Fedor von Zobeltitz
Besser Herr als Knecht
Fedor von Zobeltitz

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IV

Emich befand sich bereits gegen drei Wochen in Stenzig, als Graf Wiegel ihn eines Tages nach dem Diner bat, mit ihm auf sein Zimmer zu kommen.

»Was gibt's?« flüsterte Ruth ihrer Mutter zu; »hat Emich eine Dummheit gemacht?«

»Bewahre«, entgegnete die Gräfin kopfschüttelnd; »aber es ist Zeit, daß der Papa ihn einmal als sein Vormund über seine Verhältnisse aufklärt. Emich ist doch nun groß genug ...«

Im sogenannten Arbeitszimmer des Grafen herrschte die peinlichste Ordnung und Sauberkeit. Eine Reihe von Papieren lag auf dem Schreibtisch symmetrisch geordnet, und auf jeder dieser Papierschichten stand ein Briefbeschwerer aus Glas und von quadratischer Form. Es war ein kleines Regiment von Briefbeschwerern in Paradeaufstellung.

»Bitte setz' dich, Emich«, sagte der Graf und wies auf einen, wie es schien, zu diesem Zweck schon bereitgestellten Stuhl neben dem Schreibtischsessel.

Emich pochte das Herz ein wenig. Er hatte in der letzten Nacht im Jagdeifer eine Ricke geschossen, und das beunruhigte sein Gewissen.

Wiegel schritt an den kolossalen Eichenschrank, der eine ganze Wandseite des Zimmers einnahm, und öffnete ihn. Der Schrank war in zahlreiche Fächer eingeteilt, die mit Aktenfaszikeln gefüllt waren; er enthielt das Archiv des Hauses. Eines dieser Aktenbündel nahm der Graf, stäubte mit seinem Taschentuch darüber hinweg und legte es auf den Schreibtisch. Dann nahm er selbst Platz, den Oberkörper kerzengerade haltend, die Beine dicht an den Sessel herangezogen.

»Ich muß einmal ein ernstes Wort mit dir reden, lieber Emich«, begann er. »Oberst von Hildringen in Klempin hat mir geschrieben, daß du zum ersten Juni deine Einberufung erhalten wirst. Von diesem Tage ab beginnt ein neues Leben für dich – sagen wir, das Leben beginnt so recht eigentlich erst für dich. Daß du als Soldat deine Pflicht und Schuldigkeit tun wirst, erhoffe und erwarte ich von dir. Aber ich erwarte noch mehr: du wirst auch ein guter Wirtschafter werden müssen. Deine Vermögensverhältnisse sind leider, leider keine glänzenden. Seesenheim bringt nichts ein; ich bin froh, wenn ich da drüben die Einnahmen und Ausgaben einigermaßen in der Balance halten kann. Am besten wäre es ja gewesen, man hätte versucht, die Sandbüchse zu verkaufen; vielleicht hätte sich –«

Eine Bewegung Emichs ließ den Grafen, sich unterbrechend, aufblicken.

»Ich weiß schon,« fuhr er fort, mit der Hand winkend, »der Gedanke ist schrecklich für dich. Es spielen da allerhand kleine Sentimentalitäten mit – eh nun, vorläufig ist es ja noch nicht so weit. Aber ich muß dir jedenfalls klaren Wein einschenken. Ich habe dir die gesammelten, auf Seesenheim bezüglichen Papiere zusammengepackt und bitte dich, sie gelegentlich einmal durchzusehen. Das Barvermögen, das dir dein Papa hinterlassen, ist gering; ich habe es aber durch eine glückliche Spekulation um eine Kleinigkeit vermehren können; es wird, wie du weißt, von der Breslauer Landesbank verwaltet, die auch meine eigenen Geldangelegenheiten in Händen hat. So hast du denn über eine jährliche Revenue von etwas über tausend Talern zu verfügen. Für deinen Vetter Waldegg würde das wahrscheinlich gerade genügen, seine Stiefelrechnungen zu bezahlen; ich kenne aber eine ganze Menge junger Offiziere, die mit weniger auskommen, weil sie vernünftig leben ...«

Der Graf nahm einen der gläsernen Briefbeschwerer vom Tische und drehte ihn spielend zwischen den Fingern.

