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Kamäa

(1915)

... ein Donner bricht sich los.
Die Glieder springen auf wie Feuerflacken
und über alle Grenzen wächst dein Schoß.

 

Über Hamburg lastete Herbst.

Eisenstein war schon drei Wochen in dieser kalten, nebligen Stadt.

Er tobte gegen das infernalische Grau des Hotelzimmers wie ein Stier.

Der Kellner wurde unerträglich und das fettige Essen ödete ihn an.

Aber er hatte noch ein paar Tage das Amt: von einem Pfeffersack zum andern zu jagen. Ging durch vielerlei Hände, die allesamt temperamentlos waren und sehr fleischig.

Wurde manchmal grob und erhielt Aufträge.

Sein Notizbuch hatte bereits alle Falten verloren. Denn die liebe Seele strebte zum Ruhm.

Und er stand noch in der Dreißigermitte und trug die Goldquelle des Amtes wie eine Bürde. Etwas, das nur als Fühlbares wirklich war. Als dieses fiel es einmal in Zacken und dann wieder kreisend den jähen Sturz in unsehbare Klüfte hinab. Tanzte ein neues Höherzucken und riß Furchen rinnend in den Bau seiner Kraft.

Er hatte nie die Ambition, Fühlbares zu kultivieren.

Neben seinem Hotel aber war eine Tanzbar.

Da kamen immer junge Männer heraus und gingen neben Frauen her wie Kameltreiber.

Viele Frauen, die schon etwas voller in den Hüften waren und große schwarze Hüte mit weißen Pleureusen trugen, ließen sich von den Treibern prügeln.

Aber dann erst, wenn sie in die schmale verrufene Gasse bogen.

Neben solchen Frauen zu gehen und treiben und – prügeln! vielleicht wäre dies, was keine Bürde war.

Vielleicht wäre dies seine Arbeit?

Ein Beruf, der ihn nicht verbrauchte, der ihn ihm ließe und nicht so entzöge, wie es wohl jede neuere Art des Erwerbes täte.

Vielleicht war alles Wirre in ihm nur aus dem unerkannten Sehen nach dem freien Leben eines Treibers in Frack und Lack.

Eine Dame wäre schon gewesen: d. h. er hatte sie zweimal besucht als Primaner.

Sie war gut zu ihm und niemand hatte es erfahren. Er hatte keine Intimität mit Freunden. Man hielt ihn für einen Streber.

Aber dann hatte er mal einen Offizier dort getroffen. Durch seine Ohren schmatzte es. Über dem Sofa brannte eine rosa Ampel.

Er ist nicht mehr hingegangen.

Vielleicht war er nicht einmal eifersüchtig.

Die Blonden, Braunen und Bläulichschwarzen, die er danach in der Tanzstunde oder auf dem Korso oder im Theater besessen hatte, waren strichweise Ornamente ohne Brust und Lenden.

Er wußte angemessen in jeder Situation sich zu gruppieren und war doch immer die gefoppte einsame Säule.

Zwei weitere Frauen hatten ihn nur Geld und viele schöne Abende gekostet.

Die eine verkaufte tags Handschuhe und war eine zierliche Kolombine.

Sie trug seidene Dessous und Schneiderkleider. Sie schminkte sich und log. Einmal mußte er sich ihretwillen schießen.

Als Eisenstein aus dem Sanatorium kam, war sie nicht mehr da. Die andere mußte immer um zehn Uhr zu Hause sein.

Aber was sie zwischen sechs (sie tippte bei einem Notar) und dreiviertelzehn an Süßem und Gebratenem verstaute, konnte nur der Magen eines Wiederkäuers vertragen.

Auch hatte sie Ansatz zum Kropf.

Diesmal ließ er sie stehen.

Weil sie sich ihm bei passender Gelegenheit verweigert hatte.

Sie sagte zwar ganz rot: Du … du … ich … habe vergessen … das – – – – Hemd zu wechseln.«

Das war unhöflich und feige.

Dann spielte er Rollen: Helden, Chargen und Heldenväter.

