Fedor von Zobeltitz
Besser Herr als Knecht
Fedor von Zobeltitz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII

Die Ausweisung Polziens war tatsächlich erfolgt. Man hatte unter seinen Papieren genügend Anhaltspunkte gefunden, um ihn vor Gericht stellen zu können. Aber der Fürst war kein Freund politischer Prozesse. So war er denn froh, als sich ein Ausweisungsgrund entdecken ließ: Polzien wurde über die Grenze gebracht. Emich hatte anfänglich auf einen Notenwechsel mit Rußland gerechnet. Doch nichts rührte sich. In der Hauptstadt selbst machten die persönlichen Anhänger des Ausgewiesenen noch einige Putschversuche, die rasch unterdrückt wurden. Dann trat Stille ein. Polzien wurde vergessen. Man hörte, er sei in suevische Dienste getreten und dort mit offenen Armen willkommen geheißen worden. Das war anzunehmen. Der König von Suevien hatte für derartige Subjekte stets gute Stellen übrig, und Polzien galt für einen Mann, der über die inneren Verhältnisse Illyriens trefflich Bescheid wußte.

Das neue Steuergesetz war der Volkstümlichkeit Fürst Emics in hohem Grade zustatten gekommen. Daß der Fürst es gegen den ursprünglichen Willen seiner Regierung hatte durchsetzen können, festigte aber auch seine Stellung den Ministern gegenüber. Die Herren sahen, daß sie es mit einem stärkeren Willen zu tun hatten als dem des immer nachgiebigen Leopold. Und sie beugten sich. Auch der alte Veresco – aber der alte Veresco nur widerwillig. So sehr er auch seinen jungen Herrscher vergötterte – es schmerzte und kränkte ihn doch, daß er, der Heros Illyriens, der an seinem mächtigen Leibe einundzwanzig Wunden zählen konnte, die er in dem langen Freiheitskampfe des Landes empfangen, daß er nun langsam in den Hintergrund geschoben werden sollte. Er grollte. Er zog sich monatelang auf seine Güter in den Bergen zurück; er war krank und verstimmt, nervös und verärgert. Emich ließ keine Gelegenheit vorübergehen, ihn zu ehren, und besuchte ihn häufig. Aber der Riß schloß nicht mehr. Sie hatten beide zu harte Köpfe.

Mitten in der alten Stadt, heut' allerdings auf einem freien Platze – denn die häßliche Umgebung der Holz- und Lehmbaracken hatte schon Fürst Leopold abbrechen lassen – lag das Kloster der heiligen Barbara: ein mächtiges Mauerwerk, in Zickzacklinien gleich einer Bastion gebaut und über und über vom grünen Schleier des Efeus umsponnen. Das Kloster war alt – älter aber noch die kleine Kirche inmitten des mit Gras bedeckten Binnenhofes, die Krönungskirche des ersten »Königs der Romäer«. Feindliche Räuberhände hatten sie beraubt und verwüstet, die Edelsteine von den Gewändern der Heiligen gestohlen, die Bilder und Statuen in den Staub gerissen, verbrannt und zerbröckelt. Doch die Kirche selber war stehengeblieben und in ihr der riesige steinerne Altar, unter dessen Quadern jahrhundertelang der Kronreif Illyriens versteckt gehalten worden war.

In dieser alten Kirche fand die Konsekration und Inthronisation des neuen Bischofs von Garica unter den vorgeschriebenen feierlichen Zeremonien statt. Der Fürst mit dem gesamten Hofstaat und den Behörden des Kultus wohnte der Feier bei.

Die einleitenden Zeremonien waren beendet; zwei infulierte Äbte setzten dem neuen Bischof die mit Perlen und Edelgestein geschmückte Mitra auf, legten ihm das Pallium und das Pektorale um, steckten ihm den schweren goldenen Bischofsring auf den Zeigefinger der rechten Hand und reichten ihm den Krummstab. Und während von neuem Gesang und Orgelklang durch den heiligen Raum hallten, führten ihn die Äbte zum Bischofsstuhl, neben dem auf purpurnem Kissen die päpstliche Bulle über die Einsetzung lag. Damit war die Feier beendet; der Umzug und die Segenerteilung des Neugeweihten sollten beginnen...

