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VII.
Der Geist des Bühnenweihfestspieles.

Der religiöse Charakter des Werkes, der es zum Weihfestspiel bestimmte, ist schließlich dasjenige Moment, welches auch für solche seine Sonderstellung begreiflich machen kann, die weder von der Bayreuther Arbeit eine rechte Vorstellung, noch auch für den Gesamtbegriff der Bayreuther Kunst, für diese stimmungsvolle Stil-Einheit von Kunstwerk, Kunststätte und künstlerischem Publikum, volles Verständnis haben. Wer das Religiöse überhaupt nicht liebt und nicht wünscht, daß ihm irgendwoher, auch aus künstlerischen Eindrücken, neue Kräfte zuwachsen, der sagt wohl leichthin: »Auch der Parsifal ist nur ein Kunstwerk, l'art pour l'art, und nur sein Stoff ist zufälliger Weise der christlichen Legende entnommen, wie der des Ringes dem heidnischen Mythos.« Es handelt sich aber hier nicht um den Stoff, sondern um den Geist; und das ist derselbe Geist, der zur Zeit der Vollendung des Parsifal auch in den Aufsätzen Wagners »Religion und Kunst« und »Heldentum und Christentum« sich zum Ausdruck gebracht hat. Dies ist gar nicht von einander zu trennen; es sind die unzweifelbar wahrhaftigen Emanationen derselben Individualität, derselben Weltanschauung. Eine andere Weltanschauung hätte sich zu ihrem künstlerischen Ausdrucke freilich auch schon einen anderen Stoff gewählt. Wo das Christliche nur ein Kleid ist, da befindet sich auch nichts darunter, was sich ausdrücken, sondern nur eben etwas, was sich verkleiden will; und das sind niemals Weltanschauungen oder künstlerische Persönlichkeiten. Wer auch nur die Schlußklänge des Parsifal vernimmt, wie sie die Hörer von Bayreuth wieder in die Welt entlassen, aus verschwebenden Sphärenklängen der Harfen stark und fest wieder zusammengefaßte Posaunentöne des religiösen Hauptmotives, der muß es mit Heinrich von Stein tief und deutlich fühlen, daß hier ein Glaubensbekenntnis abgelegt wird. Durch das ganze Werk geht die heilige Gestalt des Heilandes, unsichtbar, aber geheimnisvoll wirksam hindurch. Schon im Vorspiel hören wir seine Stimme, seinen Segen und seine Klage; und wieder vernehmen wir sie in seinen Worten von der Einsetzung des Abendmahles, wie sie im Gralstempel als Weihespruch, gewissermaßen als heilige »Zitate«, mit der zartesten Feierlichkeit wiederholt werden. Ja, wir sehen den Ausfluß seines Wesens, das »heilige Blut« in der Gralsschale, vor unseren Augen erglühen, wie wir später den Speer selber sehen, der »dem Göttlichen am Kreuze die Wunde stach«. Der leidende Heiland zieht an uns vorüber in den stillen Trauerklängen seiner Kreuztragung, deren Kundry-Herodias gedenkt, die sie – und wir mit ihr – in der Phantasie erschaut, als sie uns das Furchtbare verrät: »Ich sah Ihn – Ihn – und lachte!« Und auch in dem Kreuzzeichen, womit Parsifal die Zauberpracht Klingsors vernichtet, scheint sich die Gestalt des Erlösers als des Richters vor unserem Geiste siegreich hoch aufzurichten. Wenn dann am Schlusse des Werkes die weiße Taube segnend herabschwebt auf den aus Sünderhand befreiten Gral – wer empfände da nicht recht in innerster Seele die Bedeutung der Gnadenmacht jenes Heilandsgeistes, der die ganze Handlung durch Leiden, Kämpfen und Hoffen weihevoll durchweht hatte?! – Ja, er ist überall für das Empfinden gegenwärtig, wo nur ein Wort fällt, welches der religiösen Sphäre angehört, und eben darum wirkt ein solches Wort auch stets feierlich ergreifend, geradezu religiös stimmend. So, wenn Gurnemanz von der Gralsschale spricht: »daraus er trank beim letzten Liebesmahle«, wenn die Jünglinge im Tempel singen, wie: »den sündigen Welten in tausend Schmerzen einst sein Blut geflossen«, wenn Amfortas verzweiflungsvoll seine Wunde vergleicht mit der des Erlösers: »aus der mit blutigen Tränen der Göttliche weint, ob der Menschheit Schmach«, wenn Parsifal die Klage des Heilands vernimmt: »Erlöse, rette mich aus schuldbefleckten Händen!«, wenn endlich der »allerheiligste Charfreitag« über dem tragischen Gebiete der Handlung aufgeht, und Gurnemanz in seiner Deutung des »Charfreitagzaubers« das Wunder von »Gottes Liebesopfer« verkündet, durch welches »auch die entsündigte Natur heut ihren Unschuldstag erwirbt« – bis wiederum zu jenem letzten feierlich geheimnisvollen: »Erlösung dem Erlöser!« Sind das wohl Worte, sind das auch nur Gedanken und Vorstellungen, welche im »Theater« denkbar wären? Hier ist alles so zart, daß es nur in einem Bayreuther Kunsterlebnisse nicht als profanierend empfunden wird, und zugleich so zart, daß es an jedem Operntheater nur als profanierend empfunden werden kann.

