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Zille-Weisheiten.

Wer dieses Buch aufmerksam gelesen hat, wird schon mancherlei Zilleweisheiten haben herauspflücken können. Es bestehen noch sehr viel mehr. Jeden Tag entstehen dazu neue. Zille ist unermüdlich in gedankenvollen und beispielhaften Erzählungen, Schilderungen und Äußerungen.

Alle diese Aussprüche sind wie der ganze Kerl: voll Weichheit und Zorn, voll Verzagtheit und trotziger Auflehnung, voll Schalkhaftigkeit und vielseitigen Beziehungen, oft voll herzlichster Zartheit, oft aber auch voll Brutalität – wie eben das Leben selbst.

Und weil Zille alle diese Vielfältigkeit des Lebens in sich trägt und in seinen Werken und Worten so ganz ursprünglich von sich geben kann, so muß man ihm schon ein Stück Weisheit zugestehen. Allerdings keine bewußte Weisheit, keine gelehrsame, predigende Weisheit, keine, die ein System entwickelt und es nun den Menschen mit Gewalt aufzuzwingen versucht – was übrigens schon wieder die größte Unweisheit ist.

Nein, Zilles Weisheit ist eine milde, väterliche, ihren Samen ohne Voraussetzung ausstreuende Weisheit. Sie wächst wild wie die Blumen auf dem Felde. Jeder mag sie pflücken und sich an ihr erfreuen.

Viele solcher Weisheiten sind in seinen Erlebnissen zu finden, die in diesem Buch geschildert sind. Sie sind aus wirklichen Vorkommnissen entstanden. So wie dieses ernste Geschichtchen:

»Das ahnt ja keiner, was ich alles gesehen habe ... Wie viele traf ich, die ihr Fläschchen Zyankali bei sich in der Tasche haben, um nachzuhelfen, wenn's mal gar nicht mehr gehen will. Und wie oft hab ich abschrecken müssen: Laß man den Unfug, das Zeuch taucht doch nischt mehr. – Nee, ich möchte das alles nich noch mal mitmachen müssen – es trägt sich verdammt nicht leicht.«

In solchen kleinen Sätzen prägt sich seine Stellung aus zu Schicksalsverkettungen mannigfacher Art, zu den Abgründen menschlicher Tragik, zu den erschütternden und vielfachen Zusammenhängen des menschlichen Lebens.

Im Grunde bewegt ihn doch trotz aller Skepsis eine große Hoffnung und Zuversicht. Er glaubt auch – trotz alledem – an die Menschen – an seine Menschen.

Trotz seines leidenden Zustandes (Zuckerkrankheit) ist er ein unverwüstlicher alter Mann. Peter Bang schilderte ihn einmal vorzüglich nach einem Besuch:

»Schon erscheint er selbst, wie üblich in Hemdsärmeln, an der Tür seines Schlaf- und Arbeitszimmers und nötigt den ›Besuch‹ hinein. Stöße von Zeitungen, Briefen und losen Zeichenblättern bedecken die Hälfte des großen Tisches, der die Mitte des Zimmers einnimmt. Dahinter das breite Bett, zu dessen Kopfende seine feinen Freunde, seine Dompfaffen, stehen.

»Ich decke se immer erst um neune zu. Wenn ick hier zu sprechen habe, wollen se doch immer mitreden«, sagt er mit pfiffigem Zwinkern der kleinen Augen über die Brille hinweg.

Und wirklich mischt sich, wenn die Unterhaltung lauter wird, vergnügtes Zwitschern aus den drei Käfigen hinein.

Und es wird lebhaft. Denn wenn Zille auf den Film zu sprechen kommt, wird er wieder jung. Immer wiederholt er, was er sagte, als er das erstemal seine zum Filmleben erweckten Zeichnungen auf der Leinwand vorüberhuschen sah:

»Es ist nur gut, daß du so schön alt bist. Mit deiner Zeichnerei würde es jetzt bald vorbei sein, wenn diese jungen Leute mit ihrer Kamera das Leben selber festhalten.«

Er sieht einen ganz wehmütig an, wenn er soweit ist, und fährt fort:

»Was habe ich mich mein Leben lang gequält, um – sagen wir – einen Hund zu zeichnen, der mit dem Schwanz wedelt. Man mußte es darunter schreiben. Jetzt im Film, da wedelt er wirklich mit dem Schwanz!«

Zille hat natürlich seine Empfindlichkeiten als alter Mann und als Künstler. Er kann sich in unsere Zeit des Lärms und Radaus nicht hineinfinden und lehnt deshalb auch das geräuschvolle Radio ab:

»Also das ist ganz fürchterlich, wie man durch Radio gestört wird! Wenn man sich ein bißchen besinnen will, dann stellen die unten rechts – und die unten links – und dann die zwei Treppen tiefer die Lautsprecher an. Und dann geht das stundenlang durcheinander, das Gequarre.

