Fedor von Zobeltitz
Besser Herr als Knecht
Fedor von Zobeltitz

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XIII

An einem Maientage stand Emich in einem Vorzimmer des Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße zu Berlin. Der Diener hatte ihm gesagt, Seine Durchlaucht der Fürst bitte nur um etwa fünf Minuten Geduld – und Emich wartete gern. Er stand am Fenster, das die Portieren fast völlig verhüllten. Nur ein handbreiter Streifen Tageslicht quoll von draußen herein und legte sich quer über das Parkett des Gemachs – ein Lichtstreifen, aus hellem Grün und lindem Dämmer gemischt, denn das Zimmer führte nach dem Garten hinaus, über den schon der Abend seine ersten grauen Schatten spann.

Fünf Minuten noch – dann sollte die Entscheidung fallen.

Emich starrte auf den flimmernden und leise zitternden Lichtstreifen am Boden. Wahrend der fünf Minuten, die er zu warten hatte, drängten sich in ihm noch einmal die Erinnerungen an die ganze Flucht der Geschehnisse zusammen, die ihn in den letzten Wochen überstürmt hatten.

Das Drama in Illyrien hatte seinen Abschluß gefunden. Unter großem Gepränge setzte man den ermordeten Fürsten in der Kathedrale von Garica bei. Die riesige Kirche war von einer ungeheuern Menge erfüllt. Wer Platz fand, war eingelassen worden. Und nun drängte sich das Volk in den tiefdurchschatteten Ecken, hinter den Pfeilern und der Sakristei, während auf den Galerien die Vertreter der Diplomatie in voller Gala, doch mit den Abzeichen der Trauer, der Hof und die Ministerien, die Generalität und die hohe Beamtenwelt Platz genommen hatte. Hellebardiere von der Trabantenwache und Leibgarde-Heiducken umspannten, in regungsloser Haltung, Bildsäulen gleich, den Raum von Pfeiler zu Pfeiler. In weitem Halbkreise um den Altar saßen auf Purpursesseln mit schwarzen Behängen die Fürstlichkeiten, die der Trauerfeier beiwohnten. Aus den Nachbarreichen waren alle gekommen, selbst der dicke König der Sueven, der seine Zeit zwischen politischen Intrigen und Pariser Kokotten vertändelte. Er saß links vom Altar, eng eingeknöpft in die graublaue Uniform seiner Gardepanduren, mit halb zugekniffenen, zwinkernden schwarzen Augen, die von Zeit zu Zeit bösblickend hinüberschielten nach der Fürstenreihe ihm gegenüber.

Da nämlich saßen die drei letzten männlichen Vertreter des Geschlechts Schöningh, saß der unglückliche Vater des Ermordeten, Fürst Ferdinand, zwischen dem Erbprinzen und Emich. Alle drei sehr blaß – der Fürst wie gebrochen, mit zitternden Händen und düster vor sich niederstierend; hinter seinem Sessel, aufrecht stehend, im vollen Bewußtsein seiner Würden und Pflichten, der unentbehrliche Graf Callomeo... Den Abschluß dieser Reihe, dem Altar zunächst, bildete ein hoher und stattlicher Mann in russischer Generalsuniform. Das war der Großfürst Fedor Konstantin, den man den geheimen Protektor von Illyrien nannte.

Zu ihm wurde Emich nach beendetem Totenamt zur Audienz empfohlen. Es war eine lange Unterredung, eigentlich nur aus einem Gewirr von tausend Fragen von seiten des Großfürsten bestehend – Fragen, die die Persönlichkeit Emichs betrafen, seine Neigungen, Hoffnungen, Pläne und materiellen Verhältnisse – ein Fragen ohne Ende, anscheinend zwecklos und doch immer wieder ein bestimmtes Endziel betonend. Und als dieser ersten Unterredung eine zweite ganz ähnliche mit dem alten Marquis Beresco folgte, da wußte Emich, wohinaus man wollte: er sollte an Stelle seines ermordeten Vetters den Fürstenthron Illyriens besteigen!

