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Heinrich Zille und die Soldaten.

Heinrich Zille, diesem großen und stattlichen Menschen, blieb es nicht erspart, volle zwei Jahre als Grenadier zu dienen. Er kam zu den »Leibern«, dem Leibregiment in Frankfurt a. d. Oder. Man wußte im »Kommiß« noch nichts von dem natürlichem Vorrecht des künstlerischen Menschen, die Dienstzeit abzukürzen. Wußte nicht, daß schöpferische, schaffende Menschen einen unermeßlichen Wert für die Kultur und Wirtschaft des Volkes bedeuten. So wurde denn Zille in der Zeit der allgemeinen Wehrpflicht zwei Jahre fast ganz seiner Ausbildung und seinen Aufgaben entzogen.

Er ließ sich aber nicht ganz seiner Aufgabe entziehen. Er war viel zu sehr besessen von seinem Talent, von seinem Können und übte unter allen Umständen seine Fähigkeiten. Manche Kameraden machten sich wohl über ihn lustig. Auch manche Vorgesetzten fanden es lächerlich, daß solch »strammer Kerl« sich mit Zeichnungen plagte, von Kunst was verstehen, in der Kunst leben wollte. Aber bald machten sie sich das zunutze. Manche Geländeskizze, die nach den größeren Übungen die Herren Leutnants dem Obersten vorlegten, stammte vom Grenadier Zille. Das verschaffte ihm Ansehen und Achtung – und seine Kameraden, vor allem aber manche unverständigen und ungebildeten Unteroffiziere, betrachteten ihn verständnislos und hüteten sich, ihm zuviel zuzumuten.

Als er mit einem Zug Soldaten zur Wache in das Zuchthaus Sonneburg kommandiert wurde, gewann er erschütternde und unglaubliche Eindrücke, die später in manchen Zeichnungen wieder auftauchten. Aber auch andere typische Erlebnisse berichtet er und läßt die unsinnig verbrachten Jugendjahre, die gequälten Tage und Nächte im Geist an sich vorüberziehen:

»In der Garnison Frankfurt a. d. Oder wurden wir als zukünftige Vaterlandsverteidiger vom Oberst empfangen: »Na, da hätten wir ja die Nordhafenlouis aus Berlin!«

Derselbe Oberst wurde mal gegen Abend an der Oderbrücke von einer Rotte junger Arbeiter von seinem Kampfroß runtergeholt und ganz gründlich verhauen. Dabei brüllte er mit seiner tiefen Kommandostimme: »Wo sind denn meine Grenadiere!«

Als wir mit unseren Habseligkeiten in den Händen auf dem Kasernenhof angekommen, auf die Verteilung in die Kompagnien warteten, ermahnte dieser Oberst die Offiziere, Unteroffiziere und Rekrutengefreiten wiederholt eindringlich: »Nur die Leute mit Worten erziehen«, bei Androhung von Strafe: »Keinen Mann anfassen!«

Gleich darauf besichtigte derselbe Oberst die in drei Reihen hintereinander aufgestellten Mannschaften von hinten und ertappte einen Jüngling, der schlecht auf Vordermann stand. Er tippte ihm auf die Schulter und sagte väterlich:

»Stellen Sie sich auf Vordermann!« Der Mann rührte sich nicht.

Der Oberst wurde heftiger: »Sie sollen sich auf Vordermann stellen!« – Der Mann versteht das nicht. – Jetzt brüllt der Oberst:

»Herrgott, ist denn kein Unteroffizier da, der den Lausehund in die Rippen stößt!«

Wir wurden in die Kompagnien verteilt, kamen in die Stuben, die Wanzen lauerten schon auf uns. In den Betten lag Häcksel als Stroh – zerlegenes Müll. Schlechtes Essen gab's. Dafür wurden wir täglich von einigen Offizieren mit einer Kloake von Kasernenhofblüten und Witzen besudelt. Die Roheiten einzelner Unteroffiziere, denen ihre Dienstzeit nur die Vorübung und Lehre war, um dann nach neun Jahren als Schutzmann, Steuer-, Post-, Eisenbahnbeamter usw. gut untergebracht zu sein, wurden außerdem noch, mit der Pensionsberechtigung belohnt.

 

195. Der alte Ulan. »Na Rieke – so'n oller Ulan wie ich kriege doch eenen umsonst!« »Wat denn!« »Na 'n Schnaps – det andre – det holen wir uns wie Moltke: immer umzingeln.«

Nach einer Bleistiftzeichnung aus H. Zilles erster Soldatenzeit um 1880, zum 1. Mal veröffentlicht, zeigt bereits viele Eigenheiten und die große Gewissenhaftigkeit des Zeichners.

