Fedor von Zobeltitz
Besser Herr als Knecht
Fedor von Zobeltitz

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I

»Je bois à la santé de Sa Majesté l'empereur d'Allemagne et roi de Prusse et à la santé de l'impératrice et reine! ...«

Der Schah sprach diesen kurzen Toast mit ziemlich leiser Stimme, so daß ihn nur die umsitzenden hohen Herrschaften verstehen konnten. An den entfernteren Tischen reckte man die Hälse. Ein paar Kammerherrn flüsterten sich mit ernst bleibenden Gesichtern boshafte Bemerkungen zu, und ein junges Mädchen, das erst bei der letzten Cour am Hofe eingeführt worden, kicherte verstohlen in ihre Serviette hinein.

Es war noch zu Zeiten des alten Kaisers. Der reiselustige Beherrscher von Persien hatte die Reichshauptstadt mit seinem Besuche beehrt und, um ihn zu feiern, fand im Weißen Saale des Schlosses eine große Galatafel statt. Der Weiße Saal glänzte damals noch nicht in der blendenden Helle der elektrischen Kronen. Aber die vielen Hunderte von Wachskerzen, die auf den Lüstern flammten, erhöhten doch den vornehmen Eindruck des Ganzen und tauchten den Plafond des riesigen Prunkraumes in ein Meer von rosigem Lichte, das dem Auge wohltat, wenn man den vom Farbenflimmer ringsum müde gewordenen Blick erhob.

An der Tafel der Majestäten reihte sich Fürstlichkeit an Fürstlichkeit mit den Trägern berühmter Namen. Da sah man die Siegfriedserscheinung des Kronprinzen, noch stolz, kraftvoll und unberührt von dem Gifthauche jener dämonischen Krankheit, der er erliegen sollte, als ihn kaum das Diadem der Kaiserwürde schmückte – und ein paar Plätze weiter den Prinzen Friedrich Karl in seiner roten Attila, wie er soeben das Sektglas erhob, um seiner ältesten Tochter freundlich zuzutrinken, der Prinzessin Elisabeth, die neben dem Herzog Elimar von Oldenburg saß. Da sah man auch noch die meisten der Paladine des alten kaiserlichen Herrn – den schweigsamen Moltke mit seinem ausdrucksvollen Cäsarenkopf, Roon, Manteuffel, Göben und den gewaltigen Eisenfresser Steinmetz mit seiner schönen blutjungen Gattin. Nur Bismarck war daheim in seinem Sachsenwalde geblieben; die Neuralgie plagte ihn wieder, und so hatte er darauf verzichten müssen, sich im Glanze Persiens zu sonnen.

Wirklich – Persien glänzte. Auf der Uniform des Schahs flammten die Brillanten, und die Brustseiten seiner Suite flammten nicht minder. Aber der exotische Gast schien trüber Stimmung zu sein. Unbekümmert um die Etikette des Hofes drehte er Brotkügelchen mit den nervös spielenden Fingern und richtete nur dann und wann einmal ein schläfriges Wort an seine kaiserliche Nachbarin. Von Zeit zu Zeit schien es, als übermannte ihn eine gewisse Müdigkeit; dann ließ er den Kopf sinken und machte kleine Augen, als ob er ein Viertelstündchen einschlummern wollte – zuckte aber wieder empor, schaute sich halb ängstlich um und griff von neuem nach dem Champagnerglase. Das tat er häufig; Mohamed hat zwar den Wein verboten, aber für den vornehmen Muselmann gilt der Traubensaft, der auf der kreidigen Ebene der Champagne reift, nur als eine Art moussierendes Wasser.

