Fedor von Zobeltitz
Besser Herr als Knecht
Fedor von Zobeltitz

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VII

Über Nacht war scharfe Kälte eingetreten, und als Emich im Eisenbahncoupé saß, begann es sogar zu schneien, so dicht und anhaltend, daß die Landschaft binnen zwei Stunden in schillerndes Weiß gehüllt war.

Schon von Stenzig aus hatte sich Emich telegraphisch für heute in Stubbach angemeldet. Nun lehnte er in seinem Ecksitz, rauchte eine Zigarre und schaute in den tanzenden Schnee hinein, der sich an den Fenstern aufhäufte und an den Scheiben langsam zerfloß.

Emich hatte den Rat Wiegels befolgt und reiste in Uniform. Es war eine langweilige Reise. Er mußte dreimal umsteigen und blieb auf einer kleinen Station zwei Stunden liegen, weil der Zug den Anschluß versäumt hatte. Der Grog auf der Station war jammervoll, und als Emich es mit einem belegten Brötchen versuchen wollte, stellte es sich heraus, daß auch der Schinken ungenießbar war. Der Appetit wurde immer reger und die Laune immer schlechter.

Endlich brauste der Zug heran, mit Schnaufen und Stöhnen, aber auch wie ermüdet und gelangweilt. Den Vorzug des Kurierdienstes kannte man in dieser Gegend noch nicht. Träge schlich sich der Zug durch das weiße Land, alle zehn Minuten anhaltend, um einem Bäuerlein oder Ackerbürger Gelegenheit zu geben, von dem Triumphe des neunzehnten Jahrhunderts Gebrauch machen zu können. Hier im Bergland schien es bereits völlig Winter geworden zu sein. In ihrem hell flimmernden Kleide machte die Gegend einen befremdlichen Eindruck auf Emich; es waren freilich zwölf Jahre her, seit er als lustiges Bübchen einmal mit seinem Vater nach Stubbach gereist war. Allgemach aber wachte, als er so aus dem Fenster schaute, doch eine Erinnerung nach der anderen in ihm auf. Der Zug verlangsamte sein schläfriges Tempo noch mehr; es ging bergauf durch einen gewaltigen Forst von Weihnachtsbäumen, die das Abendrot umglühte, und dann mit metallischem Klingen über eine kühn gespannte eiserne Brücke, unter der ein brausender Sturzbach seine Wasser über Felsgestein und Schiefergeröll schüttete. Das war die Stubbach-Klamm – und durch den Einschnitt, den sie im Walde bildete, sah man auch in der Ferne die Trümmer der alten Burg, auf jenem seltsam geformten Bergkegel, den man den »Keil« nannte und auf dem die Wege des Geschlechts Schöningh gestanden hatte. Das hier war die wirkliche Heimat Emichs! Im Hochwald, der die Hänge des »Keil« umbuschte, ragten noch alte Eichen empor, die vielleicht hätten davon erzählen können, wie man vor vielen, vielen hundert Jahren auf dieser Höhe den ersten Stein gelegt hatte, über dem die Burg himmelwärts strebte. Denn die Grafen von Schöningh waren reiche und mächtige Herren gewesen, und mochte man auch an der Überlieferung zweifeln, die da besagte, daß einer der Schöninghs nahe daran gewesen sei, die Krone des alten römischen Reichs zu erringen – gewiß war es, daß ihre Stimmen bei der Wahl der Herrscher schwer in die Wagschale zu fallen pflegten... All das war vorüber: die Burg zerfallen; Brombeergesträuch, Ginster und wilder Flieder wuchsen im Hofe, und ein undurchdringliches Efeugespinst umklammerte mit tausend Fäden das letzte Mauerwerk. Unten im Tale war das Städtchen entstanden, und da hatten sich die Nachkommen Heribrand des Stolzen, der in der Chronik als erster dokumentarisch nachweisbarer Ahn des Geschlechts galt, eine neue Feste erbaut: Stubbachfeste ward sie genannt, der Stadt zu Ehren, die lange Zeit eine Enklave im Schöninghschen Gebiet gebildet hatte, bis laut Vertrag vom Jahre 1638 ihre unter seltsamen Umständen bewilligten Sonderrechte aufgehoben wurden. Von dieser Zeit ab waren die Schöninghs auch Grafen zu Stubbach und wurden späterhin zu Reichsfürsten erhoben. Aber es war, als habe man ihnen mit dem Geschenk der Fürstenkrone auch etwas sehr Stolzes genommen: das Gefühl der Unabhängigkeit. Von der Rheinbundszeit ab wurden die Fürsten aus dem Hause Schöningh zu Fürstendienern...

Nun umbrauste der Zug das Rundtal, in dem das Städtchen lag, weiß überstreut vom Schnee, wie im Winterschlafe ruhend, überragt von seiner Feste, die sich auf kleiner Anhöhe vor seinen Toren erhob: ein Komplex kastenähnlicher Bauten, aus dem ein schlanker, schön gegliederter Uhrturm aufragte, wie der Campanile eines italienischen Kirchenmonstrums.