Der Besuch einer Vorstellung des Parsifal in Bayreuth bedeutet ein Eingehen in die Ruhe aus der Unruhe des Lebens. Schon darin mag man ein Moment sehen, welches einer religiösen Wirkung verwandt ist, aber auch ein wesentliches Kennzeichen der Sphäre des idealen Kunstwerks selber. Was draußen, auch in den Werken der Kunst, den Nervösen, den Leidenschaftlichen wiederum leidenschaftlich, nervös erscheint, das erscheint hier den Beruhigten und Freien als gebunden in der Form des Schönen, als befreit in die Sphäre des Erhabenen.

Keineswegs ist aber damit der »Parsifal« für ein Werk erklärt, das etwa aus einer »pessimistischen« Grundstimmung heraus zur quietistischen Passivität führen wolle! – Pessimismus in diesem sehr landläufigen Sinne ist weder der Geist des Parsifal, noch überhaupt der Bayreuther Kunst. Wenn auch Wagner früher einmal gesagt hat, in einem Werke der edelsten Kunst werde »die Nichtigkeit der Welt wie unter Lächeln zugestanden«, so heißt doch die Nichtigkeit in der Welt erkennen nicht soviel als in der Welt nur Nichtiges erkennen. Vielmehr: die Kunst selbst, indem sie über die Welt aufklärt, bildet in ihr eine jener großen idealen Potenzen, durch welche der Mensch allein sich in der Welt moralisch zu behaupten vermag; sie zeigt ihm die starken und unvergänglichen sittlichen Kräfte des Menschenwesens, welche über alle Nichtigkeit der Welt siegreich Herr zu werden berufen sind. So wenig ist Passivität die Lehre der Gralstempels, daß gerade sie ja das schwere Leiden ist, welches die Gralsritterschaft so tief niederdrückt, und worüber Gurnemanz klagt: »Nie kommt uns Botschaft mehr noch Ruf zu heil'gen Kämpfen aus der Ferne.« Die ganze Handlung des Parsifal dringt auf die Ermöglichung reiner, idealer Heldentaten. Der heilige Gral selbst segnet mit seinem göttlichen Glanze das Brot und den Wein, daß sie im Leib und Blut der Menschen sich verwandeln zu neuen Kräften, »um zu Kämpfen mit seligem Mute« und »zu wirken des Heilands Werke«. So strömen auch von einem Werke wie Parsifal, in dessen reinem Erlebnisse als Kunstwerk, wiederum ideale Kräfte – Tatkräfte – in viele, unzählige empfängnisfähige Seelen. Aus diesen und durch sie nun können und sollen sie weiter wirken in einer Weise und mit einer Kraft, wie sie die reale Welt des Tages sonst nicht kennt noch von sich aus übt. Aber nicht etwa nur auf der Linie der Kunst und nicht nur durch neue Kunsterlebnisse allein soll diese Fortwirkung sich vollziehen, sondern vielmehr nach allen möglichen Richtungen hin, wo immer jene Seelen, die befähigt waren, am reinen Quell zu schöpfen, nun überall inmitten der Welt als gleichgesinnte geistige Persönlichkeiten in ihren verschiedenen Lebenskreisen wirksam zu werden vermögen: Alle aber in dem Sinne jener Aktivität der Gralsritterschaft, welche durchaus eine Aktivität ist der Herzensreinheit, der Wahrhaftigkeit und der Gläubigkeit, und die als eine solche, gleich jeder edelen Lebenskraft, nur beitragen kann zur Erhebung der Menschheit zu ihrer wahren Würde und Bestimmung. So bildet Kunst – Kultur.

Siegfried Wagner

Siegfried Wagner. Aufnahme von E. Bieber, Berlin.

