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Elftes Kapitel.

In den ersten Tagen des Wonnemonds war Mamsell Lottchen gänzlich unvermutet heimgekehrt. Es war nämlich in Greifswald die Mutter der Frau Tante plötzlich verstorben. Und dieser Trauerfall hatte allerlei Veränderungen im Hausstande im Gefolge, so daß Lotte Südekum, ohne beschwerlich zu fallen, nicht wohl länger sich verweilen durfte. Da sie mit der Nachricht nicht bis zum nächsten Posttage warten und auch sonst keines Boten habhaft werden konnte, so hatte sie die erste beste Fahrgelegenheit wahrgenommen und den Vater ohne vorherige Anzeige überrascht.

Erasmus Südekum forschte dem Ding auch nicht weiter nach, sonst hätte er leicht dahinter kommen können, daß weder der Hintritt der alten Frau Base, noch die wenige Veränderung, die solcher im Gefolge gehabt, als vielmehr ein Brieflein des Fritzen Jasmund sein Töchterlein zu solch eiligem Aufbruch vermocht habe. Er war selber nach so langer Herzensverlassenheit und vergrämter Einsamkeit so aus der Maßen froh, sein geliebtes einziges Kind wieder bei sich zu haben, daß ihm gar nichts Lieberes hätte passieren können, als jenes plötzliche Abscheiden der Frau Base in Greifswald. Den ganzen Tag ließ er sein Lottchen nicht aus den Händen und war recht wie ein Bräutigam um das liebe Kind bemüht. Seine Augen konnten sich nicht satt sehen an ihrer zierlichen Gestalt und ihrem lieben Antlitz. Ein wenig blaß fand er sie, aber das schob er auf die Stadtluft – und zu ihrer Blässe standen die dunklen Locken noch einmal so gut und gaben ihr ein gar vornehmes, durchaus apartes Ansehen. Und wie die großen, braunen Augen so weich und sehnsüchtig aus dem blassen Gesichtlein hervorleuchteten! Sie schimmerten feucht und tief wie zwei dunkle, spiegelnde Seen, darüber die schmalen schwarzen Brauen wie leichte Brückenbogen gespannt waren. Und aus den zarten Wangen trat das gerade, glatte Näslein fest und keck hervor, eigenwillig und sicher über das rosig schwellende Lippenpaar aufragend wie ein Turm, zur Wacht und Wehr wider die Kußräuber aufgebaut. Und auch das fein gerundete Kinn sprang fest gefügt hervor und half dazu, daß das zarte Köpfchen sich vor dreisten Leuten in Respekt setzte. In den Wangengrübchen aber saß der Schalk.

Ganz neu und seltsam schön bedünkte den Pfarrer sein Mädchen. Und er nahm es aufs neue hin wie ein Himmelsgeschenk, wie eine trostreiche Verheißung, daß seinen Leiden ein Ende gesetzt sei, und daß die Bosheit der Welt seinem häuslichen Glücke letztlich doch nichts anhaben könne. Das Lottchen mußte erzählen, wie es ihm ergangen war von Tag zu Tag, und von allen seinen kleinen Aventüren und Anfechtungen seitens der verliebten Mannsbilder und des eifersüchtigen Frauenzimmers. Und am Ende war Erasmus Südekum froh, daß sich ohngeachtet aller Visiten, Assembleen, Bällen und sonstigen Feten und Invitationen kein ernsthafter Freier eingestellt hatte; denn just in dieser schwersten Zeit seines Lebens seinen einzigen Herzenstrost hingeben zu müssen, das wäre über seine Kraft gegangen. Und dann erzählte er auch von allen seinen Sorgen, Ärgernissen und Leiden, die ihm während ihrer Abwesenheit das Dasein so arg vergällt hatten. Er berichtete auch alle sonstigen Puhlendorper Vorkommnisse und zuletzt die schlimme Lage, in die sich Förster Jasmunds Fritz verstrickt, indem er des Amtmanns Beate durch Weigerung eines Mäulchens beim Pfänderspiele schwer gekränkt und hinterher ihren Bruder Mathis ohne ersichtliche Ursache durch Faustschläge elendiglich zugerichtet habe. Darüber habe sich der Amtmann dermaßen entrüstet, daß er von dem Junker die Entfernung des gewalttätigen Burschen verlangt und Dero Gnaden sogar angesonnen habe, sein gegebenes Wort in Betreff der Nachfolge des jungen Jasmunds in der Försterei zurückzunehmen. Der Junker sei fuchsteufelswild gewesen und habe sich alles dessen, was der Amtmann von ihm begehrte, hoch und teuer verschworen, auch nicht davon abgelassen, als die Jungfer Beate unter Tränen bei ihm supplizieret habe, daß er Gnade vor Recht ergehen lassen möge. Und seither sei der Fritz aus der Gegend verschwunden, niemand wisse wohin.

