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Zilles Lehrer und Kollegen.

Bezeichnend ist für einen Menschen, wie er zu seinen Lehrern und Kollegen steht. So gewiß oft ein Genie in Konflikt mit seinem Lehrer kommt, so oft findet sich auch ein kameradschaftliches und freundschaftliches Verhältnis zwischen Lehrer und Lernenden. Bei Künstlern kommt es jedenfalls sehr oft vor. Nicht immer sind die Lehrer von der Unfähigkeit ihrer Schüler überzeugt oder voll Haß gegen den nachdrängenden Nachwuchs. Und wer ehrlich ist, wird unter all den unausstehlichen Lehrern seiner sonstigen Schulzeit auch einen finden, den er liebte und von dem er fühlte, daß er ihm Liebe und Verständnis entgegenbrachte.

Zille berichtet jedenfalls von mehreren solcher prachtvollen Naturen. Da ist der alte Zeichenlehrer Spanner in der ärmlichen Dachstube in der Blumenstraße, bei dem er die ersten Sehversuche und Strichübungen macht. Dann erzählt er hier und da von Hosemann, wie der ihn ermahnte, gründlich nach der Natur zu zeichnen. Und aus den Jahren, als er abends Stunden in der Akademie besuchte, ist auch mancherlei von Zille zu erfahren. Wie es zuging, ist an mehreren Stellen dieses Buches geschildert, z. B. auch im Kapitel »Modelle«. Und was er als Lehrling und junger Geselle in den Werkstätten lernte und erlebte, ist in den voraufgehenden Kapiteln geschildert. Soviel bedenkliche Sachen er sah: gute gewerbliche Grundlagen bekam er jedenfalls. Er lernte arbeiten, gut arbeiten.

In dieser Zeit des jungen Gesellentums hatte er – wohl durch die abendlichen Zusammenkünfte im Akademie-Zeichensaal – allerlei Kunstbeflissene kennengelernt. Von einem solchen Original erhielt er manchen weisen Rat für seine Arbeit. Zille meint:

»Raabe, die olle Nebelkrähe, wie ihn Vater Tübbecke in Stralau nannte, sagte mir:

›Im Winter müssen Sie die Knochen von den Bäumen zeichnen und im Sommer das Fleisch!‹

Er meinte, dann kann man den Aufbau an den Stämmen und Ästen besser erkennen und im Sommer die Blätter besser hinzufügen.

Das war der Raabe, der zu Tübbecke im Stralauer Krug hinauswanderte, dem Tübbecke Schnaps und Bier gab, ihn dann an die Schulter packte, nach Berlin umdrehte und ihn so auf den Weg brachte. Sonst wäre er an der Kirche vorbei im Suff in die Spree gelaufen.

Raabe ist ja dann auch in den moorigen Wiesen umgekommen...«

Der Vater Tübbecke in Stralau war auch ein verunglückter Maler. Er war in Alt-Stralau als Gastwirt gelandet, wo er seinen bevorzugten Gästen einen »siebenköpfigen Spree-Athener« aus sieben verschiedenen Schnapssorten mischte. Dieser akademisch gebildete Weißbierwirt widmete seine ganze Liebe, die von der Kunst nicht erwidert worden war, den ewig durstigen und ewig »blanken« Künstlern.

»Und wenn er't besonders jut meinte, und die Olle guckte jerade wech, denn legten wir ihm beim Bezahlen 'n Sechser hin, uff den er uns 'ne Mark rausgab.«

Von andern Käuzen aus jener Zeit und jener Schicht erzählt Zille:

»Bildhauer Wagener, das war ein hübscher Kerl. Dichte, braune Locken – ein Flatterschlips – fein in Kluft: Hosen nach französischem Schnitt, unten eng. Studierte in der Akademie, als ich hospitierte. Ich sah ihn damals öfter. Er kriegte wohl Geld – sein Vater konnte es wohl.

Ja – und dann sah ich ihn nach Jahren auf einer Bank in der Berliner Straße in Charlottenburg – zwischen den armen alten Leuten, die sich da in der Sonne wärmten. Wo waren die Locken? – Ganz kahl war sein Schädel. Und als ich ihn ansprach, wunderte er sich, daß ich ihn erkannte. Er schämte sich: vorher immer in feiner Kluft – jetzt in Lumpen...

 

206. Ein Hilfsarbeiter aus der Photographischen Gesellschaft.

Nach dem Originalaquarell zum 1. Mal veröffentlicht.