Wie die blanken, gischtaufschäumenden Strudel eines Wasserfalls, so überstürzten sich die Ereignisse... Emich blieb nur sechs Tage in Garica, aber was brachten sie ihm alles! In stiller Mitternachtsstunde fanden sich die drei Schöninghs noch einmal am Sarkophage Leopolds zusammen. Wieder in der Kathedrale, in der um diese Zeit kein Laut die Weihe des Ortes störte und nur die Totenlampe brannte – ein einsames blasses Auge, das hoch über dem weißen Marmor leuchtete. Diese Stunde entschied über die Zukunft Emichs. Fürst Ferdinand betete lange an der Grabstätte seines Sohnes. Dann stand er auf und sagte, Emichs Hände nehmend: »Sei du ihm ein Rächer, Neffe! Ein Rächer zur Ehre unsres Hauses, nicht mit Schwert und Blut, sondern im Sinne der Klugheit und des weisen Erwägens. Hätte mein Ältester nicht sein deutsches Land daheim – glaub' mir, ich würde nicht zögern, ihn an die Stelle des Toten zu setzen, wenn man ihn rufen sollte. Denn über mein sorgendes Vaterherz geht mir der Ruhm unsres Geschlechts – und ruhmreicher ist es, herrschen zu können, als sich beugen zu müssen.«

»Besser Herr als Knecht!« Auch der Ohm sprach es aus, der an Bücken und Ducken gewöhnt war, so wie die letzten seiner Vorfahren, seit die Macht der Verhältnisse die Schöninghs zu Schranzendienst gezwungen und sie allmählich begonnen hatten, sich wohlzufühlen in der Sonne Mächtigerer – von jenem Tage ab, da sie dem kleinen Bonaparte als Nachfolger Karls des Großen gehuldigt hatten – von da ab bis in die Zeiten des neuen Reichs.

Jener Mitternachtsstunde am Katafalk des Fürsten Leopold folgten bewegte Tage: Ministerrat im roten Saale des Palastes, die Vorstellung der fremdländischen Gesandten und Geschäftsträger, die Bekanntschaft mit den Großwürdenträgern des Hofes, der Parlamente und des Senats, die langen Stunden, die er im Arbeitskabinett des greisen Beresco verbrachte – und endlich der letzte Abend mit den Freunden aus der Kinderzeit: mit Maffeo, Sassenhausen und Herrn von Döring, dem ehemaligen Pagenoffizier aus dem Berliner Kadettenkorps, der den Prinzen Leopold als persönlicher Adjutant in den russisch-türkischen Krieg begleitet hatte und seit drei Jahren als Oberhofmarschall dem illyrischen Hofe angehörte. An jenem Abend hatte man nicht an den toten Mann in der Heldengruft unter den Fliesen der Kathedrale gedacht; man hatte den Sricoccio erneuert, die Weihe der Blutsbruderschaft, und hatte von der Zukunft geplaudert.

Was würde sie bringen?...

Die diplomatische Regelung hatte wenig Zeit erfordert. Was kümmerte sich Europa um das illyrische Reich! Nur weit oben an der Newa und weit unten am Bosporus hatte man Interesse für das kleine Fürstentum – und Rußland und die Türkei einigten sich schnell. Aber auch das Volk von Illyrien war befragt worden. Emich hatte auf ein Plebiszit bestanden und der alte Beresco lächelnd zugestimmt. Ein Plebiszit – gut, gut – auch das ging rasch! Noch war die Maschine geölt und arbeitete besser denn je, denn den Hemmschuh der Opposition hatte man bei der Sühne des Attentats aus dem Wege räumen können. Beresco gab seine Befehle; Telegramme flogen durch das ganze Land; Piaster und Rubel kamen ins Rollen, auch mit dem grünen Wein der Berge wurde nicht gespart und nicht mit Zucker und Peitsche – und stehe da, das Plebiszit fiel glänzend aus: Illyrien wollte wieder einen Schöningh haben! – –

Der helle Streifen auf dem Parkett im Vorzimmer des Reichskanzleipalais begann allmählich zu erbleichen. In dem schon ziemlich dunklen Gemach wurde es abendlich; das große Kaiserbild an der Wand erschien fast schwarz. Aus den angekündigten fünf Minuten waren zehn und fünfzehn geworden.

Nun endlich trat der Diener ein: Durchlaucht ließen Durchlaucht bitten.

Emich folgte dem Diener in den historischen Raum. Hinter dem breiten, mit Papieren bedeckten Schreibtisch, auf dem bereits eine grün beschirmte Lampe brannte, erhob sich etwas schwerfällig eine wuchtige Gestalt. Ein breites, unvergeßbares Antlitz, das Emich schon viel hundertfach abgebildet gesehen hatte, lächelte ihm mit sichtbarem Wohlwollen entgegen, und zwei klare Augen über starkwulstigen Tränensäcken blickten ihn forschend und fast auch mit Neugier an.