Wiewohl nun Lotte Südekum ihren Vater von ganzem Herzen liebte und sein jammervoller Anblick, zusamt allen ausgestandenen Leiden und Ärgernissen ihr innigstes Mitleid erweckte, vermochte sie ihm doch nur mit einem Ohre zuzuhören und ohne eigene Teilnahme Bescheid zu geben; denn ihre Gedanken standen ganz allein darauf, baldmöglichst aus dem Hause zu schlüpfen und sich nach ihrem Liebsten umzutun. Den ganzen Freitag und auch den Sonnabend vormittag hatte sie, wie gesagt, der Pastor nicht eine Minute von seiner Seite gelassen; so sehr war er darauf erpicht, die Seligkeit ihrer Wiederkunft ganz auszukosten. Aber am Sonnabend nachmittag mußte er sie doch endlich sich selbst überlassen, da es die allerhöchste Zeit wurde, seine Predigt auszuarbeiten. Sobald sich also der Pfarrer nach der Mittagsmahlzeit in seine Studierstube zurückgezogen hatte, setzte das Jüngferlein seinen städtisch alamodischen Strohhut auf, der mit seinen veilchenfarbenen Bindebändern ihr Gesicht gar lieblich umrahmte, legte den leichten Seidenschal um die Schultern, schlang die Enden in einem lockeren Knoten über der Brust zusammen, hängte ihren Ridikül über den Arm, nahm den Sonnenknicker in die Hand und verfügte sich in diesem Aufzuge durch den Garten ins Freie.

Sie wußte einen Weg, auf dem man durch den Küchengarten in Krischan Barnekows Behausung dringen konnte, ohne die Dorfstraße zu berühren. Sie fand den Alten allein, auf seiner Schnitzbank sitzend, in eifriger Arbeit.

Krischan Barnekow hatte nicht sobald den holdseligen Besuch erkannt, als er mit einem drolligen Schnalzer sein steifes Bein über die Bank hob und sich vor der Mamsell in Positur stellte. »Ei süh, süh, mordemmafie! Wenn dat nich die Prinzessin beider Napel und Sizilien is, denn muß es Mamsell Pastorsch sein. Dunnerslag und Freitag, wat is sei vor'n schöines Fruentimmer worden! Zackerdiblö, nu weet ik ook eenen, de sik da woll die Oogen an utkieken schall! Nee, nee, nee, wat is et vor 'ne Welt! En jeden Pot möt sin Deckel finnen – und de Prinzeß löpt achter den Räubershauptmann her! Wo is et einmal möglich!«

Lottchen haschte mit ihren beiden zarten Händchen nach der zerarbeiteten welken Tatze des Stellmachers und flüsterte in ängstlicher Hast: »Ach lieber, guter, einziger Meister Barnekow, führ Er mich nur unverweilt zu ihn: Ich meinte, ich müßte vergehen vor Ungeduld, daß ich nicht früher aus dem Hause konnte. Er weiß doch, wo er sich aufhält. Führ Er mich nur gleich zu ihm. Ich habe Ihm auch etwas mitgebracht.« Und sie versenkte alsbald die Hand in ihren Beutel und brachte ein kleines Päckchen in Papier zum Vorschein, aus dem sie zwei blanke Siegestaler herauswickelte und dem erstaunten Alten in die Hand drückte.

»Tjä, dor kiek eins an,« sagte der Alte verlegen, »wat schöine blanke Dalers! Und uns Majestät ehren Kopp so wohl getroffen! Tjä, Mamselling, wat schall ik dortau denken? Ik hew et doch nich von wegen dat Dusör dan. Et was mir doch en Vergnäugen, dat ik dor en bäten helpen kunt. Dat geiht doch all as de Wind weiht. Und wenn twee junge Minschenkinners dor mal ehren Kopp upsett hebben und de Leiw is all to groot – dunn helpt dat ja doch nich, dünn möten sei tosammen kamen! Ik bün en ollen Philosoph, as uns Pastor seggt – ik hew dor min Pläsier an, wann sich dat so deiht mit de Minschenkinners. Ik kann doch dor keen Geld vor in Anspruch nehmen!«

Er reichte ihr die blanken Silberstücke mit verschämtem Grinsen zurück, aber sie drängte sie ihm mit ungeduldigem Eifer wieder auf und hieß ihn, sich eilends für den bewußten Gang zurecht zu machen.

Da band er sein Schurzfell ab, verfügte sich in seine Kammer, verschloß daselbst die schönen Siegestaler in der Lade und erschien gleich darauf wieder in der Werkstatt in Hemdärmeln, aber mit festen Schuhen an den Füßen, einer Mütze auf dem Kopf und ein altes Futteral unter den Arm geklemmt. Vorsichtig schaute er sich rings um, dann schloß er die Vordertür zur Werkstatt ab und geleitete die Mamsell auf demselben Wege, auf dem sie gekommen war, durch den Küchengarten hinaus und über einsame Feldwege nach dem Forste zu. Wohl arbeiteten hie und da ein paar Leute auf den Ackern, aber sie gelangten doch unangesprochen an den Waldrand.

»Nu sag Er mir bloß, liebster Meister,« begann Lottchen, »wie ist denn das alles zugegangen und wo haust er denn itzt? O Gott, was habe ich einen Schreck gekriegt über sein Billett! Es stand nichts darin, als er seie vom Junker des Ortes verwiesen und vom Vater aus dem Hause gejagt. Es seie sein Tod, wenn er mich nicht noch einmal sehen könnte. Er wolle in der Nähe bleiben und auf meine Antwort harren. Er würde alsdann schon das weitere besorgen, Meister Barnekow. Da bin ich denn unverweilt abgereist und habe denen Verwandten vorgeflunkert, der Herr Vater seie leidend und meiner dringend bedürfend. Es stimmt ja auch, Gott sei's geklagt! – Aber nun sag Er mir nur schnell: verweilt er sich noch in der Nähe? Werde ich ihn heut noch sehen?«

Der Alte zuckte die Achseln und setzte eine geheimnisvolle Miene auf, während er ganz langsam sein Futteral aufband, seine Klarinette herausnahm und die Teile zusammenfügte.

