Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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XII.
Mann über Bord!

                          Ingborg war bis ins Mark getroffen,
Vernichtet von des Schicksals Schlag
Und wissend, daß sie nichts zu hoffen
Mehr hatte, nichts mehr vor ihr lag,
Als Eines nur, dem sie mit Grauen
Entgegen sah; wie sollte hie
Sie noch auf eine Zukunft bauen?
Wo war denn Zukunft noch für sie?
Trennung von Edzard lange Wochen,
Das war's, worum sie Bange trug;
Und nun? auf ewig abgebrochen
Die Brücke, die die Liebe schlug!
Hatt' er gefehlt, hatt' er gesündigt,
Als täuschend mit der Wahrheit Schein
Er ihr des Andern Tod verkündigt,
Um selber ihrer froh zu sein?
That er's, so that er es aus Liebe,
In Ungewißheit nur verzagt,
Wie weit sie selbst die Sehnsucht triebe,
Hätt' er die Wahrheit ihr gesagt.
Ihr wuchs empor aus seiner Lüge
Das Glück, sie mußt' ihm dankbar sein
Und widmet' ihm statt einer Rüge
Der Liebe völliges Verzeihn.
Jetzt aber hieß es Abschied nehmen,
Abschied auf ewig! nach dem Glück
An Edzards Brust, das wie ein Schemen
Dahin schwand, wiederum zurück
Zu jenem Andern, – den Gedanken
Ließ sie nicht ein zu Halt und Heg,
Da war kein Wanken mehr und Schwanken,
Für sie gab es nur einen Weg.
Sie war entschlossen, ihn zu gehen,
Und nicht mit bang versuchtem Schritt,
Mit raschem Sprunge sollt's geschehen
Und ohne Säumen, denn es litt
Sie keinen Tag im Leben länger;
Die nächste Nacht schon sollt' es sein,
Wo's Niemand sah, und eh' der Dränger
Ankam und pocht' auf seinen Schein.
Frei war sie dann von Schmach und Schande
Vor dem, der schnöde sie verspielt,
Und los und ledig aller Bande,
Mit denen er sie zwingend hielt.
Sie sah ihn vor sich; da durchliefen
Als wie vor einer Schreckgestalt
Angstschauder sie vor seiner tiefen,
Wahrhaft dämonischen Gewalt.
Doch wie vorm Tragen seiner Ketten,
Vor Allem, was von ihm ihr droht,
Sich anders flüchten, anders retten,
Als durch freiwillig raschen Tod?
Sie hörte durch die Schiffswand klingen
Der Wellen Lied, es sang ihr zu:
Komm nur, wir wiegen Dich und bringen
Still Dein gebrochnes Herz in Ruh.

Noch lange saß sie ohne Regung,
Ließ, mit sich fertig, ohne Streit,
In schmerzlicher Gemüthsbewegung
Vorbeiziehn die Vergangenheit.
Drei Jahr des Glückes und der Liebe!
Und noch so jung, so lebensfroh!
Wie gern, wie herzlich gerne bliebe
Sie noch vereint mit Edzard so!
In ihre Trennung sich zu fassen
Von ihm, war für sie Schicksalsspruch,
Nur auch ihr liebes Kind zu lassen,
Schien ihr Verrath und Treuebruch.
Doch es dem Andern übergeben,
In des Verruchten Rächerhand?
Niemals! mit Edzard sollt' es leben
Als ihrer treuen Liebe Pfand.
Sie ging mit schauerndem Gefühle
Schnell in die Koje nebenan,
Wo Heiko schlief auf seinem Pfühle,
Und manche heiße Thräne rann
Ihr aus den Augen stumm hernieder.
Sie nahm ihn auf, vom Schlafe warm,
Und herzte seine runden Glieder,
Daß er erwacht' in ihrem Arm.
Und er, erfreut von dem Umfangen,
Erstaunt ob ihrer Thränen Fluth,
Strich mit den Händchen ihr die Wangen:
»Nicht weinen. Heiko ist Dir gut.«
Sie küßt' ihn, kleidet' ihn, bezwingend
Gewaltsam ihrer Thränen Lauf,
Und Schmerz und Schwachheit niederringend,
Stieg sie mit ihm zum Deck hinauf.

