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Hat die griechische Philosophie vor allem in ihren Anfängen darin, daß Sie der Entwicklung der bildenden Kunst wie der Dichtung parallel geht, die Spuren ihres Ursprungs aus dem mythologischen Denken bewahrt, so tritt mit dem Übergang in die wissenschaftliche Aera unter den zahlreichen Problemen des Denkens eines als das herrschende hervor: das Problem der Gemeinschaft in ihrem Verhältnis zum individuellen Dasein. Hier sind es die zwei in die gesamte weitere Entwicklung tiefeingreifenden Gegensätze des Individualismus und des Kollektivismus, wie sie uns in dem Kampf der Idee der Gemeinschaft, die die ursprüngliche Volkssitte beherrscht, und in den sie erneuernden sokratischen Schulen, allen voran in der platonischen Philosophie, mit der Sophistik entgegentritt, um von da an als ein Kampf dieser Richtungen in die späteren Gestaltungen des philosophischen Denkens sich fortzusetzen. Innerhalb der in diesem Streit der Weltanschauungen sich vollziehenden Weiterentwicklung, in der alle anderen Probleme diesem herrschenden sich unterordnen, ist es vornehmlich die römische Kultur in ihren den praktischen Aufgaben des Staatslebens in erster Linie zugewandten Richtungen, die dem Individualismus in Sitte und Recht zu einem Sieg verhilft, der sich mit der Verbreitung der von Rom ausgehenden Rechtswissenschaft über die gesamte europäische Kulturwelt erstreckt hat und bis zum heutigen Tage in seinen Nachwirkungen bestehen geblieben ist. Das Motiv der entscheidenden Rolle, die hier der von den römischen Juristen begründeten Rechtswissenschaft zukommt, liegt offenkundig in der Schwierigkeit, die der Streit der Individuen über Besitz- und Vertragsrechte je nach ihren besonderen Bedingungen mit sich führt, während dagegen die Pflichten und Rechte der Gemeinschaft gegenüber dem einzelnen noch auf lange hinaus den Überlieferungen der Sitte überlassen bleiben. So haben sich denn auch die Rechte eines solchen durch die Sitte geregelten Gemeinschaftsrechtes bei allen Völkern noch auf lange Zeit erhalten: So insbesondere bei den Römern selbst in der Bewahrung des Ager publicus als Gemeinschaftsrecht und der Heiligung des Vertrags nach Treu und Glauben im Vertragsrecht der einzelnen. Den Germanen allein kommt aber hier eine bedeutsame Ausnahmestellung zu, weil bei ihnen auch der sonstige Streit der einzelnen bis zur Herrschaft, die das römische Recht bei den germanischen Völkern gewann, den Volksgerichten überlassen geblieben ist, die nach dem Herkommen, also nach den Traditionen der Sitte, entschieden. So ist dieses Festhalten an der Sitte gegenüber dem »Jus strictum«, wie es Leibniz nannte, auf lange hinaus ein spezifisches Merkmal des deutschen Geistes geblieben, in welchem in einer besonders eindringlichen Form die Überordnung der Gemeinschaft über den einzelnen zum Ausdruck kam.