 

Ja – ja, der Alkohol! Sie haben doch gewiß noch die alte italienische Weinkneipe von Raffo gekannt? Unter den Linden. Nicht auf der Gehseite, sondern auf der Seite der Schadowstraße. Die Fenster waren so tief, daß man hineinsehen konnte. Und wenn man hineinsah, saß immer Wagener da. Der war eben einer von den fidelen Köpfen, die immer gern gesehen werden, weil sie Leben in die Bude bringen, weil sie die Gäste unterhalten.

Dabei hat er trotzdem gearbeitet. Den jungen Goethe in Straßburg. Den werden doch die Franzosen nicht umgestürzt haben?... Aber nee, das war ja kein Fürst!

Ja, als Wagener mal beim Preisausschreiben siegte, da rief er:

»Jetzt habe ich Geld!!«

Das war aber nicht so schlimm. Die Gläubiger kamen. Und von den Monatsraten blieb nicht viel übrig für ihn. Beinahe hätte er den Auftrag noch verloren. Professor Eberlein hatte den Straßburger Spießern den Kopf heiß gemacht: Wagener wäre ein Säufer! So eine Klatsche! – Und dann kriegte Wagener auch keinen Auftrag für die Siegesallee und wurde bloß von Begas ein bißchen beim Denkmal vom alten Wilhelm beschäftigt.

Dann traf ich ihn wieder im »Schwarzen Ferkel« – der Weinstube, die damals noch in der Neuen Wilhelmstraße lag, wo heute die Kunsthandlung ist. Der Maler Munch verkehrte da. Und Strindberg und sein Kreis. Adolf Paul, Richard Dehmel – Ludwig Schleich. Und da war ja dann so 'ne Kameradschaft. Wer hatte, der zahlte. –

Wagener hatte natürlich nichts.

Und als ich ihn fragte, warum er nicht mehr bei Raffo verkehre, schimpfte er:

»Bei dem Budiker! Zu dem Kerl geh' ich nicht mehr! Der will Geld von mir!«...

Ja, und nun saß er da – mit kahlem Schädel – und in Lumpen – und wunderte sich, daß ich ihn erkannte.

Viel zu helfen war ihm nicht mehr.

Er war fertig...«

*

Von den Kollegen, die Zille in seinem Arbeitsbetrieb kennenlernte, weiß er sehr viel zu erzählen:

»Ja, sehen Sie, der arme Kerl mit dem Stelzbein, der hat auf Zeichenlehrer studiert. Soundsoviel Jahre. Und als er fertig war, da sagten sie ihm:

›Wir können Sie nicht anstellen. Die Kinder lachen über Sie!‹

 

207. Ein einbeiniger, verwachsener Kollege aus der Photographischen Gesellschaft auf dem Wege zur Arbeit in der Ahornallee in Charlottenburg.

Nach einem Schabkunstblatt zum 1. Mal veröffentlicht.

 

Na – und nun hatte der Mann mehrere Jahre Studium verloren. Hätte man ihm das nicht früher sagen können?

Er mußte nu in die Fabrik gehn. Und hätte doch so gern unterrichtet.« (Bild 207.)

*

»Der kleine Krumme mit dem Radmantel – ja, das war auch ein Kollege von mir. Der war auch Maler gewesen – und begnügte sich dann als Retoucheur.

Der Mann war ein rechter Pechvogel. Bei mir hat er zwei Jahre tüchtig und gut gearbeitet. Aber er kam – wohl ohne seine Schuld – mit irgend jemand in Konflikt und wanderte durch verschiedene Werkstätten. Dabei konnte er wirklich was, hatte auch in Wien zwei Jahre auf der Hochschule gearbeitet.

Aber als er nun in die Berliner Buden kam, da kriegte er Schwierigkeiten mit den Gewerkschaftsmitgliedern. Wer daran schuld war – das kann ich nicht entscheiden. Was da vorgekommen ist, weiß ich nicht.

Nun steht solch armer Mensch da – immer verbissen.

Wir waren alle hilfsbereit. Aber vielleicht waren ihm auch einige nicht wohlgesonnen und schädigten ihn.

Mancher Mensch hat solch Pech...

*

Aus den Tagen, da Zille sich mehr dem selbständigen Künstlertum näherte, erinnerte er sich schmerzvoll und freudevoll zugleich:

»Ja, als wir noch jung waren, jing's ja man knapp her. Nachher ist ja manch einer immer an'n weißgedeckten Disch gesessen und mit silberner Gabel un Messer. Da war auch Gaul, der Tierbildhauer. Der hat ja denn nachher geheirat't und hat mit der Frau fein gelebt. Aber ob er so glücklich war, wie damals am Schöneberger Ufer, als wir noch alle in seine einfache Junggesellenbude zu ihm kamen? Da brachte jeder was mit – der eine 'n Viertel Schinken, der andre 'n Stücke Leberwurscht – ein Dritter 'n bißken Käse – Ja, das wurde dann mit's Papier uff'n Disch gelegt, un jeder konnte zugreifen, was ihm zusagte.

