Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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VIII.
Auf Heide und Dünen.

                                  Ueber die Heide braust
Der entfesselte Wind.
Er faucht und saust
Und fährt geschwind
Mit wuchtigem Flügel
Über die Hügel,
Die Gräber der Hünen
Im steinigen Bette,
Und über der Dünen
Sich dehnende Kette.
Da stiebt der Sand
Und rieselt vom Rand
Und raschelt im Grase
Gleich körnigen Splittern
Vom härtesten Glase.
Die Halme zittern
Und wehen und flattern,
Ein Knistern und Knattern
Geht durch die gebückten,
Zur Erde gedrückten.
    Vom Ufer tönet
Herüber und dröhnet
Ein Rauschen und Rollen
Wie Donnergrollen.
Die Wogen schlagen
Den wüsten Strand
Und treiben und tragen
Ausbreitend an Land
Den Schaum und Gischt,
Der im Sande verlischt.
Und rückwärts fließen
Die Wellen, ergießen
In andre sich strudelnd,
Die spritzend und sprudelnd
Sich kräuseln und schürzen,
Sich brechen und stürzen
Zu neuer Landung
In tosender Brandung.
    Bald langsam ziehen,
Bald eilend fliehen,
Hier dicht geballt,
Dort mannigfalt
Zerfetzt, zerrissen,
Zerzaust und zersplissen,
Die Wolken oben,
Vom Winde geschoben.
Und plötzlich prasselt
Herunter und rasselt
Ein Regenschauer
Von kurzer Dauer,
Aus finsterer Höh
Von stürmischer Bö
Gepackt und gerüttelt,
Zu Strömen geschüttelt.
Es schießt und schmettert
Und wirbelt und wettert
Im Nebelkleide
Rasch über die Heide,
Durch die es sich windet,
Verdampft und verschwindet
Wie Sinnestrug,
Wie gruselig huschender Hexenspuk.
    Dann still und leer
Liegt rings umher
Nach Sturm und Streit
Das flache Gefild,
Der Einsamkeit
Großartiges Bild.
Wohin auch immer
Durch feuchtes Geflimmer
Die Augen schau'n,
Ist düster braun
Die Heide ringsum
Und todesstumm.
Nur dumpf und leise
Der Wind noch singt
Eine alte Weise,
Die traurig klingt.
Er flüstert von Sagen
Aus grauen Tagen,
Von Dörfern, versunken,
Im Meer ertrunken,
Von Recken und Grafen
Mit Ring und Stab,
Die lange schon schlafen
Im Hünengrab.
    Auf einmal bricht
Das Sonnenlicht
Aus dem schwarzen Flor
Der Wolken hervor,
Beglänzt eine Kuppe
Der Dünengruppe,
Daß hell und rund
Vor schattigem Grund
Es schimmert und scheint,
Als wäre vereint
Der Sand der See
Mit Alpenschnee.
Zart duftige, schöne
Farben und Töne
Flirren und funkeln;
Neben dem dunkeln
Heidekraut nisteln
Bläuliche Disteln
Zwischen den grünen
Gräsern der Dünen.
Und wo zu Thale
Die Kette sinkt,
Da blitzt und blinkt
Im Sonnenstrahle
Das blaue Meer
Dazwischen her
Und glitzert und spiegelt
Wie goldbesiegelt.
Ein einziger freier,
Nur flüchtiger Blick
War's durch den Schleier,
Und wieder zurück
Ins graue Getriebe
Der Wolkengeschiebe
Kehrt bleich und fahl
Der leuchtende Strahl.
    Und wieder geht
Der Wind und weht
Ueber See und Sand
Ins dunstige Land
Mit salzigem Hauch.
Kein Baum, kein Strauch
Hemmt seinen Gang
Auf meilenlang
Gestrecktem Grund
Am Wattensund,
Wo nichts sich regt,
Nichts sich bewegt
In Flug und Sprung,
Kein Laut, kein Schall,
Als Windesschwung
Und Wogenschwall.
Verlassen liegt
Wie bedrückt, besiegt
Von lastendem Leide
Die braune Heide.

