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Schluß

Die »Violan« wollte nach Europa zurückkehren. Mr. Gould wollte das Land verlassen, in dem er so viele Jahre seines Lebens verbracht hatte.

Der Abschied wurde ihm nicht leicht, zumal nicht die Trennung von James Brooke. Und doch mußte ein letzter Händedruck getauscht, ein letztes Wort gesprochen werden. –

Ohne Fährlichkeiten langte die »Violan« in England an. Mr. Gould, Oskar und Richard verweilten noch mehrere Tage als Ehrengäste des Kapitäns der »Violan« an Bord und gingen dann nach vielen gewechselten Abschiedsworten von den Freunden in der Not, nach herzlichen Umarmungen mit Mr. Hardington auf einen Passagierdampfer nach Hamburg wieder in See.

Der Kanal und die Nordsee lagen hinter ihnen, das Schiff glitt aus dem Salzwasser vor Kuxhaven hinüber in die Elbe und hatte deutschen Grund und Boden unter dem Kiel.

Mr. Gould und Richard waren beide blasser und ernster als sonst, sie sprachen kein unnötiges Wort, Oskar dagegen sprang beinahe vor Vergnügen. »Endlich, endlich zu Hause!« rief er. »Weißt du, wie lange es ist, seit ich von Hamburg fortging, Richard? – Zwei volle Jahre. O wie freue ich mich, wie freue ich mich!«

Richard nickte nur, später aber, als ihn Mr. Gould anredete, sagte er mit unwillkürlich zuckenden Lippen: »Es ist doch ein ganz eigenes Gefühl, so nach jahrelanger Abwesenheit nach Hause zu kommen und zu wissen, daß man von keinem Herzen, keiner Stimme bewillkommnet werden wird!«

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Das wissen Sie ja noch nicht,« sagte er lächelnd.

»Doch, doch, Sir, – der strenge alte Herr Keßler im Waisenhause ist der einzige, der sich meiner freundlich erinnert. Die Genossen der Kindertage sind zerstreut in alle vier Winde. Aber das wandelt mich nur plötzlich so an,« setzte er mühsam lächelnd hinzu. »Ich gehe mit dem nächsten Schiff wieder fort – hinaus in die Welt.«

Mr. Gould schien diese Worte nicht gehört zu haben, er sah starr auf das Wasser hinaus. »Ob wohl der alte Herr Keßler noch lebt, Richard?«

»Wer kann es wissen, Sir? Ich gehe zunächst zum Wasserschout und dann heute noch nach der Admiralitätsstraße.«

Das Schiff glitt an den Stranddörfern vorüber und durch den Altonaer Hafen in den Hamburgischen hinein. Plötzlich legte Richard die Hand über die Augen, er sah schärfer hinüber in das Gewirre von Masten und dann brach von seinen Lippen unwillkürlich ein Freudenschrei. »Da ist die Hansa!«

»Ihr Schiff, von dem Sie heimlich fortgingen, um Oskar aus den Händen des schurkischen Chinesen zu erretten, Richard?«

»Ja, Sir.« Er schwenkte den Hut, so daß ihn von hüben und drüben die Leute lächelnd, voll Verwunderung ansahen.

»Steuermann Peters, – ahoi!«

An Bord der Brigg hielt ein Seemann in dem langsamen Gang über Deck plötzlich inne, schob die Mütze in den Nacken und wälzte den »Priem« Kautabak auf die andere Seite. »Kinners,« sagte er ganz bestürzt, »Kinners, dat wör, as wenn mi eener ropen däh!« –

»Daar is he, Stüermann! – Up den Engellänner!«

»Peters, Peters, kennen Sie mich denn nicht mehr?«

Jetzt sah der Alte den erhobenen Arm und das hübsche braune Jünglingsantlitz. »O Jemine!« rief er, »das ist Richard!«

Dann war die Begegnung vorüber und einige Minuten später warf das Dampfschiff Anker aus. Oskar näherte sich dem schweigsamen ernstblickenden Offizier. »Gehen Sie mit mir, Sir? – O bitte, bitte, die Steinstraße ist gar nicht so weit.«

Mr. Gould fuhr plötzlich auf. »Noch nicht,« antwortete er, »nein, noch nicht. Aber ich werde heute abend Ihre Eltern besuchen, Oskar!«

Dieser schien sehr enttäuscht. »Und du, Richard?« sagte er etwas kühl.