 

Zur Mannschaftsausbildung gehörte auch: Sonntags vormittags, bei der Spindrevision, zeigte ein junger Leutnant auf das Bild meiner Liebsten, das auf der inneren Seite der Tür befestigt war, mit der höhnischen Frage:

»Ihre Sau?«

Z.

*

Von einem Manövererlebnis erzählt Heinrich Zille:

»Da war ich 1887 in Quartier. In Angermünde, bei Mutter Samin. Das war das kleine Haus – da um die Ecke hauste ich in einem kleinen leeren Raum. Bloß ein Strohsack als Bett und 'ne Kiste als Stuhl. Vater Samin, der ein Pferdchen und 'n Wagen hatte, machte Fuhren in der Stadt. Seine Familie stammte aus Frankreich. Aber von der Kultur war nichts mehr zu merken. Ich mußte morgens dem Wachhund draußen seinen Freßnapf wegnehmen und ihn ausspülen, um mich waschen zu können. Und Mutter Samin kochte noch auf offenem Feuer. Der Topp hing noch an 'ner Säge überm Herd. Ehe das Feuer in Gang kam, mußte ich längst zum Dienst. Kaffee kriegte ich nie morgens.

Aber Mutter Samin meinte es gut. Gab mir Milch und auch sonst mal 'n Happen.

Die treue Seele bemutterte mich.

Das war damals, als ganz Deutschland mit dem neuen Gewehr üben mußte. Griffe kloppen – den Kasten mit zehn Patronen einschieben. Die leeren Hülsen flogen einzeln im Bogen raus, wenn die nächste vorgeschoben wurde – immer dem Nachbar auf die Hand oder zwischen Mantel und Affen (Tornister).

Ja, das waren trotzdem schöne Tage bei Mutter Samin.«

*

Und aus den Sonneburger Wachewochen weiß er allerlei mitzuteilen:

»In Sonneburg mußte ich als Soldat die Zuchthäusler bewachen. Die jugendlichen »Sonneburger« klebten bunte und blanke Kotillonorden. Tagelang – wochenlang – monatelang...

Ob die feinen Fräuleins, die auf den vergnügten Bällen die Orden an ihre Galane verteilten und dann lustig in ihren Armen walzten, wohl wußten, wer den schönen Flitterkram gemacht hatte? –

Ja – die Blicke, mit denen die Zuchthäusler uns von der Bewachung ansahen: Ihr seid frei – wir sind in Bewachung.

 

196. »Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus! – –«

Nach dem Aquarell von H. Zille aus seiner Dienstzeit, Sonneburg 1882, zum 1. Mal veröffentlicht. Bis auf einige zeitgenössische Emblemo bereits eine fein belebte Landschaftsstudie.

 

Wir laufen rum als »Schokoladenjünglinge« – von wegen der braunen Kluft.. .«

*

»Schließlich wurde ich so eine Art Vertrauensmann für unsern Leutnant (v. L.). Der war ein ganz versoffenes Huhn und schickte mich vor allem immer nach Bier. Aber weil ich ein Wappen für ihn malte, ließ er stets zwei Glas Bier holen, so daß auch ich nicht Durst leiden brauchte. –

In der Sonneburger Kirche hängen doch alle Wappen von den Familien, von denen ein Mitglied zum Johanniterorden gehörte. Da hatte denn mein Leutnant auch ein Wappen seiner Familie entdeckt. Und das mußte ich ihm abmalen.

Das war mir natürlich lieber als die Bewachung der armen Deibels im Zuchthaus. –

Wenn ich nun in der Kirche arbeitete – an dem Wappen – bis zur Dämmerung, stand immer eine andere von den vielen Pastorstöchtern an der Kirchentür:

»Papa läßt bitten zum Kaffee!«

Der Pastor rauchte seine lange Pfeife, die Töchter strickten oder machten die damals beliebte Spritzmalerei. Ich saß dazwischen: nicht als Kommiß, sondern ich gehörte dazu.

So lernte ich auch die Seite vom Leben kennen.«

*

»Sonneburg war damals nur ein großes Dorf. Fischer und Ackerbürger und kleine Handwerker. Und dann Witwen von Aufsehern. Die besorgten den Aufsehern und den Soldaten die Wäsche und die Handschuhe.

Witwen gab's genug. Ihre Männer, die Aufseher, wurden eben verrückt am Dienst. Zwölf Stunden in Filzlatschen rumschleichen – die andern Menschen beschleichen – immer achten, daß sie nicht miteinander sprachen –

Nur immer Schnupftabak in die Nase stopfen. Das einzige, was sie machen durften, um sich wach zu halten – damit sie bewachen konnten ... bis ins Hirn – den Tabak.