»Weil sie vernünftig leben,« wiederholte er, »– und darauf möchte ich nachher noch einmal etwas näher zurückkommen. Oberst von Hildringen hat mir mitgeteilt, daß die monatliche Durchschnittszulage beim Regiment fünfzig Taler nicht übersteigt; auch dein Freund Sassenhausen erhält nicht mehr. Die Landesbank hat daher von mir den Auftrag bekommen, dir diese Summe an jedem Ersten zuzusenden. Der Überschuß deiner Rente wird weiter verwaltet, um davon die nötigen Extraausgaben zu decken. Überflüssige Pferde brauchst du dir nicht zu halten. Ein Chargenpferd bekommst du; wegen des zweiten eigenen habe ich nach Stubbach an den Fürsten geschrieben, der sich mit Vergnügen bereit erklärt hat, dir aus seinem Marstall einen Gaul zu schenken. Das kannst du beruhigt annehmen; Ferdinand hat sich in Angelegenheiten Seesenheims nicht gerade sehr gentil deinem Vater gegenüber benommen.«

»Und eben deshalb drückt mich sein Geschenk«, erwiderte Emich. »Ich gesteh' es dir offen zu, Onkel –«

»Ah bah, mach' mir keine Geschichten! Ich pflege im allgemeinen sehr korrekt zu denken, lieber Emich, und würde mich – verlaß dich darauf – nicht an deinen Onkel Ferdinand gewandt haben, der mir durchaus unsympathisch ist, wenn ich dies nach Lage der Sache nicht für richtig gehalten hätte. Und was nun deine Equipierung betrifft, so möchte ich dich bitten, mir zu erlauben, sie begleichen zu dürfen. Ich denke, von mir wirst du dies kleine Geschenk ohne weitere Skrupel annehmen ...«

Das Blut schoß Emich in das Gesicht, und seine Augen wurden feucht. Daß der sparsame Onkel Wiegel eine größere Summe für ihn opferte, rührte sein leicht empfängliches Gemüt. Er streckte dem Grafen schweigend die Hand entgegen, der sie herzlich drückte.

»Schon gut, Emich,« sagte Wiegel, »ich hab' es gern getan. Ich verschwende nicht, aber ich helfe auch einmal mit Freuden ... Dein Eintritt in das Regiment ist also nun vorbereitet. Halte Haus, mein Junge! Suche dir vernünftige Freunde, möglichst solche, die sich in ähnlichen finanziellen Verhältnissen befinden wie du, damit du nicht unnötigen Verführungen ausgesetzt wirft. Und laß den Pferdeschacher. Man kann dabei böse hereinfallen, und schließlich ist der Offizier kein Roßtäuscher. Daß du nicht spielen wirst, weiß ich. Bleiben noch die Weiber. Und da kann ich dir nur die Weisheit meiner eigenen jungen Jahre mit auf den Weg geben: fürs Herz, was du willst, aber möglichst wenig fürs Portemonnaie ...«

Er stand auf und reichte Emich die Hand. In dieser Stunde erschien der Onkel dem jungen Mann als ein völlig anderer, und in der Aufwallung des Gefühls küßte Emich des Grafen Rechte und stammelte:

»Hab' Dank für alles Gute, Onkel! Ich will mir Mühe geben, dir Freude zu machen ...«

