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Erstes Kapitel.

Erasmus Südekum, der Pfarrer von Puhlendorp in Vorpommern, kam vom Konfirmandenunterricht im Schulhause heim. Es war an einem der letzten Dezembertage des Jahres 1779. Und weil seit langen, trüben Wochen die liebe Sonne es heute um diese Mittagsstunde endlich einmal wieder gut meinte und mit hellem Glanze über dem gefrorenen Bodden und über der weißen Herrlichkeit von Wald und Aue funkelte, so machte der hochwürdige Pfarrer einen kleinen Umweg über den Gottesacker, der noch nach guter alter Sitte um die Kirche herum angelegt war und mit seinen alten Eibenbäumen und neuen Taxushecken und Trauereschen die hübscheste Partie des Dorfes, sowie die schicklichste Promenade für abendliche Ergötzung des Alters und anständige Verliebtheit der Jugend darbot.

Der Pastor hatte sich gut verwahrt gegen die Kälte. Um seine Schultern hing ein schwerer, gefütterter Radmantel aus grobem, dunkelblauem Tuch, dessen er sich auch zum Überlandfahren im Winter bediente. Zwei Paar Strümpfe, übereinander gezogen, hielten ihm die starken Beine bis über die Kniee warm, und das Haar, das er nie eingeflochten, sondern stets frei herabhängend und ungepudert zu tragen pflegte, hatte er in eine gestrickte wollene Zipfelhaube eingefangen, über die dann noch der große schwarze Kastorhut gestülpt war, also daß er am Schädel unmöglich frieren konnte. Zu allem Überfluß hatte ihm sein Lottchen auch noch den breiten wollenen Schal, den ihm die Gattin zum letzten Christfest gestrickt hatte, zwiefach um den Hals geschlungen.

Die war nun auch hinüber, sein altes gutes Lining! Da lag sie an ihrem Ehrenplatze in jener Abteilung des Friedhofs, die für die geistlichen und weltlichen hohen Amtspersonen und für die alteingesessenen Bauernfamilien der Jahnke, Peterke, Schmasow, Lüdeke reserviert war. Mit aller Liebe hatten sie ihr ihren letzten Ruheplatz schön hergerichtet, er und sein Lottchen, seine Einzige. Unmittelbar an der Taxushecke hatten sie das Grab aufwerfen und eine fast ausgewachsene Traueresche einsetzen lassen, die bereits im ersten Sommer mit dem Hellgrün ihrer losen Flatterzweige die graue Steinsäule mit der Aschenurne darauf anmutig umspielt hatte; alles ohne Ansehen der Kosten so recht alamodisch hergerichtet, wie es ihrem Stande gebührte. Die gute Line hätte gewiß gescholten in ihrer weichen, seufzerreichen Art über die unnütze Ausgabe, denn sie war die letzten Jahre ihres Lebens recht ängstlich geworden und hatte jeden böhmischen Groschen, der für Eitelkeiten ausgegeben wurde, für einen Raub am Heiratsgute des einzigen Lottchens gehalten.

Erasmus Südekum blieb nachdenklich am Grabe stehen. Wie ein frisch überzogenes, hochaufgerichtetes Federbett lag es in seiner fleckenlosen Schneedecke da und die strahlende Sonne spiegelte sich farbenfunkelnd in den Tauperlen, die von dem schmelzenden Schnee an den dünnen Schnuren der Eschenzweiglein langsam herabtropften. Es wurde ihm warm ums Herz an diesem Grabe. Er lockerte sich den dicken Schal am Halse und hakte auch den Mantelkragen auf. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus. Seine dicke alte Bibel mit den Messingbeschlägen, die er zum Konfirmandenunterricht mitgehabt hatte, faßte er fest zwischen seine beiden, in groben Fäustlingen steckenden Hände und nun stand er da im Sonnenglast und sinnierte über das letzte Bettlein seiner Lebensgefährtin so hin.

