Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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XIV.
Im Sturme.

                        Ein Leben war's in Saus und Braus,
Das der von Gier und Gluth Geschürte,
Van Straten, an Bord und im Bambushaus
Auf den malayischen Inseln führte.
Denn in Batavia nach langer Fahrt
Mit dem Kometen angekommen,
Hatt' er dort auch in alter Art
Sein wüstes Treiben aufgenommen.
Die große Stadt, so üppig schön
An inselreicher Bucht gelegen,
Bot nach dem lauten Werkgetön
Genuß und Freuden allerwegen.
Zwar ist gefährlich ihre Lust
Am Tage denen, die hier wohnen,
Doch Abends kühl und süß vom Duft
Der Ananas, Orangen, Melonen.
Dann füllten stets auf Stuhl und Bank
Sich die Tavernen der Chinesen,
Malayenmädchen, braun und schlank,
Bedienten mit gefälligem Wesen.
Man saß beim Arak oder Thee,
Bei Weinen, die mit ihren Frachten
In die durchglühte Sundasee
Fernher zahllose Schiffe brachten.
In einem Gasthaus, wohlgepflegt,
Gekannt von Allen, die hier landen,
Mit luftigen Räumen und umhegt
Von laubumsponnenen Veranden,
Da saß van Straten jede Nacht
Mit Andern bis zum Morgendämmern,
Betäubend durch des Weines Macht
Des Herzens ruheloses Hämmern.
Da hielt er Bank, gewann, verlor
Und schlug, zehnfach gewinnend wieder,
Den Unmuth derer, die er schor,
Mit unbarmherzigem Spotte nieder.
Da trank er Manchen untern Tisch
Mit unverhohlner Schadenfreude,
Ganz gleich, bei welcherlei Gemisch
Der Andre Sinn und Geist vergeude.
Ihn focht nichts an, er konnt' allein
Ein unbegrenztes Maß vertragen,
Und Niemand durft' im stärksten Wein
Ihm einen Zutrunk je versagen.
Niemand auch durfte nur die Hand
Nach einem hübschen Mädchen strecken,
Das just bei ihm in Gnade stand,
Wollt' er nicht Eifersucht ihm wecken.
Erhob sich Streit, was oft geschah,
So war er schrecklich anzuschauen,
Gleich kampfgerüstet stand er da
Mit finstern, tief gefurchten Brauen.
Die große Zornesader schwoll,
Die dunkeln Augen schossen Blitze,
Und seine Stimme mächtig scholl,
Bis Jeder schwieg auf seinem Sitze.
So war er hier auch als Tyrann
Gefürchtet und zugleich beneidet
Und seltsam über Weib und Mann
Mit zwingender Gewalt bekleidet.
Trieb aber Nachts er noch so toll
Unfug und Frevel beim Gelage,
Nutzt' er, ein Waghals jeder Zoll,
Doch klug und rührig seine Tage.
Er kaufte, feilschend schlau und scharf,
Vorräthe von des Landes Schätzen,
In andern Häfen nach Bedarf
Und mit Gewinn sie abzusetzen.
Dann mit des Kaufmanns weitem Blick
Fuhr er umher auf seinem Schiffe
Im Inselmeere, mit Geschick
Umsteuernd die Korallenriffe.
Auf Celebes und Sumatra,
Borneo und den Philippinen, –
Wo man van Stratens Flagge sah,
Gab's immer etwas zu verdienen.
Und hier wie dort in Lärm und Wust
Durchprasst' er zügellos die Nächte,
Als ob er damit von der Brust
Die Lasten wegzuschwemmen dächte.
Doch in ihm saß und fraß der Wurm,
Der ihm das Herz zur Hölle machte,
Den nicht der Leidenschaften Sturm,
Nicht Trunk und Spiel zur Ruhe brachte.

Auf seiner Seele lag der Mord,
Und überall, an Land, an Bord,
Sah er des Blutes rothe Welle
Und auf Bahia's Damm die Stelle,
Wo er den besten Freund erstach,
Früd Buncken röchelnd zusammenbrach.