Dicht hinter dem Fürsten stand Mac Lewleß, bleicher noch als sein Herr, und wie gebannt hing sein Auge an dem Gesicht des Bischofs. Das war ein edles, schönes und weiches Antlitz, vornehm und durchgeistigt, mit einem Auge, das man schwer vergaß. Was aber Mac Lewleß in tiefer Seele erschütterte, war eine andere Wahrnehmung: der Bischof hinkte. Als er von den Stufen des Altars herniederstieg, zog er den linken Fuß schwer und schleppend nach sich, und dabei neigte sich auch seine linke Schulter, als folge sie einer schmerzenden Reflexbewegung.

Alles das sah Gerald, und mehr noch sah er mit seinen geistigen Augen. Er schaute Jahre, Jahre zurück und dachte mit heimlichem Grauen an eine Tat, die ihm noch vor nicht langem als gerecht und entschuldbar erschienen war, und die ihn heute so roh dünkte, daß er sich ihrer schämte. Der Feind von damals, der wehrlos sich nicht schützen konnte, als er in sinnloser Wut über ihn hergefallen war, stand nun als Krüppel vor ihm, um ihn zu segnen...

Alles sank in die Knie. Der Umzug des Bischofs hatte begonnen.

Nur Mac Lewleß als Protestant war stehengeblieben, doch mit tief geneigtem Kopfe. Das mußte dem Bischof auffallen. Sein lahmer Fuß zögerte; nun hob Mac Lewleß den Kopf – und die Blicke der beiden trafen sich und senkten sich tief ineinander. Und beider Blicke sprachen das Gleiche: es lag eine Bitte in ihnen – Versöhnung, Vergessen und Vergebung. Dann hob der Bischof die Hand, die sich nicht anders rächen konnte, und spendete Mac Lewleß den Segen...

Die Kirche leerte sich. Der Fürst entließ seine Suite und blieb mit seinem Adjutanten allein zurück. Es gab noch etwas, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. An der Wand rechts seitwärts vom Sanktuarium hatte er mehrere eingemauerte Grabplatten bemerkt, darunter auch eine, auf der ein Ritter in Rüstung und mit dem Johanniterkreuz ausgemeißelt war. Zu Häupten der Ritterfigur befand sich, unterhalb eines arg verwitterten Wappens, ein breites Spruchband mit der noch deutlich lesbaren deutschen Inschrift: »Dynen is alls.«

Der Prior war an die Seite des Fürsten getreten, da er dessen Interesse für den alten Grabstein bemerkt hatte.

»Der Stein ist eine kulturhistorische Seltenheit, Durchlaucht«, sagte er. »Weitere Erinnerungen an germanisches Heldentum aus jener Zeitepoche dürften sich schwerlich noch in Garica finden. Ich vermute, der Denkstein wird zu Ehren eines deutschen Kreuzritters gesetzt worden sein, der hier auf der Heimfahrt den Strapazen der Kämpfe im Orient erlegen sein mag.«

Emich nickte zustimmend.

»So wird es sein. Ich kenne das Wappen auch nicht, das mich übrigens weniger interessiert als die Devise ›Dienen ist alles‹. In der kleinen Kirche meiner Heimat, Ehrwürden, hängt gleichfalls eine Votivtafel auf einen Johanniter. Dort aber lautet die Inschrift ›Besser Herr als Knecht‹. Das ist ein Ritterwort – und sicher galt als Ritterwort auch die Devise ›Dienen ist alles‹. Wie lassen sich diese beiden Aussprüche vereinen?«

Er wandte sich, so sprechend, gleichzeitig nach dem Bischof um, dessen weiße Gestalt in diesem Augenblick zwischen den Säulen des Narthex sichtbar wurde. Die Kirche war leer; nur ein paar Chorknaben und Ministranten beschäftigten sich damit, Ordnung zu schaffen; in einer Ecke lag ein baumlanger Mönch in brauner Kutte, in tiefste Andacht versunken, auf den Knien...

