Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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VI.
In der kleinsten Hütte.

              Noch eh' des grimmen Winters Härte
Der Schifffahrt nahm Verdienst und Lohn
Und starres Eis die Häfen sperrte,
War Ingeborg mit Edzard schon
Weit weg von Amsterdam gezogen
Nach einem einsam stillen Land,
Allwo der Nordsee graue Wogen
Benagten Dünenhang und Strand.
Das Eiland Sylt war's; dahin lenkte
Niemals ein Segler seinen Kiel,
Nie war das halb ins Meer Versenkte
Noch eines Fremden Reiseziel.
Der Seehund und der Tümmler hatten
Das Wasser und der Wind den Sand,
Die Luft die Möv' in Pacht, die Watten
Umspülten braunes Heideland.
Bescheiden und zufrieden hauste
Ein spärlich Völkchen dort, nur bang,
Wenn wild der Sturm aus Westen brauste,
Ob nicht noch mehr die Fluth verschlang.
Hier lebten von den Alltagsorgen
Ingborg und Edzard frank und frei,
Vor jedem Späherblick geborgen,
Denn Niemand suchte hier die Zwei.
Und was sie ganz besonders freute, –
Heimatlich war, was sie umschlang,
Denn friesisch waren Land und Leute,
Friesisch der Sprache trauter Klang.
    In Rantum war's, kein Dorf zu nennen,
Ein paar Gehöfte nur am Moor
Und, um sie von der See zu trennen,
Die hohen Dünen dicht davor.
Da war es, wo sie Obdach fanden
Und dank des Zufalls Schick und Gunst
Ein kleines Haus für sich erstanden,
Schlicht, ohne Prunk und ohne Kunst.
Aus braunem Backstein aufgemauert,
Gedeckt mit dickem Binsendach,
Hatt' es Jahrzehnte überdauert
In jedes Wetters Ungemach.
Klein waren auch die Fensterlücken,
Die Eingangsthür so niedrig gar,
Daß sich beinahe mußte bücken
Das schöne, große Menschenpaar.
Doch war's behaglich, blank und sauber
In seinen Wänden, schmuck und frisch,
Des Glückes und der Liebe Zauber
Saß in dem Nest als Wirth am Tisch.

Kaum waren sie mit Ingborgs Habe,
Soviel sie davon mit sich nahm,
Hier eingezogen, als im Trabe
Vom Festland her der Winter kam.
Die Flocken wirbelten und tanzten,
Das seichte Wattenmeer gefror,
Schneeweiß und immer höher schanzten
Die Dünen ihren Wall empor.
Das Friesenhäuschen auf der Heide,
Wohl ausgerüstet und versehn,
Stand nun in seinem Winterkleide,
So still, als wollt' es schlafen gehn.
Das Dach beschneit, die Thür verriegelt,
Die Fensterscheiben übereist,
Von außen öde, wie versiegelt
Und auch der Weg verweht, vergleist.
Wenn nicht aus seinem Schornstein stiege
Aufkräuselnd leichter, blauer Rauch,
Man glaubte, daß es ledig liege
Ohne lebend'gen Wesens Hauch.
Und Abends blinkt' ein trauter Schimmer,
Der Lampe röthlich heller Schein,
Sanft durch die Fenster aus dem Zimmer
Gleichwie des Hauses Aeugelein.
Da brachten sie die kurzen Tage,
Die langen Nächte hin in Ruh,
Und schlossen gegen Pein und Plage
Die Thüre fest von innen zu.
Doch bald auch mit den Nachbarn knüpften
Sie Umgang an, zu denen oft
Sie Abends nun hinüberschlüpften
Und umgekehrt, und wie gehofft,
Entspann zum Trost für beide Theile
Sich wahre Freundschaft und vertrieb
Des harten Winters Langeweile
Gesellig, wie es Allen lieb.
Der Männer Unterhaltung wählte
Zum Stoff des Schiffers Wohl und Weh,
Und Edzard namentlich erzählte
Von Abenteuern über See.
Die Frauen sprachen dann des Weiten
Sich über ihre Sorgen aus,
Die kleine Wirtschaft recht zu leiten,
Und über Freud und Leid im Haus.
Sie hatten Ingborg lieb gewonnen,
Sahn hier sie unter gutem Stern
In ihrem jungen Glück sich sonnen
Und gönnten's ihr von Herzen gern.
Genoß sie doch in ihrem Leben
Der Liebe Lust zum ersten Mal,
Beseligt, sich ihr hinzugeben
Nach trüber Jahre Druck und Qual.
Sie mußte manchmal sich besinnen,
Ob's Traum war oder Wirklichkeit,
Und wußte nichts dann zu beginnen
In ihres Herzens Trunkenheit,
Als Edzard an die Brust zu sinken
Mit einem stummen Gott vergelt!
Und seines Mundes Hauch zu trinken,
Sich selbst vergessend und die Welt.