Ein Wandrer schreitet
Pfadlos gen Süden,
Kein Ziel ihn leitet,
Er fühlt kein Ermüden.
Im Winde flattert sein Haar,
Sein blaues Augenpaar
Starrt finster vor sich hin,
Ihm trüben Sorgen den Sinn.
Manch tiefer Seufzer ihm entsteigt,
Als ob ihm Muth und Hoffnung schwinde,
Er regt die Lippe, doch er schweigt,
Vertraut sein Weh nicht mal dem Winde.
's ist Edzard, der durch die Heide geht,
Nicht wissend wohin und wie weit,
Wo keines Menschen Hütte steht
Und nur die Möve schreit.
Er faltet die Stirn und denkt und denkt
Und wandert immer fort,
Er schreitet, den Blick zu Boden gesenkt,
Als such' er Verlorenes dort.
Noch nicht verloren, noch ist sein
Das höchste Glück auf Erden,
Bald aber mit dem Mein und Dein
Muß abgerechnet werden.
Schon rückt die Zeit heran in Hast
Zu schrecklichem Beginnen,
Ach! nur noch wenig Wochen fast,
Dann muß er mit Ingborg von hinnen.
Das Cap der guten Hoffnung ist weit,
Früh muß er von dannen ziehn, –
Der »guten Hoffnung« – Barmherzigkeit!
Der Ort der Verzweiflung für ihn!
Noch hat er kein Schiff, das ihn und sein Glück
Fort trägt zum Süden nieder,
Und kehrt er selber lebend zurück, –
Sie sieht er niemals wieder.
Noch weiß sie's nicht, noch fand er nicht Muth,
Das Fürchterliche zu sagen,
Und wenn er es nun endlich thut,
Wie wird sie's fassen und tragen?
Wie soll er's über die Lippen bringen,
Daß sie nur sein geliehenes Weib,
Und daß ihn Wort und Handschlag zwingen,
Sie auszuliefern mit Seel' und Leib
Dem, dessen Tod er ihr gelogen,
Dem sie nun wieder gehören soll,
Nachdem auf seliger Liebe Wogen
Ihr Schifflein fuhr, des Glückes voll?
Hätt' er sein heiliges Wort nicht gegeben,
Ingborg zu bringen dem Mann,
Er schlüg' ihr vor, zu scheiden vom Leben
Mit ihm, wenn die Frist verrann.
Und Heiko dann, der Liebling von beiden,
Legt' ihnen auf die Pflicht,
Das Leben zu tragen, das Leben zu leiden
Mit seiner Schmerzen Gewicht.
Manchmal durchirrt' er die Heide schon
Und rang nach einem Entschluß
Gegenüber des Schicksals bitterm Hohn,
Gegenüber dem grausamen Muß.
Und war er zu Hause, so saß er und saß
Und brachte kein Wort hervor,
So bang, daß er Essen und Trinken vergaß
Und den Segen des Schlafes verlor.
Dann sah ihn Ingeborg sorgend an
Und streichelt' ihm Wangen und Stirn:
»Was hast Du, mein liebster, mein einziger Mann?
Was stört Dich in Herzen und Hirn?«
Er aber schüttelte stumm das Haupt
Und winkt' ihr mit der Hand;
Sie suchte, was ihm die Ruhe geraubt,
Und suchte, was sie nicht fand.
Er liebte sie noch so heiß wie je,
Sie fühlt' es an seinem Kuß,
Sein Kummer jedoch, sein Leid und Weh
Blieb unter festem Verschluß.
Doch endlich kam ihr Erleuchtung und Rath,
Er aber war nicht zu Haus,
Auf sprang ihr im Herzen der Wille zur That, –
Zu suchen ihn ging sie aus.