Neben diesem die sinnliche Wirklichkeit beherrschenden Individualismus hat sich nun aber in der Kultur des römischen Kaisertums ein zweites Motiv in den Vordergrund gedrängt, das teils jenes das weltliche Leben beherrschende zurücktreten ließ, teils ihm ergänzend an die Seite trat. Aus dem Kampf der Religionen, der dieses ganze Zeitalter, in ihm vor allem die Zeit der Severer erfüllt, erhebt sich als ein neues, mächtig in die Wissenschaft eingreifendes Problem das des religiösen Bewußtseins. Es ergreift das populäre Denken in dem Streben nach einer neuen, den Forderungen der Zeit entsprechenden Religion, die aus den miteinander kämpfenden religiösen Überlieferungen diejenigen herausnimmt, die den Anschauungen über Recht und Staat als eine vollgültige Ergänzung zur Seite treten können. Da ist es nun auf der einen Seite der jüdische Monotheismus, der ebenso dem aristotelischen Weltprinzip wie dem Individualismus der römischen Rechtswissenschaft als eine wahlverwandte religiöse Richtung entspricht. Auf der andern Seite bietet die platonische Ideenlehre eine dem religiösen Bedürfnis nach seinen verschiedenen und vor allem nach den in das sinnliche Leben eingreifenden Richtungen entgegenkommende Grundlage, die nicht minder dem aus der ursprünglichen mythologischen Weltanschauung hervorgegangenen philosophischen Denken gerecht zu werden sucht. Aus der Synthese dieser Bestandteile erhebt sich ebenso die Philosophie des Neuplatonismus, der nach der überwiegenden Macht der platonischen Lehre, die in ihr zum Ausdruck kommt, ihren Namen trägt, wie sie auf die schließlich alle anderen religiösen Strömungen zurückdrängende Religion einwirkt, auf das Christentum. Damit wird, indem beide Motive mehr und mehr sich assimilieren, der Neuplatonismus in seiner durch die jüdisch-christliche Tradition bestimmten Gestaltung zur christlichen Philosophie, die zunächst in den durchaus der Entwicklung des Neuplatonismus angehörenden gnostischen Sekten sich äußert und mit jenem spezifisch christlichen Lehrbegriff abschließt, der als eine neue, die gesamte Weiterentwicklung beherrschende Philosophie erscheint. Nachdem die großen philosophischen Denker diesem Lehrbegriff zum Teil in einem Kampf, in welchem sich einigermaßen der Streit der Religionen selbst wiederholt, seine Gestaltung gegeben, ist es die sogenannte Scholastik, die ihn weiter zu bilden und mit der weltlichen Wissenschaft zu einer Einheit zu verschmelzen strebt.
Enthält die Scholastik in ihrem Namen den Begriff einer »Schulphilosophie«, weil sie die in den Anfängen des Christentums und vor allem in den Schriften des größten der älteren christlichen Philosophen, des Augustin, niedergelegten Lehren übernimmt und weiterbildet, so entspringen nun aber daraus zugleich neue Motive, die teils einen Wandel der religiösen Anschauungen überhaupt teils eine Scheidung derselben in verschiedene Richtungen mit sich führen. Unter ihnen treten uns namentlich zwei als die bedeutsamsten und für die weitere Entwicklung der Philosophie einflußreichsten entgegen. Ihnen hat die Tradition einen im ganzen wenig passenden Ausdruck gegeben, indem sie die von frühe an hier einander bekämpfenden Schulen als die des Realismus und des Nominalismus bezeichnete -- Namen, die verhältnismäßig äußerlichen Nebenmerkmalen entlehnt sind. Denn der Name des Realismus ist vor allem an die aus dem Platonismus und die aus ihm hervorgegangene durch die Assimilation an die monotheistische christliche Tradition entstandene Trinitätslehre gebunden. Mit dem Namen Nominalismus bezeichnet dagegen die Scholastik die zu verschiedenen Zeiten hervortretenden Abweichungen von dem allgemeiner gültigen realistischen Lehrbegriff, die teils in höherem Grade der Erfahrung zugewandt sind, teils im Zusammenhange damit vorzugsweise an die aristotelische Logik und an die in ihr waltende Betrachtung der sprachlichen Formen des Denkens anknüpfen.
