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2. Kapitel.

Sokrates verführte die Jugend nicht.

1. Wunderbar erscheint es mir aber auch, daß man sich konnte bereden lassen, Sokrates habe die Jünglinge zum Bösen verführt, er, der außer dem bereits Gesagten erstens im Genusse der Liebe und im Essen und Trinken unter allen Menschen die größte Selbstbeherrschung, dann gegen Frost und Hitze und jegliche Anstrengungen die größte Ausdauer besaß und endlich sich so gewöhnt hatte, nur Weniges zu bedürfen, so daß er bei einem nur ganz kleinen Vermögen Sokrates selbst schätzt sein ganzes Vermögen zu 5 Minen (1 Mine – 67 M. 50 Pf.). Zehn Silberminen machen eine Goldmine, 60 Minen ein Talent. ganz bequem damit ausreichte.

2. Wie hätte er nun, da er selbst ein solcher Mann war, andere sei es zu Gottlosen oder Gesetzesverächtern, zu Schwelgern, Wollüstlingen oder zu arbeitsscheuen Weichlingen machen sollen? Vielmehr brachte er viele hiervon ab, indem er in ihnen ein Trachten nach der Tugend erweckte und ihnen Hoffnung machte, wacker und trefflich zu werden, wenn sie auf sich selbst Sorgfalt verwendeten.

3. Gleichwohl bekannte er sich nie dazu, hierin Lehrer sein zu wollen, aber dadurch, daß er ein so vortrefflicher Mann war, erweckte er in denen, die mit ihm verkehrten, die Hoffnung, daß sie, wenn sie ihm nacheiferten, solche Männer selbst werden könnten.

4. Auch seinen Körper vernachlässigte er nicht nur selbst nicht, sondern pflegte auch nicht die Sorglosen zu loben. Maßlos zu essen und maßlos zu arbeiten mißbilligte er; aber so viel, als die Eßlust gern aufnimmt, zu genießen und das Gegessene gehörig auszuarbeiten, billigte er; denn diese Lebensweise sei nicht nur völlig gesund, sondern hindere auch nicht die Sorge für die Seele.

5. Er war aber auch nicht üppig und prahlerisch in seiner Kleidung und Beschuhung noch in seiner übrigen Lebensweise. Auch verführte er seine Schüler nicht zur Geldgier; denn von den übrigen Begierden suchte er sie abzubringen; von denen aber, welche nach seinem Unterricht begierig waren, nahm er kein Geld.

6. Durch diese Uneigennützigkeit aber glaubte er sich seine Freiheit zu sichern; diejenigen aber, welche für ihren Umgang Zahlung annahmen, nannte er Sklavenhändler, die mit sich selbst Handel trieben, weil sie gezwungen seien, sich mit denen zu unterreden, von welchen sie sich hätten bezahlen lassen.

7. Er wunderte sich aber, wie einer, der die Tugend zu lehren verspreche, Geld nehmen und, statt den größten Gewinn in der Erwerbung eines braven Freundes zu finden, noch fürchten könne, der, welcher brav und rechtschaffen geworden sei, möchte seinem Wohlthäter nicht den größten Dank wissen.

8. Sokrates dagegen machte zwar keinem derartige Versprechungen; aber er war überzeugt, daß diejenigen von seinen Schülern, welche das von ihm Empfohlene annähmen, für das ganze Leben ihm und einander rechtschaffene Freunde sein würden. Wie könnte nun ein solcher Mann die Jünglinge verführen? Es müßte denn etwa die Anleitung zur Tugend als Verführung gelten.

9. Aber beim Zeus, sagte der Ankläger, Der Hauptankläger Meletos. er machte, daß seine Schüler die bestehenden Gesetze verachteten, indem er sagte, es sei thöricht, die Vorsteher des Staates durch Bohnen Bei der Wahlen zu obrigkeitlichen Aemtern gab jeder wahlberechtigte Bürger in Athen durch eine weiße oder schwarze Bohne seine Stimme ab. zu ernennen, während doch zum Steuermann niemand einen durch Bohnen erwählten haben wolle, noch zum Zimmermann, noch zum Flötenspieler, noch zu anderen sonstigen Geschäften, obgleich die Fehler in diesen Geschäften viel weniger Schaden brächten als in Staatsangelegenheiten; solche Reden, sagte der Ankläger, führten die Jünglinge dazu, die bestehende Verfassung zu verachten und zu Gewalttätigkeiten geneigt zu machen.

10. Ich dagegen glaube, diejenigen, welche ihren Verstand bilden und im Stande sein zu können meinen, ihre Mitbürger über das Nützliche zu belehren, werden am wenigsten zu Gewaltthätigkeiten geneigt sein, weil sie wissen, daß der Gewalt Feindschaften und Gefahren folgen, durch Ueberredung hingegen ohne Gefahr und auf friedlichem Wege dasselbe erreicht wird. Denn die mit Gewalt Bezwungenen hegen Haß, als wäre ihnen etwas geraubt worden, während diejenigen, welche überredet worden sind, Liebe im Herzen hegen, als wäre ihnen etwas geschenkt worden. Gewalt zu gebrauchen ist also nicht die Art derer, welche ihren Verstand üben, sondern derjenigen, welche Stärke ohne Verstand besitzen.

