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Eliane

Das Ergebnis einer Belagerung

(1916)

O Nacht! Ich will ja nicht so viel.
Ein kleines Stück Zusammenballung,
ein Abendnebel, eine Wallung
von Raumverdrang, von Ichgefühl.

Gottfried Benn

 

Es war im zweiten Jahre, da die Stadt von den nordischen Stimmen der Eroberer schallte. Träger, schmutziger Schnee lag allenthalben und aus den vielen massiven Häusern dünstete eine säuerliche Wärme.

Kinder, wie spätsommerliches Laub in vielerlei Farben und ohne eigentlichen Halt in die Straßen gestreut, erreizten sich Rhythmik der Freiheit und holder Beschwingtheit. Vor ihren glasglänzenden Augen erloschen die vielen Verbote des Gouverneurs, schrumpfte das Papier zu Schimmel und der Polizei-Dienst bekam Nasen.

Die vielen Soldaten straßauf-straßab unterlagen der funkelnden Hypnose, ballten den Schnee zu heimatlichen Spielen und fühlten unter den Stiefelklötzen das Tempo der endlosen Seen havelwärts, wenn das Rohr klirrt und die. Bärte rauchen.

Aus den Zeitungskiosken qualmte in schwarzherabhängenden Zotteln das nasse Buchenholz, der Sperlinge unverwüstlicher Kadaver wurde zutraulich und gezähmt, und saß den Schneeschippern, wo sie faulenzten, auf dem Gerät.

Es geschah, daß dann auch Frauen die Fenster besetzten, gelbe Gesichter ins Licht hingen und nach irgendeinem bunten Abenteuer begehrten. Die dumpfe Stubenluft, viele Regenwochen hindurch hatte ihr Blut verwüstet, die Züge ihrer Atmungen mit galliger Schwere belegt und das Haar verfilzt. Der Schnee aber war wie eine aufrührerische Musik gekommen, überbot die Wut und Intensität der Haßgefühle und war allen endlich einmal: Sensation!

Was machte es, daß auf dem Boulevard die Bäume in finstere Mäntel gehüllt standen; ihre schlappen Kronen wippten wie die Kinnladen Schlaftrunkener bei scharfer Eisenbahnfahrt. In samthaft gekräuselten Wellen floß die Luft über die weißen Gärten und die Sonne mühte sich mit roter Robustheit von den Dächern auf den Verkehr herunter.

Jedes Haus aber weitete ein Tor, hatte Fahnen und schickte seine Fürsten vor.

Auch Frau Eliane Duc begann schnellatmender zu leben. Während die Stube in diesem stumpfen und immer undurchsichtiger werdenden Qualm der Heizung versank, wurde ihr Leib mit jedem Tag schlanker und rüstiger. Die Hausarbeit war in ein paar Stunden erledigt, im Weihwasserbecken häufte sich der Staub.

Da begann sie, die nie drei Finger nur in Lauge gesteckt hatte, miteins für Offiziere zu waschen und dehnte sich bei dem mühseligen Geschäft einem großen Augenblick entgegen.

Sie dachte dabei an brünette Freundinnen, die ein abendliches Gefühl selig zermalmte. Das Undurchsichtige, das so lange wie ein Zwielicht auf ihrem Leben gelastet hatte, manches Mal voller Gesang war und Ahnung heransausenden Feuers, war plötzlich in Bewegung geraten. Nichts war zwar noch so deutlich, daß man den Atem dieses Neuen spürte, eine Hand, sie herzhaft zu fassen, da sie anders war wie die hundert gleichgültigen Hände tags.

Aber wie eine dünne seidene Maske lag es schon über der Welt, hell und silbrig bewegt vor dem Zerreißen. Und sie spannte ihre Augen und es flimmerte ihr davor, wie wenn sie von unsichtbaren Stößen gerüttelt würde. Es lockte ihr Herz wie ein alter Vogel den jungen.

Mit geschliffenem Gehirn und gefalteter Stirn nahm sie das Kommende an. Die Stadt wuchs vor ihren Augen zu einem gewaltigen Berg aus.

Die Abende der Stadt waren unheimlich. Sie kamen aus überreizten Gefühlen. Von zwei entgegengesetzten Welten und ballten sich und zerrieben Haß und Lust zu einem Rieseln der Wollust.

Eliane stand auf der Grenze und spähte hinaus. Von der Straßenbahn knisterten die weißen Blitze und sprangen über das matte Grau auch in ihre Augäpfel.

Sie wartete mit zitternden Flanken.

Es kamen aber immer wieder nur die frechen roten Burschen der Offiziere. Mit derlei Menschen sprach sie jedoch nicht, was man zu jemand spricht, der einem nicht Luft ist. Sie harrte Stunden in nervöser Zerriebenheit und, da sie immerhin Anfängerin war, noch tagelang auf den Offizier.

Die Zwischenräume der Ruhe zerbröckelten immer mehr. Schon zitterte Eliane wie ein Tigerjunges, den Mund voll Blut.

Schließlich bemühte sich ein Feldwebel, der ein blankes Französisch sprach, die drei Treppen hinauf. Sie reichte ihm, bestochen durch das intensive Gold des Kragens, drei Minuten das rosige Ohr. Durch die gespannte Muschel brandete das Meer.