Ich glaube, da waren wir alle glücklicher. Da strebten wir noch.«

 

208. Auf dem Heimwege.

Nach der Originalzeichnung.

 

Aus dieser Zeit der jungen Künstlerschaft wird erzählt:

»Bildhauer Krauß bekam den Auftrag zum letzten Askanier. Aber woher die beiden zeitgenössischen Hermenköpfe nehmen? Bilder von denen gab es nicht. Nach der Originalmumie buddeln lohnte nicht. – Da traf der Bildhauer seinen Freund Heinrich Zille. Und da war's gefunden. So etwa konnte der askanische Edle Wedigo von Plotho ausgesehen haben! Breite Stirn, trotzig lauernde Augen, kurze, derbe Nase. Zilles derber Künstlerkopf wurde in Ton modelliert. Dieser Kopf gefiel dem »Allerhöchsten Auftraggeber« – und Berlin erhielt am 22. März 1900 sein Zilledenkmal.

Freunde, die den Hergang wußten, kamen nicht aus dem Lachen. Massenhaft kamen scherzhafte Briefe und Zeichnungen, darunter eine, die den Gefeierten darstellt, wie er splitternackt auf einem Sockel steht und schamhaft seine Blöße verdeckt.

»Wenn Zille nun wirklich enthüllt würde!«

*

»Wir hatten damals einen Kegelabend in einer Gartenkneipe zwischen Wilmersdorf und Westend. Es ist ja 'ne spießige Sache. Aber es gab keine Gelegenheit für ältere Männer, sich mal auszuarbeiten. Und man wollte doch mal seine Kraft von sich geben.

Und dann war das auch eine Art Fachgeselligkeit. Alles, was ein bißchen was in der Sezession bedeutete, machte mit. Corinth und Wenck und Kalkreuth und Slevogt. Paul Cassirer fehlte auch nicht. Das war dann eine große Geselligkeit und gründliche Unterhaltung. Oft mußten die Kegler drei-, viermal gerufen werden, wenn sie ihre Kugel schieben sollten.

Aber wichtig war diese Kegelei. Wenn zum Beispiel Künstler oder Händler aus Frankreich kamen, mußten sie zum Kegelabend kommen, wenn sie richtig Fühlung haben wollten.

 

209. Bildhauer Gaul, der sehr schöne Tiergruppen schuf. Ein naher Freund von H. Zille.

Nach dem Schwarz-Weiß-Original.

 

 

210. Bildhauer Krauß.

Nach dem Schwarz-Weiß-Original.

 

Ein bißchen spießig war es ja. Aber gesund. Besser als die verbrauchte Luft in den Kaffeehäusern.

Man konnte doch seine Kraft ausgeben und sich auffrischen.«

 

211. Käte Kollwitz. Die bekannte Zeichnerin.

Nach der Schwarz-Weiß-Porträtskizze zum 1. Mal veröffentlicht.

 

»Dieser Klub war eigentlich vom Bildhauer Karl Begas gegründet worden. Begas, selbst ein großer Reiter, Pferdekenner, Sportfreund und Athlet, wollte immer, daß alle seine jugendlichen Helfer auch nicht nur Atelierhocker würden und veranlaßte sie zu dem Kegelabend.

Als er nun gute Tierbildhauer zu seinem großen Denkmal Wilhelm I. brauchte, mußten Gaul und Krauß helfen. Ehe er ihnen aber die Arbeit übertrug, fragte er:

›Reiten Sie auch selbst?‹

Gaul und Krauß verneinten.

Da verlangte Begas, daß sie selbst reiten müßten. Sonst könnten sie kein richtiges Pferd schaffen. Sie müßten jeden Nerv, jede Sehne, den ganzen Aufbau und vor allem die Seele des Pferdes selbst erlebt haben, wenn sie eins schaffen wollten. Sie müßten es selbst anfassen, die Zügel selbst in der Hand haben, selbst das Tier zwischen den Schenkeln fühlen, sonst würde es nichts...«

Zille erzählt, wie eifrig Gaul nun im Tiergarten Reitübungen machte – wie stolz er war, ein Reiter zu sein – und wie komisch er aussah...

