, vergaß er ganz, an das Fortgehen zu denken, und schien sich dort mehr zu belustigen, als wenn er ins Theater gegangen wäre. Manchmal plätteten die Arbeiterinnen bis drei Uhr morgens. Dann hing von der Decke an einem Eisendraht eine Lampe herab. Der große Lampenschirm warf die ganze Helligkeit auf einen Fleck, wo die Wäsche wie frischgefallener Schnee dalag. Augustine machte dann die Ladenflügel zu; aber da die Juninächte glühend heiß waren, ließ man die Tür nach der Straße offen. Je später es nun wurde, desto mehr zogen sich die Arbeiterinnen aus, um es sich bequem zu machen. Sie hatten alle eine sehr zarte Haut, die bei dem hellen Schein der Lampe ganz goldig aussah, besonders Gervaise, die ein wenig fett geworden war, hatte leuchtende Schultern, die wie Seide schimmerten; am Halse zog sich ein Fettfältchen hin, wie es kleine Kinder haben; das hätte er aus dem Gedächtnis zeichnen können, so genau hatte er es angesehen. Die große Hitze des Plättofens, der Geruch der Wäsche, die unter den heißen Eisen dampfte, übermannte ihn, und es kam über ihn wie eine Art von Halbschlaf, während sein Gehirn langsamer arbeitete und seine offenen Augen die Frauen vor ihm kaum zu sehen schienen, die da mit ihren nackten Armen die ganze Nacht hin und her fuhren, um den Sonntagsstaat für das Quartier fertigzustellen. Um den Laden herum lagen die Nachbarhäuser in festem Schlaf, eine große Stille hatte sich auf sie hinabgesenkt. Es schlug Mitternacht, dann ein Uhr, dann zwei Uhr. Die Wagen, die Fußgänger, alles war verschwunden. Jetzt fiel allein von dem Laden ein heller Streifen von Licht auf die dunkle, verlassene Straße, der dort auf dem Pflaster wie ein Stück heller, gelber Stoff lag, den man auf dem Boden entrollt hatte. Hin und wieder ertönten Schritte von weitem, ein Mann kam näher; wenn er den Lichtstreifen durchschritt, so sah er sich um, wie überrascht von dem Ton der Plätteisen, den er hörte, und nahm das flüchtige Bild der halb angezogenen Arbeiterinnen, die da in einem rötlichen Dampf schafften, mit sich fort.

Goujet sah, daß Etienne Gervaise viel Sorge machte, und da er ihn gerne vor den Fußtritten retten wollte, die ihm Coupeau versetzte, wo er ihn sah, hatte er ihn zum Ziehen des Blasebalges in der Bolzen- und Riegelfabrik gedungen. Das Handwerk eines Nagelschmiedes hatte an sich nichts Verlockendes wegen des Schmutzes in so einer Schmiede und weil man immer auf das gleiche Stück Eisen schlagen mußte, aber es nährte seinen Mann, und man verdiente bis zu zehn und zwölf Franken täglich. Der Kleine, der jetzt zwölf Jahre alt war, konnte es bald zu etwas bringen, wenn das Handwerk ihm gefiel. So war denn Etienne ein Band mehr geworden, das die Wäscherin und den Schmied vereinte. Dieser nahm das Kind mit sich und berichtete über seine gute Führung. Alle Welt sagte lachend zu Gervaise, daß sie Goujet den Kopf verdreht habe. Sie wußte es wohl und errötete wie ein junges Mädchen mit einem solchen Schamgefühl, daß ihre Backen wie Paradiesäpfel aussahen. Der arme Bursche, er mache keine Ansprüche! Nie habe er ihr von seiner Liebe gesprochen, nie durch eine Bewegung oder ein freies Wort sich verraten. Es gebe nicht viele, die aus solchem Teig gemacht seien. Obgleich sie es nicht eingestehen wollte, so empfand sie doch eine große Freude darüber, wie die heilige Jungfrau geliebt zu werden. Wenn sie irgendeine große Sorge hatte, dachte sie an den Schmied, das gewährte ihr Trost. Wenn sie allein zusammen waren, benahmen sie sich ganz unbefangen, sie sahen einander lachend in die Augen, ohne ihren Empfindungen Worte zu leihen. Es herrschte zwischen ihnen eine vernünftige Zuneigung ohne Begehrlichkeit, denn es ist immer besser, seine Ruhe zu bewahren, wenn man auch in dieser Ruhe schon sein Glück finden kann.