Oben auf seinem Zimmer sah er die Seesenheimer Papiere durch. Sie enthielten die Abschlüsse der letzten Jahre. Es war das erste Mal, daß Emich sich interessierter um die Verhältnisse auf seiner Besitzung bekümmerte. Seit dem Tode seiner Mutter war er nicht in Seesenheim gewesen. Er hatte auch gar kein Verlangen danach gehabt, zumal er die Urlaubswochen stets in Stenzig zu verleben pflegte. Aber nun regte sich ganz plötzlich der Wunsch in ihm, in Seesenheim einmal selbst nach dem Rechten zu sehen. Dies »nach dem Rechten sehen« kam ihm freilich drollig vor. Er hatte keine Ahnung von der Landwirtschaft und wurde aus den zahlreichen Belegen für die Rechnungsabschlüsse durchaus nicht klug. Daß alles stimmte und in Ordnung war, bezweifelte er nicht; der erste Inspektor, der alte Settegast, der schon unter seinem Vater gewirtschaftet hatte, war geblieben, und der von Graf Wiegel eingesetzte Administrator, ein Herr von Polzien, galt gleichfalls als ein tüchtiger Landwirt. Trotzdem fiel es Emich auf, daß so gar keine Überschüsse erzielt wurden. Sein Vater hatte es doch erreicht! –

Emich sprach mit dem Onkel über seine Absicht, sich gelegentlich einmal selbst in Seesenheim zu zeigen, und Wiegel war ganz damit einverstanden.

»Gut so«, meinte er. »Ich freu' mich, daß du auf den Gedanken gekommen bist. Deine Leute müssen zuweilen den Herrn sehen. Aber warte noch, bis du die Uniform trägst ...«

Die neue Uniform kam bald. Eines Tages traf eine stattliche Anzahl von Kisten für Emich ein: die Equipierung. Die Tante half auspacken. Emich hätte nicht achtzehn Jahre alt sein müssen, um sich nicht an all diesem Glanz und dieser Herrlichkeit von Herzen zu erfreuen. Unter dem Glanz lauerte allerdings die Schlange – in Gestalt eines blauen Kuverts, und in diesem Kuvert steckte eine Rechnung.

»Soll ich sie öffnen, Tante?« fragte Emich. »Von Rechts wegen gehört sie nunmehr dem Onkel.«

»Öffne sie immerhin«, entgegnete die Gräfin. »Es ist gut, wenn du siehst, was der äußere Mensch heutzutage kostet. Und der Offizier noch mehr als der Bürgersmann, und nun vor allem der Kavallerist!«

Emich bekam einen Schreck, als er die Schlußziffer auf der Rechnung sah.

»Donnerwetter, Tantchen – siebentausendeinhundertdreizehn Mark! Mir zittern die Knie.«

»Hast auch Grund dazu. Die Schneider nehmen's vom Lebendigen und vom Toten. Aber nun ängstige dich nicht! Der Onkel berappt und damit basta. Lege man gleich die Rechnungen vom Schuster und Handschuhmacher dazu – das ist dann ein Aufwaschen. Und hör' mal, Emich: zieh' dir zum Mittagessen Uniform an und überrasche damit den Onkel; da freut er sich. Nicht den weißen Koller – den bekleckerst du dir vielleicht – aber den hübschen blauen mit den silbernen Tressen. Gott, wie gut der deinem Vater stand!...«

Emich gehorchte. Er kleidete sich um und beschaute sich im Spiegel. War er eigentlich ein hübscher Mensch? Die Tante meinte ja, aber die Tante verzog ihn. Die Nase war etwas zu groß und hatte einen kleinen Höcker. Doch die Augen waren hell und freundlich und blau wie Vergißmeinnicht. Auch der Bart keimte schon, nicht gerade auffällig stark, aber der Flaum war da, milchweiß auf rosigem Grunde. Ein Milchbart! Emich fand, daß die Brünetten viel besser daran waren; bei ihnen sah man den Schnurrbart gleich. Sassenhausen hatte sich schon im Kadettenkorps rasiert. Aber wer blond war, mußte sich fügen. Da half kein Mittel. Eins hatte Emich sich einmal gekauft, weil Sassenhausen ihn wegen der mangelnden Manneszier allzusehr geneckt hatte: eine Art Pomade, die der Ankündigung zufolge binnen vier Wochen »unfehlbar« den schönsten Schnurrbart zutage fördern sollte. Emich rieb sich allabendlich die Oberlippe heimlich ein und sah nach fünf Tagen völlig gescheckt aus. Die Haut löste sich ab, und hie und da zeigten sich dunkelrote Fleckchen, als ob er die Pocken bekäme. Da wurde er ärgerlich, kratzte das Etikett von dem Töpfchen und schenkte die Pomade einem Sekundaner, der sich mit der heilbringenden Salbe fleißig den Kopf bearbeitete, um sich die Frisur verschönern zu können. Und nun geschah das Merkwürdige, daß der Sekundaner baldigst mit einer gar nicht mehr zu bändigenden Löwenmähne herumlief und sich über das erstaunliche Wachstum seiner Haare baß verwunderte. Emich aber ging des Sonntags zu dem Friseur, der ihm die Pomade verkauft hatte und beschwerte sich. Doch der Friseur zuckte nur mit den Schultern und meinte tiefsinnig: wahrscheinlich sei bei Emich »der Boden noch nicht genügend vorbereitet...«