Aber Ich kauf mir nächstens tausend Nägel, tausend Nägel. Und klopfe die alle in die Wand.

Tausend Nägel! ...«

*

Trotz seines Alters und der Behinderungen aber bleibt er der alte, immer zu allerlei Eulenspiegeleien aufgelegte Meister, ein Schalksnarr von Gottes Gnaden, wie diese Erzählungen aus den letzten Monaten beweisen:

»In einer vornehmen Gesellschaft – in einer Villa in Tempelhof –, wo man mit mir protzen wollte, wurden die Gäste vorgestellt:

»Herr Leutnant –!«

»Frau Major –!«

»Herr Kommerzienrat –!«

und noch eine Masse andere lange Titel:

»Herr Major –!«

»Frau Rittmeister –«

»Zille!« sagte ich. »Hundsgemeiner!«

Da war's vorbei mit dem Titelfimmel ...«

*

»Meine Uhrkette ist aus Stahl – und 'n Kreuz baumelt auch dran. Da fragen mich immer die Guten ganz ergeben, wenn sie die Stahlkette sehen:

›Für Gold?‹

Damit meinen sie, ob ich im Kriege eine Goldkette für 'ne Eisenkette hingegeben hätte. Mein letztes Goldstück habe ich ja hingegeben, das einzige, das ich in meiner Münzensammlung hatte: ein englisches Pfund. 1915 – fürs Vaterland!

Wenn ich nu gefragt werde, ob ich Gold für Eisen gab, sage ich:

›Ja – für Gold!‹

Aber die Kette stammt von einem Schirm. Früher trugen doch die Herren auch Sonnenschirme – aus grauem Kattun. Die hatten Ketten. Durch den Stock, daß man sie bequem tragen konnte.

Die habe ich mir abgemacht.

Das ist meine Uhrkette!«

*

»Ja, es gibt auch in unserm heutigen rationalisierten Berlin allerlei Originale. Da kam ein Tütenfabrikant zu mir. Ich sollte ihm 'ne Zeichnung machen für den Konsumverein. Er hatte sich wohl mit dem Verein ein bißchen quergestellt und wollte sich nun wieder mit den Leuten gut stellen. Mit meiner Zeichnung führte er sich auch wieder gut ein. Der Verein benutzte sie wohl auch als Reklame.

Na – er zahlte gleich, als er das erstemal kam. Ich hatte noch keinen Strich gemacht. Es sollte bloß 'ne kleine Zeichnung sein. Viel könnte er nicht anwenden. Er sei ja kein Millionär. Draußen im Osten hatte er ein Grundstück mit 'ner Fabrik gehabt. Das war alles weg durch Krieg und Inflation. Er arbeitete nun flott weiter. Und dann schrieb er, ob ich schon angefangen hätte – und schickte fünfzig Mark mit.

Da schrieb ich ihm: ›Es wächst schon!‹

Beim zweitenmal, als er wieder nachfragte, schickte er noch fünfundzwanzig Mark mit.

Da antwortete ich: ›Es wird noch größer!‹

Ja – und nun hat er wohl wieder mehr Papierlieferungen zu machen – und nun hat er bloß den Fimmel, Arme aufzusuchen. Ganz im Ernst. Immer will er helfen.

Ich muß mich wehren, daß er mir Geld gibt.

Und nun hat er doch gesehn, daß meine Schwiegertochter kränklich ist. Das arme Mädchen ... Nun will er durchaus für sie was tun.

Na – ich schicke ihn dann zu andern.

Es gibt ja genug Arme.