Gegen Ende des Sommers stellte Nana das ganze Haus auf den Kopf. Sie war erst sechs Jahre alt und zeigte doch schon alle Anlagen zu einer losen Dirne. Um sie nicht immer um sich herumkriechen zu sehen, brachte ihre Mutter sie jeden Morgen in eine Kleinkinderschule in der Polonçeaustraße, zu einem Fräulein Josse. Dort steckte sie ihren Gespielinnen die Kleider von hinten an den Stühlen fest, füllte die Schnupftabaksdose ihrer Lehrerin mit Asche, ja selbst noch unappetitlicheren Dingen, die man gar nicht einmal erwähnen kann. Zweimal hatte sie Fräulein Josse schon hinausgeworfen und dann doch immer wieder genommen, um nicht monatlich die sechs Franken einzubüßen. Wenn Nana aus der Klasse kam, so rächte sie sich dafür, daß man sie solange an die Schulbank gefesselt hatte, indem sie den Torweg und den Hof mit einem Höllenlärm erfüllte, denn dahin schickten sie die Plätterinnen zum Spielen, weil sie ihnen drin die Ohren voll schrie. Dort fand sie Pauline, die Tochter der Boches, und den Sohn der früheren Arbeitgeberin von Gervaise, Victor, einen großen Schlingel von zehn Jahren, der nichts lieber tat, als mit den ganz kleinen Mädchen umherzulaufen. Madame Fauconnier hatte sich mit Coupeaus nicht erzürnt und schickte selbst ihren Sohn dorthin. Übrigens war in dem Hause ein förmliches Überwuchern von Kindern, ganze Schwärme von ihnen bedeckten stets die vielen Treppen des Hauses und prügelten sich auf dem Hofe wie eine zänkische, räuberische Bande von Sperlingen. Auf Madame Gaudron allein kamen neun, Blonde und Schwarze, alle schlecht gekämmt, mit nie geputzten Nasen, mit Hosen, die ihnen immer zu kurz waren, und Strümpfen, die stets über die Schuhe herabfielen; ihre aufgeplatzten Jacken zeigten die weiße Haut unter dem Schmutz. Einer anderen Frau, die Brot austrug, gehörten sieben. Ganze Scharen kamen aus allen Zimmern. In diesem krabbelnden Ungeziefer mit den rosigen Mäulchen, das nur gewaschen wurde, wenn es einmal regnete, waren auch Größere mit Spitzbubengesichtern, Dicke mit Bäuchen wie Männer und ganz Kleine, die kaum aus der Wiege gekrochen waren und noch nicht fest stehen konnten; diese waren noch so dumm, daß sie auf allen Vieren krochen, wenn sie schnell vorwärtskommen wollten. Über diesen ganzen Haufen von Schmutzfinken herrschte Nana unumschränkt, sie spielte das Fräulein und kommandierte mit Mädchen herum, die noch einmal so groß wie sie waren; ein wenig von ihrer Macht geruhte sie an Pauline und Victor abzutreten, die ihre besonderen Vertrauten waren und ihr in allen Stücken den Willen taten. Diese lose Dirne sprach fortwährend davon, Mama zu spielen; sie entkleidete die Kleinen und zog sie wieder an, wollte durchaus bei den anderen nachsehen, quälte alle und übte die phantastische Herrschsucht einer erwachsenen, lasterhaften Person aus. Nach ihrer Angabe wurden Spiele gespielt, bei denen geohrfeigt wurde. Die ganze Bande patschte in dem bunten Wasser herum, das aus der Färberei floß; wenn sie herauskamen, waren ihre Beine bis zum Knie rot oder blau gefärbt; dann liefen sie davon und stahlen in der Schlosserei Nägel und Eisenfeilspäne, um sich schließlich auf den Hobelspänen niederzulassen, die die Tischler auf den Hof warfen; in diesem großen Haufen wälzten sie sich sehr vergnügt herum und zeigten ihre Hintern. Der Hof gehörte ihnen, unaufhörlich tönte er von dem Geklapper ihrer kleinen Schuhe wieder; sie stießen einander um, wenn sie sich plötzlich zerstreuten, und schrien durchdringend, wenn sie sich aufs neue sammelten. An manchen Tagen war ihnen der Hof nicht groß genug, dann überschwemmte die Bande die Keller, stieg die Treppen in die Höhe, ergoß sich in die Gänge, stieg herab und eine andere Treppe wieder hinauf; ohne müde zu werden, ging es stundenlang, dann heulten sie und erfüllten den Riesenbau mit ihrem Geschrei, wie eine Herde wilder, schädlicher Tiere, die darin herumtobte und alle Ecken heimsuchte.