Auf dem Bahnhofsperron stand der Inspektor in seiner besten Uniform und neuesten Mütze. Ein paar Gepäckträger breiteten einen Teppichläufer aus und schoben eine transportable kleine Treppe an den Zug heran. Seine Durchlaucht empfingen Besuch; der Leibjäger hatte ihn angemeldet, und da war es selbstverständlich, daß man alle möglichen Umstände machte. In seiner ersterbenden Devotion hatte der Bahnhofsinspektor auch einmal einen Berliner Schneidermeister, der dem Fürsten persönlich Maß zu einem neuen Frack nehmen wollte, mit der Ehrung des Teppichläufers und der kleinen Treppe empfangen und sich, als er auf seine Eselei aufmerksam gemacht wurde, damit entschuldigt, der Schneidermeister habe wie eine Exzellenz ausgesehen. Heute war freilich ein solches ärgerliches Versehen ausgeschlossen; man wußte, daß Durchlaucht einen Neffen erwarteten – hinter dem Stationsgebäude hielt auch schon der Schlitten, den Großfürst Fedor Konstantin mitsamt einem russisch gedrillten Kutscher vor kurzem dem Fürsten Ferdinand geschenkt hatte.

Emich war auf einen so glänzenden Empfang nicht vorbereitet. Er dachte unwillkürlich an seine letzte Kadettenfahrt dritter Klasse zurück, als man ihm die kleine Treppe zur Erleichterung des Aussteigens bis an das Coupé heranschob. Zu gleicher Zeit sprangen ein Groom und ein schnurrbärtiger Jäger herzu, um ihm das Handgepäck abzunehmen, und ein sehr eleganter Herr näherte sich ihm, den blanken Zylinderhut in der Hand, mit tiefer Verbeugung und sagte:

»Habe die Ehre, Erlaucht. Graf Callomeo, Hofchef Seiner Durchlaucht ...«

Emich reichte dem Grafen die Hand. Er war wirklich etwas verwirrt. Bei seiner einfachen Erziehung war ihm das Zeremonielle dieses Empfangs fast peinlich. Der gräfliche Herr mit dem fremd klingenden Namen ging mit geneigtem Rücken neben ihm her und machte ein ehrerbietiges Gesicht. Der Stationsvorsteher klappte die Absätze zusammen und grüßte militärisch; alles Menschliche auf dem Perron zog Hüte und Mützen.

Hinter dem Bahnhof hielt eine Troika. Die drei Rappen waren mit höchster Eleganz aufgeschirrt, warfen die zierlichen Köpfe hin und her, scharrten mit den Hufen im Schnee und klingelten leise mit ihrem Silbergeläut. Unbeweglich, die Arme mit den straff gezogenen Zügeln weit vorgestreckt, thronte der in russischer Tracht steckende Kutscher auf dem Gefährt. Ein Gepäckschlitten hielt hinter der Troika.

In sausendem Fluge ging es durch das Städtchen, über dessen altertümliche Häuser mit ihren Erkern und überhängenden Dächern und ihrem Schnörkelwerk langsam die Dämmerung herabsank.

Graf Callomeo saß Emich gegenüber, gebückt und anfänglich ziemlich schweigsam, mit nicht nachlassender Ehrfurcht. Nur zuweilen wies er nach rechts und links und gab kurze Erklärungen ab.

»Das Schulgebäude, Erlaucht... Der Markt... Der Brunnen, Erlaucht, mit dem Standbild Heribrands des Stolzen... Die neue Gasanstalt... Das Tuchmacherhaus...«

Emich wußte nicht recht, wie er sich diesem Grafen gegenüber verhalten sollte. Auf ein paar scherzhaft hingeworfene Bemerkungen antwortete der Hofchef nicht; der Respekt vor dem Gaste seiner Durchlaucht mochte ihm das verbieten. So begnügte sich Emich denn, mit dem Kopfe zu nicken und ein paarmal zu sagen: »Sehr interessant!...« »Die Stubbachfeste, Erlaucht!«

Man fuhr durch ein schmales und sehr tiefes Tor. Graf Callomeo wies geradeaus. Von dieser Seite präsentierte sich das alte Schloß ungleich vorteilhafter als von der Höhe gesehen. Es imponierte durch die Riesenhaftigkeit seiner Formen und der umliegenden Baulichkeiten. Die Schöninghs hatten der kleinen Stadt einen Koloß auf den Nacken gesetzt.

Graf Callomeo erklärte weiter.

»Links der Marstall, Erlaucht. Gegenüber die Communs... Den Pavillon mit dem Kupfertürmchen liebten Ihre Durchlaucht, die verstorbene Frau Fürstin, Eurer Erlaucht durchlauchtigste Frau Tante, ganz besonders und geruhten dort zu öfterem ihre Teegesellschaften zu geben. Auch Emanuel Geibel war einmal dort. Der Querbau rechts, Erlaucht, ist die Bibliothek. Viele Inkunabeln und ein reichhaltiges Archiv. Auch eine Waffensammlung mit der Rüstung Heribrand des Stolzen –«

»Sehr interessant, Herr Graf!«

»Und eine Kollektion seltener Gläser, Erlaucht. Aus einem hat Wallenstein getrunken und dabei den berühmten Ausspruch getan: ›Dies Wasser schmeckt gut katholisch‹... Das verwitterte Standbild auf dem Rondell – belieben Euer Durchlaucht ein wenig nach links zu blicken – wurde 1723 dem Kanzler Rüttgers gesetzt, der damals Staatsminister von Stubbach war. Er war der Erfinder der Fenstersteuer im Reiche. Es wurde damals nämlich zu viel gebaut.«

»Sehr interessant«, sagte Emich. Graf Callomeo sprach erläuternd weiter. Emich hatte ihm anfänglich etwas schärfer in die Augen geschaut, weil er glaubte, der Graf wolle ironisch werden. Aber sicher dachte der Graf gar nicht daran. Sein Gesicht zeigte unverändert immer den gleichen unterwürfigen Ausdruck, wählend die Hand hierhin und dorthin wies und die schmalen Lippen die Chronik von Stubbach repetierten...