11. Auch hat jeder, welcher Gewalt gebrauchen will, nicht wenige Genossen nöthig; wer sich aber aufs Ueberreden versteht, braucht keinen Beistand, denn auch ganz allein dürfte er überreden zu können glauben. Morden aber kommt diesen am wenigsten in den Sinn: denn wer möchte lieber einen morden wollen, als ihn überreden und lebend für seine Zwecke gebrauchen?

12. Aber, sagte der Ankläger, zwei Männer, die mit Sokrates verkehrt haben, Kritias und Alkibiades, Kritias, einer von den sogenannten dreißig Tyrannen, welche nach der Beendigung des Peloponnesischen Krieges in Athen die höchste Gewalt in Händen hatten, kam in dem Aufstande der Flüchtlinge unter Thrasybulos um. – Alkibiades, der Urheber jener bekannten unglücklichen Expedition nach Sicilien 413 v. Chr., war einer der genialsten, aber auch leichtfertigsten Demokraten während des Peloponnesischen Krieges. haben den Staat in das größte Unheil gestürzt. Denn Kritias war unter allen Machthabern zur Zeit der Oligarchie der habsüchtigste und gewalttätigste, Alkibiades unter allen zur Zeit der Demokratie der ausgelassenste und übermüthigste.

13. Ich will nun diese Männer, wenn sie dem Staate Unheil bereitet haben, nicht in Schutz nehmen; was es aber für eine Bewandtnis mit ihrem Umgange mit Sokrates hatte, will ich erzählen.

14. Diese beiden Männer waren allerdings von Natur die ehrliebendsten von allen Athenern; sie wollten alles durch ihre Hand betrieben wissen, und ihr Name sollte unter allen der berühmteste sein. Sie wußten, daß Sokrates mit einem ganz kleinen Vermögen vollkommen ausreichte, daß er in allen Genüssen sehr mäßig war und daß er alle, die sich mit ihm unterhielten, leitete, wie er wollte.

15. Da sie nun dieses sahen und so waren, wie sie bereits geschildert sind: könnte da wohl jemand sagen, sie hätten aus Wohlgefallen an der Lebensweise des Sokrates und an der Enthaltsamkeit, die er besaß, seinen Umgang gesucht, oder aus dem Grunde, weil sie glaubten, sie würden am geschicktesten im Reden und Handeln werden, wenn sie mit ihm umgingen?

16. Ich für meine Person bin überzeugt, wenn ihnen ein Gott freigestellt hätte, entweder das ganze Leben hindurch zu leben, wie sie Sokrates leben sahen, oder zu sterben – sie würden es vorgezogen haben, zu sterben. Das sah man aus dem, was sie thaten. Denn sobald sie geschickter als ihre Mitgenossen zu sein glaubten, sprangen sie von Sokrates ab und widmeten sich den Staatsgeschäften, um deren willen sie Sokrates aufgesucht hatten.

17. Vielleicht möchte jemand dagegen sagen, Sokrates hätte seine Schüler nicht eher die Staatskunst lehren sollen als Besonnenheit. Ich habe nun dagegen nichts einzuwenden; doch sehe ich, daß alle Lehrer nicht nur an sich ihren Schülern zeigen, wie sie selbst das thun, was sie lehren, sondern auch durch die Rede es ihnen einleuchtend zu machen suchen. Und so weiß ich, daß auch Sokrates seinen Schülern sich selbst als einen rechtschaffenen Mann, zeigte und sich mit ihnen über die Tugend und andere menschliche Dinge aufs beste unterhielt.

18. Außerdem weiß ich, daß auch jene sich vernünftig betrugen, so lange sie mit Sokrates verkehrten, nicht ans Furcht, sie möchten von Sokrates gestraft oder geschlagen werden, sondern weil sie es damals für das beste hielten, sich so zu betragen.

19. Hier könnten nun vielleicht viele von denen, die sich für Philosophen halten, einwenden, daß wohl niemals der Gerechte ungerecht, noch der Besonnene übermüthig, noch sonst in einer Sache, welche Gegenstand des Lernens ist, der, welcher sie gelernt hat, jemals ein Unwissender werden dürfte. Hierüber denke ich anders. Denn wie diejenigen, welche ihren Körper nicht üben, körperliche Arbeiten nicht verrichten können, so finde ich, vermögen auch die, welche ihren Geist nicht üben, geistige Arbeiten nicht zu verrichten, denn sie können weder thun, was sie sollen, noch unterlassen, was sie sollen.

20. Deshalb halten auch die Väter ihre Söhne, auch wenn dieselben besonnen sind, dennoch von schlechten Menschen fern, indem sie den Umgang mit Rechtschaffenen für eine Uebung der Tugend, dagegen den mit Schlechten für eine Zerstörung derselben halten. Dies bezeugt auch ein Dichter, wenn er sagt:

Treffliches wirst du von Trefflichen lernen; doch wenn du mit Bösen
Umgang pflegst, so entweicht auch der vorhandne Verstand. Verse des Theognis, eines gnomischen Dichters aus Megara um 530 v. Chr.

