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Zehntes Kapitel.

Es war nun mittlerweile der wetterwendische April herangekommen, ohne daß sich in den Lebensumständen des Pfarrers von Puhlendorp etwas wesentlich zum Guten oder Schlimmen verändert hätte. Daß das Oberlandesgericht mit seiner Urteilsfindung rascher zu stande kommen sollte denn das Kreisgericht, war nicht zu erwarten, so daß also die Hoffnung auf einen Freispruch immer noch dem einsamen Kämpfer den Nacken stählen konnte und seinem Widersacher vorläufig noch das Viktoriaschießen verbot. Daß sich der gekränkte Junker, als welcher durchaus ein Voltairianer sein wollte, während des schwebenden Prozesses um seinen Pastor Loci nicht weiter kümmerte, war am Ende nicht verwunderlich, ebensowenig wie daß der Förster Jasmund, der alte Isegrim, dem Pastor auswich, wo er irgend konnte, und wenn er ihm ja einmal begegnete, kaum den Hut vor ihm rückte und mürrisch zur Seite schaute.

Amtmann Rasmussen hingegen befleißigte sich einer andern Politik, denn er wollte es einerseits mit dem Manne, dessen Tochter er gerne seinem Ältesten vergönnt hätte, nicht verderben, und anderseits auch seiner gnädigen Herrschaft wohlgefällig leben. Wo es also ohne Zeugen geschehen konnte, da redete er freundnachbarlich und achtungsvoll mit dem Pfarrer wie ehedem, als ob ihre Freundschaft nie über einen Hasen gestolpert wäre, ließ ihm auch durch seinen Mathis des öfteren die besten Komplimente vermelden; vor den Leuten aber hielt er sich kühl zurück und wahrte im Gruß und Bescheidgeben ängstlich die Formen der steifsten Courtoisie. Daß ihm das Lottchen Südekum zur Schwiegertochter so erwünscht war, kam daher, daß ein wohlhabendes Mädchen, dem sein Sohn gut genug gewesen wäre, in der weitesten Umgegend nicht vorhanden war. Und ein Fräulein zu erwischen, seie sie selbst eines gänzlich verarmten Edelmanns Tochter gewesen, war ausgeschlossen, weil dem Mathis die repräsentablen Manieren und das Ansehen einer amtlichen Stellung fehlten. Da es mit ganz wenigen Ausnahmen nicht einmal freie Bauern in Vorpommern gab, so konnte er nur Erbgutspächter werden. Und in solchem Stande wären für ihn nur bäuerische Töchter oder die besseren Dienstboten von einem Rittergute in Betracht gekommen. Da war es denn schon bei weitem besser, er freite ein armes Mädchen von gutem Stande, in deren Adern das Blut einer langen Reihe von Gelehrten und Geistlichen und mütterlicherseits von angesehenen städtischen Bürgern floß. Durch solche Verbindung war dem Rasmussenschen Geschlechte wenigstens für die fernere Zukunft ein glückliches Horoskop gestellt, indem sich zur feineren Lebensart befähigte Töchter und zum akademischen Studium und hohen Ehrenstellen geeignete Söhne daraus entwickeln konnten. Des Amtmann Rasmussens Hauptehrgeiz lief nämlich darauf hinaus, der Ahnherr zahlreicher Justiziarii, Physici und andrer Magister und Doktores zu werden.

Während nun solcher Art der geduldige Mathis mit väterlicher Billigung und Unterstützung in Abwesenheit der liebreizenden Braut den erwählten Schwiegervater zu umwerben nicht müde wurde, ging Jungfer Beate Rasmussen ohne Umwege auf das Ziel ihrer Wünsche los. Ihr war es völlig gleichgültig, welcherlei Leute Ahnfrau sie werden mochte, wenn sie nur möglichst rasch durch den ansehnlichsten jungen Burschen in der Runde aus ihrem jungfräulichen Stande hinausgeführt würde. Frau Försterin zu heißen war ihr gut genug, trotz ihrer französischen Konversation und der bei der Madame Seifferthin profitierten seinen Benehmigung. Das Haupthindernis, die Pastorsmamsell, war ja vorläufig aus dem Wege geräumt, und da galt es, die gute Zeit zu Rate zu halten. Daß Fritz Jasmund und Lotte Südekum eifrig miteinander korrespondierten, wußte sie freilich nicht.