Gott sei Dank klingelte das Dreigespann bald auf die Schloßrampe, auf der die unvermeidlichen Fanfarenbläser aus Sandstein standen, Schneeperücken auf ihren Häuptern, Schnee auf Armen und Händen und auf den gewaltigen Waldhörnern, die sie, zu ewiger Lautlosigkeit verdammt, an die Lippen setzten.

Ein ganzer Schwarm von gallonierten Bedienten sprang vor die Tür – ein Haushofmeister und zwei Herren in eleganten schwarzen Überröcken erschienen dahinter. Graf Callomeo war auch hier der Erklärer.

»Erlaucht gestatten gnädigst: Kammerherr von Berkamp – Oberstallmeister Baron Rüxhoff...« Und auf einen dritten, soeben erscheinenden Herrn weisend, der mit seinem viereckigen Kopf und der vierschrötigen Figur wie ein großer Nußknacker aussah: »Major Biegeleben, Kabinettschef Seiner Durchlaucht...«

Nun reckte sich Emich. Es war ersichtlich: der Onkel wollte ihm mit dem ganzen Aufwand seines kleinen Hofstaats imponieren. Und deshalb tat Emich so, als imponiere ihm gar nichts. Er wurde herablassend und schritt grüßend die Treppe hinauf. Graf Callomeo, der Kammerherr und der Oberstallmeister gaben den Vortritt; der Kabinettschef schritt hinterher. Auf allen Podesten standen Lakaien; ein Huissier riß plötzlich mit erschreckender Heftigkeit eine Tür auf – eine ganze Fülle von Licht strömte Emich entgegen, und dann hörte er die Stimme des Fürsten Ferdinand:

»Mein liebwerter Vetter und Neffe, ich freue mich, dich in meinem Lande und meinem Hause begrüßen zu können...«

Es war ein Empfang streng nach den Regeln der Etikette. Emich fand kaum Zeit, zu sich selbst zu kommen. Er war froh darüber, daß er seinen blauen Koller mithatte, denn fast unmittelbar nach seiner Ankunft fand ein Diner zu sechzig Gedecken im kleinen Bankettsaal statt. Alles, was einladungsfähig in Stadt und Umkreis war, hatte man zusammengetrommelt: bis zum Referendar am Gericht und zum Obersteuerkontrolleur und dem ersten Kassenrendanten der fürstlichen Domänenverwaltung. Und die meisten trugen stubbachsche Orden: den schwarzen Greifen mit beiden Klauen, mit einer Klaue und mit dem Ringe im Schnabel, sowie die verschiedenen Medaillen des Fürstentums, die mit »Für Verdienst und Treue« endeten... Emich lächelte nicht bei diesem kleinstaatlichen Prunkbankett, sondern wahrte die Würde; wahrte sie selbst, als einer der Lakaien beim Servieren des Spargels so heftig gegen die Frackklappe des Oberbürgermeisters stieß, daß dessen schwarzer Greif mit einer Klaue sich löste und klirrend in die Schüssel fiel. Wahrte sie sogar, als er sehen mußte, daß der tödlich verlegene Oberbürgermeister den Orden mit höchsteigenen Fingern wieder zwischen den Spargeln herausholte und an der Serviette abwischte...

Es war ein prunkvolles Festmahl: es gleißte, blitzte und flimmerte von Silber und Gold und schönem alten Kristall. Aber es gab dürftig zu essen, und es gab schlechte Weine. Der Fürst war sparsam. Trotzdem führte er häufig, bevor er trank, sein Glas an die Nase, als wollte er den Duft der Blume einsaugen, die gar nicht da war. Auch der Champagner war nicht kalt genug, doch gab er dafür um so mehr Schaum von sich, der die Gläser rasch verbrausend füllte, wie eine lockere Illusion die Seele...

All das ging vorüber: das Bankett, der darauffolgende Cercle und die Verabschiedung der Gäste. Graf Callomeo blieb bis zuletzt; dann empfahl auch er sich, mit tiefer Neigung und einer Gebärde, die auszudrücken schien, man möge es ihm nicht übelnehmen, daß er immer noch am Leben sei.

Nun war die Familie allein: der Fürst, die Prinzen Heimich und Leopold und Emich. Und wie mit einem Zauberschlage änderte sich auch das Wesen des Fürsten.