Das Cap lag nördlich jetzt vom Stande
Des Schiffes, denn nicht angelegt
Ward dort, man kreuzte, fern vom Lande,
In einer See, die stark bewegt.
An Bord die Offiziere stutzten,
Daß in die Bai nicht Edzard lief,
Doch ihre Vorstellungen nutzten
Zu nichts, der Kapitän berief
Sich darauf, daß er längst gesichtet
Nach einem Schiff, in dessen Hut
Er abzuliefern sei verpflichtet
Ein ihm daheim vertrautes Gut.
Doch dafür theilt' er ihre Wachen,
Kam jetzt des Nachts auch oft an Deck,
Ließ sich von Allem Meldung machen,
War bald am Bug und bald am Heck.
Denn jede Stunde konnte bringen
Van Stratens Schiff an diesen Ort,
Und Edzard hörte schon erklingen
Zum Beidrehn das Kommandowort.
Drei Jahre waren jetzt verflogen
Seit jener Nacht am Pharotisch, –
»Gieb her Dein Glück!« rief aus den Wogen
Ein gierig züngelndes Gezisch.
Stets näher rückte, was ihm drohte,
Der letzte Händedruck und Kuß,
Der letzte Blick noch aus dem Boote, –
Lebwohl! lebwohl! dann End' und Schluß!
Er, nah daran, zu unterliegen
Dem Schmerz, sah keinen Hoffnungsstrahl,
Verwegene Gedanken stiegen
Ihm auf in der Verzweiflung Qual.
Wenn hin er vor van Straten träte:
»Laß mir Dein Weib für all mein Gut!«
Wenn er auf seinen Knien ihn bäte:
»Gieb Ingborg frei auf Sand und Fluth!?«
Jedoch – er hört' ein höhnisch Lachen
Und einen teuflisch wüsten Fluch;
Er könnte Felsen schmelzen machen,
Eh' daß ihm glückte der Versuch,
Den finstern Unhold zu bewegen
Zu einer edelmüth'gen That,
Der in Gedanken ihm entgegen
Als Ausgeburt der Hölle trat.
Doch wie, wenn er den Pakt erfüllte,
Ihm Ingborg brächte, wortgetreu,
Und dann ihm seinen Will'n enthüllte,
Zum Kampf ihn fordernd, sie aufs Neu
In offner Seeschlacht zu gewinnen,
Schiff gegen Schiff, in heißem Drang,
Und keinen Frieden, kein Entrinnen
Bis zu des Einen Untergang?
Das – o mein Gott! wie eingegeben
Von oben bietet sich's ihm dar, –
Um Ingborg kämpfen! – ein Freudebeben
Durchfährt ihn, – Alles sieht er klar.
Geschütze hatt' er, der Piraten
Sich zu erwehren, Pulver auch
Und Blei genug, sich mit van Straten
Zu messen bis zum letzten Hauch.
Auf seine Mannschaft konnt' er zählen,
Die gab mit Freuden ihm ihr Blut;
Wie spürt' er jetzt sein Herz sich stählen!
Wie ward ihm froh und frei zu Muth!
Es mußte glücken! er bekriegte
Den Feind, sein Liebstes zu befrei'n,
Und wenn er siegte, – wenn er siegte, –
War Ingeborg zeitlebens sein!
    Er ging, zu ruhn, hinab vom Decke,
Befahl jedoch zu Dienst und Pflicht,
Daß man um Mitternacht ihn wecke, –
Ihn wecken! ach! er schlief ja nicht.