Eliane verhielt aber den Tanz der Augen und die gärende Gewalt des Körpers. Des Feldwebels Stimme siedete indes, da er kühl und erlebnislos den Raum verließ, durch ihr Blut wie heißer Stahl.

Abends noch, da ihr Mann hereintrat und heftig wurde über den ewigen Seifengestank und das laue Nachtmahl, schmerzte des fremden Menschen Stimme durch ihr Blut. Zwecklos biß sie an ihren Nägeln und kam aus heißer Wallung des Gehirns nicht heraus.

Gaston, ihr fünf Jahre schon gewordener Mann, war ohne Witterung des Vorgefallenen und trocknete, nach jedem Bissen, automatisch die flache Stirn. Es tat Eliane weh, in diese Bewegung zu schauen, in der ihr Empfinden nicht mehr war. Sie wußte von diesem tumben Kraftbold nur noch, daß er die Nase immer voll Tabak stopfte. Wußte von ihm, daß er von riesigen Quantitäten Cider ein Aufstoßen bekommen hatte und beim Lesen der Gazette einschlief.

Mit frostiger Nässe umquoll ihn das tägliche Geschäft, und mit einer Art Wollust drängte er sich zu einem Haufen Lumpen zusammen. Und nicht einmal glaubte er mehr, daß ein Ereignis ihn überfallen könnte und mit breiten Rädern zermalmen.

Etliches Aufzucken kam von ihm zuweilen herüber, wenn Eliane das Korsett aufhakte; aber verlernt hatte er zu sehen: daß sie ein auffallend schönes Gebiß hatte, Augen, die mit den Bögen brauner Brauen an irgendeine große Mätresse erinnerten und daß ihr Leib narbenlos aus zwei Geburten balanciert war. Das übrige tat sie durch Tracht, durch Rasse. Ganz beschwingt.

Sie verlangte von Männern, zumal von dem ihr angetrauten Klotz, daß sie dieses alles sähen, jede Minute darin umkommen müßten.

Ob der Feldwebel mit dem Goldkragen ein wirklich Sehender war, da seine Stimme sich zu ihr erhob? Ob er etwas in sich hineinschluchzte, hineinfraß, da er aus einem befrorenen Zustand sich empfahl?

Zu dumm!

Sie grübelte die ganze Nacht über den blanken Ton der Stimme. Dachte herzu: daß sich durch ihr Mädchentum einmal ein Läuten solcher Vokale gezwängt hatte. Dieses erst jetzt auszufühlen –:

Zu dumm!

Die Not, die ihre fieberische Einbildung seit langem gelitten hatte, war aber sobald nicht fortgeätzt.

Gaston lag im Bett nebenan und schnarchte. Durch das unverhangene Fenster brausten die Sterne herein. Irgendwo war selige Trunkenheit auf den Klavieren laut; spielte Walzer und ein Rondo von Gounod. Das brachte sie vollends in Wut, um den Schlaf und die letzte Besinnung.

Sie schrie, furchtbar bemüht um den Sinn ihres Lebens. Erst gegen fünf, da Gaston in der Küche lärmte und den Kaffee brachte, stürzten ihre Lider eisig herab und lagen wie eine rote Wand vor den Augen. Kapitäne der Kürassiere galoppierten durch den Traum des Halbschlafs.

Als die Sonne das Schlafzimmer aufstieß mit einem riesigen Goldarm und der Lärm der Straße unerträglich schallte, rieb sich Eliane die schmerzhaft rotgeränderten Augen. Sie hüpfte vor den runden Spiegel. Ihre Augen wuchsen groß und irisierend wie die einer mächtigen Kurtisane aus den Wölbungen.

Es schien, als badeten indigoblaue und rosa Wasser um die gespiegelten Brüste. Tränen spritzten aus ihren Augen zuerst. Die Kühle legte sich hinauf wie ein erster scheuer Kuß.

Es entstand etwas Abscheuliches darauf, das seltsam in den Augen bohrte, als zwängte sich dort ihr ganzes Innen nach außen, verkümmert, maßlos hungrig und begehrte nach einer saftgerundeten Frucht und griff einen leeren Ast, der krachend zerbrach.

Mit frostigem Aufschauern fiel ihr, intensiver als an den hundert Tagen vorher, das kahle Bisher wieder ein. Es war nicht wegzufegen. Es kam jede Minute verstärkter wieder und war bis in die Fingerspitzen zu spüren. Ihre Empfindungen rieselten wie ganz feiner trockener Sand darüber. Sie fühlte eine Enge und konnte nicht entrinnen. Sie fühlte bloß das Näherkommen der Qual, nicht aber den Ursprung und die gewaltsame Klammer hinter ihrem Rücken, wo es sich zubaute und mauerhaft aufragte.

Sie glaubte sich von mitleidlosen Feinden gefangen und war gezwungen, demütigende Dienste zu tun.

Es war kühl im Zimmer, von ihren geschmeidigen Schenkeln und den dunkelkrausen Haaren der Scham dampfte die Wärme des kaum verlassenen Betts.