Vierzig Jahre war sie nur alt geworden. Eigentlich ein gar junges Weiblein, das sich mit seiner kleinen rundlichen Figur neben seiner mächtigen vierschrötigen Gestalt und neben seinen reichlichen fünfzig Jahren bis zuletzt gar kinderhaft ausgenommen hatte. Kinderhaft war auch ihr Sinn geblieben in allem, was nicht die liebe Notdurft des Tages in Küche, Hof und Kammer anging. Da hatte sie wacker geschaltet und gewaltet, nichts umkommen lassen und nach Möglichkeit klug verbessert und vermehrt; für alle andern Dinge dieser Welt aber hatte sie nur eines Kindes Gedanken und für die überweltlichen Fragen nur ein unmündiges Vertrauen in die Weisheit ihres Gatten besessen. Irgend eine fördernde Ansprache hatte Erasmus Südekum von seinem Weibe nie erfahren, wohl aber sich schier tagtäglich über ihre innere Leere und die Törichtheit ihres Wesens erbost, bis er sich dann in späteren Jahren, und seit des Lottchens Geist sich so vielversprechend zu entwickeln begonnen, mit dem Faktum abgefunden und sich angewöhnt hatte, das kleine, still herumschaffende Weiblein nur so als Hausgerät zu betrachten und wegen seiner Schwäche ihm mit Schonung zu begegnen. Nicht anders hielt es auch die alte Auguste Karsunken, die treffliche Köchin, die Karlinchen von ihren Eltern in den Ehestand mitgegeben worden war und die die junge Herrin bis an ihr Lebensende nicht anders denn als ihr Ziehkind betrachtete, mit dem sich ein bißchen Nachsicht wegen seiner Herzenseinfalt und lenksamen Gemütsart wohl empfahl. Als Erasmus Südekum vor zwanzig Jahren zum ersten und einzigen Male in seinem Leben nach Berlin gereist war, um bei seinen hohen geistlichen Behörden um Versetzung in eine bessere Pfarrei vorstellig zu werden, hatte er das anmutige junge Ding bei Verwandten kennen gelernt und ohne langes Zaudern zur Ehe begehrt und auch gleich mit heimgeführt, ehe er noch von seiner wesentlichen Beschaffenheit einen rechten Begriff gewonnen. Er hatte gemeint, als Berlinerin müsse sie an sich schon beweglichen Geistes sein und aus den turbulenten, bunten Zeitläufen, die sie gewissermaßen unter den Strahlenaugen des großen Königs Friedrich miterlebt, eine Fülle von Eindrücken ihrem jungen Sinn einverleibt haben, die ihr und ihm in dem einsamen Einerlei des Dorflebens als ein köstliches, zinstragendes Kapital zu gute kommen mußten. Da aber nichts von alledem eingetroffen war, so hatte er auch seine Eheunternehmung den Fehlgriffen seines Lebens zugeschrieben und allen Ernst seines Willens, alle warme Sehnsucht seines Herzens darauf vereinigt, aus seinem Lottchen einen ganzen, besonders liebwerten Menschen erwachsen zu sehen.

Merkwürdig, wie doch der Tod vereinigt! Im Leben war sie ihm nichts gewesen als die Strickerin seiner Strümpfe, die Besorgerin seines Hühnerhofes und die Gebärerin seines Lottchens – und nun sie da unter dem Hügel lag, empfand er doch mit Staunen eine große Lücke, eine schmerzliche Leere. Seine Pfarre dünkte ihm nicht mehr so warm und wohnlich wie vordem, trotzdem nun das Lottchen in seinem schwarzen Trauerkleide fast ebenso fleißig herumhantierte wie vordem das kleine dicke Lining. Und seine Verantwortung für die Zukunft des einzigen Kindes erschien ihm auf einmal gar schwer zu tragen, obwohl er vormals seine Frau nie um ihre Meinung über die Erziehung gefragt und seinen eigenen Willen auch in dieser Sache als etwas ganz Selbstverständliches durchgeführt hatte.