Auch Ingborg in den kurzen Stunden
Schlief nicht, und als das Zeichen klang,
Hielt sie mit Armen ihn umwunden
Und küßt' ihn heiß minutenlang.
Auf seinen Lippen fühlt' er's schweben:
Ich liefre Dich nicht aus, mein Weib!
Ich kämpf' um Dich auf Tod und Leben,
Ingborg, Du bleibst, wo ich verbleib'!
Er sprach sie aber nicht, die Worte,
Die tröstlichen zu ihr, er ging,
Den Kopf voll Pläne, durch die Pforte
Hinauf an Deck. Der Himmel hing
Voll Wolken, nur zuweilen schaute
Der Mond hervor mit mattem Schein,
Daß kaum das Meer davon ergraute,
Dann hüllt' es Dunkel wieder ein.
Von Süd kam eine frische Kühlte,
Die zwar nur wenig Segel fand,
Doch in den Wellen rauschend wühlte,
Daß eine hohe Deinung stand.
Das Schiff fuhr mäßig schnell gen Osten,
An Bord war Alles wohlbestellt,
Die Wachmannschaften auf den Posten,
Das Kompaßhäuschen gut erhellt.
Edzard mit muthigen Gedanken
Sah sich schon im Gefechte stehn,
Mit seinen Tapfern ohne Wanken
Dem Gegner scharf zu Leibe gehn.
Sein ruheloses Schreiten hallte
Deckauf, deckab am Steuerbord,
Als plötzlich laut vom Heck erschallte
Der Schreckensruf: »Mann über Bord!«
Blitzrasch, jedoch besonnen tönten
Edzards Befehle durch die Nacht
Und wurden von Gefahrgewöhnten
In einem Augenblick vollbracht.
»Ruder in Lee! – Luvachterbrassen!«
Fast steht das Schiff an seinem Ort, –
»Boot zu Wasser!« hinabgelassen
Und flugs bemannt, schießt's eilend fort.
's ist Alles an Deck, von Rehling und Wanten
Späh'n sie hinaus auf die dämmrige See,
Mit scharfen Blicken und angstgespannten
Absuchend die schwingenden Wellen in Lee.
Ein langes, banges Hoffen und Harren, –
Ob sie ihn finden, den armen Wicht?
Endlich ertönt der Riemen Knarren,
Das Boot kommt wieder, – sie haben ihn nicht.
Mit schwerem Herzen den Kameraden,
Und wär' es der Letzte von Allen an Bord,
Aufgebend in dem Kurs, dem graden,
Spricht der Kap'tän das Kommandowort.
Wer aber ist's von Allen gewesen,
Den sich als Opfer die See gewählt?
Zur Musterung werden die Namen verlesen, –
Sie antworten Alle, nicht Einer fehlt.
»Wer rief? wer ließ die Angst uns kosten?«
Der Mann tritt vor, – »Ich, Kapitän!«
»Hast Du geträumt auf Deinem Posten?«
»Nein, Kapitän, ich hab's gesehn,
Backbord am Heck ging Einer über,
Mit meinen Augen sah ich's doch!«
    »Du Narr! Du Thor, blödsinnig trüber!
Hier stehen Alle, – was willst Du noch?«
    »Kap'tän, – ich habe › Mann‹ gerufen,
Mann über Bord!‹ doch könnt's auch sein . . .«
    »Barmherziger Gott!« hinab die Stufen
Fliegt Edzard, – »mein Weib!!« hört man ihn schrei'n.
Er stürzt zur Kajüte mit brennendem Hirne,
Ins Schlafgemach, – das Bett ist leer;
Ihm schlottern die Knie, er preßt sich die Stirne,
Er ruft, er sucht, er leuchtet umher, –
»Ingeborg! Ingborg, mein Licht und Leben!
Höre mich! rufe nur einmal mir zu! –«
Sie konnt' ihm nicht mehr Antwort geben,
Die Wogen trugen ihr Herz zur Ruh.
Er stürmt an Deck, ihr nachzuspringen,
Doch weit ist's schon, wo sie versank;
Sie mußten ihn halten, mußten ihn zwingen,
Sie glaubten, sein Geist sei wirr und krank.
»Laßt los!« befahl er, »ich will es tragen,
Noch ist für mich nicht Sterbens Zeit,
Ich habe noch Einem ein Wort zu sagen,
Eh' ich ihr folg' in die Ewigkeit.«
Dann wankt' er, seiner selbst vergessen,
In die Kajüt' hinab und saß
Dort in dem Sessel, wo sie gesessen,
Als sie ihr Thun und Lassen ermaß.
Er hatt' ihr nicht von den Augen gelesen,
Wozu sie Nachts ihn heiß umfing, –
Es war ihr letzter Kuß gewesen,
Als er von ihr zur Wache ging.
Und das im selben Augenblicke,
Wo neue Hoffnung ihn durchdrang,
Und sie, verzweifelnd am Geschicke,
Entschlossen war zum Todesgang!
O hätt' er ihr von Kampf und Streite
Gesagt, wie er's im Sinne trug!
Sie wäre nicht von seiner Seite
Geflohn, wenn er für sie sich schlug. –
    Lang saß er noch, fuhr dann erschrocken
Empor, – »Heiko! nahm sie ihn mit?«
Er fühlte das Blut im Herzen stocken,
Trat in die Koje mit leisem Schritt, –
Da lag der Knabe, schlafumflossen,
Und ahnungslos hielt seine Hand
Das Tuch von Ingeborg umschlossen
Mit jenem Häufchen Dünensand.
Er warf sich hin, barg in den Kissen
Das Haupt, geknickt an Seel' und Leib,
Und weinte, weinte schmerzzerrissen
Ach! um sein schönes, blondes Weib.


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