Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Suzanne

(1917)

Ah! ne ralentis pas tes flammes,
Rédiauffe mon cœur engourdi,
Volupté, torture des âmes!
Diva! supplicem exaudi

Baudelaire

 

I

 

Einmal war mein Leben falsch und künstlich. Ich muß es zu Ende denken und ausleuchten. Es war nach meiner Verwundung bei Douaumont. Nach jenem behutsamen Tupfen kunstvoll beherrschter Hände und ewig weißen Schwestern …

Aber kannst du mir wirklich verzeihen, Marlene?

Ich lag in dem fabelhaft weißen, von vier Wasserarmen der Aisne umschlungenen Schloß. In seiner fürstlichen Stille fingen sich ganze Tage und Abende. Das schrecklich Gewesene wurde dort zart und innig und glättete die Stirn und gab den Augen Stetigkeit.

Im Park, unter den Laubgewalten der Kastanien, spielte Mademoiselle jeden Nachmittag Tennis mit dem dreizehnjährigen Florestan.

Ein hübscher braunumsträhnter Bengel. Von jener aufgeschossenen Blässe, die du an Knaben so liebst, Marlene!

Sie mochte ihn aber nicht. Es handelte sich um abliegende Vorgänge, von denen das Gesinde schwatzte.

Ich fragte einmal: »Warum?«

Sie zuckte sonderbar mit den Schultern, das Gesicht abgewendet mit ganz großen schwarzen Augen.

Nach einer Weile: »Übrigens, mögen Sie Baudelaire?«

Ich erschrak wie in den wildesten Kanonaden nicht.

Weißt du, was das heißt, Marlene, so plötzlich nach drei Jahren Kot und Gemeinheit dieses dunkelklingende Wunder:

»Baudelaire« auf einmal?

Ich fühlte nichts mehr von mir, so ungeheuer geschwellt war ich von kreisender Verwirrung.

Sie lächelte überlegen, mit einem Ausdruck, der ihr ganzes Gesicht veränderte und wie aus einem gedunkelten Bildnis geschnitten scheinen ließ.

Abends, in der birkengelb getäfelten Bibliothek las sie Baudelaire. Sie las mit einem leisen, vor Sprödigkeit fast brechenden Alt; Vokal an Vokal gesetzt.

Es war schön!

Dieses: »Einer Malabaresin« … »Einer Madonna« … »Das schöne Schiff« –

Ich saß ihr gegenüber, allein in dem Saal und blutlos erdrückt von dem stumpfen Violett ihres Kleides.

Sie las jeden Abend Baudelaire. Und nach den ersten Sätzen schon spürte ich, sie las für mich!

Ich fühlte: sie protestierte mit ihrer von dem Dichter gebundenen Stimme gegen etwas riesenhaft Unheiliges in diesem Schloß.

In einer Pause zwischen zwei Gedichten wendete sie mir langsam das Gesicht zu. Ich sah mitten in die Lider und mitten hinein in das blau überglänzte Schwarz.

Sie hielt meinen Blick wie mit einer Zange und gab nicht das leiseste Zittern eines Gefühles preis.

Meine Augen brachen schließlich vor Schwäche, und mit einem kaum wahrnehmbaren Hochschlagen der Stimme las sie weiter.

Der Lüster füllte den Raum mit einem durchsichtigen Gelb, das immer unerträglicher laut wurde in meinen Nerven.

So war es: sie protestierte mit dieser ganzen Situation gegen irgendeinen Eindringling. Hilflos litt sie.

Darum hatte sie mich befohlen, Marlene?

Ich hätte mich auch nicht sträuben können; denn als ich sie zum ersten Male unter den Kastanien hörte im Gespräch mit Florestan, war es, daß mein Mund stand: wohin heben die Töne sich?

Mein Inbrünstiges lauschte nach.

»Aufgang meines Glücks!« flüsterte ich.

So einfach war es, und doch so fern …

Und dann kam schnell wieder das, womit ich rang, alles das in mir, dem ich verflucht war, das Ungöttliche und Anmaßende, das ich ausbrennen wollte mit einem Exzeß an Güte, und machte mich Ohnmächtigen zum zerlassen Seufzenden.

Sie atmete tief und wußte nicht warum. Denn alles in dem Raum war so geregelt, und auf dem Korridor hantierte das Gesinde fortwährend mit den Schüsseln.

Es war mir, als sähe sie in meinem Gehirn die Geschehnisse schon voraus. Und litt mich dennoch jeden Abend hier?

Sie hieß Suzanne.

