Ernst von Wolzogen
Die Erbschleicherinnen. Band 1
Ernst von Wolzogen

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Zehntes Kapitel.

[Ein sehr ernsthaftes, im großen und ganzen auch ziemlich verschnupftes Kapitel.]

Fräulein Grönroos war schon auf, als die Durchgängerin am andern Morgen um halb neun erwachte. Die Wintersonne schien ins Zimmer und blendete Lizzi, so daß sie nur blinzelnd die Lider öffnete. Und da sah sie ihre Wirtin in einem sehr abgetragenen, dunkelroten Schlafrock, der einmal ein Prachtstück gewesen sein mochte, mit müdem, schleppendem Gang im Zimmer herumzuschleichen. Sie hielt eine Zigarette zwischen den Lippen und wischte mit einem alten, feinen Taschentuch den Staub von den Haufen von Malgeräten, Büchern und allerlei Weibertand, der Tisch und Stühle bedeckte. Sie wollte wohl für ihren Gast eine ausnahmsweise Sauberkeit herstellen – denn die schien für gewöhnlich nicht ihre Sache zu sein. Sie blies von Zeit zu Zeit eine Rauchwolke durch die Nase und schüttelte ihr Tüchlein aus dem Fenster.

Lizzi folgte ihren eckigen und doch nicht anmutlosen Bewegungen eine geraume Zeitlang, ohne noch zu wissen, ob sie wache oder träume. Es war ihr gar nicht klar, wo sie sich befinde und was das für eine schlanke, rote Gestalt sei, die dort auf lautlosen Sohlen einherhuschte. Allmählich erst ward sie sich bewußt, daß sie sich in einem fremden Bette befinde, in einem recht schlechten obendrein, schwitzend unter einem arg schweren Federsack. Da riß sie gewaltsam ihre Augen weit auf, richtete ihren Oberkörper in die Höhe und fragte ängstlich: »Ja, was is denn jetzt dees – wo bin i denn?«

»Na, ausgeschlafen, mein Fräulein?« rief Milka, sich rasch nach ihr umwendend. »Himmlischer Vater, wie sehen Sie denn aus? Mir scheint, Sie wissen gar nicht mehr, wie Sie hierhergekommen sind?« Und damit setzte sie sich zu ihr aufs Bett und fuhr ihr mit allen zehn Fingern durch die üppige Fülle ihres wüst und wirr um die Schultern hängenden Haares.

»Autsch!« quiekte Lizzi, »dees tut fei weh!«

»Hollah, haben wir etwa gar Haarweh von gestern abend?« lachte die Gastfreundin. »Ja, ja, Kindchen, wir hatten ein bißchen viel getrunken. Na, nur nicht gleich traurig, das tut ja nichts. Aber nun sputen Sie sich ein bißchen mit der Toilette, sonst überrascht uns Ihr Freund womöglich noch im tiefsten Negligé. Ich habe Ihnen schon frisch Wasser eingegossen und ein reines Handtuch habe ich sogar auch noch aufgetrieben. Sie müssen sich halt so behelfen. Besser hab' ich's nicht. A la guerre comme à la guerre. Warum laufen Sie auch Ihrer lieben Tante davon, haha!«

»Wo ist denn die Kathi?« sagte Lizzi kläglich und rieb sich mit den Fäusten die Augen.

»Die Kathi? Ist das Ihre Zofe? So was gibt's bei mir nicht.«

»Was denn, d' Kathi is doch mei Schwester. Hab i 's Ihnen denn net g'sagt?«

»Ah so, ja, ich erinnere mich. Das ist die Brave und Sie sind die Böse.«

Da fing auf einmal Lizzi furchtbar zu weinen an. So arg, daß sie der Bock stieß, wie man zu sagen pflegt. Fräulein Milka war ratlos, wie sie sie trösten sollte. Sie jammerte nur immer nach ihrer Kathi, und daß sie sie nun wohl nie wiedersehen würde, und daß sie überhaupt keinem der Ihrigen wieder unter die Augen treten könnte.

»Ach, Sie sind aber doch ein kleines Schaf!« rief die Grönroos schließlich ungeduldig. »Was ist denn so Schlimmes geschehen? Sie scheinen von gar nichts mehr zu wissen. Sie waren ein ganz klein bißchen bezecht; aber in allem Anstand, heißt das. Und Ihr Schatz – ja hören Sie, das ist ja der reine Tugendspiegel. Tüchtig abgeküßt habt ihr euch, aber sonst weiter gar nichts. Ich kann's beschwören, haha! Wollen Sie ihn denn mit der verweinten Augen empfangen, wenn er jetzt kommt?«

»Was, daher will er kommen?« rief Lizzi erschrocken. »Naa, naa, dees mag i net – i lauf davon!«

»Ach was, Unsinn. Sie können doch wirklich weiter gar nichts wie davonlaufen. Und wenn Sie einmal davongelaufen sind, dann machen Sie nichts wie dummes Zeug.« Sie hieß sie sehr energisch aufstehen und dann führte sie sie nach dem mehr als einfachen, eisernen Waschtisch, und als Lizzi mit verlegener Miene dastand und nach einem Schwamm suchte, tauchte sie die Hälfte des Handtuchs ins Wasser und fuhr ihr damit ohne weiteres ins Gesicht.