Ziellos, und ohne Kraft zu wollen, schwebte sie mit ihr wie auf einem Wipfel aus Ohnmacht durch die fabelhafte Leere des Zimmers hin und her.

Wieder versuchte sie, sich ihrem Mann vorzustellen, dieses passive Holz zu durchdringen mit dem letzten Blick, der Mitleid war. Aber auch das schlug um in neue Widerwärtigkeiten und malte das von jungem Blut gezeugte Bild zu einer Karikatur aus.

Es war ein ungemein schmerzliches Tun, eine mit Dornen peitschende Lust des Gehirns. Etwas wie ein mattschwarzer Flor lag davor, an dem sich ihre Gedanken stießen, insektenhaft summend, und in die Giftschalen darunter stürzend.

Sie ließ sich machtlos sinken und fühlte wie betäubt lange nichts, als daß sie vor zugigem Fenster saß und draußen ein unerträgliches Grau lastete.

Sie brauchte, anfangs eine Macherin, zwischendurch aber und am Schluß strömendes Blut, eine volle Stunde zum Anziehen und manchesmal war es, wie wenn die Hand, die das Strumpfband anlegte, das Mieder schnürte und wild in den Haaren war, die glückzitternde Handlung des Geliebten sei.

Sie wiegte sich mit Behagen auf den Wellen dieses Wahns. Dann dachte sie angestrengt nach … und ihr Gesicht wurde wieder alt und häßlich.

Plötzlich, mit dem endlich gerundeten Resultat des Grübelns, blühte ihr weißes Innen wieder nach außen und beherrschte alle Partien des Profils, das gegen die Sonne herausfordernd gestellt war.

Den ersten, besten Soldaten, der tags nach der Wäsche seines Offiziers fragte, bewältigte sie mit einer Lüge und bot sich selbst zum Bringerdienst.

Man verabredete die Zeit der beginnenden Dämmerung. Das Licht des Mittags spülte Eliane ganz voll Freude, und die Farbe ihres Kleides, das den Körper wie aus farbigem Stein gemeißelt zeigte, blühte lodernd empor. Stieß sich an der angeschwärzten Zimmerdecke und fiel zurück auf ihr mit einer leisen Feuchte kämpfendes Haar.

Als der Kerl endlich ging, drehte sie sich wie ein betrunkenes Karussell und stürzte aufjauchzend zu Boden. Sprang auf, gazellenhaft, frisch, engelhaften Ausdrucks und tobte von der Küche durch das Wohnzimmer ins Schlafgemach. Dutzendmal hin- und herüber und knallte in tobender Verwirrung die Türen zu. Riß sie auf und schlug sie zurück ins Schloß.

Allmählich kam die Besinnung wieder, die Tigerin, die Lust. Und in heißer Gehobenheit das Herz mit einer süßen Zärtlichkeit für alles.

Eliane unterlag danach kühler Eitelkeit. Sie zog das schwarze Taftkleid an, scheitelte das blondbraune Haar, dessen Wurzeln schon in den Mädchenjahren nächtelang schmerzten vor Gewicht und Dichtheit, madonnenhaft in der Mitte mit einem mächtigen Knoten aufreizend in den Nacken hinab.

Unter den Schuhen wählte sie nicht lange. Lack mit Perlmutterspangen waren gegebene Musik für den Ritt der feinen Knöchel, die sich an lila Seide rieben.

Eine Stunde noch saß Eliane am Fenster, hob den Kopf rückwärts gegen das traurige Hinterihr mit einer Drohung und einem revoltierenden Trotz ohnegleichen.

Aus ihrem Gehirn trat es feurig heraus und verteilte sich über das ganze Gesicht –: so, wie es gewesen war, lebte es sich nicht länger mehr. Den Gipfel zu erreichen galt es jetzt oder nie. Alles wuchs ihr zusammen zu diesem einem Bilde.

Sie sah mit einer maßlos herrischen Pose in die tiefe Bläue des Himmels fort, die den Schnee unerträglich aus der Landschaft trieb, die Stadt bezwang und wie auf riesenhaften Säulen ruhte.

Der Verkehr hatte die Höhe erklommen. Die Straßen schrien vor Betrieb, und das Tempo der Wagen war das eines Orkans.

Eliane umklammerte noch einmal ihr ganzes Bewußtsein wie mit einer Fruchtzange, daran zu denken, daß sie jung sei, ohne Geliebten. Dazu die leeren Nächte …. das dumpfe Blut …. die anrasenden Arterien: zu altern.

Und sie war so muskulös: Durchzustehn!

Sie schloß die Tür ab und legte den Schlüssel auf den Schwellenpfosten. Daß eine Nachbarin auf der Treppe stand, war peinlich. Schon seit Tagen war sie der Gegenstand bohrender Neugier; auch des Neides.

Fühlte auch diese schon, daß etwas in der Luft lag? Der Korb, der voll Leibwäsche gehäuft war, pendelte im Arm. Gab ihrem Schreiten den tänzerischen Takt. Ihr war, als verknoteten sich die Kuppen ihrer Achseln zu einem flügelhaften Strich junger Federn. Alle unversehrten Teile ihres Körpers schlossen sich zu einem schwebenden Gehobensein.

