Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
An Bord.

                Der Tag kam schnell heraufgestiegen,
Schon überm Wald in goldigem Schein
Glänzte der Himmel, ein sanftes Wiegen
Kam in die dunkeln Wipfel hinein.
Noch lag die Stadt in schweigender Starre,
Im Schatten die Bai noch, still und leer,
Weit draußen aber, jenseits der Barre
Spiegelt' und blitzte das offne Meer.
Und bald, gleich brennenden Pfeilen, trafen
Die ersten Sonnenstrahlen als Ziel
Der Schiffe höchste Toppen im Hafen
Beleuchtend der Wimpel züngelndes Spiel.
Das Wasser kräuselnd sprang eine Brise,
Schaumköpfe zeigten sich, silberweiß;
Wem dieser Wind in die Segel bliese,
Der käme hindann aus Bahia's Kreis.
    Van Stratens Gigg durchschneidet die Welle,
Längsseits des Schiffes legt es an,
Die Fallreepstreppe hinauf in Schnelle,
Befiehlt an Bord er: »Alle Mann
Zum Ankerlichten, zu Fall und Brassen!
Wir segeln aus!« Sein Wort gebeut,
Der Bootsmann doch scheint's nicht zu fassen, –
»Herr,« spricht er, »es ist Freitag heut!«
Van Straten aber blickt mit Augen
Den Mann von unten nach oben an,
Die ihm an Mark und Blute saugen, –
»Wir segeln, sagt' ich!« braust er dann,
»Südost zum Ost! der nächste Hafen,
Den wir anlaufen, ist am Cap,
Nehmt das Kommando! ich will schlafen,«
Und geht in die Kajüte hinab.
Auf Deck ertönen die Befehle;
Am Gangspill summt zu Tritt und Trott
Ihr Lied die rauhe Seemannskehle,
Und Mancher denkt: bewahr' uns Gott!
Die Spindel knarrt, es klirrt die Kette,
Der Anker aus der Tiefe steigt,
Und aufgeentert um die Wette
Wird in die Wanten; langsam neigt
Das Schiff sich leewärts vor dem Winde, –
Laß fallen Segel! und sie roll'n
Von allen Raa'n herab geschwinde,
Und wuchtig blähen sich die voll'n.
Im Schiff ist Steuerkraft, am Buge
Bricht sich die Welle, rauscht und schäumt,
Wie sich der Kiel auf seinem Zuge
Bald niedersenkt, bald mächtig bäumt.
Ums Vorgebirg in weitem Bogen
Mit allen Segeln prangend geht
Im Sonnenglanz auf blauen Wogen
Das stolze Vollschiff »der Komet«.
Es mußten kräftige Naturen,
Erprobte, feste Burschen sein,
Die auf van Stratens Schiffe fuhren,
Urwüchsig bis ins Herz hinein.
Sie waren 's auch vom jüngsten Jungen
Bis zu dem ältsten Bootsmannsmaat,
Von eines Willens Macht durchdrungen,
Entschlossen auch zur schwersten That.
Da war nicht Einer, der verzagte,
Wenn es um Tod und Leben ging,
Nicht Einer, der nicht alles wagte,
Wenn er in Großbramwanten hing.
Es waren hartgestählte Geister,
Die trotzig aus den Augen sahn,
Doch ihrem strengen Herrn und Meister
Mit Leib und Leben unterthan.
Sie hatten viel mit ihm erfahren,
An Schlimmes hatt' er sie gewöhnt
Und sie mit manchem Sonderbaren
In seinem Wesen längst versöhnt.
Sie kannten sein entsetzlich Fluchen,
Sie fühlten oft sich bös bedroht,
Sie sahn ihn das Geschick versuchen
In Augenblicken höchster Noth.
Das aber, was er zu vollbringen
Gebieterisch sie heute zwang,
Das war von allen argen Dingen
Das Aergste, das ihm je gelang.
Am Freitag unter Segel gehen
War wider Gott und Gottes Sohn,
Nur Unglück konnte draus entstehen
Als solches Frevels bittrer Lohn.
Denn Gottesfurcht ist angeboren
Dem Seemann, wo er immer lebt,
Und wenn verlassen und verloren
Er auf der Wasserwüste schwebt,
Den Himmel über sich, das Grauen
Der Einsamkeit und der Gefahr
Vor sich, da gilt es Gott vertrauen
In tiefer Demuth immerdar.
Und diesen alten, steten Glauben,
Dem Freitagsegeln Sünde hieß,
Den wollte der dem Volke rauben,
Deß Hochmuth an die Wolken stieß.
Ein Backsgast sprach zum andern leise:
»Tam Töggen, wie ist Dir zu Muth?
Mir schwant, 's ist unsre letzte Reise,
Ich sah am Bugspriet frisches Blut.«
»Blut, Sym? wo sollte das herkommen?«
Sprach Tam nun, den es kalt beschlich,
»Sonst hast Du Recht: es kann nicht frommen,
Was heut geschieht, das sag' auch ich.«
    »Der Alte war nicht klar geschoren,
Als er Befehl gab: »Alle Mann!«
Ich wett', er hat die Nacht verloren
Im Spiel, mehr als er zahlen kann.
Ich war an Deck, – Gott soll mich strafen!
So sah ich nimmer sein Gesicht,
Zum Bootsmann sagt' er: »ich will schlafen«;
Tam, – schlafen thut der heute nicht!
Ich weiß, er rennt in der Kajüte
Wie ein gehetztes Wild umher,
Als ob das Fieber in ihm wüthe,
Spricht mit sich selbst und – wem noch mehr?«
    »Du meinst –?« – »Tam Töggen, was ich meine,
Das sag' ich nicht, Du räthst es wohl,
Es denke Jeder sich das Seine,
Horch' auf den Wind! er geht so hohl.«
Das Schiff war eine weite Strecke
Vom Land schon ab, der Steuermann
Stand auf dem hohen Quarterdecke
Und sah zum Großmast ernst hinan.