Diese tatkräftige Behandlung brachte das arme Kind endlich wieder so weit zu sich, daß es ohne weiteren Aufenthalt sich vollends abspülte und seine Kleider antat. Dann rief Fräulein Milka ihrer Wirtin, die nach einiger Zeit mit dem Kaffe erschien und einheizte. Eine abschreckend häßliche alte Hexe war das, diese Wirtin, und die dünne, schwarze Zichorienbrühe, die sie als Kaffee ausgab, vollkommen ihrer würdig. Sie machte sich unnötig viel im Zimmer zu tun, musterte Lizzi mit dreister Neugier und stellte im gemeinsten Berliner Dialekt Fragen an sie, die das gute Kind zum Glück nicht verstand.

Fräulein Milka wurde schließlich ungeduldig und rief: »Jetzt machen Sie aber, daß Sie hinauskommen, Frau Rösicke. Ich dulde nicht, daß Sie anständige Damen, die bei mir zu Besuch sind, in dieser Weise belästigen.«

»Sie dulden det nich?« echote die Frau, indem sie die Hände in die Hüften stemmte und ein schiefes Maul zog, »I, det wird ja immer besser! Herrjeeses nee! Riskieren Sie man jo keene Lippe. Sie sind m'r ieberhaupt noch zehn Mark vons letzte Monat schuldig. Mir wundert bloß, det ick Ihnen nicht schon längst gekindigt habe. So eene, wie Sie sin . . . daß man sich da ieberhaupt noch lange mit uffhält! Wie so 'ne Prinzessin hat se sich und dabei keen janzet Kleed uff 'm Leibe und keen Jroschen in de Tasche. Aber natierlich ejal die Näse hoch! Jawoll doch, ick jeh schon – aber Sie wer'n noch balde jehn, kann ick Ihnen sagen.«

Sie warf die Tür hinter sich zu, schimpfte noch eine ganze Weile draußen fort und machte ihrem Zorn weiterhin durch ein höchst überflüssiges Gepolter in der Küche Luft.

»So 'was müssen Sie Ihnen von der alten Hex g'fall'n lassen?« rief Lizzi ganz entrüstet, als die Alte hinaus war. Milka zuckte gleichmütig die Achseln und zündete sich eine neue Zigarette an. »Es ist einmal so«, sagte sie mit bitterem Lächeln. »Wenn man kein Geld hat, dann geht meistens auch die persönliche Würde zum Teufel. Besonders wenn man ein alleinstehendes Frauenzimmer ist.«

»Ja, aber hab'n denn Sie niemand und gar nix?«

»O, ich habe sogar noch Eltern und Muhmen und Basen, Sippen und Magen die schwere Menge. Aber die wollen nichts mehr von mir wissen. Mein Vater, der Herr Pastor, hat mich verstoßen und verflucht, weil ich die Schande über sein graues Haupt gebracht habe – wie's im bürgerlichen Trauerspiel bekanntlich heißt. Ich zeigte ja nicht einmal Reue, so verstockt war ich in meinem sündhaften Idealismus. Ich sage Ihnen, Kindchen, ich habe etwas erlebt! – Ich glaubte an den Mann wie an einen Gott. Er hatte das Feuer der Erkenntnis für mich aus den Himmel gestohlen, und ich wärmte mich daran. Ich kroch behaglich in der hellen Glut herum wie der Salamander im Märchen. Ich betete ihn an, meinen Prometheus, und lachte der ganzen Welt ins Gesicht. Er hat mir Millionen in den Schoß geworfen – an geistigen Schätzen. Und wie er alles verschwendet hatte, da war ich stärker als er. Und da sahen wir einander ohne Glorienschein. Jetzt gefiel es ihm nicht mehr, mit mir zu hungern und in elenden Dachkammern zu hausen. Es eröffneten sich ihm Aussichten für die Zukunft. Da ließ er mich sitzen und ging davon. – O ja – gewiß, es tut weh, so 'was! Aber schließlich: Kann es denn überhaupt anders sein? Die rasende Leidenschaft, die körperliche Entbehrung bei fortwährender geistiger Anstrengung hatten mich jämmerlich heruntergebracht. Ich bin ja auch jetzt nicht viel mehr als Haut und Knochen und ein loses Bündel Nerven. Aber damals war's noch viel schlimmer. Soll ein Mann sich eine glänzende Zukunft verderben, um sein Leben lang so ein welkes, ausgepreßtes Geschöpf mit sich herumzuschleppen, das in seiner elenden Liebesgier ihm nicht einmal seinen Schatten gönnt!? – – Ich bin darüber weggekommen. Ich bin ihm gar nicht mehr böse, o nein - dankbar bin ich ihm: Alles was da drin steckt, was mir Leib und Seele zusammenhält, wovon ich lebe, alles stammt ja von ihm!«