»Meine verehrteste Durchlaucht,« sagte Bismarck, auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch deutend, »ich muß sehr um Vergebung bitten, daß ich Sie warten ließ – aber ich hatte Damenbesuch, und Damen pflegen – gesprächig zu sein... Also, womit kann ich Ihnen dienen?...«

Emich ließ sich nicht verblüffen. Der Reichskanzler mußte wissen, um was es sich handelte. Aber Emich war klug genug, sich diesem Meister der Diplomatie gegenüber nicht gleichfalls diplomatisch zu gebärden. Er bat einfach um einen guten Rat: den, ob er die Krone Illyriens annehmen solle oder nicht. Alle Wege seien geebnet; im Hotel de Rome warte eine illyrische Deputation auf das letzte entscheidende Wort. Aber dies Wort wolle er nicht eher sprechen, ehe er nicht den großen Bismarck gehört habe.

Der Fürst-Reichskanzler lächelte noch immer, wohlwollend und liebenswürdig, und spielte dabei mit einem seiner berühmten Riesenbleistifte.

»Einen Rat in dieser Angelegenheit zu geben,« antwortete er langsam, »ist schwer. Ich kann Ihnen höchstens sagen, was ich an Ihrer Stelle tun würde. Und ich, liebster Prinz, – wär' ich Leutnant, in Ihrer sozialen Stellung und noch dazu so reich wie Sie, ich würde ganz gewiß keinen Augenblick zögern, mich mit Aplomb auf den Thron Illyriens zu setzen, wenn man ihn mir zuschöbe.« Und die unwillkürliche Bewegung sehend, die Emich bei diesen Worten machte, fuhr der Fürst rascher fort, dabei seinen Bleistift erhebend, als wolle er eine etwaige Unterbrechung Emichs abwehren: »Sehen Sie, beste Durchlaucht, wir leben in tiefem Frieden nach außen hin, und der liebe Gott wird uns ja diesen Frieden wohl auch noch eine Reihe von Jahren erhalten. Da geht es mit dem Avancement denn nicht so rasch, und da muß man, meine ich, eine außergewöhnliche Gelegenheit, schneller fortzukommen, schon mitnehmen. Und vom Leutnant zum Generalissimus einer ganzen Armee – alle Wetter, das ist ein gehöriger Sprung! Auf dem Throne Illyriens können Sie auch fast noch souveräner wirtschaften als Ihr Herr Oheim in Stubbach, und das ist doch auch etwas wert, Ceterum censeo, Durchlaucht: wenn man mir die Wahl stellte, Leutnant zu bleiben oder Fürst von Illyrien zu werden – ich würde bestimmt das letztere vorziehen.«

Auch über das Gesicht Emichs flog ein leichtes Lächeln. Der Reichskanzler faßte die Sachlage von ihrer heiteren Seite auf. Das ließ sich bei ihm verstehen. Wer mächtige Reiche zerstört und große Reiche neu aufbaut, kann für das Geschick eines weltverlorenen Bergländchens und seines zukünftigen Beherrschers nur ein Lächeln von oben herab übrig haben. Aber Emich war dennoch nicht gewillt, sich damit zu begnügen. In respektvollem Tone, doch fest und sicher, begann er von neuem. Er hatte Zeit gefunden, sich in die Geschichte Illyriens zu vertiefen: eine Geschichte, aus der Blatt für Blatt der Odem blutiger Greuel emporschlug. In alter Zeit hatten Wahlkönige aus vornehmen Knesengeschlechtern das Land beherrscht, und ihre Macht wuchs, je mehr das oströmische Reich verfiel. Unter Stephan dem Großen begannen die Kämpfe mit den Ungarn und den osmanischen Türken, aber die Woiwoden Stephans warfen in einer Reihe furchtbarer Siege die Feinde zurück und breiteten ihre Gewalt fast über das ganze romanische Gebiet des Balkans aus. So konnte sein Nachfolger sich stolz Kaiser der Romäer nennen und sein Haupt mit der Tiara bekleiden. Aber diesem Höhepunkt illyrischer Blüte folgte ein langsamer, doch unerbittlich weiter und weiter um sich greifender Verfall. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt dehnten die osmanischen Grenzen sich weiter aus und verengerten sich die des alten Illyriens. Noch einmal erhoben sich die Illyrier, vereint mit den Sueven, den Skipetaren in Albanien, den Bosniern und den Romäern am Wardar und an der Mariza zu einem großen nationalen Widerstande – aber der Sieg floh ihre Fahnen. Und nun zog der Halbmond mit seinen lodernden Flammenzeichen über die Grenzen des Landes, das unter die Spahi verteilt wurde. Die Illyrier waren nur noch eine willenlose Herde, als die Janitscharenkämpfe begannen. Aber inmitten der Scheußlichkeiten erwuchs dem Lande der Rächer. In den Schluchten der Rhodogasberge sammelte der Schafhirt Kjurça ein Häuflein mutiger Getreuer um sich. Und plötzlich schlug überall die Flamme des Aufruhrs empor. In der großen viertägigen Schlacht bei Acabane wurde die türkische Macht vernichtet. Illyrien war wieder frei. Nicht für lange. Rußland begann sich zu dehnen und zu recken: das Testament Peters des Großen sollte vollzogen werden. Russische Agenten tauchten in den Dörfern und Städten auf, und der Rubel bestach die Hospodare Illyriens, der eigenen Freiheit ein Grab zu graben. Wieder zog der Türke ein und rottete das Geschlecht Kjurças aus. Wieder begann die alte Paschawirtschaft; jedem neuen Aufbäumen der Geknechteten folgte eine um so härtere Bedrückung – und dann endlich war die Frucht für Rußland reif. Sollte Fürst Emich von Illyrien dem Zaren den Boden vorbereiten helfen auf seinem Siegeszuge nach dem Goldenen Horn?