»Sind sie nichtsnutzig, diese Würmer!« schrie Madame Boche. »Die Leute mußten wahrhaftig nicht viel Gescheites zu tun haben, daß sie so viel Kinder in die Welt setzen ... Und da beklagen sie sich immer, daß sie kein Brot haben!«

Boche sagte, daß die Kinder auf dem Elend wüchsen wie die Pilze auf dem Misthaufen. Die Pförtnersfrau schrie den ganzen Tag und bedrohte sie mit ihrem Besen. Sie mußte schließlich die Türen zu den Kellern abschließen, weil sie durch die kleine Pauline erfuhr, der sie für die Nachricht ein paar Ohrfeigen gab, daß Nana dort immer Doktor in der Dunkelheit spielte; dieses verderbte Geschöpf kurierte dort die anderen mit dem Stock.

An einem Nachmittage trug sich eine schreckliche Szene zu. Einmal mußte es so kommen. Nana hatte ein sehr komisches Spiel ausgesonnen: sie hatte vor der Loge der Madame Boche einen Holzpantoffel gestohlen, daran befestigte sie einen Bindfaden und fuhr damit wie mit einem Wagen umher. Viktor hatte den Gedanken, den Holzschuh mit Apfelschalen zu füllen. Jetzt ordnete sich ein ganzer Zug. Nana war die erste, sie zog den Schuh; Pauline und Viktor gingen ihr zur Rechten und zur Linken; dann folgte die ganze Schar in guter Ordnung, voran die Großen und dann die Kleinen, die sich auch hinzudrängten; ganz zuletzt kam eine kleine Krabbe so groß wie ein Stiefel, mit einem eingedrückten Fallhut auf einem Ohr. Alle sangen etwas sehr Trauriges, immer Oh! und Ah!, weil Nana gesagt hatte, daß man Begräbnis spiele; die Apfelschalen waren der Tote. Wenn sie einmal um den Hof herum waren, fingen sie wieder an. Sie fanden es sehr hübsch.

»Was machen die denn?« murmelte Madame Boche, die aus ihrer Loge ging und immer sehr mißtrauisch aufpaßte.

Als sie erst begriffen hatte, um was es sich handelte, schrie sie wütend:

»Aber das ist ja mein Holzschuh! Diese Kanaillen!«

Sie teilte verschiedene Klapse aus, ohrfeigte Nana auf beide Backen und gab Pauline einen Fußtritt; wie konnte diese dumme Pute leiden, daß man ihrer Mutter ihren Schuh wegnahm! Gervaise wollte gerade einen Eimer am Brunnen füllen. Als sie Nana mit blutender Nase und laut schluchzend vorfand, wäre sie beinahe Madame Boche an den Hals gefahren. Schlug man denn auf ein Kind wie auf einen Ochsen? Man mußte ja schlechter wie die Schlechteste sein, um so etwas zu tun. Die Pförtnersfrau schwieg dazu nicht still. Wenn man ein so sauberes Pflänzchen von Tochter habe, halte man sie hübsch unter Schloß und Riegel. Endlich erschien Boche auf der Schwelle der Pförtnerloge und rief seiner Frau zu, hereinzukommen und sich mit solchem Pack in kein Gezänk mehr einzulassen. Damit hatte man sich gründlich verfeindet.