Hinter dem Sessel des Schahs standen, wie hinter den Plätzen der meisten Fürstlichkeiten, zwei Pagen in weißen Kniehosen und roten, goldgestickten Schoßröcken. Das waren zwei Selektaner des Kadettenkorps und zugleich zwei Freunde, der eine siebzehn- und der andere achtzehnjährig, prachtvoll gewachsene Jungen mit frischen Gesichtern und hellen verwunderten Augen, ein blonder und ein brünetter. Der Blonde hieß Emich mit Vornamen und war ein Reichsgraf von Schöningh-Stubbach und der Brünette ein Freiherr von Sassenhausen. Sie standen dicht vor dem Offiziersexamen und waren zum letztenmal zum Pagendienst herangezogen worden. Eine willkommene Abwechslung für die beiden Junker in dem Einerlei des Kadettenlebens! Und nun noch zu allem Pagendienst bei dem persischen Kaiser, dem König der Könige, dem Schah-en-Schah, dem vierten Souverän aus der berühmten Dynastie Kadschar! Dies letztere hatte Sassenhausen ergründet, der in den Gothaer Almanachen besser Bescheid wußte als Schöningh, obwohl Schöningh selbst im Hofkalender paradierte und sogar in der ersten Abteilung, wie Sassenhausen von seinem Freund und Duzbruder gern renommierend zu betonen pflegte. Alle übrigen Kadetten der Stuben drei und sieben von der zweiten Kompagnie beneideten die beiden, denn es war gewiß, daß der Schah seinen Pagen als Andenken und Erinnerung zum mindesten eine mit Perlen und Diamanten besetzte goldene Taschenuhr schenken würde. Mit einer ähnlichen Uhr prahlte nämlich der kleine Pahlen, der Page beim Kaiser von Rußland gewesen war, als dieser im Jahre zuvor Berlin besucht hatte. Der phantastische Sassenhausen träumte sogar von einem Orden; es gäbe sehr schöne Orden im persischen Reiche, meinte er, und da sie durchweg in Brillanten gehalten seien, ließen sie sich auch praktisch verwerten.

Aber die Hauptsache blieb doch immer die Abwechslung. Das Kadettenkorps bot keine. Da ging alles nach der Uhr und maschinenmäßig. Früh um sechs aufstehen, dann in den Feldmarschallsaal zum Frühstück, wo aus Mehlsuppe und Weißbrot der übliche »Pamps« fabriziert und verspeist wurde. Und dann der Unterricht: für die Selektaner, die Offiziersaspiranten, Taktik und Waffenkunde, Heerwesen, Fortifikation und Armeegeschichte. Das war ebenso belehrend als langweilig, denn im Grunde genommen war man sich in der ganzen Selekta klar darüber, daß es zum Leben nicht notwendig sei, zu wissen, wie lang, breit und hoch eine Faschine sein müsse oder wie niedrig ein spanischer Reiter allerhöchstens sein dürfe. Indessen das Examen verlangte diese Kenntnis, und der Examinator kümmerte sich nicht um die Lebensansichten des einzelnen. Der Nachmittag war schon amüsanter: Turnen, Fechten, Reiten, militärische Übungen – das war immerhin erträglicher. Und dann die Arbeitsstunden und der langweilige Abend und das ewige Trommeln, das den Schlag der Uhr ersetzte, und die öden Spaziergänge auf dem Karreehofe – auf und ab und ab und auf und im Kreise herum wie junge Leuen im Käfig! Lichtblicke waren nur der Sonntag und das Lazarett: der Sonntag mit Josty und den Verwandten in der Stadt, und das Lazarett mit seinen warmen Betten und der verbesserten Kost.

Wahrhaftig – da sehnte man sich nach Abwechslung! Sassenhausen wollte radschlagen, als ihm der Befehl zuging, sich beim Pagenhofmeister zu melden. Schöningh blieb gemessener. Er war bisher Leibpage des Kaisers gewesen und faßte seine Überweisung an den persischen Gast nicht als sonderliche Ehre auf. Er ärgerte sich im stillen sogar darüber. Er war nicht hochmütig, aber schließlich gehörte er einem regierenden Geschlecht an, wenn auch einem ganz kleinen, und es wurmte ihn, einen mohammedanischen Fürsten bedienen zu müssen. Er dachte sogar ernstlich daran, mit seinem Kompagniechef zu sprechen, ob es nicht möglich wäre, ihn von seinen Pagenpflichten zu entbinden, dachte auch daran, im letzten Augenblick krank zu werden – aber schließlich siegte doch die Neugier und der Reiz der Abwechslung über das gekränkte Legitimistenempfinden.

