Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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IX.
Abschied von Sylt.

                            Zwei Wochen waren schon vergangen,
Und Edzard kam noch nicht zurück,
Ingborg mit Hangen und mit Bangen
Harrt' auf des Wiedersehens Glück.
Die erste Trennung war's der Beiden,
Und ihnen ward es grausam schwer,
Sich auch nur einen Tag zu meiden;
Das Haus schien Ingborg öd und leer,
Seit er sich nicht darin bewegte,
Sie nicht mehr hörte seinen Schritt,
Daß es die sehnsuchtsvoll Erregte
Kaum noch in den vier Wänden litt.
Doch ordnete sie Heim und Habe
Vorsorglich für den Aufbruch schon
Und packte, was an Gut und Gabe
Sie beide brauchten und ihr Sohn.
Ein schwer Geschäft! von allen Seiten
Bot sich Erinnerung ihr dar
Bei diesem Abschiedvorbereiten
Von hier, wo sie so glücklich war.
Auf keinem Schiff mit stolzen Masten,
Und führ's als Admiralschiff aus,
Wird je sie so zufrieden rasten
Wie hier im kleinen Friesenhaus,
Mit ihm, mit ihm allein geborgen
In ihrer Liebe Zauberschloß
Und mit der Lust, für ihn zu sorgen,
Daß er das höchste Glück genoß.
Doch Edzard hatt' es so entschieden,
Ihn trieben Mannes Muth und Kraft
Hinaus aus ihrem stillen Frieden
Zu Wagniß und zur Führerschaft
Im Kampf mit den Naturgewalten,
Wo es um Tod und Leben geht,
Und im Befehlen, Thun und Schalten
Ein Einziger für Alle steht.
O sie begriff sein heißes Sehnen,
Nach jahrelangem Müßiggang
Die freie Willenskraft zu dehnen
Gleich Schwingen überm Wogendrang.
Sie hatt' ihm einst gesagt: bedenke,
Daß Deine Wünsche immer auch
Die meinen sind, und leit' und lenke
Du mich mit Deines Willens Hauch.
Drum folgte, ob es stürmt', ob sonnte,
Sie ihm zu Wasser und zu Land,
Wenn sie nur bei ihm bleiben konnte,
Nur Aug' in Auge, Hand in Hand.

Es blickt' eine blonde Fischermaid
Bang auf die See hinaus,
Der, den sie liebte, war weit, so weit,
Kam Jahre nicht nach Haus.
Er ahnte nicht, daß sie noch sein
Gedacht' und nach ihm frug,
Sie wußte nicht, daß er allein
Ihr Bild im Herzen trug.

Sie saß am Meer im Sonnenschein,
Sie saß im Wind am Meer
Und sehnte sich tagaus, tagein
Nach seiner Wiederkehr.
Und er fand auch nicht Ruh, nicht Halt,
Die Segel ließ er drehn,
Es trieb ihn heimwärts mit Gewalt,
Er mußte sie wiedersehn.

Einst, als erloschen das Abendroth,
Was rudert und was rauscht?
In Dämmrung kommt heran ein Boot,
Sie zittert und sie lauscht.
Er springt heraus, er steht und starrt, –
Trügt ihn sein Auge nicht?
Ihr klopft das Herz, – auf den sie harrt,
Der schaut ihr ins Gesicht.

»Sprich! wen erwartest Du noch hier
Allein am öden Strand?«
»Und Du, Seefahrer, sage mir:
Wen suchest Du am Land?«
»Dich!« ruft er, und sein Auge blinkt
Hell auf in Herzenslust,
»Dich!« flüstert sie und wankt und sinkt
Dem Liebsten an die Brust.

»Dein Mütterlein auf dem Kirchhof ruht,
Ich hab' ihr Grab gepflegt,
Ihr Haus hat längst des Feuers Gluth
In Schutt und Asche gelegt.
Ich nähm' in unsre Hütte Dich
Und theilte mit Dir mein Brot,
Doch haßt mein Vater Dich und mich,
Er schlüg' uns beide todt.«

»So komm mit mir! da draußen liegt
Ein Schiff, und das ist mein,
Das soll, so lang es die Welle wiegt,
Uns Haus und Heimat sein.
Wenn Du Dein Schicksal mir vertraust,
Ob Lust, ob Leid es bringt.
So komm, bis uns, vom Sturm um braust,
Das letzte Lied erklingt!«

Zum Himmel blickte sie empor,
Da fuhr herab ein Stern,
Und die die Hoffnung nicht verlor,
Sie folgte dem Liebsten gern.
Sie drückten schweigend sich die Hand
Auf Treu und Glauben und Glück,
Dann stießen sie ab vom dunkeln Strand, –
Nie kehrten sie wieder zurück.