Kein Menschenauge hatt's gesehn,
Kein Richter und Rächer konnt' erstehn,
Der Mörder selber trug allein
Die bergeschwere Gewissenspein.
Die Hand, mit der er den Stoß geführt,
Däucht' ihm als wie vom Schlage gerührt,
Sie zitterte, wenn er am Glase sog,
Sie zitterte, wenn er die Karte bog,
Am liebsten hätt' er sie versteckt,
Als sähe man, daß sie mit Blut befleckt.
Einmal, von Herzensangst verwirrt,
Hatt' er sich gar dahin verirrt,
Sein bischen Katechismus gesammelt,
Ein halbes Vaterunser gestammelt
Bis »Und vergieb uns unsre Schuld,
Wie wir –«, da riß ihm die Geduld.
»Ach was! der Teufel hole das Beten,
Das Händefalten und Quetschen und Kneten,
Als pfiffe man auf dem letzten Loch
Und beugte den Nacken unter das Joch!
Ich habe gewonnen in letzter Zeit,
Da könnt' ich für Seel' und Seligkeit
Und zur Vergebung meiner Sünden
Dem lieben Gott ein Kirchlein gründen
Oder ein Siechenhaus für die Kranken.
Dann muß er sich doch bei mir bedanken,
Ausgleichen mein Conto, bis dato quitt!
Wär' ein Geschäft! ja, – aber Früd!
Der steht mit seinem Blut dabei,
Läßt mich nicht los, giebt mich nicht frei,
Und ehrlos hat er mich genannt, –
Früd, steig' herauf aus dem Meeressand
Und lösche jener Stunde Graus,
Gieb meine Ehre mir heraus!«
So schrie's in seiner armen Seele
Und hielt gepackt ihn an der Kehle.

Wie diese Qualen im Tageslicht,
Im Dunkel der Nacht auch Duldung heischten,
Sie waren noch die größten nicht,
Die ihm das zuckende Herz zerfleischten.
Sein Weib! sein Weib! ein Andrer hielt
Sein schönes, junges Weib umschlungen!
O hätte nach dem sein Dolch gezielt
Und Edzard Truelsens Brust durchdrungen!
Sie liebten sich, er wußt' es genau,
Dem von ihr heiß Ersehnten grade
Hatt' er die um ihr Glück betrogene Frau
Dahingegeben auf Gunst und Gnade.
Wie mögen sie leben? wo mögen sie sein?
Sie herzen sich, sie kosen und lachen,
In seinen Armen schlummert sie ein,
In Armen hält er sie beim Erwachen.
Sein eigen ist sie, er wird sie,
Sie ihn berauschen und berücken,
In Freuden schwelgend theilen sie
Der Liebe Wonnen und Entzücken.
Was Eifersucht ersinnen kann
An Grausamkeit der Folterqualen,
Das setzte sie bei van Straten dran,
Erbarmungslos ihn zu zermalen.
Was ist ein Mord?! könnt' ungeschehn
Er machen, was er im Spiel verbrochen,
Zehn Morde noch wollt' er begehn,
Hätt' er das Wort nicht ausgesprochen!
Drei Jahre! bald sind sie dahin,
Dann soll sein Weib er wiederhaben,
Und wie will er mit jedem Sinn
An ihrem Liebreiz sich erlaben!
Nie hat er ihrer so begehrt
Wie jetzt, da bald die Frist vergangen,
Bis endlich er von hinnen fährt
Zum Cap, zum Cap, sie zu empfangen,
Mit ihr vereint dann wieder sich
Der lieben Heimat zuzuwenden,
Die nie aus seinem Herzen wich,
Nicht an des Erdballs fernsten Enden.