Mac Lewleß hatte die Gelegenheit benützt, da der Fürst sich dem Grabstein des Kreuzritters zuwandte, dem Bischof zu folgen. Es geschah dies einfach im Nachgeben einer unwillkürlichen Regung. Er sah die Vergangenheit in anderem Lichte als vordem; Dunkles hellte sich auf, und mancher Schleier fiel, der ihm den Blick getrübt hatte.

Die Erscheinung des gelähmten Priesters hatte ihn eigentümlich ergriffen und gerührt. Die Frage stieg in ihm auf: war er nach Menschen- und Gottessatzung im Recht gewesen, den Mann dort für Lebenszeit zu verunstalten? Weshalb im Recht? Weil er die Seele seiner Mutter schützen wollte? Hatte er ihr nicht vielmehr den Seelenfrieden geraubt? War es wirklich seine Pflicht gewesen, zwischen sie und den Priester zu treten, der in Ausübung seines Berufs zu ihr gekommen war und vielleicht, unabsichtlich statt frommer Gläubigkeit den Brand heißer Leidenschaft in ihr entfacht hatte? –

Gerald fühlte: es gab kein kurzes Ja oder Nein auf diese Fragen. Aber es gab einen Ausgleich im Widerstreit der Empfindungen: die Versöhnlichkeit.

Er näherte sich dem Bischof.

»Vergebung, Eminenz«, sagte er in deutscher Sprache; »Sie haben mich wiedererkannt?«

Der Bischof ließ sein schönes, müde gewordenes Auge ernst auf Mac Lewleß ruhen.

»Ich war darauf vorbereitet, Sie hier zu finden, Herr Major«, entgegnete er. »Und ich freue mich, daß es Ihnen wohl ergeht...«

Mac Lewleß fand nicht sogleich die rechten Worte. Sein Blick haftete noch immer auf der gelähmten Seite des Priesters.

»Eminenz,« fuhr er nach kurzer Pause fort, »ich – will keine Aussprache mit Ihnen. Aber sagen möchte ich Ihnen, wie tief ich heute bedaure, daß ich mich einst im Jähzorn Ihnen gegenüber zu einer unedlen Tat hinreißen ließ. Meine Mutter ist tot; doch den Odem ihrer Unsterblichkeit spüre ich um mich – – wollen Sie mir vergeben?«

Über das Antlitz des Bischofs glitt es wie Frührot. Die Ähnlichkeit seiner Züge mit denen des Kottauer Rietzow war unverkennbar. Und dennoch war es ein ganz anderes Gesicht, ein ungleich bedeutenderes, dessen Gedankenlinien von heißen Seelenkämpfen, von manchem schwer erstrittenen Sieg über das ungebärdige Herz zu erzählen schienen.

»Ich habe Ihnen längst vergeben«, antwortete er. »Ich bin früher älter geworden als Sie, Mac Lewleß – und ich habe die Hand, die mich lahm schlug, gesegnet. Denn erst von jener Zeit ab diente ich Gott im Geiste und in der Wahrheit. Felix, qui potuit rerum cognescere causas!... Gott mit Ihnen!...«

Er trat aus dem rosigen Dämmer des kleinen Raums zwischen den Säulen hervor in das Kirchenschiff und näherte sich dem Fürsten, der ihn ehrfurchtsvoll und liebenswürdig begrüßte und in das Gespräch mit dem Prior hineinzog.

Auch den Bischof hatte der Grabstein des deutschen Ritters bereits interessiert. Der geistliche Herr beschäftigte sich in seinen Mußestunden gern mit Heraldik und glaubte in dem verharschten Wappen das eines ausgestorbenen Lausitzer Geschlechts, der Plastows, zu erkennen.

