Ernst von Wolzogen
Die Erbschleicherinnen. Band 2
Ernst von Wolzogen

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Achtzehntes Kapitel.

Vom großen Kehraus in der Sylvesternacht und von dem Kavalier-Meeting auf dem Stettiner Bahnhofe.

Das große Zauberfest war glänzend verlaufen. Erst um zwei Uhr am Morgen des 1. Januar waren die letzten Gäste fortgegangen und drei Uhr war es gar geworden, ehe die todmüde Hausfrau samt Kindern und Gesinde ihr Lager aufzusuchen im stande war. Rudis Zimmerchen war heute als Damengarderobe benützt und Lizzis Schlafgemach seiner früheren Bestimmung als Plauschwinkel für Liebende wiedergegeben worden. Nun hatte man in der Eile die Möbel wieder umgestellt und das sonderbare Bett aufgemacht. Gelüftet hatte man auch ein wenig, denn der enge Raum war dick von Cigarettenrauch gefüllt. Das wüste Durcheinander in den vorderen Räumen spottete einfach jeder Beschreibung. Die Gebeine im Kampf gefallener Antiquitäten waren zu Haufen in den Winkeln aufgeschichtet. Es gab schwerlich viel mehr als ein halbes Dutzend unversehrt gebliebener Sitzgelegenheiten in den Gesellschaftsräumen. Gläser aller Art mit Bier-, Bowlen-, Wein- und Selterswasserresten standen auf Tischen und Simsen überall herum. Viele davon waren umgefallen und hatten ihren Inhalt über Tischtücher und Fußboden ergossen, manche zerbrochen. Die Stearinlichter auf den großen Lüsters waren bis auf Stümpchen heruntergebrannt und zeigten alle auf der rechten Seite dicke tropfsteinförmige Protuberanzen, welche die Zugluft hervorgerufen hatte. Da die Majorin nicht die genügende Anzahl Lichtmanschetten besaß, so hatte die Mehrzahl der Kerzen ihren Ueberfluß in tropfbar-flüssiger Gestalt auf den Parkettfußboden, beziehungsweise auf die Frisuren, Schultern und Rücken der Damen und Herren, mit besonderer Bosheit aber auf die kostbaren Uniformen etlicher Gardeoffiziere ergossen – wahrscheinlich zur gerechten Strafe dafür, daß sie nicht im Kostüm erscheinen wollten. Die stattliche Gattin eines Generals, welche ihre üppigen Reize der gebührenden Anerkennung nicht hatte entziehen wollen, war sogar durch einen großen Fladen Stearin mitten auf dem achtunggebietenden Rücken dekoriert worden. Wie das Siegel eines Gerichtsvollziehers nahm es sich dort aus, hatte ein Lieutenant schnöde bemerkt und noch schnöder hinzugefügt: »Eigentlich toll – Lebensmittel dürfen doch nicht gepfändet werden!« Der General war nämlich berühmt wegen seiner Schulden. – Vergessene Handschuhe, verlegte Fächer und Schnupftüchlein, abgetretene Tüllsäume und besonders Cigarrenstummel – Dutzende von Cigarren und Cigarettenstummeln – waren in allen möglichen Ecken, Winkeln, Falten, Löchern und sonstigen schattigen Gelassen verkrochen, verfitzt, verschlungen, daß man Ostereier nicht hätte listiger verstecken können. Auf dem Harmonium hatte eine falsche Spanierin ihr Tamburin liegen lassen. Einem der Engel hatte jemand einen gefundenen Zwicker auf die Nase geklemmt, und unter einem Haufen trauriger Stuhlrückstände leuchtete bei näherem Zusehen sogar die rote Seide eines Strumpfbandes hervor.

Aber herrlich war es doch gewesen. Wenigstens hatten es alle Gäste der strahlenden Hausfrau beim Abschied versichert, trotzdem es nicht zu leugnen war, daß die Güte des Soupers entschieden nicht auf der Höhe der lebenden Bilder gestanden, daß die eiskalte Sauce den etwas überreifen Hasenbraten nicht gerade verbessert hatte und daß die Bowle einfach ein Gesöff gewesen war. Aber die Menge hübscher Mädchen und stattlicher Frauen, deren nordgermanisches und noch dazu meist blaues Blut durch Hitze, Wein und Tanz und besonders durch das sans-gêne, welches das Kostüm zu geben pflegt, erwärmt und in ungewöhnlich rasche Bewegung gesetzt worden war, ließ alle die kleinen Mängel der Verpflegung, sowie die tragisch-komischen Unglücksfälle unter der Stearintraufe und beim unvorsichtigen Niedersitzen vergessen und nötigte selbst den blasiertesten jungen Herren die Anerkennung ab, daß es wirklich sehr nett gewesen sei und daß man sich unter solchen Umständen sogar mit den jungen Damen »unsrer Kreise« famos amüsieren könne.