Und er schlief nicht, der schlafen wollte,
Weil schwer und heiß wie siedend Blei
Das Blut ihm durch die Adern rollte
Und ihm Früd Bunckens Todesschrei
Mitsammt dem Fluch im Ohre schallte,
Der mit erbarmungsloser Gier
Sich tief in seine Seele krallte
Gleich dem vielarmigen Gethier
Im Meere, das mit Riesenfängen
Den Schwimmer packt zu Halt und Haft
Und im Erdrosseln und Zerdrängen
Qualvoll ihm aussaugt Saft und Kraft.
Durchs Fenster flog, dem Gurt entrissen,
Der Dolch, der ihm gedient zum Stoß, –
Was half's? die Mordthat im Gewissen
Ward mit dem Wurf er doch nicht los.
Und keinen Feind hatt' er erstochen,
Dem er seit Jahren Rache sann,
Auch Truelsen nicht den Hals gebrochen,
Der Ingeborg ihm abgewann, –
Dem Jugendfreund, der ihm das Leben
Gerettet, wie's verloren schien,
Hatt' er zum Dank den Tod gegeben,
Weil Früd im Recht war gegen ihn.
Wenn's ruchbar würde, wenn's zu Ohren
Den Menschen käme, was geschehn!
Nie dürft' er dann, wie's Früd geschworen,
Die liebe Heimat wiedersehn.
Der wackre Freund, der alte treue!
Das blonde Weib, so hold und schön! –
Den Teufel auch! nur keine Reue!
Sie ist der Unthat schärfste Pön.
Die Faust kracht auf den Tisch er nieder
Mit einem Schlage, wuchtig schwer,
Dann ans Kajütenfenster wieder
Tritt er und lugt hinaus aufs Meer.
Er sieht, so weit die Blicke reichen,
Kein Schiff, wellauf wellab geschwenkt,
Er sieht nur, wie des Windes Streichen,
Die blauen Wogen hebt und senkt.
Und weiter nichts. Einsam, verlassen,
Hat er, allein auf sich gestellt,
Nichts mehr zu lieben, nichts zu hassen,
Nicht Weib, nicht Freund mehr auf der Welt.
Ihn schaudert, und er fühlt ein Beben,
Wie er so steht im engen Raum;
Wie lang noch? und dies arme Leben
Verliert sich wie des Brechers Schaum.
»Den Tropfen, der im Grenzenlosen
Der Meeresfluthen hier versinkt,
Hebt anderswo des Sturmes Tosen,
Daß er noch einmal gleißt und blinkt
Im Sonnenlicht, im Schein der Blitze,
Im Mondenglanz, und käm' er auch
Zur Klarheit auf der Wellenspitze
Nur flüchtig wie des Windes Hauch.
Wo aber bleibt des Geistes Weben,
Wo bleibt der Wille, wo die Kraft
Und alles, was mit heißem Streben
Hier innen wohnt und wirkt und schafft?
Taucht das auch in den Ozeanen
Des Weltenalls noch einmal auf,
Durchschreitend vorbestimmte Bahnen,
Unwandelbar wie Sternenlauf?
Dem Tod verfalln, aus Staub geboren
Und dennoch zur Unsterblichkeit
Verdammt, daß niemals geht verloren,
Was sich bewegt in Raum und Zeit?
Nicht ausgelöscht, verweht, vergessen
Wird dieses Dasein? steht gebucht?
Wird That gewogen, Schuld gemessen?
Und was verflucht ist, bleibt's verflucht?
Ach! fort mit euch, ihr bangen Fragen,
Auf die mir Niemand Antwort giebt!
Das Schwerste ist: das Leben tragen,
Ob man's verachtet oder liebt.
Nur Eines wüßt' ich gern hienieden:
Was ist das Schicksal, das mich drängt?
Kann ich's mit eigner Kraft mir schmieden?
Ward's herrisch über mich verhängt
Je nach dem Stand der Sterne droben,
Als ich in dieses Dasein trat?
Wird drum gewürfelt? wird's gewoben
In unbekannter Mächte Rath?
Werd' ich gezwungen, so zu handeln,
Wie ich gethan, was hülf' es dann,
Bemüht' ich mich, mein Herz zu wandeln?
Mein Wahlspruch ist: Selbst ist der Mann!
Versinken werd' ich in den Wellen
Einmal nach hoffnungslosem Streit,
Elend im sprüh'nden Gischt zerschellen
Am Felsen der Nothwendigkeit.
Doch so lang will ich muthig kämpfen
Mit allem, was mir widersteht,
Nicht Wunsch, nicht Willen in mir dämpfen,
Bis Einer kommt und »Beigedreht!«
Von weitem ruft mit einer Stimme,
Die Sturm und Donner überschallt;
Kommt dieser Segler an der Kimme
Mir einst in Sicht, – dann heiß' es: »Halt!«