Als es in der Flurhalle des Schlosses zum Mittagessen läutete, zögerte Emich noch ein Weilchen und ging dann erst hinunter. Er wollte der Letzte bei Tisch sein, um durch sein plötzliches Erscheinen dem Onkel und Ruth noch mehr imponieren zu können. Das gelang ihm denn auch.

»I der Tausend«, sagte Wiegel und stand auf. Ruth aber machte große Augen und starrte den verwandelten Vetter erst geraume Zeit sprachlos an. Was doch die Epaulettes nicht alles taten! War das denn der kleine Kadett?! –

Der Graf ließ Champagner bringen. Es war ein heiteres Mittagsmahl: Wiegel liebenswürdiger denn je, Ruth auffallend gesprächig und Gräfin Irmela selig. Sie ließ keinen Blick von ihrem festlich gekleideten Dickerchen und tätschelte ihm alle Augenblicke die Hände. Nach dem Essen war große Cour der Domestiken. Der Jäger und Franz gratulierten zuerst; Bob gebärdete sich wie närrisch vor Freude. Dann kamen die anderen an die Reihe; wo sich Emich tagsüber zeigte, knixte und dienerte man. Selbst die Hofmägde glückwünschten grinsend und auch der allerniedrigste im Schloßbezirk Stenzig: Christian, der Eselsjunge.

Ein paar Tage später traf ein großes, feierlich aussehendes Schreiben ein, adressiert »An den Königlich Preußischen Second-Leutnant im Kürassier-Regiment Kronprinz, Seine Erlaucht den Herrn Emich Grafen von Schöningh-Stubbach, z. Z. in Stenzig bei Krugdorf« – die Ernennung und Einberufung.

Dies geschah gerade an einem herrlichen Sommertage, obwohl noch nicht Sommer im Kalender stand. Emich war mit Ruth an der Fohlenkoppel gewesen, wo man auch das Pferd untergebracht hatte, das Fürst Ferdinand für Emich geschickt, einen prächtigen jungen Goldfuchs mit drahtigen Beinen, schlankem Hals und zuckenden Nüstern. Auf dem Rückwege durch den Park traf man den Briefträger.

»Also nun wirklich«, sagte die Komtesse, an der Seite Emichs um den Weiher schreitend, auf dessen stiller grüner Fläche sich träge ein angeketteter Kahn schaukelte. »Ich kann es mir noch gar nicht so recht denken. Ich habe dich noch immer in der Kadettenuniform im Gedächtnis, in der du schrecklich knabenhaft aussahst – aber noch grüner, nimm mir's nicht übel, in Zivil.«

»So werde ich künftighin nie wieder in Zivil vor dir erscheinen, Ruth,« entgegnete Emich, »denn du kannst dir wohl denken, daß es keine sonderliche Freude für mich ist, von dir – respektslos beurteilt zu werden.«

»Respektslos?« wiederholte Ruth und zuckte mit dem hübschen Kopf. »Wer denkt denn daran!?... Ich glaube gar, Emich, du bist böse auf mich. Warum? Immer noch, weil ich vor sechs Wochen einmal ein klein wenig kratzbürstig war?... Wer wird denn so nachtragend sein! – Komm – legen wir uns noch ein Viertelstündchen ins grüne, grüne Gras! An solchen schönen Sonnentagen friert mich immer zwischen den dicken Mauern des Schlosses.«

Sie wies auf einen mächtigen alten Nußbaum, der auf der Wiese stand und streckte sich im nächsten Augenblick auch schon unter seinem Schatten aus, die Arme reckend und dann die Hände unter dem Kopfe verschränkend in degagierter Haltung, die mit der meist von ihr beliebten höfischen Steifheit durchaus im Widerspruch stand.