Und ein anderer sagt:

Schlecht ist bald der wackere Mann, bald wiederum trefflich.

Der Dichter dieses Verses ist unbekannt. Vgl. Platons Protagoras (Univ.Bibl. Nr. 1708) Kap. 30 und Sophokles Antigone V. 361 ff.

Mit klugen Erfindungen so
Wohl über Verhoffen begabt,
Neigt bald er zum Bösen, bald zum Guten.

(Aus der klassisch-schönen Sophokles-Uebersetzung von Georg Thudichum, Gymnasialdirector in Büdingen, geb. 1800 gest. 1873.) Diese meisterhafte Übersetzung aller sieben Tragödien des Sophokles (Univ.-Bibl. Nr. 630. 641. 659. 670. 677. 709. 711, elegant geb. 1,50 M.), welche ihren Platz neben der Donner'schen würdig behauptet, kann ich den Lesern nicht dringend genug empfehlen.

21. Auch ich stimme diesen bei. Denn ich sehe, daß, wie die Gedichte Wörtlicher: die in Versen verfaßten Gedichte ) των εν μετρω πεποιηυενων. diejenigen, welche sie nicht üben, vergessen, ebenso auch die belehrenden Reden denen, welche sie vernachlässigen, verloren gehen. Wenn aber einer erst die ermahnenden Reden vergessen hat, dann wird ihm auch dasjenige aus dem Gedächtnisse schwinden, was in seiner Seele das Verlangen nach Weisheit erweckte. Ist dies entschwunden, dann ist es auch nicht zu verwundern, wenn die Weisheit selbst verloren geht.

22. Ich sehe aber auch, daß die, welche dem Trunke ergeben sind, und die, welche sich in Liebeshändel hineingestürzt haben, weniger Kraft besitzen, Nämlich als früher, da sie dem Trunke und der Liebe noch nicht ergeben waren (Breitenbach). sich des Geziemenden zu befleißigen und sich des Ungeziemenden zu enthalten. Denn viele, welche, ehe sie der Liebe huldigten, ihr Geld und Gut sparten, können dies, seit sie der Liebe gehuldigt haben, nicht mehr; und wenn sie nun ihr Vermögen verpraßt haben, dann pflegen sie Erwerbsmittel, deren sie sich früher enthielten, weil sie dieselben für schimpflich hielten, nicht mehr Im griechischen Texte steht zwar nur ουχ, doch wird wohl mit Breitenbach ουχετι απ zu lesen sein. zu vermeiden.

23. Wie sollte es also nicht möglich sein, daß ein Mensch, der früher mäßig war, nachher unmäßig werde, und ein anderer, der vorher gerecht handeln konnte, es später nicht könne? Ich für meine Person glaube, daß alles Schöne und Gute der Uebung fähig sei und am meisten die Mäßigung. Denn da die (sinnlichen) Begierden mit der Seele in einem und demselben Körper zusammenwohnen, so suchen sie dieselbe zu überreden, nicht mäßig und besonnen zu sein, sondern ihnen und dem Körper je eher je lieber zu Willen zu sein.

24. Kritias und Alkibiades konnten nun, so lange sie mit Sokrates verkehrten, von ihm unterstützt die nicht schönen Begierden niederhalten. Als sie sich aber von ihm getrennt hatten, floh Kritias nach Thessalien und verkehrte dort mit Menschen, welche mehr in Gesetzlosigkeit, als in Gerechtigkeit lebten; Kritias mußte im J. 411 v. Chr. aus Athen wegen seiner feindseligen Gesinnung gegen das Volk fliehen und begab sich zu den Thessaliern, welche damals wegen ihrer Sittenlosigkeit und Zügellosigkeit in üblem Rufe standen. Dort half er die Penesten gegen die großen Grundbesitzer wehrhaft machen und kehrte erst im J. 405 nach der Schlacht bei Aegospotamoi nach Athen zurück. Curtius, Griechische Geschichte II, S. 671 und Breitenbach Einl. § 4, Anm. dem Alkibiades aber, auf den wegen seiner Schönheit viele und angesehene Frauen Jagd machten, Ein häufiges Bild, vgl. meine Anmerkung zum Anfang des Platonischen Protagoras. der wegen seines Einflusses in der Stadt und bei den Bundesgenossen von vielen und mächtigen Männern verwöhnt, der vom Volke verehrt wurde und somit leicht die erste Rolle spielen konnte, ging es wie den Athleten in den gymnastischen Wettkämpfen, die, wenn es ihnen leicht wird, die ersten zu sein, die Uebung vernachlässigen: und so vernachlässigte er sich selbst.

25. Da nun dies bei ihnen zusammentraf, da sie stolz auf ihre Geburt, aufgeblasen auf ihren Reichthum, trotzig auf ihre Macht, verwöhnt von vielen Menschen und unter allen diesen Einflüssen verdorben und schon lange Zeit von Sokrates entfernt waren: wie kann man sich da wundern, daß sie übermüthig wurden?

