Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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XI.
Am Cap der guten Hoffnung.

                Nach Süden, nach Süden und immer nach Süden!
Wie weit noch vom Cap? wie dicht schon davor?
Mit Augen, ach! schlummerlosen und müden,
Blickt' Edzard zu den Sternen empor.
Tagtäglich nahm er in Erregung
Berechnend auf des Schiffes Stand
Und maß Geschwindigkeit und Bewegung
Am Logg, oftmals mit eigner Hand.
Und wie es ihm Angst in die Seele jagte,
Ertönte der Ruf jetzt: »Segel in Sicht!«
Bis ihm ein Blick durchs Fernrohr sagte:
Die holländer Flagge führt es nicht.
Kaum kam er noch herunter vom Decke,
Voll fiebernder Unrast in Blut und Bein,
Und doch war's noch eine ziemliche Strecke
Bis zu dem furchtbaren Stelldichein.
Je weiter nach Süden jedoch, je trüber
Ward seine Stimmung von Tag zu Tag,
Bei Ingeborg selbst ging nicht vorüber
Die Wolke, die auf der Stirn ihm lag.
Meist war er stumm, in Schwermuth versunken,
Dann wieder mit stürmischer Zärtlichkeit
Umfaßt' er sie, so von Liebe trunken,
Als hätt' er sie vorige Woche gefreit.
Und sie, bisher an seiner Seite
So dankbar, daß er sie mit sich nahm,
So glücklich, daß sie in seinem Geleite
Die herrliche Fremde zu sehen bekam,
Sie wußte nicht, was sie denken sollte
Von ihrem gänzlich verwandelten Mann,
Den sie nicht irren und stören wollte;
Aber sie saß und grübelt' und sann.
Sie glaubt', im Dienst des Schiffes wäre
Nicht Alles nach seinem Wunsch und Sinn,
Und er gäbe sich, sorgend um Wohl und Ehre,
Noch größrer Pflichterfüllung hin.
Sie fragte nach seinen Schwierigkeiten,
Er meinte, die kämen auf jeder Fahrt,
Die Meeresströmung in diesen Breiten
Erheischte Vorsicht besonderer Art.
Er sagte das, um ihr auszuweichen,
Sie sah es, wie das Blut ihm stieg,
Und merkt' auch noch an andern Zeichen,
Daß er ihr Widriges verschwieg.
Schon mehrmals, wenn sie an Deck gekommen,
Ihm Trost zu spenden oder Muth,
Hatte verwundert sie wahrgenommen,
Daß traurig sein Blick auf ihr geruht
Traf ihr Blick seinen, ward er verlegen,
Als fühlt' er ertappt sich und überwacht,
Schnell sucht' er Unterhaltung zu pflegen,
Um abzulenken ihren Verdacht.
Sie aber wußte sich nicht zu deuten,
Mit welchem Kummer sein Herz erfüllt,
Den auszusprechen die Lippen sich scheuten.
War das nicht grade wie auf Sylt,
Wo auch ein Leid unausgesprochen
Er hielt in seiner Seele versteckt
Und mit sich trug durch lange Wochen,
Bis selbst sie sein Geheimniß entdeckt,
Den Drang hinaus in die Meeresweiten,
Und sie sich freudig ihm erbot,
Ihn in die Ferne zu begleiten,
Mit ihm zu theilen Gefahr und Noth?
Wie glücklich war er da gewesen,
Wie herzlich hatt' er's ihr gedankt,
Daß sie ihm von den Augen gelesen
Sein Sehnen, das er zu sagen geschwankt!
Was konnt' ihn peinlich jetzt berühren?
Erreicht war seines Wunsches Ziel,
Er hatt' ein großes Schiff zu führen
Und Weib und Kind auf seinem Kiel.
Und dennoch war er nicht zufrieden?
Was blieb ihm zu wünschen übrig noch?
Hatte sein Herz jetzt anders entschieden?
Fühlt' er auf seinem Nacken ein Joch,
Daß er von ihr sich ließ bewegen,
Sie mitzunehmen als störenden Gast?
Oder war sie auf Wegen und Stegen
Ihm in Ostindien vielleicht zur Last?
Sie hört' ihn einst im Traume sprechen:
»Das Cap! das Cap! nun mußt Du fort!«
Und dann ein Stöhnen zum Herzzerbrechen
Und noch manch unverständlich Wort.