»Der Wahlspruch ›Dienen ist alles‹, Durchlaucht,« fuhr er fort, »klingt an eine andere wohlbekannte Ritterdevise an – an das ›Ich dien'‹ des angelsächsischen Adels. Ich meine auch nicht, daß sich dies schöne Wort in keine Verbindung mit dem von Ihnen erwähnten ›Besser Herr als Knecht‹ bringen ließe, denn wer herrschen will, muß auch dienen lernen.«

»Und wer Herr sein will, muß sich auch zu fügen wissen«, ergänzte der Fürst, während ein leichtes Rot sein Antlitz färbte. Er plauderte noch kurze Zeit mit den beiden Geistlichen, ließ sich die uralten Malereien über dem Altar und die Stelle zeigen, wo die eiserne Krone aufbewahrt worden war, und reichte sodann dem Bischof die Hand. »Nochmals meinen Glückwunsch, Eminenz«, sagte er; »möge Ihr Schaffen und Wirken meinem Volk und Lande neuen Segen bringen!«

Dann verabschiedete er sich auch von dem Prior und ging, um draußen seinen Wagen zu besteigen. Mac Lewleß nahm ihm gegenüber Platz.

»Du hast mit dem Bischof gesprochen, Gerald? Ich merkte es. Was war der Erfolg?«

»Vergessen des Bösen«, antwortete der Adjutant, »und das Bewußtsein, das Gute zu wollen.«


Der Sommer verrann. Er brachte drohende Wolken, die sich aber immer wieder glücklich zerteilten. Die Frage des Natschali-Passes hatte sich Anfang August, als die Manöver beginnen sollten, gefährlich zugespitzt. Es hatte den Anschein, als suche man im Suevenreiche nach einer Ursache, Illyrien in Händel zu verwickeln. Die Gegnerschaft beider Lande war alt und hatte nach der Unabhängigkeitserklärung Illyriens an Schärfe gewonnen. Der dicke König Michael war ergrimmt auf den kleinen Nachbarfürsten, der ihm die Hegemonie in diesem Teile des Balkans zu rauben drohte. Schon zur Zeit Leopolds war drüben gewaltig gerüstet worden; jetzt hörte man von neuen Anleihen und einer abermaligen Vermehrung der Armee. Der apoplektische König selbst, der sich sonst am liebsten in durchsichtigem Inkognito in Paris, Monte Carlo oder Biarritz aufzuhalten pflegte, kam nicht mehr aus seiner knappen Uniform heraus und hielt eine Revue über die andere ab. Illyrien wurde mit suevischen Agenten überschwemmt. Ein paar Spione hatte Fürst Emic bereits aburteilen lassen; die Spionagegesetze wurden verschärft, der Grenzverkehr wurde einer besseren Kontrolle unterworfen – trotzdem erfuhr man von immer neuen Verrätereien. Sie durchliefen gewöhnlich dieselben Kanäle und endeten am Ausgangspunkt: im Geheimbureau des auswärtigen Nachrichtendienstes der suevischen Regierung, an dessen Spitze Herr von Polzien berufen worden war.

Diese Tatsache allein glich einer Provokation. Aber sie war nichtsdestoweniger ein kluger Schachzug König Michaels. Polzien hatte in Illyrien noch immer tausend Fäden in der Hand; seinen zahlreichen Verbindungen war kaum auf die Spur zu kommen. Er hatte in sechsjähriger Wühlarbeit die politischen und sozialen Verhältnisse und Hilfsquellen, die Stärken und Schwächen des Landes genau kennengelernt; er war der beste Verbündete Sueviens.

Noch einmal löste sich die Spannung. Es schien, als sei drüben noch nicht alles in rechter Ordnung, als habe man gewichtige Gründe, noch mit dem Beginn offener Feindseligkeit zu warten. Tiefe Ruhe trat ein. Eine gemeinsame Kulturarbeit, für die die Anregung von der illyrischen Regierung ausging: ein Tunnelbau an den Grenzen beider Länder, wurde in Suevien willkommen geheißen und sofort in Ausführung genommen. In einem Handschreiben beglückwünschte König Michael seinen fürstlichen Bruder und Nachbarn zu der großen Idee und versicherte ihn seiner unwandelbaren Freundschaft...