Puhlendorp hatte nur einen Posttag in der Woche, und Försters Fritz fand daher reichlich Muße, seine Liebesbrieflein langsam, Wort für Wort, Silbe für Silbe zusammenzuschmieden. Es war das ein hartes Stück Arbeit für den jungen Mann, denn seine schwere Hand konnte das Federwerk nicht meistern, und mit der Rechtschreibung lebte er auf noch gespannterem Fuße, denn des Königs Majestät von Preußen selber. Das Schlimmste aber war, daß er eigentlich nicht einmal etwas zu sagen wußte in seinen Briefen, denn passieren tat ja nichts, und seinen Gefühlen immer neuen Ausdruck zu geben wollte ihm vollends nicht gelingen, dünkte ihn auch durchaus überflüssig. So fielen denn seine Brieflein gar kurz und kindisch aus, und es war von Stall und Forst mehr denn von seinen Herzensangelegenheiten drin zu lesen. Lottchen aber wußte wohl, wie sie gemeint waren, und trug ihnen weder ihr klägliches Äußere noch ihren dürftigen Inhalt nach, sondern beglückte Fritzen allwöchentlich mit ein paar Seiten flüssigen Geplauders über alle Ereignisse ihres Stadtlebens und unermüdliche, herzliche Beteuerungen ihrer großen Liebe und unverbrüchlichen Treue.

Es konnte nicht ausbleiben, daß es im ganzen Dorfe ruchbar wurde, wie regelmäßig der Landpostbote bei oll Krischan Barnekow vorsprach, und daß sich die Leute die Köpfe darüber zerbrachen, auch wohl gelegentlich den alten Sonderling selbst um Aufklärung ansprachen. Dieser aber war nie um eine Antwort verlegen, sondern machte sich vielmehr einen besonderen Spaß daraus, die Neugierigen mit wunderlichen Antworten zu vexieren, als zum Beispiel: sein Großvater sei gestorben und es gäbe nun wegen der Erbschaft großes Schreibwerk; oder aber, er habe einen schriftlichen Liebeshandel mit einer jungen Witwe angefangen, der er's ehemals auf seiner Wanderschaft mit dem Klarinetteblasen angetan – und was dergleichen Schwänklein mehr waren. Wenn ihm aber die Leute vorhielten, daß er doch weder des Lesens noch des Schreibens kundig sei und dennoch nie des Schulmeisters Dienste in Anspruch nehme, so lachte er jenen ins Gesicht und sagte, es gebe anderswo auch noch Leute, die lesen und schreiben könnten, und er würde sich hüten, dem geschwätzigen Schulmeister seine Schliche und Heimlichkeiten auf die Nase zu binden. Daß die Brieflein aber sämtlich aus Greifswald stammten, erfuhren die Puhlendorper darum nicht, weil die schlauen Liebenden dafür Sorge trugen, sie fast jedesmal an einem andern Orte zur Post zu geben. Auf diese Weise konnte es geschehen, daß weder die beiderseitigen Väter noch auch die eifersüchtige Mamsell Rasmussen von solchem Briefwechsel eine Ahnung hatten.

Gegen Ende des April wehten leichte, frische Winde von der See her, trieben das mürrische Regengewölk auseinander und fegten den Himmel blank und blau über Puhlendorp. Es begann mit aller Macht ein Treiben und Sprießen und Knospenspringen, also daß in wenigen Tagen die Sträucher in vollem Blätterschmuck und der Wald in gelb und grünen Schleiern stand, die Wiesen sich lustig sprenkelten und Mensch wie Tier verjüngt und fröhlich aus dumpfen Räumen in die frisch gewaschene Gotteswelt hinaushüpften.