Ingborg späht' einst vom Hügel nieder
Die Heide lang, und Edzard kam,
Er winkt' ihr zu, sie winkte wieder,
Und wie sie ihn beim Kopfe nahm!
Aus übervollem Herzen sprang es,
Als sie zum Willkomm ihn umspann,
Wie Lerchenschmettern sang und klang es:
»Wie lieb' ich Dich, mein süßer Mann!«
Und nun erzählt' er von der Reise:
In Husum landet' er, von wo
Zu Wagen ihn befahr'ne Gleise
Nach Hamburg führten hoffnungsfroh.
Im Hafen dort hatt' er gefunden
Ein schönes Vollschiff größter Art
Und sich als Kapitän verbunden
Dem Rheder zur Ostindienfahrt.
»Die Jungfrau« hieß das Schiff, vom Kiele
Bis zu den Toppen fest gebaut,
Ein Segler, dem zum fernsten Ziele
Sich jeder Seemann gern vertraut.
Dem Zufall hatt' er es zu danken,
Daß er sofort das Schiff erhielt,
Des frühern Kapitäns Erkranken
Hatt's leicht ihm in die Hand gespielt.
Gut war's bemannt und stark beladen,
Und das Kommando sollt' er flugs
Nun übernehmen, daß kein Schaden
Aus der Verzögerung erwuchs.
Dann hatt' er, als erledigt waren
Dort die Geschäfte, wie's ihm lieb,
Die Nordsee grades Wegs durchfahren
Auf einem Ever, und der blieb
Am Wattenstrand des Winks gewärtig,
Daß er beim ersten guten Wind
Zur Abfahrt wieder segelfertig
Für Edzard sei mit Weib und Kind.
Nun mußten sie das Bündel schnüren
Und was am Herzen ihnen lag,
An Bord des Evers überführen,
Und dann – dann kam der letzte Tag
In Rantum auf der Sylter Heide
Und in der Düneneinsamkeit,
Und ihres Glückes grüne Weide
War abgegrast für alle Zeit. –

Wo Dir auf Erden
Ein Glück erblüht,
Wo Dir in Liebe
Das Herz erglüht,
Sei's in der Heimat,
Sei's in der Ferne,
Unter dem kühlsten
Der wandelnden Sterne,
Halt' in treuem Gedenken die Stätte,
Als ob sie ewig gebunden Dich hätte.

Pflück' ein Blümlein
Vom Wegesrand,
Raffe vom Boden
Ein Häuflein Sand.
Wenn Du's betrachtest
Nach langen Zeiten,
Wird Dich's gemahnen
Der Seligkeiten,
Einst in glücklichen Jahren genossen,
Die wie berauschende Stunden verflossen.

Wird dir beim Scheiden
Bang und verzagt,
Daß zum Lebwohl Dir
Die Stimme versagt,
Glänzt Dir im letzten
Blick eine Thräne,
Nimmer in Thorheit
Verschwendet sie wähne.
Winke vom Berge grüßend hernieder,
Weißt ja nicht, kehrest noch einmal Du wieder.

Die Sterne standen am Himmelsbogen
In warmer Frühsommernacht,
Still kam der Mond heraufgezogen,
Die Wellen rauschten sacht.
Es war, als sängen sie Abschiedslieder
Den Beiden, die wenig froh:
    ›Wann sehen wir uns wohl einmal wieder
Im ewigen Wandern und wo?
Wir schäumen an Küsten von sengenden Gluthen
Und branden um eisigen Steg,
Wir rollen ums Rund und ebben und fluthen
Und wissen nicht unsern Weg.
Und kehren wir nach unzähligen Jahren
Zurück an den alten Strand,
Wo sind dann, die hier glücklich waren,
Die hier die Liebe verband?
Die Einen liegen im Trocknen begraben,
Die Andern auf feuchtem Grund,
Und was sie gelitten, gestritten haben,
Ach, davon redet kein Mund.
Des Menschen Leben, wie Wind und Welle,
So wankt und schwankt es im Sein
Durch schauriges Dunkel, durch strahlende Helle,
Verlischt wie Tropfen am Stein.
Lebtwohl, ihr Athmer unter den Sternen,
Wo Alles wird wieder neu,
Und haltet, getrennt auch durch dämmernde Fernen,
Euch Lieb' und ewige Treu!‹
    Edzard und Ingeborg saßen im Sande
Dicht an einander geschmiegt
Auf ihrem Platz am Dünenrande,
Von wallenden Träumen gewiegt.
Wehmüthig schauten in tiefem Schweigen
Hernieder sie auf das Meer,
Sie sahen die Wellen sinken und steigen,
Das Herz ward ihnen schwer.
Der letzte Abend war gekommen,
Und ihnen war zu Muth,
Als würde beiden weggenommen
Des Friedens letzte Hut,
Als sollten sie aus dem stillen Port
Hinaus in die wogende Welt,
Durch die Fremde getrieben fort und fort
Unter anderen Himmels Gezelt.
Erinnerung aber hielte sie fest
Und ließe nimmer sie los
Und fesselte sie an ihr trauliches Nest,
Wo sie saßen in Glückes Schoß.
Sie führt' ihnen liebliche Bilder empor,
Von sonnigem Lächeln umschwebt
Und hielt ihnen alle die Freuden vor,
Die sie hier mit einander erlebt.
Sie flocht einen duftigen Blüthenkranz,
Von Immergrün rund umlaubt,
Und legt' ihn mild wie Sternenglanz
Den Beiden ums träumende Haupt.