Die Königin des Festes war natürlich wieder Lizzi gewesen. Sie sah aber auch wirklich bildhübsch aus in ihrem weißen, griechischen Gewande, die prachtvollen Arme, den feinen Hals, die blendenden Schultern und die zartschwellende Büste zum erstenmal in ihrem Leben den bewundernden Blicken einer großen Gesellschaft preisgebend. Als so eine Art Weihnachtsengel mit großmächtigen goldenen Flügeln hatte sie den begleitenden Text zu den lebenden Bildern deklamiert und so schön gesprochen, daß kaum ein Mensch merkte, wie holperig die Verslein waren, welche die gute Majorin selbst verbrochen. Alles hatte sich nach Beendigung der Vorstellung beglückwünschend um sie herum gedrängt und fast keiner hatte versäumt, ihr seine Entdeckung mitzuteilen, daß sie für die Bühne wie geboren sei. Ein wahrer Rosenblätterregen von Liebenswürdigkeiten und Schmeicheleien träufelte ununterbrochen auf sie herab. Beim Tanze riß man sich um sie, und nicht nur sämtliche Herren von der ältesten Excellenz bis zum jüngsten Lieutenant, sondern sogar die meisten Damen verliebten sich in das lustige, frische, strahlende Mädchen. Auch Kathi kam heute abend zu Ehren. Sie sah in ihrem Tirolerkostüm sehr hübsch aus und machte besonders bei den ältesten Herren und jüngsten Mädchen viel Glück. Freilich begannen die meisten Leute die Unterhaltung mit ihr mit den Worten: »Nein, was haben Sie für eine reizende Schwester!« Aber dann fand man sie doch auch um ihrer selbst willen sehr nett, besonders nachdem sie mit Lizzi zusammen etliche »G'sangeln« zum besten gegeben hatte. Zum Tanzen war sie jedoch nicht zu bewegen – sie fühlte sich ja doppelt in Trauer, nicht nur um die Mutter, sondern viel mehr noch um den Verlust ihrer süßesten Hoffnung. Lizzi war beinahe bös darüber geworden, daß sie ihr nicht »die Hälfte von der Sünd'« durch Beteiligung abnehmen wollte. Pastor Werkmeister würde ihr schon Absolution erteilen – neckte sie gedankenlos. Sie dachte überhaupt an nichts in ihrem seligen Taumel, weder an Pastor Werkmeister noch an die tote Mutter – am allerwenigsten an Sünde. Bubi, der sich in seinem Ritterkostüm mit pappenem Helm, Harnisch und schlotternden Drahtmaschen-Beinlängen nicht eben imposant ausnahm, trotzdem er sich einen großen schwarzen Schnurrbart angeklebt hatte, Bubi litt natürlich entsetzliche Qualen der Eifersucht, während der muntere Oberlehrer, der als bebrillter Tiroler Holzknecht so unecht wie nur irgend möglich aussah, im Gegenteil vor Vaterfreude über das ganze Gesicht strahlte. Er betrachtete Lizzi schon für so gut wie sein Kind. Und morgen früh um halb elf Uhr wollte er ja mit den beiden großen Fräuleins heimreisen.