»Ich muß mich zunächst beim Wasserschout melden und dann den Steuermann von der »Hansa« aufsuchen, Oskar. Wer weiß, wann das Schiff unter Segel geht.«

»Aber was kümmert das dich?« rief der andere. »Du wirst doch nach der Gesellschaft deines früheren Vorgesetzten keine so unbezwingliche Sehnsucht empfinden?«

Richard lächelte. »Das allerdings nicht, Oskar, aber der Steuermann muß mir als Zeuge dienen. Du weißt, daß das plötzliche Erscheinen Dewitschands auf der Hafentreppe von Bombay meine Rückkehr zum Schiff verhinderte.«

Oskar nickte nur. »Dann sehe ich dich also heute abend?«

»Ich hoffe es.«

Richard und Mr. Gould standen unterdessen auf der Dampferbrücke beieinander. Sie hatten beide in der großen Stadt keine Seele, die ihrer wartete – sie konnten sich die Zeit nehmen.

»Leben Sie wohl, Sir,« sagte halb seufzend unser Freund. »Also im Hotel zum Kronprinzen werden Sie wohnen? Darf ich mir erlauben, zuweilen bei Ihnen vorzusprechen?«

Mr. Gould drückte seine Hand. »Nicht nur das, Richard, Sie müssen mir geloben, täglich mein Gast zu sein, nichts ohne mich zu unternehmen und vor allen Dingen keine Heuer abzuschließen, ehe ich die Sache nicht erfahren habe. Wollen Sie das?«

»Gewiß, Sir. Ich bin Ihnen für Ihre Güte unendlich dankbar.«

»Auf heute nachmittag also – Sie erzählen mir dann, wie es Ihnen bei dem Wasserschout erging. Auf Wiedersehen!«

Sie gingen nach verschiedenen Seiten auseinander, dann aber stand Mr. Gould bei dem nächsten besten Laden wie zufällig still, bis Richard seinen Blicken entschwunden war. Sobald er sich unbeobachtet wußte, begab er sich in das Waisenhaus und zog die Klingel.

»Ist Herr Keßler zu Hause?« fragte er das ihm öffnende Mädchen.

Das Mädchen bat, sich in den ersten Stock hinaufzubemühen, und schon nach wenigen Augenblicken stand Mr. Gould in einem kleinen, auf den Garten hinausgehenden Zimmer einem alten Herrn mit Schlafrock und Brille gegenüber.

»Entsinnen Sie sich möglicherweise noch eines früheren Zöglings dieser Anstalt, eines jungen Mannes, der später zur See ging – sein Name ist Richard Wittenburg,« redete er diesen an.

Herr Keßler rückte die Brille bis zum Haar hinauf. »Richard Wittenburg? ja, o ja, ich weiß es, er war mein Liebling, ich hatte ihn gern von seiner ersten Jugend her, aber das Leben muß den sonst so guten Jungen früh verdorben haben, er ist in Bombay schmählich vom Schiff geflüchtet und wird sich wohl hier in Hamburg nicht wieder blicken lassen. Kennen Sie ihn?«

Mr. Gould nickte. »Ich bin heute mit ihm von Borneo hier angekommen, Herr Keßler. Richard wird seiner Flucht wegen von den Hamburgischen Behörden nicht bestraft werden, dafür bürge ich Ihnen. Wie das alles sich zutrug, mag er Ihnen selbst erzählen; vorläufig ist es eine andere Angelegenheit, in der ich Ihren freundlichen Beistand erbitte! Sie haben vor achtzehn Jahren Richards Mutter persönlich gesehen, nicht wahr?«