Kein Mensch drehte sich um nach ihr. Wozu auch? Es gingen so viele geputzte Mädchen. Und die Soldaten litten unter der Kälte, die stetig zunahm.

Eine schwere Wolke von Atem lag auf dem Bürgersteig, strich über den Place du Marché und verdichtete sich im Viertel der Rue Faidherbe.

Ruinen von Kaufhäusern gossen ein wenig Licht auf unwillig gestapelte Waren. Es gab noch etwas Bijouterie –: entzückende Perlarbeiten, Börsen von Saffian und Bernsteinschmuck.

Eliane schielte mit gespannten Lidern sich etwas zu kaufen. Eitelkeit ließ ihre Lippen eine Sekunde unbändig vibrieren. Mit dem Geschick zu hadern, fiel ihr jedoch in diesem Moment nicht ein. Das Blut trieb restlos vor.

Ein Soldat sah ihren Sprüngen nach, konnte sich aber nicht entschließen, sie einzuholen. Warum auch? Es sprangen so viele hier, flügge und begehrlich.

Eliane drehte sich herum. Da stand der dumme Kerl noch immer unter der Laterne. Er mochte etwas denken, das mit dem ihren in das gleiche selige Meer mündete. Sie überlegte kurz: Liebst du denn diesen?

Nun teilten schon Nebel die Wärme von ihm ab. Er war noch Herr, aber irgendeiner. Neben ihm blitzten die Bajonette der Patrouillen. Der Wind riß Fetzen aus der Luft.

Eliane besann sich schnell zurück und suchte die Nummern an den Häusern. Eins … zwei … drei … und vier. Das war alles unten und bis siebenundfünfzig mußte sie die Straße hinauf zählen. Und auf einmal kam ein langsames, lautloses Sichvorschieben. Und es war sonderbar, wie wenn in dem leise vorwärts rinnenden Faden des Geschehens eine Faser zerrissen wäre und Knoten zog.

Es war eine lange Allee von fiebriger Zerfahrenheit. Jedes Haus hatte noch dazu einen Anflug von Garten. Hinter gelben oder rosa Rideaux wurde viel musiziert. Es lagen Gewitter von Stücken aus Opern in der Luft. Die Kälte indes litt nicht, daß man stehn blieb.

Das Haus, dessen Nummer Eliane von einem zerschnittenen Papier las, war endlich da. Zwei spärlich beleuchtete Etagen betraten die Nacht. Der Flur roch stark nach Hund und schlecht abgestaubten Teppichen.

Ehe Eliane den ersten Schritt auf die Treppe setzte, kam eine Runzelalte vom Hinterhaus herein, und zerrte sie zurück. Die Angerufene wagte nicht zu antworten. Das zahnlose Maul der Hexe plärrte zum Umfallen.

Eliane sah nur das Räderwerk der schwarzen Zähne und verstohlen nach oben, ob sich nicht der Stiefel eines Mannes rühre.

Die Alte wollte absolut wissen: wohin?

Eliane nannte zögernd den Namen des Offiziers. Ja, es war bitter, ihn auszusprechen vor diesem Volk. Überhaupt …:

»Mußte dieser schreckliche Weg sein? Warum kam er nicht als Winselnder? Zerknirscht vor Brunst. Oder dreckig aus dem Graben eine Nacht, um dann zu sterben für ein zerwühltes Bett.

Was ist Schmerz? Du Rasender? Du Ausgepumpter? Du bist nur näher deinem Mutterherzen!

Man weiß, daß eine fürchterliche Einsamkeit auf deinem Leben liegt, eine steife Enge wie auf Fingern im Frost. Dich aufzutauen, bin ich geworden. Und du liebst mich! Mußt!«

Niemand aber stand oben mit aufgerissenen Armen.

Das Knarren der Stufen übertönte die Hexe mit einem verrückten Kichern. Auch das will durchliebt sein: ein Leben aus roten Nächten.

An der Tür klebte eine schmutzige Visitenkarte. Eliane drückte die Brüste, bog sich halb zurück. Es war nur ein kleiner Sprung bis wieder zur Straße. Ein noch kleinerer, den Drücker wieder zu fassen.

Ihr Gesicht wurde fleckig vor Aufregung. Aus der Pein des gepreßten Gebisses kam keine Erlösung. Sie schwang die Hände: »Hilf du mir, Blut!«

Es schwirrte schwindelnd in ihr auf: »Nein!« zu sagen. Es war wirklich zu viel Entäußerung.

Aber das endliche: »Ich such' dich … dich, ja!«

[Zeile/n fehlen im Buch. Re.] fiebernd aus den Knien herauf bis in die Schläfen, befahl. Sie klopfte an. Der rote freche Bursche stand und grinste. Wollte den Korb greifen. Und sie hatte als Antwort nur ein wehrloses Lächeln; wieder das häßliche Gefühl von sich. Wie ein Hieb durchschnitt ihre Sehnen der Gedanke: »Der Lümmel weiß, warum ich zu seinem Herrn will. Er weiß, was ich bin, und nimmt mich vorweg wie den Wein, Zigarren und das Fleisch.«

Der Kampf dauerte zwei Minuten und donnerte hintereinander mit der Lockung eines schmierigen Bettes und schweinischen Gesten.