»O Gott, Krischan,« rief das Jüngferlein außer sich, »ich glaube gar, Er will mir was blasen? Sieht Er denn nicht, wie ich um eine Antwort schier vergehe?«

»Sei Sie man ganz ruhig, Mamsell,« lachte der Alte. »Klarinettblasen is nich nur schöin, sondern auch sehr nützlich in gewisse Umstände und Verhältnisse, hehe! Nämlich dat verhält sich so: uns Fritz het sich mitten tief drin im Wald en oll Kohlbrennerhütt, wo all seit hunnert Jahr verfallen is, utsökt. Dor haust hei nu as so 'en richtigen Räubershauptmann, ganz alleen. Nich mal en Hund het hei bei sich. Un ik komm nu alle Dag, gliek nah Sonnenupgang, wenn noch keen Minsch buten is, und klarinettier' em sin Liefstück in den Wald rin; denn weit hei, dat de Lust rein is, un denn kömmt hei ganz fixing un denn kreegt hei von mi de Neuigkeiten to weiten, un wat tad Beste is, en bäten Atzung un Liewesnotdurft. Denn dat dürfen Sei em ook nich vor übel nehmen, Mamselling: von de Leiw alleen kann hei nich satt war'n.«

Dem erregten Jüngferlein traten alsbald die Augen voll Tränen. »O mein lieber, lieber Krischan,« sagte sie, dem Alten über den Arm streichelnd, »so hat Er meinen Fritz gefüttert, wie ehedem die Raben den Elias? Gott wird es Ihm lohnen! Nun blaset nur fix Euer Stücklein.«

»Ja, so fixing ward de Vagel woll nu nicht antworten,« sagte der Alte, »dat is nu Nahmiddag. Da verkraucht hei sich woll deep in'n Wald. Aberst wi können dat ja eins probieren.« Und er schritt ein Stück in die Kiefern hinein, blieb dann stehen, steckte den Klarinettenschnabel in den Mund und schmetterte mit kreischenden Tönen die Melodie von dem »Glücksjäger« in den Wald hinein, die auch Lotten als Fritzens Leiblied wohl bekannt war.

Es war ein Jäger wohlgemut,
Er trug 'ne Feder auf seinem Hut –
Heisassa hopsassa vi und vivallerallera!
Er trug 'ne Feder auf seinem Hut.

So ging der erste Vers. Sie hatte es von dem Fritzen schon gehört, als er noch ein ganz kleiner Junge gewesen war und sie noch kaum laufen konnte.

Das klang gar lustig in den Wald hinein, erweckte aber keinerlei Echo. Und so schritten sie denn, der Greis mit seinem knappen Odem und das junge Ding mit seinem vor Sehnsucht überlaut klopfenden Herzen, tiefer und tiefer in den dunklen Forst hinein. Von Zeit zu Zeit, besonders wo etwa eine Schneise den Weg kreuzte, entlockte der Alte seinem schlechten Instrumente die kläglich lustigen Töne. Aber es war alles vergebens.

In dem tiefen Sande vorwärts zu kommen, war nicht leicht, zumal wenn man niedere Bänderschuhe an den Füßen hatte wie Lottchen. Da sie der Sand unter den Sohlen gar zu sehr molestierte, band sie die Bänder auf und hängte sich die zierlichen Schühlein über den Arm. Aber auch auf Strümpfen ging es für ihre zärtliche Ungeduld viel zu langsam von der Stelle. Und wenn sie es auf dem festen Waldboden versuchte, so stachen sie die trocknen Nadeln in die Füße. Sie achtete des aber keineswegs und hatte auch kein Mitleid mit Krischan Barnekows fünfundsiebzig Jahren. Wenn er gar zu sehr außer Odem war und keinen Ton hervorbringen konnte, sang sie selber die Melodie mit ihrem schwachen Stimmchen, das sie denn freilich nicht weit in den Wald hinauszutragen vermochte.

So waren sie schon über eine Stunde gewatet, als es Lotten beikam, vom Wege ab und in eine Schneise einzubiegen, die auf eine mäßige Anhöhe hinaufführte. Da trieb sie den keuchenden Alten hinauf, und sobald er dessen nur fähig war, mußte er abermals den Glücksjäger erschallen lassen. Und wie sie nun scharf hinauslauschte, da war es ihr, als vernähme sie endlich ganz aus der Ferne eine Antwort.

»Blas Er, guter Krischan, blas Er, was Er kann,« rief sie, in ihrer Erregung sich fest an den Alten annestelnd. »O Gott, o Gott, wenn ich bloß wüßte, von wannen die Antwort kommt!«

Und Meister Barnekow gab seinen letzten Atem her und blies aus aller Macht:

Heisassa hopsassa vi und vivallerallera!
Er trug 'ne Feder auf seinem Hut.

Wieder und wieder lauschten sie in den Pausen, und bald schien die Antwort von rechts, bald von links herzukommen, bald war sie ganz unvernehmlich. Endlich aber erklang von unten herauf und aus ziemlicher Nähe ein deutliches: »Holla he!« und »Hurrido!« Und nur ein paar Sekunden später trat aus dem Dickicht heraus, erst vorsichtig ausspähend, eine hohe Gestalt in die Lichtung. Es war der Fritz. Und im selben Moment schoß Lottchen den Abhang hinunter wie ein losgelassenes Windspiel, Ridikül, Parasol und die Schühlein an den langen Bändern flogen ihr im raschen Lause um die Hüften und die veilchenblauen Hutbänder flatterten ihr über die Schultern. Der Alte auf dem Gipfel des Hügels blies wie ein Verrückter aus allen Leibeskräften: »Heisassa vidivallerallera!« und schloß mit einem gellenden Triller, als er das Jüngferlein an ihres Herzliebsten Halse hangen sah.