Als die für den Einfluß des Christentums auf die Philosophie entscheidende Richtung steht von diesen beiden der sogenannte scholastische Realismus durchaus im Vordergrunde. Er ist es vorzugsweise, in welchem die mannigfachen Einflüsse zusammenfließen, die schließlich diejenige Weltanschauung gestalten, die wir die spezifisch christliche Philosophie nennen können. Innerhalb des Realismus sind dann wieder durch den Eintritt des germanischen Denkens zwei bedeutsame Richtungen entstanden, deren eine, die ursprüngliche, unmittelbar aus der Wechselwirkung des römischen Individualismus mit dem jüdischen Monotheismus entsprungen ist, die in der Auffassung der Gottheit als einer einheitlichen und darum als einer individuellen, nach Analogie des weltlichen Imperiums alles sein und Geschehen beherrschenden, aber nach ihren Eigenschaften doch zugleich in einer begrifflichen Dreiheit erscheinenden Persönlichkeit ihren Ausdruck findet. Die andere hat sich aus der Umgestaltung entwickelt, die in der bedeutsamen Einwirkung ihren Ursprung hat, welche der Islam und die in ihm wurzelnde arabische Philosophie vornehmlich vom 13. Jahrhundert an auf die christliche Lehre und ihre Ausprägung in den Systemen der Scholastik ausgeübt hat. Vorbereitet durch die seit den Kreuzzügen sich entwickelnde Wechselwirkung zwischen der orientalischen und der abendländischen Kultur hat die Einwirkung der arabischen Philosophie schließlich in den großen scholastischen Systemen eines Albertus Magnus und in abschließender Form in dem des Thomas von Aquino ihren Ausdruck gefunden, und hier ist es wieder besonders die Schule des Dominikanerordens, die diesem Einfluß gefolgt ist. Die erste zunächst zur dauernden Herrschaft gelangte Richtung hat den schon bisher einem objektiven Monotheismus zugewandten Motiven der christlichen Philosophie ein neues hinzugefügt, das den Einfluß der vorzugsweise von den Arabern gepflegten Tradition der aristotelischen monotheistischen Metaphysik mächtig verstärkte, zugleich aber eine zweite, auf den Neuplatonismus zurückgehende Tradition zu erneuter Geltung gelangen ließ: das war diejenige Gestaltung des Monotheismus, die jener herrschenden objektiven eine subjektive Gottesidee gegenüberstellte. Hier ist es nun bedeutsam für die ganze weitere Folge der religiösen Entwicklung, daß diese auch in den inneren religiösen Erlebnissen, wie sie sich in der menschlichen Seele als deren eigenste Schöpfung offenbaren, vor allem innerhalb der germanischen Lande unter der Führung der Schulen des Dominikanerordens Wurzel gefaßt haben. In den großen deutschen Mystikern, allen voran in Johann Eckart und seinen Nachfolgern trifft diese nach innen gewandte Auffassung des christlichen Lehrbegriffs, wie man wohl vermuten darf, mit einer Tendenz zusammen, die ihre letzte Quelle in der allgemeinen Geistesrichtung des Germanentums hat, wie sie seit alter Zeit in Sitte und Recht und dementsprechend in dem religiösen Bewußtsein der deutschen Stämme sich ausspricht. Dieser Grundzug des germanischen Geistes besteht darin, daß in dem Bewußtsein des Deutschen der einzelne sich als Glied der Volksgemeinschaft fühlt, der er sein eigenes Leben und Streben unterordnet. Ihm ist daher die Götterwelt ebenso eine in verschiedenen Gestaltungen sich offenbarende Einheit der übersinnlichen wie die Sitten- und Stammesgemeinschaft eine solche der sinnlichen Welt. Eckart, den die vornehmlich in Predigt und Seelsorge wirkenden Mystiker des 14. und 15. Jahrhunderts ihren Meister nennen, ist wahrscheinlich noch ein Schüler Alberts des Großen, der zuerst den objektiven Monotheismus und den ihn ergänzenden Trinitätsbegriff samt seinen im Marien- und Heiligenkultus in einen überreichen Polytheismus ausartenden Weiterbildungen in ein System zusammengefaßt hat. Dieses von Thomas von Aquino weitergebildete System verbindet den aristotelischen Monotheismus und die arabische Philosophie mit den den Elementen der neuplatonischen Tradition entlehnten polytheistischen Ergänzungen und mit dem fortwirkenden Einfluß des römischen Imperiums. Es ist das philosophische System, das bis zum heutigen Tage die unverrückbare Grundlage des katholischen Lehrbegriffs geblieben ist, die ihre abschließende Einheit in dem aus dem Übergang des politischen Imperiums in das Papsttum entstandenen religiösen Imperium gefunden hat. Unter den zahlreichen Bestandteilen, die dieses System zusammensetzen, sind es vor allen andern die neuplatonischen Ideen, die Eckart mit dem religiösen Gemeinschaftsgedanken des Germanentums verschmilzt und dadurch zu einer folgenreichen Umgestaltung der orthodoxen Lehre entwickelt, die mit innerer Notwendigkeit die in jener herrschende Transzendenz einer Immanenz der Gottheit und ihre dieser entsprechende Einheit mit dem menschlichen Geiste, damit aber zugleich einem teilweise von den polytheistischen Zugaben der transzendenten katholischen Lehre gereinigten Monotheismus entgegenführt. So hält die deutsche Mystik an der überlieferten christlichen Tradition in dem Sinne fest, daß sie alle in dieser als objektive transzendente Wesenheiten enthaltenen Ideen in Symbole umwandelt, durch die sich die menschliche Seele das geistige Wesen der an sich eine unteilbare Einheit bildenden Gottesidee veranschaulicht.