Seit einem Monat schon ging zwischen den Boches und den Coupeaus nicht alles mehr wie sonst. Gervaise, die von Natur sehr zum Geben geneigt war, hatte alle Augenblicke mal einen Liter Wein, Tassen Bouillon, Apfelsinen und Kuchen dorthin geschenkt. Eines Abends brachte sie einen Rest von rotem Rübensalat hinüber, weil sie wußte, daß die Pförtnersfrau eine Schlechtigkeit begehen konnte, nur um solchen Salat zu haben. Am andern Morgen wurde sie ganz blaß vor Ärger, als Fräulein Remanjou ihr erzählte, wie Madame Boche die roten Rüben, als ob sie sich davor ekle, vor Leuten hinausgeworfen habe mit dem Bemerken, daß sie es ja, Gott sei Dank, nicht nötig hätten, sich von Sachen zu nähren, in denen schon andere herumgepatscht hätten. Seit der Zeit hatte Gervaise allen Schenkereien ein Ende gemacht: es gab keine Liter Wein, keine Tassen Bouillon, keine Apfelsinen und keine Kuchen mehr. Da mußte man die Gesichter sehen, die die Boches jetzt schnitten! Das kam ihnen wie Diebstahl vor, den Coupeaus an ihnen begingen. Gervaise sah ihren Fehler ein; wenn sie früher nicht so dumm gewesen wäre, ihnen soviel zuzustecken, hätte sie sie nicht verwöhnt, und sie wären gut geblieben. Jetzt sagte ihr die, Pförtnersfrau alles Schlechte nach. Zum Oktobertermin hetzten sie den Wirt, Herrn Marescot, mit erlogenen Gerüchten auf; Gervaise gebe selbst ihre gute Garderobe her, um sich Leckerbissen zu kaufen, natürlich sei sie auch mit der Miete einen Tag im Rückstande. Herr Marescot, der auch nicht der Feinste war, kam mit dem Hut auf dem Kopfe in den Laden und verlangte sein Geld, was man ihm, sofort aushändigte. Natürlich hatten die Boches sich mit Lorilleux' wieder gut gestellt, die man mit versöhnlicher Rührung in der Loge empfing. Nie wäre man auseinandergekommen ohne diese Humpelliese; die hätte selbst Berge auseinandergebracht. Boches kannten sie jetzt; jetzt begriffen sie, was die Lorilleux' von ihr leiden mußten. Wenn sie vorbeiging, so taten alle so, als ob sie sich in der Tür über sie lustig machten.

Trotz alledem ging Gervaise eines Tages zu den Lorilleux' hinauf. Es handelte sich um Mama Coupeau, die jetzt siebenundsechzig Jahre alt war; die Augen der alten Frau waren ganz hin, auch ihre Beine trugen sie kaum noch. Sie hatte notgedrungen auf ihren letzten Dienst verzichten müssen und mußte Hungers sterben, wenn man nichts für sie tat. Gervaise fand es schändlich, daß eine Frau in dem Alter, die drei Kinder hat, so von Gott und den Menschen verlassen sei. Da Coupeau es abgelehnt hatte, mit den Lorilleux' zu sprechen, und gemeint, daß sie ganz gut hinaufsteigen könne, so war sie, von einer Entrüstung getrieben, die ihr das Herz schwellen machte, nach oben gegangen.

Dort trat sie, ohne anzuklopfen, wie der Sturmwind ein. Nichts hatte sich dort seit dem Abend geändert, wo ihr die Lorilleux' einen so wenig ermutigenden Empfang bereitet hatten. Derselbe verschossene wollene Lappen trennte noch immer das Zimmer von der Werkstatt. Hinten saß Lorilleux über seinen Arbeitstisch gebeugt und fügte einen Ring an den andern, während Madame Lorilleux vor dem Schraubstock die Goldfäden mit dem Zieheisen auszog. Das kleine Schmiedefeuer hatte bei vollem Tageslicht einen rosigen Schein.

»Ja, ja, ich bin es!« sagte Gervaise. »Das wundert euch, weil wir blank miteinander stehen? Aber ich komme nicht meinetwegen zu euch, und auch nicht euretwegen, das könnt ihr glauben ... Ich komme wegen der Mama Coupeau. Ja, ich komme, um zu sehen, ob wir es hinnehmen sollen, daß sie von der Mildtätigkeit Fremder ihr Leben fristet?«

»Na, das ist ja ein recht hübsches Willkommen!« murmelte Madame Lorilleux. »Was bildet denn die sich ein?«

Damit drehte sie sich um und fing wieder an, ihre Golddrähte zu ziehen, als ob ihre Schwägerin gar nicht da sei. Aber Lorilleux war ganz blaß aufgestanden und schrie:

»Was habt Ihr gesagt?«

Da er es ganz ausgezeichnet verstanden hatte, so fuhr er fort:

»Was das wieder für Geschichten sind! Das ist ja sehr hübsch von Mama Coupeau, überall zu jammern, daß sie verhungert! ... Noch vorgestern hat sie hier gegessen. Wir tun, was wir können, wir haben auch keine Goldmine ... Wenn sie aber zu anderen läuft und da schwatzt, dann kann sie auch da bleiben, denn ausspionieren lassen wir uns nicht.«

Er nahm sein Ende Kette wieder auf, wandte ihr den Rücken und fügte schließlich mit einem Seufzer hinzu:

»Wenn jeder monatlich hundert Sous gibt, so geben wir auch hundert.«

Gervaise war ruhiger geworden; die kalten, gleichgültigen Gesichter der Lorilleux' hatten sie abgekühlt. Sie hatte nie den Fuß in ihre Behausung setzen können, ohne ein Gefühl des Unbehagens zu empfinden. Die Augen auf die Rauten des hölzernen Fußbodens geheftet, auf den die kleinen Goldstücke niederfielen, legte sie vernünftig ihre Ansicht dar. Mama Coupeau hatte drei Kinder; wenn jedes hundert Sous gebe, seien es fünfzehn Franken, und das sei wahrlich nicht genug, davon könne niemand leben, man müsse die Summe verdreifachen. Da schrie Lorilleux auf. Wo solle er wohl monatlich fünfzehn Franken herstehlen? Wie komisch doch die Leute seien! Weil er Gold im Hause habe, glaubten sie auch gleich, daß er reich sei. Dann ging es über Mama Coupeau her: sie wollte sich durchaus morgens den Kaffee nicht verkneifen, sie trinke Schnaps und habe Gelüste wie eine wohlhabende Person. Potztausend! Jeder mache es sich gern bequem, nicht wahr? Aber wenn man es nicht verstanden habe, sich auch nur einen Sou beiseite zu legen, so müsse man es wie die anderen machen und sich den Leib zusammenschnallen. Übrigens sei Mama Coupeau durchaus nicht so alt, um nicht noch arbeiten zu können; sie könne noch recht gut sehen, wenn es sich darum handele, ein gutes Stück aus der Schüssel zu fischen; sie sei ein hinterlistiges, altes Weib, das blos daran denke, sich ausfüttern und pflegen zu lassen. Selbst wenn er das Geld dazu habe, werde er unrecht zu handeln glauben, wenn er bei jemandem die Faulheit unterstütze.

Gervaise blieb versöhnlich und besprach ruhig diese schlechten Gründe. Sie versuchte es, die Lorilleux' zu rühren. Aber der Mann antwortete ihr schon gar nicht mehr. Die Frau war jetzt bei der Schmiede und reinigte ein Ende Kette mit Scheidewasser in der kleinen Schüssel mit dem langen Stiel. Sie drehte Gervaise geflissentlich immer den Rücken zu, als ob sie hundert Meilen weit weg sei. Gervaise sprach noch immer, obwohl sie sah, wie sie sich anscheinend in ihre Arbeit vertieften und mitten in dem schwarzen Staub der Werkstatt mit vorgebeugtem Körper in geflickten, schmutzigen Kleidern, die von Schweiß und Fett schon so steif und hart wie altes Handwerkszeug geworden waren, ihre mechanische Arbeit wie zwei Maschinen verrichteten. Da endlich stieg der Zorn in ihr auf und sie schrie:

»So ist es recht, das ist mir auch viel lieber, behaltet euer Geld! ... Ich nehme Mama Coupeau zu mir, hört ihr! Ich habe neulich abends eine Katze behalten, die mir zugelaufen ist, da kann ich ja wohl auch eure Mutter von der Straße auflesen. Es soll ihr an nichts fehlen, sie soll ihren Kaffee und ihren Schluck Branntwein haben! ... Mein Gott! Was ist das für eine schmutzige Familie!«

Darauf hatte sich Madame Lorilleux plötzlich umgedreht. Sie schwenkte ihre Schüssel, als ob sie ihrer Schwägerin das Scheidewasser ins Gesicht schleudern wolle. Sie stotterte:

»Macht, daß Ihr rauskommt! Oder es gibt ein Unglück! ... Rechnet nur nicht auf die hundert Sous, nicht ein Radieschen gebe ich! Nein, nicht ein Radieschen! ... Das wäre was! Hundert Sous! Mama soll Eure Dienstmagd spielen, und Ihr wollt meine hundert Sous verjuchheien! Wenn sie zu Euch geht, sagt ihr nur, dann kann sie krepieren, ich werde ihr kein Glas Wasser reichen ... Und nun 'raus! An die Luft mit Euch!«

»Was ist das für ein Satan von Frau!« sagte Gervaise, als sie heftig die Türe zuwarf.

