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Keine Methode

Und ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet.
Johannes 5, 40

 

10. Januar 1753

Das ist die große Sache, die kein Prophet, kein Apostel mit demselben Nachdruck und Deutlichkeit traktiert hat als der Heiland. Er hat behauptet, daß Lesen, Hören, Beten, Singen und alle Andacht, daß der Gottesdienst, ja selbst der beste Gebrauch des göttlichen Worts, welches David Psalm 119 von seiner Thora Tag und Nacht reden heißt, wohl ganz gut, aber doch nicht die Sache ist, denn, sagt er, es fehlt euch noch das Leben und lebendig macht eben der Sohn, und wen er will.

Das Leben ist eine Sache, die man nicht beschreiben, in keine Methode und System bringen kann, der Wind bläst, wo er will, und man hört sein Sausen wohl, aber man weiß nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Er will also nichts anderes sagen als daß das Ding in kein System zu bringen ist, denn wenn ich gleich weiß, was Ost, Süd, West und Nord ist, so kann ich doch, wenn ich in der Kabine liege, oft nicht eher wissen, was für Wind ist, bis daß ich danach frage.

Wenn man also gleich mehrere Beschreibungen von der neuen Geburt hat, so kann doch sein, daß man des nächsten Nachbars seine nach keiner dieser Beschreibungen erklären und ausfinden kann, welche es eigentlich ist, bis man mit dem Bruder ausführlich redet und sich viele Exempel erzählen läßt, wie's mit ihm zugegangen ist und dann aus zwanzig Begebenheiten sieht, welches eigentlich ist die, da er das Leben aus Gott gewahr worden.

Das sagt der Heiland nicht ohne Ursach, denn hätten wir eine rechte Methode des Lebendigwerdens, wir setzten uns drauf, probierten sie aneinander und wenn's ein Mensch so gemacht hätte, so dächten wir, er lebte und hätte er es nicht so gemacht, so dächten wir, er lebte nicht. Das würde ein Haufen Splitterrichten und falsche Beredungen von sich selber geben. Daher ist's dem Heiland gefällig gewesen, die Materie des Lebens zum Geheimnis zu machen, das ihm allein überlassen bleibt.

Er macht lebendig, wen er will, Johannes 5, 21. Was ich nun fordere ist nicht, daß einer lebendig sein soll, ehe ihm der Heiland das Leben gegeben hat, sondern daß er nicht so darüber weg sei, sondern daß er eine stille, demütige Ahnung davon haben soll, daß ihm das Leben aus Gott noch fehlt, weil er noch das und jenes an sich gewahr wird, das damit nicht übereinstimmt. Das ist keine Werkheiligkeit. Ich setze nicht auf Taten und Beweise, sondern auf die Bewegungen im Gemüt.

Das einzige, was ich gern will, ist, daß wir überzeugt sind von der Wahrheit des Satzes: Ihr müßt das Leben haben, ihr müßt zu mir kommen, ich muß euch den Geist, der in Adam gestorben, wiedergeben. Wenn der, solange wir in der Hütte sind, immer ein Kind bleibt, dagegen habe ich nichts, aber es muß ein lebendiges Kind sein.

 

20. Juni 1758

Solange der Heiland nicht wiederkommt, solange entschädigt man sich seiner Abwesenheit so gut man kann und hauptsächlich damit, daß man mit allen Sachen zu ihm zurückgeht, in den Umgang und das Gespräch des Herzens mit ihm, worauf man auch Antwort kriegt. Wer das gefunden hat, der hält daran fest und macht sein Tagewerk mit daraus, wenigstens bewahrt es seinen Gang, sein Wachen und Schlafen, daß er sich der Nähe seines Herrn versichern kann, daß er Besitz nimmt von dem Recht, das wir an ihm haben. Wenn man erst eine gründliche Erkenntnis von der Schrift hat, sie gelesen und behalten hat, so ist's hernach keine schwere Sache, daß einem das Bibellesen auf hundert Sachen bringt, die man mit ihm ausreden kann und er uns selbst den besten Kommentar zu seinem Wort macht. Alsdann hat man eine hübsche Vorarbeit, man kommt entgegen seiner Wiederkunft, und wenn er kommt, so ist man nicht fremd in der Sache, sondern besinnt sich, ihn schon sonst gesprochen und gekannt zu haben, und er weiß sichs auch zu erinnern, wie beim Nathanael, da er sagte: »Ich habe dich vor etlichen Tagen unter dem Feigenbaum gesehen, ich weiß, was dein Anliegen war, was du gemacht hast.«


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