»Ja, Herr – –«

»Ich heiße Gould – Ernst Gould! –«

»Herr Gould also. Ja, ich habe sie gesehen, aber nur als Leiche.«

»Das ist mir bekannt. War die arme Frau jung und sehr hübsch, Herr Keßler, hatte sie reiches dunkles Haar und kleine Hände?«

»Auffallend klein! ja, ich erinnere mich, Herr Gould.«

Jetzt griff Mr. Gould in die Tasche und zog das in der Piratendschonke wiedergefundene kleine Bild hervor und zeigte es dem Beamten. »Ist dies das Bildnis der armen Frau?«

Herr Keßler rückte die Brille wieder an ihren Ort, prüfte bedächtig das Bild und nickte dann still vor sich hin. »Ja, ja, sie ist es, sie ist es, ich bin völlig überzeugt. Finden Sie nicht auch, daß sich Mutter und Sohn ganz besonders gleichen, Herr Gould? – Sie kennen ja den Jungen, wie Sie soeben sagten! – Er ist der armen Frau wie aus den Augen geschnitten.«

»Aber,« fügte er dann hinzu, »es gibt noch ein untrügliches Beweismittel. Warten Sie, Herr, ich hole es.«

Er eilte fort und kam bald darauf mit einem Paket zurück. Er löste die versiegelten Schnüre, nahm einen in Papier gewickelten Gegenstand, den er beiseite legte, und entfaltete ein braun- und schwarzgestreiftes Frauenkleid. »Sehen Sie her, lieber Herr, das ist der Anzug, in dem ich die Tote zum ersten und einzigen Male sah.«

Mr. Gould nahm mit bebenden Händen den Stoff an sich und biß die Zähne hörbar zusammen. »Ich erkenne es!« sagte er nach einer Pause.

Herr Keßler sah ihn forschend an. »Und Sie haben einen wirklich ehrenwerten Grund, dieser Sache nachzuforschen, Herr Gould?«

»Bei Gott – ja!«

»Gut, dann sollen Sie das letzte sehen!«

Er schlug die Papierhülle auseinander, zwei beschriebene Blätter lagen darin, das eine gab er dem erschütterten, bebenden Manne. »Ich fand den Brief in der Tasche dieses Kleides, Herr Gould,« sagte er.

Dieser warf auf das ihm überreichte Blatt nur einen einzigen Blick, dann trat plötzlich alles Blut in sein Gesicht. »Ach!« rief er, wie aus erlöstem, jubelvollen Herzen, »ach, das ist der Beweis! Kennt Richard diesen Brief, Herr?«

Der Beamte schüttelte den Kopf. »Nein,« antwortete er.

Mr. Gould streckte die Hand aus. »Ist noch ein zweites Schreiben da?« fragte er erstaunt.

»Ja, mein Herr. Es scheint eine Antwort zu sein, der Anfang einer solchen wenigstens, jedenfalls von der eigenen Hand der Toten.«

»Eine Antwort auf diesen Brief?«

»Ja!«

Mr. Gould ergriff das Blatt, er schwankte, das ganze Zimmer schien sich mit ihm im Kreise zu drehen. Er wollte lesen, aber nur ein unterdrücktes Schluchzen brach aus seiner Brust hervor, dann sank er, von jäher Ohnmacht gepackt, plötzlich in das Sofa zurück.

Herr Keßler nahm aus einem Schrank eine kleine Flasche, entkorkte sie und wollte sie eben dem Gesichte seines Besuchers nähern, als plötzlich draußen schnelle Schritte die Treppen hinaufsprangen und eine Hand fast zugleich klopfte und die Tür öffnete. Auf der Schwelle stand Richard.