Er ließ den Liebesleuten eine reichliche Weile, bis er meinte, der erste Sturm könne nun wohl überstanden sein. Und dann verfügte er sich langsam den Hügel hinunter und zu dem Pärchen hin, das in seiner seligen Trunkenheit seiner nicht eher gewahr ward, als bis er den Glücksjäger mit der Klarinette sanft in die Seite stieß.

»He, junger Mann, hört eins! Kiekt mal den Himmel an. Dat schall woll heut noch ein Dunnerwetter geben. Dat hei mi die Prinzeß nich naß war'n läßt, dat bitt' ick mir aus, ansonst kreegt hei dat mit mi to daun! Nu schnakt euch man'n bäten fix aus, Kinnings. Ik will mir unterweilen wedder up den Weg verfügen. Dor kann ik ja denn täuwen, bis ihr dat dick hewt mit die Küsserei.«

»Ja, min leiwen Krischan,« lachte der Fritz übermütig, »dor kann hei lang täuwen! Nee, nee, sput di man, dat du ut den Forst rutkommst und zeig di im Dorf, dat de Lüt dor nix von spannen. Ich will mich schon annehmen um unsre Prinzeß, daß dero kein Leid geschicht. Mit dem Wetter hat's noch gute Weile. Ich bring' sie tiedlich an den Waldrand. Dor kannst di up verlaten, oll Krischan. Nu adjüs ook un veelen Dank!«

Der Alte sagte gar nichts, schaute nur bedenklich zum Himmel und drohte dann dem Jäger grinsend mit dem Finger. Die Mamsell hatte ihr Köpfchen an der Schulter des Liebsten versteckt und schaute den Alten gar nicht mehr an. Sie winkte ihm nur mit der Hand ein rasches Lebewohl zu. Da trollte er sich denn, leise vor sich hinlächelnd, davon. Und als er wieder oben auf dem Hügel angekommen war und sich ein wenig verschnauft hatte, setzte er sein Instrument an und intonierte eine andre schöne Melodei, die den Liebenden auch gar wohl bekannt war. Es war ein Liedchen von Gleim, das in des Kapellmeisters Farkies Komposition derzeit überaus beliebt war:

Rosen pflücken! Rosen blüh'n;
Morgen ist nicht heut;
Keine Stunde laßt entflieh'n,
Flüchtig ist die Zeit!

Trinke, küsse! Sieh, es ist
Heut Gelegenheit.
Weißt du, wo du morgen bist?
Flüchtig ist die Zeit.

Aufschub einer guten Tat
Hat schon oft gereut.
Hurtig leben ist mein Rat,
Flüchtig ist die Zeit.

Dann packte er sein Instrument wieder in den Beutel, winkte noch einmal mit der Mütze hinunter und verschwand auf der andern Seite des Hügels.

Und wie ihr alter Freund davon war, da nahm der Jäger seine Liebste um den Leib und führte sie tiefer und immer tiefer ins Holz hinein, bis sie endlich auf eine weite Lichtung hinaustraten. Da hörten die Kiefern auf, und es begann ein schöner, uralter Laubwald sich weithin zu erstrecken. Vom Saum des Waldes senkte sich das Gelände sanft abwärts, viel schöne Blumen blühten am grünen Rain, und unten im Talkessel spiegelten sich die Wolken in einem blanken, dunklen Weiher. Lotte Südekum war niemals in ihrem Leben so weit gekommen und hatte keine Ahnung, daß es diesen reizenden Grund und diesen alten Laubbestand im Puhlendorper Forste gebe.

Der Fritz belehrte sie, daß das auch nicht mehr Fersensches Gebiet sei, sondern vielmehr gräflicher Forst, zum Nachbargute gehörig. Er habe sich so weit hinweg gehoben, damit ihn sein Vater nicht im eignen Revier abfangen möge. Hier drüben auf fremdem Grund und Boden habe ihm der alte Bärbeiß nichts zu sagen. Und mit den gräflichen Jägern sei er gut Freund. Sie würden ihn so leicht nicht verraten, selbst wenn sie ihn in der alten Köhlerhütte beträfen, was aber bisher noch nicht vorgekommen sei.

Aber weil das Jüngferlein müde war vom langen Marsche durch den Sand und es überdies in dem langen Grase nicht mehr anging, auf Strümpfen zu laufen, so setzten sie sich beide auf die Blumenwiese nieder und saßen Hand in Hand und lachten sich an, gänzlich vergessend, wie kostbar ihre Zeit sei und wie viele wichtige Dinge sie noch miteinander zu bereden hätten.