Emich sprach lange und ohne daß er unterbrochen wurde. Er war auch vorbereitet auf etwaige Einwürfe. Er sprach ausführlich von dem Umfang und den Grenzen seiner Mission. Von dem großen nationalen Werke der illyrischen Konstitution, auf dem er weiterbauen wollte; von seinen Plänen in bezug auf die Handelsbewegung des Landes, auf das Bildungswesen, auf die schon unter Fürst Leopold begonnene Reorganisation der Armee und die Schaffung einer Nationalmiliz, für die das stehende Heer die Schule bilden sollte. Er sprach auch davon, daß er bereit sei, sein Privatvermögen den Interessen seiner neuen Heimat zu opfern, für die er aufgehen wolle – mit jeder Faser und Fiber seiner selbst, als erster Diener seines Landes, doch aber als freier Herr, nicht als Knecht eines Fremden, nicht als Vasall, nicht als Ackerbesteller für Rußland...

Nun war auch Bismarck ernst geworden. Dieser junge Mann gefiel ihm. Da war zum mindesten ein gutes Wollen innerhalb – wer wußte es – vielleicht bescheidener Grenzen der Begabung, vielleicht großer, weit ausschauender Herrschergenialität... Und auch der alte Bismarck begann zu sprechen, vorsichtig, zuweilen stockend, das Auge fest auf sein Gegenüber heftend und dabei immer mit dem langen Bleistift spielend...

Emich lauschte angespannt, häufig den Atem verhaltend, die Augen groß geöffnet, mit geschärften Sinnen... In dieser köstlichen Stunde eröffnete sich ihm manche neue Perspektive, und sein Blick wurde weiter – und er nahm sich vor, daß die Erinnerung an diese köstliche Stunde ihn als Lehrmeister durch das Leben geleiten sollte.

Der Fürst hatte sich erhoben und schüttelte warm Emichs Rechte. Wieder lag das heitere Lächeln von vorhin auf seinem Gesicht.

»Also – ich denke, Sie nehmen an«, schloß er. »Sollte Illyrien auch für Sie nur eine Episode sein, lieber Prinz, dann wünsche ich jedenfalls, daß es Ihnen eine hübsche Erinnerung bleiben möge... Gott befohlen, Durchlaucht!...«


Emich schritt wieder durch den Vorgarten des Kanzlerpalastes. Voll mächtiger Bewegung hatte er vorhin Bismarcks Hand an die Lippen ziehen wollen. Er schämte sich dieser Augenblickswallung nicht, aber es war merkwürdig: nachträglich verstimmte sie ihn. Er wußte nicht, warum.

Er stieg in die vor dem Tore wartende Droschke und ließ sich nach dem nächsten Telegraphenamt fahren, wo er folgendes Telegramm aufgab:

»Mac Lewleß, Louisville, Kentucky, 9 Retcliffe-Road. Angenommen. Erwarte dich baldigst Garica. Emich.«

...Inzwischen wartete in einem Salon des Hotel de Rome die illyrische Deputation auf die Rückkehr Emichs. Es waren vier Männer: Veresco Vater und Sohn, der Baron Porohyle, ehemals erster Sekretär der illyrischen Gesandtschaft in Berlin, jetzt Staatsrat und Mitglied des Senats – und der General Berger, ein Deutscher aus den russischen Ostseeprovinzen, der vor dreißig Jahren durch abenteuerliche Schicksale nach Illyrien verschlagen worden war und dort rasch Karriere gemacht hatte.