Da kam die Frau Amtmännin und ihre Älteste ein lebhaftes Bedürfnis zu einer geselligen Unternehmung an. Und sie erließen im Vertrauen auf eine leidliche Beständigkeit des schönen Frühlingswetters, als welche die Kundigen verhießen, Einladungen zu einer Gartenpartie oder Fête champêtre an ihre ansehnlichere Bekanntschaft und Freundschaft in der ländlichen und städtischen Umgegend. Und so fand sich denn am letzten Sonntag des April teils zu Fuß, meist aber zu Wagen, über ein Dutzend junger Leute mit nur wenigen Müttern bei Amtmann Rasmussens zusammen. Das junge Frauenzimmer bereits in hellen Kleidern, frisch gewaschen, gestärkt, gebügelt, getollt und gefältelt. Die jungen Kavaliers in Strümpfen und Schuhen mit blanken Schnallen, frischen Jabots, wohl rasiert, mit neuen Bändern in den Zöpfen und zum Teil sogar künstlich frisiert und gepudert. Aus Puhlendorp selbst war kein junges Mädchen geladen, und von jungen Herren nur der Försterssohn, der in seiner neuen Livree und den Hirschfänger an der Seite gar stattliche Figur machte.

Da immerhin einige ältere Damen und delikate Naturen in der Gesellschaft waren, so wagte man es nicht, den Kaffee bereits im Freien einzunehmen, sondern hatte hierfür mehrere große Tische in der guten Stube festlich hergerichtet. Die Frau Akzisenkalkulatorin Pannemann saß neben der Amtmännin auf dem Kanapee, und auf den feinsten Lehnstühlen, wo die schönsten gehäkelten Schoner auflagen, hatten die andern Ehrendamen Platz genommen: die Frau Herings- und Pöklingsgroßhändlerswitwe Kiekow, die Schultheißentochter Amalia Müllerin, die mit ihren fünfundvierzig Jahren es endlich aufgegeben hatte, bei der heiratslustigen Jugend zu sitzen, und die annoch jugendliche Rentmeisterin Lohse. An den andern Tischen hatten sich die unverheirateten Leute nach Wahl und Zufall zusammengesetzt, und es begann da bald genug mit schämigem Gekicher der jungen Mädchen das Eis der Förmlichkeit aufzubrechen und eine freiere Laune sich angenehm zu entfalten. Unter den jungen Kavaliers waren die Haupthelden Barnim und Bogislaw, die nach den bedeutendsten alten Pommernherzögen benannten Söhne des Kanzleirats Degelow, von denen der eine im Kataster, der andre bei der Akzise bereits ehren- und hoffnungsvoll untergebracht waren. Das waren parlante junge Leute, die es gar wohl verstanden, ihre Mamsellen lachen zu machen und allerlei Unterhaltsamkeit vorzubringen. Freilich war unter diesen Mannsleuten keiner an Höhe des Wuchses, Kraft und Geschmeidigkeit der Glieder und Frische der Farben dem Fritz Jasmund zu vergleichen. Und so war es denn nicht verwunderlich, daß die Blicke der Mädchen, der jüngsten wie der älteren, heimlicherweise bei jeder Gelegenheit sich an dieses Försterssohnes Heldengestalt hefteten und froh waren, in seiner Nähe zu sein, wenn er gleich nichts Sonderliches zu sagen wußte und sich darauf beschränkte, den Stadtherren zuzuhören und fleißig Kuchen zu essen.