Eliane bestand, lärmschlagend, auf den Offizier. In diese Kraft schob sich, was in ihr übrig war von Wollen und Tat.

Das Zimmer war voller Rauch. Eine gut frisierte Person saß dem Leutnant auf den Knien. Eine gastierende Sängerin oder so. Sie sprachen deutsch miteinander.

Eliane stand, überrumpelt, eine ganze Weile im Zimmer, ehe zu grüßen sich jemand rührte. Da ließ sie einfach den Korb mit der Wäsche fallen.

Aufsprang der Offizier und das Fräulein reckte sich. Ihre seidenen Velours rauschten. Ihre Lippen waren stark gefärbt und das blonde Haar brach rieselnd aus der Frisur.

Eliane packte die sauber gefaltete Wäsche auf den Tisch. Nur um sich straffer zu sammeln. Die Vorstellung, daß sie endlich hier stand, wo nichts mehr Grenze war, hob sie immer höher in die Gewalt der Kraft.

Der Offizier zählte mechanisch die einzelnen Stücke nach. Ein wenig ärgerlich in den gedrehten Bartspitzen, weil es ihm zu lange dauerte und die Dame zu husten begann.

Eliane dachte blitzschnell etwas herzu und mit diesem letzten Triumph spielend: »Wenn er mich zahlen wird, werde ich nichts annehmen. Ihm sagen, er möge monatlich den Kram bezahlen.«

Der Offizier tat nichts dergleichen, als Eliane noch einige Sekunden wartete.

Die Dame begann zu kichern und trat näher. Fragte Eliane in einem schlechten Französisch nach den Kindern, nach dem Mann: ob er gegen die Deutschen fechte usw.

Der Offizier lachte unbändig zu dieser Komödie, denn Eliane fieberte und fror, daß ihr Gesicht aufplatzte.

Sie sah suchend umher, unbewegt standen die Möbel und der sinnliche Dunst des Zimmers beklemmte. Sie spürte den Boden unter sich sinken, und dennoch fühlte sie sich fester gegründet und elastisch gestrafft.

In den Augen des Offiziers schimmerte es weiß. Er begehrte sie. Feigheit vor der Sängerin ließ ihn aber nicht erbrausen.

So war's!

Da packte endlich die Wut Eliane und sie schrie ins Gesicht der Dame: »Tu va crevé!«

Aber das verstanden sie beide nicht über den bevorstehenden Akt. Und nun lachte die Dame mit dem Offizier kindhaft dumm über die Szene, die sie nicht verstanden.

Eliane hörte noch lange hinter sich her lachen, als sie in der stiebenden Nacht durch die Straßen tobte, hielt und weiter tobte.

Der Turm von Notre-Dame stand wie ein fabelhaftes Gebirge aus Syenit auf der Schnee-Ebene. Er brachte die Raserei der Frau zum Stehn.

Sie fühlte: es schwächte sie etwas von oben. Sie hatte keinen Halt mehr hinter den Augen. Das Gehirn vermengte alle Begriffe. Sie fühlte bittere Schwindel aufsteigen. Die Glieder füllten sich mit Blöcken Eis. Die Zähne wuchsen ineinander. Plötzlich umwolkte ihren Schritt schwefliger Rauch. Sie stolperte. Die Welt drehte sich rasend.

Fünf Minuten lang lag Eliane in der Ohnmacht. Der Stiefel einer Patrouille berührte ihre Brüste. Ihr Leib wurde bekrochen, wie man Kadaver befühlt, mit einem Geschmack von Galle auf der Zunge.

Sekundenlang ließ sie mit geschlossenen Augen geschehen, was da um sie tobend vor sich ging, als müßte sie es dulden, um vollendet zu werden.

Ein knisternd anspringender Funke in ihrem Gehirn lohte plötzlich auf: nur dieses nicht!

Mit einem gellen Geschrei sprang sie auf. Die Soldaten lachten zynisch. Irgend eine Hand tat unverschämte Griffe. Das machte sie immer nüchterner. In ein rotes Gesicht, ganz nahe ihrem Mund, schlug sie die Faust und rannte fort.

Man ließ sie laufen. Sie rauschte wie ein zerrupftes Rebhuhn über den Boden. Rosige Massen Licht um den Kopf, dampfte sie durch das knisternde Wachstum der Fröste und fühlte, wie sich ihr Körper wieder ausreckte zu einem sichtbaren Quantum Fleisch.

Die durch den schnellen Lauf gesteigerte Temperatur des Blutes bahnte sich Wege ins Gehirn. Denkfetzen schoben sich zu logischen Folgen. Jetzt erst erfuhren die Beine, daß Unfähigkeit zu finden sie vom Zuhaus abgetrieben hatte. Nicht weit zwar. Nur ein paar Straßen Umweg. Die Brücke war zu passieren. Der Strom war offen. Aber das Wasser hatte keine Reizfiächen für Eliane. Ihre sich vervielfältigende Wut verlangte nach anderer Leben. Die Atemnot über den Buckel des Eisenwerks hinweg ließ Zeit genug: Genugtuung für die Schmach auszubrüten. Schon begannen die kleinen Fäuste sich zu ballen. Schon konnten die Lippen Gestammeltes des Herzens formen –: »Diese fremden Gesichter sind alle ein Dreck. War ich ihm wirklich so nahe, jetzt, da man uns erniedert, von den Brosamen zu fressen, die von ihren Tischen fallen?