Da mußten sie ja bald verrückt werden.«

 

197. »R – rau – s!« Wachruf aus der Sonneburger Zeit. Der Herr Leutnant kommt. In der Soldatenfigur bereits echter Zille. Im Hintergrund landschaftliche Feinheiten.

Nach der Original-Bleistiftzeichnung zum 1. Mal veröffentlicht.

 

 

198. Nach dem Zapfenstreich.
Szene aus der Zeit der Wehrpflicht, als ständig Streit zwischen Soldaten und Zivilisten entstand.

Nach der unveröffentlichten Zeichnung aus den Soldatenjahren Zilles, zum 1. Mal veröffentlicht.

 

»Der Leutnant hatte einen ganzen Haufen Ehrenzeichen geerbt. Von Onkeln, die 1813 bis 15 mitgemacht hatten. Meistens Ehrenzeichen für Nichtkombattanten.

Eines Tages sagte mir der Leutnant: »Hier, schmeiß' den Dreck auf den Müll!«

»Aber – das sind doch Ehrenzeichen!«

»Ja, gewiß, die sind von meinem Großonkel. Was soll ich damit?«

 

199. An der Alexanderkaserne 1898.
In der Alexanderstraße stand eine große Kaserne für ein Garde-Fußregiment. Im benachbarten Scheunenviertel waren oft die Abschiede der Soldaten von ihren Bräuten zu beobachten.

Nach dem Aquarell von H. Zille, zum 1. Mal veröffentlicht.

 

»Ich war damals Schreiber vom Feldwebel. Die ganzen Akten von den Zuchthäuslern lagen bei uns im Büro. Damals ließen sich keine Schiebungen mit den Akten machen. Wir Soldaten kamen nicht so dicht mit den Zuchthäuslern zusammen, um Kabrusche zu machen. –

Fliehen konnten sie damals auch nicht so leicht. In bestimmter Entfernung standen Wachen beim Schilderhaus, die

 

200. Vadding in Frankreich.
»Du, Korl, du denkst woll, du bist in 'n Hotel garni, dat du dien Schlammbottiche vor de Döhr stellst!«

Aus dem Ulk.

 

immer hin und her pendelten und sich ihre Meldung zuflüsterten.

Da hieß es aufpassen. Die Unteroffiziere kamen auf dicken Filzsohlen zur Kontrolle. Wenn wir nicht gleich das Gewehr fällten und anriefen, wurden wir angegeben.«

*

»Und die Kerle selbst, die Zuchthäusler, übten auch ihre Spaße mit uns. Ich schob Wache. Da hatte einer irgendeine Arbeit draußen zu machen, irgend 'ne Erdarbeit.

Reden durften sie doch nicht mit uns. Wir durften auch nicht mit ihnen reden. Wenn sie uns ansprachen, sollten wir sie melden.

Da fängt der an und sagt: »Gestern früh hat's ooch gefroren!«

 

201. Vadding im Osten.
»Süh, Korl, hier wer'n de Lüd gegen Verstopfung impft!«
Satire auf die übermäßige Impferei im Kriege.

Aus dem Ulk.

 

Ich denke – antwortest nicht – melden werde ich auch nicht.

Der brabbelt immer vor sich hin:

»Ick bin ooch aus Frankfurt – ick seh' doch, daß du ein Leiber bist. (Vom Leibregiment Frankfurt a. d. Oder.) Die sollen hier spannen (aufpassen).

Tu' nur nicht so!

Ihr hört ganz gut!«

Ich wußte nicht: würde der Kerl mich melden? Sollte ich ihn melden?

Er sagte weiter: »Tu' nur nich so!... Ihr seid ja hier ooch bloß Gefangene! – Aber ihr müßt noch Knöppe putzen!«

Recht hatte er. Ich hab' ihn auch nicht gemeldet...«

 

202. Vadding im Osten.
»Süh, Korl, nu bin ick um twei Pund lichter wor'n!« Scherz über die Entlausungsanstalten im Kriege.

Aus dem Ulk.

 

Wie sie die Leute manchmal bei dem Kommiß schindeten!

Da war ein Kamerad mit kurzem Bein. Der Hauptmann hatte ihm beim Rottenmarschüben hineingestochen ins Knie. Der war wütend gewesen, weil nicht alles glatt in der Reihe ging, weil der Mann über einen Stein oder einen Grasbüschel gestolpert war. Da hatte der Hauptmann einfach den Degen gezogen und vom Pferd runter drauf los!

Der Kerl durfte doch nun nicht früher entlassen werden, ehe er wieder hergestellt worden war.

Als der Stich verheilt war, war das Knie krumm. Nun legten ihn die Sanitätsunteroffiziere auf eine flache Pritsche und wollten das steifgewordene krumme Bein strecken. Ein flaches Brett aufs Bein und dann alle Mann mit ganzem Gewicht und voller Wucht drauf!