So ein dienstfreier Tag war gar zu schön. Zuerst kamen die Instruktionen des Pagenhofmeisters an seine rote Garde: die Belehrungen über die Anrede der Fürstlichkeiten und über die Eigentümlichkeiten des Dienstes, das Schleppetragen bei den Prinzessinnen (das mittels Bettlaken eingeübt wurde) und das Präsentieren (bei dem während der Vorbereitung eine Waschschüssel das Silberservice ersetzen mußte). Und dann die Einkleidung in Eskarpins und Schoßrock, das Kräuseln und Pudern des Haars, das Binden der spitzenumsäumten Halstücher und das Fälteln der Jabots. Dabei wurde Unfug genug gemacht, so daß die bei der Toilette behilfliche rundliche Gattin des Pagenhofmeisters und der Friseur nicht aus dem Lachen herauskamen. Schließlich fuhren draußen vor dem Hauptportal die königlichen Wagen vor, die Pagen abzuholen. Im Schlosse wurde zunächst im Marschallsaal diniert. Alle Hochachtung – da speiste man besser als im Kadettenkorps! Und Wein gab es auch, aber nicht gerade in Fülle, denn es war früher einmal passiert, daß ein Page, der zu viel des Guten getan, die Schleppe seiner Prinzessin wie einen Pferdezügel behandelt hatte, so daß die Hoheit beinahe zu Falle gekommen wäre. Nach beendeter Tafel traten die diensttuenden Zeremonienmeister an die Stelle des Pagenhofmeisters und wiesen den Pagen die Plätze an. Schöningh und Sassenhausen wurden in den Weißen Saal geführt, wo ein alter Lakai sie respektsvoll begrüßte und sich als ihr Amanuensis vorstellte. Er hatte den beiden Junkern die Schüsseln zu reichen, die sie wiederum ihrem Fürsten zu präsentieren hatten. Ein närrisches Ehrenamt! Anfänglich wollte das Dynastenblut Schöninghs abermals ein klein wenig rebellieren. Ein Lakaienamt dieser Ehrendienst – und dazu wählt man nur junge Edelleute! Lakaienamt hin, Lakaienamt her – auch die Zeremonienmeister und Kammerherren sind schließlich nichts als Bediente und die Hofdamen so eine Art Zofen; alles knixt, dienert und wedelt und tut devotest und untertänigst – der ganze Hof ist eine Erziehungsanstalt für Lakaien ... Emich Graf Schöningh, wie kommen so demokratische Gedankensplitter in deine monarchisch-konservative Seele?! – Emich Graf Schöningh wußte es selbst nicht; er hatte zuweilen bei aller Milde seiner jungen Seele Anwandlungen kaustisch-ironischer Kritiksucht, und diese gewaltige Dienerei und Bedienerei ringsum dünkte ihn recht wenig adlig...

Und nun erdröhnten die drei Schläge des Zeremonienstabs, und der Zug der hohen Herrschaften flutete in den Saal. Ein langer Zug, glänzend und vielfarbig, eine in hellem Lichte schillernde Riesenschlange. Hinter den Fürstlichkeiten in buntem Gekräusel die geladenen Gäste: eine Unmasse Generäle und hohe Hofchargen und eine Girlande von Damen, jungen und älteren. Die Toiletten knisterten und rauschten, und im Geschmeide und den Ordensdekorationen und den Monden der Epauletten, den Kandillen und Fangschnüren, all dem blitzenden Blendwerk, sprühten die Reflexe der tausend Lichter.