Aber der ist nur glücklich, wenn er helfen kann ...«

*

Welch eine Fülle von geschickten, großzügig-stilistischen Wendungen, glücklich gewählten Beispielen enthalten Zilles Briefe! Hier seien nur kurze Ausschnitte aus einigen seiner letzten Briefe mitgeteilt. Sie enthalten die Abwehr des leidenden Alters gegen die Umwelt, die doch noch so viel von seinem Werk retten und fruchtbar machen will, wie nur möglich ist:

»Auf Ihr Schreiben, das mir durch Firma ... gesandt wurde. Dieser Brief ist der letzte , den ich in Angelegenheit: Zilles Werdegang schreibe ...

Ich schreibe keinen Zillewerdegang. So eingebildet bin ich nicht, daß ich mein Tun und Leben müßte der Mitwelt in Wort und Bild unterbreiten – nee – ich habe sogar manchem Zeitungskuli und Schreiber gesagt: »Was wollen Se haben, wenn Sie nichts über mich schreiben!« Nein, ich schreibe, was Sie wohl mir nicht verübeln werden, meine Erinnerungen in Wort und Bild. Da ich nun nicht mehr lange lebe, ist's die höchste Zeit. Da ich meine Erinnerungen nur selbst weiß, so kann ich keinen Zwischenmann gebrauchen und muß mich so gut wie möglich damit quälen, vielleicht verlischt das Lebenslämplein noch nicht. Denn ich bin von Zeitungen und Verlegern dauernd daran erinnert worden, sogar mit großen Zahlungsversprechen. Letztere sind's nun nicht, die mich begeistern, sondern nur die simplen Erinnerungen: »Was ich sah« – niederschreiben – und mein Leben noch mal langsam vorbeiziehen lassen. Ob aus dem gedachten › Werdegang ‹ noch was wird, das glaube ich nicht. Denn wie ich schon hier schrieb, mir liegt an der Beweihräucherung nichts.«

Aus einem zweiten Brief:

»Ich kann mich nicht zerfleischen, damit andere zur rechten Zeit mich verspeisen können ...«

Aus einem dritten Brief:

»Ich kann erst wieder zum Bilderzusammensichten kommen, wenn ich stabiler bin und auch erst Drucke gesehen habe. Die Eile hat keinen Zweck – besser Schritt für Schritt. Es ist sehr viel Material vorhanden, daher Ruhe und Vorsicht. Der alte Vertrag sollte ja nicht gelten, er sollte mir günstiger gebaut werden, es wäre gut, darüber nachzudenken und zu formulieren.

Denn bei diesem großen Bildermaterial, jedenfalls auch noch manches Wort von mir, ist der Gewinn für mich beschämend. Ich habe von Verlegern und den Abdruckern nur Schaden – die haben die Höhenluft und Auto – und ich: Schornsteinrauch und schlechte Stiefelsohlen ...«

*

So ungeduldig er in seinen Briefen war, so arbeitsam und schaffensfreudig war er immer, wenn er jemand zu sich kommen Heß. Und war man den langen Korridor hinunter gegangen, dann kam er selbst – immer in Hemdsärmeln, arbeitsbereit – aus seinem Arbeitszimmer, lugte heraus und holte den Besucher freundlich herein. Wenn es ihm zuviel wurde, rief er wohl auch in immer bildkräftiger Sprache:

»Mich kratzen sie noch aus der Erde heraus!«

Dann aber war er nur immer bedacht, den Wunsch des Besuchers zu erfüllen, kramte in seinen aufgehäuften Schätzen, in den Mappen und Studienstapeln herum, ging ins Nebenzimmer, trotzdem er vor Schwäche schwankte, und kroch auf dem Boden herum, um irgendein ihm wichtig erscheinendes Blatt oder Heft zu finden. Und wenn ihn auch die Schwäche übermannte und er zusammensank, wenn die erschreckten und um ihn bangenden Besucher ihm auch abredeten von dem anstrengenden Suchen: er hatte wohl die Empfindung, daß zu einem bestimmten Werk oder Artikel auch noch eine ganz bestimmte Zeichnung gehörte. Und es war wie unausweichliche Bestimmung, die ihn trotz der Anfälle trieb: »Das Werk zu vollenden.«

*

Hier mögen als Ergänzung, um das Wesen Heinrich Zilles und seine Kunst zu verstehen, einige Sätze aus dem Artikel stehen, den Fritz Stahl zum siebzigsten Geburtstag von Heinrich Zille veröffentlichte. Sie geben Aufschluß über den Menschen sowohl wie über seine Kunst – und auch über die Weisheit Zilles:

»Heinrich Zille ist bis in seine Mannesjahre im graphischen Gewerbe tätig gewesen. Seine Kunst ist gewissermaßen als Nebenbeschäftigung entstanden, zunächst ganz sicher aus reiner Lust und ohne jeden Blick auf das Publikum. Sie hat nur so entstehen können – Können und Form entwickelten sich langsam an ihrem Gegenstand. Das ist sehr schön, ja, das beste, was es für einen Künstler geben kann. Keine Einflüsse, keine Theorien, kein Hin und Her; was alles in den Biographien der Künstler des 19. Jahrhunderts einen so großen Raum einnimmt. Aber es geht sehr, sehr langsam. Und eine ungeduldige Zeitgenossenschaft ist keineswegs geneigt, einer solchen Entwicklung ruhig zuzusehen und sie zu unterstützen. Da muß der Künstler sie selbst finanzieren.

Es ist sogar fraglich, ob es gut für Zille war, daß er diesen praktischen Beruf aufgegeben hat. Er konnte ja nicht als freier Künstler leben. Platz für ihn gab es nur im Witzblatt. Er hat der Gefahr der Mechanisierung glücklich widerstanden, er blieb in seinem ›Milljöh‹ und blieb dadurch frisch. Aber es schadete der richtigen Wirkung seiner Blätter. Sie wurden als Witze über die Schicht genommen, die er vorstellte, und Witze sind sie nicht und sollen sie nicht sein.

Dann kam es, wie es immer kommt, zu einem Widerspruch durch Gegensatz. Zille ist als Mensch und Bürger Sozialdemokrat, und Gesinnungsgenossen machten ihn deshalb zu einem sozialistischen Künstler. Vielleicht glaubt er selbst an so etwas, besonders nachdem es schwarz auf weiß in Büchern stand. Aber davon kann ja gar nicht die Rede sein. Als Mensch ist er natürlich nicht mit diesem Leben einverstanden, das er schilderte, und wünscht diesen Mitmenschen ein besseres Los. Aber als Künstler ist er voll und ganz einverstanden, und in seiner Darstellung fehlt jede Spur von Tendenz (ein paar Blätter ausgenommen, die man wenigstens so deuten könnte).

Ich möchte dieses Verhältnis noch etwas bestimmter formulieren. Würde der liebe Gott Zille fragen, ob er wünsche, daß dieses ganze Volk von morgen ab in Gartenstädten leben solle mit allem Komfort von Moral und Hygiene und Körperkultur, so würde er gewiß ohne Besinnen ja sagen. Er selbst aber wäre nach dem Verschwinden seines ›Milljöhs‹ kreuzunglücklich, ohne Heimat und ohne Stoff.«

*

Zille ist eben in jeder Weise mit seinem »Milljöh« verknüpft. Auch in seiner Weisheit. Adolf Heilborn, sein langjähriger Freund, erzählt dazu sehr hübsch:

»In den Vortagen zu seinem siebzigsten Geburtstag wurde Zille von Photographen geradezu überlaufen. ›Ein paar hab' ick rausjeschmissen un nich zu knapp‹ – hat nicht Menzel mal in ähnlicher Situation gesagt:

›Ich bin nicht zu Hause; hier ist kein Panoptikum!‹? – aber einige allzu Hartnäckige verstanden doch, an ihr Ziel zu gelangen. Einer kam Silvester nachmittag, als es schon schummerig wurde. Um dem Kurbelmann die Aufnahme doch noch zu ermöglichen, trat Zille auf seinen winzigen Balkon, nahm einen der Blumentopfuntersätze, die er, mit Semmelbröckeln gefüllt, für die Spatzen dort immer stehen hat, in die Hand und ließ sich kurbeln.

»Weeßte,« sagte er mir ein paar Tage später; »ick habe janicht dran jedacht. Nu wem die Leute sagen – hat Zille aber kleene Teller, und wat der Mensch allens freßt!«

*

In letzter Zeit ist Zille auch zur Erkenntnis gekommen, daß »Durscht« nicht nur mit alkoholischen Getränken, sondern auch mit Heilbrunnen und anderem Wasser gelöscht werden kann. Er sagt durchaus ernsthaft:

»Ja, es wäre vielleicht besser, der Alkohol würde ganz verboten. Er ruiniert zu viele.