Von der Zeit war da keine Besserung zu erwarten, das sah er wohl ein, wie er so vor sich hinsann. Sein Lottchen war achtzehn Jahre alt. Und wie lange konnte es währen, da mußte er's hingeben an einen fremden Mann. Der Fritz Jasmund, des Försters Sohn, zeigte sich schon sehr beflissen um das muntere, hübsche Ding, und der Amtmann Karl Rasmussen unterließ nicht, bei jeder Gelegenheit darauf anzuspielen, wie gern er sie für seinen Mathis haben möchte. Da blieb für ihn nichts übrig als die Aussicht, bis an sein gottseliges Ende in der Puhlendorper Pfarre auszuharren, sich mit den eigensinnigen, großprotzigen Bauern herumzuzanken, den stumpfsinnigen Boddenfischern die Rechtfertigung durch den Glauben zu predigen und, wenn es ihm gar gelang, die alte Karsunken zu überleben, für seine greisen Tage sich den Magen durch die derben Leckerbissen einer Bauernköchin ruinieren zu lassen. Wie sollten seine Vorgesetzten darauf geraten, ihn nach etlichen zwanzig Jahren in eine bessere Stelle zu berufen, etwa gar in eine größere Stadt mit lebendigem Geistesleben? An so ein verbauertes, altes Leut denken die hochlöblichen Herren nicht mehr, zumal da es ihm an einer tätigen Vetternschaft am Sitze des hohen Konsistoriums fehlte. Ach nein, sein Lebenskarren hatte einmal in den Feldweg eingelenkt, und da blieb er nun im Sande stecken. Ein Zurückfinden auf die chauffierte Hauptstraße war da wohl ausgeschlossen. Also weiter im müden Schleppschritt jahraus jahrein und das dicke Bibelbuch krampfhaft mit beiden Händen umklammert, als Schirm und Waffe gegen alle die fest eingewurzelte Dummheit und närrische Überhebung dieser unterschiedlichen Seelen, zu deren Hirten er bestellt war.

Bis dahin war Erasmus Südekum in seinen leidigen Grübeleien gekommen, also daß der lachenden Wintersonne zum Trotz ein bitterer Zorn seine Seele erfüllte. Wie er sich aber endlich zum Weiterschreiten wenden wollte, da sprang plötzlich fünf Schritt vor ihm ein Hase hinter einem Grabhügel auf, wartete auf seinen Hinterläufen auf, richtete die Löffel empor und äugte mit seinen großen, dunklen Lichtern das ungeheure schwarze Menschenbild in dieser weißen Einsamkeit erschrocken an.

»Ei du!« stieß der Pfarrer zwischen den fest aufeinander gebissenen Zähnen hervor. Und dann schwang er ganz ohne jegliche Überlegung, einzig dem dunklen Jagdtriebe folgend, der den Hund hinter der Katze herjagt, das Bibelbuch hoch über seinem Haupte und schleuderte es mit aller Wucht dem armen Häslein wider den Kopf. Da lag es und rührte sich nicht mehr.

Und der Pastor trat eilig herzu, ergriff seine Beute bei den langen Ohren, hob sie triumphierend in die Höhe und sagte ganz laut und fröhlich: »Ei sieh, ein Meisterschuß! Häseken, Häseken, du sollst mir wohl munden!«

Das Wort Gottes, womit er den armen Lampen zur Strecke gebracht, klammerte er unter den rechten Arm und, mit der Linken seine Beute schwenkend, eilte er mit großen Schritten der alten Pfarrei zu, die am andern Ende des Kirchhofs nur gerade über die Dorfstraße hinüber gelegen war. Aber es trieben sich trotz der Mittagsstunde noch ein paar Kinder herum. Denen hielt er lustig seinen Hasen entgegen und rief: »Ja nu kiekt mal an, Kinnings, wat jü for'n aparten Pastohr hewt: he scheet mit de Bibel akrat so gaud as den Herr Förster mit de Büß.«

Die Kinder sagten in ihrer blöden Verwunderung kein Wort, aber sie liefen ihm neugierig bis ans Gartentor der Pfarre nach. Und der Herr Pastor stürmte geradeswegs der Küche zu und machte sich einen rechten Jungenspaß daraus, die alte Karsunken zu erschrecken, indem er ihr seinen Hasen unversehens unter die Nase rieb.