Hie und da winkte ein Bekannter Schöningh zu. Prinz Otto Waldegg, der im letzten Jahre Offizier geworden war, rief ihm im Vorüberschreiten ein halblautes »n' Tag, Vetter« entgegen. Emich fand, daß Waldegg zu klein sei für die Garde-Kürassier-Uniform; auch stecke er immer noch in den Schultern. Da scholl ein zweites »n' Tag, Vetter« zu ihm herüber, diesmal von schönen Lippen. Emich wurde es warm um das Herz. Die Cousine Ruth hatte schon Eindruck auf ihn gemacht, als er noch in der Sexta saß. O Gott, und wie schön sah sie wieder aus! Emich hob sich ein wenig auf den Zehen – ihr schneeweißer Nacken, den eine Perlenschnur schmückte, blinkte noch in der Entfernung. Wer führte sie nur? Ein langer schwipper Mensch in Malteseruniform – herrjeh, war das nicht der Kottauer Rietzow, der so fromm war, daß er sich lange überlegt hatte, ob er nicht dem Majorat entsagen und die Weihen nehmen sollte?! ... Da kam auch der alte Graf Wiegel, der Vater Ruths – genau so, wie Emich ihn seit seiner Kindheit kannte: kerzengerade wie ein Lineal, mit graugrünen Favoris und einer Hahnentolle. Drei Paare hinter ihm die Gräfin am Arme eines Generals – auch noch die alte: mit ewig lustigem Gesicht und den gutmütigen Augen, dick und ein wenig ungeschickt in den Bewegungen und stark dekolletiert. Sie war die einzige Schwester von Emichs Vater und hatte den früh Verwaisten erziehen helfen. Emich hätte sie gern begrüßt, doch sie sah ihn nicht; der General schien sie gut zu unterhalten, denn sie lachte, das breite, liebe Lachen, das Emich an ihr kannte.

Jetzt winkte wieder einer, lebhaft und ausdrucksvoll, mit der linken Hand, die den abgezogenen Militärhandschuh hielt. Schöningh blieb steif stehen und neigte nur tief den Kopf. Innerlich wunderte er sich, daß Fürst Ferdinand heute Uniform trug. Das tat er ungern, da er nur Oberstenrang besaß und man es bisher Allerhöchsten Orts geflissentlich »vergessen« hatte, ihn standesgemäß zu befördern. Fürst Ferdinand von Schöningh-Stubbach war der Chef des Hauses und das Haupt der regierenden Linie. Emich konnte ihn nicht leiden, aus keinem anderen Grunde, als weil er wußte, daß sein verstorbener Vater in Erbschaftssachen ärgerliche Streitigkeiten mit ihm gehabt hatte. Wie kam denn der Fürst nach dem verhaßten Berlin? Wurde auf der Stubbach-Feste einmal gründlich reingemacht? –

Es war keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Der Dienst begann. Die beiden Pagen hinter Seiner Majestät dem Schah mußten scharf aufpassen. Die persische Majestät achtete zuweilen minutenlang nicht auf die ihr gereichte Schüssel, und die Schüssel war schwer und der Arm wurde lahm. »Hol's der Teufel«, fluchte Emich in der Tiefe seiner Seele. Sassenhausen hatte es besser. Der hatte nur Wein einzuschenken, und das war eine Kleinigkeit. Es war ein Glück, daß so schnell serviert wurde. Trotz der Unmasse Gerichte war man schon nach Verlauf einer Stunde beim Dessert angelangt. Nun geschah etwas Merkwürdiges. Die Prinzen und Prinzessinnen häuften außerordentlich viel Konfekt, Bonbonnieren und Früchte auf ihre Teller, und dann nahmen sie die Teller und reichten sie den hinter ihnen stehenden Pagen. Und die Junker machten vergnügte Gesichter und packten ihre süßen Geschenke in die eigens zu diesem Zweck mit Leder ausgefütterten Taschen ihrer weitschößigen roten Röcke.

Sassenhausen sah dies und neigte sich ein klein wenig zu Schöningh hinüber.

»Nun bin ich doch neugierig,« flüsterte er, »ob ...«

Da machte der Schah eine Bewegung. Er knackte sich Nüsse auf. Und dann aß er einen Fondant und dann noch einen ... Aber er machte keine Anstrengung, seinen Pagen den ihnen zukommenden Tribut zu zollen.

Sassenhausens Gesicht wurde lang sehr. ›I du Donnerwetter,‹ stand deutlich auf seinen Zügen zu lesen, ›der vierte Souverän aus der Dynastie Kadschar vergißt uns!‹ ... Und so war es auch. Die persische Majestät kannte die Sitte nicht, und Allerhöchst ihre Pagen gingen leer aus. Das ärgerte die beiden jungen Herren.