»Gott, wie kriegt Sie bloß Ihren Koffee so schön braun?« sagte die Akzisenkalkulatorin zur Amtmännin. »Nimmt Sie ein neues Tuch zum Durchseihen oder hält Sie auch davor, wie die meisten behaupten, daß, je älter das Tuch seie, desto besser der Koffee? Und was Sie vor schöne Stollen gebacken hat! Gott ja, Sie haben es ja auch dazu auf dem Lande. Die Eier und die Butter immer frisch und kostet Sie nichts – da ist es freilich leichter, eine schöne Stolle herauszukriegen, als wie bei uns in der Stadt, wo sie immer ausverschämter werden und nicht mehr wissen, was sie fordern sollen. – Gott ja, sagen Sie bloß,« fuhr sie leiser, sich dicht zur Amtmännin hinbeugend, fort, »was ist das für ein stattlicher, junger Mensch, Ihres Försters Sohn Fritz. Ich kann es Ihrer Jungfer Tochter nicht verdenken, daß sie sich justament an den attachiert. Gucken Sie bloß, meine Liebe, was sie ihm vor Augen macht! Sähen Sie es wohl gerne, wenn da was aus würde? Ich dachte, Sie hätten eigentlich mehr für einen städtischen Schwiegersohn inkliniert. Der junge Barnim Degelow arbeitet doch unter meinem Manne. Ein heller Kopf, kann ich Ihnen man sagen, Madame Rasmussen. Der kann es noch weit bringen in der Akzise. Und die Sekretari beim Kataster haben auch recht gute Aussichten – aber ich will ja nichts gesagt haben. Wenn Sie einmal für die Partie resolviert seind, denn ist es ja woll das Richtige vor die jungen Leute. – Ich dachte man, weil ich doch gehört habe ... Ja, mein Gott, was die Leute nicht alles schnacken! – Der junge Mann soll doch mit Pastor Südekums Tochter gegangen sein. Damit ist es wohl itzt nichts mehr? Sie haben ja die Mamsell Pastorsch auch gar nicht mit eingeladen. Das geht ja nun woll auch nicht mehr, wo sich der Herr Pastor doch so eigentümlich benommen hat, nich? Wir haben ja nur den besten Verkehr, versteht sich. Und mit dem Justitiarius vom Kreisgericht kommt mein lieber Mann woll auch ab und an zusammen – da haben wir es natürlich alles gehört. Wo ist es einmal möglich! Ein studierter geistlicher Herr und revoltieret solchermaßen wider seine gnädige Herrschaft und wider Recht und Gesetz! Mamsell Müllerin geht ja bei dem Herrn Superintendenten aus und ein, die kann es Ihnen Wort für Wort erzählen, was der Herr Superintendent zu Pastor Südekum gesagt hat wegen den Hasen, wissen Sie, und wegen daß er ihn doch mit der Heiligen Schrift zu Tode getroffen hat.«

Nunmehr hatte der runde Tisch des älteren Frauenzimmers sein Thema, bei dem er für den Rest der Kaffeestunde sein gutes Auskommen fand. Die würdigen Hauben neigten sich nahe zueinander, und es gab ein eifriges Getuschel mit Augenverdrehung und vieler Beseufzung der sündigen Menschennatur und des aufrührerischen Geistes der Zeit.

Als aber der Kaffee ausgetrunken und die Stollen bis auf einen geringfügigen Rest vertilgt waren, forderte Jungfer Beate das junge Volk zu dem eigentlich vorhabenden Divertissement im herrschaftlichen Schloßgarten auf, den der Junker von Fersen für diesen schönen Nachmittag den Amtmännischen zur freien Verfügung gestellt hatte. Es befand sich allda ein schöner Plan zwischen jungen Kastanien- und alten Eschenbäumen, weit genug und wegen des niedrigen Graswuchses um diese Jahreszeit noch bequem zu allerlei Bewegungsspielen. Da ging es denn bald hoch her mit allerlei Lustbarkeiten der Jugend: Topfschlagen, Hahnengreifen, Kämmerchen vermieten, Fanchonhaschen und Blindekuh. Barnim und Bogislaw Degelow gaben auch hier aus dem Wiesenplan den Ton an und machten die Anführer bei den Spielen und ermunterten die zimperlichen Mamsellen durch ihre Neckereien. Von dem Frauenzimmer war die Gastgeberin, Beate Rasmussen, die Ausgelassenste, obwohl ihr bei ihrer Schwere eine rasche Beweglichkeit sonst nicht zu eigen war, und sie bei solcher ungewohnten Leibesübung eher als die andern Mamsellen außer Atem und in eine unziemliche Transpiration geriet. Wo es irgend angängig war, wußte sie es einzurichten, daß Fritz Jasmund ihr Partner sein mußte. Bei einem Laufspiel empfing sie unversehentlich von seiner gewaltigen Tatze einen so kräftigen Schlag auf die Schulter, daß nicht nur sie selbst, sondern auch alle andern jungen Mädchen aufschrieen vor Schreck. Er entschuldigte sich seiner Grobheit mit artigen Worten, aber sie dachte gar nicht daran, ihm den Schmerz nachzutragen. Und als bald darauf ein Blindekuhspiel arrangiert wurde und die jüngste Tochter der Frau Akzisekalkulatorin sie aus Schelmerei dem Fritzen, der just blinder Mann war, mit einem kräftigen Stoß in die Arme trieb, ließ sie sich's gern gefallen, daß die andern Mamsellen sie kreischend verspotteten. Wohl zankte Jungfer Beate die kleine Pannemann gehörig aus ob ihrer Unart, aber beim Abschied drückte sie ihr besonders warm die Hand und gab ihr noch zum Angedenken ein schöngeschliffenes Riechflächchen mit.