Der Mond schien hell vom Himmel nieder
Aufs Meer und den einsamen Strand,
Sein sanftes Leuchten strahlte wieder
Vom wellenfeuchten Sand.
Er hatt' eine goldene Brücke geschlagen,
Die fern in den Wogen verschwand,
Gedanken und Wünsche hinüber zu tragen
Nach einem glückseligen Land.
Das gab auf den Wellen ein kräuselnd Geflimmer,
Ein bläuliches Funkeln und Glühn,
Auf sprudelndem Schaum einen flammenden Schimmer,
Ein Blinken und Blitzen und Sprühn.
Es war ein unsagbarer Zauber ergossen
Rings durch die schweigende Nacht,
Ahnungserweckend, geheimnißumflossen,
Von sinnberückender Macht.
Was scheu sich vor dem Licht verhüllte
In blendenden Tages Lauf,
Mit Hoffen und Sehnen die Brust erfüllte,
Zu den Sternen nun stieg es auf.
Ingeborg schaute zum Mond empor
Und wieder dann auf die See,
Und wie sich ihr Blick in der Ferne verlor,
Ergriff sie ein süßes Weh.
Sie schmiegte sich fester an Edzard an
In inniger Liebe Thun:
»Wann werden wir, mein Herzensmann,
Hier wieder einmal ruhn?«
»Ingborg, das steht in Gottes Hand,
Wir müssen uns fügen und still'n,
Schicksal geht über Menschenverstand,
Fragt nicht nach Wunsch und Will'n.«
So wich er ihr beklommen aus
Und athmete tief und schwer,
Er wußte wohl, das Hierzuhaus
Kam nimmer und nimmermehr.
Ein Schmerz in Ingeborgs Seele schlich
Leise wie Mondesgeleucht,
Ihr Busen hob und senkte sich,
Die Augen wurden ihr feucht.
Auf stand sie mit gebrochnem Muth
Und schöpft' ein Häuflein Sand
Grad von der Stätte, wo sie geruht,
Das in ihr Tuch sie band.
»Zum Angedenken nehm' ich's mit
Von diesem heiligen Grund,
Auf dem gesegnet jeder Schritt,«
Sprach sie mit zuckendem Mund.
»Solang ich leben kann und mag,
Bewahr' ich's, und dereinst
Leg's unter's Haupt mir an dem Tag,
An dem Du um mich weinst.«
Durch Edzards Seele ging ein Riß,
Er wünschte den Tod herbei,
Ihm war das Eine nur gewiß:
Das Leben trennte die Zwei.
Ihr war erloschen und erstickt
Jedweder Hoffnung Keim,
Und traurig gingen sie, geknickt
Zum letzten Male heim. –

Am andern Morgen schloß wehmuthvoll
Edzard das Häuschen zu,
Und wo sonst Ruf und Lachen scholl,
Da war nun Grabesruh.
Die Nachbarn gaben ihnen Geleit
Bis an den Wattenstrand
Und drückten dort in Traurigkeit
Noch einmal ihnen die Hand.
Dann saßen sie bei den Schiffern stumm
An Bord des Evers allein
Und fuhren um Hörnum Odde herum
In die freie Nordsee hinein.
Da glitt das Schiff wie Mövenflug
Mit voller Segel Trieb,
Als könnt' es gar nicht schnell genug
Fortbringen, was gerne blieb.
Edzard und Ingeborg standen am Mast
Und schauten zurück zum Land,
Hand hatte heimlich Hand erfaßt,
Und Blick den Blick verstand.
Vor ihren Augen sank und sank
Stets tiefer in die Fluth
Das Fleckchen Erde, die Inselbank,
Wo Herz am Herzen geruht,
Ein Paradies, mit Rosen bestreut,
In einer Wüstenei,
Das sie betreten zu Zwei'n und heut
Verließen ihrer Drei.
Noch ragte der Dünen gestreckter Damm
Weit sichtbar über die See,
Erglänzend wie fernen Gebirges Kamm
Mit frisch gefallnem Schnee.
Dann war nur noch ein schmaler Strich
Das Land, wie hingehaucht,
Dann nur ein Punkt, der rasch verblich,
Und jetzt – war's untergetaucht.
Ingeborg winkt' und rief: »O du,
Lebwohl, meines Glückes Lehn!«
Und Edzard fügt' in Gedanken hinzu:
»Auf Nimmerwiedersehn!«


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