Wie der grobe Bursch sein feines Schätzelein nun so in aller Muße und glückseliger Verwunderung betrachtete, da erschien es ihm so außermaßen fürnehm und schön geworden, daß er sich miteins gar nicht mehr getraute, es so rücksichtslos herumzuknudeln und zu hudeln. Wie es aber mit vielem Erröten und stillem Lachen seine Schuhe angezogen, und die Bänder schön kreuzweise gebunden und kunstgerecht geknüpft, und hernach seinen großen Strohhut abgetan hatte, damit die kühle Waldluft weich durch die dunklen Locken streifen sollte, da war es doch gar zu wunderlieblich anzuschauen. Es wäre eine Sünde gewesen, das schöne Bild so sitzen zu lassen. So rückte er ganz dicht heran und nahm das Lottchen in seine Arme und drückte und küßte es so lange, bis es so heiß war wie ein kleiner Liebesbackofen. Da bekam das Lottchen Angst und stieß mit aller Macht den Burschen von sich und beklagte sich unter Wonnetränen, daß seine Eisenarme ihm weh getan hätten. Dann machte es sich über sein Ridikül her, wühlte das feine Schnupftüchlein heraus und noch einen ganz kleinen Gegenstand, nämlich ein Pappschächtelchen, worin in einem Flöckchen rosa Watte ein Ringelein gebettet lag. Das holte es mit allem gebührenden Ernst heraus und steckte es dem Fritzen an den Finger. Es waren zwei ineinander gewundene Schlänglein, und auf ihren Köpfen trugen sie je ein rotes und ein blaues Edelgestein. Aber das Augenmaß hatte Lottchen betrogen, denn der Ring war viel zu eng für den Goldfinger und wollte nur ganz knapp über den kleinen gehen.

Dem Jägerburschen dünkte diese artige Liebesgabe ein fürstliches Geschenk, und er ward nicht müde, das Ringlein an seinem Finger zu drehen und die Steinchen funkeln zu lassen. »O Gott, ich armes Tier,« sagte er betrübt, »ich habe nun gar nichts vor dir. Aber warte nur, wenn ich erst in Eberswalde bin, spare ich zu einer Verehrung. Und bis dein Geburtstag herankommt, bringe ich's auch wohl zu einem Ringelchen, wenn es auch nicht so kostbar ausfällt wie dieses hier. Ist das wohl auch ein Zauberring? Wenn man ihn drehet und wünschet sich was dabei, so muß sich das allsogleich erfüllen – ja? Ich tät nur immer eins wünschen tun: daß mein Feinsliebchen bei mir wäre.«

»Ja, mußt denn du nun wirklich fort nach Eberswalde,« fragte Lottchen kleinlaut, »gerade jetzt, wo ich wieder hier bin?«

»Ja, dat helpt nu nix,« seufzte er. »Ich kann doch nicht ewig wie so'n Strauchdieb und Bandit hier herumhausen und mich von oll Krischan füttern lassen. Ich muß doch nu zusehen, daß was aus mir wird und ich meine Nahrung allein verdiene. Bei dem Forstmeister in Eberswalde hat mir der Junker freie Station erwirkt. Und nach ein, zwei Jahren, wenn ich ausgelernt habe, denn kann ich wohl eine schöne Stellung kriegen. Und wenn es so weit is, und du bist mir noch gut, mein Lotting, denn friegen wi.«

»O Gott, o Gott,« rief Lotte, »so lang soll das noch dauern? Glaubst du denn, das könnte ich aushalten?«

»Nee, nee,« knirschte der Bursche in leidenschaftlichem Ingrimm, »dat schall de Deuwel uthollen!« Und er wälzte sich bäuchlings herum und raufte zwei große Büschel Gras aus, um seinem Jammer Luft zu machen.

Sie beugte sich über ihn und strich ihm beruhigend über das Haar. »O Fritzing, du Liebling, sei nicht so wild und verzweifelt. Ich will auch nie mehr so was sagen. Einmal muß die Zeit ja doch herumgehen. Du hast mich nu doch schon achtzehn Jahre; denn ich hab' dich schon immer lieb gehabt, wie ich noch so ein ganz, ganz lüttes Ding war. Wir werden uns ja doch immer im Traume sehen und immer aneinander denken. Und denn werden wir uns ja auch schreiben. Ach Gott, Fritzing, was war es einmal lieb von dir, daß du die ganzen Wochen über, solange ich weg war, zum Schulmeister gegangen bist und hast dich in der deutschen Schrift und Sprache perfektioniert.«

»Ja, und alle meine paar Groschens hab' ich dem Schulmeister vor seine Mühe gegeben,« versetzte der Fritz kläglich, »also daß nichts mehr übrig war zu einem Ringelken vor dir.«

»Vor dich mußt du sagen,« verbesserte sie ihn lächelnd.

Und Fritz darauf: »Ja, sühst du, das hab' ich nu vor mein schönes Geld! Nicht mal richtig sprechen kann ich – und will doch die feine Prinzessin friegen. Einen ganzen ausverschämten Kierl bin ich.«

»O laß man,« tröstete sie ihn, »du hast doch ein Merkliches profitieret. Und in Eberswalde beim Forstmeister wirst du mir vollends so gelahrt werden, daß dir die Pastorsch schier nicht mehr gut genug sein wird.«

»Mir graust allbereits vor dem Schreib- und Rechenwerk,« seufzte er. »Ach wat, schlagen wir's uns aus dem Sinn! Singen wir uns eins.« Und er setzte sich auf und intonierte sein Leiblied:

Es war ein Jäger wohlgemut,
Er trug 'ne Feder auf seinem Hut.
Heisassa hopsassa vi und vivallerallera!
Er trug 'ne Feder auf seinem Hut.

Die Feder war mit Gold beschlagen,
Es könnt' sie nicht ein jeder tragen.
Er ritt wohl durch das Tannenholz,
Begegnet ihm ein Jungfrau stolz.

Er nahm's bei ihrem roten Rock
Und schwang sie hinter sich auf sein Roß.
Heisassa hopsassa vi und vivallerallera!

Lotte hatte das Lied zwar oft von ihm gehört, wußte aber doch nicht alle Verse auswendig. Und da ließ sie ihn denn mit seinem rauhen Baß allein weiter singen und summte des weiteren nur die Melodie mit, während sie rings um sich her Hahnenfuß und Lichtnelken, Himmelsschlüssel und was sie sonst noch fand, abbrach und sich ein schönes, volles Kränzlein für ihr Haar zu winden begann.