Hieß das nicht all ihr Glück begraben?
Hieß das nicht zweifeln an seiner Treu?
Sie mußte Gewißheit darüber haben, –
Heraus mit der Sprache, mit Meinung und Reu!
Sie stellt' ihn zur Rede: »Edzard, bekennen
Sollst Du mir jetzt! wir müssen gewiß
Am Cap der guten Hoffnung uns trennen;
Sag's offen: ich bin Dir ein Hinderniß
Auf Deiner Fahrt, in Deinen Geschäften,
Und Deine Verlegenheit ist groß;
Zwar Du verbirgst mir's mit allen Kräften,
Doch merk' ich's: Du wärst mich gerne los.
Laß mich am Cap mit Heiko bleiben,
Derweilen Du nach Ostindien schwimmst,
Wir werden uns schon die Zeit vertreiben,
Bis Du heimkehrend uns mit Dir nimmst.«
»Uns trennen am Cap?« – er fühlte sich beben
Und wagte nicht ein entschiedenes Nein,
Er sah über seinem Haupte schweben
Das Damoklesschwert am Haare, so fein,
Daß nur ein leiser Anstoß genügte,
Ein Wort noch, und es stürzte herab,
Sein Herz durchbohrend, das gramzerpflügte.
Noch einmal sprach er: »Uns trennen am Cap?
Wie kommst Du darauf? hat den Gedanken
Ein Wunsch in Deiner Seele geweckt?
Hat in des Schiffs ruhlosem Schwanken
Ein böser Traum Dich Nachts erschreckt?«
Sie schüttelte leise das Haupt und sagte
Ihm nichts von seinem eigenen Traum,
Ein stummer, flehender Blick nur fragte:
Hab' ich in Deinem Herzen noch Raum?
Dann warf sie sich mit raschem Bewegen
Ihm an die Brust und schluchzt' und schrie:
»Und ging' ich mit Dir dem Tod entgegen,
Behalte mich bei Dir! verlaß mich nie!«
Heiß ward ihm und kalt bei ihrem Gebaren,
Und daß sie ahnte ihr grausig Geschick,
Doch schwieg er auch jetzt, um ihr zu ersparen
Den Schmerz bis zum letzten Augenblick.
Wie fürchtend, daß sie ihm Einer entführe,
Umschlang er sie, sprechen doch konnt' er nicht, –
Da klopft' es an die Kajütenthüre:
»Herr Kapitän, ein Segel in Sicht!«
Bleich wie die Leinwand flog er zur Stelle,
Das Fernrohr schwankt' ihm hin und her
Vorm Auge, bis er in deutlicher Helle
Die spanische Flagge sichtet' im Meer.

Längst war den Offizieren verdächtig
Des Kapitäns Besessenheit,
Wenn er erschöpft und übernächtig
Mehr that als Pflicht und Schuldigkeit.
Doch Keiner wußte zu verschmelzen
Sein Wesen mit der Angst und Hast,
Als sucht' er von sich abzuwälzen
Bedrückende Gewissenslast.
Er führte doch nicht Konterbande,
Daß er vor jedem Schiff erschrak
Und weit genug entfernt vom Lande
Stets hinter dem Oktanten stak?
War er doch früher unverdrossen,
Freundlich und sicher, durch nichts bethört,
Und nun auf einmal so verschlossen,
Trübsinnig, finster und verstört.
Und wie die Offiziere staunten,
Daß er verloren die Seelenruh,
So saßen die Matrosen und raunten
Sich abergläubische Dinge zu.
»Ein Weib an Bord will nimmer taugen,«
Sprach Einer in dem Meinungsstreit,
»Sie nimmt dem Mann mit ihren Augen
Auf See die rechte Stetigkeit.«
»Was Weib!« ließ sich ein Andrer hören,
»Ich sage: Schlimmres ist geschehn,
Der Kapitän – ich will drauf schwören –
Hat den Klabautermann gesehn.
Und wer den sieht am Bugspriet hocken,
Und wie er durch die Wanten schnellt
Die Raaen lang bis zu den Nocken,
Mit dem, sag' ich, ist's schlecht bestellt.«
»Und dann – Elmsfeuer auf den Masten!«
Ward von dem Dritten aufgetischt,
»Dem Kapitän oder den Gasten
Bringt's Unheil; nun hat's ihn erwischt.«
So spannen sie ihr Garn aus Mären
Mit abenteuerlichem Sinn,
Und weiter zog in seinen Sphären
Das Schiff nach Süden, nach Süden hin.

