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II.
Die Entwicklung der Idee.

Schon in der Zeit seiner Dresdener Kapellmeisterschaft, also in den vierziger Jahren, reichte Wagner beim Ministerium ein mit größter Sachkenntnis ausgearbeitetes Memorandum ein über eine künstlerische Reorganisation des Hoftheaters. Dieser Versuch, so praktisch er gedacht war, mußte unberücksichtigt bleiben, da bald danach die Revolution ausbrach, derzufolge dann selbst die Kunstwerke des flüchtigen Kapellmeisters für länger von der königlichen Bühne verbannt wurden. Er selbst aber ging in seiner Verbannung in Zürich gleich wieder ans Werk, eine Hebung des dortigen Stadttheaters anzubahnen, worüber seine Schrift »Ein Theater in Zürich« aus dem Anfang der fünfziger Jahre als beschämendes Zeugnis vorliegt. Beschämend – denn es kam auch dort, in der wohlhabenden Republik, nur zu wenigen vereinzelten Aufführungen unter Wagners Leitung; das Stadttheater selbst blieb, was es war und was sie alle sind und wohl auch sein müssen: ein von wechselnden Direktionen je nach der Geschäftslage besser oder schlechter geführtes Unterhaltungsinstitut. Ungefähr zur selben Zeit schien sich in Weimar durch Liszts großherziges Vorgehen für Wagners Theaterpläne etwas Aussichtsvolles zu regen. Der Nibelungenring war im Entstehen, und zugleich mit dem Anwachsen dieses großen Werkes, das aus einer heroischen Oper zu einer Tetralogie sich entwickelte, drängte sich seinem Schöpfer immer stärker und deutlicher die Ueberzeugung auf, daß seine künstlerischen Intentionen im Rahmen der gewöhnlichen Bühne nicht rein zum Ausdruck kommen könnten. Was er schon beim Beginn seiner Arbeit in der »Mitteilung an meine Freunde« als Ideal hingestellt hatte, ein Festtheater, außerhalb der öffentlichen Bühnenwelt, das hätte in Weimar recht wohl schon damals entstehen können, wenn der Gedanke – außerhalb der genialen Künstlerpersönlichkeit Liszts – einiges Verständnis gefunden hätte. Um ein solches gerade in Weimar zu vermitteln, schrieb Wagner an Liszt seinen offenen Brief über die »Goethestiftung«. Liszts edelsinniger Gedanke, unter Goethes Namen, nach fürstlicher Tradition, eine Institution zur Förderung der Kunst zu begründen, – ließ sie sich nicht auch auf das Theater ausdehnen und diesem auf Weimars geweihtem Boden den Charakter jener idealen Welt sichern, die einst auch das Ziel der großen Dichter gewesen war? Aber auch dies führte zu nichts, und es dauerte nicht mehr lange, daß Liszt selbst enttäuscht und verletzt sich aus Weimar zurückzog. Für Wagner begannen nun die so überaus traurigen und notvollen ersten sechziger Jahre. Als er damals in Wien seinen Tristan auf die Bühne zu bringen hoffte, schrieb er noch einmal eine solche praktische Reformschrift, welche an die nächst vorliegende Wirklichkeit anknüpfte: »Das Wiener Hofoperntheater«. Man gab aber nicht einmal den Tristan; man sagte, man habe genug von Wagner. Ueber Holländer und Tannhäuser, die er aus seinem Exil an die Theater hatte hingeben müssen, ohne den geringsten persönlichen Einfluß auf ihre Einstudierung ausüben zu können, hatte er ausführliche Anweisungen für Dirigenten und Regisseure niedergeschrieben und an alle besseren Bühnen versandt. Sie wurden nirgends beachtet, und als er in jenen sechziger Jahren nach München kam und dort endlich, nach der Pause eines halben Menschenalters, Gelegenheit hatte, seine Werke selbst einzustudieren, fand er sein Schweizer Packet mit jener Schrift noch uneröffnet vor. Sie hatte also wie er ein dreizehnjähriges Strafdasein geführt, nur im Gefängnis anstatt im Exil. – » Wie elend steht es da!« Dieser sein Ausruf gilt für alle seine Erfahrungen mit den bestehenden Theatern, die er auf bessere Bahnen hatte leiten wollen. Sein Nibelungenwerk hatte er inmitten unterbrechen müssen, weil dessen Vollendung, wozu eine seinem Geist und Stil entsprechende Aufführung durchaus gehörte, ganz unerreichbar schien. Allein wie Faust suchte auch er im Nichts das All zu finden: in dem enttäuschten und verlassenen Künstler reifte der Plan vom Festtheater als einer nationalen Institution um so reicher aus. Im Vorwort zur Ausgabe der Nibelungendichtung 1863 ward er schon gerade so mitgeteilt, wie er nach wiederum dreizehn Jahren in Bayreuth zur Ausführung kam, nur dort nicht am deutschen Rhein, sondern in Deutschlands Mitten, jedenfalls aber in keiner großen Stadt, in keinem Zentrum einer Zivilisation, welche dem Künstler, wie ihre Theater, nur den Gegensatz der idealen Kunst bedeuten konnte.

