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Zille-Witze.

In diesem ganzen Buch sind ja Zillewitze enthalten. Hier kann nur noch das Wesen und die Art der Zillewitze erläutert und eine kleine Nachlese gehalten werden.

Das Wesen der Zillewitze ist eine unerhörte Treffsicherheit. Sie haben Natürlichkeit und Lebendigkeit, was nicht von allen Witzen zu sagen ist. Sie sind eben nicht erdacht. Sie sind erlebt. Sie bringen immer ein Stück Leben.

An anderer Stelle habe ich schon einmal gesagt, daß Zille ein Heimatskünstler ist. Er ist es wirklich in dem Sinne, daß er aus dem Menschentum um sich herum seine Motive schöpfte und daß er verstand, sie ganz unverfälscht, unpoliert und mit aller Deutlichkeit wiederzugeben.

Seine Blätter, seine Zeichnungen und Unterschriften wurden immer als Witze über die Schichten, über einzelne Volksgruppen genommen. Sie sind es aber nicht immer.

Zille, der zweifellos von einem inneren Weltverbesserergefühl getrieben wurde, konnte in seiner Art nicht als freier Künstler leben, mußte entweder in einem praktischen Beruf tätig sein – was er bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr auch tat – oder er mußte Platz in den Witzblättern suchen. Nur in denen wurden seine Gestalten, sein »Milljöh«, seine »Kinder der Straße«, seine Darstellungen »Aus Alt- und Neu-Berlin« geduldet. Daß er diese Bühne fand, auf der er in die Öffentlichkeit treten konnte, war ein großes Glück für ihn und für uns, seine Leser und Verehrer. So fand er ein breites Publikum – und das Publikum fand ihn. Wer hätte sich sonst wohl Originale von Zille erwerben können?

Er erzählt ja selber von einigen reichen, protzenhaften Käufern seiner Bilder – gerade nicht beglückt, dort seine Werke zu wissen.

Wir andern aber: wir waren schon froh, wenn wir die

 

215. Senta Söneland.
Die bekannte Kabarettkünstlerin in charakteristischer Mimik.

Nach der Original-Porträtskizze zum 1. Mal veröffentlicht.

 

paar Pfennige für die Witzblätter aufbringen oder die Witzblätter im Barbierladen, im Kaffeehaus oder sonstwo durchblättern konnten und dann aufleuchteten:

»Ein neuer Zille!«

*

Er neckte besonders gern die Frauen. Über sie seien hier noch einige Scherze mitgeteilt, die er zu Hunderten machte und von denen ja fast alle Kapitel dieses Buches einige enthalten:

 

216. Erich Mühsam.

Nach der satirischen Porträtskizze zum 1. Mal veröffentlicht.

 

Beim Kassenarzt erzählt eine Patientin von ihrer Schwägerin. Der Arzt fragt:

»Liebe Frau, am besten wäre es, Ihre Schwägerin käme selbst zu mir – hat sie vielleicht Würmer?«

»Jawohl, Herr Doktor, drei Stück, un det vierte is unterwejens!«

Die Patientin hatte die Sachlichkeit des Arztes als berlinische Redewendung aufgefaßt. »Würmer« – das sind nicht nur Parasiten des menschlichen Körpers. Der Berliner bezeichnet Kinder ein wenig mitleidig als »Würmer«.

*

Ein anderer Scherz ist bitterer und weist auf die Oberflächlichkeit und Herzlosigkeit mancher Frauen hin. Am Spreeufer steht eine hilfeflehende Dame. Ein Hinzukommender fragt:

»Was ist denn passiert?«

»Ach Jott, mein Mann is ins Wasser jesprug'n, mein Pompadour war mir in de Spree jefallen ...«

»Aber beruhigen Sie sich doch, Frau! Kann er denn schwimmen?«

»Nee, eben nich! Es sin ja die schwer'n Schlüssel drin!«

*

Und die Unerfahrenen neckt Zille:

»Jroßmutter: der Bademeester sagt, hier verkehren Fremde aus zwei Hemisphären, damit meint er wohl was recht Unanständiges –«

*

Über die unüberlegte Redeweise vieler Frauen, die unfreiwillig die größten Zweideutigkeiten sagen, äußert sich der Künstler:

Die Schaffnerin und der »Anhänger«.