»So, mein Junge,« sagte er und schlug Emich auf die Schulter, »jetzt wollen wir noch ein gemütliches Stündchen verplaudern! Sollst auch schmecken, daß mein Keller noch einen besseren Tropfen beherbergt als ich ihn zu den Hoffesten zu opfern pflege!... Entre nous, Emich, von der ganzen Gesellschaft versteht höchstens der Oberforstrat etwas vom Wein – und der sauft mir zu viel... Leo und Heinz, bringt den Vetter in die Kemenate der heiligen Rodogunde und schickt mir den Bassermann herauf! Ich habe noch fünf Minuten in meinem Kabinett zu tun und komme dann nach.«

Die beiden Prinzen faßten Emich mit lustigem Lachen rechts und links unter den Arm und stürmten mit ihm davon. Es waren zwei prächtige Jünglinge, etwas schmächtig für ihr Alter, aber mit intelligenten Gesichtern und von lebhaftem Temperament. Sie hatten beide bis vor kurzem in Heidelberg studiert, und nun sollte der Erbprinz bei den Garde-Ulanen eintreten, während Leopold von dem Großfürsten Fedor Konstantin mit Beschlag belegt worden war.

»Emich, wie gefällt es dir denn bei uns?« fragte Leopold. »Ein bissel steif – was? Aber das macht nix. Im Gegenteil – Papa ist immer doppelt so aufgeräumt, wenn er mal wieder ein Diner hinter sich hat. Hat dich Callomeo auch mit gehöriger Ehrfurcht empfangen?«

»I ja wohl«, entgegnete Emich. »Er tat, als ob ich Bismarck wäre. Und was weiß der Mann alles! Von jedweder Sehenswürdigkeit Stubbachs konnte er mir eine schöne Beschreibung geben und sprach wie gedruckt. Wo habt ihr den Mann her? Er klingt so fremdländisch an.«

Die Prinzen kicherten. Heinrich faßte Emich an einem Knopf seines Kollers.

»Sag's nicht weiter, Emich. Er heißt eigentlich Krause und stammt aus Luckenwalde. Sein Vater war Holzhändler oder so etwas Ähnliches und ungeheuer reich. Der Sohn hat viel gelernt, aber die Hof-Kaprice. Es gibt ja solche Leute. Und da hat er sich in San Marino zum Duca di Gamba dei Callomei machen lassen. Das kann man da, wenn man bezahlt. Und dann wurde er plötzlich Kammerherr in Koburg. Und schließlich hat er hier auf seine Kosten das neue Schulgebäude bauen lassen und eine konservative Zeitung gegründet. Da wurde er dann Hofchef bei Papa. Aber bloß als Graf Callomeo. Duca ging doch nicht gut. Das hiesige Oppositionsblatt hat neulich sowieso einmal einen Artikel gegen ihn gebracht mit der gemeinen Überschrift ›Quatsch nicht, Krause‹. Ist das nicht scheußlich?«

»Scheußlich, Heinz. Dieser Graf Krause – Graf Camillo wollte ich sagen – Graf Camarillo – also heiße er, wie er wolle – scheint mir jedenfalls ein vollendeter Hofmann geworden zu sein. Den Holzplatz merkt man ihm nicht mehr an.«

»Um aller Welt willen, Emich, mach' keine Witze über ihn! Papa schätzt ihn sehr.«

»Kann er auch, Emich. Callomeo ist fabelhaft tätig, von früh bis spät auf den Beinen, treu, zuverlässig – dabei grundgutmütig; kann auch liebenswürdig sein, wenn er einmal die Knöpfe öffnet. Aber wie gesagt, er leidet am Hofpips. O du mei Je, hätt' ich sein Geld –«

»Oder ich«, meinte Emich. »Vettern, ihr habt gut reden! Hält euch der Papa auch wirklich ein bißchen knapp – ihr wißt doch, daß ihr immer einen Goldbarren im Hintergrunde habt! Der Leo nun noch einen russischen extra. Aber, du lieber Gott, ich!? Wenn mir mal ein Pferd über den Haufen stürzt, weiß ich nicht, wo ich ein zweites hernehmen soll... Aber, Leo, jetzt mal heraus mit der Sprache! Du – da hat man neulich im Hof- und Regimentstheater zu Klempin ein Stück gespielt, das hieß ›Wie denken Sie über Rußland?‹ So möcht' ich dich auch fragen.«

Prinz Leopold wurde plötzlich ernst und seufzte ganz leise auf.

»Ach Gott, Emich,« sagte er, »das ist gar nicht zum Spaßen. Wenn ich an Rußland denke, fällt mir nicht immer gleich Kaviar ein. Es ist so weit und eine verdammte Gegend. Und – – aber ich darf nicht darüber sprechen, eh' dich nicht der Papa ›offiziös‹ informiert hat, um mit Callomeos Leitartikeln zu sprechen. Ich sage dir bloß, ich wollte, ich wäre an Heinzens Stelle. Die Garde-Ulanen und Berlin bieten angenehmere Aussichten als die Poltowa-Reiter und Garica.«

»Und was?« fragte Emich. Da trat Fürst Ferdinand ein, und hinter ihm Bassermann, sein alter Kammerdiener, ein Muster von Kammerdiener: weiß, glatt, rosig, lautlos und milde. Bassermann trug einen silbernen Kübel in den Händen, und aus dem Kübel ragten ein paar gelackte Flaschenhälse hervor. Ein zweiter Diener folgte mit einem Tablett, auf dem vier Römer standen.