Kurz darauf, 1864, trat König Ludwig wunderbar hilfreich, ja rettend in das Leben Wagners ein. Es war sehr natürlich, daß dieser Fürst nun wünschte, das Idealtheater, wofür er sich begeistert hatte, möge in seiner eigenen Residenzstadt München sich erheben; und ebenso natürlich war es, daß Wagner diesem Wunsche seines Königs, der seinen jahrelangen Sorgen nun ein Ende verhieß, sich nicht widersetzen mochte. Wie er es später einmal ausgesprochen hat: »Was mir stets einzig noch am Herzen liegen kann, wäre: ein unzweifelhaft deutliches Beispiel zu geben, an welchem die Anlagen des deutschen Geistes zu einer Manifestation, wie sie keinem anderen Volke möglich ist, untrüglich nachgewiesen und einer herrschenden gesellschaftlichen Macht zu dauernder Pflege empfohlen werden könnten« – hier, und nur hier schien diese Macht durch einen König in Person ihm dargeboten; und damit war auch das Lokal gegeben. Aber dies alles hing an der Person eben dieses Königs, der einzig und allein in der Welt den Gedanken des Künstlers auszuführen bereit war; und das Lokal war nicht etwa die Stadt des Münchener Kindls, sondern König Ludwig's Residenz. Nun aber kam selbst dieser königliche Plan nicht zustande! Nun scheiterte auch er an dem »Widerstand der stumpfen Welt« – scheiterte gerade an der Stadt des Münchener Kindls! Im vornehmsten Blatte Bayerns, das einst einen Schiller zum Redakteur hatte haben wollen, lasen die gläubigen Münchener jener Tage das große Wort: »Mit dem ersten Steine zum Wagnertheater würde der Grundstein zu einer Ruine gelegt sein.«

Die Leute, die das glaubten, sind entschuldbarer als die, welche sie es glauben machten; aber aus ihnen beiden, den Unwissenden und den Uebelwollenden, setzte sich doch eben jene Oeffentlichkeit zusammen, welcher der Künstler seine Werke hinzugeben haben sollte, und die es selbst einem Könige nicht erlaubte, den Meister sein Werk so darstellen zu lassen, wie er es erdacht. Ein Sturm erhob sich gegen solch eine exorbitante Forderung, daß ein Musiker ein eigenes Opernhaus für sich allein haben wolle; denn nur so konnte man den großen Gedanken eines Idealtheaters im Philistertum verstehen. Jeder sucht in dieser Welt das Seine, und für große Ideen, für allgemeine, höhere Zwecke hat man gewöhnlich wenig Sinn, daher auch keinen rechten Glauben daran, wenn man dergleichen von einem anderen vertreten sieht. So bewahrheitete sich auch an diesem entscheidenden Moment das Wort Wagners, das er fünfzehn Jahre später sprach, als schon der Gedanke an einen »Reichsschutz« für Bayreuth einmal aufgetaucht war: »Unseren heutigen öffentlichen Zuständen scheint nichts ferner zu liegen als die Begründung einer Kunstinstitution, deren Nutzen nicht allein, sondern deren ganzer Sinn nur äußerst wenigen erst verständlich ist. Wohl glaube ich nicht, es daran fehlen gelassen zu haben, über beides deutlich mich kund zu geben: wer hat es aber noch beachtet? Ein einflussreiches Mitglied des deutschen Reichstages versicherte mich, weder er noch irgend einer seiner Kollegen habe die geringste Vorstellung von dem, was ich wolle.« – Ja, das haben wir wieder noch zwanzig Jahre später durch denselben deutschen Reichstag bestätigt gesehen. Vor eben diesem alten, stets sich selber gleichen Geiste des Nichtwissens, den das Uebelwollen leitet, wich Wagner damals, 1865, aus München, und sein König verzichtete für immer auf sein Theater. Von dann ab war München nicht mehr König Ludwigs Stadt.

