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4. Kapitel.

Werth der Freundschaft.

1. Auch hörte ich den Sokrates einmal über die Freundschaft reden, und, wie mir schien, hätte mancher großen Nutzen daraus ziehen können, sowohl hinsichtlich der Erwerbung von Freunden als hinsichtlich des Verkehrs mit denselben. Das zwar, sagte er, könne man von vielen hören, daß ein zuverlässiger und rechtschaffener Freund von allen Gütern, die man besitzen könne, das beste sei, aber er sehe die meisten Menschen weit mehr um alles andere, als um die Erwerbung von Freuden Sorge tragen.

2. Denn Häuser, Aecker, Sklaven, Heerden und Geräthschaften erwerben sie sich nicht nur angelegentlich, sondern suchen auch das aufs sorgfältigste zu bewahren, was sie davon bereits haben; einen Freund aber, den man doch das größte Gut nenne, seien sie weder bemüht, sich zu erwerben, noch den erworbenen sich zu erhalten. Man vgl. zu dieser schönen Stelle Cicero Lälius Kap. 15 (Univ.-Bibl. Nr. 868): Was ist aber thörichter, als wenn man, durch Reichthum, Ueberfluß und Macht vielvermögend, sich zwar alles anschafft, was man sich für Geld anschaffen kann: Pferde, Diener, herrliche Gewänder, kostbare Gefäße – Freunde hingegen, den besten und schönsten Hausrath des Lebens, wenn ich mich so ausdrücken darf, sich nicht erwirbt?

3. Ja, auch wenn Freunde und Sklaven krank seien, sehe er, daß einige zwar für die Sklaven Aerzte zu Hilfe riefen und alles übrige zu ihrer Genesung eifrig herbeischafften, um die Freunde sich aber gar nicht kümmerten. Und wenn beide sterben, seien sie zwar über den Tod der Sklaven betrübt und sähen ihren Tod als einen Verlust an, an den Freunden aber glauben sie nichts zu verlieren; und von ihren übrigen Besitzthümern lassen sie es bei keinem an Pflege und Wartung fehlen, die Freunde aber vergessen sie, wenn sie der Pflege bedürfen.

4. Ferner, sagte er, sehe er noch, daß die meisten zwar von ihren übrigen Gütern, wenn sie deren auch noch so viele haben, die Anzahl wissen, von den Freunden aber, wenn es deren gleich wenige seien, nicht nur die Zahl nicht wissen, sondern auch wenn sie denen, die nach dieser fragen, dieselben herzählen wollen, die, welche sie erst unter den Freunden angeführt haben, wieder zurücknehmen. So viel bekümmern sie sich um die Freunde. Vgl. Cicero a. a. O. Kap. 17: Gleichwohl sagte er (nämlich Scipio), sei zu beklagen, daß die Menschen bei allen andern Dingen sorgfältiger wären; jeder könne z. B. sagen, wie viele Ziegen und Schafe er habe, wie viele Freunde aber, könne er nicht angeben.

5. Und doch, wenn man Freunde mit den übrigen Besitztümern vergleicht, würde ein rechtschaffener Freund nicht bei weitem vorzüglicher erscheinen? Denn welches Pferd, welches Stiergespann ist so nützlich wie ein wackerer Freund, welcher Sklave so willig und so treu, oder welch' anderes Besitzthum in jeder Hinsicht so werthvoll?

6. Denn ein braver Freund stellt sich überall ein, wo es dem Freunde noch thut, sowohl in der Einrichtung der häuslichen Angelegenheiten als in öffentlichen Geschäften, und er ist bei der Hand, wenn es gilt, einem Gutes zu thun; er eilt zur Hilfe herbei, wenn eine Gefahr droht, indem er theils den Aufwand mitbestreitet, theils mitwirkt, theils zuredet, theils Gewalt gebraucht und die größte Freude im Glücke ist und die größte Stütze im Unglück.

7. Wie sehr auch die Hände einem jeden zu Dienste sind, die Augen sehen, die Ohren hören und die Füße durchwandern, in keinem dieser Stücke bleibt der Freund mit seinen Dienstleistungen zurück; ja oft ist, was einer für sich nicht erarbeitete, nicht sah, nicht hörte und nicht zum Ziele führte, vom Freunde für den Freund geleistet worden. Aber dennoch suchen einige zwar Bäume um der Frucht willen zu warten; das allereinträglichste Besitzthum aber, welches man Freund nennt, pflegen die Meisten träg und nachlässig.


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