»Ja, nu kreischen Sie man, Karsunken; so was ist auch noch nicht dagewesen. Da haben Sie ganz recht. Mit der Bibel habe ich das Tierchen totgeschmissen. Am Grabe unsrer Seligen. Am Ende ist es auch nur betäubt, denn ich sehe keine Wunde. Machen Sie ihm nur schnell den Garaus, daß er nicht erst zum Bewußtsein seiner Lage erwache, der arme Wicht! Was, Alte, wer hätte das gedacht, daß wir noch zu einem so leckeren und billigen Neujahrsbraten kommen würden! – Wo steckt denn das Lottchen, daß ich ihm flugs meinen Dusel verkündigen kann. Herrgott, das Mädchen wird seinen Spaß haben an Vaddings Jagdglück!«

Und aufgeregt trollte er sich wieder zur Küche hinaus.

In dem weiten Vorplatz hängte er die Überkleider an den Riegel, fuhr sich durch das üppige, nur erst leicht ergraute Haupthaar, und dann rief er, daß es laut durch das Haus schallte, nach seinem Lottchen.

Da öffnete sich zur Linken die Wohnstubentür, und das Mädchen steckte seinen Kopf heraus. »I, was lärmt denn der Herr Vater gar so beträchtlich,« sagte Lottchen. »Ein halbes Stündchen muß Er schon noch auf das Mittagessen warten. Das alte Kuhfleisch will nicht gar werden. – So komm Er doch herein, Vadding, die Stube kühlt ja aus.«

Breitbeinig, die Hände auf dem Rücken gefaltet, stellte sich der geistliche Herr vor das Töchterchen hin und sprach: »Jetzt rate Sie einmal, Mamsell, was ich Ihr mitgebracht habe.«

»Aus der Pasterstunde? Wird was Rechtes sein.«

»Ist auch was Rechtes. Was Gutes zu schnabulieren.« Damit trat der Pfarrer ins warme Wohnzimmer, umfing sein Mädchen und streichelte ihm zärtlich den dunklen Lockenkopf.

»Haben sie etwa irgendwo geschlachtet und es hat Ihm ein Jung eine Wurst verehrt?«

»Weit was Besseres. Aus der Kinderlehre hab' ich's auch just nicht mitgebracht. – Also – ein Wildbret ist's, ein rares. Nämlich wie ich es ergattert habe, das ist das Rare dabei.«

»Ein Wildbret?« wiederholte Lottchen und wurde sonderbarerweise ganz rot dabei. Sie machte sich aus des Vaters Umarmung los und verfügte sich an ihr Nähtischchen. Wie sie ihm so den Rücken zukehrte, fragte sie weiter: »Hat Ihm wohl der junge Jasmund eine Verehrung gemacht?«

»Auch das nicht,« lachte der Vater. »Das hätte ihm der alte Isegrim auch wohl schwerlich verstattet. Ich meine, der hat jedes Stück in seines Herrn Jagdrevier numeriert, petschiert und katalogisiert und wacht wie ein Argus darüber, daß kein Stück in eine bürgerliche Küche gerate. – Na, ich will dich nicht länger auf die Folter spannen, Kind. Ich habe höchstselbst ein Häschen erlegt und zum Neujahrsbraten in die Küche geliefert.«

»Er, Vater?« Lottchen blickte äußerst erstaunt zu ihm auf. »Ja kann Er denn mit Schießgewehr umgehen? Wo hat Er denn eins hergenommen?«

