Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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XV.
Das Geisterschiff.

                    »Vor ihm sind tausend Jahre wie ein Tag,«
Spricht der Psalmist. Des Meeres Wellenschlag,
Die Athemzüge seines Rauschens sind,
Ob sie nun schleppend gehen, ob geschwind,
Ein Puls der langen, langen Erdenzeit,
Und sie ist nur ein Hauch der Ewigkeit,
Wo Sonnen glühen und zu Eis erkalten,
Die jüngsten Sterne winterwüst veralten.
Was Menschen raschen Wortes »ewig« nennen,
Wenn sie sich lieben, und wenn sie sich trennen,
Wieviel ist's länger, als die Blume blüht,
Die eines Sommermorgens Thau besprüht?
Landflüchtig ist der Mensch in der Natur,
Sein Leben währt, wenn's hoch kommt, siebzig Jahr,
Und wenn es herrlich, wenn es köstlich war,
So war es nichts, als Müh und Arbeit nur.
Ihn aber dünkt der alten Erde Rund,
Das seine Hütte trägt als sichrer Grund,
Der Boden, drauf er mit den Füßen steht,
Durch Noth und Tod mit seiner Liebe geht,
Die Scholle, die er pflügt mit seiner Schar,
Fest, unerschütterlich, unwandelbar.
Und ist es auch, so lange Menschen denken,
Erinnernd ins Vergangne sich versenken
Und sehnend, hoffend in die Zukunft schauen,
Der ihres Herzens Wünsche sie vertrauen.
So rauschte schon das Meer, wie's heute rauscht,
Bevor es noch ein Menschenohr belauscht;
So sah es der, der mit dem Steinbeil schlug,
Des Höhlenbären Haut als Mantel trug,
So sahn es die phönizischen Triremen,
Die Griechenflotten und beim Beutenehmen
Wikinger Drachen, so der Hansa Ehren
Und so Venedigs kreuzende Galeeren,
So wird es sehn der Letzte, der's befährt,
Der letzte Fischer, der von ihm sich nährt.
Wenn es sich leise schwingend senkt und hebt,
Sein schimmernd Blau von keinem Sturm durchbebt,
Am Tage sonnig glänzt und lockt und lächelt,
Mit sachtem Wogengange Kühlung fächelt,
Und sich bei Nacht aus ihrer Weltenferne
In seinem Spiegel schau'n die goldnen Sterne,
Verräth es nicht, was unter seiner Fluth,
Von Finsterniß umhüllt, im Tiefen ruht.
Da liegt manch Anker, dessen Kette riß,
Manch eine Kugel, die durch Segel biß,
Und weit davon vielleicht dasselbe Rohr,
Aus dem sie in der Seeschlacht schoß hervor.
Da schlummern einsam menschliche Gebeine,
Nicht zugedeckt mit einem Marmorsteine,
Gebeine derer, die im Schreckensdrang
Des Schiffbruchs fanden ihren Untergang.
Nicht Alle doch, die hilflos von den Planken
Herabgespült, versanken und ertranken,
Ruhn unbestattet in der Tiefe Schoß
Versandend aus vom harten Seemannsloos.
Manch Einen trägt die Welle wohl zu Land
Und bettet sanft ihn auf bewohnten Strand,
Da findet er mit Kreuz und Nummerstab
In Frieden dann ein namenloses Grab.

Manch tüchtig Schiff mit stolzen Masten
Fuhr aus vom Hafen auf gut Glück,
Trug in die Ferne reiche Lasten
Und kehrte niemals mehr zurück.
Wo es gescheitert, wo gestrandet,
Wie's unterging in seiner Noth,
Niemand erfährt's, denn nie gelandet
Ist nur ein einzig rettend Boot.
Es wird gesucht in allen Breiten,
Ob irgendwo nicht Trümmer roll'n
Von seinem Wrack in Meeresweiten,
Umsonst! auf immer ist's verscholl'n.
Daheim, da sitzt die treue Liebe
Und hofft und harrt das Herz sich wund
Und horcht, ob nicht die Zeitung schriebe
Von der Vermißten frohem Fund.
Es kommt kein Brief, sie zu beglücken,
Kein Bote setzt ins Haus den Fuß,
Der Weinenden die Hand zu drücken
Mit ihres Liebsten letztem Gruß.
Sie muß sich mit dem Trost bescheiden:
Er ruht in Gott, wo er auch ruht;
's ist Seemanns Lust und Seemanns Leiden,
Zu kämpfen mit der wilden Fluth.
Wer kennt der Schiffe, wer der Böte
Und wer der Menschen Zahl im Land,
Die ihre letzte Abendröthe
Erblickten fern vom Heimatstrand?