»Nehmen Sie Platz, Erlaucht«, sagte sie, eine Rispe abreißend und zwischen ihre Zähne steckend. »Ich bitte dich, Emich, sei kein dummer Junge. Setz' dich zu mir und beichte! Hab' ich dich wirklich tödlich beleidigt? Und wann?«

»Oft genug.« Emich ließ sich an ihrer Seite nieder. »Ja wahrhaftig, oft genug. Aber du hast es selbst nicht gewußt. Es hat mich schon gekränkt, als ich in Quarta saß; da war ich bereits ein langer Schlaaks und du warst noch ein sehr zartes und kleines Mädel. Dein Schuß kam erst nach den Masern – und von da ab bist du eigentlich immer unausstehlich zu mir gewesen, obwohl ich –«

Nun stockte er, warf sich hintenüber in das Gras und nahm gleichfalls einen Blütenstiel zwischen die Lippen. Die gelbe Butterblume schaukelte sich über seinem Gesicht wie eine Lichtbringerin; aber der Schatten auf seinen Zügen und die mürrische Linie um die Mundwinkel verflogen nicht.

Ruth hatte sich auf die Seite gelegt und stützte den Kopf auf die rechte Hand, so daß sich ihre schlanken, weißen Finger in dem dunklen Haar vergruben. Sie lächelte wieder etwas spöttisch, aber in ihren Augen lag dabei zugleich auch ein Ausdruck von Neugier, eine kokette Frage, die ihre Rätselzeichen im schillernden Braun der Pupille sprühen ließ.

»Obwohl ich?« wiederholte sie fragend. »Warum sprechen der Herr Graf nicht aus?... Wenn du mir schon eine Vorlesung hältst, mußt du sie auch zu Ende führen. Also bitte weiter im Text!«

»Ach, Ruth, du lachst mich ja doch nur aus«, sagte Emich klagend. Dann legte auch er sich auf die Seite und wendete sich ihr zu. Er schaute ihr groß in die Augen, und da wurde ihm wieder ganz heiß um das Herz. Er sah zwar den spottenden Schalk, der in den Winkeln ihrer roten Lippen zuckte, aber er achtete nicht darauf. Er betete ihre Schönheit an. Seine achtzehnjährige Phantasie umwob sie mit tausend Götterreizen. Das Sonnenlicht, das im jungen Laub des Nußbaums sich mit zarten grünen Tönen mischte, legte einen feinen Olivenschimmer auf ihre Wangen und verdunkelte die kleinen Schattenflecke im Grübchen ihres Kinns, unter den Lidern und an den zierlich geformten Ohren. Und wie die schwarzen Härchen ihre Stirn umkräuselten und umlockten und an der Schläfe einen lustigen Strudel bildeten, in dem man das Weiß ihrer Finger schimmern sah! Und wie ihre Augen glänzten! Nein, waren diese Augen schön! Was war nicht schön an ihr? Die Nase war griechisch gerade – Emich überlegte – ja, griechisch wie die der milesischen Venus, und wie fein wölbten sich die dunkeln Brauen auf der Stirn! Sie war wirklich eine Venus – nein, keine Venus – eine Zauberin, eine Kirke!...