Sie schlug sich vor die Stirn und versank schweigend in wehmütige Erinnerungen. Dann zog sie ihre schwarzen Brauen finster zusammen und fuhr leiser und doch mit heftigem Nachdruck zu erzählen fort. »Und dann kam die Zeit der tiefsten Erniedrigung – aber dabei setzte ich wenigstes wieder Fett an! Und dann – das ist jetzt drei Jahre her – wurde ich großjährig und bekam ein kleines Kapital von viertausend Rubel ausbezahlt. Damals warf ich mich auf diese jämmerliche Kunst. Der Meister, der an mir etwas verdienen wollte, behauptete, ich hätte Talent. Sehen Sie das Zeug da. Glauben Sie nicht auch, daß der Mann gelogen hat? Darum will ich's eben jetzt mit der Bühne probieren. Aber die Stümperei ist mir verhaßt. Ich will an mir arbeiten, bis ich selbst weiß, was ich kann und solange meine paar Rubel noch reichen. Wenn die zu Ende sind, dann vogue la galère! So, Kindchen, da haben Sie meine Geschichte – nehmen Sie sich ein Beispiel dran, haha!«

Lizzi hatte mit offenem Munde zugehört und keinen Laut zu äußern gewagt. Wie erstarrt saß sie da, nur daß sie's von Zeit zu Zeit kalt überlief und sie schüttelte wie ein jäher Schreck. So also sah das Leben aus!

Das war das Schicksal eines Mädchens, das im stolzen Kraftgefühle seiner Jugend dem Zuge seines Herzens folgte? Im Anhören dieser traurigen Beichte fiel wie ein Blitz die Ahnung der wahnwitzigen Ungerechtigkeit der herrschenden Anschauung von Frauenehre in die Dämmerung ihrer Kinderträume hinein. Also entweder in sklavischer Demut sich ducken unter die Flügel der Glucke Familie, furchtsam jeder Aeußerung des freien Willens, ja selbst des eigenen Denkens aus dem Wege gehen, oder aber, wenn man es vorzog, sein Schicksal selbst zu bestimmen, von Hohn und Verachtung verfolgt, namenlosem Elend entgegengehen – das hieß Frauenlos! Niemals hatte sie von solchen Dingen gehört, niemals Bücher gelesen, die mit reinlicher Grausamkeit die Nachtseiten des Lebens schilderten, auch jetzt verstand sie nur halb, was alles von furchtbarem Herzeleid sich verbarg in diesem kurzen Lebensabriß – und doch fühlte sie schon die wuchtige Bedeutung dieser Stunde, die sie zum erstenmal an den Rand des großen Abgrunds geführt hatte, an dem Millionen ihr Leben lang dahintaumeln und in den aber Millionen hinabstürzen. Und wunderbar: in ihre Angst mischte sich ein Gefühl kindischen Stolzes – wie stand sie nun, mit ihrer frischen Erkenntnis, der ahnungslosen Schwester gegenüber? O, jetzt wußte sie viel mehr als Kathi! Die durfte jetzt überhaupt gar nicht mehr mitreden.

Vorläufig freilich wußte sie selbst nichts zu reden. Sie fühlte tief die unendliche Ueberlegenheit dieses unglücklichen Mädchens, und darum wagte sie nicht einmal, ihrem Mitgefühl Ausdruck zu geben. Sie reichte ihr nur stumm die Hand hin. Und Milka griff dankbar danach und lehnte ihre weiche Wange daran. – –

Es war etwa zehn Uhr, als Gregor eintrat, von der widerlichen Zimmervermieterin mit unterwürfigen Knicksen und einem Schwall anzüglicher Redensarten hereingeleitet.

Sobald die Alte hinaus war, drückte er Fräulein Grönroos die Hand, und dann öffnete er die Arme weit, seinem Liebchen entgegen. Aber Lizzi flog ihm nicht um den Hals, wie er es wohl erwartete, sondern streckte ihm nur errötend die Hand hin.

»Aber Lizzi!« rief er ein wenig befremdet, »so kalt heut? Hast du schlecht geschlafen?«

Sie erschrak über das »Du« und blickte verlegen auf.

»Nein, i dank schön, ich hab' schon ganz gut g'schlaf'n. Fräulein Grönroos war so freundlich und hat mi in ihr Bett legen lassen Sie selber hat am Kanapee g'schlaf'n. I hätt's ja g'wiß nett g'litten, wenn i net gestert abends so ganz matsch g'wes'n wär'. I muß mi wirklich schämen. Bitt schön, denk'n S' nur nix Unrecht's von mir, Herr Krajesovich.«

»Aber, was ist denn das! Soll ich vielleicht wieder gnädiges Fräulein sagen? O, da muß ich doch sehr bitten – meine kleine Lizzi!« Und damit nahm er sie ohne weiteres beim Kopf und strafte sie lachend mit einigen raschen Küssen ab.