Und der Jäger schaute ihr zu und sang weiter aus voller Brust:

Er ritt vor seiner Mutter Haus.
Frau Mutter schaut zum Fenster heraus.

»Willkommen, willkommen, mein Söhnelein,
Was bringst du denn für ein wildes Schwein?«

»Es ist fürwahr kein wildes Schwein,
Es ist die Herzallerliebste mein.«

»Ist es die Herzallerliebste dein.
So soll sie mir willkommen sein.«

Sie führte die Jungfrau hinter den Tisch
Und trug ihr Wildbret auf und Fisch.

Sie trug ihr auf eine Kanne mit Wein.
Die Jungfrau wollte nicht fröhlich sein.

»Ei, iß und trink, gehab dich wohl!
Es ist schon einer, der's zahlen soll.«

»Der's zahlen soll, und der bin ich!
Ich weiß kein'n schönern Schatz als dich.«

»Weißt du kein'n schönern Schatz als mich,
Weiß ich kein'n liebern Jäger als dich!«

Und dann wiederholte sie mit heller Stimme die letzte Strophe:

»Weißt du kein'n schönern Schatz als mich.
Weiß ich kein'n liebern Jäger als dich!«

Und beide zusammen jubilierten sie aus voller Brust:

»Heisassa hopsassa vi und vivallerallera,
Kein'n liebern Jäger als dich!«

Wie dann das Kränzlein fertig war, da drückte sie sich's in die braunen Locken und sah nun erst gar wie ein Märchen aus. Und er legte das bekränzte Häuptlein an seine Schulter und konnte sich mit Schauen und Küssen nicht genug tun. Sie mußte es wohl leiden, obwohl seit nunmehr bereits zehn Tagen kein Schermesser über ihn gekommen war und seine Stoppeln sie erbärmlich stachen. Seine Arme hielten sie so fest, daß sie sich nicht rühren konnte.

Da tat sie auf einmal einen kleinen Schrei und rief: »Du, itzt laß mich aber los! Hast du es nicht auch verspürt? Mir ist justament ein großer Tropfen auf die Backe gepitscht. O Gott, guck bloß den Himmel an! Das gibt ein schlimmes Wetter. Und ich habe die guten Sachen an und die allerleichtesten Schuh! O Gott, Fritz, hör bloß, es donnert schon!«

»Laß es donnern,« versetzte er gleichmütig, »das ist ein Gewitterregen, der ist bald vorbei. Du trittst bei mir unter. Ich muß dir doch mein Schloß zeigen. Und danach bring' ich dich wieder auf den Weg, bis wo du dich nicht mehr verfehlen kannst. Kommst immer noch vor Nacht nach Hause, und dann hast du eine gute Entschuldigung fürs lange Wegbleiben, weilen du hast so lange untertreten müssen vor dem Regen. In der Kiefernheide ist allens Sand, da werden die Schühken nicht viel naß. Durchs Gras will ich dich wohl tragen, du leichte Deern.«

Da zuckte ein greller Blitz aus der finsteren Wolke zu ihren Häupten hervor. Und Lotte schloß geblendet die Augen und versteckte ihren Kopf an seiner Schulter. Er aber sprang auf, nahm sein Liebchen bei der Hand und führte sie eilenden Laufes ohne Weg und Steg in den Hochwald hinein. Das junge Grün der Wipfel gewährte im Freien zur Zeit noch wenig Schutz; aber die Tropfen fielen vorerst auch nur selten. Es währte jedoch nicht lange, da sprang mit Sausen, Brausen und Ächzen ein Sturmwind auf, der die finstere Wolke jäh zerriß, also daß sie einen gewaltigen Platzregen heruntergoß. Da machten sich die beiden Liebenden ans Laufen. Und es währte auch nur wenige Minuten, so hatten sie die Lichtung im Eichenkamp erreicht, wo die verfallene Köhlerhütte stand.

Es war nur ein einziger, finsterer Raum, aus dem ihnen eine dumpfe Luft entgegenschlug; denn weil die Fenster keine Scheiben mehr hatten und durch die gewaltigen Schäden im Dach des Wetters Unbill freien Eintritt fand, so hatte Fritz alle diese Öffnungen, so gut es ging, mit großen Rindenstücken und altem Bretterwerk verstopft und das Flickwerk auf dem Dach mit Steinen beschwert. Er machte sich alsbald daran, Feuer anzuschlagen. Und sobald es ihm gelungen war, mittels Schwamm und Schwefelfaden das trockene Reisig auf der gemauerten Herdstelle zum Brennen zu bringen, beleuchtete der Flackerschein alsbald ein so unheimliches Räuberloch, daß es Lotten fast grausen wollte. Aber sie war vor Angst ihrer Sinne kaum mächtig und nur froh, daß sie die Blitze nicht mehr sah.