Aber nie war ihm eine Frau die Form eines ihm Eigenen geworden. Vielfältigkeiten waren sie alle zwar und gaben Verwirrtheiten.

An diesen Gefühlen vorbei hatte er sich zu einem fast Alternden gewandelt.

Vielleicht war das Blut, als es dazu verwendet wurde ihn darzustellen, schon zu sehr ermüdet gewesen.

Vielleicht paßte er doch besser zu einem Treiber.

In Lackschuhen, mit verwesten Augen und Similiringen.

Und dann sprach er sich den Wunsch als Vorstufe: noch einmal in jenem Primanerweibe zu sein, das ihn erfreut hatte wie kein anderes.

Er stand jeden Abend vor der Tanzbar.

Die graue Atmosphäre der grauen Stadt drückte gräßlich und er schmeckte das Meer, dessen Nähe man eisig fühlte, wie ungewässerten Hering.

Es geschah aber, daß nie eine Frau allein aus der Tanzbar kam. Die, die keinen Treiber hatten, wurden von weißen Handschuhen sanft in ein Auto gehoben.

Eines Abends aber, als die Tanzbar noch nicht geschlossen hatte, sah Eisenstein schnell eine Dame heraustreten. Sie war allein und in einem roten Mantel mit Pelz.

Sie verschwand ohne Zögern in der verrufenen Gasse.

Und am zweiten Abend wieder.

Und am dritten.

Und doch sprach er sie nicht an, wie er sich vorgenommen hatte, eine anzusprechen, die über sein zukünftiges Amt entscheiden sollte.

Er kannte, fremd in dieser Stadt, natürlich das Gesicht dieser Fremden nicht. Auch sah er nur immer ihren Rücken.

Trotzdem war kein Zweifel in ihm.

Sie ist – dachte er – andern gleich. Eine unabsichtliche Verführerin zu den Bedingungen des Wiederwerdens und wird vom Wunsche, nicht mehr weiter zu werden, in seinem Gehirn angeklagt.

Sie löge – wie es die andern tun, scheute sich davor, daß ihm die Wahrheit erschiene und die Gräßlichkeiten des von ihr Vergangenen ihm seinen Augenblick überschütteten. Ahnte nicht, daß alles ihr Frühere ihm auch schon fortgenommen wäre, wenn sie es bekannt und – mit dem Stifte einer kleinen Lüge – den heutigen Ekel davor gezeichnet hätte.

Sie würde dies nicht ahnen und ihre große Lüge lügen, daß nur der Eine, der Bringer zu der Lust, sie schon besessen und erst seine Kraft ihr Erwachen zum wahren Nervenrausche bewirkt hätte. Und sie löge weiter. Löge: daß sie liebte, wenn sie gierte. Löge: daß sie schön sei, wenn sie geilte. Und müßte all diese Lügen tun. Warum sollten sie gerade ihr bewußt werden?

Ihr, die ja Weib heißt, wie die anderen, die … als zufriedene Frauen … entrüstet zur Seite schauen, wenn … man sie anspricht.

Denn jedes Blut sieht nur auf, so lange es, von einer Ursache geregt, fühlen kann und sieht so – nur das eben Werdende, weil es bloß mit der Kraft des Fühlens sieht.

Am drittnächsten Abend aber saß Eisenstein in der Tanzbar und wartete. Wartete auf die Frau im roten Mantel mit Pelz. Der Raum hatte sich nach und nach gefüllt.

Über den nackten Strich der Primgeige schwebte der Rauch der parfümierten Zigaretten.

Die weißen Kellner keuchten Kühler um Kühler heran.

An den runden Tischen lachte man wahnsinnig spitz und laut. Viele leere Nischen waren reserviert.

Ein paar »Kavaliere« in schlecht sitzenden Fräcken und durchgeschwitzten Hemdbrüsten lauerten mit hängenden Kiefern wie Schakale.

Ihre Partnerinnen horchten mit geschlossenen Augen in das rhythmische Getön.

Dann und wann kam einer von unten herauf, wie ein Siegfried, stolz und groß und blond und krümmte den Arm.