»Bei mir vorne is voll! Im Hintern is noch Platz!«

*

Und wie sie, die oft sich Zierenden, beim Arzt zum Natürlichen und Sachlichen zurückkehren, verspottete er, indem er das Bild Seite 421 skizzierte. (Bild 217.)

*

Wiederum weiß er auch ihre Eitelkeit zu verhöhnen, indem er von einer Wasserpartie erzählen läßt:

 

217. »Recht tief atmen, Frau Krüger.«

Nach dem Originalentwurf zu einer Arztkarikatur, zum 1. Mal veröffentlicht.

 

»– ja un det Boot war so voll, und bei's Aussteig'n fiel eene dicke Dame ins Wasser. Na, da hab'n die Sanitäter so eene Stunde an ihr rumjeturnt, bis se wieder ihre Verstehste hatte – aber wissen Se, wat ihr erstes Wort war:

›Hab'n Se nich een Spiegel?‹«

*

Den Übergang zu seinen sozialkritischen Witzen stellt der folgende dar:

Berliner Sprachstudien.

Er: »Schon widder Kohl mit ohne Fleesch als Beilage? Ick eßte doch jestern erseht – – –«

Sie: »Et heeßt nich: Ick eßte! Man sacht: Ick aß!«

Er: »Uff dir mach ja det stimm'. Ick brauch' mir nich Aas nennen!«

*

In diesem Scherz neckt er wieder die Frauen:

Frau Olga Ritz, Hebamme (Torwächterin) in Berlin NO.

»– ob ich mir nun auch noch 'nen Bubikopp schneiden lasse? – Ach nee, nee – dann denken die Geburten, da lauert een Mann und trauen sich nich raus!«

*

Doch weiß er auch den Männern witzig die Wahrheit zu sagen:

Herr Zeitler ist so ein pünktlicher Quartalsäufer, daß nach seinem Kommen die Normaluhren reguliert werden.

*

Auf das Gebiet der Sittenschilderung führt die Beobachtung aus dem Sensationsprozeß:

»Ihre Frau interessiert sich wohl nicht für die Verhandlung?«

»Nee, absolut nich, janz un jar nich, die hat zehn Jahre lang det Theater erlebt als Stütze in so'n ›Pängsionat‹.«

*

Auch dieser Satz ist in Moabit (dem Kriminalgericht) geerntet worden: Kriminalstudent Bolle, genannt der »Lindenpinscher«:

 

218. Verkehrsstörung.
»Wenn wir 'n Hoch uff S. M. ausbringen, müssen alle uffstehen!«

Nach dem Original aus dem Ende des Weltkrieges.

 

»Unter drei Jährekin kommt der da drin nich weg. Junge, Junge – wie mußt du dir amüsiert hab'n!«

*

Doch hat Zille nicht nur auf den Gängen und in den Vorräumen des Gerichts das Volk belauscht. Er hat auch in den Gerichtssälen allerlei gesehen und gehört, z. B., wie ein Angeklagter seinem für ihn plädierenden Anwalt zuflüstert:

»Herr Verteidiger! Sie müssen ooch mal zu die Jeschwor 'nen rüberquatschen; fünfe schlafen schon!«

*

Und auch hinter die Gitter hat er selbst geblickt – wenn auch nicht mit leiblichen Augen, so aber mit geistigen, mit künstlerischen. Die sehen ja manchmal weiter als die Augen im Gesicht:

Der Zuchthausinspektor sagt zum Neuling: »Die Wolle ist schlecht gezupft!«

Sträfling: »Wenn Ihn' meine Arbeet nicht paßt, dann kann ick ja jehen!«

*

Da haben wir schon einen kräftigen sozialkritischen Witz. Davon gibt's eine Menge. Einmal fragt Zille:

Wo aber ist die Sonne?

»Mutta, Erna heilt wie 'n Boomaffe, se heert janich mehr uff!«

»Half se in de Sonne, det se trocknet!«

*

Überhaupt neckt Zille auch gern die »Grünen«, die »Blauen«, die Polizei, wie in der Plauderei in der Bodega:

Der Spitzel: »Nein, mein Lieber, hab'n Sie 'ne Ahnung von de Polizei, wir brauchen Verbrecher. Wenn wir keine hätten, dann müßten wir se machen; wovon soll'n wir denn sonst leben!«

*

Der ängstlichen Exzellenz, die wohl mit Schrecken an die Fabel von dem Bramarbas und dem furchtlosen Barbierlehrling denkt, läßt er durch den das Messer handhabenden Friseur sagen:

»Keine Angst, Herr Minister, ich bin nicht müde. Ich rasiere totsicher auch mit geschlossenen Augen.«

 

219. Auf Urlaub.

Nach der Originalzeichnung aus dem Weltkriege.