»Ach Fritzing,« flehte sie ängstlich, »mach lieber kein Feuer an. Der Rauch zieht den Blitz an. Ich hab' ja solche Angst. Laß uns lieber im Finstern sitzen.«

»Bleib man ganz ruhig, min Leiw,« tröstete er, »der Blitz der schiert sich nicht um das büschen Rauch. Der findet hier schöne, hohe Bäume genug, wo er reinschlagen kann. Der tut uns nichts zuleide. Ach, du min söte Deern, wo bist du bloß naß!«

Drollig kläglich stand das Mamsellchen in dem verräucherten Gelaß, streckte die Arme von sich und sah bekümmert zu, wie das Wasser von ihren Ärmeln und von ihrem Parasol abtropfte. »Es ist nicht mal so schlimm,« sagte Lottchen tapfer. »Ich glaube, es ist bloß das Kleid. Bis auf die Haut ist es nicht mal gegangen. Aber das Kleid wird wohl hin sein. Und mich schuddert so.«

»I das wollen wir schon kriegen!« rief Fritz lustig. »Paß mal auf, was wir hier für ein schönes Feuer an pötten wollen! Da sollst du mir bald warm werden. Und die Kleider trocknen mir am Herd. Mach fix, zieh das nasse Zeug aus.«

»Ach Gott, Fritz, wie kann ich denn!«

»Ja, du bist nu mal 'ne richtige Räubersbraut,« neckte er, »da paßt sich das recht schön zu.«

Und er ließ nicht nach mit Bitten und Zureden, bis sie endlich wirklich so vernünftig sein mußte, ihn gewähren zu lassen. Da schälte er sie aus dem nassen, welken Sonntagsfähnchen heraus und breitete das Gewand über ein paar trockenen Ästen möglichst dicht am Herdfeuer aus, das unterweilen durch aufgelegte Schwarten, Scheiter und Klötze zu einem gewaltigen Brande gediehen war. Seinen nassen Rock breitete er in gleicher Weise auf der andern Seite gegen das Feuer aus. Und als das geschafft war, holte er aus einem Loch in der Lehmwand, ein morsches Brett beiseite schiebend, seinen Mundvorrat heraus: ein Brot und eine schöne Schlackwurst, auch eine Flasche Branntwein.

»Komm, mein Lotting, sett di dal, iß und trink! Das hält Leib und Seele zusammen.«

Sie stand immer noch in der Mitte des Raumes, zitternd und fröstelnd, obwohl das lustige Feuer eine behagliche Wärme verbreitete. Der rote Flackerschein tanzte auf dem zarten Weiß ihrer bloßen Schultern und Arme. Der frisch gestärkte Unterrock hatte durch die Feuchtigkeit seine Steifheit verloren und hing in großen Falten um sie herum, während oben das schneeige Hemd aus dem schwarzen Miederlein hervorleuchtete.

Mit seiner Wurst und seiner Branntweinflasche blieb Fritz ein paar Schritte vor ihr stehen und betrachtete mit großen Augen das liebliche, vom Flackerschein umspielte Bild.

Da krachte in nächster Nähe der Hütte ein so gewaltiger Schlag, daß sogar der Boden erzitterte und von dem Luftdruck der Rauch in den Schlot zurückgedrückt wurde, so daß er alsbald den ganzen Raum mit seinem beißenden Geruch erfüllte. Selbst der starke Bursch war erschrocken zusammengefahren vor solch gewaltigem Krachen und einen Schritt zurückgetaumelt, wie wenn er einen Schlag vor den Kopf bekommen hätte. Er stellte seinen Imbiß auf den Rand des Herdes, und dann kniete er neben sein Mädchen hin, das mit einem lauten Schrei zusammengebrochen war und nun, die Hände vor die Ohren gepreßt, kläglich wimmernd am Boden hockte.

»Lottchen, mein Lotting, fürchte dich nicht! Wir sind ja all heil. Wein doch man nicht! Nu hat es sich bald ausgetobt. Ich bin ja bei dir. Es kann dir nichts geschehen.«

Er hob sie vom Boden auf. Aber sie war nicht fähig, sich auf den Füßen zu halten. Schlaff hing ihm ihr Körper in den Armen, und ihr dunkles Köpfchen neigte sich wie eine welke Blume gegen seine Schulter. Da hob er die leichte Last auf und trug sie auf sein Räuberlager, das er sich auf einem großen Haufen welken Laubes und Kiefernstreu mittels einer warmen Pferdedecke und seines Wintermantels hergerichtet hatte. Er zog ihr die durchnäßten Schuhe und Strümpfe aus, erwärmte ihre Füße mit seinem Hauch, und dann deckte er den schweren Mantel über sie aus und steckte auch ihre nackten Arme darunter.

»So, mein Liebling, nu bist du schön warm. Nu kannst du das ganze dumme Donnerwetter verschlafen.«

Er hatte ihre Schuhe und Strümpfe in der Hand und wollte sich damit nach dem Herd begeben, um sie gleichfalls trocknen zu lassen, als sie ihn am Ärmel erwischte und flehentlich bat, er möchte nicht von ihrer Seite weichen. Das fast unaufhörliche Krachen und Rollen des Donners machte sie besinnungslos vor Angst. Sie klammerte sich fest an ihn und zog ihn auf das elende Lager nieder.