»In die Kemenate«, sagte der Fürst, und Bassermann öffnete die Tür zu dem geheimnisvollen Raum. Es war aber nichts Geheimnisvolles weiter daran als der Name. Auf der Stelle der Stubbachfeste hatte ehemals ein Kloster gestanden, von einer heiligen Dame namens Rodogunde oder Rodogundis begründet, und man sagte, deren Schlafzelle hätte ungefähr der Örtlichkeit entsprochen, die seit zwei Jahrhunderten und darüber »Kemenate der heiligen Rodogunde« hieß. Wer dies gesagt hatte, wußte man nicht, das Zimmer hieß einmal so. Aber es glich nicht oder doch längst nicht mehr der Klosterzelle einer frommen Büßerin. Es war ein sehr behaglicher Raum mit tief dunkel, fast schwarz gewordener Täfelung, mächtigen Fensternischen und einem wahrhaft Ungeheuern Kamin, dessen gemauerter Mantel fast bis zur Decke reichte. In ganz besonderem Gegensatz zu der Bezeichnung des Zimmers standen jedenfalls die Dutzende absonderlicher Trinkgefäße, die das Gesimse schmückten – Gläser und Humpen aus feinstem Kristall, Silber und Gold, Porzellan und Steingut, mit farbiger Bemalung, Ziselierung und Inkrustierung, mit Wappenschmuck, Devisen auf flatternden Bändern, Dedikationen und anderen Inschriften, Rankenwerk, Fabelwesen und Landschaftsbildern – und dazwischen allerhand Trinkhörner, kleine und zierliche und wahrhaft furchterweckende, von einer Größe, wie sie nur dem Durst eines Rodensteiners entsprechen konnten. Die Kemenate der heiligen Rodogunde war also zu einem Trinkstübel geworden; doch ein köstlicher Raum, sich in Gemütsruhe und Behaglichkeit an einem Glase trefflichen Weins zu erletzen, war es schon.

Diesen Odem der Behaglichkeit spürte auch – doppelt nach dem steifleinenen Diner – Emich, als er in einem der großen, bequemen, ledernen Sessel vor flackerndem Kaminfeuer saß und den Schnee gegen die Fensterscheiben wehen hörte. Ohm und Vettern hatten neben ihm Platz genommen; zwischen ihnen stand ein Tischchen mit dem Weinkühler, und der edle Johannisberger funkelte in den hohen Römern, während der Duft der Zigarren durch das Zimmer zog. Nur eine einzige Wandampel brannte in der Ecke, und das Zwielicht, das hie und da auf dem Edelmetall und dem Kristall der Pokale in schärferen Reflexen aufblitzte, erhöhte die Traulichkeit dieser Stunde...

»Also zuvörderst dein Wohl, Emich«, sagte der Fürst, der einen lockeren, gesteppten Hausrock angelegt hatte und hob sein Glas. »Ich bin dir sehr verbunden, daß du meinem Wunsche, mich hier zu besuchen, so rasch nachgekommen bist. Ich habe langst das Bedürfnis gehabt, mich einmal mit dir auszusprechen. Meine Schwester Irmela ist an einen Mann verheiratet, der mir – weiß Gott, aus welchen Gründen –, nicht so recht wohlwill; vielleicht nur, weil wir uns in manchen Dingen ziemlich ähnlich sind – und kongeniale Naturen pflegen sich selten zu vertragen. Mein Bruder Hans-Carl ist tot für uns. Außer meinen beiden Jungen gehörst nur du noch zu unserm Geschlecht – ich meine, das ist Ursache genug, uns näher zu treten. Deine Eltern, lieber Emich, und ich haben jahrelang in einem peinlichen Rechtsstreit gelegen. Tatsächlich war das Recht auf meiner Seite; die Wallheide war ein Teil der fürstlichen Fideikommisse und die gräfliche Linie nur Pächter. Aber auch in bezug auf diesen Streitpunkt möchte ich dir später eine Einigung vorschlagen, mit der du, denke ich, einverstanden sein wirst. Zunächst laß uns einmal das besprechen, was im Augenblick die Familie am meisten angeht.«

Er leerte sein Glas, und Leopold füllte es von neuem. Die beiden Prinzen saßen mit ausgestreckten Beinen in ihren Sesseln und rauchten. Ihnen schienen die Auseinandersetzungen des Papas ziemlich langweilig zu sein. Nicht so Emich: er war neugierig, wo hinaus der Fürst eigentlich wollte. Diese große Liebenswürdigkeit war etwas verdächtig.

»Also höre«, fuhr Fürst Ferdinand fort, nachdenklich die Aschenspitze seiner Zigarre betrachtend. »Daß Leopold auf Wunsch seines Paten, des Großfürsten Fedor Konstantin, bei den Poltowa-Reitern eintreten soll, ist kein Geheimnis mehr. Geheimnis ist aber noch – und ich bitte auch dich, es vorläufig als ein solches zu betrachten – der Grund seines Übertritts in russische Dienste. Ich will es kurz machen: Leo soll, wenn die Kampagne im Balkan – woran kaum zu zweifeln ist – zugunsten Rußlands entschieden wird, den Fürstenthron von Illyrien besteigen.«

Das kam Emich allerdings unerwartet. Er war förmlich erschrocken. Er fuhr in die Höhe und starrte den Onkel mit maßlos erstaunten Augen an.

»Von Illyrien sagst du?! Von Illyrien, Onkel?!«

»Verdammte Gegend«, meinte Prinz Leopold und biß sich auf die Lippen, als ihm ein strenger Blick seines Vaters diese unzeitgemäße Kritik verwies.