26. Und da will, wenn sie einen Fehler machten, der Ankläger deshalb den Sokrates beschuldigen? daß aber als junge Leute in einem Alter, wo sie naturgemäß am wenigsten Ueberlegung und Mäßigung besaßen, Sokrates sie zu vernünftigen Menschen machte, scheint er dafür dem Ankläger keines Lobes würdig zu sein?

27. Wahrlich, so pflegt man doch sonst nicht zu urtheilen. Denn welcher Flötenspieler, welcher Zitherspieler, welch' anderer Lehrer, der aus seinen Schülern tüchtige Leute gemacht hat, wird, wenn dieselben zu andern gehen und dort sich schlechter zeigen, dafür verantwortlich gemacht? Welcher Vater macht denn, wenn sein Sohn während des Verkehrs mit einem Freunde sich gut betrug, nachher aber im Umgang mit einem anderen schlecht wird, dem früheren Freunde daraus einen Vorwurf? Lobt er nicht um so viel mehr den ersten, je schlechter er sich bei dem späteren zeigt? Ja sogar die Väter, die mit ihren Söhnen zusammenleben, werden, wofern sie selbst ein besonnenes Leben führen, für die Vergehungen ihrer Kinder nicht verantwortlich gemacht.

28. So hätte man aber auch den Sokrates beurtheilen sollen: hätte er selbst etwas Böses gethan, so hätte er billigerweise für schlecht gegolten; wenn er aber selbst sich stets besonnen zeigte, wie könnte man ihm mit Recht die Schuld einer Schlechtigkeit beimessen, die gar nicht an ihm zu bemerken war?

29. Doch auch wenn er, ohne selbst etwas Schlechtes zu thun, die schlechten Handlungen jener mit angesehen und gebilligt hätte, würde er mit Recht getadelt werden. Den Kritias nun suchte er einmal, wie er sah, daß er in Euthydemos Derselbe, der IV, 2, 1 erwähnt wird und den Beinamen »der Schöne« hat, der Sohn des Diokles. Nicht zu verwechseln mit ihm ist ein anderer Euthydemos, der Bruder des III, 1, 1 erwähnten Dionysodoros, nach dem der Platonische Dialog benannt ist. Noch einen andern Euthydemos erwähnt Platon in seiner Republik I, 43. verliebt war und ihn verführen wollte, um mit ihm zu verkehren wie die, welche um der Liebe zu pflegen die Körper genießen, davon abzubringen, indem er ihm vorstellte, daß es sich für einen freien und edlen Mann nicht zieme, den Geliebten, dem er doch besonders achtungswerth erscheinen wolle, zu bitten und zu betteln wie die Bettler flehend und bittend um eine Gabe, und das nicht einmal um etwas Gutes.

30. Als aber Kritias solchen Vorstellungen kein Gehör schenkte und sich nicht abbringen ließ, soll Sokrates in Gegenwart vieler anderer und auch des Euthydemos gesagt haben, der Kritias scheine ihm etwas Schweinisches zu haben, da er sich an Euthydemos zu reiben begehre, wie die Schweinchen an den Steinen.

31. Seitdem haßte nun auch Kritias den Sokrates, so daß er es ihm auch zu der Zeit, als er mit Charikles Charikles war nächst Kritias der Mächtigste von den dreißig Tyrannen. Vgl. Xenophons Griech. Gesch. II, 3, 2. einer der dreißig Tyrannen und Gesetzgeber war, noch gedachte und unter die Gesetze das Verbot aufnahm, die Kunst des Redens Nicht Redekunst (Rhetorik), sondern die Kunst des Redens (der Dialektik), die Kunst der gründlichen Erörterung, mag dieselbe sich auf philosophische oder politische oder andere Gegenstände beziehen. S. Breitenbach und Kühner z.u.St. Die Übersetzung »Redekunst« ist also zu verwerfen. zu lehren, blos um ihm persönlich beikommen zu können, und da er ihm nicht anders beizukommen wußte, als dadurch, daß er das, was gewöhnlich den Philosophen von der Menge vorgeworfen wird, Nach Xenoph. Symposion VI, 6, Oekonom. XI, 3, Aristophanes Wolken 100 ff., Platon Vertheidigungsrede des Sokr. Kap. 2 bestand dies besonders darin, daß man die Philosophen zu Grüblern machte, die sich mit der Erforschung unergründlicher Dinge über und unter der Erde abmühten und zu Redekünstlern, die das Wahre zum Falschen und das Falsche zum Wahren machten. Letzteres scheint hier Xenophon vorzugsweise im Sinne zu haben ( Breitenbach ). S. auch Breitenb. Einl. §22 Anm. auch ihm Schuld gab und ihn so bei der Menge verhaßt zu machen suchte; denn ich wenigstens habe weder selbst jemals dergleichen von Sokrates gehört, noch von einem andern vernommen, daß er es gehört habe.