Soll aber die Stärkung eines tatkräftigen Idealismus auch wiederum der Kunst zugute kommen, so wird dies nicht allein in einer Hebung einzelner Kunstzustände, einer Veränderung einzelner Kunstgewohnheiten bestehen dürfen: es wird sich vor allem zurückbeziehen müssen auf »den Quell, aus dem sie floß«, auf Bayreuth. Ist der Parsifal das Werk und Bekenntnis eines Glaubens, so wird die durch ein Erlebnis, wie das des Bühnenweihfestspieles, gestärkte Glaubens fähigkeit auch darin sich zu bekunden haben, daß der Glaube an die Idealitäten des Lebens auch als Glaube an Bayreuth sich mehr denn sonst betätigt. Die deutsche Kunst, welche dort ihre Stätte gefunden, das festliche Kunstwerk des Idealismus, bedarf dieses Glaubens wohl allermeist inmitten unserer Zeit, welche in so hohem Grade gläubig zwar gegenüber dem Realen und Materiellen, dem Technischen und Wissenschaftlichen, ungläubig aber ist gegenüber dem Idealen. Wagner selbst, vom Glauben an den deutschen Geist beseelt, hat den Glauben seiner Mitmenschen, Mitdeutschen so viel und so oft vergeblich angerufen: »Was ich anstrebte,« sagte er, »ist an sich eine wirkliche Möglichkeit; davon, daß alle die, welche über die Kräfte zu ihrer Verwirklichung verfügen, den Glauben an sie gewinnen, hängt ihre Erreichung ab«; und er wußte dabei wohl, daß er immer wieder nur auf den zu Willen erstarkten Glauben der Einzelnen könne zu hoffen haben, welche wirklich »Mitwisser« seines Werkes geworden waren. »Die von mir gemeinte künstlerische Erscheinung ist nur durch die Kraft eines gemeinsamen Willens zu vermitteln, und diesen Willen in einzelnen wohlwollenden Männern und denkenden Köpfen angeregt zu haben, kann für jetzt mein einziger Erfolg sein. Möge ich soweit wenigstens Mitwisser und Teilhaber meiner Absicht gewonnen haben, und möge diesen der Eifer entstehen, neue Mitwisser und Teilhaber zu gewinnen.«

Dieses Wort und dieser Wunsch sind noch heute in gleicher Geltung, und noch heute richten sie sich an alle, die überhaupt von Bayreuth etwas wissen wollen und um den Parsifal sich bekümmern. Das Werk von Bayreuth ist noch nicht vollendet, ehe nicht der Gedanke von Bayreuth völlig begriffen und durchgeführt ist.

Dazu aber gehört einerseits ein Wirken des Verständnisses, welches eingesehen hat, daß die großen Erscheinungen in dieser Welt wohl gar sehr langsam eine zur anderen sich addieren, nicht aber so geschwinde und nach Belieben sich multiplizieren lassen, daß also auch Bayreuth seiner Eigenart getreu als einziges, wirklich außerhalb der allgemeinen Theater-Welt gestelltes Asyl der Idealkunst zu erhalten ist; andererseits ein Wirken der Empfindung, welche wünschen muß, daß zu diesem sich selbst erhaltenen Bayreuth nun auch möglichst alle dafür empfänglichen Seelen hingelangen, zu welchem Zwecke eine groß ausgeführte Förderung der Bayreuther Stipendienstiftung als das gegebene Mittel sich darbietet. Dies sind Betätigungen einer verwandten, ja, der gleichen Gesinnung, wie sie Bayreuth selbst schuf, den Parsifal dichtete und nun beides erhält; und sie beruhen im Grunde auf Ueberwindung des Egoismus. Damit ist für die Auffassung und Stellung der Kunst überhaupt jener Boden der Moralität gewonnen, der nach Wagner der Grund jeder wahrhaftigen Kunstblüte sein muß, jene innerliche Kraft, die ihm als die in Sonderheit deutsche Kraft gegolten, wovon er am Grundsteine seines Festspielhauses vor mehr als dreißig Jahren (22. Mai 1872) die Worte gesprochen hat: »Dies ist das Wesen des deutschen Geistes, daß er von innen baut.« »So will ich diesen Stein als den Zauberstein bezeichnen, dessen Kraft die verschlossenen Gewissen jenes Geistes lösen soll. Schon jetzt ist er stark und fest gefügt, um dereinst den stolzen Bau zu tragen, sobald es das deutsche Volk verlangt, zu eigener Ehre mit Ihnen in seinen Besitz einzutreten« –

Wann wird das deutsche Volk dies verlangen? Nicht eher, als bis es die ganze Bedeutung dieses Besitzes erkannt hat. Es ist nicht ein totes Gut, das man nur zu haben verlangt, sondern ein lebendiges Wesen, das man selber bis zur Vollendung sich ausleben lassen will. Es ist der Gedanke von Bayreuth, welcher eine Lebensgeschichte hat, deren Ziel noch heute und wohl auf langehin ein »Kunstwerk der Zukunft ist«.

Durchschnitt des Festspielhauses in Bayreuth

Durchschnitt des Festspielhauses in Bayreuth.

Kapellmeister Hans Richter

Kapellmeister Hans Richter. Aufnahme von W. Höffert, Berlin


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