»Ja, Emich – so ist es. Von Illyrien. Die diplomatischen Vorbereitungen sind bereits unter der Hand getroffen worden. Der Wunsch nach einem deutschen Fürsten ging von Illyrien selbst aus. Der alte Marquis Veresco, gegenwärtig Regentschaftsverwalter des Landes, hat namens der Volksvertretung bei dem Fürsten Kursewsky, der die Armee Illyriens reorganisiert, die ersten Schritte getan. Kursewsky gab die Anfrage an den Zaren weiter, der sie wiederum dem Oberbefehlshaber der Balkanarmee, dem Großfürsten Fedor Konstantin, überwies. Es konnte nur ein souveränes Haus, das im großen europäischen Konzert keine Rolle spielt, in Frage kommen. Daß Großfürst Fedor auf uns und speziell auf Leopold verfiel, ist seiner Freundschaft für mich zu danken. Die Mächte sind einverstanden; auch wenn man den Russen den Sieg streitig machen wollte, würde man behufs endgültiger Regelung der Verhältnisse im Balkan den Plan, den Thron Illyriens mit einem deutschen Fürsten zu besetzen, durchzuführen wissen. Bismarck hat mir persönlich in seiner liebenswürdig originellen Weise geschrieben: Deutschland habe gar keinen Grund, uns das Vergnügen zu mißgönnen, die Illyrier auf den Damm zu bringen. Mit der europäischen Diplomatie sind wir also d'accord ... Leo wird Ende des Monats abreisen und möglicherweise bald auf den Kriegsschauplatz berufen werden. Daß es meinem Vaterherzen nicht leicht wird, den Jungen sozusagen in die Fremde zu schicken, wirst du mir glauben, Emich. Aber der Gedanke, daß er berufen ist, den Glanz unseres alten Geschlechts im fernen Süden zu erhöhen, söhnt mich mit meinem persönlichen Empfinden aus. Wir sind hier im Wandel der Zeiten von einer intimeren Teilnahme an der großen Politik zurückgedrängt worden. Vielleicht wird Leopold einmal Besseres beschieden sein...«

Prinz Leo machte ein Gesicht, als ob ihm das herzlich gleichgültig sei und wärmte seine Stiefelsohlen am Feuer, erinnerte sich dann aber der Würde seiner neuen Mission, nickte lebhaft und versuchte, sich ein wenig Begeisterungsfreudigkeit zu geben. Um so interessierter war Emich geworden. Er erzählte dem Onkel von seiner Freundschaft mit Masseo Veresco, dem er noch gestern Lebewohl gesagt habe und von seinen Sympathien für Illyrien: wie seltsam es ihn berühre, daß nun einer des Namens Schöningh die Fürstenkrone jenes Reichs tragen sollte, dessen Schicksal ihn so lebhaft beschäftigte. Und da wurde auch Prinz Leopold lebendig. Was dieser Veresco für ein Mensch sei? Ob man ihm nicht noch telegraphieren könne, seine Abreise aufzuschieben und vorher einen Besuch auf der Stubbachfeste zu machen? – Leo überschüttete Emich mit einem Schwall von Fragen, bis der Fürst schließlich ungeduldig wurde.

»Tu mir den Gefallen und laß mich zunächst einmal aussprechen, Leo«, sagte er. »Wir haben mit Emich noch manches Wichtige zu erledigen; du kannst dich nachher zur Genüge mit ihm ausplaudern... Also, lieber Emich, wir bedürfen, da du gegenwärtig der Chef der gräflichen Linie unseres Hauses bist, die überdies nur auf deinen Augen ruht, auch deiner Zustimmung zu unserm Plane. Und das war der Hauptgrund, der mich dich herbitten ließ. Ich nehme an, daß du mit allem einverstanden bist und möchte dich ersuchen, dich morgen mit dem Major Biegeleben, meinem Kabinettschef, in Verbindung zu setzen. Biegeleben wird dir eine Urkunde vorlegen, die deine Genehmigung zu dem beabsichtigten Übertritt Leos in russische Dienste mit allen seinen eventuellen Folgen ausspricht. Ich meine, es wird dir erst keine lange Überlegung kosten, sie zu unterzeichnen.«

»Gott bewahre, Onkel,« entgegnete Emich, »ich bin mit Vergnügen dazu bereit. Es ist auch mir eine Freude, etwas für den Glanz und die Ehre unseres Hauses tun zu dürfen.«

»Ich danke dir« – und der Fürst erhob sich halb aus seinem Sessel und drückte Emich die Hand. »Leo, bedanke dich gleichfalls bei deinem Vetter!«

»Aber um Gottes willen, macht doch keine Geschichten!« rief Emich, unwillkürlich heiter gestimmt über den tiefen Ernst, mit dem der Fürst – und mit Recht – seine Angelegenheit behandelte. »Leo, bleib sitzen! Besuche ich dich einmal in Garica, so revanchiere dich durch ein Paradediner, eine Hofjagd und das Großkreuz deines Hausordens!«