Und dann – ein dämmernd Hoffen stieg
Doch in ihm auf, daß sie, die Reine,
Noch einmal über ihn den Sieg
Davon trüg' und das tief Gemeine,
Das in ihm lag, mit ihrer Huld
Besänftigen, bezwingen würde,
Daß Ingborgs wegen seine Schuld,
Des Mordes martervolle Bürde
Von ihm genommen und er mild
Durch sie gemacht würd' und entsündigt,
Wie wunderthu'nd ein Heil'genbild
Dem Beter Gnad' und Trost verkündigt.
In seiner Jugend Heimatsort
Wollt' er der Laster sich entschlagen,
In Ruh und Frieden fort und fort
Sein liebes Weib auf Händen tragen.
Daß Ingeborg ihm Widerstand
Bereitete, weil sie ihn haßte,
Daß lieber sie des Todes Hand
Als jemals wieder seine faßte,
Auf den Gedanken kam er nicht;
Nur eine Frage macht' ihn beben,
Auf die er sich voll Zuversicht
Die Antwort wußte selbst zu geben:
»Wird Truelsen kommen? ich denke wohl,
Er wird an seinen Schwur sich binden;
Sonst such' ich ihn von Pol zu Pol,
Und – Tod und Teufel! – ich werd' ihn finden.«

Der Tag erschien, wo der Komet,
Von günstiger Brise frisch umweht,
Den Anker in der Bai gelichtet,
Zur Heimat seinen Kurs gerichtet,
Nun aus Batavia's Inselring
Stolz rauschend unter Segel ging.
Van Straten stand allein am Heck
Auf dem hochragenden Quarterdeck,
Und seine dunkeln Augensterne
Blickten hinaus in die Meeresferne,
Wo hinter des Ozeans Wellenschlag
Das Cap der guten Hoffnung lag.
Tief athmend hob und senkte sich
Die breite Brust, und es beschlich
Den finstern Mann ein heißes Sehnen:
O könnt' er dreifach die Segel dehnen,
Daß sie wie Schwingen die Luft durchflögen,
Daß sie den Kiel durch die Wogen zögen
Brausend dahin auf der schäumenden Fluth,
Schnell wie Gedanken und Liebesgluth!
»Haltet, ihr Masten, stehet wie Thürme!
Schicksal dort oben, sende mir Stürme!
Biete den Kampf mir, ich nehm' ihn an,
Aber bringe mich hurtig hindann!
Auf meinem fest gezimmerten Kiel
Trotz' ich auch Dir und dem wirbligen Spiel,
Wenn sich's in Wettern und Wässern erhebt,
Daß Marklosen die Seele bebt!«

So klang sein Wunsch, hochmuthbethört,
Das Schicksal hatt' ihn doch gehört,
Es sandt' ihm Stürme von oben herab,
Aber sie bliesen nicht hin zum Cap,
Sie wehten dem Schiffe schräg entgegen,
Verschlugen es aus den gesteuerten Wegen
Und warfen im indischen Ozean
Es weit umher auf verlassener Bahn.
Da in van Straten stieg der Groll,
Daß zum Zerplatzen das Herz ihm schwoll.
Vergessen waren, wie ausgestrichen,
Die guten Gedanken, die ihn beschlichen,
Und wieder in Besitz ihn nahm
Unbändiger Trotz, der ihn überkam.
Er sollte nicht Herr sein auf dem Meer?
Nicht segeln können nach seinem Begehr,
Betrogen in seinem Hoffen und Wähnen?
Und Flüche murmelnd in knirschenden Zähnen,
Reckt' er die Faust empor, geballt:
»Ich kriege Dich doch in meine Gewalt!«
Und wie beschworen von Menschenwillen,
Des Unbeugsamen Verlangen zu stillen,
Drehte der Wind sich und trieb mit Macht
Das Schiff gen Westen nun Tag und Nacht.
Doch in dem Kampf verging die Zeit,
Wohl Hunderte von Meilen weit
War noch das Cap, und der Komet
Kam zu dem Stelldichein zu spät.
Die Zwei, die dort des Dritten harrten,
Wie lange werden sie auf ihn warten?