Kathi logierte seit zwei Tagen auch bei Frau von Goldacker – und das war so gekommen. Als am Tage nach der großen Gaudi Lizzi der Verabredung gemäß mit Milka und Doktor Hartmann bei der Filiale der Deutschen Bank an der Potsdamerstraße zusammengetroffen war und auch anstandslos die tausend Mark ausbezahlt erhalten hatte, war ihnen in der Thür die Geheimrätin Riemschneider in eigner Person begegnet, um eine größere Summe zur Reise abzuheben. Lizzi hatte sich vor Schreck sogleich in Trab gesetzt, aber der Oberlehrer, der in der ersten Verwirrung ihrem Beispiel folgen wollte, war von der Gestrengen am Aermel festgehalten und so genötigt worden, Rede zu stehen. Er hatte sie tief gegrüßt und sich umständlichst nach ihrem und ihres Gatten Befinden erkundigt, ihre Frage, was er denn mit den beiden jungen Damen bei der Deutschen Bank da zu schaffen habe, geflissentlich überhörend. Und als er der Antwort nicht länger ausweichen konnte, war er auf die unglückliche Ausrede verfallen, er habe soeben sein Vermögen in »Laurahütte« angelegt. Die Geheimrätin hatte dies nicht im mindesten scherzhaft gefunden, sondern war mit einem drohenden Blick hineingestürmt, um sofort den Herrn am Schalter einem Verhör zu unterwerfen. Da war denn die ganze Geschichte herausgekommen und die Folge davon war, daß erstens einmal der arme Gatte sehr deutlich die Meinung gesagt bekam für seine unverantwortliche Schwäche diesen raffinierten Erbschleicherinnen gegenüber und zweitens statt Lizzis, die nun einmal ihren Raub in Sicherheit hatte, die unglückliche Kathi das Gewitter ihres Zornes über ihrem Haupte austoben und sich wegen Vorschubleistung zu dem verbrecherischen Ueberfall der Schwester aus dem Hause weisen lassen mußte. So hatte sie denn für die zwei Tage bis zur Abreise des Oberlehrers gleichfalls bei der Majorin einen Unterschlupf gefunden.

In Lizzis Zimmerchen hatte man ihr das Polster eines alten Schlafsofas auf den Fußboden gelegt und mit Hilfe einiger Kissen und Decken notdürftig ein Bett hergestellt. Da aber Lizzi nicht leiden wollte, daß die ältere Schwester wie ein Hund zu ihren Füßen schlief und Kathi wiederum auf den vorgeschlagenen Tausch nicht eingehen wollte, so hatte der edle Wettstreit damit geendigt, daß sie beide in einem Bett schliefen. Und die gute Kathi nahm die Kleine zärtlich in ihre Arme und ließ sie mit dem Kopf auf ihrer Brust einschlafen – die glückliche Kleine, die ihr ihr Alles geraubt hatte! – – –

Als die beiden Schwestern in der Frühe des 1. Januar der Majorin Gute Nacht sagten, fiel ihr Lizzi stürmisch um den Hals, küßte sie auf beide Wangen und sprach: »Ach, liebe Tante, ich dank' dir so – es war zu schön! Aber weißt', jetzt kann i nimmer fort – i mag net, i kann net, i kann wirklich net! Alle hab'n sie's g'sagt, daß ich für die Bühne geboren wär' – und da wär's doch ein rechter Unsinn, net wahr, wenn i jetzt aufs Land gehen thät und nix mehr hören und sehen könnt' vom Theater. Dees wär' doch ausgerechnet Selbstmord!« Das Wort »ausgerechnet« hatte sie sich heute abend von den Lieutenants angewöhnt. »Wenn du mich nimmer behalten magst, dann kann ich ja auch so für mich wohnen. Ich hab' ja jetzt mei klein's Vermögen.«

»Ich laß dich ja auch gar nicht fort, mein herziges, einziges Schätzel!« rief die Majorin, indem sie sie fest an sich drückte, und dabei liefen ihr vor Uebermüdung und vor Rührung die Thränen schon die Backen hinunter. »Zu reizend sahst du aus mit deinen goldenen Flügeln, du süßer, fetter Weihnachtsengel. Ich bin recht schlecht zu dir gewesen, nicht wahr? Sei mir nur nicht böse – und bleib schön bei mir. Ich bitte dich! Nach dem Erfolge des heutigen Abends müßte es doch mit dem Kuckuck zugehen, wenn du nicht in drei Monaten spätestens verlobt wärst – und wie! Mit deinem Alleinwohnen, das ist natürlich Unsinn. Dreihundert Mark hast du ja schon der Grönroos geschenkt. Na, du wärst bald fertig mit deinem Gelde. Nein, nein, das ist alles Unsinn, basta! Du bleibst hübsch da, und die Käthe . . . Gut Nacht, mein liebes gutes Käthchen. Wenn ich nur Platz hätte, behielt ich dich auch da. Nun packt euch aber ins Bett, Kinder. Und daß du mir ein bißchen Trab schläfst, Käthe! Um neun Uhr wird aufgestanden. Gute Nacht!«

Kathi war während dieses Gefühlsausbruches der Majorin mit gesenktem Kopf beiseite gestanden, hatte sich dann stumm ergeben mit abküssen und zu Bett schicken lassen. Aber in der Einsamkeit des Schlafzimmers, als sie der Schwester die goldenen Spangen von den Schultern und den goldenen Gürtel von der Taille losnestelte und den in kraftvoller Schönheit prangenden Mädchenkörper herausschälen half aus seinen Hüllen, da überfiel sie ihr Schmerz allzu gewaltig. Sie brach überwältigt auf dem Rande des Bettes zusammen und schlug die Hände vors Gesicht.