 

203. Vadding in Frankreich.
»Süh, Korl, den Granattrichter! Da seggen se ümmer, wi maken Geschichte – wi maken ook Georgraphie!«

Aus dem Ulk.

 

Ich höre den armen Kerl heute noch schreien und brüllen .... Nach Hause kommen durfte er auch nicht.

Sein Vater hatte ihm gesagt:

»Bleibe, bis du gesund bist!«

Na – da wollten sie ihn eben so lange bearbeiten, bis er von selber ging und unterschrieb, daß er gesund entlassen war.«

*

»Vor mir hatten die Unteroffiziere Angst. Überhaupt in Sonneburg. Da war ich Vertrauter vom Leutnant

Ich war zwar nur Hundsgemeiner. Aber Angst hatten sie!«

*

Auch diese Jahre beim Kommiß hatten ihr Gutes für Zille. Der Weltkrieg kam. Und wir mußten uns alle zu diesem Schicksalsschlag einstellen. Da fand Zille seinen Weg durch diese Zeit: den richtigen Weg.

Er fand seinen »Vadding in Frankreich« und dessen Freund, seinen Korle. Später reihten sich naturgemäß an: »Vadding im Osten«, »Vadding im Süden« und so weiter. Er gab Bilder von allen Fronten, von allen Schlachtfeldern und Kampfgebieten. Und er wußte diese Landschaften, die Stimmung, ja selbst die militärischen Einzelheiten so echt und überzeugend zu treffen, daß alle glaubten, er sei auch »vorn« gewesen. Niemand, der selbst im Felde gewesen, wollte ihm glauben, daß er in der ganzen Kriegszeit nicht aus Berlin herausgekommen und nur einmal seinen ältesten Sohn, einen Lehrer, in Hinterpommern besucht habe. Alles, was an der Soldatenausrüstung zu schildern war, brachte Zille echt und stimmungsgemäß. Er ging eben auf die Bahnhöfe, in deren Wartesälen die bald vom Westen nach dem Osten, bald vom Osten nach dem Süden geworfenen Soldaten und Regimenter sich ausruhten oder den nächsten Zug zur Front abwarteten.

Dort »merkte« er sich alles Wichtige und sog auch die echte Stimmung ein. Dort holte er sich auch die künstlerische Eingebung für seinen »Schützengraben«, für den »Granattrichter« und viele andere Landschaften, in denen Vadding seine immer munteren und menschlichen Aussprüche zum Kriegserlebnis von sich gab.

 

204. In der Wüste.
Vadding und Korl auf ihrer Weltreise im Kriege.

Aus dem Ulk.

 

Die Sprache von »Vadding«, diesem echten, behäbigen Norddeutschen, traf er ebenfalls so gut, als sei er kein geborener Sachse gewesen. Er lebte ja allerdings seit seinem zehnten Jahre in Berlin, dessen Sprache einen Untergrund von Platt hat. Das schärfte sein Gehör für den Klang der Sprache der norddeutschen Ebene so gut, daß er ein Platt schrieb, das immerhin von den Pommern und denen von der Waterkant verstanden, aber auch von den meist hochdeutschen Lesern begriffen wurde.

Vor allem aber begriffen sie eins: Außer dem Gebot der Waffentaten und Kämpfe gab es ein immer über allem stehendes Gebot:

Das Gebot der Menschlichkeit.

Das hat Zille in seinen trotz aller Blutereignisse nie mit Blut oder Haß oder Roheit gefüllten Zeichnungen und Weisheiten seines Vadding und seines Korle stets hochgehalten. Er hielt sich und seine Arbeit frei von Kriegspsychose, Haßgesang und Kriegsbegeisterung. Er streute lebendigen Humor über diese blutrünstigen Tage mit ihren Katakomben von Toten und Verstümmelten. Er rief unermüdlich zum liebevollen Menschentum. (Siehe auch die Vaddingbilder im Kapitel »Zille in der Liebe des Volkes«.)

 

205. Vadding unterwegs von Osten nach Westen. »Süh, Korl, nu geiht's all wedder rut. Weist worüm? Korl und Vadding sünd eben ümmer K.V.!«
(Am Ende des Krieges, als Frauen alle Ämter im Innenland versahen und die Jugend unruhvoll als Wandervögel hin und her schwärmte.)

Aus dem Ulk.

 

Und so kam es, daß an den Schützengräben, an der Front Zille mit seinem Vadding populär wurde, daß viele Kämpfenden auf ihn warteten.

So gab er auch vielen Soldaten in den rauhen Tagen von seinem großen Herzen ein wenig Wärme hin – –


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