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Auf dieser Grundlage habe ich es versucht, in meiner »Ethik« vom Jahre 1886 (4. Aufl. 1912) die Normen zu entwickeln, die innerhalb der verschiedenen sittlichen Lebensgebiete als individuelle, soziale und humane unterschieden werden können. In dieser Einteilung liegt ausgesprochen, daß die humanen Normen diejenigen sind, die in einer solchen der Ethik selbst entlehnten Einteilung die letzte und gerade darum aber in ihrem die ganze Ethik beherrschenden Werte die entscheidende Stellung einnehmen, weil von ihnen aus alle übrigen in ihrer Richtung unabänderlich bestimmt sind. Indem jede sittliche Norm eine objektive und eine subjektive Seite hat, wobei jene, abstrahierend von der in alles menschliche Handeln eingehenden subjektiven Schätzung, den rein objektiven Wert des sittlichen Handelns feststellt, ist es aber dieser objektive Begriff, der schließlich über die Ethik selbst hinausweist, und den diese ihrerseits nur als ein gegebenes aus ihr niemals abzuleitendes Ideal zu betrachten hat. Ich habe diese höchste, außerhalb ihrer liegende Norm in dem Satz ausgedrückt: Du sollst dich selbst dahingeben für den Zweck, den du als deine ideale Aufgabe erkannt hast. Schon die subjektive Ergänzung, die diesem objektiven ethischen Wert gegenübersteht, und die den einzelnen nötigt, sich als Werkzeug im Dienste jenes Ideals anzusehen, führt demnach erst in die eigentliche Ethik, indem sie auf die einzelnen Gebiete hinweist, innerhalb deren dann weiterhin die einzelnen sittlichen Gesetze nach ihrem Werte sich abstufen: so zunächst die Idee der Gemeinschaft, die den einzelnen als das ihm übergeordnete Pflichtgebiet umgibt, und dann die des Nebenmenschen, dem er als gleichberechtigtes und gleichverpflichtetes Glied dieser Gemeinschaft gegenübersteht. Die Ethik für sich allein kann niemals weiterkommen, als bestenfalls empirisch auf den überwiegenden Wert auch in subjektiver Hinsicht hinzuweisen, den hier die geistigen Güter des Lebens deshalb einnehmen, weil sie von den Mängeln frei sind, die den materiellen Hilfsmitteln anhaften.
Dies hat jedoch die unausbleibliche Folge, daß die neuere Wissenschaft in ihrem Suchen nach einem der Ethik selbst zu entnehmenden Prinzip um so mehr scheitern muß, je umfassender die sittlichen Güter werden, welche die Kultur mit sich führt. Denn die geistigen als die spezifisch sittlichen Güter werden nun immer und immer wieder mit jenen unabänderlich gegebenen metaphysischen Voraussetzungen alles sittlichen Lebens, sondern den sekundären Inhalten entnommen. So eröffnet sich hier jener Streit der sittlichen Weltanschauungen, welcher daraus entspringt, daß die erst in der Reflexion auf das einzelne Handeln wurzelnden Triebfedern desselben als autonome Grundvoraussetzungen alles Sittlichen anzusehen sind. Sie sind aber in Wahrheit eben nicht dieses, sondern sie stellen vielmehr nur eine fortan mit dem Wachsen der Kultur zunehmende Fülle von Motiven dar, die von der wahren metaphysischen Grundlage des Sittlichen ablenken, um an die Stelle dieser irgendwelche einzelne empirische Kulturinhalte und die äußeren Motive ihrer Entstehung zu setzen. Jedes dieser Motive ist dann aber wieder gemäß dem allgemeinen Charakter des sittlichen Handelns, daß es aus dem Willen des einzelnen entspringt, ein individualistisches, weil ihnen allen das Merkmal gemeinsam ist, daß sie sich auf das individuelle Handeln beziehen. So liefert die neuere Philosophie zahlreiche Antriebe, die sämtlich darauf ausgehen, die Ethik ihren objektiven Grundlagen zu entfremden, um ihnen jene nur äußerlich der Sittlichkeit zugänglichen Antriebe zu substituieren, die aus den wechselnden Richtungen der subjektiven Bevorzugungen nebensächlicher Kulturmomente entspringen. Ihrer aller resultierende Wirkung ist dann mit innerer Notwendigkeit der Sieg der egoistischen und in weiterer Konsequenz bestenfalls rein individualistischen Lebensmaximen über alle objektiven geistigen Güter, ohne die diese Maximen ihren Wert notwendig verlieren. In diesem Sinne verbindet sich dann regelmäßig zugleich der ethische Individualismus mit dem durch die herrschenden Richtungen der Philosophie gepflegten Intellektualismus, der natürlich gerade da am meisten versagt, wo er über seinen eigenen Ursprung und über die allgemein menschlichen Zwecke dieses Ursprungs Rechenschaft geben soll.