Es ist wahr … ich lag überrumpelt von Schlaf. Ein Alp hatte Gewalt über mich. Eine Art von Vision stellte mir Prüfungen. Ich trotzte dem Wind. Ich zerhieb die Nacht mit meinen Flechten. Ich badete im Auge der heiligen Jeanne d'Arc. O mein Herr Leutnant … vielleicht eine saure Gurke gefällig? Lecken Sie den Staub mir von den Schuhn. Ich zerzwirble euch, so ihr nicht hinsterbt vor den Bogen meiner indischen Brauen, wie das Geziefer, das ihr Nacht für Nacht aus euren Lumpen pellt.

Alle Peitschen über euch!

Irrsinn der Schlacht und Bajonette des Irrsinns!

Seuchen und Syphilis!

Alle Fegefeuer der Rache!«

· · · · · · · · ·

Eliane schritt langsam vorwärts und empfand in der Erschütterung des Gehns, ohne Gefühl in den Augen und Händen, die Nähe von etwas kühl sie Umschließenden.

Und nun stand sie vor dem Hause, das ihr Ausgang gewesen war, eine Stunde knapp vorher … nein, ein Jahrtausend!

Sie hatte die Wirkung eines Jahrtausends auf den Mann unterschätzt.

Das war's!

Es war ihr beklemmend vor Übelkeit und Enttäuschung. Aber gab es denn ein anderes Zurück? Eine wirksamere Rache als die: ein Leben lang fortan zu hassen?

Die Spannung wich erst, als sie die Hand auf das Tor des Vorgartens legte.

Sie blinzelte empor. Die drei Fenster gähnten nach oben wie Doggenmäuler. Es gab keine besseren Leibwachen.

Das Treppengehäuse spülte einen Dunst von pfeifen und feuchter Wäsche herab.

Scheußlich, durch welchen Unrat man gegangen ist, zu werben! Sie empfand die ungeheure Demütigung vor einem Scheusal wie eine letzte sie begleitende Gemeinheit, wie den ätzenden Geifer eines Reptils auf der gesträubten Haut.

Sie hetzte in die Wohnung. Das niedrige Gelb eines Talglichtes steifte die Möbelstücke zu Stein. Gut, daß noch ein paar rot gepolsterte Stühle standen.

Mit Augen aus blauschwarzem Mohn blühte Eliane drei Stunden noch in das durchstürmte Einst. Stimmen des Hirns und des Herzens rannten einander an. Lüge blieb Sieger.

Wozu auch die Wahrheit, wo jede Stunde die Lüge der verflossenen ist.

Eliane log die zehn Minuten Offizier aus den Zellen ihres Geschlechts. Mit einem Ruck stürzte sie das Schild »Wäscherin für Offiziere« vom Fenster unter zwei verrückt trampelnde Lackschuhe. Damit war alles getilgt … die Einsamkeit der Nächte … Zuckungen der Brust … Der Unpatriotismus …

Diese Hunde von Deutschen! Diese Hunde!

Sie stellte das Licht so, daß es einen Napoleon beschien. Ein Grün trat in ihre Augen und blühte wie Lorbeer herum. Durch die Trompete des Gehörs donnerte: »Sambre et Meuse!«

Und plötzlich die Tobsucht: warum hatte ich kein Messer, da dieser Schuft mich anspie?!

Der Mond stieß durch das Zimmer und wühlte sich in die Tapeten. Es wurde unheimlich unter der Decke. Das Christusbild gleißte wie schieres Silber.

Auch das noch!

Eliane fuhr über die Stirn und strich sieben Jahre ihres Lebens zurück. Aus der Kammer scholl Gastons Schlafton. Harte Winter froren über ihre dampfende Haut. Sie pauste mit geballten Fäusten und ließ das Zittern vorüber. Riß die Tür auf und war betäubt von Schweißgerüchen.

Auch dieses überwand sie.

Gaston sprach ein paar leise Silben im Schlaf. Lange nicht gehörte. Sie sah auf seinen Mund, sah die Lippen, die ein kurzer, breiter, blutiger Schnittwaren.

Ihr Gesicht begann sich aufzuhellen. Und wie sich vor ihren Augen die Liebesgestalten der Wollust mischten, griff es plötzlich nach ihren Händen. Umtastete die Brust und fuhr in die Schenkel.

Der Mond schlug die Kammer mit rosa Samt aus. Die Luft wogte in blauen Wellenkämmen. Es barst ein Sarg. Aufflogen Schenkelgewalten Apolls. Immer näher trieb die Küste heran. Fetzen Kleid fielen. Nacktheit füllte das Bett aus. Gottes seligstes Orchester scholl.

Die Stimme Evas sang

»Offne wieder deine Wälder mir. Ich war so verwandert in Häusern. Laubflügel stoßen mir zu. Alleen Lust teilen sich aus, viele Meilen. Ich steige mit einer Schleppe aus Aurikeln. Im rosigen Gas des Orions. Verwehen des Krieges … Fontänen fruchtseufzender Geburten. Alle wieder:

Adam … Abel … David und Christus!«

Ihr Leib wurde ruhig, alles hatte mit eins wieder Zweck und Ziel.