War Truelsen dort am rechten Tag,
So war erfüllt ja der Vertrag,
Und kam van Straten nicht in Sicht,
War jener ledig seiner Pflicht,
Hielt ihn am Ende gar für todt,
Sich und sein Glück für unbedroht,
Ließ flugs den Heimatwimpel steigen,
Und Ingborg war und blieb sein eigen.

Van Straten sah, daß in dem Strauß
Das Schicksal gegen ihn sich kehrte,
Und ließ nun an der Mannschaft aus
Die Wuth, die in ihm gor und zehrte.
Er ging im Dienst, beim Segelstelln
Jetzt grausam um mit seinen Leuten,
Und die steifnackigen Geselln,
Die sich vor keiner Fährniß scheuten,
Sie zitterten vor ihm, der Ton
Von seiner Stimme beim Befehlen
Klang ihnen schon wie Todesdrohn,
Und Keiner konnte sich verhehlen:
Der Kapitän schien im Begriff,
Das Alleräußerste zu wagen,
Sich selbst, die Mannschaft und das Schiff
Von aller Vorsicht loszusagen.
Es stürmte wieder stark aus Süd,
Und doch ließ er noch Segel setzen,
In seiner Ungeduld bemüht,
Geschwinder noch dahin zu hetzen.
Doch vorwärts kam man auf die Art,
Daß den Verwegensten oft grauste,
Wie der Komet in toller Fahrt
Durch die empörten Wogen sauste.
Bei einem flücht'gen Sonnenlicht
Ward eine Gissung aufgenommen, –
Schon in zwei Tagen mußt' in Sicht
Das Cap der guten Hoffnung kommen.
Jetzt sah van Straten aus Südwest
Ein Schiff ihm grad entgegen steuern, –
's ist Truelsen! dacht' er steif und fest,
Durchlodert von der Sehnsucht Feuern.
»Laß fallen Segel!« rief er schnell,
Den eignen Lauf noch zu beflügeln,
In seinem Antlitz ward es hell,
Kaum konnt' er sein Verlangen zügeln.
Doch näher bald, hieß ihn ein Blick
Die heiß erglühte Hoffnung dämpfen,
Denn eine Genueser Brigg
Sah jetzt er mit den Wellen kämpfen.
Enttäuscht, in Wuth ob dem Befund,
Befahl er, darauf los zu halten,
Und schrie: »Bohrt die Canaill' in Grund,
Daß Bug und Bord in Stücke spalten!«
Da packte doch ein jäher Schreck
Selbst diese hart gesottnen Seelen;
Hatt' im Gewissen auch ein Leck
Jedeiner, – ihnen zu befehlen,
Ein friedlich Schiff mit Mann und Maus
Zu übersegeln, Kameraden
Mit Weib und Kind vielleicht zu Haus
So hinzumorden ohne Gnaden, –
Unmenschlich war's! doch alle Mann,
Mitschuldig werdend am Verbrechen,
Gehorchen in des Wüthrichs Bann
Schnurstracks und ohne Widersprechen.
Mit Vollkraft, alle Segel los,
Rennt der Komet scharf in die Seite
Der Brigg mittschiffs, daß von dem Stoß
Durchbohrt wird ihre Backbordbreite.
Dem Schrei, der sich der Noth entringt,
Antwortet nur ein teuflisch Lachen,
Die braven Seemannsherzen schlingt
Hinab des Strudels tiefer Rachen.
Darüber weg fährt der Komet.
Es regt sich keine Hand zum Retten,
Kein Boot von ihm zu Wasser geht,
Das Meer mag seine Todten betten. –

Ist immer noch nicht voll das Maß
Der Greuelthaten? oder vergaß
Der Himmel, einen seiner Blitze
Vom zorngeballten Wolkensitze
Als Rachestrahl herab zu senden,
Des Sünders Uebermuth zu enden?
Auf welchen Frevel, welche Schuld
Wartest Du, himmlische Geduld?
    Dem Cap zu steuert der Komet,
Da wächst des Sturmes Kraft, er weht
Von Süden her mit einem Rasen,
Als wollt' er das Meer zu Schaum zerblasen.