»Ich habe noch eine andere Revanche für dich«, sagte Fürst Ferdinand. »Ich weiß nicht, ob du in den Einzelheiten unserer Chronik so recht Bescheid weißt. Der Fürstentitel stand uns, dem ganzen Geschlecht, schon mit der Erwerbung von Stubbach zu, kam aber erst Ende vorigen Jahrhunderts und zwar allein für die Stubbacher Linie zur Bestätigung. Das war insofern eine Ungerechtigkeit, als ihr kein apanagierter Ast seid, sondern mit uns denselben Stammvater habt. Ich habe nun in Berlin durchgesetzt, daß der Prinzen- und Prinzessinnentitel gleichmäßig allen Mitgliedern des Gesamthauses zuerteilt wird; selbstverständlich ausgeschlossen ist nur Hans-Carl, der seinen Rechten entsagt hat. Du wirst also nächster Tage die Genehmigung zur Führung des Prinzentitels erhalten, der auch deiner Nachkommenschaft ersten Grades zusteht.«

Emich war etwas verblüfft. Die Vettern beobachteten ihn neugierig. Sie mochten glauben, Emich würde, taumelnd vor Freude, dem Ohm um den Hals fallen. Aber Emich dachte nüchterner und praktischer.

»Es ist sehr liebenswürdig von dir, Onkel,« antwortete er, »daß du dich so warmherzig meiner annimmst. Der Prinzentitel ist sicher sehr hübsch, und ich muß ihn ja wohl auch akzeptieren. Aber in eine gewisse Verlegenheit bringt er mich dennoch. Ein armer Baron geht allenfalls noch an. Adlige Schlucker laufen massenhaft herum. Ein armer Graf ist schon fataler; es hat seine Schattenseiten, mit Erlaucht angeredet zu werden und dabei in Gedanken überschlagen zu müssen, wie lange die paar Taler im Portemonnaie noch reichen werden. Und nun gar ein armer Prinz! Onkel – ob ein Kommerzienrat nicht besser durch die Welt kommt?! ...«

Der Fürst lächelte.

»Ich habe auch an die finanzielle Seite gedacht, Emich«, entgegnete er. »Ich möchte Bruder Erich, deinen guten verstorbenen Vater, noch im Grabe versöhnen – und da hab' ich mir denn erlaubt, die Einkünfte aus der Wallheide für dich anlegen zu lassen. Das ist immerhin eine sichere Rente von etwa acht- bis zehntausend Mark im Jahre. Mit dem, was du bereits besitzest, und dieser Revenue wirst du also auch als Prinz ganz leidlich leben können...«

Nun war Emich besiegt.

»Onkel,« sagte er, »du machst mich schamrot. Ich – ich weiß nicht, wie ich dir danken soll –«

»Von Dank ist gar keine Rede, Emich«, fiel der Fürst ein. »Aber eine Gegengefälligkeit kannst du mir erweisen. Ich lasse Heinz bei den Garde-Ulanen eintreten. Das bedeutet die Aussöhnung des Kaisers mit mir, der mir lange wegen der dummen Geschichte von Sechsundsechzig gegrollt hat. Willst du dich nicht auch zu den Garde-Ulanen versetzen lassen? Es wäre mir eine große Beruhigung, wenn ich euch beide Vettern beim gleichen Regimente wüßte...«

Emich schwieg. Nun glaubte er zu verstehen. Es griff alles ineinander. Die Dotation des Fürsten sollte der Bonbon für die Versetzung nach Berlin sein. Er sollte der Aufpasser Heinrichs werden, zugleich sein Prügeljunge. Erbitterung quoll in ihm auf. Sein Regiment verlassen – die alten Freunde, vor allem Mac Lewleß – um keinen Preis!...

»Onkel, vergib – aber das kann ich nicht. Das kann ich nicht. Ich habe mein Regiment liebgewonnen – es würde mir sehr, sehr schwer fallen, es aufgeben zu müssen ... Stellst du die Versetzung als Bedingung« –

»Nein«, fiel der Fürst lebhaft ein; die Wolke des Unmuts auf seiner Stirn verflog rasch. »Ich stelle keine Bedingung, gar keine. Es handelt sich lediglich um eine Bitte. Laß sie dir durch den Kopf gehen. Es hat noch lange Zeit. Deine Entscheidung kommt auch noch in Monaten zurecht...« Er erhob sich plötzlich. »Es ist spät geworden. Ich will mich zurückziehen; das Diner hat mich ein wenig abgespannt. Aber laßt ihr euch nicht stören. Trinkt ruhig euern Rheinwein aus! Gute Nacht, Emich – gute Nacht, Jungens!«

Leopold und Heinz wurden lebendig, als der Vater das Zimmer verlassen hatte.

»Bassermann muß uns eine Cliquot heraufholen«, meinte Prinz Heinrich; »so jung kommen wir nicht mehr zusammen!«

»Und ein paar Pullen Porter«, setzte Leopold hinzu. »Cliquot mit Porter; wer das beständig trinkt, hat seiner Zeit genug gelebt.«

Aber Emich war gegen diese Weltweisheit. Der Johannisberger sei so wundervoll, daß man sich zufrieden geben möge. Er füllte nochmals die Gläser. Die Prinzen schnitten Gesichter, fügten sich aber. Emich mußte auf Leopolds Bitte von Veresco erzählen. Am meisten amüsierte sich der künftige Thronkandidat Illyriens über die Nationaltänze, die Masseo dem alten Obersten von Peuken im Feldmarschallsaale des Berliner Kadettenkorps hatte vortanzen müssen.