In einer schön geschwungenen Kurve eilte er mit dem erjagten Wild davon und brachte den Tanzraum hinter der Barriere in schwebende Erregung.

Und dann öffneten sich die Nischen wie von einem Zauberstab berührt.

Nur mehr ein paar bis zu den Knien entblößte Beine, in kurzen Pausen heftig durch den gelben Plüsch gestoßen, verrieten den seligen Triumph. Die Schakale aber entwickelten einen Appetit … und konsumierten Wein … und qualmten … und mühten sich die Augen zu halten.

Denn die reservierten Nischen waren alle gefüllt.

Und unten quälten sich ein paar Lesbierinnen, bleicher, wie die müden Geigen.

Endlich kam sie.

Im roten Mantel mit Pelz.

Setzte sich an einen freien Tisch und hakte sich aus.

Die Kellner beachteten sie nicht.

Eine zarte müde Schärfe lag in den schroffen strengen Linien des Gesichts.

Dieses war zur Hälfte von Eisenstein fortgekehrt, zu einer noch ganz in haltloser Ferne hingewendet – mehr zweifelnd, als ein Sicheres erhoffend, ja fast verzagt, doch kühl und ohne jeden Anspruch in den Mienen.

Trüb wie von einer Träne schimmerte das Auge. Die Lippen lagen – schmal wie die einer Verzichterin – an den ein wenig hergewiesenen Zähnen. Auf diesen blinkte kaum ein leisestes Verlangen.

Eine edle Härte hob sich im Kinn in die ungewisse Welt hinaus.

Zu wünschen schien allein der Hals, gereckt in einem tonlosen Begehren.

Er kritzelte ein paar Worte auf seine Karte und ließ sie ihr hinüberreichen.

Sie kam fast widerwillig.

Doch mit großen Raubtierzähnen, die intensiv geregt wurden.

Keine von den Frauen, die er bisher besessen hatte, war so unverfälscht weiß und seidenweich behautet.

Und er sah die schlanken Fesseln in blauem Seidenflor.

Und die winzigen Saffianschuhe.

Und trank das Parfüm mit geschwollenen Schläfen.

Und keine Erbärmlichkeit wäre, die Pulse ins Schweigen zu zwängen.

Sie hieß Kamäa.

Das genügte.

Sie stürzten wie zwei Ströme zusammen.

Sie wurden weit wie der Atlant.

Und die Geigen tönten donnerdunkel.

Mit nervös zitternden Händen schob er Kamäa in den Wagen und fuhr sie in ein Hotel am andern Ende der Stadt.

Sie küßten sich im Lift.

Sie küßten sich vor dem gräßlichen Goldspiegel.

Sie küßten sich mit Zunge, Zähnen, Haaren, Händen.

Und dann zerriß er die vielverschlungene Schärpe, die seine Scham hüllte.

Kamäa entzündete sich daran wie geworfen.

Eine weiße, steile Flamme.

Und der rote, rote Mund.

Jeder Biß schuf einen neuen Mund.

Und plötzlich war ein ganzes Heer von Mündern da.

Und sie logen alle süß.

Und er glaubte allen Süßigkeiten.

Und gierte nach immer neuen Süßigkeiten.

Preßte, als sie zu versiegen schien, den Quell der Münder zusammen.

Und preßte alles um den Quell herum.

Und preßte mit beiden Händen die schmälste Stelle der Münderhäufung.

Die weiße Flamme krümmte sich.

Die weiße Flamme zischte.

Die weiße Flamme erlosch.

· · · · · · · · ·

Lustmord?

Man hielt sich nicht lange auf und brachte Eisenstein in einen alten, waldähnlich-schönen Garten.

Dort ging er viele Stunden lang umher.

Sprach manchmal irr.

Würgte die Wärter.

Kam in die Zwangsjacke.

Und alles bei voller Besinnung.

Nur müde. Gräßlich müde war er immer.

Es war doch alles so nutzlos.

Kamäa.

Und das Amt.

Nichts klang wieder.


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