In nichts tritt dies deutlicher zutage als in denjenigen Richtungen der Philosophie, die den Versuch gemacht haben, in ähnlichem Sinne, wie dies in der antiken Wissenschaft zuerst Aristoteles durch seine Theorie der sittlichen Affekte getan hat, aus dem Gefühlslehen als einer besonderen, der allezeit egoistischen Intelligenz gegenüberstehenden spezifisch ethischen Anlage des Menschen dem Sittlichen seine Stellung anzuweisen. Besonders charakteristisch ist hier vor andern die englische Moralphilosophie in ihrer Entwicklung von Shaftesbury und Hutcheson an bis auf die spätere in David Hume und Adam Smith kulminierende schottische Moralphilosophie. Hier ist überall dem sittlichen Gefühl sein selbständiger und im allgemeinen dem natürlichen Egoismus widerstreitender Charakter in einem altruistischen Sympathiegefühl gewahrt. Aber dieses Gefühl hat an sich mit den natürlichen und darum allein wirklichen Motiven des menschlichen Handelns, die ausschließlich aus der Verbindung von intellektuellen und egoistischen Antrieben stammen, überhaupt nichts zu tun. Wenn daher von den deutschen Beurteilern dieser Philosophen nicht selten ihre Lehren in der Weise interpretiert worden sind, daß man annahm, beide, Intelligenz und Gefühle seien gleichberechtigte und darum eventuell einander kompensierende sittliche Mächte, so gibt sich das deutlich darin als ein Irrtum zu erkennen, daß bei den Vertretern der schottischen Gefühlsmoral, in denen jene Entwicklung kulminiert, dem praktischen Leben gegenüber ein solcher Standpunkt nicht die geringste Geltung hat. Für Hume wie für Smith hat als natürliches und darum für das praktische Leben allein maßgebendes, also sittliches Prinzip des Handelns nur der egoistische oder höchstens, insoweit es sich um den Egoismus der Nationen in ihrem wechselseitigen Verkehr handelt, der erweiterte individualistische Standpunkt der nationalen Macht eine die wirkliche Welt beherrschende Geltung. In der Tat entspricht dies auch nicht nur der Wirkung, die das abschließende System dieser Richtung, die Theorie von Adam Smith, auf die Folgezeit geübt hat, und in der diese in voller, von der theoretisch sie begleitenden psychologischen Gefühlsmoral scheidenden Form von Ricardo ausgebildet worden ist, sondern in der sie auch von der gesamten nationalökonomischen Wissenschaft bis zum heutigen Tage verstanden wird. Ich habe noch keinen Vertreter der Volkswirtschaft kennengelernt, der der Gefühlspsychologie von Adam Smith irgendeine Stellung innerhalb seiner ökonomischen Theorie angewiesen hätte; ich habe dagegen manche kennen gelernt, die sie überhaupt nicht gelesen hatten.