Unverkennbar sind es die Gedanken dieser älteren deutschen Mystik, die, freilich zum Teil in veränderter Gestalt, in der deutschen Reformation des 16. Jahrhunderts wieder aufleben und die durchaus die mystische Bewegung des 13. als eine Vorläuferin erscheinen lassen, die dem gleichen religiösen Grundzug des germanischen Geistes entstammt. Ja es läßt sich nicht leugnen, daß das religiöse Bekenntnis Eckarts der Religion des Protestantismus, der Luther das Gepräge seines Geistes gegeben hat, durch die konsequente Anwendung des Symbolbegriffs, durch die er den Polytheismus der orthodoxen Kirche überwunden hatte, überlegen ist. Was bei ihm eine die göttliche Transzendenz durch eine sie ersetzende Immanenz der Gottheit in der menschlichen Seele gewesen war, das bleibt freilich bei Luther ein Nebeneinander, das in seiner Herübernahme zahlreicher Bestandteile der alten Lehre dem neuen Bekenntnis den Charakter einer bloßen Reformation, nicht einer Regeneration verleiht. Aber in zwei Punkten entspricht diese Reformation durchaus dem Wesen jener älteren deutschen Mystik: sie beseitigt in der völligen Loslösung von dem Papsttum gründlicher, als es jene getan, die darin den Charakter einer katholischen Sekte bewahrt hatte, die Herrschaft des römischen Imperiums, und sie eröffnet damit die zwei Wege, auf denen das Luthertum jene Macht der Befreiung des Geistes entfaltet hat, welche die Wissenschaft und damit die Philosophie der neuen Zeit entstehen ließ. Der eine dieser Wege ist der, daß Luther an die Stelle der Obergewalt des Papsttums die religiöse Gemeinschaft setzte, ein Schritt, der den gleichen Geist der Gemeinschaft erneuert, welcher das deutsche Altertum und die ältere deutsche Mystik beseelt hatte. Der andere entspricht, indem Luther das Gewissen des einzelnen Menschen als das Zeugnis eines unmittelbaren Verkehrs mit Gott auffaßt, nicht minder dem Grundgedanken derselben, durch den sich diese schon von anderen mystischen Geistesströmungen geschieden hatte, durch die sie aber erst durch die Loslösung von der Herrschaft einer unbedingten religiösen Obergewalt die persönliche Überzeugung zur Richtschnur des menschlichen Handelns machte. Darum, wenn man von Luther gesagt hat, er gehöre nach seiner geistigen Bedeutung weit mehr dem Mittelalter als der Neuzeit an, so mag dies für viele seiner Gedanken zutreffend scheinen. Gerade in denen, die die kommende Entwicklung des Protestantismus und seine fortschreitende Befreiung von den Banden des mittelalterlichen Denkens bewirkt haben, hat die Reformation nicht eine bloße Erneuerung des Dogmas, sondern eine neue Religion geschaffen, ebenso wie die sogenannte Renaissance nicht eine bloße Wiedergeburt, sondern in Wissenschaft und Kunst eine Neuschöpfung des modernen Geistes ist. So ist es denn auch der Geist des Protestantismus, der die kommende Philosophie hervorgebracht hat, und der in einem Descartes und Gassendi nicht weniger wie in einem Bacon und Hobbes lebendig ist; denn wenn die ersteren versichern, daß sie ihre Lehren der Autorität der Kirche unterordnen, so bleibt dies offenkundig eine äußere Formel, mit der ihre wirklichen Überzeugungen nichts zu tun haben.