»Mit geistlicher Waffe habe ich ihn zur Strecke gebracht. Ja, ja, kuck Sie nur, Mamsellchen. Die heilige Schrift habe ich ihm an den Kopf geschmissen und da hat er dran glauben müssen.« Der Pfarrer lachte dröhnend und warf sich in seinen Großvaterstuhl, sich an dem Staunen der Tochter werdend. Dann erzählte er ihr sein Jagdabenteuer mit allen Einzelheiten und schloß also: »Es ist nur gut, daß sich mir just der Hase in den Weg stellte, sonst hätte heute leicht ein Menschenkind das Wort Gottes verspüren müssen. Meine Seele war so geladen voll Zorn, daß sie sich in einer Gewalttat Luft machen mußte. Nun ist mir aber wieder wohl und ihr habt nichts mehr von mir zu befürchten.«

Lottchen nahm ihre Näharbeit wieder auf. Gegen das helle Fenster, durch das die Sonne voll hereinschien, hob sich ihre schwarze Silhouette gar anmutig ab. Sie trug noch Trauerkleider, da sich der Tod der Mutter erst in etlichen Wochen jährte und auch ihr feines, zartes Köpfchen mit dem dunkelbraunen Lockenschmuck wirkte durch den Gegensatz auf der Schattenseite fast schwarz. Und wie sie so saß und stichelte, sprach sie ohne aufzusehen: »Darf man fragen, was Ihn so mit Zorn erfüllt hat, Vater?«

Der Pfarrer strich sich über die hohe Stirn, dachte ein Weilchen nach und dann sagte er: »Ja siehst du, Kind, es sind mir an Muttings Grab so allerlei Gedanken gekommen, was mein Schicksal werden wird, wenn ich dich einmal aus dem Hause und aus dem Ort hinausgeben muß.«

Lottchen sah erschrocken auf. »Mich hinausgeben? Aber Vater, darum mach Er sich doch keine Sorge. Mich verlangt ja gar nicht hinaus. Und zudem hat's auch noch gute Weile. Es braucht ja auch nicht aus dem Ort hinaus zu sein.«

»Doch, Lottchen, doch,« seufzte er bekümmert. »Ich weiß wohl, der Amtmann hat Absichten auf dich für seinen Mathis. Die Rasmussens sind wohlhabende Leute und der Alte gedenkt seinem Ältesten demnächst ein Anwesen zu kaufen. Aber ich meine doch, zur Bäurin sei mein Kind nicht geschaffen.«

»Das meine ich auch,« versetzte Lottchen leise. »Die Rasmussens sind auch eine hochfahrende Art; ich mag sie nicht.«

»Ja, aber Kind, den du magst, der ist auch nicht für dich.«

»Wen meint Er, Vater?«

»Glaubst du, es wäre mir entgangen, daß du des Försters Fritz wohl leiden magst? Wenn du nicht willst, daß ich das merken soll, mein Döchting, so mußt du auch nicht rot werden, so oft von dem Jungen die Rede ist. Ich habe ja auch nichts wider den Fritz. Er ist ein tüchtiger Bursch, frisch und gesund und kein so verbohrter Rechthaber wie sein Herr Vater. Mag auch wohl sein, daß er einmal einen guten Förster abgibt und der Herr von Fersen ihn seinem Alten zum Nachfolger setzet, wenn der einmal das Zeitliche segnet. Aber zur Förstersfrau von Puhlendorp habe ich dich auch nicht erzogen. Was tust du mit deinem Französisch und all deinen feinen Künsten und Kenntnissen, so du dir bei der Madame Seifferthin erworben hast, wenn du am Ende gar den Fritzen heiratest? Der hat nicht mehr gelernt als unsre Fischer- und Bauernjungens auch und sein Horizont wird auch nicht weiter sein als das Fersensche Jagdrevier. Wenn er in die Jahre kommt, wird er wie alle Biederleute seinesgleichen ein derber Kerle werden, der nach Tobak riecht und flucht wie ein Korporal, so oft ihm die Laus über die Leber kriecht.«

»Ach nein, Vater, da kennt Er doch den Fritzen schlecht,« sagte Lottchen gekränkt. »Der hat ein so gutes, weiches Herz, daß er keine Kreatur quälen kann. Und sein Sinn ist auch gar nicht so beschränkt, wie Er meint. Er liest zuweilen gern ein gutes Buch und macht sich seine Gedanken darüber. Den Gellert und den Gleim habe ich ihm zu lesen gegeben, und er hat etliche Stücke daraus memorieret.«

