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Die Jugendlichen.

Neben den Kindern und zwischen ihnen leben die Jugendlichen, die Halbwüchsigen, wie sie eine Zeitlang genannt wurden. Es sind die jungen Menschen, die eigentlich schon über die Kindheit hinaus sind, aber auch noch nicht ganz zu den Erwachsenen gehören, die vor allem noch nicht offiziell mündig erklärt sind.

Sie fühlen sich aber durchaus mündig. Und das ist selbst häufig bei Kindern schon zu finden, wie das manche Zeile in dem Kinderkapitel beweist. Meistens aber befinden sich unter den Halbwüchsigen Lehrlinge, Laufburschen, Radler, Boten aller Art und – Fürsorgezöglinge. Zur Charakterisierung seien hier einige Sätze aus einer Studie von mir über diese Halbwüchsigen abgedruckt:

Dort, wo nur vereinzelte Häuserblocks mit kahlen, grellen Wänden über brache, umzäunte Bauplätze, Holzhandlungen und den Exerzierplatz hinwegragen, zogen die fünf Burschen entlang. Franz vorauf mit einer lauten Mundharmonika. Die andern paarweise hinterdrein, pfeifend, was Franz blies:

»Ha–ab'n Se nicht den kleenen Kohn jesehn?«

Die Kindertrupps, die in der letzten Dämmerung von den Laubenkolonien aus durch den Schlesischen Busch nach Hause zogen, blieben stehen und starrten den Burschen nach. Einige der Jungen sangen auch, hastig mit dem Kopf nickend, den Gassenhauer mit, einen nachäffenden, höhnischen Zug im Gesicht.

Als die Burschen um die Ecke nach der Görlitzer Bahn zu abbogen, brach der Harmonikaspieler jäh ab:

»Ach wat – ich spiel' nich mehr!«

Die Burschen, die mit den Händen in den Hosentaschen und vornübergebeugten Nacken hinter ihm her schoben, pfiffen stumpfsinnig weiter. Erst nach einer Weile sagte einer:

»Na – Franz – nu mach keene Kaleika und blase noch wat.«

»Wozu denn? Wenn ick doch keene Lust mehr habe?«

»Wat heeßt Lust ...?«

Sie gingen eine Weile schweigend in der zunehmenden Dunkelheit vorwärts auf dem hellgrauen Steinpflaster.

Plötzlich brach einer von ihnen los:

»Natürlich, dein Willi is ja nich dabei! ... Er wird schon noch kommen! ... Oder ärgerst du dir, daß er noch mal ins Kittchen muß? ... Denkste, das dauert bei dem lange, daß er draußen is? Der is doch immer gleich wie'n Verrückter, wenn ihm eener wat sagt!«

Sie kamen an eine Stelle des Zaunes, von der die Eisenspitzen und Stacheln herabgerissen waren. Wie die Katzen kletterten sie hinüber und schlichen innen ein Stück entlang. Dann setzten sie sich auf die Böschung. Der größte von ihnen, der schon vorhin gesprochen, holte Zigaretten hervor und verteilte sie mit den ärgerlichen Worten:

»Nu habt euch man nich so um den Willi! Ihr dhut ja jrade, als wenn det der reene Joldengel is ...« In sein vom aufflammenden Streichholz erhelltes Gesicht kam eine geringschätzige Linie. Die dünnen, welken Backen, der blasse, schmallippige Mund und das knochige Kinn zogen sich nach unten, als er das Streichholz den anderen hinhielt:

»'t is woll euer Liebling? Wat? – weil er von feine Eltern abstammt? He!«

Franz wollte gerade seine Zigarette anzünden, da blies ein dritter das Streichholz aus.

»Laßt doch solche Kindereien!« fuhr Franz die anderen an, die laut und fröhlich lachten.

Der Große, der inzwischen tüchtig paffte, entzündete wortlos ein neues Streichholz.

 

144. Sonntagsfreuden.

»Ihre Else läßt sich ja orn'tlich abknutschen, Frau Meyer, is et denn een ernstet Verhältnis?«
»Nich in die Hand, 's is unser möblierter Zimmerherr, een anständiger Mensch, da muß man schon een Ooge zudrücken!«

Aus »Mein Milljöh«, Verlag Dr. Selle-Eysler A.-G.

 

Auch diesmal bliesen sie es ihm aus:

»Hier ist't zu windig!«

»Ja, ihr seid mir scheene! Windige Brieder seid ihr!« sagte Alfred, der ein drittes Streichholz in Brand setzte.

Da lachten die anderen noch mehr – und zuletzt lachten Alfred und Franz mit.

»Die reenen Kinder seid ihr doch!« machte Alfred, als er endlich die Streichhölzer fortstecken konnte. »Na – sonst könntet ihr euch ooch nicht so um den Marzipan-Willi haben.«

»Na – nu laß endlich den Willi zufrieden!« fuhr Franz auf. »Wat hat er dir denn jedhan? ...« Er rückte sich zurecht und sagte grollend: »Der dhut sich nischt dadruff zu jute, deß er aus de Fürsorge (Fürsorgeanstalt) ausgekniffen is wegen Strafe, von wegen jemauste Äppel!«

»Nee, aber ich kann mir wat dadruff zu jute dhun! Jewiß, ick bin ausgekniffen. Ick habe ooch Äppel jestohlen. Aber dadrum schäme ick mir noch lange nich! Im Jejenteil! Dadruff bin ick stolz! ... Und – denn is det ieberhaupt keene Art nich, eenen det immerzu vorzuschmeißen! Du – –«

Die anderen murmelten, als ob sie ihm recht gäben.

