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Erster Abschnitt:
Der Gedanke von Bayreuth

B Bei der großen Teilnahme, welche Richard Wagner als Schöpfer seiner Werke im deutschen Publikum gefunden hat, ist es erstaunlich, welch ein unklarer Begriff seine größte Schöpfung »Bayreuth« doch eigentlich noch im Bewußtsein der Nation geblieben ist. Lange Jahre hat es gedauert, bis überhaupt ein nennenswerter Teil der gebildeten Welt in unserem Vaterlande bis zu dem Maße der Wertschätzung dieses künstlerischen Besitzes gelangt war, das dem Auslande, seit er in ein sichtbares Leben trat, fast nie gefehlt hat. Aber wenn auch endlich zugestanden ward, daß dies eigentümliche Bayreuth etwas sei, dessen man sich nicht zu schämen brauche, worauf man vielleicht sogar bis zu einem gewissen Grade als Deutscher stolz sein dürfe: ein tieferes Verständnis für seine Bedeutung, sowohl im Leben Wagners wie für das Leben der deutschen Kunst, ließ sich immer wieder vermissen, sobald einmal eine ernstliche »Lebensfrage« Bayreuths in irgend welcher Form auftauchte und einen Ausdruck der Gesinnung, eine Entscheidung, ein Eintreten für Wagners Schöpfung und Gedanken erforderte. Entstand z. B. ein Theater nach Bayreuther Muster, so galt dies wohl als ein günstiges Zeichen für die Wahrheit der Idee; und brachte ein findiger Bühnenleiter den »Parsifal« an einem anderen Orte zur Aufführung, so sahen viele darin einen Fortschritt in der Verbreitung des Werkes. Daß und warum beides gegen Wagners ausgesprochenen Willen sei, erschien gewiß der Mehrzahl derer, welche davon hörten, ganz unverständlich. Die Forderung, dem »Parsifal« eine verlängerte Schutzfrist zu gewähren oder ihn gar durch ein eigenes Gesetz an Bayreuth zu binden, verstieß so gegen alle gewöhnlichen und herrschenden Auffassungen von dem Verhältnisse der öffentlichen Kunst zum großen Publikum, daß dagegen das bessere Wissen eines nur recht kleinen Teiles unmöglich aufkommen und etwas durchsetzen konnte. Man hätte eben die Bedeutung des Gedankens von Bayreuth kennen müssen, um in diesen Fragen Bescheid zu wissen; und da befand sich das deutsche Publikum leider auch nach einem Menschenalter seit der Grundsteinlegung auf dem Festspielhügel immer noch in der Lage des törigen Parsifal, der auf des Gurnemanz' schlichte Fragen keine andere Antwort hat, als: »Ich wußte sie nicht«.

Es scheint erstaunlich, daß es so ist, und doch ist es kein Wunder, wenn man die Vorbedingungen in Betracht zieht. Man muß schon etwas geistig miterlebt haben, um Wagners Gedanken, der sich in Bayreuth verkörpert hat, aus seinen Wurzeln zu verstehen. Die Welt aber, in der wir leben müssen, ist eine unkünstlerische und gibt ihren Bürgern so ungeheuerlich vieles ganz anderer Art täglich zu erleben, daß für eine ernstliche Befassung mit den Dingen der Kunst, auch wenn es sich nicht um ein Bayreuth handelt, in der Tat nicht Zeit noch Stimmung bleibt. Dennoch darf der Versuch nicht gescheut und muß immer wiederholt werden, in möglichst übersichtlicher Zusammenfassung das ganze große, einheitliche Bild dieses Gedankens von Bayreuth vor dem geistigen Auge der nicht völlig künstlerisch ungebildeten Deutschen bis zur Ersichtlichkeit entstehen zu lassen. Um dies zu erreichen, ist es aber vor allem nötig, den abgebrauchten Begriff des »Theaters«, der dabei in so besonderer Bedeutsamkeit verwandt werden muß, durch Wagners eigentümliche Idee neu zu beseelen. Jeder Versuch, vom Bayreuther Theater einigermaßen verständlich zu reden, müßte scheitern, wenn nicht zuvor Wagners Auffassung von der Kunst überhaupt und vom Theater im besonderen den Hörern bewußt geworden wäre. Nur dann gewänne die Belehrung freie Fahrt bis an ein sicheres Ziel.


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