Lizzi kniete erschrocken vor ihr nieder und flüsterte zärtlich: »Ach geh, lieb's Herzerl, was hast denn?«

Kathi tastete mit der Linken nach ihrem Kopfe – die Thränen verschleierten ihr so den Blick – und dann stieß sie, mühsam ihr Schluchzen unterdrückend, mutig hervor: »Wannst hier bleibst, nachher mußt doch den – den Herrn Pfarrer heiraten. Er liebt dich doch einmal so – es wär' ein Unrecht – und er is doch gewiß besser, wie die Affen all mitsamm. Und – und dann – und dann thät'st auch mir a rechte Freud' damit machen. Ich möcht'n so gern glücklich seh'n.«

All die Tage über hatte sie sich mit Vorwürfen gequält, weil sie ihr Versprechen an Pastor Werkmeister noch nicht erfüllte. Es wollte einmal nicht gehen – sie brachte nicht einmal den Namen über die Lippen. Und ebenso hatte Lizzi die beiden Briefe, welche sie in diesen Tagen von dem Pastor erhalten, ängstlich vor Kathi verborgen. Daß er bei der Schwester gewesen war, wußte sie nicht und sie meinte, ihr den großen Schmerz ersparen zu müssen. Sie glaubte ihrer selbst sicher zu sein. Der stattliche Mann mit dem lebhaften Auge und dem schönen Organ gefiel ihr zwar sehr gut und seine glühende Liebe, die nicht locker lassen wollte, schmeichelte ihrer Eitelkeit nicht wenig. Aber er war halt doch geistlich und sie weltlich – ach, so weltlich! Ein Pastor und eine Schauspielerin – daraus konnte ja nimmermehr etwas werden! Nein, nein, wenn der Pastor sah, daß es ihr mit ihrer Kunst Ernst war, ebenso wie mit ihrer Zurückweisung seines Liebeswerbens, so mußte er sich ja als gesitteter Mensch zufrieden geben, Kathi brauchte nie etwas davon zu erfahren und konnte in der Einsamkeit das Ideal ihres Mädchentraumes ungestört weiter hegen, bis es allmählich verblaßte und vielleicht einem andern Platz machen mußte. Es gab ja in diesen kleinen Städten fast immer einen netten, jungen Arzt – auch die Apotheker sollen manchmal sehr liebenswürdige Herren sein. Als Münchnerin war sie schon des in Norddeutschland so beliebten Dialektes wegen sicher, nicht unbeachtet zu bleiben. In dieser Weise hatte Lizzi die Schwester wohl versorgt und glaubte damit ihr Gewissen beruhigen zu dürfen – was war denn nun das auf einmal!?

Lizzi sprang erschrocken auf die Füße, drückte Kathis Haupt an ihren Busen, streichelte sie zärtlich und sagte, halb scherzend, halb selbst zum Heulen geneigt: »Aber, so geh zu, bist wohl ganz närrisch, du gute Seel', du! Laß mir doch den Pfarrer aus'm Spiel – i mag'n ja gar net! Bei Gott, kannst m'r's glauben, i nehm d'rn net fort!« Sie versuchte zu lachen, aber das Herz schlug ihr so rasch und heftig vor Mitleid mit der armen Schwester, deren Körper, vom heftigsten Schluchzen geschüttelt, jetzt an dem ihren bebte, daß ihr das Lachen kläglich in der Kehle stecken blieb.