Nach beendetem Manöver erkrankte der Fürst. Es war nichts Gefährliches; er hatte keine Schmerzen, aber er fühlte sich nervös abgespannt. Der Leibarzt drängte darauf, Emich möge die politische Stille zu einer Reise in die deutsche Heimat benützen; schon das Fernsein vom Regierungsapparat und die Abwechslung werde ihm gut tun. Doch davon wollte der Fürst nichts wissen; er wünschte, im Lande zu bleiben. Schließlich kam er selbst auf einen guten Gedanken, der aber geheim gehalten werden sollte: nur der Leibarzt wurde in das Vertrauen gezogen und billigte ihn.

Der alte Veresco weilte auf seinem Weinbergschlößchen Madedje, das von Garica aus mit der Bahn in drei Stunden zu erreichen war. Ohne sich vorher anzusagen, fuhr der Fürst in Begleitung von Maffeo und Mac Lewleß eines Vormittags nach Madedje hinüber, wo man den Ministerpräsidenten in der Brennerei aufsuchen mußte. Der Alte schaute zu, wie Sliwowitz fabriziert wurde.

Er war sehr erstaunt über den unerwarteten Besuch und führte ihn sofort in das Schlößchen zurück, wo auf der Terrasse ein Frühstück serviert wurde. Hier saß es sich prächtig, unten Rebengrün, hoch oben der heitere Himmel.

»Liebster Marquis,« begann Emich zwischen Fettammern und Rehrücken und zwischen dem grünlich schimmernden Wein der heimischen Berge und dem Mousseux des Pommery, »liebster Marquis, ich habe ein Anliegen an Sie.«

»Ich werde mich glücklich schätzen, es Ihnen erfüllen zu dürfen, Durchlaucht.«

»Ich möchte mir auf zwei, drei Wochen Urlaub von Ihnen erbitten.«

Veresco lachte.

»O, Durchlaucht – sind Sie nicht selbst der Herr im Lande!?«

»N – nicht so ganz, Veresco; ich habe auch Ketten an den Füßen. Aber ich möchte sie einmal ablegen. Ich möchte einmal völlig frei sein. Möchte einmal wieder Schöningh sein und nicht Fürst Emic.«

»Durchlaucht, Sie geben mir Rätsel auf –«

»Also ernsthaft. Ich bedarf einer Erholung. Doktor Radoj wollte mich nach Deutschland schicken. Aber ich habe eine bessere Idee. Offiziös werde ich nach Deutschland reisen – tatsächlich will ich jedoch in Illyrien bleiben, um mir einmal unter der Maske eines Staatenbummlers mein Land ein wenig genauer anzuschauen, als es mir bisher möglich war. Was meinen Sie dazu?'

Der Marquis hatte den Champagnerkelch in der Hand und sah mit seinen roten, wimperlosen Augen dem Steigen und Fallen der Schaumperlen zu.

»Hm... ja... Durchlaucht, Pardon – die Idee ist oder scheint mir ein ganz klein wenig abenteuerlich –«

»Gewiß,« fiel Emich ein, »gebe ich auch ohne weiteres zu. Was schadet das!? Ich habe schon im Kadettenkorps allerhand romantische Harun-al-Raschid-Pläne geschmiedet – jetzt möchte ich sie ausführen. Ich kenne nichts von Illyrien als die Eisenbahnwege und die geraden Straßen und die paar Städte, die ich auf meiner ersten feierlichen Rundtour besuchte. Aber das flache Land und die Berge und Dörfer, das alles ist mir noch fremd und gehört doch auch mit zu meinem Reiche! Kenn' ich das Volk, ich meine das draußen? Nein, Veresco – aber ich sehne mich darnach, das Volk einmal bei seiner Tätigkeit beobachten, es aus freiem Herzen heraus lachen, klagen und plaudern zu hören! Herrgott, ist denn das alles nicht ganz verständlich?«