»Emich, was starrst du mich an? – Emich, träume nicht, sondern beende deine vielversprechende Rede! ...« Ruth sagte das langsam, aber nicht mehr so spöttisch wie vorhin, und schaute auch ihn immer noch an. Und plötzlich glitt etwas wie hilflose Verlegenheit und leichte Scham über ihr Gesicht. Der Ausdruck, der in sein Auge getreten war, gefiel ihr nicht. Es huschte rotglühend über ihre Wangen; sie richtete sich hastig auf, lachte etwas gezwungen und meinte, rechts und links mit beiden Händen in die Gräser und Blüten greifend: »Emich, ich glaube, du bist wirklich noch ein rechter dummer Junge – – ja, bist du's?...«

Sicherlich war er es – wenigstens beging er im nächsten Augenblick eine große, große Dummheit. Er riß Ruth an sich und bedeckte, ehe sie sich noch wehren konnte, ihr Gesicht mit Küssen und stammelte dabei: »O Ruth, ich liebe dich so – so – so schrecklich! ...«

Die Sonne lachte dazu, und es schien, als lugten ringsum aus allen Blütenkelchen auf grüner Wiese und aus den Fliederdolden in den Bosketts und in den sich jungfräulich erschließenden Rosenknospen pausbäckige kleine Liebesgötter hervor, die sich mit der Sonne freuten über das durchgehende Herz Emichs. Die ganze Natur lachte.

Doch nicht Komtesse Ruth. Komtesse Ruth wurde grob. Komtesse Ruth zeigte zunächst, daß sie Kraft besaß, denn im Nu riß sie sich aus der Umschlingung Emichs los und gab ihm mit beiden Händen einen gewaltigen Stoß vor die Brust, so daß er an sich halten mußte, um nicht wieder rückwärts in das Gras zu fallen. Und dann sprang sie zornig auf und ihre kleinen, in gelben Bottinen steckenden Füße stampften die Erde – und dann sagte sie etwas, was den armen Emich rasch aus allen Himmeln stürzte und was auch nicht hoffähig klang. Sie sagte oder vielmehr rief:

»Ich glaube, du bist verrückt geworden, Emich!«

Weiter nichts, und strich sich hierauf das wirr gewordene Haar von der Stirn zurück und klopfte die Grashälmchen ab, die noch an ihrer Kleidung hingen.

Die Ernüchterung war groß, aber Emich verlor nicht die Fassung. Er war sogar klug genug, Grimm, Ärger und das schämige Gefühl über die Demütigung rasch hinunterzuwürgen und ein freundlich lächelndes Gesicht zu machen. Er blieb ruhig sitzen und nickte Ruth zu.

Das verwirrte nun wieder die Komtesse.

»Emich – was soll denn das alles heißen?« sagte sie. »Für – nun ja, für solche Liebesscherze im Grünen habe ich kein Verständnis. Du verliebt in mich – ah bah, mein Junge, bilde dir doch nichts ein! Haben die Epauletten den Reifen um dein Herz gesprengt, mein armer eiserner Heinrich? ... Aber im Ernst: laß künftig die Witze! Willst du einen Kuß von mir haben, so bitte hübsch artig darum – dann kriegst du einen. Aber nur einen Vetternkuß.«

»Daran liegt mir gar nichts«, antwortete Emich und lachte, doch dies Lachen klang recht krampfhaft; nur merkte es Ruth nicht. »Ein geschenkter Kuß ist nicht viel wert, aber ein gestohlener ist Nektar. Auch Ambrosia, wenn du willst. Doch im Ernst, wie du dich ausdrückst: verstehst du denn gar keinen Spaß?«

»Was heißt das: Spaß?«

»Herrgott – Spaß! Oder hast du mein Liebesstöhnen vielleicht für Ernst genommen? – Bon, Cousinchen, auch das soll mir recht sein. Gehen wir zu deinem Papa und melden wir uns als Verlobte an. Da bin ich doch wirklich neugierig, was er für ein Gesicht machen wird. Wann meinst du denn, daß die Hochzeit stattfinden kann? Wenn der Onkel uns das Jawort verweigert und dich enterbt, leben wir von meiner Gage. In Klempin sind die Wohnungen billig und wenn du des Sonnabends selbst auf den Markt gehst –«

»Nun hör' auf!...« Ruth stampfte von neuem mit dem Fuße auf. War sie vorhin zornig gewesen, so quoll jetzt der Ärger in ihr empor. »Steh endlich auf, Emich! Für die Zukunft verbitt' ich mir auch deine Späße – wenigstens solcher Art! Du verlangst Respekt für dich und hast keinen vor mir!«...