32. Und bald zeigte es sich. Denn als die dreißig Tyrannen viele von den Bürgern – und nicht die schlechtesten – hinrichten ließen und viele zu Ungerechtigkeiten verleiteten, sagte Sokrates irgendwo, es sei ihm unbegreiflich, wenn einer, der Hirte einer Heerde geworden sei und die Rinder vermindere und verschlechtere, nicht eingestehen wolle, daß er ein schlechter Rinderhirt sei; noch unbegreiflicher aber sei ihm, wenn einer, der Leiter eines Staates geworden sei und die Bürger vermindere und verschlechtere, sich nicht schäme und nicht glaube, daß er ein schlechter Leiter des Staates sei.

33. Als ihnen dies hinterbracht wurde, ließen Kritias und Charikles den Sokrates kommen, zeigten ihm das Gesetz und verboten ihm, mit den Jünglingen sich zu unterreden. Sokrates aber fragte sie, ob es wohl gestattet sei um Auskunft zu bitten, wenn man irgend etwas in den Verordnungen nicht verstanden hätte.

34. Sie bejahten es. Ich also, sagte er, bin bereit, den Gesetzen zu gehorchen; damit ich aber nicht aus Unwissenheit eine Gesetzesübertretung begehe, so möchte ich dies von euch bestimmt erfahren, ob ihr die Kunst des Redens in dem findet, was mit dem richtigen Reden, oder in dem, was mit dem nicht richtigen Reden zu thun hat, daß ihr befehlet, man solle sich derselben enthalten. Denn wenn ihr sie in dem richtigen Reden findet, so ist es ganz klar, daß man sich enthalten müßte, richtig zu reden, wenn aber in dem, was nicht richtig geredet wird, so ist es offenbar, daß man danach trachten muß, richtig zu reden.

35. Da wurde Charikles zornig und sagte: Da du, Sokrates, es nicht weißt, so kündigen wir dir hiermit etwas verständlicheres an: Du sollst dich mit den Jünglingen überhaupt nicht unterreden! – Da erwiderte Sokrates: damit also kein Zweifel darüber herrscht, daß ich etwas anderes als das Vorgeschriebene thue, so bestimmt mir, bis zu welchem Jahre man annehmen muß, daß die Leute Jünglinge sind. – Und Charikles antwortete: So lange sie noch nicht Rathsherren werden können, weil man annimmt, daß sie noch nicht die nöthige Einsicht besitzen; unterrede also auch du dich nicht mit solchen, die jünger sind als dreißig Jahre. –

36. Soll ich also auch nicht, wenn ich etwas kaufe, sagte jener, und der Verkäufer jünger als dreißig Jahre ist, diesen fragen, wie viel er haben will? – O ja, dergleichen wohl, antwortete Charikles; aber du pflegst, Sokrates, nach den meisten Dingen zu fragen, obwohl du weißt, wie es sich damit verhält. Nach dergleichen frage also nicht. – So darf ich also auch, sagte er, falls ich es weiß, nicht antworten, wenn mich ein Jüngling z. B. fragt: Wo wohnt Charikles, oder wo ist Kritias? – O ja, auf solche Fragen wohl, sagte Charikles. –

37. Hierauf sagte Kritias: Aber jene wirst du bei Seite lassen müssen, Sokrates, die Schuster, die Zimmerleute und die Schmiede, Sokrates pflegte in seinen Unterredungen seine Ansichten und Lehren durch Beispiele aus dem gewöhnlichen Leben zu bekräftigen und zu beleuchten, ganz im Gegensatze zu den Sophisten, die sich in der Anwendung glänzender und prachtvoller Bilder und Gleichnisse gefielen und dadurch die Gemüther der Zuhörer einzunehmen und zu blenden suchten. Gewöhnlich pflegte Sokrates seine Belehrungen an die Verhältnisse der Handwerker anzuknüpfen. S. Breitenbach und Kühner z.u.St. denn ich glaube, sie sind schon ganz abgenutzt, so oft führst du sie im Munde. – Also auch, sagte Sokrates, das, was diesen zu folgen pflegt, Nämlich in den Gesprächen. das Gerechte, das Fromme und anderes dergleichen? – Ja beim Zeus, sagte Charikles, und namentlich die Rinderhirten; wo aber nicht, so nimm dich in Acht, daß du nicht auch die Rinder verminderst! –

38. Hier zeigte es sich auch, daß sie deshalb auf Sokrates zornig waren, weil ihnen seine Aeußerung über die Rinder hinterbracht worden war.

39. Von welcher Art also der Umgang des Kritias mit Sokrates war, und in welchem Verhältnisse beide zu einander standen, ist auseinandergesetzt. Ich möchte aber behaupten, daß niemand von irgend einem eine Erziehung erhalten könne, der ihm nicht zusagt. Kritias aber und Alkibiades verkehrten mit Sokrates, so lange sie mit ihm umgingen, nicht, weil er ihnen zusagte, sondern weil sie gleich von Anfang an die Absicht hatten, den Staat zu regieren; denn auch damals, als sie noch unter seinen Freunden waren, suchten sie mit niemand sonst mehr sich zu unterreden, als mit denjenigen, welche am meisten die Staatsgeschäfte leiteten.