Als sie am Morgen (da Gaston von ihr maßlos geküßt und aus Wolken Haare sich zerrend die Treppen hinunter keuchte) die süß geschwächten Schenkel ihres Leibes herabsah, über Momente im Spiegel aus die Stadt herabsah, schoben sich die Häuser terrassenhaft empor und eine kahle graue Oberfläche wurde von nichts als der Woge dunkleren Graus des Himmels geschnitten.

Menschen kribbelten zu Geziefer erniedert. Musik vorbeiziehender Regimenter war ihrem Ohr weniger, als das Summen einer Fliege. Jeder Betrieb eilte in Gewalten einer Transmission. Kinder waren nur, die da noch zögerten, die sich widersetzten, die Revolution wurden dieser unehrlichen Stunde.

Eliane preßte sich in den Panzer aus weinroter Seide. Auf ihrer endlich ihr gewordenen Stirn blühte aus Schollen Begriff:

»Ich wollte eine Festung berennen: nun jubiliert eine Lerche über mich hin. Der Lenz steht wie eine blaue Spirale in meinem Gehirn. Ich werde leben. Ich werde rosa durch die Wälder Pfirsich blühen. Ewiger Frühling. Wo bist du, Pan?«

Eliane lispelte: »Wenn Gaston jetzt aufpaßt, kommt er dieser Gottheit auf die Spur und wird mit ihr die Welt durchbrausen!«

Sie stürzte sich in den frischen Wind der Zimmer. Die Möbel bekamen Gesicht, die Teppiche erschollen von Rosen und Salben.

Da trat sie an den Herd und opferte, auf daß aus allen Schatullen der Küche ein Geschmack steige, der Gott wohl gefällt.

· · · · · · · · ·

Am Abend brachten fünf Männer Gaston blutüberströmt aus der Fabrik: »Die Kreissäge hätte ihm die Brust aufgerissen. Er würde ewig ein Krüppel bleiben. Und so jung noch. Und du, Eliane? So jung noch!«

Eliane hielt sich mit beiden Händen am Schwellenpfosten. Kein Ton kam von ihren Lippen, da man Gaston ins Bett stützte. Die Männer gingen lautlos. Bald kam ein Arzt. Hantierte eine Weile ratlos, zählte umständlich den Puls und strich mit nervösen Händen über des Bewußtlosen Stirn.

Eliane stand noch immer im Türrahmen, farblosen Gesichts. Kein Ton kam von ihren Lippen. Ihr Haar war herabgefallen und grau mit einem Mal.

Der Arzt warf die blutigen Verbände Eliane vor die Füße und sprach, ihren Zustand erfassend, gleichgültige Trostworte.

Eliane rührte sich nicht. Ein leiser Streifen Schaum stand vor ihrem Munde, nicht weißer als die Farbe ihres Gesichts.

Der junge Arzt packte sie bei den Händen und schnarrte seine Anordnungen herunter.

Eliane nickte: verstand aber kein Wort.

Die kindhaft zarten Hände des Arztes strichen über ihr Haar. Sie schrie endlich auf und bog sich unter den Gewalten Eis, die sich auf ihrem Kopf türmten.

Dann fiel sie auf den schweren Lederstuhl unter dem Napoleonbild. Ihre Augen brachen aus und standen, zwei schwarze Steine, bodenwärts. Zwei Stunden … drei Stunden.

Das war nun das Ende?

Sie wußte nicht, wie sie davor erschrak. Wie ein heißes zischendes Eisen brach es in ihre Sinne, klemmte das Gehirn zwischen zwei dornbespickte Dauben und preßte alle Windungen heraus. Minutenlang war nichts als dieses Erschrecken. Dann versuchte sie, sich diesen geschändeten Mann da vorzustellen. Sie fühlte schmerzhaft, den raubtierhaften Sprung ihrer Gedanken sich auf das rote Gehügel Unglück stürzen … eine blutverklumpte Strähne des Haars hochzerrend, das fürchterliche Weiß der Augen ins Maßlose verbreitern.

Der Ekel war nicht auszuhalten: er verwüstete ihr ganzes Gefühl derart, daß sie klar spürte: nach diesem nie mehr einen Mann besitzen zu können.

Mit Grausen dachte sie an das verhaßte Zubettgehen. Irgendeinen Schleier, der, traumbestickt und von Süßigkeiten duftend, das erfüllen konnte, was neben ihr lag und Fröste stob, würde das Blut nicht spreiten können.

Sie beugte sich nach links und rechts nach einem Halt und floß mit einem Gefühl qualligen Schleims unter sich in den steten Schreck zurück.

Gaston schrie entsetzlich. Wie aus einer verstopft gewesenen Gosse brach Blut aus dem Mund und der Schaum knirschte.

Von allen Wänden prallte das schauerliche Duett. Eliane durchfuhr es wie sengende Kälte, die eine zerstörende Luft noch vor sich hertreibt.