»Aber wir haben doch nun wenigstens eine Unmenge hübsche Tierbronzen an dem Monstrum von Denkmal!« meint Zille. »Sehn Sie bloß mal die Löwen an – und die Amphibien an der Wasserseite. Und das Pferd ist auch nicht schlecht...«

*

»Als Gaul mir das erzählte – vom Reiten und vom Pferdemodellieren –, da nahm ich mir das auch zu Herzen. Und wenn ich mir auch kein Pferd zum Reiten halten konnte – ich habe doch schärfer als vorher beobachtet. So war Karl Begas auch mein Lehrer!« –

*

Zille selbst war immer beflissen, das Auge zu üben und die Erscheinungen des Lebens künstlerisch zu verbuchen – zu »merken«:

»Weil doch sonst keine Gelegenheit war zu gemeinsamen Aktzeichnungen – ein Modell für einen allein wurde zu teuer –, richtete ich am Kurfürstendamm einen Kursus ein zum Aktzeichnen.

 

212. Der Zeichner H. Struck.

Nach dem Schwarz-Weiß-Original.

 

Das ging denn auch ganz gut. Das wäre für den einzelnen nicht teuer geworden.

Aber die Maler vergaßen das Modell zu bezahlen. Keiner legte die paar Groschen hin.

Da machte ich denn den Kassierer und sammelte ein. Wer nicht zahlte, durfte nicht mehr mitmachen.

Da konnten sie zahlen.

Na – ich konnte doch nicht für die feinen Herren auch noch das Modell liefern.«

*

Er hatte allerdings auch sonst noch manche Erlebnisse mit künstlerischen Kollegen, über die er nicht sehr entzückt war. Er war durch seine Zeichnungen in den Kreis der Sezessionisten gekommen, die ihn schätzten, trotzdem er von offiziellen Seiten angegriffen und totgeschwiegen wurde.

»In der Sezession war anfangs Kameradschaft. Wirkliche Kameradschaft. Liebermann hatte mich hineingebracht. Damals stellte ich zum erstenmal aus. Die Berliner Presse, wenigstens 'ne gewisse, schrie, ich schimpfierte Berlin. Na – die Berliner denken jetzt anders darüber. –

Jedenfalls hielt die Sezession zu mir, trotzdem ich angeblich Berlin verunglimpfte. Aber dann ging das wie immer. Es bildeten sich Gruppen. Der Neid erwachte. Wenn vier zusammen saßen, sprachen sie über einen fünften. Und wenn der vierte wegging, klatschten die andern drei neidisch über ihn.«

Aber er erlebte die Nöte des Künstlertums auch selbst sowie mit seinen Kollegen mit, und sein Humor erwachte, und er machte seine kleinen Eulenspiegeleien. Aus einer Familie eines Kunstmalers berichtet er selbstbespöttelnd:

Sie: »Was schreibt denn die Ausstellung?«

Er: »Man hat mich in die Jury und Hängekommission gewählt.«

Sie: »Willst du es denn annehmen?«

Er: »Ganz gewiß, Rös'chen! Denke, vierzehn Tage gutes Mittagessen, dazu täglich eine Apfelsine, ein ›Mokka mit Kuchen und eine Havannazigarre‹!« –

*

Zum »Frühlingsmaler« sagt dessen Frau, die ihm Modell steht, während der Säugling schreit:

»Ottomar, hau' doch den ollen Brüllaffen eens mit den Pinsel uffs Maul, aber nich mit det teure Jrün!«

*

Und von einem Freund berichtet er:

»Mein lieber Franz Jüttner, der hochverehrte, gut bekannte Maler, sagte mir, daß er, wenn er abends spät nach Haus kommt, die Fehler seiner Tagesarbeit sofort bemerkt und noch in später Nacht das Werk verbessert – ich hab' ihn mal belauscht.«

 

213. Baumeister Pölzig.

Nach der Schwarz-Weiß-Porträtskizze zum 1. Mal veröffentlicht.

 

Da hatte er Jüttner abgezeichnet, wie er bezecht mit der Petroleumlampe in der Hand vor der Staffelei stand – die Lampe schief hielt, so daß dicker Qualm über die Zeichnung sich legte...

*

Auch neckte er die Kunstbeflissenen, die mehr Sitzfleisch als Kunstfertigkeit zeigten:

Sie hat's doch!