»Ja, Durchlaucht,« entgegnete Veresco, »und ich würde Ihnen auch ohne weiteres zurufen: schnallen Sie die Tarnkappe um und reisen Sie in Gottes Namen los – wenn ich nicht, ich muß es aussprechen, Ihr Temperament fürchtete. Lassen Sie mich das ruhig sagen, Durchlaucht, es ist ein sehr Getreuer, der neben ihnen sitzt... Sie werden da unten im Lande mancherlei zu sehen und zu hören bekommen, was Ihnen unbegreiflich erscheinen dürfte, und Sie werden in Zorn und Aufregung geraten und statt der Erholung, die Sie suchen, nur neuen Ärger finden. Das ist meine einzige Sorge.«

»Ich glaube, sie ist grundlos, Veresco. Ich werde weise sein wie der selige Harun al Raschid selbst und nicht einmal mit der Wimper zucken, wenn man mir sagt, Fürst Emic und seinen ersten Minister – man müsse sie beide hängen ... Keine so finstere Miene, Marquis! Wahrhaftig, schon bei dem Gedanken an diese Fahrt durch das Land klopft mir das Herz lustiger! Maffeo und Gerald, sitzt nicht so stumm da – sprecht auch einmal ein Wort zu meinen Gunsten!...«

Und nun begannen die beiden mit großer Lebhaftigkeit ihren Herrn und Freund zu unterstützen. Keiner weiter wußte um das Geheimnis der geplanten Reise als der Leibarzt und sie selbst. Alles war vorbereitet und reiflich erwogen worden. Nur Mac Lewleß sollte den Fürsten begleiten. Man wollte bis zur Grenze fahren und von dort aus, unter der Maske zweier Illyrien bereisender deutscher Gelehrten, quer in das Land hinein – zu Wagen, zu Pferde und zu Fuß, wie die Verhältnisse es mit sich bringen würden. Maffeo als Chef des Innern sollte in Garica zurückbleiben und die laufenden Regierungsgeschäfte erledigen. Ihm würde man auch ein Verzeichnis der Haltstationen überlassen, damit der Fürst im Falle der Not jederzeit zu erreichen wäre ... Gerald und Maffeo wußten, mit welcher Leidenschaft der Fürst an seiner Idee hing, und verteidigten sie schließlich mit solcher Lebendigkeit, daß Veresco sich lachend die Ohren zuhielt und ausrief:

»Ich höre ja, Herrschaften, ich hör' noch ganz gut! Durchlaucht, ein paar bessere Anwälte hätten Sie nicht mitbringen können!... Also, ich sage ja und amen ...« Einen Moment schwieg er und fragte sodann, sich hastig an den Fürsten wendend, mit einem Aufblitzen in seinen klugen dunkeln Schakalaugen: »Und wenn ich nein gesagt hätte, Durchlaucht?«

»Dann« – eine rasche Wolke flog über Emichs Stirn – »würden Sie zweifellos so gewichtige Gegengründe angeführt haben, daß Sie mich überzeugt hätten, lieber Marquis. Geben Sie mir Ihre Hand!«

Veresco drückte fest die Rechte des Fürsten.

»Ah, Durchlaucht,« sagte er seufzend, »es ist so schwer, Ihnen etwas abzuschlagen! Sie sind ein Schöningh, wie Ihr Vetter Fürst Leo es war. Aber neben seiner hinreißenden Liebenswürdigkeit und dem köstlichen Glück seiner Jugend besitzen Sie noch etwas, was er nicht besaß: Charakter. Und das...« Er brach ganz plötzlich ab, als besinne er sich auf die gefährliche Äußerung, die ihm auf der Zunge lag, und fuhr erst nach kleiner Pause wieder langsamer, gleichsam Wort auf Wort abwägend, fort: »Durchlaucht, es ist wahr, man kann Ihnen schwer etwas abschlagen. Gebe Gott der Herr, daß ich es nach Pflicht und Gewissen niemals muß... Und nun glückauf zur Reise ins Land!...«

Maffeo bat um die Erlaubnis, den Nachmittag über in Madedje bleiben zu dürfen. Sein Vater hatte es gewünscht; es gab noch mancherlei zu besprechen.

Der Marquis nahm Maffeo nach der Verabschiedung des Fürsten in sein Arbeitszimmer und bot ihm eine Zigarre an.