Hier liegen die Quellen, aus denen das moderne Denken, natürlich nicht seinem ganzen Inhalte nach, wohl aber in den Anfängen seiner noch heute nicht abgeschlossenen Entwicklung seinen Ursprung nimmt. Ein lebendiges Zeugnis für diesen Ursprung aus der Befreiung der Geister, die der Protestantismus mit seiner die Idee der Gemeinschaft mit dem Recht der persönlichen Überzeugung vereinenden Lebensauffassung erzeugte, liegt in der Fülle der von nun an teils sich ergänzenden, teils einander bekämpfenden geistigen Strömungen, die uns in der modernen Wissenschaft und Philosophie begegnen. Dabei haben in diesem Nebeneinander und Nacheinander die aus der Vergangenheit herübergenommenen philosophischen Richtungen neue Formen angenommen. So hat sich der scholastische Realismus mit seiner auf eine transzendente Wirklichkeit gerichteten Tendenz, in dem Ontologismus eines Spinoza und in modifizierter Gestalt in dem Rationalismus der späteren Jahrhunderte in verweltlichter Form erneuert. Der scholastische Nominalismus hat sich teils in den Empirismus und den sogenannten Positivismus der neueren Philosophie fortgesetzt, teils ist er in wenig veränderter Form für jene Richtung erhalten geblieben, die die Philosophie auf rein formale und allenfalls noch praktische Aufgaben in einer außerhalb der übrigen Wissenschaft stehenden Begriffs- und Wortlogik und in einer die Grundfragen der Moral beiseite lassenden ethischen Kasuistik beschränkt. Neben allem dem ist schließlich in diesem Streit der Richtungen des modernen Denkens diejenige im ganzen die Siegerin geblieben, die den Einzelwissenschaften in der Aufstellung wie in der Lösung der philosophischen Probleme die führende Stellung anwies. Hier aber ist es aus begreiflichen Gründen um ihrer theoretisch einfacheren und praktisch unmittelbar nutzbringenden Eigenschaften willen die Naturwissenschaft gewesen, die nach dem Kampf der in der Renaissancezeit nebeneinander hergehenden geistigen Strömungen über alle anderen obgesiegt und so den Geist der neueren Philosophie vornehmlich bestimmt hat. Alle ihre Richtungen, mögen Sie nun rationalistischer oder empiristischer Art oder aus beiden Faktoren gemischt sein, bleiben, wie auf der einen Seite ein Descartes und Spinoza, auf der andern ein Locke und Hume oder schließlich der moderne Materialismus und Positivismus zeigen, im Banne eines durch die Naturwissenschaft bestimmten Denkens.
Zum erstenmal tritt uns demgegenüber in Leibniz eine moderne Erneuerung der platonischen Ideenlehre entgegen, in der zugleich die tiefsten Gedanken der deutschen Mystik, der Vergangenheit anklingen, und die in dem deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts fortwirkt, in welchem die Probleme der Geisteswissenschaften, vor allen anderen Staat, Recht und Gesellschaft neben Kunst und Religion, zu Hauptproblemen der Philosophie geworden sind. Hier ist es Kant, dessen epochemachende Bedeutung nicht zum wenigsten darauf beruht, daß er beides zugleich ist: Vertreter der von Newton geführten neueren Naturphilosophie und des Leibniz'schen Idealismus. In dieser Mischung der Elemente seines Denkens besteht das Wesen jenes »transzendentalen Idealismus«, wie er sein kritisches System benennt. Das weist ihm aber eine Übergangsstellung an, die seiner Philosophie unmöglich, wie es der Neukantianismus behauptet, eine endgültige Bedeutung verleihen konnte.
Darum ist es vielmehr der aus Kant seine ersten Anregungen schöpfende, aber seinen Dualismus beseitigende moderne deutsche Idealismus, der in Wirklichkeit zum erstenmal eine konsequente, auf die Grundprobleme der Geisteswissenschaften zurückgehende Philosophie entwickelt und diese im Sinne einer neuen, die zerstreuten Gedanken der älteren deutschen Mystik und der Leibniz'schen Philosophie sammelnden Richtung zu vollenden versucht hat. Fichte, nicht Kant, ist in Wahrheit der bahnbrechende Denker dieser neuen Philosophie. Wenn er selbst behauptet hatte, seine Philosophie sei nichts anderes als die Kant'ische in veränderter Form, so ist das einer jener Irrtümer, die auch sonst vorkommen, und bei denen die erste Anregung, die ein Philosoph empfängt, von ihm selbst oder noch öfter von anderen, die ihn beurteilen, mit seiner wirklichen Leistung verwechselt wird. Die Anregung zu der die drei logischen Prinzipien der Identität, des Widerspruchs und des Grundes verknüpfenden dialektischen Methode hat allerdings Fichte von Kant empfangen, aber die Art, wie er seine Wissenschaftslehre weitergebildet und noch mehr die Gedanken, die er auf ihrer Grundlage über die Probleme der Wissenschaft, Sittlichkeit und Religion sowie von Staat und Gesellschaft entwickelt hat, stehen eher im Gegensatz zu Kant's kritischer Philosophie, als daß sie eine Fortbildung derselben genannt werden könnten.