»Grüß Gott, Herr Keßler!« rief er strahlend vor Freude, dann aber, nachdem er den im Sofa Liegenden erkannt hatte, brach er erschreckend ab. »Mein Gott, Mr. Gould – was ist es mit ihm?«

Der alte Beamte legte beide Hände auf die Schultern des hochgewachsenen jungen Mannes. »Nichts, nichts, Richard,« sagte er. »Wie groß du geworden bist, Junge! – Weshalb kam denn in der ganzen Zeit von dir kein Brief?«

»O bitte, lassen Sie mich zu Mr. Gould, Herr Keßler!«

Aber der Alte hielt ihn fest. »Sei vorsichtig, Kind, ich weiß nicht, ob er dich gleich sehen darf! – Sage mir, kennst du ihn genauer? Wer ist der Herr? Wenn mich nicht alles trügt, so ist er – dein Vater.«

Richard stand wie versteinert. »Mein Vater?«

»Ich glaube es, Kind, – komm, wir wollen ihn zu wecken suchen.«

Mr. Gould drehte den Kopf. »Der Brief,« stammelte er noch mit geschlossenen Augen. »Oh, er ist an mich gerichtet, Herr Keßler, mein armes Weib hat ihn geschrieben und erst achtzehn Jahre nach ihrem Tode erhalte ich das Blatt!«

Er fuhr mit der Hand über die Stirn. »Richard ist mein Sohn, Herr, – Gott weiß, ich wußte es, seit er vor länger als einem halben Jahre zuerst so unvermutet vor mir stand. Hierher komme ich mit Ihrer gütigen Erlaubnis noch einmal zurück, werter Herr. Jetzt sagen Sie mir, bitte, wo ich das Büro des Wasserschouts finde!«

»Um Ihren Sohn aufzusuchen, Herr Gould?«

»Ja. Ich muß ihn verteidigen, seiner scheinbaren Flucht wegen.«

Der alte Beamte deutete lächelnd auf die halbdunkle Ecke des altertümlichen Gemaches, das von dem großen Kachelofen fast in zwei Hälften geteilt wurde. »Sehen Sie dorthin, Herr Gould!« sagte er.

Mr. Gould wandte sich herum. »Richard!« rief er nur, aber in dem Tone lag eine solche Fülle von Glückseligkeit, daß es den warmherzigen alten Mann auf das tiefste erschütterte. Leise schlich er davon. –

Eine Stunde später fuhren Vater und Sohn hinaus vor das Dammtor, um dort ein teures Grab zu besuchen. Gould hatte jetzt den halbvollendeten Brief seiner verstorbenen Frau zu Ende gelesen, er hatte auch Richard von dem Inhalt beider Schriftstücke unterrichtet und ihm erzählt, wie es damals zuging, daß er anscheinend so lieblos Frau und Kind verließ.

Es bestanden schlimme Zerwürfnisse zwischen ihm und seinem starrsinnigen alten Vater, der sich ganz von ihm trennte und erst demütig um Verzeihung gebeten werden wollte, ehe er die Hand zur Versöhnung reichte. Kaum verheiratet, ging der Sohn mit seiner jungen Frau nach Berlin und als er dort nicht gleich vorwärtskommen konnte, fort nach Indien, um in der Ferne Glück und Gelingen zu suchen.

Seine Frau hatte in die Trennung gewilligt, um nicht ihres Mannes Pläne zu durchkreuzen, aber sie hatte in Berlin keine Stellung gefunden, in der sie sich den notdürftigsten Unterhalt zu erwerben vermochte, und beschloß daher, die Schwiegereltern in Hamburg aufzusuchen und bei ihnen wenigstens für ihr neugeborenes Kind um Hilfe zu bitten. Sie würden sich ja doch dem Anblick des unschuldigen kleinen Wesens nicht verschließen und ungerührt bleiben können, wenn sie ihnen das Kind ihres Sohnes in die Arme legte. Ihr Mann schrieb aus England einen Brief voll treuer Liebe und bat sie, die Antwort postlagernd Bombay abzusenden. Mit diesem Troste machte sie sich auf nach Hamburg; von dort aus, nachdem sie ihm im elterlichen Hause die volle Versöhnung erwirkt hatte, wollte das arme junge Wesen nach Indien schreiben und den teuren Flüchtling zurückrufen in die Heimat.