 

II

Am neunten Tage hatte ich endlich Gewalt, bedünkte mich, über sie. Ihre Stimme trug mehr als das Wort.

Sie bemerkte nebenbei: »Ich sehe, das Leben wird von neuem beginnen!« Es war an dem Tage, da das Schreckliche an der Somme begann, Marlene!

Wir ritten auf zwei erbärmlich mageren Pferden einen unendlich geklärten Morgen durch die Allee. Die Bauern auf den Feldern schauten sich um mit einer Wehmut, die mich zerschnitt. Sie fühlten den letzten Funken Frankreich aus ihrem Herzen schmelzen, da ich den Atem ihrer Herrin stahl. Die Scham schüttelte sie mit Hitze und Frost. Ein Dunst der Verwesung schwelte aus ihren vergehenden Gesichtern. Sie hatten die Hoffnung schon aufgegeben, daß ein Erbarmer noch kommt, die Hacke schwingt und Löcher haut für das stinkende Verwesende.

Wir ritten durch die Allee und dreimal um den Park. Erst dann sprang sie von dem durchzitterten Gaul.

Ich sah, daß sie prachtvolle Beine hatte.

Sie fühlte meinen Blick und lächelte mit den Mundwinkeln.

War sie jetzt sicher?

»Du Gütige!« dachte ich glücklich und führte die Pferde schallend über den Hof.

Danach gab sie Baudelaire auf und den Florestan beim Tennis unter der Kastanie.

Die Abende in der Bibliothek waren jetzt mit Gesprächen angefüllt.

Suzanne interessierte sich plötzlich für Berlin. Behutsam fragend ließ sie das Thema ausklingen, bis es von ihrem Willen unterjocht war … Aber was gab es denn Unerhörtes in diesem Gemisch von Verkehr, Café und Börse?

Und sie sagte auch ganz leise: »Wie einfach das hergeht, wie gegliedert und bestimmt, und nicht vielfältiger als auf den Höfen und Feldern.«

Und dann nach einer Pause: »Sie kennen doch Paris? Diesen Stern, von dem wir leidvoll und jauchzend zehren, der nicht Feuer werden will, um niederzubrennen, was auf unseren Feldern sich mästet …«

Ich entgegnete zögernd: »Sie übertreiben das, Suzanne!«

»Wir messen die Temperatur unserer Nerven an dieser Stadt – und wirken mit Göttern. Jetzt ist der Nebel zwischen uns, den ihr vor euch herblaset.

Wer rief euch?

Ihr vergiftet. Euch peitscht der Erfolg. Die Rache braucht greifbare Erfolge … und ich bin die Nächste dazu.«

»Werden Sie deutlicher, Suzanne! Sie beleidigen maßlos. An Lösungen dieser Art glaube ich nicht!«

Im Erinnern versagte ihr der Atem. Sie fühlen nichts mehr von dem Vielen, das gewesen war, bevor wir kamen.

Sie schlug nur die Hände auf die Brust, aus der ein Stöhnen kam, und sah in den großen Spiegel aus Elfenbein …

Ihren Augen nicht wehe zu tun, wandte ich dem Spiegel den Rücken. Es mußte eine Ablenkung kommen.

Wirre Stille übertäubte die Minuten bis zu meinem Gehn. Wie aus hohler Tiefe eines Möbels herauf seufzte etwas: Barbaren!

Sie drehte sich nicht um, da ich die Türklinke hob. Und ich fühlte: vielleicht hat sie recht. Und jedes längere Hiersein ist zwecklos. Ich hatte etwas in ihr erstickt und nichts dafür aufgebaut. Was sollte sie tun? Was ich?

Früh sah ich sie weiß durch die betauten Gebüsche schwimmen und die Landschaft wild zerschneiden mit einer Unbändigkeit, die mich erschreckte.

Wie war sie so ganz allein, Marlene?

Wo lebte noch jemand beherrschter als sie?

Mittags auf der Terrasse rief sie mich wieder heran. Sie sprudelte Aufgeräumtheit, aber unterhalb des Lächelns zerrte ganz leise und erregend eine Strömung abseitiger Gefühle, die mich irritierte.

Unten waren die Knechte innig mit den Tieren und der Garten ordnete die Früchte von Spalier zu Spalier in deutlich erkennbaren Arten, prachtvoll standen im Hintergrund die Massivs der Walnüsse und Kastanien. Die wolkenhafte Wand aus Grün und Braun hob die Sonne hoch empor und faßte mit den Lücken des Geästes Stücke tiefsten Blaus. Erstaunlich, wie dieses intensive Dasein von Natur beherrschend in alles Denken einströmte und mit leichten Betäubungen spielte –: oh, diese Insel in einem Meer, wo Welle aus Welle Kultur und Gottheit sich berannten und einander zerstörten!