Du schaust mich an mit Blicken,
Die mir zu Herzen gehn,
Dein Lächeln und Dein Nicken,
Ich kann es wohl verstehn.
Du hast Dich mir ergeben,
Du willst mit Leib und Leben
Mein einzig Eigen sein,
Und ich bin Dein.

Was mir die Seele füllet
Mit Jubel grenzenlos,
Kein Wort es Dir enthüllet,
Das Glück ist gar zu groß.
Es steht einmal geschrieben:
Ich muß Dich lieben, lieben
Bis in den Tod hinein,
Und Du bist mein.

O Du! wir wissen's beide,
Was wir einander sind
In Lust und auch in Leide,
In Wetter und in Wind.
Wer will's dem Andern sagen?
Ist alles, was wir tragen
Tief in des Herzens Schrein,
Nicht Dein und mein?

Neumond und Vollmond ging vorüber
In stetem Wechsel ab und zu,
Bald klar und hell und bald auch trüber
In Wolkenflug und Himmelsruh.
Und endlich sandte seine Boten
Der Frühling vor von Haus zu Haus,
Und mit erschütternd starken Noten
Posaunten sie sein Nahen aus.
Er selbst ließ lang noch auf sich warten,
Und als er kam, geschah es nicht,
Als trät' er nun in einen Garten,
Wo schon sein Blick die Knospen bricht.
Er kam mit andern, schwerern Waffen
Dahergefahren übers Meer,
Denn härter macht' ihm hier zu schaffen
Des Winters schroffe Gegenwehr.
Im Sturme kam er angeschossen,
In Gischt und Schaum, mit Donnerklang,
Und auf Poseidons weißen Rossen
Ritt er zu Land im Wogendrang.
Ingborg und Edzard hörten's sausen,
Wie's heulend durch die Heide strich,
Und auch der Brandung Brüll'n und Brausen
Jenseits der Dünen, fürchterlich.
Und als nach wild durchkämpften Wochen
Die große Schlacht geschlagen war,
Des Winters Zwinggewalt gebrochen,
Und Heerschau hielt des Siegers Schaar,
Da kamen auch die Menschen wieder
Hervor aus ihrer Siedelei
Und lauschten auf der Lerche Lieder
Und auf der Möve hellen Schrei.
Bald fingen an geschützten Stellen
Auch Blumen schüchtern an zu blühn,
Und in des gelben Sandes Wellen
Wuchs Dünenhafer, bläulich-grün.

Edzard und Ingborg, allerwegen
Bekannter werdend schon im Land,
Sahn, daß sich ihnen auch entgegen
Und freundlich streckte manche Hand.
Die junge Frau, so auserlesen
An Schönheit, riß die Herzen hin,
Und Eduards mannhaft festes Wesen
Gefiel der Männer ernstem Sinn.
Sie machten Kenntniß und Erfahrung
Des Seemanns redlich sich zu Nutz
Und lauschten seiner Offenbarung
Für ihres Eilands Schirm und Schutz.
Und als die Zeit der Wahl gekommen,
Verliehen sie ihm allesammt,
Wie sie sich längst schon vorgenommen,
Des Strandvogts wichtig Ehrenamt.
Er übernahm es ehrlich dankend
Und führt' es, trauend seiner Kraft
Und nie in Pflichterfüllung wankend,
Fürsorglich und gewissenhaft.
    Da nun geschah's, daß eines Tages
Ingborg im mahnenden Gefühl
Und Drängen ihres Herzensschlages
Beim Morgenroth, noch auf dem Pfühl
Zu Edzard sagte: »Liebster, wollen,
Da wir kein Hinderniß mehr sehn,
Wir endlich nicht den weihevollen,
Sittsamen Weg zur Kirche gehn
Nach Keitum, am Altar die Ringe
Zu wechseln dort als Frau und Mann,
Daß wenn ich Dich, wie jetzt, umschlinge,
Ich's ohne zu erröthen kann?«
Edzard erschrak, obwohl er lange
Die Frage hatte kommen sehn;
Er durfte ja zu diesem Gange
Sich nun und nimmermehr verstehn.
Van Straten lebte noch, das wußte
Nur er, verlegen fast um Rath,
Als er nun auf sich nehmen mußte,
Was aufwuchs aus der Lüge Saat.
»Es ist zu spät zu diesem Schritte,«
Erwiedert' er und zog die Brau,
»Wir sind in der Bevölkrung Mitte
Längst angesehn als Mann und Frau,
Und Anstoß würd' es nur erregen
Hier auf der Insel, würd' es kund,
Daß wir erst jetzt der Kirche Segen
Verlangt für unsern Herzensbund.«
    »Mit Unrecht trag' ich Deinen Namen,
Du glaubst es nicht, wie mich das brennt,
Seitdem wir auf die Insel kamen,
Wo man mich nur Frau Truelsen nennt.«
»So laß sie, Liebste, bei dem Glauben,
Du hießest so mit allem Fug;
Nichts kann Dir Ehr' und Achtung rauben,
Und das sei Dir und mir genug.«
    »Könnt' es ganz heimlich nicht geschehen,
Daß es der Pfarrer nur erführ'?
Wie glücklich würd' ich mit Dir gehen
Den Heimweg von der Kirchenthür!«
    »Unmöglich, Liebste! nicht zu stillen
Ist Dein Begehr, ergieb Dich drein!
Zumeist um Deiner Ehre willen
Muß unser Bund Geheimniß sein.«
    »Die erste Bitte, die ich wage,
Edzard! und die verweist Du mir!
Wie schwer ich an dem Makel trage,
Nicht mehr verhehlen kann ich's Dir.«
Er schwieg, so laut das Herz ihm klopfte,
Und hielt sie fester noch im Arm,
Aus ihren Augen aber tropfte
Auf seine Hand es feucht und warm.