»Fräulein Müller – Sie müssen sich mehr dahintersetzen – intensiver arbeiten – mehr Sitzfleisch – sonst kommen Sie nicht weiter!«

»Aber Herr Professor, das hab' ich doch wohl genug!«

*

Und wie's in Künstlerkreisen zugeht, bewies er mit dem Bildchen von Malers Verlobung:

Er ist Maler und sie hat auch nichts!

*

Weil die Kunstjüngerinnen meist weniger Schönheit zeigen als ihre Werke, zeichnete er eine badende Malerin, der sich unvorsichtigerweise ein Schwan genähert hatte und schrieb unter das Bild:

Die Malerin Fräulein Leda und der entsetzte Schwan.

*

Als er dann berühmt wurde, traf er manchen seiner alten Arbeitsgenossen wieder. Da entwickelte sich etwa solch Gespräch:

»Wie ich mich freue, Sie zu sehen, Herr Kollege, können Sie denn jetzt noch malen?«

»Nee, Herr Professor, nur was so verlangt wird – Plakate für Gastwirte: Eisbeinessen – Garderobe abgeben – Achtung Keller – Hunde an der Leine zu führen – Kegelbahn – Sommergarten ist eröffnet – Für Herren – Für Damen – na, ich male ooch so – und Sie, Herr Kollege?«

»Ja, Herr Professor, Sie wissen, ich war linkshändig, nun hat mir der Zucker den Arm genommen – bin alle. Wenn auch Professor Max Liebermann sagt: ›Es ist jut, wenn sich mal so 'n Maler die Hand bricht und mit der andern janz langsam wieder von vorne anfängt – es würden janz andere Schöpfungen werden, weil die alte geschulte Hand zu sehr den Schlenker der Virtuosität des Geldverdienens hätte‹ – ja – ich hatte nicht mehr Zeit dazu und habe meine musikalischen Kenntnisse benutzt und leire mich so durch als Hoforgeldreher. – So vergeht die Herrlichkeit der Welt!«

*

Wie er noch an seinen alten Werkkollegen hing, an die Jahrzehnte gern zurückdachte, als er mit ihnen gemeinsam acht bis zehn Stunden in den Werkstätten und Ateliers gearbeitet hatte, zeigte sich, als er nach seinem siebzigsten Geburtstag die jetzigen Angehörigen seines einstigen Berufes um sich versammeln konnte:

 

214. Verlobung.
Er is Maler – und sie hat ooch nischt!

Aus »Bilder aus dem alten und neuen Berlin«, Verlag C. Reißner.

 

Märkisches Museum. Zilleausstellung. Sonntag nachmittags. Der Verein der Lithographen und verwandter Gewerbe wird von Zille durch die Räume geführt.

Zille erzählt bei einzelnen Bildern – von seinem Vater – von der Mutter – von der Kindheit – von der Soldatenzeit – von allerlei Modellen. Die Männer und Frauen umdrängen die ausgestellten Blätter.

Und dann umdrängen sie ihn. Er spricht zu ihnen. Von der Zeit, als er ein Kollege von ihnen war. Selber die Steine bearbeitete. Dann in den Werkstätten der Photographischen Gesellschaft mit ihnen jahrzehntelang die Freuden und Leiden des Arbeiters teilte.

»Und was ist aus den Kollegen geworden? Jahrzehntelang haben wir geschuftet. Die Herren haben große Gelände gekauft. Haben sich Villen gebaut. Uns wollten sie auch Häuschen bauen. Gesprochen wurde davon. Aber ehe es dazu kam, wurden wir gekündigt ... Billigere Kräfte kamen ran. – Ja – und die Kollegen? Einer is Pennbruder geworden – einer hat sich das Leben genommen – und einen versorge ich mit. Der wohnt irgendwo in einem düstern Keller. Seine Rente reicht natürlich nie. Da muß ich öfter aushelfen.

Zyankali hat er sich natürlich damals auch mitgenommen. Aber ich sagte ihm:

›Gustav, schließen Sie den Dreck weg. Der taugt nischt mehr. Morgen früh wachen Sie auf und dann ärgern Sie sich!‹

Na, bis jetzt hat er't noch nich genommen ...

Und ich? Ich habe mich eben selbständig machen müssen. Mit fünfzig Jahren. So lange die beste Kraft für andere geopfert – und dann: Sieh man zu, wo du bleibst!

Ick hab's ja geschafft.

Aber es war doch ein furchtbares Erlebnis. –

Und ich werde nie vergessen, daß ich jahrzehntelang als Arbeiter habe leben müssen – daß ich zu euch gehöre ...«

Alle waren still – fast alle holten die Taschentücher vor und wischten sich heimlich die Tränen weg ...


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