Kathi vermochte nicht zu reden und so fuhr Lizzi noch ein kleines Weilchen fort, ihr beruhigend über das Haar zu streichen. Dann ließ sie sie aus ihren Armen, half ihr aus dem echten, alten Mieder mit dem silbernen Geschnür und sagte: »Geh, Herzerl, mach, daß d' ins Bett kommst – mei Rücken friert.«

Kathi ließ alles mit sich geschehen, und ein paar Minuten später steckten die beiden Schwestern bereits unter der Decke. Aber mit dem Gutenacht sagen und Stillesein ward nichts erreicht. Sie konnten alle beide so rasch keinen Schlaf finden. Und nachdem sie wohl eine Viertelstunde lang stumm dagelegen und Kathi sich ein klein wenig beruhigt hatte, begann sie von neuem am Ohr der Schwester zu flüstern: »I glaub' dir's schon, daß d's gut meinst, aber wenn i amal fort bin und du hast'n hier ganz alleinig für dich und er kommt immer wieder und laßt net aus mit seiner Lieb, nachher wirst's schon g'spüren, daß doch nixn hilft, was m'r sich a vornimmt. Ich will dir net gram sei, wirklich net, der allerbeste Mann wär' m'r grad gut g'nug für dich.«

»Aber woher weißt denn nur, daß er . . .«

»Er hat m'r's ja selber g'sagt und er hat mi bitt, daß i für ihn a Wörtl einlegen sollt bei dir. I hab's ihm versprochen, und siext d' es, darum . . .« Sie vermochte den Satz nicht zu vollenden.

Auch Lizzi war sprachlos, ins innerste Herz getroffen von so übermenschlicher Selbstlosigkeit. Sie kroch ganz nahe zu Kathi heran, schlang die Arme um sie und weinte an ihrem Halse wie ein großes Kind, das recht schlimm gewesen ist und es nun mit seiner gütigen Mutter wieder recht machen will.

Lange sprach keine der Schwestern ein Wort, und als endlich Lizzi sich wieder beruhigt und einen Entschluß gefaßt hatte, einen guten, braven Entschluß, da fand sie, daß Kathi inzwischen eingeschlafen war.


Am andern Morgen um neun Uhr wurden die Schwestern durch lautes Klopfen an der Thür geweckt. Heillos früh kam es ihnen vor, und das Aufstehen wurde ihnen sehr sauer. Lizzi sprang zuerst aus dem Bett und beeilte sich sehr mit ihrer Toilette.

»Bleib du noch a bisserl liegen, Kathi,« sagte sie. »Du hast ja alles fix und fertig packt, aber i muß noch . . .«

»Ja, was is denn jetzt dees, du bleibst doch hier?« rief Kathi erstaunt.

»Nein, i geh' scho mit,« versetzte Lizzi sehr entschieden. »I verlaß dich net – red nix, heut nacht' hab i mir alles überlegt und jetzt weiß i, was i z'thun hab'. Der Pastor muß seh'n, daß i's ernst mein', sonst laßt er mir kei' Ruh mit seiner Lieb, und so schlecht bin i amal net, daß i meiner Schwester den einzigen Mann fortnimm, den s' selber gern hab'n möcht'. Nein, nein, was a d' Leut von mir sag'n mög'n, so schlecht bin i net.« Und mit nervöser Hast suchte sie zusammen, was sich von ihren kleinen Habseligkeiten noch herumtrieb, warf es bunt durcheinander, wie es gerade kam, obenauf in ihren Koffer, und dann schlug sie mit einem Krach den Deckel zu. »So, jetzt san m'r fertig. Auf nach Pyritz!«

Kathi mochte einwenden, was sie wollte, Lizzi hörte auf nichts. Es war nur gut, daß die Majorin sich entschuldigen ließ, wenn sie nicht zum Vorschein komme. Sie fühle sich wie zerschlagen und könne nicht aufstehen. Ließe glückliche Reise wünschen.

»Gott sei Dank!« sagte Lizzi, »davor hab' i mi g'fürcht'. Jetzt schreib' i erst von Pyritz aus.«

Um dreiviertel zehn Uhr saßen die beiden Mädchen bereits in der Droschke. Aber just in dem Moment, wo der alte Schimmel anziehen wollte, sprang Bubi die steinernen Stufen hinunter und rief: »Halt, halt, ich fahr' mit!« Es half alles nichts. Er wollte sich's durchaus nicht nehmen lassen, die Damen zum Bahnhof zu begleiten. So mußten sie es denn dulden, daß er sich noch mit hineinquetschte.

Aber auf dem Bahnhof harrte Lizzis eine Ueberraschung, an die sie wahrlich nicht gedacht hatte. Nicht nur der Oberlehrer, der natürlich schon eine halbe Stunde lang mit dem Eisenbahnfieber des Kleinstädters ihrer geharrt hatte, sprang, zwei kleine billige Blumensträußchen in der Linken schwingend, leichtfüßig die Treppe hinunter ihnen entgegen, als sie aus dem Wagen stiegen, sondern da eilten auch noch von rechts und links zwei andre Herren auf sie zu, gleichfalls mit Blumensträußen, aber größeren Formates bewaffnet. Das war Pastor Werkmeister, der gestern früh den Junker Rudi auf der Straße abgepaßt und ihm die niederschmetternde Nachricht von der geplanten Flucht entlockt hatte und – Herr Krajesovich von Nemes-Pann, dem Lizzi selbst ein paar freundliche Abschiedszeilen geschrieben hatte.

