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9. Kapitel.

Sokrates belehrt den Kriton, Kriton kam schon Buch I, 2, 43 vor; s. dort die Anm. wie er sich gegen die Verfolgungen falscher Ankläger sichern könne.

1. Ich weiß auch noch, was er einst sagte, als er von Kriton hörte, daß in Athen einem Manne, der seine Geschäfte besorgen wolle, das Leben oft sauer gemacht werde. Denn jetzt, sagte Kriton, ziehen mich gewisse Leute vor Gericht, nicht als ob sie von mir ein Unrecht erlitten hätten, sondern weil sie glauben, daß ich lieber Geld zahlen, als mich auf Prozesse einlassen würde. –

2. Da sagte Sokrates: Hältst du dir nicht, Kriton, Hunde, damit sie dir die Wölfe von den Schafen abhalten? – Allerdings, sagte jener, denn es ist mir nützlicher, sie zu halten, als nicht. – Würdest du dir also nicht auch einen Mann halten, der gewillt und fähig wäre, von dir diejenigen abzuwehren, die dir Unrecht zuzufügen versuchen? – Recht gerne, sagte Kriton, wenn ich nicht befürchtete, er könnte sich gegen mich selbst wenden. –

3. Wie? sagte Sokrates, siehst du nicht, daß es viel angenehmer ist, dadurch sich Nutzen zu verschaffen, daß man gegen einen Mann, wie du bist, sich gefällig zeigt, als dadurch, daß man sich mit ihm verfeindet? Glaube nur, es giebt hier Männer, die es sich zur Ehre rechnen würden, dich zum Freunde zu haben.

4. Nach diesen Gesprächen machten sie den Archedemos Wahrscheinlich derselbe, der später in Athen zu bedeutender Macht gelangte. S. Xenoph. Griech. Gesch. I, 7, 2. Als Demagoge wird er von Aristophanes in den Fröschen V. 417 ff. folgendermaßen verspottet:

Kommt, laßt jetzt mit einander
Uns Archedemos hänseln,
Den alten Knaben, der noch keine Pathen hat;
Doch leitet er das Volk jetzt
Dort oben bei den Todten,
Wo er der lumpenhaftste aller Lumpen ist.
Vom Kleisthenes vernahm ich,
Er sitze bei den Gräbern
Und rupf' und kratze sich die Hinterbacken wund;
Er jammert, seufzt und weinet,
Und tiefgebeugt beklagt er
Den Freund Sebinos, der aus dem Hinterviertel stammt.

Uebersetzt von Dr. E. Schinck (Univ.-Bibl. Nr. 1154). Näheres über Archedemos s. bei Th. Kock in seiner trefflichen commentirten Ausgabe ausgew. Komödien des Aristophanes zu d. a. Stelle.
ausfindig, der zwar vollkommen tüchtig im Reden und Handeln, aber arm war. Denn er gehörte nicht zu denen, die überall Gewinn suchen, sondern als ehrlicher Mann sagte er, es sei sehr leicht, den Sykophanten ihren Gewinn abzujagen. Der Sinn der etwas schwierigen Stelle ist folgender: Archedemos war ein Mann, dem es trotz seiner Armuth nicht darum zu thun war, aus allem Möglichen Gewinn und Vortheil zu ziehen, aber als ehrlicher Mann hielt er es für erlaubt, dadurch, daß er die Sykophanten gerichtlich verfolgte, einen Ertrag zu gewinnen. – Unter Sykophanten sind ursprünglich solche Leute zu verstehen, die jemanden wegen verbotener Ausfuhr von Feigen aus Attika denuncirten. Später, bei der wachsenden Proceßsucht der Athener und dem Ueberhandnehmen der schamlosesten, daraus hervorgehenden Chicanen, wird mit dem Ausdruck ganz allgemein jeder bezeichnet, der einen andern, um Geld zu erpressen oder sonst etwas von ihm zu erlangen, mit einer falschen Anklage bedrohte, oder dieselbe wirklich anstellte. Diesem gab nun Kriton, so oft er Getreide, Oel oder Wolle, oder sonst ein zum Leben nützliches Landeserzeugnis einerntete, stets einen Theil ab, und so oft er opferte, lud er ihn zur Opfermahlzeit ein Zu dem nach vollbrachtem Opfer stattfindenden Opfermahle lud man außer Verwandten auch Freunde, die man ehren wollte, ein. und erwies ihm bei allen solchen Dingen Aufmerksamkeiten.

5. Da nun Archedemos in Kritons Hause sich eine sichere Zufluchtsstätte eröffnet sah, ehrte er ihn sehr. Und gar bald findet er, daß die Sykophanten, welche dem Kriton auflauerten, sich viele Freunde und viele Feinde gemacht hatten, und nun er gegen einen von ihnen eine Anklage von Staats wegen, in der über ihn zu einer Leibes- oder Geldstrafe hätte erkannt werden müssen.

6. Dieser aber, der sich vieler Schlechtigkeiten bewußt war, setzte alles in Bewegung, um von Archedemos loszukommen. Aber Archedemos ließ ihn nicht los, bis derselbe seine Klage gegen Kriton fallen ließ und ihm selbst eine Summe Geld bezahlte.

7. Als nun Archedemos diese und andere ähnliche Erfolge erreicht hatte, da war es ganz so, wie wenn ein Hirt einen guten Hund hat, und auch andere Hirten in dessen Nähe zu weiden suchen, um auch von dem Hunde Nutzen zu haben; und so richteten auch an Kriton viele Freunde die Bitte, auch ihnen den Archedemos als Wärter zu überlassen.

8. Und Archedemos war hierin dem Kriton gern zu Willen, und so blieb nicht nur Kriton selbst, sondern auch seine Freunde vor den Sykophanten in Ruhe. Wenn aber einer von denen, mit welchen sich Archedemos verfeindet hatte, ihm den Vorwurf machte, daß er dem Kriton, weil er von ihm Unterstützungen erhalte, schmeichle, dann sagte er: Was ist denn eine Schande, . sich rechtschaffene Menschen, wenn man von ihnen Wohlthaten empfängt und ihnen dafür solche erweist, zu Freunden zu machen, mit den schlechten aber in Feindschaft zu leben, oder die rechtschaffenen, indem man ihnen Unrecht anzuthun sucht, sich zu Feinden zu machen und hinwiederum die Schlechten, indem man ihnen hilft, sich zu Freunden machen zu wollen und mit diesen statt mit jenen zu verkehren?

Seit dieser Zeit gehörte Archedemos nicht nur zu den Freunden des Kriton, sondern wurde auch von dessen übrigen Freunden geachtet.


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