Mittlerweile waren auch die älteren Damen dazu gekommen und hatten, auf Gartenstühlen und Feldsesseln sitzend, sich an dem Übermut des jungen Volkes ergötzt. Zum Schluß war auch der Junker in eigner Begleitung des Amtmanns und des Försters zur Partie gestoßen und hatte sich leutselig mit der bürgerlichen Gesellschaft unterhalten. Er war bereits dabei gewesen, wie die Beate beim Blindekuhspiel Jasmunds Fritzen an den Hals flog und hatte ob dieses Spaßes einen dröhnenden Applaus erhoben, wobei selbst der immer ernst und grimmig dreinschauende alte Förster sein verwettertes Gesicht zu einem breiten Grinsen verzogen hatte. Und wie durch jenes Ereignis die Jungfer Beate an die Reihe kam, die Blindekuh zu machen, verfügte sich der Junker gar selbst mit seinem steifen Bein von Anno neunundfünfzig auf den Plan und versuchte nun seinerseits, den Fritz der Beate in die Arme zu stoßen. Das wollte aber nicht gelingen, denn der Bursch stand allzu fest auf seinen Beinen, wich den Armen der Beate mit aller Geschicklichkeit aus und wußte schließlich zum allgemeinen Gaudium der Jugend das Stücklein so zu drehen, daß er ihr den unansehnlichsten der Jünglinge, nämlich den Herings- und Pöklingsgroßhändlerssohn aus Barth in die Arme schob.

Wie sich nun die junge Welt genugsam außer Atem und zu roten Backen getobt hatte, die Luft aber annoch lau genug wehte, um noch einiges Verweilen im Freien zu gestatten, da ließen sie sich im Kreise auf dem Rasen nieder und belobten höchlich den Vorschlag der Jungfer Beate, ein Pfänderspiel zu entrieren. Wie man denn wohl weiß, daß solches Spiel im Grunde nur dazu dient, die jungen Leute von ihren Herzensflammen oder auch sonst nur angenehmen Frauenzimmern einen Kuß in Ehren erhaschen zu lassen, so geschah es auch bei dieser Puhlendorper Fête champêtre, daß allemal, so oft ein Kuß zur Lösung des Pfandes bestimmt war, die schelmische Absicht dem blinden Zufall unter die Arme griff und entweder die rechten Lippenpaare zusammenführte oder aber mit ärgerlichen Überraschungen einen boshaften Schabernack spielte. Als bei der letzten Runde der angenehme Tausendsasa Bogislaw Degelow die Pfänder auszubieten hatte, fügte es sich so, daß Fritz Jasmund ihm im Rücken saß und wohl bemerken konnte, was jener für ein Pfand unter dem Tuch hervorholte. Als nun bei einer solchen Ausbietung wiederum die jüngste Mamsell Pannemann ausrief, der Eigentümer solle der Beate Rasmussen ein Mäulchen rauben, da gewahrte der Fritz, wie Musjöh Bogislaw das Pfand, das er bereits in der Hand hielt, fahren ließ und rasch nach dem Knickmesser griff, das er selbst eingesetzt hatte. Und wie nun das junge Volk aufjubelte in Erwartung des reizenden Schauspiels, da sprang der junge Jäger auf seine Füße, berührte den Bogislaw Degelow an der Schulter und sagte mit strengem Ton: »Das gilt nicht. Er hat beschuppt, Musjöh. Er hat wollen die Jungfer Beate vervorteilen. Aber ich weigere mich dessen. Das ist wider die Regel.«