An die Tafel schloß sich eine kleine Defiliercour. In langem Halbkreise umstanden die Pagen die Sessel der Majestäten und des fremdherrlichen Potentaten. Der Zug der Gäste defilierte vorüber. Unter den neu vorgestellten Damen befand sich auch die Komtesse Ruth von Wiegel. Nun sah Emich sie dicht vor sich, wie sie bei der Verbeugung tief herniederrauschte. Welche stolze Schönheit! Sie stand in gleichem Alter mit Emich, aber ihre hohe stattliche Figur und die köstlich reife Fülle der Formen ließen sie älter erscheinen. Das Antlitz erschien in der vollendeten Regelmäßigkeit seiner Züge fast ein wenig streng, doch wenn die Komtesse lächelte, löste sich diese klassische Strenge in anmutigsten Liebreiz auf. Eine leichte Röte flog über ihre Wangen, als der Kaiser einige liebenswürdige Worte an sie richtete. Er sagte, er freue sich, die Tochter seines lieben Grafen Wiegel bei Hofe begrüßen zu können, und hoffe, sie häufig wiederzusehen. Diese letzte Bemerkung schien eine Anspielung zu enthalten. Die Kronprinzessin, die den Grafen noch aus London her kannte, wo er seinerzeit der preußischen Gesandtschaft zugeteilt war, hatte gelegentlich den Wunsch ausgesprochen, die Komtesse als Hofdame um sich zu wissen; aber Ruth besaß ein zu stark ausgeprägtes Persönlichkeitsgefühl, um sich mit goldenen Fesseln belasten zu lassen, und die Mama hatte daher eine fromme Lüge für ihr Fortbleiben ersinnen müssen ... Über die weißen Schultern der zum zweiten Male zu tiefem Hofknix niederrauschenden Komtesse hinweg flog der Blick Schöninghs weiter. In der Reihe der noch harrenden Gäste sah er wieder die lange, hagere Gestalt des Grafen, die schmale Brust umschlottert von der goldbeladenen Kammerherrnuniform und auf dem gelben Gesicht mit den wehenden Kotelettenbärten den Ausdruck stolzen Triumphes. Neben ihm stand der Fürst Ferdinand und flüsterte ihm etwas in das Ohr, und Wiegel nickte dazu, lächelte und zuckte mit den Schultern.

Endlich war auch die Cour beendet. Der Perser mit seinem Gefolge verabschiedete sich unter großen Zeremonien, und dann schritt das Kaiserpaar die Linie der Pagen hinab, an diesen und jenen noch ein freundliches Wort richtend. Auch Emich gehörte zu diesen Glücklichen.

»Sieh da, lieber Schöningh,« sagte der kaiserliche Herr, für einen Augenblick stehenbleibend, »ich habe Sie heute vergeblich hinter meinem Stuhl gesucht – und nun sehe ich, daß Sie doch anwesend sind ... Wo haben Sie denn gesteckt?«

Emich stand straff und soldatisch vor dem Kaiser.

»Ich war zu seiner Majestät dem Schah befohlen, Majestät«, antwortete er.

»Zum ... ja, du lieber Gott, aber warum?... Ich habe Sie doch absichtlich zu meinem Leibpagen designiert ... Lieber Graf Perponcher, man soll mir doch meine Pagen belassen ... Es sind ja doch noch mehr da... Sie stehen vor dem Examen, Schöningh?«

»Zu befehlen, ja, Majestät.«

»Na ... und werden gut bestehen? –«

»Ich hoffe sicher, Majestät.«

»Zu welchem Regiment haben Sie sich gemeldet?«

»Regiment Kronprinzen-Kürassiere, Majestät.«

Der Kaiser nickte freundlich. »Freut mich, Graf Schöningh,« sagte er, »freut mich ... Ich sehe Ihren Herrn Vater noch in dem weißgrünen Koller vor mir, als er sechsundsechzig wieder unter die Fahnen trat. Eifern Sie ihm nach, lieber Schöningh, werden Sie auch ein so Getreuer wie er! ...«

Der kaiserliche Herr nickte nochmals und schritt weiter.