Erasmus Südekum mußte lächeln. Er erhob sich, trat zu seinem Töchterchen und legte seine große Hand leicht auf ihre Schultern. »Ei wohl, mein Kindeken, das mag ja alles sein. Glaube auch nicht, daß ich dir den Umgang mißgönnte; Fritz Jasmund ist immerhin besser, als die jungen Frauenzimmer hier im Ort. Du bist in dem Alter, da des jungen Herzens Sehnen anhebt. Das will gute Worte hören und eine Treue für sich gewinnen. Das zieht mit seinen frischen Reizen auf die Jagd aus und freut sich über jeden Fang, den es tut. Der Jägerbursch ist dein Kindheitsgespiel und derzeit der Beste, den du am Ort zum Nothelfer finden kannst. Laß dich aber nicht hinreißen von deiner jungen Not. Mit achtzehn Jahren ist es noch nicht so schlimm damit. Laß es ein Spiel bleiben zwischen euch, eine gute Kameradschaft wie ehedem. Und wenn du gar schon ein weniges verliebt bist, dann gesteh mir's ehrlich ein, denn dann wird es für mich Zeit, Ernst zu machen. Ich habe daran gedacht, dich im Sommer oder vielleicht schon im Frühjahr zu den Verwandten auf Visite zu schicken. Nach Berlin oder nach Rostock, nach Greifswald oder nach Stettin. So hübsche liebe Jugend hat jeder gern im Hause. Und wenn dich erst junge Leute deines Standes so sehen ....

Ich meine, es kann schwerlich ausbleiben, daß sich einer findet, der auch dir wohlgefällt.«

Der Pfarrer hatte seine lange Rede über den Kopf des Mädchens hinweg mit dem Blick in den hellen Sonnenschein hinaus gehalten. Nun beugte er sich hinab und drehte mit beiden Händen Lottchens Kopf zu sich herum. »Ja Kind, was heißt denn das? Du hast ja die Augen naß!«

»Ach nein,« log sie verwirrt, »ich habe nur in die Sonne geguckt.« Sie zog hastig ihr Tüchlein hervor und tupfte sich die verräterischen Tropfen weg.

Der Vater war doch ein weniges erschrocken. Er machte, die Hände auf dem Rücken, einen Gang durch die niedere Stube und dann blieb er wieder vor dem Mädchen stehen und sagte voll herzlicher Vermahnung: »Sei nicht unklug, lieb Lottchen. Du weißt, ich bin kein harter Mann. Ich habe auch ein Verständnis dafür, was so einem Frauenzimmerchen nottut. Verschließe deine Gefühle nicht in Heimlichkeit. Komm zu deinem Vater damit und hab Vertrauen, daß du bei ihm guten Rat und rechte Hilfe findest. Willst du mir das versprechen?«

Sie legte ihr zerstochenes Nähhändchen in seine große Tatze und brachte mit Mühe ein deutliches »Ja« hervor.

Da steckte die alte Karsunken ihr würdiges Haupt zur Tür herein und rief: »Herr Paster, et is nu all so weit. Ik hab' mir lange jequält mit die olle Kuh. Nu wollen wer mal sehen, ob se zu beißen is. Un det Häseken hab' ich richtig abjeschlacht un aus't Fenster rausjehängt. Drei Dage Frost wird ihm jut tun. Ik weeß doch wie't jemacht wird. Bloß nich zu frisch die Hasen. Ne, ne, man jo nich! Un denn saure Sahne mang. An dem Bibelhasen sollen Se Ihre Freide erleben, Herr Paster, un Mamsell Lottchen ooch. Uf Ihre olle Karsunken können Se sich verlassen.«

Von solch gewichtigen Reden begleitet schritten der Hochwürdige und sein Töchterlein zur Mahlzeit ins Eßzimmer hinüber.


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