Der Musjöh Bogislaw nahm es von der leichten Seite und machte einen Spaß daraus; denn er gedachte nicht, mit dem gewaltigen Burschen Händel anzufangen. Das Frauenzimmer aber zeigte sich daß entrüstet und verwahrte sich wie aus einem Munde gegen ein so unhöfliches Betragen. Jungfer Beate selber zog die Lippen kraus und rief, so spitzig sie es vermochte: »Ei, Er garstiger Musjöh, ich brauche Seine Küßchen nicht. Spar Er sie für Seine Jungfer Liebste auf. Wird wohl ein festes Stallmensch sein, so Seine Püffe vertragen kann.«

Mit solcher Antwort bekam sie nun freilich einige Lacher auf ihre Seite; aber gleichzeitig trat ihr auch das Wasser in die Augen, also, daß sie zu ihrem Tüchlein greifen mußte und man wohl sehen konnte, wie es ihr mit ihrem Hohn keineswegs Ernst war.

Da ergrimmte der Junker von Fersen, hob drohend seinen Krückstock wider den Jägerburschen aus und schrie: »Hol dich der Satan, Kerl! Wie kannst du dich vermessen, einer Demoiselle dein Maul zu verweigern! Ein schöner Kavalier, meiner Seele! Augenblicklich wird Er die Rasmussin rechts und links und kreuz und quer abküssen, sonst soll Ihm der Deuwel in die Knochen fahren.«

Aber der Fritz bezeigte sich durch solch fürchterliche Drohungen keineswegs decouragiert, sondern entgegnete ganz ruhig: »Dero halten zu Gnaden; es ist nicht wegen des Küßkens, daß ich mich weigere, sondern nur von wegen der Ordnung und Gerechtigkeit. Damit die Jungfern nicht meinen, ich seie ihrem Geschlechte feind oder ich wüßte ein Mäulchen nicht zu schätzen, so will ich itzt mit Permischon der Mamsell, so den Vorschlag getan, die Buße zahlen.«

Und ehe die kleine Akzisenkontrollörische noch ein Wort erwidern konnte, hatte er sich schon zu ihr hinabgebeugt, ihr Köpfchen aufwärts gedreht und ihr einen lauten Schmatz mitten auf die kinderhaften Lippen versetzt.

Wider solch unvermuteten Abschluß der hochnotpeinlichen Affäre wurden keinerlei Einwendungen erhoben, und das Pfänderspiel endete zu allgemeiner Zufriedenheit. Ja selbst die Jungfer Beate ließ sich keineswegs merken, wie ihr zu Mute war. Weil sich aber der Himmel inzwischen, doch bezogen hatte und die älteren Damen bereits ein kühles Abendlüftchen zu verspüren meinten, so ließ man's der ländlichen Spiele genug sein, erging sich noch ein weniges in dem schönen Garten, während die Kutscher anzuspannen begannen, und machte sich dann mit einiger Eile aus den Heimweg, da in der Tat die Abendwolken sich immer bedrohlicher zu verfärben begonnen hatten.

Wie aber die Gesellschaft seinen Garten verließ, da hatte der Junker den Fritz Jasmund beiseite gewinkt und denselben samt seinem Vater mit in seine Stube genommen.

Der alte und der junge Förster saßen erwartungsvoll auf zwei hochlehnigen Lederstühlen, während der Junker seine holländische Tonpfeife in Brand setzte. Und wie das Ding im Gange war und die ersten mächtigen Rauchwolken schon unter der Stubendecke quirlten, da stellte sich der Junker breitbeinig vor den Fritzen hin und schnauzte ihn an: »Wat is dat nu eigentlich mit di, min Jong? Büst du nu solch einen erschrecklichen Esel oder stellst du di man so dammlich? Wat soll dat heißen, diese Benehmigung gegen die Jungfer Beate? Dat kann doch woll gar nicht möglich sin, dat du so dumm büst und hest dat noch nich gespannt, wat sei von di möcht!«