Zu Bergen steigen die Wogen empor,
Und über ihrem tosenden Chor
Durchdringt die Luft ein dumpfer Schall
Wie fernher dröhnender Donnerhall.
Und wilder, immer wilder braust
Es noch heran und flockt und kraust
Der sprudelnden Kämme hochspritzenden Gischt,
Es rauscht wie in Wipfeln und kocht und zischt,
Es wühlt und wälzt sich in hastender Flucht
Mit einer erderschütternden Wucht,
Und über dem weiten Ozean
Erhebt der Sturm sich zum Orkan.
Tief in die Wellentäler nieder
Taucht ein das Schiff und schwebt dann wieder,
Auf breitgewölbten Rücken gehoben,
In wirbelndem Tanz, in Taumel und Toben,
Gleich einem Fangball hin und her
Geschleudert vom blinden Ungefähr.
Die Raaen knarren, die Masten schwanken,
Unheimlich knistert's in den Planken,
Im Tauwerk rasselt's und pfeift und schrillt,
Sturmsegel zum Zerreißen schwillt,
Und über Bord mit Spülen und Spei'n
Brechen die stürzenden Wellen herein.
    Van Straten steht auf seinem Platz
Wie festgewurzelt, wie auf der Hatz
Der Eber, von der Meute gestellt
Und gegen den Feind das Gewehr gefällt,
Bereit zum Kampf auf Tod und Leben,
Doch nimmer lebendig sich zu ergeben.
Er rührt sich nicht, er regt sich nicht,
Keine Muskel zuckt in seinem Gesicht,
Er blickt auf den donnernden Wogengang
Kaltblütig, finster, mit dem Drang,
Des Sturmes Wüthen zu bezwingen
Und sicher sein Schiff zum Cap zu bringen.
Jedoch mit jeder Minute steigt
Die ernste Gefahr, zur Seite neigt
Sich der Komet, als wollt' er kentern,
Wenn Sturzsee'n über die Rehling entern.
Wie lange wird er die See noch halten
In dieses Sturms furchtbaren Gewalten,
Wie auch van Straten ihn nie erlebt?
Die Mannschaft klammert sich fest und bebt,
Die Einen beten, die Andern fluchen:
»Ja, Freitagsegeln heißt Gott versuchen,
Der Unmensch bringt uns ins Verderben,
Für seine Sünden müssen wir sterben;
Der Teufel soll sich mit ihm beladen!
Herr Gott im Himmel, hilf in Gnaden!«
Van Straten blickt verachtungsvoll
Auf sie herab, in Grimm und Groll
Fährt er dann los auf den murrenden Haufen:
»Ihr seid nichts werth, als zu versaufen!
Verdammte Schufte, verfluchtes Pack!
Der Donner erschlag' euch! ist dies ein Wrack?
Habt ihr noch keinen Sturm gesehn?
Könnt ihr nicht mehr auf den Beinen stehn,
Weil Memmen euch die Kniee schlottern,
So schert euch hinunter statt hier zu lottern!
Doch erst will ich festgebunden sein
Am Ruder hier, ich ganz allein!«
Sie thun's, vermögen's vor Schrecken kaum
Und flüchten sich dann hinab in den Raum.

Nun steht er allein auf verlassenem Deck,
Ans Ruder gebunden, auf einem Fleck.
Stolz wirft den Kopf er ins Genick,
Frech beut die Stirn er dem Geschick,
»So!« höhnt er hinauf ins Sturmgebraus,
»Jetzt machen's wir Zwei mit einander aus,
Du fuchtelnder Herrgottgreis dort oben
Und ich hier unten; ich will Dich loben,
Wenn Du mir Furcht in die Seele jagst;
Soll mich mal wundern, was Du sagst,
Wenn Du mich siehst mein Schiff bewachen,
Wenn Du mich hörst Dein Poltern verlachen.