 

Dann aber hat Zille auch unendlich viele Witze gemacht, die nichts als eine harmlose Schilderung des Volkslebens sind. Einige Beispiele mögen hier noch folgen:

»Mensch, August, die Fische sinn nich so dämlich wie wir! Bei det Sauwetter sitzen se alle unter de Brückenbogen, det se nich naß wem!«

*

Beim Umzug.

»Fritze, wat is denn det for'n Gestelle von Bette?«

»Na, Mensch, een Himmelbette, wenn sich Lehmann mit seiner Frau jezankt hat, schmeißt er die Olle oben ruff!«

*

Der Stolz der Familie.

Der kleine Oskar fährt mit seiner Mutter in der Elektrischen. Da sagt ein Herr wohlwollend zu ihm: »Junge, du hast aber ein paar dicke Beine!«

»Au – da sollten Sie erst mal die von meiner Mama sehen!«

*

Moabit.

»– und dann haben Sie den Zeugen mit einem Instrument geschlagen!«

»I wo, Herr Richter, ick habe noch nie een Klavier besessen!«

*

Beim Arzt.

»Wenn Sie so weiter trinken, bekommen Sie ein Bierherz, Leber, Nieren und Magen wie hier auf der Abbildung.«

»Pfui Deibel, Herr Doktor, da muß ick aber jleich nachher een druff trinken!«

*

Die Nachbarn.

»Wat – ihr Mann is ooch Musiker?«

»Ja in die Affenschwanzdiele in de Tauentzienstraße macht er laut!« (Spielt Klavier.)

»I so wat! Un meiner pust in die Scala uff'n Knüppel!« (Bläst Flöte.)

*

Doch machte er manchmal gern seine Scherze mit künstlerischen Freunden. So ließ er Schauspielerkollegen voneinander äußern:

 

220. Hinten anstellen.
rufen die Kinder Spaßeshalber den Hunden zu. Große Kartoffelpolonäse.

Nach der Originalzeichnung aus dem Ende des Weltkriegs.

 

»– daß muß ich sagen, er ist in seinem Heim ein prachtvoller Mensch, kein Schauspieler –«

»Kunststück – Herr Kollege – auf der Bühne doch ooch nich –«

 

221. Herrschaftliche Hundestunde.
»Habt ihr euren Hund abgeschafft, Juste?« »Ja, der Gnädgen is neulich een Floh vom Moppel in die Suppe gehopst – und sie ißt doch keen Fleesch!«

Nach der Originalzeichnung.

 

Auch in seinem täglichen Leben macht der alte Meister gern seine kleinen Scherze:

»Karl Boese, der Filmregisseur, fragte, ob er heute mit mir das neue Manuskript durchsehen könne.

Da hat er aber Böse – geträumt!« lachte Zille beziehungsvoll.

*

Und wenn diese »Zilles« vielleicht etwas mehr als Witz aufgefaßt, als belustigende und erheiternde Berichte über

 

222. Der Geburtstag der Mutter Kranzler.

 

Nach einem Farbendruck.

gewisse Volksschichten – etwas anders verstanden wurden, als Zille es selbst wollte: das war kein Nachteil und kein Mangel. Weder für Zille und seine Kunst, noch für die Volksschichten. Zille wurde nur um so beliebter, je mehr Erheiterung er schaffte. Und die Volksschichten und ihre Nöte wurden auf diese Weise um so gründlicher ans Tageslicht gebracht. Denn das war auch für den erheitertsten Beschauer nicht zu umgehen:

Hier war manch Trauriges und zum Nachdenken und zur Hilfe Aufforderndes mit lachendem Munde gesagt. Darum wurde es auch herzlich aufgenommen.

Wäre es nur kühl, sachlich, mit drohender Forderung gesagt worden:

Niemand hätte es angesehen. Alle hätten es abgelehnt.

Es wäre ein großer Mißerfolg geworden: künstlerisch und auch ethisch.

So aber hatte Zille seine Wirkung mit heiterem Herzen erzielt, hatte andere heiter gemacht – und mit frohem Herzen mehr erreicht und gewirkt, als mit der geballten Faust.

Seine Heiterkeit, sein Witz haben gesiegt.


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