Er blieb noch lang in tiefem Sinnen,
Im Banne der Erinnerung
Und ließ an sich vorüberrinnen
Vergang'ner Zeiten Spiegelung.
Traumbilder stiegen auf und flossen
Und führten dahin ihn zurück,
Wo er auch einmal das genossen,
Was Andern Segen heißt und Glück.
Am Lande war es, in vier Wänden,
Die ihn umfingen als sein Heim,
Wo ihm von Ingborgs reinen Händen
Ward eingepflanzt der Bess'rung Keim.
Sie liebt' ihn nicht, doch ihr zu Liebe
Pflegt' er in sich den guten Kern
Und machte, zähmend wilde Triebe,
Sich selbst zu seiner Laster Herrn.
Nur Ingeborg war es gewesen,
Die es vermocht hatt' über ihn,
Daß er geläutert und genesen
Von seinem wüsten Treiben schien.
Und jetzt? – mit Schuld war er beladen,
An seinen Händen klebte Blut,
Und käm' er noch einmal zu Gnaden, –
Nur unter eines Engels Hut
Wär's möglich; die nur könnt' ihn retten
Von der abschüssig finstern Bahn,
Befrei'n aus der Verdammniß Ketten,
Die es doch einmal schon gethan.
Wie, wenn er schnell das Ruder drehte,
Zu ihr, zu ihr, sie reuevoll,
Demüthig um Verzeihung flehte,
Sie mit sich nähm', und aller Groll
Hinschwände dann an ihrer Seite?
Ein neues Leben bräch' ihm an!
Ihm ist's, als dringe durch die Weite
Zu ihm der Ruf: »Was säumst du, Mann?
Noch fest an seiner Ankerboje
Liegt Truelsens Schiff; komm ihm zuvor!
Kehr' um nach Norden!« – aus der Koje
Will er zum Decke schon empor,
Da fällt's ihm ein: »dein Wort gegeben
Hast du dem Andern, Hand und Schwur!
Drei Jahr! was sind drei Jahr im Leben?
Sie schwinden wie des Schiffes Spur
Auf seinen öden Wasserwegen;
Harr' aus in Hoffnung und Geduld!
Dann bringt er dir dein Weib entgegen,
Und tilgen wird sie deine Schuld.
Sie dankt es dir, daß du dem Einen
Sie ließest, den sie stets geliebt,
Wird für dich beten, flehn und weinen,
Daß der dort oben dir vergiebt.«

Er stieg an Deck; des Schiffes Planken,
Sie waren Heimat ihm und Haus,
Und dort, im Wiegen und im Schwanken,
Blickt' er aufs blaue Meer hinaus.
Kein Segel weit und breit zu sehen, –
»Ach, Früd! Früd, führest Du mit mir!
An Deinen Bord dann wollt' ich gehen,
Mich schelten lassen auch von Dir.
Ha! dort! was treibt dort auf den Wogen?
Früd Buncken ist es, steif und hart
Kommt im Kielwasser er gezogen,
Und sein gebrochnes Auge starrt
Mich gläsern an, als ob er schwämme,
Mich zu verfolgen durch die Fluth
Mit seinem Fluch, die Wellenkämme
Sind alle roth von seinem Blut.
Und was sie rauschen, was sie klagen,
Es donnert Mord und immer Mord!
Und wie mit Todtenhänden schlagen
Laut klatschend sie an Bug und Bord.«
Die See, die innig ihm vertraute,
Sie selbst erhob sich gegen ihn,
Daß mit Gesichten, die er schaute,
Sie jetzt ihn zwang, vor ihr zu fliehn.
Der Furie Faustgriff am Genicke,
Eiskalten Schauder im Gebein,
Mord auf der Seele, Blut im Blicke,
Eilt' er hinab und schloß sich ein.

»Hast ihn gesehn?« sprach Sym, »er blickte
Verwirrt und scheu, als wär' ihm schlimm,
Vom Deck hinaus.« Tam Töggen nickte:
»Das kommt vom Freitagsegeln, Sym!«


 << zurück weiter >>