40. So sagt man, daß Alkibiades in einem Alter von noch nicht zwanzig Jahren mit Perikles, seinem Vormunde, dem Leiter des Staates, folgendes Gespräch über die Gesetze geführt habe. –

41. Sage mir, soll er gesagt haben, Perikles, könntest du mich wohl lehren, was ein Gesetz ist? – Allerdings, habe Perikles erwidert. – So lehre es mich denn, bei den Göttern! Denn wenn ich Leute loben höre, daß sie gesetzliche Männer seien, so dünkt mich der dieses Lob nicht mit Recht zu verdienen, der nicht weiß, was ein Gesetz ist. –

42. Da wünschest du durchaus keine schwere Sache, Alkibiades, wenn du zu wissen wünschest, was ein Gesetz ist. Denn alles dasjenige ist ein Gesetz, was das versammelte Volk beschließt und aufschreibt, um zu bestimmen, was man thun solle und was nicht. – In der Meinung, daß man das Gute thun müsse oder das Böse?

– Das Gute, beim Zeus, mein junger Freund, und nicht das Böse.

43. Wenn aber nicht das Volk, sondern wie in Staaten, wo eine Oligarchie ist, nur wenige zusammenkommen und aufschreiben, was man thun soll, was ist das? – Alles, was die den Staat beherrschende Macht in Betrachtung gezogen und zu thun geboten hat, heißt Gesetz. – Also auch wenn ein Alleinherrscher den Staat beherrscht und den Bürgern vorschreibt, auch dies ist ein Gesetz? – Auch was ein Alleinherrscher, so lange er die Regierung führt, vorschreibt, auch dies heißt ein Gesetz.

44. Was ist aber Gewalt und Gesetzlosigkeit, Perikles? Ist es nicht dies, wenn der Stärkere den Schwächeren statt durch Ueberzeugung mit Gewalt zwingt das zu thun, was ihm selbst gefällt? – Mir wenigstens scheint das so, sagte Perikles. – Also auch was ein Alleinherrscher die Bürger, ohne sie überzeugt zu haben, zu thun zwingt, indem er es schriftlich festsetzt, ist Gesetzlosigkeit? – Es scheint mir so; denn ich nehme meine Behauptung zurück, daß dasjenige, was ein Alleinherrscher, ohne überzeugt zu haben, schriftlich festsetze, ein Gesetz sei. –

45. Was aber die Wenigen nicht durch Ueberzeugung, sondern blos weil sie die Menge beherrschen, schriftlich festsetzen, sollen wir das Gewalt nennen oder nicht? – Alles, wozu einer den andern nicht überredet, sondern zwingt, sei es daß er es schriftlich festsetze oder nicht, scheint mir mehr Gewalt als Gesetz zu sein. – Auch das also, was das ganze Volk, weil es diejenigen beherrscht, welche das Geld besitzen, schriftlich festsetzt, ohne sie überredet zu haben, dürfte eher Gewalt als ein Gesetz sein. –

46. Freilich wohl, Alkibiades, sagte Perikles. Auch wir waren, als wir in deinem Alter standen, einst stark in dergleichen Spitzfindigkeiten; denn dergleichen Dinge trieben wir nicht nur, sondern klügelten sie auch aus, mit denen auch du dich jetzt abzugeben scheinst. – Hierauf aber soll Alkibiades gesagt haben: Wäre ich doch damals mit dir zusammengekommen, Perikles, als du in diesen Dingen am stärksten warst!

47. Sobald nun Kritias und Alkibiades denjenigen, welche die Staatsgeschäfte leiteten, überlegen zu sein glaubten, gaben sie ihren Verkehr mit Sokrates auf, denn auf der einen Seite sagte er ihnen überhaupt nicht zu, auf der andern war es ihnen besonders zuwider, daß sie jedesmal, wenn sie zu ihm kamen, wegen der Fehler, welche sie sich zu Schulden kommen ließen, Verweise bekamen. Sie widmeten sich also jetzt den Staatsgeschäften, wegen deren sie auch zu Sokrates gegangen waren.

48. Aber Kriton, Chärephon, Chärekrates, Hermokrates, Simmias, Kebes, Phädondas und andere Von ihm ist sonst nichts Sicheres bekannt. An den von Thukydides (VIII, 90; 92; 98) erwähnten Oligarchen gleichen Namens ist nicht im Entferntesten zu denken. waren Freunde des Sokrates, die mit ihm verkehrten, nicht um Volksredner oder Sachwalter, sondern um rechtschaffene Männer zu werden und gegen Familie und Gesinde, gegen Verwandte und Freunde, gegen Staat und Bürger sich gut benehmen zu können; und von diesen hat keiner, weder in jüngeren noch in späteren Jahren, irgend etwas Böses gethan noch ist er dessen beschuldigt worden.