Jetzt zeige, was Du hast und kannst,
Ob einen Mann Du übermannst,
Der Deinem Droh'n nicht wankt und weicht,
Niemals vor Dir die Flagge streicht!«
Da fährt mit betäubendem Donnerschlag
Ein Blitz hernieder an Steng' und Stag,
Daß bis zum Grund das Schiff erbebt,
In einer Feuersäule schwebt
Der Fockmast und – geht über Bord.
»Halloh! das war ein kräftig Wort!«
Lacht er zum Himmel mit gräßlichem Spott,
»Triffst aber schlecht noch, großer Gott!
Der Schützenkönig hat fehl geschossen!
Hier steh' ich, hier! fest angeschlossen,
Kann mich nicht mal zur Seite biegen,
Wenn Deine knatternden Pfeile fliegen;
Triff mich ins Herz! wo nicht, erlaube,
Daß ich an Deine Allmacht nicht glaube!«
Und Donner auf Donner krachen am Himmel,
Noch schwärzer ballt sich der Wolken Gewimmel,
Als wollten sie schreckend in Nacht verhüllen
Des stürmenden Meeres Brausen und Brüllen.
Doch was in Menschenbrust sich regt,
Des Sterblichen Gemüth bewegt,
Wenn sich in so gewaltiger Art
Die Gottesnäh' ihm offenbart,
Mit ihrem Odem ihn umwittert,
Mit frommen Schauern ihn durchzittert,
Es findet in der Brust von Erz
Van Stratens kein empfänglich Herz,
Den Uebermenschen rührt es nicht,
Eh' er nicht sterbend zusammenbricht.
Er stemmt sich gegen das Ruder, er zwängt
Das Schiff, von Wirbeln und Wettern umdrängt,
Den rollenden, rüttelnden Fluthen entgegen,
Die es hinüber, herüber legen,
Kämpft, ein Titan, in tosender Schlacht
Vermessen gegen göttliche Macht.
Die Seisinge sind an den Raaen zerrissen,
Die Segel klatschen, zerfetzt und zerschlissen,
Die Takelung schüttert und ächzt und stöhnt,
Es heult die See, die Luft erdröhnt,
Und ein Blitz leuchtet dem andern vor.
Van Straten grinst zur Höh' empor:
»Das zuckt und zackt ja wie gesät!
Man kann nicht sagen, daß mit dem Geräth
Zum Gruseligmachen er oben geizt,
Ich hab' ihn wohl ein wenig gereizt,
Und Seine Gnaden sind ungehalten
Mit allerungnädigstem Stirnefalten.
Höre Du! wollen wir Frieden machen?
Oder soll Satan ins Fäustchen lachen,
Daß er einen Kerl wie mich erwischt,
Der ihm manchmal die Karten gemischt,
Und der in Deiner erhabenen Sphäre
Eine Zierde des siebenten Himmels wäre?«
Als Antwort auf die schaurige Frage
Reißt jetzt zertrümmernd mit einem Schlage
Die See das Schanzkleid am Backbord weg
Und überfluthet das ganze Deck.
Das Wasser dringt in den Raum hinein,
Immer mehr und mehr, bei der Blitze Schein
Erkennt van Straten die wachsende Noth,
Der seine Kraft nicht Halt gebot.
Er steht, bis auf die Haut durchnäßt,
Mit triefendem Haar, doch er steht fest,
Hält aus im ungeheuren Streit
In seiner verzweifelten Einsamkeit.
Und immer noch steigert sich der Orkan
Und pflügt und wühlt in dem Ozean,
Daß Wog' auf Wog' ans Schiff sich krallt
Und Stoß auf Stoß dagegen prallt
Mit einem so fürchterlichen Getöse,
Als ob sich in voller Vernichtung löse
Der Erde meerumgürteter Ball
Und unter des Himmels berstendem Fall
Die Welt aus ihren Fugen ginge
Zum letzten, grausigen Ende der Dinge.
Van Straten mit höhnischer Lippe spricht:
»Ich glaub', er schickt das jüngste Gericht
Um meinetwill'n, viel Ehre für mich,
Daß er so gründlich mich auf dem Strich!