Sie machte sich ängstlich von ihm los und wischte sich mit ihrem Tüchlein das Gesicht ab. Sein Schnurrbart war feucht gewesen.

Er schüttelte verwundert den Kopf und wollte sich neben sie auf das alte Sofa setzen; aber da rückte sie gleich so scheu fort, daß er es aufgab und sich ein wenig ärgerlich einen Stuhl herbeiholte. Bevor er sich setzte, ließ er seine lebhaften schwarzen Augen einen raschen Spaziergang durch das Zimmer machen. Die außerordentliche Dürftigkeit der Einrichtung, die Unbehaglichkeit und Unordnung schien ihn peinlich zu überraschen, die Bilder an den Wänden ihn geradezu zu erschrecken.

Milka sah ihm das an und scherzte: »Ja, lieber Doktor Faust: in dieser Armut welche Fülle, in diesem Kerker welche Seligkeit! können Sie hier nicht deklamieren wie in Gretchens Zimmer, und meine Pinseleien da an der Wand werden Ihnen auch nicht gerade sinnig, minnig vorkommen. Shocking, nicht wahr? Na, wir brauchen uns ja nichts vorzumachen: die Anatomie gehört bei mir so gut zum Handwerk, wie bei Ihnen. Das sind so meine Klassenextemporalien. Was sagen Sie dazu?«

»O, ich bin ja ganz Laie in diesen Dingen«, erwiderte er etwas verlegen, indem er, ohne näherzutreten, den Blick über die rahmenlos an der Wand hängenden Aktstudien in Kohle und Öl schweifen ließ. »Jedenfalls für eine Dame sehr kühn und . . . prüde sind Sie nicht!«

»Nein, das können Sie von mir nicht verlangen«, lachte Milka hart auf. »Das ist eine meiner vielen negativen Tugenden. Scheußlich brutal hingehauen, nicht wahr? Sagen Sie's nur geradeheraus. Das ist gar nicht einmal ein Tadel für uns moderne Kraftfanatiker – für ein bleichsüchtiges Malmädchen nun vollends nicht. Mein Professor hat mich sehr gelobt dafür. Uebrigens, Pardon: wollen Sie rauchen? Sie sind nicht schlecht – das ist der einzige Luxus, den ich mir gestatte.« Damit schob sie ihm eine Schachtel Zigaretten über den Tisch zu.

Er bediente sich, rauchte ein Paar Züge und lobte den Tabak. Dann trat eine etwas beängstigende Pause ein.

Während die Malerin noch über einen Vorwand nachsann, unter welchem sie das Liebespaar allein lassen konnte, ermannte sich Gregor soweit, um an Lizzi die Frage zu richten, was sie denn nun zu tun gedenke?

Lizzi seufzte tief auf. Sie biß sich auf die Lippen und richtete die von neuen Tränen verschleierten Augen in stummer Frage auf ihren Anbeter.

Milka kam ihr zu Hilfe und sprach: »Das Vernünftigste wäre, wir beide mieteten uns zusammen ein paar hübsche Zimmer und studierten fleißig darauf los; das heißt, wenn es Ihnen überhaupt noch ernst ist mit dem Gedanken, zur Bühne zu gehen. Mittel und Wege kenne ich schon. Zunächst würde ich Sie selbst in Behandlung nehmen, versuchen, Ihnen den Dialekt etwas abzugewöhnen und Ihnen ein paar Deklamationsstücke einstudieren, mit denen Sie sich vor irgend einem ordentlichen Lehrer hören lassen können. Aber da ist ein kleines Hindernis vorhanden! Wir haben alle beide kein Geld.«

Gregor machte ein langes Gesicht und ließ nachdenklich seinen Schnurrbart durch die Finger gleiten. Er merkte, daß das Fräulein ihn erwartungsvoll ansah, und so begann er denn etwas verlegen: »Ja, wissen Sie, wenn Sie allerdings kein Geld haben . . . hm – ich würde mir ja gern die Freiheit nehmen, den Damen anzubieten, aber . . . Ich stehe im Examen, wissen S', und so groß ist mein Wechsel auch nicht. Bitte, nehmen nicht übel, aber überhaupt die Idee mit der Bühne . . .« Er brach errötend ab und suchte Lizzis Blick. Und dann rückte er ihr näher und sagte: »Aber du wolltest doch versuchen, bei der Frau von – wie hieß sie doch?«

»Frau von Goldacker?« rief Lizzi, sich an die Stirn greifend. »Ja, gewiß, da möcht' i hin. Aber mei' Sach' is doch noch auf 'm Bahnhof, und wenn jetzt d' Frau Konsul von Hamburg telegraphiert hat – o mei', i weiß gar nimmer, was i anfangen soll. I möchte der Kathi a Brieferl schick'n, daß s' mit mir hingeht zu der Majorin und für mich a Wört'l einlegt – ich weiß net, i trau mi net, i schäm mi so, wenn s' mi fragt, wo i d' Nacht über g'wes'n bin. Was sag i denn da?«

»Sie sind nicht sehr höflich, Fräulein Mödlinger«, sagte Milka leise, indem sie den Mund zu einem schmerzlichen Lächeln verzog.