So blieb's dabei, und niemals wieder
Erwähnte sie's mit einem Wort,
Wie mit sanft fächelndem Gefieder
Scheucht' ihr das Glück die Sorgen fort.
Edzard trug Ingeborg auf Händen,
Sie aber schuf für ihn und sich
In ihren traulichen vier Wänden
Ein frohes Tischleindeckedich,
So friedumhegt, so frühlingssonnig,
Als wirkt' an diesem rauhen Strand
Ein Märchenzauber, liebeswonnig,
Der nur für diese Zwei bestand.
Wie unter einem Dach sie schliefen,
So tranken sie aus einem Glas,
Was in des Einen Herzenstiefen
Sich heimlich regte, rieth und las
Der Andre ohne lang Betrachten
So gut, als hätt' er scharf gefragt,
Sie sahn sich schelmisch an und lachten
Und wußten alles ungesagt.
Wenn er, um seines Amts zu walten,
Oft lange fern von Hause blieb,
War auch für sie daheim kein Halten,
Daß sie's im Frei'n zu singen trieb.

Einsame Stunden, ihr schleichet so träge,
Daß ich des Herzens verlangende Schläge
Nimmer im Busen mehr bändigen kann
Nach dem geliebten, dem trautesten Mann.
Schafft mir den Einen,
Rasche Minuten,
Bringet ihn meinen
Sehnenden Gluthen!
Nicht ohn' ihn mehr weiß ich zu leben,
Seele und Seligkeit will ich ihm geben.

Seh' ich ihn schreiten, hör' ich ihn kommen,
Sind mir vor Freuden die Sinne benommen;
Blickt er mich an und winkt er mir zu,
Ist es geschehen um Fassung und Ruh.
Schnell ihm entgegen
Muß ich dann springen,
Herzen und hegen,
Heiß ihn umschlingen;
Hab' ihm so Vieles und Liebes zu sagen,
Muß doch im Glücke verstummen und zagen.

Dann um mich her hab' ich alles vergessen,
Kann nur noch Eines im Herzen ermessen:
Daß ich ihn liebe, daß er mich auch liebt,
Wie es auf Erden kein Lieben mehr giebt.
Heilige Treue
Fest zu bewahren,
Immer aufs Neue
Sie zu erfahren,
Besser, als Wort und Gelübde verstände,
Sagen wir's uns mit dem Drucke der Hände.

Edzard sprach einst: »Du liebevolle,
Du immer heitre Herzensfrau,
Ist Dir der Schiffer auf der Scholle
Nicht oft zu bärenhaft und rauh?«
Mit einem Blick, so süß und innig,
Sah lächelnd sie zu ihm empor,
Umarmte zärtlich ihn, und minnig
Sprach sie erröthend ihm ins Ohr:
»Mein Edzard! bin ich nicht Dein eigen
Mit dem, was an und in mir ist?
Und soll ich Dir nicht liebend zeigen,
Daß Du mein Mann und Meister bist?
Du sollst nur meine Sonnenseite
Und niemals auch die Schatten sehn,
Mit denen ich geheim oft streite,
Und die vor Dir in Nichts zergehn.
Du mußt mich nun einmal im Leben
Ertragen, wie ich eben bin,
Hab' ich Dir sonst auch nichts zu geben,
Als nur mein Selbst, doch das nimm hin!
Für Dich nur leb' ich, Dir gehör' ich,
Was Dich erfreut, das freut auch mich,
Und immer, immer wieder schwör' ich:
Nicht athmen mag ich ohne Dich!«
»O Du mit Deinem Goldgemüthe,«
Rief er in hellen Freuden aus,
»Mit Deiner Huld und Herzensgüte,
Mein Pudelköpfchen, blond und kraus!
Ich möchte Dich nicht anders haben,
Als wie Du bist, so frohgemuth,
Mit Deines Geistes reichen Gaben,
Mit Deiner Liebe tiefer Gluth.«
Und selig hielt er sie umfangen,
Jedoch behutsam und gemach,
Und die gesprochnen Worte klangen
In ihrem Liede fröhlich nach.