Auf Fichte hat Schelling weiter gebaut und zugleich in seiner ersten, im wesentlichen mit dem »System des transzendentalen Idealismus« abschließenden und für die weitere Entwicklung des deutschen Idealismus allein in Betracht kommenden Gestaltung seines Denkens eingegriffen. Was er zu dieser Entwicklung hinzubringt, besteht in zwei bedeutsamen Motiven. Das eine liegt in dem Rückgang auf die in den älteren Vorbereitungen des Idealismus, bei Kant namentlich in dessen Kritik der Urteilskraft und bei Leibniz in den Gedanken über den Zusammenhang von Natur und Geist gegebenen Vorausnahmen; das andere in den neuen Entdeckungen der Naturwissenschaft um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts, die er in das Ganze der idealistischen Weltanschauung einzuordnen bemüht ist. Keiner der Vertreter dieses neueren deutschen Idealismus ist wohl ungerechter beurteilt worden als Schelling, wenn man auch zugestehen mag, daß er in seinen Spekulationen die Phantasie allzu sehr vorwalten läßt, indem sie ihn von frühe an zu immer neuen Wandlungen seiner Weltanschauung weitertreibt, bis er schließlich in einer von der älteren Mystik beeinflußten Theosophie endet. Aber man hat bei der abfälligen Beurteilung, die er in der folgenden Zeit gefunden, allzu sehr vergessen, daß ein Philosoph niemals bloß von dem Standpunkt einer späteren, sondern zunächst von dem seiner eigenen Zeit gewürdigt werden muß. Und hier dürfen wir nicht übersehen, daß dieser Mann nicht nur in der Schar der Gebildeten aller Stände, darunter besonders der philosophisch gerichteten Akademiker und Ärzte, sondern auch unter hervorragenden Naturforschern, wie Oersted, J. W. Richter, Fechner, Anhänger und Nachfolger gefunden hat. Es war eine Zeit, in der die neuen Entdeckungen im Gebiet der Elektrizität und des Magnetismus, in der Physiologie der Pflanzen und Tiere die Physiker und Physiologen vor völlig neue Probleme stellten, denen die hergebrachte mechanische Weltanschauung nicht standhielt, während gleichzeitig der Entwicklungsgedanke in allen Gebieten, in den Naturwissenschaften durch den älteren Darwin und Lamarck, in den Geisteswissenschaften durch die Begründung der vergleichenden Methode in Sprachwissenschaft und Mythologie Wurzel faßte. Da war es Schelling, der allen diesen Bedürfnissen zu genügen suchte, indem er schließlich den Grundgedanken des Idealismus folgerichtig durchführte, daß die geistige Welt und als ihr letzter Abschluß die im menschlichen Geist zur Ausbildung gelangte Intelligenz die Macht sei, welche die Welt als einen allumfassenden, von der Gottheit als der allgemeinen Weltvernunft beseelten Organismus zusammenhalte. Es war ein verfrühter und, wie alles Verfrühte, in die Irre führender Gedanke, aber es war ein Gedanke, der vielleicht mit einer Art innerer Notwendigkeit aus der Lage der Zeit entsprang, die hier in Schelling ihren geistvollsten Interpreten fand. Auch ist nicht zu vergessen, daß daneben seine auf dem gleichen Wege gewonnenen geschichtsphilosophischen Ideen, seine Betrachtungen über die Aufgaben der künftigen Wissenschaft wie nicht minder seine Religionsphilosophie noch weit in die künftige Zeit herübergewirkt haben.