So stand es in dem Briefe, der wahrscheinlich schon gleich bei ihrer Ankunft in Hamburg auf die Post gegeben werden sollte. Dann trat der Tod dazwischen; Mangel und Aufregung rafften die arme junge Mutter dahin, als Hamburgs Türme schon vor ihren Augen lagen.

»Ich habe,« schloß Mr. Gould, »als sich in Bombay kein Brief für mich vorfand, voll Sorge gleich wieder nach Berlin geschrieben, aber natürlich keine Antwort erhalten. Selbst die Polizei wußte nichts, auch die Wirtsleute konnten mir nur sagen, daß meine Frau abgereist sei. Ich fragte bei ihren Eltern, bei den meinigen, alles umsonst.«

»Wahrlich, mein Junge, was ich als Sohn möglicherweise verschuldete, das habe ich als Vater zehnfach gebüßt. Wo war mein schutzloses Kind? – Durch fast achtzehn volle Jahre raubte mir diese bange Frage den Schlaf der Nächte und die Ruhe der Tage. Gott hat mir dich wie durch ein Wunder zurückgegeben.« – Er umarmte immer aufs neue den endlich Gefundenen.

Nun wurde ein prächtiger Kranz auf das Grab gelegt, dann fuhren Vater und Sohn zum Wasserschout, wo sich die Sache leicht ins richtige Geleise bringen ließ, da schon der brave Steuermann zu Richards Gunsten ausgesagt hatte. Auch einen Rechtsanwalt suchten sie auf. Mr. Gould wollte sogleich seinen Sohn öffentlich anerkennen und an den Senat ein Gesuch einreichen, um ihm gegen Erstattung aller von seiten der Stadt für denselben aufgewendeten Erziehungskosten nun auch den rechtmäßigen Vatersnamen anstatt des nur geborgten zu verschaffen. Erst spät am Abend, weit über die festgesetzte Stunde hinaus, kamen beide nach der Steinstraße zu Oskars Eltern.

Fröhlicher Kinderlärm schallte ihnen entgegen. Der Sohn und Bruder war nach langer Trennung zurückgekehrt, das ließ alle Armut, alle Not des Lebens vergessen; sie jubelten durcheinander, die vielen Kleinen des armen Schreibers, selbst das verhärmte Gesicht der Mutter glänzte heute wie neuverjüngt.

»Vater! Mutter!« rief Oskar, »das ist Mr. Gould, von dem ich euch erzählte! – Oh, Sir, wie gütig von Ihnen, daß Sie hierhergekommen sind!«

Mr. Gould begrüßte Oskars Eltern auf das freundlichste, dann zog er seinen Sohn an der Hand zu sich und erzählte das Geschehene, und alle wunderten und freuten sich. Der Abend ging hin, ehe man sich's gedacht. Mr. Gould hatte den armen Schreiber auf die gütigste Weise zum Sprechen gebracht, er ließ ihn nach Herzenslust Luftschlösser bauen und stimmte nur zuweilen mit einem: »So wollen wir's machen!« ein in seine Worte, während die jungen Leute durcheinander lachten und scherzten, erzählten und fragten und das Mütterchen still dabei saß. Erst ganz spät fiel es den guten Leuten ein, daß ja in ihrem Hause seit länger als sechs Monaten ein Brief mit Richards Adresse aufgehoben wurde. Jetzt brachte ihn der Vater mit vielen Entschuldigungen herbei.