Hinter ihm hatten die Zeremonienmeister die Köpfe zusammengesteckt. Wer hatte die Eselei begangen, dem Kaiser seinen Leibpagen fortzunehmen und dem fremden Gast zuzuerteilen? – Es wußte niemand; der Oberhofmarschall rümpfte gewaltig die Nase und beschloß eine weitreichende Untersuchung. Die Kammerherren zeigten entrüstete Mienen. Nur die Komtesse Ruth Wiegel schien sich heimlich zu amüsieren. Verhaltener Spott und ein leichtes Lächeln zuckte um ihren Mund.

Noch einer war ärgerlich, aber er zeigte es nicht: der Fürst Ferdinand. Er war sechsundsechzig leidend geworden und nicht mit in den Krieg gezogen. Das Leiden war nur vorgeschoben; er verurteilte diesen brudermörderischen Feldzug. Und obwohl er sich im Jahre siebzig mit an die Spitze der freiwilligen Krankenpflege gestellt und im Wohltuen erschöpft hatte, konnte man ihm Allerhöchsterseits das Benehmen von sechsundsechzig nicht vergessen; das mochte auch der Grund sein, daß er in der Rangliste noch immer als Oberst à Ia suite der Armee geführt wurde.

Doch wie gesagt: der Fürst war zu klug, seinen Ärger zu zeigen. Als die hohen Herrschaften den Saal verlassen hatten, löste er sich aus dem Gefolge und begrüßte Emich.

»n' Tag, lieber Emich«, sagte er. »Ciel, was bist du groß geworden! Heinz und Leopold müssen sich beeilen, wenn sie dir nachfolgen wollen. Die Jungen wollen nicht wachsen ... Also du steigst demnächst in das Offiziersexamen? – Wann?«

»Mitte April, Durchlaucht«, erwiderte Emich kühl.

Der Fürst warf den Kopf zurück.

»›Durchlaucht?‹ – nana – ich bitt' es mir aus, Emich! Für dich bin ich noch immer der Onkel Ferdinand ... Mußt uns mal in Stubbach besuchen, wenn du erst die Epauletten auf der Schulter hast. Man kommt ja ganz auseinander ...«

Er wandte sich hastig um: die Wiegels waren näher getreten. Es gab eine neue Begrüßung. Die Gräfin genierte sich nicht, umarmte Emich und küßte ihn in ihrer derben Weise gehörig ab, nannte ihn »mein Dickerchen« und fragte ihn, ob er noch immer so gern wie früher gebackenen Schinken mit Rührei esse. Ruth lachte und meinte, das sei doch eigentlich keine Frage auf kaiserlichem Parkett. Im übrigen werde Vetter Emich ja in den Examenferien, während der sogenannten »Weidezeit«, nach Stenzig kommen, und da könne die Mama ihrem herzlieben Dickerchen alle Tage ein anderes Leibgericht kochen... Der leicht hochmütige Ton, in dem Ruth dies alles sagte, verletzte Emich; sie hatte es an sich, ihn von oben herab, so ein wenig als guten dummen Jungen zu behandeln. Emich stellte Sassenhausen vor. Die Gräfin fand sofort eine Verwandtschaft der Wiegels mit den Sassenhausens heraus. Das war ihre Stärke; wenn man sie hörte, mußte man annehmen, daß die Wiegels mit aller Welt von Adel verschwägert und vervettert waren. Schließlich traten auch noch Herr von Rietzow und Prinz Waldegg an die Gruppe heran und mischten sich in die Unterhaltung, bis die Komtesse in ihrer leicht schroffen und häufig unliebenswürdigen Art erklärte, die Familiensimpelei könne man ja im Hotel weiter betreiben: sie sei todmüde und friere.