Daß er sich in seinem System, insoweit es auf seinen eigenen umfassenden Studien beruhte, auf das eigentliche Gebiet der Geisteswissenschaften beschränkte, das war es, was schließlich dem dritten großen Vertreter dieses neueren deutschen Idealismus, Hegel, den Vorrang über seine Vorgänger auch darin verschaffte, daß er die bleibendsten Wirkungen auf die weitere Entwicklung der Philosophie ausgeübt hat. Denn es ist Hegel, der nicht zum wenigsten eine epochemachende Bedeutung dadurch besitzt, daß er zuerst den Kant'ischen Dogmatismus in entscheidenden Punkten überwunden hat: das war einerseits der Begriff des »Dinges an sich« gewesen, der bei Kant die gesamte Erscheinungswelt einer transzendenten und als solche allezeit unerkennbaren Wirklichkeit gegenüberstellte, andererseits aber die individualistische Moral, die Kant zur schöpferischen Kraft nicht nur der gesamten sittlichen Welt erhoben, sondern als die letzte Quelle des religiösen Bewußtseins betrachtet hatte. Der Gedanke, daß eben in der Erscheinungswelt und in ihr allein die Wirklichkeit sich offenbare, verschaffte nun der Weltanschauung Hegel's jene auf die Gesamtheit insbesondere der Geisteswissenschaften herüberwirkende Macht, durch die sie sich zugleich nach den verschiedensten Richtungen, die das Bedürfnis der Zeit forderte, entwickeln konnte. So sind das orthodoxe Luthertum nicht weniger wie die liberale moderne Theologie und schließlich der aus dieser sich abzweigende Atheismus, in welchem mit dem in der Naturwissenschaft nachwirkenden Materialismus diese idealistische Entwicklung zusammentraf, aus Hegel hervorgegangen. Am tiefsten eingegriffen in das Bewußtsein der kommenden Zeiten und noch in das der Gegenwart haben aber die Wirkungen Hegel's in den beiden entgegengesetzten Richtungen der deutschen Soziologie, die in Ferdinand Lassalle auf der einen und in Karl Marx auf der andern Seite ihre Vertreter fanden. Freilich wird bei Lassalle schon der Staatssozialismus Fichte's, von dem er seine ersten Impulse empfing, durch den Kampf der Gesellschaftsklassen getrübt, in welchem er im einseitigen Interesse der Arbeiterklasse seine Agitation ausführte. Karl Marx aber ist es, der, indem er den Standpunkt egoistischer Moral, der damit bereits sich anbahnt, konsequent weiter verfolgt, zur Aufhebung der Staatsidee überhaupt und damit zum Postulat einer neuen Gesellschaft geführt wird, in welcher die bisherige Herrschaft der besitzenden Klassen durch die des besitzlosen Proletariats ersetzt werden soll.
Hiermit ist auf der Grundlage der Hegel'schen Dialektik der Individualismus in seiner extremen, bis zur Grenze des Egoismus gesteigerten Form zum Ausdruck gelangt. Als die zwei letzten Gestaltungen des in Hegel kulminierenden deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts sind auf diese Weise in der modernen Soziologie zwei Strömungen zutage getreten, die an sich Gegensätze darstellen, in ihrer Vermengung mit den praktischen Forderungen der Zeit aber ineinander übergegangen sind. Auf ihre letzten philosophischen Grundlagen zurückverfolgt, sind es die gleichen Gegensätze, mit denen im griechischen Altertum in dem Kampf des platonischen Idealismus mit der Sophistik der Widerstreit der philosophischen Anschauungen über das Wesen des menschlichen Zusammenlebens begonnen hatte. Denn dieser Widerstreit führt auf die Frage zurück: ist die Gemeinschaft, wie sie im Staate ihren Ausdruck findet, durch die geistigen und sittlichen Güter, die sie erzeugt, den einzelnen übergeordnet, die an ihr teilnehmen, oder ist umgelehrt die staatliche Gemeinschaft nur das Mittel, das dem einzelnen die freie Betätigung seines Willens ermöglichen soll? Das sind im letzten Grunde dieselben Fragen, die sich in dem heutigen Kampf der Parteien als die durchschlagenden und für die Zukunft der Kultur und damit zugleich der Philosophie als die vor allen anderen entscheidenden erheben.