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7. Kapitel.

Sokrates warnt seine Freunde vor prahlerischer Scheinsucht, die nicht nur den, der sie übe, lächerlich und unglücklich mache, sondern auch anderen zum Verderben gereiche.

1. Wir wollen aber auch betrachten, ob er dadurch, daß er seine Freunde von prahlerischer Scheinsucht abmahnte, sie der Tugend zuwandte. Er sagte nämlich immer, es gebe keinen schöneren Weg zum Ruhme, als daß man darin tüchtig werde, worin man tüchtig scheinen wolle.

2. Die Wahrheit dieser Behauptung bewies er auf folgende Weise. Laßt uns betrachten, sagte er, was einer, wenn er für einen guten Flötenspieler gelten wollte, ohne es zu sein, zu thun habe. Müßte er nicht in dem, was außerhalb der eigentlichen Kunst liegt, die guten Flötenspieler nachzuahmen suchen? Und erstens, weil diese schöne Instrumente haben und viele Diener mit sich herumführen, müßte auch er es so machen; und zweitens, weil sie von vielen gepriesen werden, müßte auch er viele Lobredner sich verschaffen. Dagegen eine musikalische Aufführung dürfe er nirgends übernehmen, oder es würde sogleich an den Tag kommen, daß er ein lächerlicher Mensch wäre und nicht blos ein schlechter Flötenspieler, sondern auch ein prahlerischer Mensch. Aber großen Aufwand machen und keinen Nutzen davon haben, ja überdies noch Schimpf und Schande einernten, heißt das nicht ein mühseliges, mißliches und lächerliches Leben führen?

3. Ebenso laßt uns betrachten, wenn einer ein guter Feldherr oder Steuermann zu sein scheinen wollte, ohne es wirklich zu sein, wie es ihm gehen würde. Würde nicht, wenn er bei allen Anstrengungen, hierin als tüchtig erscheinen zu wollen, keinen Menschen davon überzeugen könnte, schon dieses recht schmerzlich sein? Wenn er aber Glauben fände, würde das nicht noch weit schlimmer sein? Denn es ist ja offenbar, daß er als Unkundiger zum Feldherrn oder Steuermann bestellt, nicht nur diejenigen ins Verderben stürzen würde, welche er am wenigsten wollte, sondern auch selbst mit Schimpf und Schande davon käme.

4. Ebenso zeigte er auch, daß es sehr mißlich sei, für reich oder tapfer oder stark zu gelten; denn solchen werde mehr auferlegt, als ihren Kräften entspreche, und da sie dies nicht leisten könnten, würde man mit ihnen, da sie ja tüchtig zu sein schienen, keine Nachsicht haben.

5. Einen Betrüger aber, und zwar keinen kleinen, nannte er schon den, welcher Geld oder Geräthe von einem andern leihe und dann behalte; für den bei weitem größten Betrüger hielt er aber den, welcher, ohne selbst tauglich zu sein, die Leute etwa betrogen hatte, indem er sie glauben machte, er verstände sich auf die Leitung des Staates.

Mir nun wenigstens schien er durch solche Unterredungen seine Freunde auch von prahlerischer Scheinsucht abzulenken.


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