Emich erhob sich gemächlich.

»Also Frieden«, sagte er. »Ich werd' es nicht wieder tun, Ruth. Ich bin ja kein Kleptomane – und auch die Küsse, die du mir als Geschenk zugedacht hast, erlasse ich dir verwandtschaftlich. Allons... darf ich dir meinen Arm bieten?«

»Danke – wir wandelten ja bisher nicht Arm in Arm!«

»Auch gut, so gehen wir nebeneinander her wie Brüderlein und Schwesterlein. Aber nun mach' kein so finsteres Gesicht, sonst denkt der Onkel wer weiß was! Und dabei haben wir eine Freudenpost in der Tasche.«

Ruth antwortete gar nicht mehr, bis man am Schlosse war. Sie hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und zerpflückte mit den Fingern unaufhörlich Gräser und Blätter. Emich aber tat, als sei er in sonnigster Laune, plauderte, scherzte und lachte. Erst, als er sein Zimmer betreten, fiel die lustige Maske von seinem Gesicht – und da merkte er auch, wie weh ihm das Herz tat. Schwer hing es ihm in der Brust, als sei es eine steinerne Last, auf die fort und fort ein gewaltiger Hammer schlägt. Ihm war zum Weinen zumute und er konnte sich nur schwer beherrschen; er war wie im Fieber. So litt er unter seiner ersten Liebe...


Aber als der nächste Morgen kam, war das Herz ruhiger geworden und die Seele freier. Stundenlang hatte Emich am Abend vorher wachend im Bette gelegen. Die »Fliegenden Blätter« waren heute kein Heiltrost für ihn. Er hatte das Licht gelöscht und starrte mit heißen Augen in die Dunkelheit hinein. Und dann kam es wie eine starke Erschütterung über ihn, die an allen seinen Nerven und Fibern zerrte und riß: er mußte weinen, und weil er sich dieser kindischen Tränen schämte, bohrte er den Kopf tief in die Kissen, das Gesicht nach unten gewendet, die Hände krampfhaft geballt. Er schluchzte und ächzte und schrie immerfort in seinen Gedanken: ›Ich liebe dich, ich liebe dich! Ich liebe dich wahnsinnig! Ich kann nicht leben ohne dich!...‹ Schließlich wünschte er zu sterben.

Aber er starb nicht. Er schlummerte auf naßgeweinten Kissen ganz ruhig ein. Freundlich wie immer konnte er der Cousine beim Frühstück die Hand reichen. Ruth sah etwas blaß aus und war mürrisch. Erst am Nachmittag wurde sie zugänglicher. Da fuhren die Gepäckwagen mit den Kisten und Kasten, die Emichs Equipierung enthielten, nach Klempin voran. Im Hotel Prinz von Preußen sollten sie abladen. Auf einem der Wagen saß auch Bob in verwachsenem Zivil. Er hatte am gleichen Tage wie sein Herr die Einberufung bekommen, aber nur als »ganz gemeiner« Kürassier, wie er beim Abschied in der Gesindestube verkündet hatte.

Emich fuhr erst gegen Abend ab, nachdem er noch den Transport seines Goldfuchses – »Troilos« hieß er – überwacht hatte. Graf, Gräfin und Komtesse standen am Wagen. Frau Irmela zerdrückte ein heimliches Tränchen. Nun ging ihr Dickerchen in das Leben hinaus, das so tausend Gefahren bot.

»Behüt' dich Gott, Dickerchen«, schluchzte sie.

Der Graf strich sich über die Hahnentolle und glättete seine Favoris und sagte: »Halte dich brav, Emich!«

Am längsten hielt Emich die Hand seiner Cousine fest.

»Also Frieden – nicht wahr?« fragte er noch zuletzt, als die Pferde schon anzogen.

»Ja natürlich – schon gut, Emich!« antwortete Ruth.

Dann ratterte der Wagen die steingepflasterte Rampe hinab. Emich kutschierte, und an der Wegbiegung senkte er noch einmal grüßend die Peitsche.


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