»Als wenn ick dir immer vorklönen wollte, deß du deine Mutter, die euch alle Mann durch Waschen satt macht – deß du deine Mutter de Laken aus't Bett verkooft hast!«

»So – wer hat mir denn dazu anjestift't? Wer is denn immer zu uns ruffjekommen und hat mir in de Ohren jelegen? Un wer hat denn die Dinger verschärft? ... Du – det ick nich krätig werde!«

*

Zille selbst schildert die Jugendlichen in manchen Zeichnungen. Einige der Unterschriften geben das richtige Milljöh dieser Menschenkinder:

»So'n Lärm, ick wer't eire Mutta sag'n, und ooch noch een fremder Mensch is da!«

»Aba, Frau Schmidt, det is doch Metas Verhältnis, der is von de Fürsorje jetürmt!«

 

145. Rodelfreuden.

Nach der Originalzeichnung.

 

Paule war mit seinen dreizehn Jahren schon zweimal vorm Jugendgericht, hat sich ne »Brume« rangelacht, die Pinkelfrieda ist seine Braut, und wenn die Drehorgel ertönt, Paule tanzt, wie man in Berlin sagt, schon eine ganze »kesse Sohle«. Wie lange wird's dauern, und Paules Daumenabdruck ist auf dem Alexanderplatz. (Siehe Bild 28.)

*

»Jroßmutter –¦ hab ich schon Brust?«, fragt eine Zwölfjährige beim Ankleiden.

*

Da haben wir solche, die in die »Fürsorge« kommen. Und wie es um die steht, die heraus kommen, zeigt die Antwort der zu Entlassenden:

»Na, Alwine, hast du noch einen Wunsch?«

»Mit 'ner modernen Kluft möchte ick bei mein' Verhältnis antreten, enges Kleed und Bluse mit Oberlicht, Herr Direktor!«

*

Nicht alle Jugendlichen sind so heile. Da sagt Zille mit fideler Selbstverspottung:

»Wo woll'n Se denn hin mit det Mächen – Frau Kulike?«

»Ach, det is doch meine Nichte, de Paula. Zu nischt doocht se, sechs Stell'n hat se jehabt in fünf Wochen, nu will ick ihr als Modell bei Zill'n bring'n!«

*

Dann rufen sich wieder die richtigen Großstadtpflanzen zu:

»Wo'n hin, Else?«

»Rangdewuh!«

»Wo'n?«

»Bei die Schale in Lustgarten.«

»Ick ans Knie!«

*

Das sind die Jugendlichen, die in bestimmten Wirtschaften ihre »geschlossenen« Vereine haben, wo sie ungestört miteinander knutschen können:

»– Nun ick bin dafor, det wir uns 'ne andre Vereinsbudike suchen, so 'ne Zigarette for'n Pfennig is in Damenjesellschaft nich mehr zu roochen!«

 

146. Vor dem Jugendgericht.»Det trau ick mir jarnich öffentlich zu sagen!«

Nach dem Originalentwurf zum 1. Mal veröffentlicht.

 

Auch findet man sie in den Konditoreien, in denen Holzwände kleine Poussierwinkel bilden. Da steht dann in der Knutschstunde der Kellner und denkt:

»Stille Zeit!«

Und die kein Geld für Konditoreien und Vereine haben, machen's in der Feierstunde so:

»Schnell noch 'in Kißken, Karl, ick muß in'n Meechenschutz!«

*

Und auch die Wandervögel neckt Zille ein wenig; trotzdem er sich an ihrem kameradschaftlichen Wesen und ihrer Einfachheit freut:

»Jehn wa heite nacht in die Jugendherberge, Irma?« –

»Nu nee – nich in de Hand, ick bin for Natur. Ick bleibe mit Fritze ins Jrüne.«

*

Und dann kommt auch mal die Angriffslust des jugendlichen Alters zum Vorschein – die in berlinischer Bildhaftigkeit sich äußert:

»Det ick dir nich 'nen Schatten ins Profil setze!«

*

Allerdings sind manche unter ihnen, die einen kleinen Knax von ihrer Kindheit her haben. Einzelne fangen auch an zu versagen, wenn die Ansprüche des Lebens an sie herantreten. Aber die Mehrzahl arbeitet sich durch alles moralische und sittliche Gestrüpp der Großstadt durch, ist blind oder unempfänglich für die blendenden Verführungen um sie herum. Jeder Großstadtjüngling, jedes junge Mädchen wird tausendfach von allen möglichen Lockungen bestürmt. Wer ihnen nachgibt, muß dafür bestimmt sein.

Denn den andern blieben sie nicht erspart.

Sie aber wandern durch allen Schmutz und durch allen sozialen Druck und bleiben aufrecht und klar. Also haben wir:

Hoffnung auf die Jugend!


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