Erschrocken blickte das arme Kind zu ihr auf. Die Augen standen ihr ganz voll Tränen. Sie ergriff Milkas Hand und sagte traurig: »Ach, bitt schön, net bös sein: I weiß ja gar nimmer, was i red.«

»Da haben wir die Bescherung!« rief Fräulein Grönroos nervös, machte sich von Lizzi los und stand auf. »Mein Gott, Kind, wenn Ihr Mut so kurz von Atem ist, dann kehren Sie doch in Gottes Namen reumütig zu Ihrem Geheimrat zurück oder gehen Sie meinetwegen ins Kloster. Mir scheint, ich habe Sie überschätzt. Sie sind eben einfach ein hübsches Mädel, in das man sich verliebt, und weiter gar nichts.«

»Aber, mein Fräulein, ich muß doch bitten!« begehrte Gregor auf.

Milka, die eben nach dem Fenster hinschritt, drehte sich auf dem Absatz herum, trat dicht vor Gregor hin und zeigte ihm, verächtlich lächelnd, ihre kleinen Zähne.

»Ach, mein guter Herr,« sagte sie, die Schultern hochziehend und ihn fest anblickend, »bitte, sich nur nicht zu ereifern. Ich bin einmal so offenherzig. Sie sind ja ein gescheiter Mann und scheinen die Welt zu kennen: da werden Sie sich wohl selbst sagen können, daß ich unsre liebe Lizzi da ganz richtig taxiere. Also behandeln Sie sie auch danach. Richten Sie Ihre sogenannte Leidenschaft nach den Verhältnissen ein. Bis jetzt haben Sie sich recht gut benommen – das bißchen Küssen hat ja nichts auf sich. Aber von nun an seien Sie vorsichtig. Bedenken Sie, daß ihr beide vor einer Entscheidung steht. Sie wollen Ihr Examen machen und dann in Ihrer Heimat in alle die ganz fremden Verhältnisse zurückkehren, wo Ihnen ernsthafte Verpflichtungen gegen ein deutsches Mädel am Ende doch recht unangenehm werden könnten. Für eine letzte Studentenliebe haben Sie also den Gegenstand nicht gerade glücklich gewählt. – Na, und unsre Kleine da, die quält sich jetzt elend ab und zermartert ihr Herzchen und ihr Hirnchen, was mit ihr werden soll. Gestern hat sie noch ihr Jahrhundert in die Schranken gefordert und heute scheint sie mir schon bereit, in Sack und Asche Buße zu tun. Es ist ja möglich, daß ich mich täusche, daß sie doch den Teufel im Leibe hat – ich meine, das Zeug zu einer Künstlerin. Wenn das der Fall ist, na, dann wird sie schließlich auch mit Ihnen fertig. Wenn aber nicht, dann ist sie eine, die geheiratet werden will und muß. Haben Sie mich verstanden?«

»Vollkommen, mein gnädiges Fräulein«, sagte Gregor, sich vor ihr ironisch verbeugend. »Es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, daß Sie sich diese Mühe geben mit meiner Wenigkeit.«

»O, bitte, ist gern geschehen«, versetzte Milka leichthin. »Aber nun macht, daß ihr fortkommt. Es wäre übrigens nett von euch, wenn eins oder das andre mir mal Nachricht geben wollte, was weiter daraus geworden ist.« Sie holte Lizzis Mantel herbei und hielt ihn ihr ausgebreitet entgegen.

Auf diese energische Aufforderung hin konnte Lizzi natürlich nichts andres tun, als hineinschlüpfen und sich empfehlen. Sie wußte gar nicht mehr, was sie aus dem merkwürdigen Fräulein machen sollte. Hatte sie sie denn wirklich gar so sehr gekränkt? Sie fühlte sich ihr doch zu so großem Dank verpflichtet. Was hätte nicht alles passieren können, wenn sie ihr nicht gestern abend ihren Schutz hätte angedeihen lassen! Aber Angst hatte sie doch auch vor ihr, vor ihrer ironischen Ueberlegenheit, vor ihrem raschen, scharfen Urteil. Und so beeilte sie sich in ungeschickten Worten ihren Dank zu stammeln, um nur bald fortzukommen.