49. Aber Sokrates, sagte der Ankläger, lehrte die Väter schimpflich behandeln, So schlägt in Aristophanes Wolken 1321 ff. Pheidippides, als Schüler des Sokrates, seinen Vater und beweist, daß er das Recht dazu habe. indem er seine Freunde beredete, sie würden durch ihn weiser werden als ihre Väter, und außerdem sagte, nach den Gesetzen dürfe man selbst den Vater, wenn man ihn des Wahnsinns überführt habe, Es ist hier von der vom Gesetze gestatteten Klage παρανολας die Rede, wie sie z.B. gegen Sophokles von seinen Söhnen angestellt worden ist. Das Vorhandensein dieses Gesetzes, sagt der Ankläger, mißbrauche Sokrates, um zu beweisen, daß gesetzlich der Unwissendere immer von dem Weiseren gefesselt werden könne ( Breitenbach ). in Fesseln legen, wobei er dieses als Beweis gebrauchte, daß es gesetzlich sei, wenn der Unwissendere von dem Weiseren in Fesseln gehalten werde.

50. Sokrates aber glaubte, derjenige, welcher wegen Unwissenheit einen anderen fessele, dürfte mit Recht selbst auch von denen in Fesseln gehalten werden, welche wissen, was er selbst nicht wisse; und deshalb untersuchte er oft, worin sich die Unwissenheit vom Wahnsinn unterscheide, und bei den Wahnsinnigen fand er die Sitte, sie zu fesseln, sowohl für sie selbst als für ihre Freunde für gut; die aber blos Unwissenden müßten sich billigerweise in dem, was ihnen fehle, von den Wissenden belehren lassen.

51. Aber Sokrates, behauptete der Ankläger, machte nicht nur, daß die Väter, sondern auch daß die übrigen Verwandten bei denen, welche mit ihm verkehrten, in Verachtung kamen, indem er sagte, daß weder den Kranken noch den Angeklagten die Verwandten nützen, sondern jenen die Aerzte, diesen die, welche sich auf den Beistand vor Gericht verstehen.

52. Und auch von den Freunden habe Sokrates behauptet, es sei nichts nütze, daß sie wohlwollend seien, wenn sie uns nicht nötigenfalls auch Hilfe gewähren könnten; nur diejenigen, habe er gesagt, verdienen geachtet zu werden, welche das Nöthige wüßten und es auch vortragen könnten. Da er nun die Jünglinge beredet habe, daß er nicht nur selbst der Weiseste, sondern auch andere weise zu machen der Fähigste sei, so habe er seine Freunde dahin gebracht, alle die andern im Vergleich mit ihm selbst für nichts zu achten.

53. Ich weiß nun wohl, daß er über die Väter und die übrigen Verwandten sowohl als auch über die Freunde also sich äußerte, und außerdem noch sagte, daß man, wenn die Seele hinausgegangen sei, in der allein die Vernunft ihren Sitz habe, den Leib des nächsten Angehörigen so schnell als möglich hinaustrage und bestatte.

54. Ferner sagte er, daß sogar bei Lebzeiten ein jeder von seiner eigenen Person, die er am meisten von allem liebe, was an seinem Leibe unbrauchbar und unnütz sei, sowohl selbst wegnehme als auch durch andere entfernen lasse; wenigstens nehmen die Menschen nicht nur selbst sich Nägel, Haare und Schwielen ab, sondern lassen sie auch durch die Aerzte unter Qualen und Schmerzen theils wegschneiden theils wegbrennen und glauben ihnen dafür noch Lohn bezahlen zu müssen. Und den Speichel werfen sie so weit als möglich aus dem Munde weg, weil er nicht nur nichts nützt, wenn sie ihn darin behalten, sondern auch noch weit eher schadet.

55. Dies also sagte er allerdings, aber nicht um zu lehren, daß man den Vater bei lebendigem Leibe begraben und sich selbst verstümmeln solle, sondern um daran zu zeigen, daß das Unvernünftige nicht geachtet werde. Und zugleich ermahnte er, sich zu befleißigen, so verständig und nützlich als möglich zu werden, damit man, möge man nun von einem Vater oder einem Bruder oder sonst von jemand geachtet zu werden wünschen, nicht im Vertrauen auf die nahe Verwandtschaft darin nachlässig werde, sondern denjenigen nützlich zu werden sich bemühe, von welchen man geachtet zu werden wünsche.

56. Der Ankläger sagte ferner, Sokrates habe auch aus den berühmtesten Dichtern die verderblichsten Stellen ausgewählt und unter Berufung auf diese Zeugnisse seine Freunde gelehrt, Uebelthäter und gewaltthätige Menschen zu werden. So habe er die Stelle aus Hesiodos: »Arbeit ist nie Schande; nur Müßiggehen ist Schande«, angeführt und gesagt, der Dichter fordere auf, keine Arbeit, weder ungerechte noch schändliche, zu fliehen, sondern auch diese zu thun, wenn man Aussicht auf Gewinn habe.

57. Sokrates aber gab zu, daß arbeitsam sein für den Menschen nützlich und etwas gutes sei, Müßiggang aber schändlich und etwas schlimmes, und Arbeiten etwas gutes, Müßiggehen aber etwas schlimmes, und sagte auch, diejenigen, welche etwas gutes thun, arbeiten und seien thätig, diejenigen dagegen, welche Würfel spielen oder sonst etwas schlimmes und schädliches thun, nannte er Müßiggänger. In diesem Sinne dürfte der Vers richtig sein: »Arbeit ist nie Schande; nur Müßiggehen ist Schande«.