Edzard befahl jetzt, schwer beklommen,
Den Kurs Süd-Ost zum Ost, weil dort,
Wie er die Gissung aufgenommen,
Das Cap lag von des Schiffes Ort.
Die steifgeholten Taue zogen
Die Raaen mit der Segel Last,
Die Jungfrau schwenkt' in kurzem Bogen
Und lief nun hart am Winde fast.
Nun handelt' es sich noch um Tage,
Nur um des Windes Kraft allein
Bis zu der Stunde Glockenschlage,
Und das Verhängniß brach herein.
Bald hoben höher sich die Wellen,
Weil's stärker schon und stärker blies,
Die Segel hin zum Cap zu schwellen,
Das einst das Cap der Stürme hieß.
Als eines Morgens Edzard wieder
Mit Ingborg an der Rehling stand,
Ertönte von der Vormars nieder
Der Ruf: »Zwei Strich an Backbord Land!«
Edzard erschrak, ins Herz getroffen
Vom Ruf aus des Matrosen Mund, –
O sänke jetzt doch wie sein Hoffen
Auch gleich das Schiff zum tiefsten Grund!
Mit scheuem Blicke sagt' er leise,
Fast tonlos: »Ingeborg, – das Cap!«
Ihr däuchte seltsam Wort und Weise,
Noch mehr sein Blick, und – »Komm hinab!«
Sprach er noch dumpfer. Rollt' und schwankte
So heftig denn des Schiffes Bau,
Daß selbst der Kapitän jetzt wankte,
Als er hinabging mit der Frau?
»Setze Dich!« sprach er in der Kajüte,
Und Ingeborg that nach seinem Geheiß,
Sie war bestürzt, todbang im Gemüthe,
Ihm auf der Stirn stand kalter Schweiß.
Er suchte nach Worten und fand sie nicht,
Er schlug die Hände vors Angesicht,
Rannt' in der Kajüte hin und her,
Ein Seufzen und Stöhnen, unsagbar schwer,
Drang ihm aus der stürmenden Brust hervor.
Ingeborg schnellt' in dem Stuhl empor,
Da warf er sich nieder vor ihr aufs Knie,
Mit bebenden Armen umklammert' er sie:
»Ingborg, ich hab' ein Verbrechen begangen
Und muß noch ein Verbrechen begehn;
Rath' es! ich weiß es nicht anzufangen,
Das Ungeheure Dir zu gestehn.«
Er zitterte, wie vom Fieber geschüttelt,
Er barg das Haupt in ihrem Schoß,
Er ächzt' und schluchzte, gefoltert, gerüttelt,
Als löste die Seele vom Leib sich los.
Sie nahm in die Hände sein ruhendes Haupt
Und flehte, fast selber der Stimme beraubt:
»Edzard, o mach' ein Ende der Qual
Und sage mir Alles mit einem Mal!«
Da hob er das Antlitz und blickte sie an,
Daß ihr das Blut in den Adern gerann;
Noch wollt' es ihm von den Lippen nicht fort,
Aber sie ahnt' es, das schreckliche Wort,
Das Wort der Trennung auf sein Gebot.
Doch Edzard rief: »Er ist nicht todt,
Von dem Du's glaubst, van Straten lebt!
Er fordert Dich von mir, er strebt
Zu Schiff heran und holt Dich ab
Dort, an der guten Hoffnung Cap!«
Er hatt' es verzweifelt herausgeschrie'n,
Sie blickte stumm und versteinert auf ihn,
Sie wußte nicht, ob sie recht gehört,
Ihr Herz war starr, ihr Sinn gestört;
So saß sie da und regte sich nicht,
Im glasigen Auge kein Lebenslicht.
Doch endlich kämpft' aus der Brust sich frei
Ein markerschütternder Jammerschrei,
Der war die Erlösung in ihrem Schmerz,
Sonst wär' ihr in Stücke gebrochen das Herz.
Sie rang nach Athem, ihr Busen schwoll,
Die Augen standen von Thränen voll.
Mit krampfenden Fingern hielt sie umspannt
Des Knieenden Hände, noch wie gebannt
Von eines bösen Zaubers Beschwören.