Milka küßte sie noch einmal zum Abschied und sagte mit einer verhaltenen Wärme im Ton, die Lizzi tief zu Herzen ging: »Es war vielleicht doch gut, daß Sie die erste Nacht Ihrer gefährlichen Freiheit bei mir zugebracht haben. Wenn Sie glücklich werden – was so die gebildeten Töchter höherer Stände glücklich sein zu nennen pflegen – dann löschen Sie mich aus wie eine fatale Erinnerung. Wenn es Ihnen aber so schlecht ergeht, wie es sich gehört für einen Menschen, der etwas Besonderes will, dann tun Sie sich einmal wieder nach Milka Grönroos um. Ich glaube, ich habe Talent zur Freundschaft mit den Elenden, die nicht geistig arm sind.«

Nachdem ihr auch Gregor ziemlich kühl und förmlich gedankt und Lebewohl gesagt hatte, schob sie die beiden zur Tür hinaus und begleitete sie bis zur Treppe, um ihnen die Zudringlichkeiten der Frau Rösicke zu ersparen, die, wie sie ganz richtig vermutet hatte, schon draußen auf der Lauer lag. –

Gregor führte sein Liebchen am Arm bis zum Alexanderplatz und fuhr von dort mit ihr auf der Stadtbahn nach dem Lehrter Bahnhof. Sie waren nicht allein im Kupee, aber auch, wenn sie es gewesen wären, würde doch schwerlich eine sehr zärtliche Unterhaltung in Gang gekommen sein, denn Lizzi hatte Angst vor dem hellen Tage und vor den Menschen, vor ihm und vor sich selber. Und ihm gingen Milkas Worte im Kopfe herum. Ja, wahrhaftig, sie hatte recht, diese verteufelt kluge Person! War's nicht wirklich eine unverantwortliche Dummheit von ihm, jetzt mitten im Examen mit diesem jungen Dinge anzubandeln, aus dem noch dazu gar nicht klug zu werden war? Er war ja doch kein frivoler Bösewicht, und als er sich in sie verliebte, war sein einziger Gedanke gewesen, dies süße, fröhliche Geschöpfchen zu seiner Frau zu machen. Wäre sie ihm heute morgen gleich stürmisch um den Hals Hals gefallen und hätte sich damit freudig zu der vollzogenen Tatsache von gestern abend bekannt, so hätte er sicherlich schon das entscheidende Wort gesprochen. So aber, mit ihrer kindischen Angst, mit ihren Tränen, kam sie ihm recht – ja, er konnte es nicht anders nennen – recht gewöhnlich vor. Eins von diesen deutschen Durchschnittsmädchen, die nur, wenn sie einen Schwips haben, witzig und temperamentvoll werden, sonst aber sentimentale Mollusken sind. So blieb denn die Schicksalsfrage ungetan.

Auf dem Postamt des Lehrter Bahnhofs fand Lizzi endlich eine Antwort von Hamburg. Sie lautete: »Mutter einige Tage verreist. Erbitte brieflich Näheres, da Sie mir unbekannt. Thormälen.«

Ratlos zeigte sie ihrem Gregor die Depesche. Und der drehte seinen Bart zwischen den Fingern und sagte: »Da siehst du – wenn wir uns gestern nit getroffen hätten! Zum Teufel hinein, das wäre schlechter Witz gewesen, wenn du mit ganzem Gepäck bei dem Herrn Thormälen abgestiegen wärst, der dich gar nicht kennt! Jetzt müssen wir doch wohl zur Frau von Goldacker, denn zu deiner Nihilistin wirst du wohl nicht wieder hin wollen.«

»Nihilistin?« fragte Lizzi ganz entsetzt.

»Aber ohne Zweifel hat sie doch ganz das Exterieur«, lachte Gregor. »Wenn Du mit der zusammenleben solltest, würde sie dich lehren, Sprengbomben fabrizieren.«

»Ah, geh zu, dees is net recht, so was z' sagen, wo's doch so gut zu mir g'wesen is.«

»Hui! nun ja, das mag sein wie will – jedenfalls ist diese Person kein Umgang für dich.«

Lizzi zuckte die Achseln und verzog schmollend den Mund. Nun wollte der sie auch schon gängeln und schulmeistern wie ein kleines Kind. Niemand schien ihr ein Recht auf Freiheit zugestehen zu wollen. Sie war eben nur »ein Mädel zum Verlieben«, wie die kluge Milka gesagt hatte. Das Wort brannte ihr auf der Seele wie ein frisches Schandmal. Aber es stachelte auch ihren eingeschlafenen Trotz wieder auf. O, sie sollten schon sehen, wie sie sich in ihr getäuscht hätten! Als ob sie nur dazu da wäre, in der Welt herumgestoßen und hin und wieder abgeküßt zu werden! O, sie wollte ihnen schon zeigen! – das heißt – augenblicklich freilich wußte sie gar nicht, was sie wollte.

Gregor löste ihr zurückgelassenes Gepäck aus und setzte sie in eine Droschke. Er gab dem Kutscher die Adresse der Majorin und bezahlte ihn im voraus. Dann schied das Liebespaar mit einem ziemlich kühlen Kuß und dem Versprechen, einander zu schreiben. – –

Frau von Goldacker wohnte hochparterre; aber dennoch hatte Lizzi, als sie bei ihr die Klingel zog, so starkes Herzklopfen, als sei sie mindestens vier Treppen hoch gestiegen. Der dumme Diener öffnete ihr die Tür und grinste sie freundlich an, da er sie wiedererkannte.