Maffeo war mit dem Baron Porohyle an das Fenster getreten, das nach den Linden hinausging. Er wußte seine Nervosität kaum noch zu bemeistern. Zum zwanzigsten Male zog er seine Uhr.

»In zehn Minuten acht«, sagte er. »Es wäre eine schlimme Situation für uns, wenn ihn Bismarck –«

Der alte Veresco hob in diesem Augenblick den Kopf, und der Sohn verstummte. Der greise Diplomat saß in einem Lehnstuhl und hielt die Hände über der Brust gefaltet. Vor zwei Jahren war ein Porträt von ihm in der Berliner Kunstausstellung allgemein aufgefallen. Ein junger griechischer Künstler hatte es gemalt und sich damit einen Namen geschaffen. Allerdings besaß der Marquis Veresco auch einen wunderbaren Charakterkopf. Schneeweißes Haar bedeckte bürstenartig den Schädel, so kurz geschnitten, daß man die rosige Haut durchschimmern sah. Unter der mächtigen, stark vorspringenden Stirn blitzten die schwarzen Augen in noch jugendlichem Feuer; das Lid des rechten Auges war gelähmt, und um es offen halten zu können, trug der Alte beständig ein großes rundes Monokel. Das Gesicht war braun, und seltsam stach von dieser Kupferfarbe der weiße, hängende Schnurrbart ab, der den Mund fast verdeckte. Doch wenn Veresco sprach, schob sich die Unterlippe ein wenig nach unten, und dann sah man die kräftigen Zähne, breit und regelrecht gesetzt wie bei den Engländern. Der Mann war fast achtzig Jahre und besaß noch alle seine Zähne. Er hatte das Gebiß eines Wolfes und kluge Luchsaugen. Eine unbeugsame, bis zur Grausamkeit harte Willenskraft war der Stempel seiner Züge.

Er hatte den Kopf und ein wenig auch die rechte Hand erhoben.

»Fürst Bismarck ist unsern Wünschen geneigt«, sagte er halblaut, mit etwas müder Stimme. »Ich habe mich mit ihm verständigen können ...«

In diesem Augenblick trat Emich ein.

Im Zimmer war kein Licht angezündet worden. Da aber die Rouleaus vor den Fenstern nicht herabgelassen waren, so fiel ein blasser Widerschein der draußen brennenden Laternen in das Gemach.

Der alte Veresco hatte sich erhoben; er war nicht groß und auch nicht breitschultrig, aber noch immer wohnte eine stählerne Kraft in diesem greisen Löwen.

Emich trat ihm entgegen und nahm seine Hand.

»Herr Marquis,« sagte er mit fester Stimme, »telegraphieren Sie nach Garica, daß ich der Wahl der Regierung und dem Wunsche des Volks von Illyrien zu folgen bereit bin. Gott möge mir beistehen, Land und Volk glücklich zu machen!«

Da wollte der alte Mann die Hand Emichs an seine Lippen führen – wie vorhin Emich die Rechte des eisernen Kanzlers – aber der junge Fürst zog ihn an seine Brust und küßte ihn auf die Wange. »In Ihnen umarme ich mein Volk, Veresco!« Und dann bot er Berger die Hand. »In Ihnen begrüße ich die Armee, General, – und in Ihnen, Baron Porohyle, den gesetzgebenden Körper. Du aber, Maffeo, bist meines Landes Jugend, die ich küssen will wie das Alter. Seid mir treu und bleibt meine Freunde, dann werdet ihr auch die Freunde Illyriens bleiben!...«

Er sprach dies ohne Pathos und ohne an den Effekt zu denken. Sein Herz war voll und drängte sich auf die Lippen.

Nun trat Veresco an den Kasten aus Ebenholz, der auf dem Tische stand, schloß ihn auf und entnahm dem Gefüge aus purpurnem Samt einen eisernen Stirnreif von uralter Arbeit. Seine Hand zitterte dabei ein klein wenig, denn das, was sie hielt, war das Heiligtum seiner Heimat, war die eiserne Krone Illyriens...


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