Übrigens stürzte jetzt auch der Pagenoffizier herbei, Hauptmann von Döring, um seine Selektaner in Empfang zu nehmen und heimzuführen. Er hatte einen roten Kopf, denn der Oberhofmarschall hatte ihm die Schuld beigemessen, daß Schöningh nicht Page des Kaisers geblieben sei. Der ganze Mensch war in Verwirrung und Auflösung, fürchtete Allerhöchste Ungnade und fürchtete für sein Avancement, fürchtete vor allem einen Rüffel des Kadettenkorps-Kommandeurs, des wegen seiner knasternden Grobheit berühmten alten Peuken. Er fuhr mitten in die plaudernde Gruppe hinein, entschuldigte sich, wurde noch röter, stellte sich vor und bat dann salutierend den Fürsten Schöningh, seine Lämmer abführen zu dürfen.

Paarweise verließen die Pagen den Saal. Die Gräfin drückte Emich rasch noch einen kräftigen Kuß auf die Wange, und Fürst Ferdinand winkte grüßend mit der Hand. Ruth aber rief den Abgehenden nach: »Emich – Weidmannsheil für das Examen! ... Ihnen auch, Herr von Sassenhausen! ...«

Sassenhausen wollte einen untertänigsten Dank stammeln, besann sich jedoch, daß er schon wieder in Reih und Glied war. Herrgott, wie sehnte er sich nach den Epauletten! Noch drei Monate; hier die Einöde, drüben sonnendurchleuchteter Rosenhag, und zwischen beiden eine tiefe schwarze Kluft: das Examen. Sassenhausen seufzte tief auf.


In acht Hofwagen fuhren die Pagen nach der Neuen Friedrichstraße zurück, in der damals noch die Hauptkadettenanstalt lag. Schöningh und Sassenhausen saßen mit einem jungen Illyrier, Marquis Veresco, der in Deutschland erzogen wurde, zu dritt in einem Wagen.

»Weißt du, Schöningh,« sagte Sassenhausen, »daß ich mir die Sache anders gewünscht hätte?... An eine güldene Uhr mit Perlen und Diamanten ist gar nicht zu denken. Pfui Geier, nicht einmal unser Konfekt haben wir bekommen!...«

Der kleine gefällige Illyrier griff sofort in seine Taschen und holte ein paar Bonbonnieren hervor.

»Nehmen Sie, Sassenhausen,« bat er in seinem, noch immer ziemlich schlecht akzentuierten Deutsch, »und Sie auch, Graf Schöningh – ich bitte Sie! Prinz Albrecht hat mir zwei voll gehäufte Teller gegeben – ich weiß gar nicht, wo ich mit dem Zeug hin soll!«

Die beiden Freunde zierten sich erst ein wenig, dann nahmen sie und begannen auch gleich zu essen. Das konnte Veresco nicht sehen; er holte eine große Birne aus der Tasche und biß gleichfalls hinein.

»Nun hat die sogenannte Abwechslung wieder einmal ihr Ende erreicht«, begann Sassenhausen von neuem; »sie war freilich auch danach ... Ich wollte, ich hätte das Examen erst hinter mir.«

»Du brauchst doch keine Furcht zu haben, Saß!« meinte Emich.

»Äh – man kann Pech haben!«

»Wo wollen Sie eintreten, Sassenhausen?« fragte Veresco.

»Kronprinzen-Kürassiere – mit Schöningh zusammen. Wir sind schon angenommen. Die Kronprinzlichen haben Mangel an Offizieren. Und Sie, Veresco?«

»Ich soll zur Artillerie. Wenigstens zuerst; später komm' ich vielleicht auch noch einmal zur Reiterei. Ich muß mich den Wünschen meines Vaters fügen. Der ist Kommandant von Garica und ein berühmter Ingenieur – hat auch einmal eine neue Bombe erfunden, auf die er sehr stolz war. Aber als sie Midhat-Pascha, dem Gouverneur von Illyrien, vorgeführt werden sollte, platzte sie nicht. Papa hat sich damals fürchterlich geärgert.«

Schöningh lachte.

»Das glaub' ich. Was nützt eine Bombe, wenn sie nicht rechtzeitig platzt! Sagen Sie mal, kleiner Marchese, warum dienen Sie eigentlich nicht in Ihrem Heimatland?«

Veresco schüttelte ernst den Kopf.