Fritz blickte sauer drein und zuckte die Achseln. »Dero halten zu Gnaden, dat möt sei denn woll allein mögen. Ik bedank mi.«

»I so schlag doch Gott den Deuwel dot!« fuhr der Junker auf. »Was ist Ihm in die Krone gefahren, Musjöh? Ist Ihm eine Amtmannstochter mit tausend Taler Mitgift, außer was das Vieh und Immobilien seind, am Ende nicht gut genug, wo Er doch weiß, daß ich Ihn Seinem alten Vater zum Nachfolger setzen will? Will Er vielleicht darauf warten, daß sich ein Fräulein in Ihn vergafft?«

Da sah der Fritz erst den alten Förster und dann den Junker fest an und sagte dann ruhig: »Dero wissen doch, daß ich mit Lottchen Südekum so gut wie versprochen bin.«

Der alte Förster fuhr auf und ballte seine Faust, als wollte er sie gegen den jungen Mann aufheben; aber der Junker, der dicht vor ihm stand, ergriff ihn am Arm und fiel ihm ins Wort: »Laß man, laß man, oll Jasmund, alterier Er sich nicht! – Hat der Musjöh wirklich die Stirn, Seinem alten Vater solches ins Gesicht zu sagen, wo Ihm doch bewußt sein muß, wie er mit dem geistlichen Herrn steht? Also die Pastors Deern soll es sein, dat Ding zum Umpusten? Und einen Quärulanten und Wilddieb hat Er sich zum Schwiegervater ersehen! Nun, der Musjöh soll mich kennen lernen! Sein Vater und ich haben Schulter an Schulter in der Bataille gestanden, und ich werde meinem ollen Kriegskameraden schon den Rücken steif zu halten wissen. Es ist mein Wunsch auch, daß Er die Beate kriegen soll. Und wenn Er dagegen aufmucken will, denn kann ich Ihm man bloß sagen ...« Er vollendete den Satz nicht, sondern erhob nur drohend seinen Krückstock.

Da stand der Fritz langsam von seinem Sessel auf, stellte militärisch die Füße auseinander, hielt seinen Dreispitz gegen die Hosennaht und sagte: »Ich weiß woll, was ich meinem Herrn Vater, dem richtigen wie dem falschen, schuldig bin; aber in diesem Punkto ...«

Dem Junker wäre beinahe die Pfeife entfallen. Er stemmte seinen Stock fest auf die Diele, und dann fiel er dem kecken Burschen ins Wort, indem er den alten Jasmund anschrie: »I da soll doch gleich ein heiliges Kreuzdonnerwetter dreinschlagen! Hat die alte Plappertasche das Maul nicht halten können? Seit wann ist Er denn unter die Waschweiber gegangen, Jasmund?«

Der alte Mann erhob sich bestürzt von seinem Stuhl und stotterte: »Halten zu Gnaden, Junker, das ist mir im Zorne so herausgefahren. Der Junge nimmt ja keine Vernunft an.«

Der Junker warf seine Pfeife gegen den Ofen, daß sie in Scherben zersprang, und stampfte humpelnd etliche Male in der Stube auf und ab, bevor er sich so weit gefaßt hatte, daß er wieder Worte finden konnte. Dann trat er vor den jungen Menschen hin und sprach: »Also wenn Er es doch einmal weiß: jawoll, du Lümmel, du bist mein Sohn! Und weil du ein strammer Kerl geworden bist, so habe ich dich immer gut leiden mögen und für dich sorgen wollen, wie es deinem natürlichen Stande von Mutters wegen angemessen ist. Bilde dir man jo nicht etwan ein, daß du nunmehro den Junker spielen und darauf rechnen könntest, daß ich dir aus Schwachheit meines Alters etwan legitimierete und zum Erben einsetzte! Ich weiß, was ich meinen Ahnen schuldig bin. Und darum kriegt der Herr Neveu das Rittergut, weil ich keinem Fräulein mehr zumuten will, mit einem alten, krumm geschossenen Invaliden das Ehebett zu teilen. Ich werde woll unbeweibt in die Grube fahren; wohl aber habe ich gedacht, ich möchte von ferne wenigstens an dein und deiner Kinder Wohlergehen meine Freude erleben. Darum hatte ich das mit Rasmussens Beate über dich beschlossen. Willst du mir in diesem Stücke nicht zu Willen sein, so kannst du dich heilig darauf verlassen, ich jage erst dich selbst zum Teufel und hinterdrein den vermaledeiten Wilddieb samt seiner Mamsell. So wahr mir Gott beistehen soll in meiner letzten Stunde!«