Sie suchte den Liebsten weit und breit,
Sie sucht' ihn sehnsuchtsvoll,
Und in der schweigenden Einsamkeit
Das Herz so mächtig ihr schwoll,
Als hätte sie lang ihn nicht gesehn,
Noch länger ihn nicht geküßt,
Daß, seinen Spuren nachzugehn,
Sie jagen und eilen müßt',
Um ihm aus seiner Seele fort
Zu scheuchen Angst und Noth
Wie Spreu vorm Wind durch ein einzig Wort,
Das ihr die Liebe gebot.
Doch fand sie ihn auf der Heide nicht,
So weit sie auch lief und lief,
Anstrengend ihr Gehör und Gesicht,
Und seinen Namen rief.
Sie schlug sich in die Dünen hinein,
Durchstreifend kreuz und quer,
Thalauf, thalab die Hügelreih'n,
Bis vor ihr wogte das Meer.
Es war wohl spät am Nachmittag
Schon nach der Sonne Stand,
Doch weitum ihr zu Füßen lag
Einsam und leer der Strand.
Die Wellen rauschten dumpf und kühl
Heraus und wieder hinein,
Ihr aber wurde bang und schwül:
»Wo mag mein Liebster sein?
Die Schwermuth hat's ihm angethan,
Die heimlich ihn umspinnt,
Doch der ihn quält, den düstern Wahn,
Den nehm' ich ihm geschwind.«
Und weiter geht sie den Strand entlang,
Nicht achtend des Windes Wehn,
Da zwischen den Hügeln am Dünenhang,
Da findet sie endlich ihn stehn.
Er sieht sie nicht, er hört sie nicht,
Entrückt aus Raum und Zeit,
Schreckt erst, als sie schon bei ihm dicht,
Aus seiner Versunkenheit.
»Edzard,« beginnt sie, »was ist mit Dir?
Du bist nicht mehr wie sonst;
Warum verbirgst Dein Leid Du mir,
Mir, Deinem treuen Gesponst?«
Er schaut sie träumerisch, traurig an
Und seufzt nur schwer und stumm,
Sie legt die Arme dem starken Mann
Sanft um den Nacken herum.
»Wenn Du es mir nicht sagen willst,«
Spricht sie, »so sag' ich's Dir,
Damit Du Deine Sehnsucht stillst,
Denn dazu bin ich hier.
Dich treibt es fort vom Inselstrand,
Zu segeln aus und ein,
Du hältst es nicht mehr aus am Land,
Mußt wieder Seemann sein.
So nimm ein Schiff und segle los,
Doch es gescheh' selbdritt,
Mir ist kein Meer zu weit, zu groß,
Edzard – ich gehe mit!
Du läßt ja nimmer doch von mir,
Läßt nicht Dein Kind in Stich,
Ich häng' an Dir, ich haft' an Dir,
Wo Du bleibst, bleib' auch ich.
Fährst Du gen Süd, fährst Du gen Nord,
Fährst rund Du um die Welt,
An Deiner Brust, an Deinem Bord,
Da ist mein Himmelszelt.«
»Ingborg!! – mein muthig Weib!« heraus
Schreit er's in Leid und Lust
Und drückt sie fest im Windgebraus
An seine klopfende Brust.

Dann gehen heim sie Arm in Arm, –
Ach, wie das Herz ihr klang,
Wie sie an ihn jetzt weich und warm
Sich schmiegt auf diesem Gang!
Sie denkt in ihrer Liebe Sieg
An Edzards Freude nur,
Ahnt nicht, wenn sie sein Schiff bestieg,
Wohin sie mit ihm fuhr.
Und er? – wohl ist er frohgemuth,
Daß sie sich selbst erbot,
Ihn zu begleiten durch die Fluth,
Nicht wissend, was ihr droht.
Nun braucht er nicht ihr zu enthüll'n
Der Reise Zweck und Ziel,
Noch dürfen Glück und Liebe füll'n
Den Raum auf seinem Kiel.
Doch in ihm wurmt's und frißt und nagt,
Daß die, die ihm vertraut,
Die Alles für ihn thut und wagt,
Vergebens auf ihn baut.
Um sich von ihm zu trennen nie,
Geht sie mit ihm an Bord,
Und dazu grade führt er sie
Stillschweigend mit sich fort.
Wie schrecklich, wenn er einst am Cap
Die Worte sprechen muß:
»Jetzt schließe mit dem Glück nur ab,
Gieb mir den letzten Kuß!
Dort kommt ein Schiff herauf vom Pol,
Van Straten ist's allein,
Er nimmt Dich mir, – lebwohl! lebwohl!
Du bist nun wieder sein.«
So sah's in Edzards Innern aus,
Mit Ingborg Hand in Hand,
Bis wieder dann in Pein und Graus
Der Trost ihm neu erstand:
's ist doch ein Aufschub, Monde lang,
Bis dahin sind wir froh
In unsrer Herzen heißem Drang,
In Lust und Liebe so.
Und wirklich ward er heitern Sinns
Und guter Hoffnung voll,
Daß ihm ob dieses Zeitgewinns
Das Herz in Freuden schwoll.
»Gleich morgen,« rief er, »fahre hier
Ich ab vom Morsum-Kliff
Nach Hamburg und verschaffe mir
Als Kapitän ein Schiff.«
Sie lächelt ihm, sie nickt ihm zu:
»Nur nicht zu lange bleib'!«
»Nein!« lacht er, »nein, mein wonnig Du!«
Und herzt und küßt sein Weib.


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