»Das ist kostbar, Emich!« rief er und schlug sich lachend mit der Hand auf den Schenkel; »also Stratpotka und Sassapulka – o, das vergeß ich nicht – damit imponier' ich dem Großfürsten! Schade, daß du sie nicht tanzen kannst – dann hätt' ich sie mir auch eingeübt... Ach, Emich, ich graul' mich vor Illyrien! Denke, nun komm' ich aus Heidelberg, wo wir eine prächtige Zeit verlebt haben, und nun soll ich striktement nach dem abscheulichen Rußland! Die Poltowa-Ulanen haben zwar eine schmucke Uniform: pfirsichblütenrot und silbern – aber ich bitte dich: was geht mich im Grunde genommen Rußland an? Und Illyrien? Bismarck meint, der ganze Balkan könne uns Wurscht sein – Emich, ich sage dir, wenn man mir heute die Wahl ließe zwischen dem Fürstenthrone Illyriens und den Kronprinzen-Kürassieren – ich würde lieber Leutnant bei den Kronprinzen-Kürassieren!«

»Schafskopf!« sagte Prinz Heinz. »Emich, über solch Geschwafel soll man sich nun nicht ärgern. Eine Fürstenkrone ist doch kein Butterbrot. Aber der Leo hat nicht die Spur Ehrgeiz im Leibe. Unten in Stubbach hat er mit der Tochter eines Butterhändlers ein Techtelmechtel angeknüpft –«

»Heinz, ich verbitte mir deine Indiskretionen!« rief Leopold und bekam einen roten Kopf. »Du hast in Heidelberg einer Kellnerin eine Brosche und ein Armband und ein Paar Ohrringe geschenkt – wofür denn? haha – und ich habe nichts dagegen gesagt! Du tust, als ob du mein Vormund wärst! Du tust, als ob ich ein dummer Junge wäre! Ich verbitte mir das! Was bist du denn?!«

»Na und du?! – König von Illyrien! Feine Anstellung. Tausend Franken Zivilliste und zu Weihnachten 'ne baumwollne Weste!«

»Bitte, lieber Bruder, ich überlass' dir den Vorrang. Du bist der ältere. Aber ich will dir was sagen: Komm' ich einmal nach Illyrien, dann herrsch' ich auch souverän! Und was hast du denn bestenfalls zu sagen, wenn du erst Fürst von Schöningh-Stubbach bist?! Hast mit dem Kopfe zu nicken bei allem, was man dir von Berlin aus vorschreibt und hast das Maul zu halten! Ich halt's nicht – ich reiß' es gehörig auf – ich –«

»Schwerenot, nun zankt euch gefälligst nicht!« rief Emich. »Vorwärts, steigt in die Gläser! Was soll denn das heißen!? Leo, wir sind unter uns. Ich begreife, daß dich die Fremde nicht reizt. Aber hast du einmal angenommen, so mußt du auch deine volle Kraft der neuen Stellung widmen. Sapperment, was muß das für eine Freude sein, ein noch halb barbarisches Ländchen nach und nach in einen modernen Kulturstaat umzuformen! Ich glaube wirklich, mich könnte das reizen! Wahrhaftig, Leo – im Grunde genommen bist du besser daran als Heinz, denn dir steht wenigstens ein tüchtiges Stück Arbeit bevor!«

Prinz Leopold nickte.

»Sie ängstigt mich auch nicht«, sagte er. »Ich bummle ganz gern, aber die Arbeit ist keine unebene Abwechslung. Aber, herrjeh, wir Vettern untereinander brauchen uns doch kein X für ein U vorzumalen, und wenn ich sage, ich würde lieber – – na, ich bin schon stille, sonst wirft sich Heinz wieder in die Brust und spricht mir Ehrgeiz und Ehrgefühl und was nicht sonst noch alles ab!«

Heinrich lachte gutmütig. »Es war nicht böse gemeint, Brüderlein fein. Prost – vertragen wir uns wieder! Rußland und Illyrien und du und deine Krone und das zurückbleibende Liebchen – auf all das trink' ich. Prost!«

»Prost, Heinz – prost, Emich! Ach, die kleine Mieze! Solche blauen Augen und ein paar Lippen...« Er wollte schwermütig werden. Aber Emich erzählte ihm, daß die Mädel in Illyrien auch von schönem Schlage seien, prächtig gewachsen und trügen den Kopf stolz auf den runden Schultern und hätten Feuer im Blick. Das tröstete Leo. Noch dann seufzte er wieder. »Die Mädel in Illyrien! Lieben müssen sie mich schon, wenn ich ihr Fürst bin – aber so die rechte Liebe ist es doch nicht!...« Und er seufzte noch einmal.

Emich fand das so komisch, daß er herzlich auflachen mußte. Die Eintracht zwischen den Brüdern war aber wieder hergestellt. Und Emich mußte von neuem von Veresco erzählen, bis sich ganz leise die Türe öffnete und der alte Bassermann erschien, angeblich, um nach dem Kaminfeuer zu sehen. Es war aber eine Mahnung, daß die Mitternachtsstunde vorüber sei; und um diese Zeit war noch niemals in der Kemenate der heiligen Rodogunde pokuliert worden...


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