Allgemeines Erstaunen, allgemeine Vorstellung und allgemeine Verlegenheit. Stille Wut Bubis, daß er der einzige sein mußte, der ohne Strauß erschienen war. Die Anwesenheit des Serben bedrückte den Pastor sichtlich, und die Anwesenheit des Pastors ärgerte den Serben. Bubis Augen blitzten Dolche gegen beide – denn bei dieser letzten traurigen Gelegenheit wenigstens hatte er sicher gehofft, der einzige zu sein. Lizzi selbst lächelte ein wenig dümmlich von einem zum andern und steckte ihre Nase fortwährend in die schönen Blumen, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Die arme Kathi konnte beim Anblick ihres still Geliebten, der natürlich nur für Lizzi Augen hatte, ihre Thränen kaum zurückhalten. Nur der Doktor Hartmann war in bester Laune. Er sprang davon wie ein Jüngling, um die Fahrkarten und das Gepäck zu besorgen, und als sie dann alle sechse auf dem Bahnsteig dem Wagen zuwandelten, da flüsterte er der Kathi vergnügt zu: »Großartig, was? Versammlung sämtlicher Liebhaber nebst obligater Blumenovation. Jöses, nein – gerade, wie wenn eine berühmte Künstlerin abreist.«

Lizzi genierte sich ein wenig vor Herrn von Krajesovich, weil sie dritter Klasse fuhren. Aber als sie erst glücklich ihren Platz gefunden, ihr Handgepäck verstaut und die Schaffner die Thüren zugeschlagen hatten, da faßte sie wieder Mut und begann sogar ein wenig den trübseligen Humor der Situation zu genießen. Sie beugte sich zum Fenster hinaus, wünschte dem Krajesovicherl alles Glück zu seinem nun nahe bevorstehenden Examen, lud den Pastor ein, sie doch einmal in Pyritz zu besuchen, und im letzten Augenblick hieß sie sogar den Bubi auf das Trittbrett klettern, um einen schwesterlichen Abschiedskuß in Empfang zu nehmen. Der arme Kerl schaute zwar furchtbar verkatert und nichts weniger denn appetitreizend aus, aber diese Genugthuung glaubte sie ihm doch schuldig zu sein.

Bubi streifte seine beiden Nebenbuhler nur so ganz obenhin mit einem Blick, aber in diesem Blick lag eine Welt von Stolz und Seligkeit – denn Gregor und der Pfarrer erhielten nur Händedrücke!

Und dann ertönte die Trillerpfeife des Zugführers. Die Maschine zog an. Da versetzte Lizzi der Kathi einen leichten Puff und flüsterte ihr zu: »Du, g'schwind, jetzt schau dir'n noch amal an.«

Und Kathi steckte gehorsam den Kopf zum Fenster hinaus und winkte mit feuchten Augen zurück. Dann drückte sie sich in ihre Ecke und that, als ob sie schlafen wollte.

Lizzi mußte doch noch einmal hinausgucken, und da flogen mit einem Ruck drei weiße Tücher aus den Taschen und wurden heftig geweht, solange der Zug in Sicht blieb.

So, das war nun also ausgestanden! Mit einem leichten Seufzer setzte sie sich wieder. Der gute Doktor tätschelte ihr väterlich die Hand. »Na, Herzweh, Lizzichen?« fragte er, freundlich lächelnd.

»O nein,« wehrte sie eifrig ab: »'s is mir nur a bißl, i weiß net recht wie – so fad.«

»Vielleicht eine Schinkenstulle gefällig? Als praktischer Mann habe ich auch daran gedacht. Was kann das schlechte Leben helfen!«

»Na, i dank' recht schön,« sagte Lizzi, und da gruben sich auch schon ihre weißen Zähne kräftig in das Butterbrot hinein. »Du, Kathi, magst net a was? Du hast a nix zum Kaffee 'gessen.«

»I kann net,« sagte Kathi ganz leise und deckte eine Hand über die Augen.

»Hmm, der Schinken is fei gut!«


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