»Das ging nicht an«, erwiderte er. »Illyrien steht unter türkischer Verwaltung, und mein Vater ist kein Türkenfreund, wenn er auch nach dem letzten unglücklichen Feldzug in Diensten blieb. Viele vornehme Familien Illyriens lassen ihre Söhne im Ausland dienen. Aber zu rechter Zeit finden wir uns doch wieder in der Heimat zusammen.«

»Wenn es wieder einmal ein Revolutiönchen gibt«, meinte Schöningh.

Der kleine bronzefarbene Ausländer nickte.

»Ja,« sagte er, »darauf warten wir alle. Die letzte Revolution war vor sechs Jahren. Nun wird wohl bald wieder eine kommen. Auf wenigstens eine Revolution binnen zehn Jahren können wir immer rechnen...«

Die beiden Preußen amüsierten sich über den ruhigen Ernst, mit dem Veresco dies sagte. Der Illyrier war sehr beliebt unter den Kameraden. Auch die Offiziere hatten ihn gern. Er war begabt und fleißig und von großer Gutmütigkeit. Es kam selten vor, daß er einmal zornig wurde; geschah dies aber, so geriet er in unbeschreibliche Wut. Er kannte sich dann selbst nicht. Bei einer solchen Gelegenheit hatte er einst mit seinem Taschenmesser einen armen Sekundaner verletzt. Zur Strafe erhielt er vierundzwanzig Stunden Arrest. Als er wieder entlassen wurde, umarmte und küßte er den Sekundaner und bat ihn kniefällig und tränenden Auges und unter Anrufung aller Heiligen um Verzeihung.

Die Wagen waren inzwischen in die Neue Friedrichstraße eingebogen und hielten vor dem Hauptportal des Kadettenhauses. Unter Plaudern, Lachen und Scherzen stiegen die Pagen aus und versammelten sich unter dem Torbogen. Es war spät geworden. Die Kadetten lagen bereits im Bett, nur in der Portierloge, wo der alte Hahnemann residierte, schimmerte Licht.

Hauptmann von Döring entließ die Pagen, behielt Schöningh aber noch zurück. Er begleitete ihn über den Karreehof nach seiner Kompagnie.

»Hören Sie, lieber Graf,« sagte er, »die Geschichte mit dem Schah ist mir recht unangenehm. Meinethalben hätten Sie beim Kaiser bleiben können – ich bin nicht schuld an der Abkommandierung. Nun will man mir alles aufbürden. Ja, zum Donnerwetter, ich führe doch nur die Orders aus, die ich erhalte! ... Hat sich denn auch Ihr Herr Onkel, der Fürst, darüber beschwert?«

»Gott bewahre, Herr Hauptmann«, erwiderte Schöningh. »Ich meine, die Sache ist nicht die ganze Rede wert –«

»Das sagen Sie! Ich aber hab' meinen Rüffel weg. Der Hofmarschall hat mich angeschnauzt, als ob ich ein Fähnrich wäre. Einen aus souveränem Hause kommandiere man nicht zum Schah als Pagen! ... Nun sagen Sie mir einmal ehrlich: Im Grunde genommen ist Ihnen das doch ganz schnuppe gewesen?«

»Ganz schnuppe, Herr Hauptmann. Aber daß man uns auch das Konfekt vorenthalten hat –«

Herr von Döring lachte. »Ich werde Sie zu entschädigen versuchen, Schöningh«, sagte er. »Soupieren Sie morgen abend bei mir. Nach der Arbeitsstunde und auf meinem Zimmer, wenn ich bitten darf.«

Schöningh schlug die Absätze zusammen und nahm dankend an. Dann ging er in seinen Schlafsaal, wo noch zwanzig andere schlummerten, und begann sich zu entkleiden. Dabei schaute er sich prüfenden Auges um, ob sich nichts Ungebührliches ereignet habe. Er war Brigadeältester und hatte auf Ordnung zu halten. Als er eben in das Bett steigen wollte, merkte er, daß man ihm einen umgekehrten Stiefelknecht unter das Laken gesteckt hatte. Einen Augenblick überlegte er, ob er zur Strafe die ganze Gesellschaft aufstehen lassen sollte. Aber das wäre grausam gewesen. Er zog den Stiefelknecht ruhig aus dem Bett und legte sich nieder...


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