Doch nun ist's aus, klar ist's zu sehn,
Wir müssen schmählich zu Grunde gehn.
Truelsen, Du kannst das Weib behalten,
Ihr mögt mit euren Tagen schalten,
Und sollte die Rückkehr euch gerathen,
So grüßt die Heimat von Tyn van Straten!«
Ingborg! – die Heimat! – nie sieht er sie wieder,
Die Beiden, niemals! – still vor sich nieder
Schaut er und daneben aufs Wellengrab,
Einen Augenblick nur, dann schüttelt er's ab.
»Vorwärts! in Teufels Namen hinein
In den Tod und – was danach mag sein!
Ich habe dieses Leben durchstürmt,
Das andre, das sich da drüben thürmt –,«
Ihn schaudert, eiskalt packt es ihn an
Als wie mit Klauen, den eisernen Mann.
Da stürzt eine Welle hoch auf ihn los
Und wirft mit unwiderstehlichem Stoß
Aufs Knie und halb zu Boden ihn.
Schnell springt er auf: »Ich will nicht knie'n!«
Ruft er und stampft mit trotzigem Fuß,
»Lieber der Hölle den ersten Gruß!
Und Du dort oben im himmlischen Hort,
Vernimm im Sturm mein letztes Wort!
Wenn ich am Ruder hier sterben soll,
Gutwillig weich' ich keinen Zoll,
Solang auf dem Wasser der Wind noch weht,
Solang auf dem Kiel ein Mast noch steht,
Und eh' ich bei Dir um Erbarmen fleh'
Und kriechend winsle: Dein Wille gescheh'!
Will ich verdammt sein, von dieser Stund'
Zu segeln – –«, da verstummt sein Mund.
In ihm wird's plötzlich öd' und leer,
Das wilde Herz, es klopft nicht mehr,
Und alles Wollen und Wünschen ruht,
Er ist nicht mehr von Fleisch und Blut.
Es ist kein Mensch mehr, der da steht,
Die Hand am Ruder, sturmumweht,
Mit aschefahlem Leichengesicht,
Mit blinkendem Weiß im Augenlicht,
Von Kopf zu Füßen die Gestalt
Von einem gespenstischen Grauen umwallt;
Der Tod ist an ihm vorbei gegangen
Und hat verschmäht, ihn zu umfangen.
    Und ein erstaunliches Wunder geschieht,
Das der nicht mehr Erschreckende sieht:
Das Schiff ist heil und unversehrt,
Mit voller Takelung bewehrt,
Die Masten stehen mit den Raa'n
Vom Bugspriet an bis zum Besan,
Klar ist das Deck und unverletzt,
Und alle Segel sind gesetzt,
Soviel es Leinwand tragen will,
An Bord ist Alles todtenstill.
Auf ihren Posten sind alle Mann
Und glotzen zum Kapitän hinan,
Schweigsam den Dienst zu thun und flink
Auf ihres Meisters stummen Wink.
Doch Schatten und Schemen sind sie bloß,
Von Blute leer und odemlos,
Starr ist ihr Blick, die Stirne bleich,
Die Wangen hohl, Gestorbnen gleich.
Die Segel scheinen wie Nebel grau,
Wie Spinneweben Tross' und Tau,
Ein schwarzer Wimpel ist geheißt
Am Großtopp, Alles sonst erweist
Seetüchtig sich am Schiff und dicht,
Doch einen Anker hat es nicht.
Hoch geht die See noch weit und breit,
Thut nimmermehr dem Schiff ein Leid;
Geruhig zieht es durch die Well'n,
Nicht schwankend mehr in ihrem Schwell'n,
Geräuschlos fährt es, regungslos
Und unberührt vom Sturmgetos.
Und wie der Tod, der Umschau hält
Nach dem, was ihm zur Beute fällt,
Van Straten auf dem Decke steht,
Zu segeln, solange der Wind noch weht.


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