»Tut mir sehr leid, die gnädige Frau sind nicht zu Hause,«

»Nicht zu Hause?« echote Lizzi verzweifelt. »Ja aber, du mein Herrgott, i hab' doch mei ganz's Gepäck drunten im Wag'n. Wo soll i denn hin damit?« rief sie weinerlich und stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Is 's denn wirklich wahr, daß gar niemand z' Haus is?«

Der Diener lächelte dumm. »Der junge Herr is zu Hause. Wenn Fräulein den vielleicht sprechen wollen? Aber er darf nich aus de Stube. Er hat en furchtbaren Schnuppen.«

»Dees is m'r ganz egal«, sagte Lizzi mit zuckenden Lippen. »Sind S' nur so gut, und schaffen S' mei Sach 'rauf, und nachher möcht' i mit dem jungen Herrn sprechen.«

Der Diener zögerte noch einige Augenblicke, ehe er sich endlich entschloß, ihren Wunsch zu erfüllen und ihre Habseligkeiten aus der Droschke herauszuschaffen. Er setzte sie einstweilen in den Korridor und ließ dann Lizzi in das Prunkgemach eintreten.

Das war heute ebenso kalt und ebenso verstaubt wie am letzten Sonntag, und die großen Kirchenengel hatten immer noch keine angemessene Beschäftigung gefunden. Lizzi hatte nicht den Mut, sich einer der zahlreichen Sitzgelegenheiten zu bedienen, denn sie mochte nicht Gefahr laufen, ihren Eintritt in dies Haus mit einem Einbruch zu feiern. Sie fürchtete die böse Vorbedeutung. Unruhig schritt sie durch den weiten Raum, bald zum Fenster hinausschauend, bald die Altertümer betrachtend. Ihr war ungefähr zumute wie im Vorzimmer eines Zahnarztes, wenn man noch zweifelhaft ist, ob das Urteil des Schrecklichen auf Plombieren oder Extrahieren lauten wird. Herrgott! Wenn die Majorin nun nichts von ihr wissen wollte! Dann blieb ihr ja nichts übrig, als sich entweder der Tante Ida oder dem bösen Gregor auf Gnade und Ungnade zu ergeben.

Es klopfte leise an der Tür zum Nebenzimmer.

»Herein!« rief Lizzi laut.

Aber es folgte niemand ihrer freundlichen Aufforderung. Dagegen versuchte eine jammervoll heisere und nasal obstruierte Stimme sich hinter jener Tür verständlich zu machen, was ihr jedoch nicht gelang. Daraufhin hielt es Lizzi für erlaubt, die Tür zu öffnen.

Sie trat in das kleine Boudoir der Majorin und sah sich dem Sohne des Hauses, dem Stolz der Mutter, dem Erben aller ihrer Reich- und Altertümer, dem einzigen Bubi, dem süßen Rudi gegenüber. Er sah wieder einmal bezaubernd aus – ja, noch schöner als das erstemal! Seine Füße steckten in Filzparisern, seine langen Beine in zu kurz gewordenen grauen Hosen, sein Oberkörper in einer abgetragenen Lodenjoppe. Um den Hals trug er einen wollenen Schal gewickelt. Um die bleichen Wangen, von denen die linke arg geschwollen war, ein ehemals weißseidenes Tüchlein, das auf dem Scheitel seines edlen Langschädels verknotet war und zwei ansehnliche Oehrlein oder Hörnlein bildete. Seine unglückliche Nase war rot und geschwollen, und seine hellblauen Aeuglein standen ihm voll Wasser. Aus den Ohrwascheln schauten die Enden zweier Wattepfröpfe hervor.

Der Unglückliche führte eine tadellose Verbeugung aus und sagte – oder vielmehr er deutete an, was er sagen wollte, denn der Ton, welcher von der geschwollenen Backe zurückprallte und in der verstopften Nase keine Resonanz fand, gelangte in einem Zustand an die Außenwelt, der kaum etwas Menschliches mehr an sich hatte. »Gnädiges Fräulein verzeihen, ich leide an heftigem Katarrh. Ich darf nicht aus dem geheizten Zimmer heraus.«

So wenigstens glaubte Lizzi zu verstehen. Unter einfacheren Verhältnissen hätte sie wohl mitleidlos die Komik dieses katarrhalischen Jünglings empfunden, da sie aber selbst in so ungewöhnlicher Verfassung war, nahm sie die seinige schlechtweg als gegeben hin und versetzte ganz ernsthaft: »O, bitt' schön, dees macht nix. Kommt denn Ihre Frau Mutter net bald heim?«

»Mama inspiziert die Volksküche. Aber wenn ich vielleicht mit etwas dienen kann . . .?«

»Nein, dank' schön, i hab' gar kein' Hunger. Wenn nur d' Frau Mutter recht bald kommen möcht', daß i wüßt', ob i bleiben derf.«

»Dableiben – hier– bei uns? Ach, das wär' ja – ha–hatschi! – P–Pardon, das wär' reizend!«

»G'sundheit! Was haben S' g'sagt?«

»Das wär' reizend«, widerholte er, mühsam nach Luft schnappend und seine verquollenen Aeuglein gewaltsam aufreißend, um ihr einen süßen Blick zu spenden.