Suzanne hatte es erreicht, mich sensitiver zu machen. Irgend etwas brach von mir ab wie eine zermürbte Rinde.

Seufzer klemmten sich durch meine Kehle.

Ich sprach, zum ersten Male, Marlene, vor Franzosen erregt gegen den Krieg!

Wie ihre Augen da aufschrien!

Ja, dies war es, um dessen Existenz sie plötzlich etwas Entsetzliches, Unerhörtes, eine Beleidigung, Unrat und Gift in meine Erschrockenheit ausschüttete. Ich bog mich wie ein ungehorsam gewesenes Tier.

Danach war alles ruhig an ihr von der Stirn bis zu den Schläfen und die Wangen hinab.

Sprünge eines gelbgefleckten Kätzchens einem Singvogel nach brachten ihre heisergeschriene Stimme wieder zum Klingen.

Ich hob schweigend die Brauen. Ich grübelte: ob mir ein solcher Ausfall fanatischer Gehässigkeit dieser zarten Frau je möglich erschienen wäre.

Die ganze Kontur ihres Körpers ging auf Schmiegsamkeit. Und die Augen hatten meist jenen Schimmer von Zartheit.

Wir schweiften wieder lange Nachmittage durch den Park, der die Landschaft bis zu den Dächern mit seinem tausendjährigen Bestand überschwemmte. Eine seelische, übermäßig heftige Begierde Gemeinsamkeit erstickte unser Herz.

Und wir hatten unsere kämpferischen Gespräche, bis die Kühle vom Boden hochkam und die drei Doggen rebellierten.

Im Gebüsch vor der gewaltig aufsteigenden Terrasse ließ mir Suzanne den schmalen Mund zum Kuß.

Es kam ganz plötzlich und ohne körperlichen Zwang. Und ich spürte: sie fühlt in diesem Augenblick nichts mehr von sich, so unerhört benommen ist sie von kreisender Verwirrung, die sich dreht wie ein Ballon in der Boe eines Gewitters, die sie betäubt und die von dem gewaltigen Druck der Kräfte, mit dem das Zärtliche über sie hereinbrach, hinterlassen ist …

 

III

Eine ganze Weile haben wir uns dann nicht gesehen. Und ich fürchtete mich vor ihren Angstaugen, Marlene!

Einmal aber des Nachts, als der Nebel in Quadern geschichtet lag auf den Höfen und der Rasenbuchtung, klirrte noch ihr Fenster über mir. Und das nachtäugige Raubzeug sprang das Massiv der Wipfel an und beunruhigte den Wind.

Ich stand ohne Licht in dem Raum. Nervöse Füße über mir stäubten feine Splitter des Stucks herab. Denkfetzen zweier Gehirne sprangen einander an und die Raserei des Blutes hetzte sie in ihren höchsten Zorn. Etwas Unheiliges lag zwischen ihnen. Wie hätte man auch schlafen können, wo alles revoltierte in wachsender Inbrunst –: die Nacht und der Park und das Brausen im Westen.

Die Stunde drängte zur Ewigkeit. Grenzenlos dünkte es. Und doch war jede gezählt. Sie traf noch irgendwo auf und sprang, endlich Erhörung erflehend, mit Flammen gegen die Fenster.

Suzanne tanzte mit nervösen Zehen, daß der Stuck von der Decke regnete. Das weiße Gerinsel verdichtete sich zum Rauschen, aus dem unzählige Zungen brüllten.

Ich wartete bis zum Morgen, daß Suzanne käme. Ich ließ im Leuchter die fünf Kerzen anspringen und löschte sie aus und zündete sie wieder an.

Suzanne kam nicht.

Bis zum Anbruch des Zwielichts keuchte der Park, und der Regen schlug gegen die weißen eiskühlen Mauern.

Früh war der ganze Rasen wie ein schimmernder See und die Bäume standen verhutzelt mit braunen Kapuzen gegen das silbrige Licht.

Suzanne blieb aus. Und eine geflissentliche Stummheit geisterte durch das Schloß –: nicht auszuhalten!

Nur dieses Ende nicht: dieses Verhängtsein und spurlose Übereinander!

Fühlte sie nicht, mit jeder schnell fliehenden Stunde des Tages, daß dieser nachschleichende Schreck vor dem Realen sie irgendeinmal vernichten würde, wenn sie nicht getrieben würde zu wollen? In diesem Augenblick haßte ich sie, Marlene!