Was ist Liebesglück? o sage,
Sag' es, wenn Du's weißt!
Was ist's, das mit gleichem Schlage
Herz zu Herzen reißt?

Ist es Blick in Blicke tauchen
Bis zum tiefsten Grund?
Ist es Flüsterworte hauchen
Froh von Mund zu Mund?

Ist es Kuß um Küsse tauschen?
Ist's mit Aug' und Ohr
Jeder leisen Regung lauschen,
Die sich ringt empor?

Ist es alle Sehnsucht stillen,
Die durch Träume schwebt?
Ist's erfüllen Wunsch und Willen,
Der das Herz durchbebt?

Ach, aus tausend süßen Bronnen,
Rieselnd Tag und Nacht,
Strömt der Quell der Liebeswonnen,
Der uns trunken macht.

Doch das wahre Glück, das echte,
Eines ist es nur,
Anders war es nicht das rechte,
Das uns widerfuhr.

Wissen, daß zu allen Zeiten
Eins des Andern denkt
Und für alle Ewigkeiten
Sich ihm hat geschenkt.

Angehören sich in Treuen,
Ruhig sich zu Zwei'n
Sicheren Besitzes freuen,
Das ist Glück allein.

Sie hatten drüben sich am Strande
Ein lauschig Plätzchen ausgewählt,
Da hatt' er ihr im Dünensande
Von seinen Fahrten oft erzählt.
Da saßen manche Stunde beide
Und blickten auf das Meer hinaus
Bis zu des Horizontes Scheide
Und horchten auf der Wogen Braus.
Und so auch eines Abends wieder;
Die See war mäßig nur belebt,
Die Sonne neigte schon sich nieder,
Von wechselndem Gewölk umschwebt.
Bald stand sie feurig da, bald tauchte
Sie unter in verhüllten Raum,
Durchblitzend nur, und bald umhauchte
Gleich wie mit einem Flammensaum
Sie das Gewölk; hochmächtig schossen
Dann ihre Strahlen draus hervor
Gleich ausgespreizten Fächersprossen,
Bis sich's im Aetherduft verlor.
Beim Wellenbiegen gab's ein Schimmern,
Durchsichtig hell smaragdengrün,
Und dann beim Uebersturz ein Flimmern
Und goldig glitzernd Funkensprühn.
Purpurn in immer tiefern Gluthen
Stieg jetzt hinab der Sonnenball, –
Jetzt halb versenkt schon in die Fluthen –
Und jetzt verschwunden überall.
    Sie hatten schweigend dagesessen
Und in dem linden Abendwehn
Wie traumverloren und vergessen
Dem großen Schauspiel zugesehn,
Als Ingborg, schmerzlich hingerissen,
Ausrief: »Versunken und verglüht!
Und nun zu denken und zu wissen,
Daß einmal Alles so verblüht!
Ich trüg' es, wenn auf immer schwände
Die Sonne meinem Angesicht,
Doch unsrer Liebe letztes Ende,
Das, Edzard, überlebt' ich nicht.
Ging' unser Glück einmal in Scherben,
Und nähmst Du Deine Liebe mir,
So gäb's für mich nur Eines, – sterben,
Denn leben will ich nur mit Dir!«
Edzard, ins Herz getroffen, wollte
Sein Weib umfahn in Schmerz und Hast,
Daß sie nicht sehn und merken sollte,
Wie furchtbar ihn ihr Wort erfaßt.
Sie merkt' es aber an dem Beben
Der Stimme und an dem Gewicht,
Mit dem er sprach: »Ingborg, wir leben
Zusammen oder leben nicht!«
Sie schaut' ihn an und lag dann lange
Getrost und still an ihn geschmiegt,
Vom leise rauschenden Gesange
Der Wellen wie in Schlaf gewiegt.
Die ausgestreuten Wolkenrosen
Am Himmelszelt verblaßten sacht,
Und auf dem Meer, dem uferlosen,
Ward's dunkel, und es kam die Nacht.


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