Der Künstler aber gab seine Idee nicht auf; vielmehr, nun hatte er ja am außerordentlichsten Beispiel völlig erkannt, wie recht er mit ihrer ursprünglichen, jeden Kompromiß ausschließenden Fassung gehabt. Von neuem also faßte er, fester noch, alles zusammen, was er als die wesentliche und unumgängliche Bedingung für ein solches Theater eingesehen und gefordert hatte. Schon vor einem halben Jahrhundert hatte er geschrieben: »Es muß jedem Einsichtsvollen deutlich werden, daß, soll das Theater irgendwie seiner natürlichen edlen Bestimmung zugewandt werden, es von der Notwendigkeit industrieller Spekulation durchaus zu befreien ist. Wie wäre das möglich? Dieses einzige Institut sollte einer Dienstbarkeit entzogen werden, welcher heutzutage alle Menschen und jede gesellschaftliche Unternehmung der Menschen unterworfen sind? Ja, gerade das Theater soll in dieser Befreiung allen übrigen vorangehen, denn es ist die umfassendste, einflußreichste Kunstanstalt; und ehe der Mensch seine edelste Tätigkeit, die künstlerische, nicht frei ausüben kann, wie sollte er da hoffen, nach niederen Richtungen hin frei und selbstständig zu werden? Beginnen wir, nachdem schon der Staatsdienst und der Armeedienst wenigstens kein industrielles Gewerbe mehr ist, mit der Befreiung der öffentlichen Kunst!« Und nicht anders lauteten seine Worte jetzt, da seine Münchener Erfahrungen ihn um eine schöne Möglichkeit gebracht, sein ideales Beispiel zu zeigen: »Hierzu ist auf dem Wege des täglichen Verkehrs, namentlich auf der Basis der Gewerbsinteressen, unmöglich zu gelangen; dieses Beispiel kann nur auf einem von den Bedürfnissen und Nötigungen des alltäglichen Theaterverkehrs gänzlich eximierten Boden gegeben werden.« »Es ist eine ganz neue, von der Wirklichkeit des Theaters soweit wie möglich abliegende Institution in das Auge zu fassen.« »Bedingung hierfür ist die Außerordentlichkeit in allem und jedem.« »Die gewerbliche Tendenz im Verkehr zwischen Publikum und Theater wäre hier vollständig aufgehoben. Der Zuschauer würde nicht mehr von dem Bedürfnisse der Zerstreuung nach der Tagesanspannung, sondern von dem der Sammlung nach der Zerstreuung eines selten wiederkehrenden Festtages geleitet, in dem von seinen gewohnten allabendlichen Zufluchtsorten für theatralische Unterhaltung abgelegenen, eigens nur dem Zwecke dieser außerordentlichen, eximierten Aufführungen sich erschließenden besonderen Festbau einzutreten, um hier, seiner höchsten Zwecke wegen, die Mühe des Lebens in einem edelsten Sinne zu vergessen.«

Nach dem Scheitern jenes königlichen Planes durfte Wagner sich nun ganz und frei diesem seinem ursprünglichen Gedanken wieder zuwenden. Aber es mußten die Siege von 1870 erkämpft werden, um den Künstler nach Deutschland zurückzuführen, und den nun politisch geeinigten deutschen Stämmen einen künstlerischen Mittelpunkt zu schaffen. Wo konnte dann dieser »Mittelpunkt« einzig gelegen sein? – »Fern von dem Qualm und Industriepestgeruch unserer städtischen Zivilisation, in einer schönen Einöde«, hatte er schon vor 20 Jahren an Liszt geschrieben – wo durfte er nimmer liegen? »Ich bin nicht darauf ausgegangen, mein Unternehmen im Glanze einer reich bevölkerten Hauptstadt bespiegeln zu lassen, was mir allerdings minder schwierig gefallen wäre, als mancher zu glauben vorgeben mag.« »Aus den Winkeln des deutschen Vaterlandes wurde mir am kräftigsten und ermutigendsten auch für mein Werk zugesprochen, während in den großen Markt- und Hauptstädten zumeist nur Spaß damit getrieben worden ist.« So entstand denn schließlich dieses Bayreuth, und zwar jetzt genau, wie Wagner selbst es gewollt: »ein vollständig ausgeführtes Theatergebäude, ganz nach meinen Angaben von mir errichtet, welches nachzuahmen der ganzen modernen Welt unmöglich bleiben muß.«

»So möge denn die Sache ihren Lauf nehmen und der Deutsche zeigen, daß er endlich versteht, so wahren und anhaltenden Bemühungen für einen schmachlos verwahrlosten und dabei so unbegrenzt einflußreichen Zweig der öffentlichen Kunst, an welche ich mein Leben gesetzt habe, auch die nötige Beachtung zu schenken.« Mit diesen Worten an Emil Heckel begleitete Wagner im Jahre 1871 seine Zustimmung zur Begründung der Wagnervereine, welche ihm die Mittel für den Bau des Festspielhauses verschaffen wollten.


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