Edzard und Ingeborg ruhen im Meer
Und weit, weit von Greetsiel,
Ihr Haus auf Sylt stand öd und leer,
Bis es allmählich zerfiel.
Auf Edzard hat manch treuer Genoß
Gewartet lange Zeit,
Um Ingeborg keine Thräne floß,
Sie sank in Vergessenheit.
Nur Einer suchte sie, wetterfest,
Im Rauschen des Wellenschlags,
In Still' und Sturm, in Ost und West,
Und – sucht sie noch heutigen Tags.
Nicht daß er sie liebt, nach ihr sich sehnt,
Sein Herz ist längst erstarrt,
Und dennoch, an den Mast gelehnt,
Steht er und späht und harrt,
Weil er das Maß der Zeit verlor
Und denkt, daß sie noch lebt
Und ihm mit ihr aus der Gnade Thor
Erlösung entgegen schwebt.
Er muß sie suchen weit und breit,
Wie der Falter die Flamme sucht,
Muß segeln und segeln in Ewigkeit,
Vom Himmel dazu verflucht.
Wie oft hat er auf Such' und Spur
Die Erde schon umkreist,
Nie landend, immer segelnd nur,
Ein ruheloser Geist! –

Die Dämmerung bricht leis herein,
Es blinken schon die ersten Sterne,
Da zieht im letzten Tagesschein
Ein Schiff einsam in Meeresferne.
Ein andres steuert ihm entgegen,
Mit allen Segeln fährt's herzu,
Doch ohne Schwanken, ohne Bewegen,
In todesstarrer Ruh.
Dem ersten grade gegenüber
Steht's still, als ob's verankert sei,
Und durch das Sprachrohr tönt's herüber
Mit schauerlichem Klang: »Dreht bei!«
Die Schiffe halten;
Von altertümlichem Bau
Ist das mit der Segel vollem Entfalten;
Sie schimmern so gespenstisch grau,
Als wären sie aus Nebel gewoben,
Die Toppen umflimmert ein bläulicher Glanz,
Blutlose Gesichter zeigen sich oben
Und grinsen über der Rehling Kranz.
Ein Boot stößt ab, ungerojet gleitet
Es ganz von selbst lautlos heran;
Als ob sein Blick es lenkt und leitet,
Steht darin aufrecht ein einziger Mann.
Der kommt an Bord, begrüßt mit Neigen
Den Kapitän, der in staunendem Schweigen
Empfängt den unheimlichen Gast,
Und spricht wie unter schwerer Last
Das dringende Gesuch inmitten
Der vor ihm grauenden Mannschaft aus:
»Mynheer van Straten läßt Euch bitten:
Nehmt diese Briefe mit nach Haus!«
Er spricht es halb mit tiefem Flehen,
Halb so gebietend und bestimmt,
Daß der Kap'tän nicht widerstehen
Der Bitte kann und die Briefe nimmt.
Der Fremde dankt mit stummem Nicken
Und kehrt dann ohn ein weitres Wort,
Wie er gekommen, vor Aller Blicken
Zurück an seines Schiffes Bord.
Dort steht am Heck eine hohe Gestalt,
Von langem, grauem Haar umwallt,
Die winkt und ruft jetzt, daß es schaurig
Herüber schallt und ach! so traurig:
»Grüßet die Heimat!«

                    Der Segler schwindet
Im Nebelduft,
Es weht und windet
Und saust in der Luft.
Die Wolken thürmen
Sich in der Nacht,
Es beginnt zu stürmen,
Es blitzt und kracht.
Die Briefe, die an Bord geblieben,
Sie bringen Gefahr und Noth,
Sie sind an Zwei geschrieben,
Die lange, lange todt.
Vom Schiffe nieder
Geht niemals wieder
Ein Anker zum Grunde, –
Bald kommt seine Stunde.
Da schlagen zusammen
Darüber die Wogen,
Oder von Flammen
Wird's aufgesogen,
An Riffen zerschellen
Wird's in den Wellen,
Scheitern am Strande, –
Nie kommt es zu Lande.

Wer ist der Segler,
Der Unheil bringt,
Deß Ruf wie aus andrer
Welt erklingt?
Von allen Schiffern
Ist er gekannt,
Der fliegende Holländer
Wird er genannt.
Durch alle Meere
Sein Weg hin geht,
Solang auf Erden
Der Wind noch weht.
In Windstille fährt er
Schnell durch die Fluth,
Im Sturm, als wenn er
Vor Anker ruht.
Wehe dem Schiffe,
Das ihn erblickt,
Dem einen Gast er
Mit Briefen schickt!
Weil er Gott verhöhnt,
Ist er verdammt
In Ewigkeit
Zu dem schrecklichen Amt,
Zu segeln, zu segeln
Ruhelos,
Verderben zu bringen
Hoffnungslos.
Der den grausigen Fluch
Sich selber schuf,
Uebers Meer hin schaurig
Schallet sein Ruf:
»Grüßet die Heimat!«


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