Es waren vielleicht nur die Nerven. Denn was in mir verwirrend bebte, war eigentlich gar keine Spannung, gar keine Erwartung. Nach einem schindludrigen Streich Florestans erst kamen wir wieder zusammen. Sie bat mich ganz ernsthaft (und die zusammengeschobenen Brauen, wie eine schwarze Narbe quer über ihre Augen, schrien fast): den Knaben zu prügeln. Jetzt war mir klar: sie plante Kampf und suchte Kampf, lebte Kampf, lange bevor wir uns in diesen Kampf einließen.

»Ich muß meine Stirne gütiger senken, meine Stimme straffer zügeln,« dachte ich. Und lobte Florestan, als sei er der Ausbund der Heiligen.

Ihr Mund wurde bitter und der brüchige Alt schwoll zum Diskant: »So feige?« Nur dies.

Die geheiligte Leere des Parks und das wie ein Regen rauschende Gewühl der Wipfel ließ ein Grauen emporwuchern, das den Verstand fast zerriß.

Ich keuchte aus schwindelnder Höhe herauf: » Suzanne!«

Da schlug sie die Hand vor das Gesicht und entfloh.

Mußte man nicht darüber den Kopf schütteln?

Es konnte nur eine Ablenkung geben, irgendeine Tat, die zupackte, aufrüttelte, tröstete.

 

IV

Dreimal hämmerte ich an die gepolsterte Tür. Mit äußerstem Zwang gefordert würgte sich etwas in meinem Halse frei. Suzanne schrie wie mit blutgepreßter Kehle: »Ich will nicht!« Das Haus schallte davon bis zu den Erkern heraus. Es gab kein Entrinnen mehr. Die Wand mußte stürzen. Von ihrem zusammengeballten Leib die Fetzen prasseln und brennen.

Ich konnte nicht mehr zurück, Marlene!

Und warum auch?

Das Gehirn brach auf in dem einen einzigen Schrei: »Suzanne!«

Unten schlugen die großen Hunde an. Die Kellertreppen hinauf lärmte die Köchin.

Ich trat mit dem Fuß gegen die Tür.

Von innen scholl es ganz ruhig heraus: »Ich will nicht! Hörst du? Ich will nicht!«

Aber die Tür sprang schnell auf und riß mich mit mächtigem Druck in das Zimmer.

Meine Augen zitterten durch rosa Dunstungen; der ganze Raum war wie ein unendlich feiner Schleier aus Pfirsichhauch. Nicht eine Kontur war zu sehen. Und doch glimmte ein wahrnehmbarer Funken von Gesicht aus dem Unfaßbaren, daß ich mich bog vor Spannung: » Suzanne!«

Sie –: »Teufel, ich will nicht!«

Jetzt sah ich sie ganz deutlich. Und die geballten Fäuste. Und die Zähne wie ein Stilett.

Unvermutet stieg in mir ein Gefühl auf, als ob sie nicht ganz ehrlich wäre. Die Szene vom Vormittag war wieder lebendiger Hieb. Ihn zu parieren, schrie ich über ihr gekrümmtes Gesicht hinweg:

»So feige, Suzanne?«

Einen Schritt trat sie zurück. Das Gesicht wie eine Plastik aus Eis. Und dann nur das eine Wort. Der eine aus allen Höllen des Haffes heraufbrausende Fluch –: » Verdun!«

Die Wunde, eine Handbreit kam unter dem Herzen, brach auf wie von den krummen Negermessern aufs neue aufgehauen. Ich stand wie auf der Grabenbrüstung, vertiert:

»Suzanne … Bestie … Aas!«

Dieses Gelächter danach ist von einem Weibe noch nie gebrüllt worden. Ihr Kopf stand wie der eines Puters.

Ich weiß nicht mehr, wessen Pistol zuerst knallte.

Als mich Kameraden aber von einem zerfetzten, rauchenden Haufen Fleisch rissen, Marlene, waren die schwarzen Augen schon zu einer weißen glänzenden Masse verstummt.

Vielleicht war dies der erste wirkliche Mord in diesem von Götzen heilig gesprochenen Morden.

Daß man mich freisprach vor dem schnell zusammengetretenen Gericht der Brigade … das mußte wohl sein. Und der Freispruch vollendete die Fabel, die er log.

Aber die Belobigung … vor der ganzen Brigade … die glückschüttelnden Hände, Marlene –: es zerreißt mir die Seele, dich so leiden zu sehen!

 

Hof- Buch- und- Steindruckerei Dietsch & Brückner in Weimar

 


 << zurück