»I bin nämlich durchbrennt, daß Sie's nur wissen«, erklärte Lizzi und schüttelte in ihrem Eifer den süßen Bubi am Arm. Er starrte sie halb ungläubig, halb bewundernd an, während er den geröteten Endknollen seiner Nase in dem feuchten Taschentuch verbarg, und stöhnte: »Durchgebrannt? O, das ist aber großartig, reizend, p–pardon – ha– hatschi! – Das kommt nämlich davon, weil ich neulich so lange in den verfluchten Trikots herumgelaufen bin.«

»Je, Sie armer Tropf, Sie haben aber an Katarrh derwischt! – Sagen S', glauben S' denn, daß mi d' Frau Mutter dab'hält? Können S' mi denn überhaupt unterbring'n? Habt S' denn so 'was wie a Bett für mich?«

»O, Fräulein Mödlinger«, röchelte der unglückliche Rudi begeistert. »Für Sie würde ich freudig mein eigenes Bett hergeben, und wenn ich in der Hundehütte schlafen müßte! O, Mama muß Sie aufnehmen! Ich werde sie zwingen, wenn sie nicht will.«

Lizzi war so gerührt durch des guten Jungen verschnupften Enthusiasmus, daß sie auf einmal zu weinen anfing. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und schluchzte: »Sie sind sehr gut, Herr von Goldacker – die wahren Freund' find't m'r doch immer erst im Unglück. Sie wissen gar net, wie wohl Sie mir tun. Ach, Sie kennen das Leben nicht! Das Leben ist sehr grausam, besonders gegen ein alleinstehendes junges Mädchen. Sie als Mann können das gar nicht nachempfinden.«

»O doch!« flüsterte Rudi, die dürftigen Augenbrauen wichtig emporziehend, und gab den leichten Druck ihrer Hand warm zurück. »Verlassen Sie sich auf mich, ich werde Ihnen beistehen, und wenn die ganze Welt . . . ha – hatschi! – Ohhh – dieser gräßliche Schnupfen!«

»Ich will nämlich zur Bühne gehen«, fuhr Lizzi fort, nachdem sie dem Freunde Zeit gegönnt hatte, die unangenehmen Folgen des letzten Niesens zu beseitigen.

»Zur Bühne? O, das ist reizend!« stöhnte Rudi; »dann geh' ich auch zur Bühne. Mama sagt, ich wäre der geborene Romeo.«

»Ach ja, dann will ich die Julia studieren«, sagte Lizzi, ihre Tränen trocknend. Und sie reichte ihm aufs neue die Hand und drückte die seine warm zur Bekräftigung des löblichen Vorsatzes.

In diesem Augenblick trat die Majorin herein. Sie hatte sich, auf die alarmierende Meldung des Dieners hin, noch gar nicht einmal die Zeit genommen, Hut und Mantel abzulegen.

»Mein Gott, Kinder, was soll denn das bedeuten?« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Ihr beide in Tränen aufgelöst? Was ist denn um Gottes willen los? Ist am Ende der Onkel Riemschneider tot? Ich hab' schon in der Zeitung gelesen, daß ihn der Schlag getroffen hat. Und Sie, Lizzi, sind mit Sack und Pack hier eingerückt? Ja, sagen Sie bloß . . .«

Da schritt Rudi feierlich auf die Mutter zu und röchelte pathetisch:

»Mama, eine Unglückliche steht um Obdach flehend vor deiner Schwelle. Und wenn du mich nicht selbst aus dem Hause treiben willst, so . . . ha–hatschi!«

»Du wirst jetzt zunächst einmal augenblicklich zu Bett gehen und zum Schwitzen einnehmen, mein Sohn«, sagte die Majorin ungerührt und schob ihren Bubi energisch zur andern Tür hinaus.

Und als sie nach einer kleinen Weile zurückkehrte, da beichtete Lizzi alles haarklein – nur den Herrn Krajesovich von Nemes-Pann und was er mit der Geschichte zu tun hatte, ließ sie aus. Und die gute Frau von Goldacker war sehr ergriffen, nannte die Geheimrätin einen giftigen Drachen, schloß Lizzi an ihr Herz und versprach, für sie zu sorgen. –

Eine halbe Stunde später schon saß Lizzi am Schreibtisch der Majorin und schrieb ihren ersten Brief an Kathi. Der fing so an:

»Geliebtes Schwesterherz! Ein finster gähnender Abgrund liegt zwischen dem Gestern und dem Heute. Gestern war Deine Lizzi noch ein unwissendes Kind – heute – o Kathi, Du kennst das Leben nicht! Möchte der gütige Himmel es Dir ersparen« –

 

(Schluß im nächsten Bande.)

 


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