Und Edzard fragte: »Willst Du mich hören?«
Sie nickte stumm, und er begann:
»Es war in Bahia, da traf ich ihn an
In einem Gasthaus; er drängte zum Spiel
Mit aller Gewalt und wagte viel;
Ich aber gewann, und je mehr er verlor,
Je wilder brach seine Wuth hervor.
Den Ring auch gewann ich, Deinen Ring,
Als andres Gold schon nicht mehr ging;
Und als der fort war, ganz zuletzt,
Da hat er Dich auf die Karte gesetzt, –
›Drei Jahre geb' ich Dir Ingborg Preis,
Gewinnst Du!‹ schrie er mein Sträuben nieder,
›Auf hoher See hol' ich sie wieder,
Am Cap der guten Hoffnung sei's!‹
Die Karte schlug, und Du warst mein!
Drei Jahre solltest mein eigen Du sein! –
Ach, Ingborg! Ingborg, ich liebte Dich,
Kein andrer Weg für Dich und mich,
Uns zu besitzen und glücklich zu werden!
Nur so gewann ich den Himmel auf Erden,
Gewann ihn in einem verruchten Spiel,
Aber ich kam ans ersehnte Ziel;
Laß mich Verzeihung im Blicke lesen!
Ingeborg, sind wir nicht glücklich gewesen?«
Sie blickt' ihn an mit Augen groß,
»Das also,« rief sie, »ist mein Loos:
Zuerst verkauft und dann verspielt,
Als ob man ein Ding auf Vorrath hielt,
Das man verschachern und wechseln kann
Für baares Geld von Mann zu Mann!
O Schimpf und Schand und ewige Schmach!
Und Niemand, der ihn niederstach,
Den Schurken, der sein Weib versetzt,
Wie ein Dukaten den andern hetzt?
Und Edzard, Du! der mich betrog,
Der jenes Buben Tod mir log,
Was hast Du im Herzen von mir gedacht,
Als Du mir falsche Botschaft gebracht?
Ja, wärst Du gekommen mit seinem Schein,
›Drei Jahre sollst Du mein eigen sein!‹ –
Ich hätte den Wisch in Stücke zerfetzt,
Verächtlich den Fuß darauf gesetzt,
Aber von Jenem mich losgesagt,
Hätte mein Ein und Alles gewagt,
Nicht auf drei Jahr, auf Tod und Leben
Hätt' ich mich Dir zu eigen gegeben.
Dein bin ich gewesen mit Seel und Leib,
Edzard, vor Gott bin ich Dein Weib!
Und kommt der Unmensch hier in Sicht, –
Lebendig, Edzard, kriegt er mich nicht!«
Das Antlitz verhüllte sie bebend sich
Und weinte, weinte nun bitterlich.
Edzard ließ ihren Thränen den Lauf,
Doch endlich richtet' er leis sich auf,
Zog ihr die Hände vom Antlitz fort:
»Ingeborg, sag' mir ein einzig Wort,
Sage mir, warst Du glücklich mit mir?«
Sie fiel um den Hals ihm, erdrückt' ihn schier
Und küßt' ihn lang und küßt' ihn heiß:
»Glücklich, Edzard? daß Gott es weiß!
Alles, Alles, verzeih' ich Dir,
Aber trenne Dich nicht von mir!
Laß uns dem Fürchterlichen entrinnen,
Laß uns ein neues Leben beginnen,
Setze Segel an alle Masten,
Laß uns nicht ankern, laß uns nicht rasten,
Bis wir landen, wo nichts uns droht,
Nichts, als Arm in Armen der Tod!«
Bis in die tiefste Lebensspur
Erschüttert sprach er: »Ich that den Schwur,
Daß ich Dich Jenem wiederbringe,
Und wenn ich daran zu Grunde ginge!
Ingborg, ich gehe zu Grunde daran,
Weil ich nicht ohne Dich leben kann,
Doch über das gegebene Wort
Hilft keine Macht der Welt uns fort.«
Da ward sie eisesstarr und bleich:
»So geh' an Deck, mach' mich nicht weich;
Eh' Du mein letztes Wort vernommen,
Muß mit mir selbst zum Entschluß ich kommen;
Nein, sieh mich nicht so fragend an,
Du findest mich hier wieder, mein Mann!«
Sie reicht' ihm die Hand, still ging er weg,
Und festen Schrittes stieg er an Deck.


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