Das Schreien wurde stärker, vervielfältigte sich. Platzte.

Eliane sprang auf.

Mit drei Schritten war sie in der Küche, griff das Beil und ging hin und erschlug Gaston. Der große Kopf ging unter. Die toten Augen wuchsen heraus. Es riß ihr den Mund schief und ließ die Zähne knirschend nach vorn. Die Stube füllte sich mit dem süßen Geruch des Sterbenden.

Sie bäumte sich vor und schrie erstickt. Drehte sich wollüstig im Wirbel ihrer Schmerzen.

Im Haus war es still und der Mond begann die Reise. Als er mit einem bläulichen Reflex im Spiegel stand, riß Eliane das Kleid auf, zerfetzte die Unterwäsche und badete den Leib auf Zehenspitzen tanzend.

An den Fenstern klopfte der Frost und beschlug das Licht mit einem milchigen Glas.

Eliane sah im Spiegel nur einen Haufen bewegtes Weiß. Sie stürzte auf den Teppich und kämpfte mit kurzen Atemstößen.

Nach einer Stunde war alles ruhig und wach. Ihre Sinne waren in ganz dünne Flächen gespannt. Langsam und jedes Stück genau prüfend zog sie sich an. Ihr Gesicht, von warmem, unbewegtem Blut durchflossen, blühte auf. Zärtlich strich sie über die mit lila Mull bespannten Brüste.

Sie waren noch so zart und aufrecht wie blanke Sommerbirnen gestaltet.

Eliane war es, wie wenn sie die gestachelten Formen von etwas Grausamem, Mitleidigem, Lüsternem, annähmen und über sie hinauswuchsen zu einer selbständigen Tat, die nicht mehr Sinnlichkeit und Mord war. Das machte sie noch ruhiger und gefaßter.

Sie zupfte von einem unmodernen Sommerhut ein Bündel roten Mohn und steckte ihn in den Spitzenausschnitt.

Das Herz tanzte ihr durch die Gurgel. Dieses Lachen war ihr bislang nur einmal gelungen. Als der Vorgänger Gastons sie entführt hatte in einer Juninacht. Fünfzehnjährig.

So fühlte sie sich jetzt.

In der Wohnung gab es noch einiges zu ordnen. Sie hantierte mit gespitzten Fingern; widerwillig, doch bei der Sache.

Dann schloß sie ab und trat auf die Straße.

Eine leichte Strömung war gegen sie und stäubte den Reif. Schwerfällig stolperten die Arbeiter in die Fabriken. Leise und schlaftrunken regten sich die Häuser in den Tag hinauf. Eliane ging genau denselben Weg, den sie an zwei Abenden vorher gekommen war, zurück. Eine breite Hand ohne Arm drückte ihr Gewicht auf sie. Mit einem pfeifenden Trotz hob sie dennoch den Kopf und grüßte jeden, der ihren Weg kreuzte. Sie fand das Haus des Offiziers ohne Nachdenken. Niemand sperrte die Treppe. Drei harte Schläge an der Tür öffneten sie. Der Offizier prallte zurück, da er aufschloß. Sie drückte ihn beiseite und stand im Zimmer die Arme nach rückwärts geballt.

Er fragte erschrocken und versuchte ihre Augen zu halten.

Mit den weißblauen Steinen, das ganze Gesicht beherrschend, suchte sie prüfend im Zimmer herum.

Das Bett stand rosa zerwühlt und froh in der Fensterecke. Ruhig schlief die Dame von vorgestern. Ihre mattblonden Haare waren über das Kissen wie eine Kaskade aus Samt gestürzt. Am leichten Wellenschlag der Brüste unter der Decke sah sie sie atmen.

Eliane reckte sich. Eine süße Wut quoll in ihr auf. Irgendwo gedieh die Freiheit. Alle Sinne schlossen sich zu einer brüderlichen Tat.

Der Offizier packte sie, Unheimliches witternd, bei der Gurgel. Sie schrie wie ein Tier unter dem Messer.

Und schrie das Geständnis der Nacht durch den Raum, bis die Dame aus den gehitzten Federn auffuhr.

Eliane fühlte mit einem bis in die Zehenspitzen herunter siedenden Erschauern, wie der Körper des Offiziers sich trotz allem mit Wollust füllte: sie zu besitzen, wäre diese Deutschblonde nicht.

Sie klatschte wahnsinnig lachend in die kleinen Hände und rannte fort.

Im Laufen welkten ihre Brüste und klatschten naß auf die erhitzte Haut. Die Ranken, die mit frühlingsheiligem Eifer die nun Gealterte in das Unmögliche der Ehe gehoben hatten, zogen, eine ausgehaarte struppige Schnur, durch den getauten Kot der Straße.

Noch einmal, bei einer Biegung, streckte Eliane die Hände aus. Sie schienen sich zu falten und zu krausen. Und da wußte sie, daß es an der Zeit war, unter einem Brückenbogen, unter dem schnapsstinkenden Atem eines Vagabunden heilig zu verrecken.

· · · · · · · · ·

Bis in die Schläfen steinern bleich hob der Offizier das Bündel seidenen Mohn vom Teppich.

Das Zimmer leuchtete in flüssigem Feuer.


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