»Setz' dich, mein Junge,« sagte er, »und hör' zu. Ich halte diese Herumreiserei für einen übermütigen Streich, der hoffentlich gut ablaufen wird, der aber zweifellos auch seine Gefahren hat. Den beiden jungen Leuten kann wer weiß was zustoßen –«

»Sie werden ein paar gute Revolver mit auf den Weg nehmen, Papa –«

»Ah bah, unsre Strolche fürchten sich gerade vor einem Revolver! Ein Zufall kann unermeßliches Unglück herbeiführen – denke an Leopold! Ich will den Fürsten wenigstens geschützt wissen. Morgen früh fahre ich persönlich zu Novokowicz. – Seine Geheimpolizei ist außerordentlich tüchtig, und auch auf ihre Verschwiegenheit kann man sich verlassen. Der Fürst soll nicht einen Schritt tun, ohne von unsern Leuten beobachtet und geschützt zu werden.«

Maffeo fuhr zurück.

»Vater – der Fürst wird außer sich sein, wenn er das erfährt!« rief er.

»Ich werde dafür Sorge tragen, daß er dies nicht erfährt.«

»Aber es kann dennoch sein. Es ist so leicht möglich ... Du spielst mit der Ungnade!«

Veresco erhob den Kopf. Seine Stirn schwoll an.

»Glaubst du, daß ich die Ungnade fürchte?« fragte er fast drohend. »Und hältst du den Fürsten für so klein, daß er mich leichter Hand zur Seite schieben könne, weil ich besorgt um ihn bin? – Nein, mein Junge, eine Lappalie trennt uns nicht!...« Er änderte seinen Ton. »Hast du das Itinéraire der Reise zufällig bei dir?«

»Ja, Papa. Durchlaucht hat es mir erst unterwegs zugesteckt ...« Er zog ein Papier aus seinem Portefeuille, entfaltete es und reichte es Veresco. Es enthielt die Route, die man einschlagen wollte mit Angabe der Aufenthaltsstationen; auch ein Kroki war beigefügt.

Veresco las halblaut vor:

»Kloster Losnicz – die Ruriker Berge bis Atta – Alerinac – den Jadak hinab bis zur rumänischen Grenze – die Silberwerke von Duscha – Bad Krotowo ...« Er blickte auf, strich über seine Stirn, wiederholte noch einmal das Wort »Krotowo« und erhob sich sodann, um an den riesigen Schrank zu gehen, der eine ganze Breitseite des Zimmers füllte. Dieser Schrank war in Fächer eingeteilt, die auf Elfenbeinknöpfen die Buchstaben des Alphabets trugen. Das war die wichtigste Hinterlassenschaft, die Maffeo einst zufallen sollte: der Schrank enthielt die Geheimpapiere des alten Veresco von jener Zeit ab, da er eine führende Rolle in Illyrien zu spielen begann.

Der Marquis schloß eines der Fächer auf, die in anscheinend mustergültiger Ordnung gehalten waren, und entnahm ihm einige Papiere, die er durchblätterte. Dann nickte er zufrieden, legte die Papiere in das Fach zurück, verschloß es wieder und setzte sich von neuem an den Schreibtisch.

Lächelnd sah er seinen Sohn an.

»Ich habe nichts mehr gegen diese abenteuerliche kleine Reise,« sagte er, »– im Gegenteil... Aber Novokowicz werde ich dennoch benachrichtigen – jetzt erst recht!«

Maffeo zog die Achseln hoch und schüttelte den Kopf. Er verstand nicht.

»Papa – darf ich nicht wissen –«

»Nein, mein guter Junge«, fiel Veresco ein; »es gibt Dinge in Illyrien, die der Minister des Innern – die auch der Fürst selber nicht zu wissen braucht. Es genügt, daß ich sie kenne... Aber ich denke, du wirst mir zutrauen, daß ich sowohl gegen den Minister des Innern wie gegen den Fürsten keine – bösen Ränke spinnen werde.«

Lachend küßte Maffeo seinem Vater die Hand.


 << zurück weiter >>