Seit dreiviertel Jahr trinke ich keinen Schluck Alkohol. Der Arzt sagt zwar, ein Gläschen französischer Kognack würde mir ganz gut tun. Aber wenn die Flasche dasteht – und das Zeug schmeckt wieder, wenn man sich dran gewöhnt ... Nee – lieber keinen Tropfen!

Ich habe mir 'n Gelöbnis gegeben – an einen, der gar nicht da is ...

Will mir nicht sagen lassen, meine Krankheit ist schlimmer geworden. Ich habe noch viel zu tun.

Nichts Neues.

Aber aufkramen – Ordnung schaffen. Da liegt noch so viel rum ... Das muß noch gesichtet und gerichtet werden ...«

*

»Zu viele haben 'ne Warnung gekriegt. Mein Freund Krauß, der Bildhauer, auch. Bei solch vergnügter Kneiperei – plötzlich: den Schlag! Die Ärzte wollten ihn beruhigen und sagten, das wäre von einer Fischvergiftung. Aber Krauß sagt, er weiß Bescheid. Er trinkt nicht mehr!

Und den sollen Sie mal sehen! Trotz seines Alters turnt der noch in seinem Garten im Grunewald, macht die Welle am Reck – wie 'ne Mühle! ...«

*

Trotz seiner Schwäche ist er immer noch bereit, seinen Verehrern einen Gefallen zu tun. So schrieb er im Sommer 1928 an ein Berliner Abendblatt:

Der 14. Juli, der Tag für den Lunapark, rückt heran. Ich denke, daß ich in diesen Tagen, bis zum 14. Juli, so viel Kraft und Ausruhen gesammelt habe, um den Gästen des Lunaparks ein fröhliches »Wochenendgesicht« für einige Stunden zeigen zu können. Ich werde kein Läufer sein, wegen meiner Füße (lebe auf großem Fuß), aber viel sitzen. Sollte ich meine Lederschuhe nicht anziehen können, so müßte ich als »Laubennachbar« in Hausschuhen kommen. Es würde entschuldigt werden, Hauptsache ist ja »det Jesicht«!

Schönen Gruß Ihr H. Zille.

Immer der muntere Zille! Auch selbst in dem, was jetzt erzählt wird, spricht seine lebensstarke Art:

Zille, der nach seinem siebzigsten Geburtstag noch bekannter und beliebter geworden ist als vorher, der von Liebhabern seiner Kunst und von Bettlern jeder Art, nicht nur von Autogrammbettlern, überlaufen wird, hat an die Eingangstür zu seiner Wohnung einen weißen Zettel geklebt:

Bitte, keinen Besuch.
Bin krank!

Er ist wirklich ruhebedürftig. Hat sein ganzes Leben lang schwer gearbeitet. Ist leidend und wünscht sich Ruhe. Er erzählt:

»Ich wollte hinschreiben:
             Ich bin tot.

Aber da sagte mir der Briefträger:

›Machen Se det nich – denn brechen se bei Ihnen ein!‹ Nun muß mir das Krankenschild etwas Ruhe schaffen.«

*

Mit grimmigem Humor findet Zille sich mit seinem Alter ab. Zuckerleiden plagt ihn. Lächelnd streift er, der fast immer nur im Hemd, Hose und Weste in seinem Schlaf- und Arbeitszimmer lebt und nur ganz selten noch auf die Straße geht, den Ärmel hoch und zeigt seinen Unterarm:

»Da – mit jedem Tag werde ich dünner. Das Fleisch schwindet ... Damit ich leichter werde, wenn sie meinen Sarg die Treppe runtertragen müssen!–«

*

Die beispiellose Bildhaftigkeit und Sprachkraft, die in jeder seiner Äußerung immer noch steckt, die immer noch mutvoll auf alles zu erwidern weiß, läßt aber alle seine Freunde hoffen, daß er noch lange nicht »im Sarge die Treppe hinuntergetragen« wird. Wenn er auch nicht viel Neues vollbringen kann – er kann doch noch die großen Schätze sichten und ordnen, die er aufgestapelt hat, kann dies und jenes Blatt, das er angefangen hat, vollenden und kann sich so seine Wünsche, die er noch hat, selbst erfüllen.

Denn der ganze Künstler will auch ein ganzes Werk hinterlassen. –


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