58. Auch die Stelle aus Homer Die Verse sind aus der Ilias II, 188 ff. und 198 ff. Die Uebersetzung nach Voß. soll er, behauptet der Ankläger, oft angeführt haben, wo es von Odysseus heißt:

»Wenn er sodann von den Fürsten und Edleren einen daselbst fand,
Trat er ihn an und hemmte, mit freundlichen Worten ermahnend:
Bester, es ziemt dir nimmer, dem Feiglinge gleich zu verzagen,
Bleibe du selbst hier still und gebeut auch anderen Ruhe!
Wenn er vom Volk dann einen gewahrt und schreiend erfunden,
Schlug er ihn wohl mit dem Scepter und schalt mit drohenden Worten:
Rühre dich nicht, mein Bester, und merk' auf Worte von andern,
Die mehr gelten als du! Du bist ein Feigling und Schwächling,
Wirst im Kriege für nichts und für nichts im Rathe gerechnet!«

Diese Stelle habe er nun so ausgelegt, wie wenn der Dichter es billige, daß der gemeine Mann und der Arme geschlagen werde.

59. Sokrates aber sagte dies nicht, denn sonst hätte er gemeint, auch selbst Schläge bekommen zu müssen; er sagte vielmehr, solche Menschen, welche weder durch Rath noch durch That nützlich seien, noch dem Staate, noch dem Volke selbst, wenn es die Noth erheische, zu helfen vermöchten, müssen, zumal wenn sie noch überdies frech seien, durch jedwedes Mittel im Zaume gehalten werden, wenn sie auch noch so reich sein sollten.

60. Aber im Gegentheil, Sokrates war ganz augenscheinlich volks- und menschenfreundlich. Denn so viele auch, Einheimische wie Fremde, eifrige Anhänger seiner Lehre waren, so nahm er doch niemals von einem Bezahlung für seinen Unterricht an, sondern theilte allen reichlich von dem Seinigen mit, wovon einige kleine Theile, die sie von ihm unentgeltlich bekommen hatten, für viel Geld an andere verkauften und sich nicht, wie er, volksfreundlich zeigten: denn die, welche nicht bezahlen konnten, ließen sie zu ihrem Unterrichte nicht zu.

61. Sokrates hingegen machte auch bei andern Menschen unserer Stadt Ehre, viel mehr als Lichas Auch nach Plutarch ( Kimon 10) hatte sich Lichas in ganz Griechenland durch seine Freigebigkeit einen Namen erworben, mit der er Fremde bewirthete, die zur Feier der Gymnopädien nach Sparta kamen, eines Festes, an dem entkleidete Knaben den bei Thyrea gefallenen Spartanern zu Ehren um die Bildsäule des Απόλλων Καρνειος Tänze und Gesänge aufführten ( Breitenbach ). der Stadt Lakedämon, welcher deshalb berühmt wurde. Lichas nämlich bewirthete nur an den Gymnopädien die in Lakedämon anwesenden Fremden, Sokrates hingegen theilte sein ganzes Leben hindurch das Seinige aus und nützte auf diese Weise allen, die es nur wünschten; denn er entließ die, welche seinen Umgang genossen, gebessert.

62. Nach meiner Meinung nun mußte Sokrates als ein solcher Mann eher Ehre von Seiten der Stadt als den Tod verdienen. Und auch wenn man nach den Gesetzen urtheilt, müßte man zu diesem Resultate kommen. Denn nach den Gesetzen ist der Tod die Strafe für diejenigen, welche des Diebstahls, des Raubes, der Beutelschneiderei, des gewaltsamen Einbruchs in Wohnungen, des Seelenverkaufs oder des Tempelraubes überführt sind; aber von solchen Frevelthaten war kein Mensch weiter entfernt als Sokrates.

63. Und den Staat ferner hat er weder in einen Krieg, der einen unglücklichen Ausgang genommen hätte, noch in Bürgerzwist verwickelt, noch Verrath an ihm begangen, noch ist er an irgend einem andern Unfall desselben Schuld gewesen. Ebensowenig hat er irgend einem Menschen Güter entzogen oder Uebel zugefügt; er ist vielmehr niemals einer der erwähnten Uebelthaten auch nur bezüchtigt worden.

64. Wie könnte er also der Anklage schuldig sein, er, der, statt die Götter nicht anzuerkennen, wie es in der Anklageschrift hieß, anerkanntermaßen die Götter am meisten unter allen Menschen verehrte, und statt die Jünglinge auf böse Wege zu führen, wie der Ankläger ihm vorwarf, anerkanntermaßen von den mit ihm Verkehrenden diejenigen, welche von schlechten Begierden beherrscht waren, von diesen zu befreien suchte und nach den schönsten und herrlichsten Tugenden, durch die man in Staat und Familie glücklich ist, zu trachten antrieb? Wenn er aber dies that, hätten ihm nicht von Seiten des Staates die größten Ehren zu Theil werden müssen?


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