Fritz rang ein Weilchen nach Worten, und dann stieß er rasch hervor: »Denn will ich schon lieber gleich gehen, ehe denn mich der Herr Vater jagt. Adjüs!« Er vollführte seinen vorschriftsmäßigen Kratzfuß und trollte sich zur Tür hinaus.

Mit großen Schritten schritt er durch den Hof, drückte seinen Hut über die Augen und schaute zur Seite, als er beim Amtshause vorbeiging, um nicht etwa angesprochen zu werden. Dann eilte er ziellos die Dorfstraße hinunter und bog in den ersten besten Feldweg ein, um nur recht geschwind alle Menschheit hinter sich zu bekommen und mit seinen Gedanken allein zu sein.

Da stand ganz plötzlich der Mathis Rasmussen vor ihm. Er hatte die Familie aus dem Nachbardorfe, die zu Fuß heimkehrte, ein Stück auf den Weg gebracht. Nun er sich so unerwartet dem Fritz Jasmund gegenüber sah, schlug er ihm gegen die Schulter und rief: »Je, Fritz, wo wist du hin? Rennst mich bald über den Haufen! Du sag eins, Mensch, du bist woll ganz dammlich geworden? Was kommt dir überhaupt bei, mein Schwester zu beleidigen? Ich sollte meinen, du könntest froh sein, wenn du mal so wat Proppres vor die Schnute kriegst! Oder ist dir vielleicht die Lust auf Lotten Pastorsch noch nich vergangen? Denn kann ich dir man raten, min Jong ...«

»Wat wist du mi raten?« fuhr ihm der Jäger ins Wort, indem er ihn urplötzlich mit festem Griff an der Weste packte und mit ausgestrecktem Arm von sich schob. »Von di und von din Schwester und von die ganze Packasch und den ganzen Kram hew ik nu all genug! Und wie du um den Herrn Pastor rumschnückerst und ihm to Leiw geihst mit din'n miserablen Absichten up sin Dochter, dat paßt mi ook nich im mindesten! Dat schallt du man weiten!«

Und ehe der verdutzte Mathis noch den Mund zu einer gereizten Erwiderung auftun konnte, hatte er bereits ein halbes Dutzend derber Püffe in die Rippen weg.

»So,« schrie der Fritz, »dat is vor di, min Jong, und dat ist vor din Schwester – und dat is noch en Küßken vor sei! Dat kannst du ihr ausrichten.«

Der Mathis fand wirklich keine Zeit zur Widerrede, so rasch hagelten die Püffe auf ihn ein; aber da er ein kräftiger Bursche war, der sich nichts bieten ließ, so setzte er sich in Fechterstellung und suchte die derben Streiche mit seinen ebenfalls nicht zierlichen Fäusten heimzuzahlen.

Das kam dem Fritzen eben recht. Er sprang auf den Widersacher los, packte ihn um den Leib und rang mit ihm Brust an Brust, schier keuchend, bis es ihm gelang, ihn mit einem mächtigen Schwünge aufzuheben und seitlich zu Boden zu schleudern. Da drasch er mit der harten Faust auf den feisten Jüngling ein, bis der unter Wimmern und Stöhnen um sein Leben bat. Nun ließ er endlich ab von ihm, reckte sich lang aus, stieß einen tiefen Seufzer von sich und sagte: »Dat het mir nu wirklich wohl 'dan! Na, nu nimm es man nich weiter übel, Mathis, und grüß din Schwesting. Et deit mi leid um ihr, abers ick kann ihr nu mal nich leiden.«

Damit machte er kehrt, pfiff fröhlich vor sich hin und schlug, während der Regen in großen, langsamen Tropfen zu fallen begann, den nächsten Weg nach dem Walde ein.


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