Da schmiegte er sich zärtlich an ihre Seite und flüsterte ihr zu: »Halt dir doch man nicht die Ohren zu, mein süßes, lüttes Weib! Hörst du denn nicht, wie das die Orgel ist, die uns zur Hochzeit aufspielt? Gotts Donner, das braust anders als uns' Kantor sein Kirchenspiel! Und das pfeift sogar noch lustiger als oll Krischans Klarinett. – Och, min Deern, min söte Deern – nu bist du min lütt Wief!«

Das Gewitter war lange vorüber, als Fritz sich aufmachte, um vor die Tür zu schauen. Der Abendhimmel spannte sich rein und klar über die hohen Wipfeln. Von allen Zweigen troff noch der fruchtbare Maientau. Köstlich duftig und frisch ging die Luft, aber kalt, denn die Sonne war schon untergegangen und die Riesenschatten der Dämmerung krochen schaurig durch die hohen Stämme. Der Fritz wendete sich wieder in die Hütte hinein und rief: »O du, jetzt wird es aber höchste Zeit! Sput dich, Lotting, kriech in deine Kluft! Trocken wird sie all sein. Jetzt führ ich dich heim durch den weiten Wald.«

Bis auf die Schuhe und Strümpfe waren ihre Sachen wirklich leidlich trocken geworden. Und nach ein paar Minuten bereits stand sie marschfertig bei ihm in der offenen Tür. So zierlich und geschniegelt wie sie ausgezogen war zu diesem Abenteuer, kehrte sie freilich nicht heim. Das schöne Sonntagsgewand hatte gänzlich seine Form verloren, desgleichen der neue Strohhut. Und die Veilchenfarbe der Bänder war nicht echt gewesen, wie sich nun an der gräulichen Verfärbung ersehen ließ. Und wie er fröhlich lachend ihren veränderten Aufzug musterte, da brach sie in Tränen aus und wandte sich schmollend ab. »Du sollst mich doch überhaupt nicht ansehen!« schluchzte sie hinter den vorgehaltenen Händen hervor.

»I mein Lotting,« lachte er, sie zärtlich um die Taille nehmend, »du wirst mir doch nicht greinen, lütte Räubersbraut? Unsinn! Nu ist ja allens gut. Nu fürcht' ich kein' Dod und kein Donnerwetter mehr. Nu muß uns das glücken. Paß man Achtung, was nu aus mi vor'n Kierl ward! Täuw en Momang! Ich nehm mein' Flint mit. Vielleicht, daß ich einen von des Junkers seinen numerierten Hasen vors Rohr kriege. Den verspeisen wir denn morgen zusammen. Und du bringst eine Buddel Wein zu mit.« Er trat noch einmal in die Hütte zurück und erschien gleich darauf wieder, die Flinte über die Achsel gehängt, das Pulverhorn an der Seite. »So, mein Lotting, nu man tau.« Er faßte sie um die Schultern und nötigte sie, mit ihm Schritt zu halten.

Und als sie wieder an jenen blumigen Talkessel mit dem Weiher im Grunde kamen, da ließ er sie los, legte seine beiden Hände vor den Mund wie einen Trompetensturz und schrie in die Waldesstille hinaus auf eine uralte, einfältige Melodie:

»Sag mir an, mein lieber Weidmann:
Wo hast du das schöne, hübsche Jungfräulein lassen stahn?«

Und dann in einem tieferen, raschen Ton:

»Ich habe sie gelassen zu Holz
Unter einem Baum stolz,
Unter einer grünen Buchen,
Da will ich sie suchen.
Wohlauf, eine Jungfrau in einem weißen Kleid,
Die wünschete mir heut alles Glück und alle Seligkeit.
Wohl in demselben Tauschlag,
Da sieh ich alle Zeit eben nach.
Da ward ich verwund't,
Da macht mich die schöne Jungfrau gesund.
Ich wünsch' dem Jäger Glück und Heil,
Daß ihm werd' ein guter Hirsch zu teil.

»Ach Fritz,« sagte Lottchen, als er sein tolles Gebrüll vollendet hatte, »wie magst du nur so lustig sein! Ich bin doch nun so elend und weiß nicht, was mit mir werden soll, wenn du von mir gehst.«

»Und ich bin justament lustig,« schrie der Fritz und schwenkte seinen Dreispitz über dem Kopf. »Was kann uns denn jetzo noch geschehen, mein' lütten Dummbart? Nu ist die schöne Prinzeß zu dem Untier in die schwarze Höhle gekommen und nu sind sie alle beide erlöst. Hopsassa, heirassa! Je, Kind, spürst du denn das nicht in alle Glieder, daß uns nu nichts mehr trennen kann? Was die Leute mit uns vorhaben, das ist doch nunmehro allens zum Lachen.«

Seine jungen Augen blitzten und seine Wangen glühten! Da legte sie die Hände wie betend ineinander und schaute lächelnd zu ihm empor. »Wenn du denn gar so stark und selig bist, mein Fritzing, denn will ich auch nicht mehr weinen. Denn wird es ja woll so gut sein.« Und sie legte vertrauensvoll ihre Hand in die seine und ließ sich jene steile Schneise und dann noch ein gutes Stück auf dem Waldwege, den sie kannte, heimwärts führen.

Der Mond war bereits am blassen Abendhimmel aufgegangen, als sie aus dem nahen Puhlendorp die achte Stunde schlagen hörten. Da nahmen sie Abschied voneinander. Aber nur für heute, denn das war ausgemacht, daß er jetzt nicht abreisen, und sie ihm nicht auf Jahr und Tag Urlaub geben konnte. Auf eine Woche wenigstens noch wollten sie den schweren, endlichen Abschied hinausschieben und inzwischen noch, so oft es irgend anging, auf ihre wonnig-wilde Räubersart glücklich sein.

»Adjüs, mein Lotting,« sagte Fritz nach dem letzten Kusse. »Und nu helf dir der liebe Gott lügen! Ich erwarte dich morgen wieder an der Schneise, du brauchst ja nu keinen Krischan mehr zu. Wenn du man sachting fleutst, springt dein Glücksjäger fix aus dem Busch. Gut' Nacht!« Er verabschiedete sich mit einem raschen Händedruck. Dann kehrte er um und stiefelte mit großen Schritten durch den Sand zurück.


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