»Von Bruder Körner!« setzte Oskar hinzu.

Richard erbrach das Schreiben und überflog voll Freude die vier langen beschriebenen Seiten. Der würdige Missionar berichtete von allem, was seit seiner und Oskars Abreise auf der Station geschehen war, von der Untersuchung gegen die Thugs, dem Stande der Arbeiten und dem Bau der neuen Kirche, ja, sogar von den persönlichen Schicksalen seiner Gemeindeglieder. – »Dschumbo,« schrieb er, »unser aller lieber Freund und Genosse, befindet sich sehr wohl und trägt bedeutend dazu bei, mir das äußerlich Schwere meines Berufes zu erleichtern. Sobald ich über Land reisen, oder auch nur in einem anderen Dorfe predigen, einen entfernt wohnenden Kolonisten besuchen muß, trägt mich der graue Riese auf seinem Rücken sicher dahin und bietet nebenbei durch die ihm innewohnende Wachsamkeit einen Schutz gegen wilde Tiere, wie er nicht wirksamer sein könnte. Thumal ist nach wie vor sein Mahaut und Dschumbo gehorcht ihm bestens, nur in einem Punkte bleibt er eigensinnig, oder richtiger gesagt: von einer rührenden Treue. Fragt man ihn: ›Wer ist es, den du liebhast, Dschumbo?‹ dann sieht er im Kreise umher und schüttelt den großen Kopf. Ich habe übrigens verboten, ihm diese Frage vorzulegen, und zwar weil das arme Tier, in der Erwartung, seinen geliebten Herrn wiederzusehen, hellauf trompetet und dann um so trauriger die Anwesenden mustert. Hondin ist nicht vergessen, weder von dem Elefanten noch von uns Menschen, die wir ihn liebhatten; sein Grab liegt unter Blumen verborgen.

Meine Frau und Kinder, Thumal und die übrigen Hausgenossen grüßen euch von Herzen, ebenso ich selbst.

Euer treuer, väterlicher Freund
Karl Körner.«

 

Voll Interesse hatten alle dem Vorleser zugehört, die Erwachsenen, weil sie wußten, ein wie vorsorglicher, selbstloser Beschützer ihren Kindern in der Stunde höchster Not der Missionar gewesen war; die Kleinen, weil sie von Dschumbo erfuhren, dem Elefanten, auf dessen Rücken ihr Bruder reiten durfte. Man sprach hin und her, bis endlich die Trennungsstunde schlug, aber nur für kurze Frist, denn die Freunde blieben im engsten gegenseitigen Verkehr, der auch dann nicht abgebrochen wurde, als Richard wieder in See ging. Er konnte sich nicht entschließen, seinen Lebensberuf zu ändern, und sein Vater ließ ihm darin völlig freie Hand.

Oskar wurde Kaufmann. Er trat bei einem bedeutenden Handelshause in die Lehre, um später Herrn Goulds Buchhalter zu werden. Auch den Vater des jungen Menschen brachte der reiche Mann so unter, daß nunmehr alle Nahrungssorgen für immer beseitigt waren.

Richard führte gar bald als Kapitän eines der Schiffe seines Vaters und kam nicht allein wieder nach Kalkutta, von wo aus er die Missionsstation und Hondins Grab besuchte, sondern auch nach Sarawak, wo er Radscha Brooke als geliebten Herrscher und die Stadt als blühende, geschäftsfrohe Handelsniederlassung vorfand. Der Radscha hatte nach erlangtem Frieden seine Familie von dem indischen Festlande zu sich kommen lassen und lebte als glücklicher Mann in reich gesegneter Tätigkeit als der Schöpfer eines geordneten Staatswesens.

Der brave Toldi war nach langem, ehrenhaftem Leben auf dem Landsitz des Radscha als dessen treuer Diener im hohen Alter gestorben.

 


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