Schon am nächsten Tage nahm sie Mama Coupeau zu sich. Sie setzte ihr Bett in die große Kammer, in der Nana schlief, und die durch das runde Fenster unter der Decke erleuchtet wurde. Der Umzug war bald gemacht, denn Mama Coupeau besaß nur dieses Bett, einen alten Schrank von Nußbaumholz, den man in dem Zimmer, wo die schmutzige Wäsche lag, aufstellte, einen Tisch und zwei Stühle; den Tisch verkaufte man, und die Stühle wurden neu gerohrt. Am selben Abend noch, wo sie eingezogen war, fegte die alte Frau die Zimmer aus, wusch das Geschirr ab und machte sich nützlich. Die Lorilleux' platzten vor Wut, besonders weil auch Madame Lerat sich mit den Coupeaus wieder gut stand. Eines schönen Tages hatten sich die beiden Schwestern in bezug auf Gervaise mit spitzen Redensarten traktiert, die Lerat hatte es gewagt, ihr Benehmen ihrer Mutter gegenüber zu billigen; da sie sah, wie sehr die andere sich darüber ärgerte, fügte sie in dem Wunsche, sie noch empfindlicher zu kränken, hinzu, daß doch die Wäscherin Augen habe, die so schön und feurig seien, daß man Fidibusse daran anstecken könne; danach hatten sich beide geohrfeigt und geschworen, sich nicht wiederzusehen. Jetzt verbrachte Madame Lerat ihre Abende im Laden, wo sie sich an den zweideutigen Scherzen der großen Clemence vergnügte.

So vergingen drei Jahre. Man zankte sich und versöhnte sich noch mehrere Male. Gervaise fragte den Teufel nach den Lorilleux', den Boches und den anderen, die nicht mit ihr einer Meinung waren. Wenn es ihnen nicht paßte, nicht wahr? so konnten sie ja ihrer Wege gehen. Sie verdiente so viel Geld, wie sie nur immer wollte, das war die Hauptsache. Im Quartier war sie sehr beliebt, und man behandelte sie überall mit Rücksicht, denn es gab im ganzen wenig Kundschaft, die so prompt bezahlte und so wenig knickerte und handelte. Sie nahm ihr Brot bei Madame Coudeloup, in der Fischerstraße, ihr Fleisch bei dem dicken Charles, einem Fleischer in der Polonçeaustraße, ihren Mehl- und Vorkostbedarf bei Lehongre in der Goldtropfengasse, beinahe ihrem Laden gegenüber. Franz, der Weinwirt von der Ecke der Straße, brachte ihr den Wein in Fünfzigliterkörben. Der Nachbar Vigouroux, dessen Frau von den Männern so viel gekniffen wurde, daß sie gewiß schon ganz blaue Hüften hatte, verkaufte ihr den Koks zum Einkaufspreis bei der Gasanstalt. Man konnte sagen, daß ihre Lieferanten sie gut bedienten, denn sie wußten wohl, daß sie nur dabei profitierten, wenn sie ihr gefällig waren. Wenn sie im Quartier in Holzschuhen und mit bloßem Kopf ausging, wurde sie von jedermann gegrüßt; sie war dort überall wie zu Hause, die benachbarten Straßen waren wie zu ihrem Laden gehörig, der ja immer nach der Straße zu weit offen stand. Es kam jetzt vor, daß sie sich bei einer Besorgung verspätete, sie war draußen so glücklich inmitten ihrer Bekanntschaften. An den Tagen, wo sie keine Zeit hatte, irgend etwas aufs Feuer zu setzen, holte sie das Essen aus der Garküche; sie schwatzte dann mit dem Wirt, der den Laden auf der anderen Seite des Hauses hatte, diesen weiten Saal, durch dessen schmutzige, große Fensterscheiben man auf den Hof sehen konnte. Manchmal hielt sie sich auch, mit Tellern und Flaschen beladen, an einem der Fenster des Erdgeschosses auf, durch das man in eine Flickschusterwerkstatt sah; dort stand hinten ein ungemachtes Bett, und der Boden war mit den Lappen und Kissen bedeckt, die zu zwei gebrechlichen Kinderwiegen gehörten; auch fand sich oft auf der Erde eine Pechpfanne, die voll schwarzen Wassers war. Der Nachbar, vor dem sie die größte Hochachtung hatte, war der Uhrmacher gegenüber, der Herr im Überrock; immer saß er sauber und ordentlich da und arbeitete mit seinen zarten Instrumenten in den Uhrwerken; oft ging sie nur zu dem Zweck über die Straße, um ihn zu begrüßen, dann machte es ihr Freude, in den kleinen Laden zu gucken, der so eng wie ein Schrank war, und die lustig sich schwingenden Perpendikel der vielen Kuckucksuhren zu sehen und zu hören, wie alle auf einmal zu schlagen anfingen.


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